Dr. Edgar Ring: Lüneburg - Eine Backsteinstadt in Gotik und Renaissance

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Dr. Edgar Ring: Lüneburg - Eine Backsteinstadt in Gotik und Renaissance
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Wer durch die Straßen der Hansestadt Lüneburg streift, gewinnt den Eindruck einer
Stadt des Backsteins, einer Stadt der Backsteingotik. Tatsächlich ist der Backstein der
dominante Baustoff, doch neben der Gotik spielt die Renaissance in der Architektur Lü-
neburgs eine große Rolle. Wir möchten Ihnen die wesentlichen Züge der Architektur
Lüneburgs vom 14. Jahrhunderts bis um 1600 vorstellen, also von der Gotik zur Renais-
sance.

Am Sande

Haustypik: Vom 14. bis weit in das 16. Jahrhundert prägte das giebelständige
Backsteinhaus das Stadtbild. Das Erdgeschoss nahm ursprünglich eine große 4 bis 6
m hohe Diele ein. Dieser zentrale Raum des Hauses wird in den schriftlichen als „hus“,
also Haus, bezeichnet. In der Diele befand sich an einer Traufseite die zentrale Feuer-
stelle als Kochstelle und Heizquelle. Die Diele war Zentrum des alltäglichen Lebens,
dort wurde gearbeitet, gegessen, kommuniziert und gespielt. Zur Straße hin trennte man
in der weiteren Entwicklung die Stube, ein primär rauchfrei zu heizender Raum, ab. Ein
Kachelofen, der von der Feuerstelle der Diele aus beheizt wurde, sorgte für angenehme
Raumtemperaturen. Ofenkacheln des 13. Jahrhunderts konnten in einer Kloake an der
Salzbrückerstraße geborgen werden. Alternativ zum Kachelofen wurden Heißlufthei-
zungen, die im Lüneburger Raum zahlreich bekannt sind, eingesetzt. In großen Häusern
wurde parallel zum Kachelofen ein Wandkamin benutzt. Die Stube war zunächst Ar-
beitsraum des Hausherrn oder Kontor des Kaufmanns. Erst im 17. Jahrhundert wurde
sie zu einem bevorzugten Aufenthaltsraum der gesamten Familie. Die Grundstruktur
des Erdgeschosses war bei nahezu allen sozialen Schichten identisch.
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Unter einem Teil der Diele lag der Keller, dessen Abgang sich nahe der Feuerstelle der
Küche befand. Vermutlich besaß der Keller ursprünglich eine Balkendecke.

Grundriss
Am Berge 35
Erdgeschoss (links)
Obergeschoss (rechts)

Und die edle Heizung
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Die Flügelbauten entstehen fast regelhaft seit der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts, auf
Patrizierparzellen sind sie bereits seit dem frühen 14. Jahrhundert vertreten.
Zwei Typen von Flügelbauten sind zu unterscheiden: der seitliche und der rückwärtige
Flügelbau. Die Nutzung der Erdgeschosse der rückwärtigen Flügelbauten ist nicht ein-
deutig zu definieren. Ihre reiche Ausstattung mit Deckenmalerei und Wandkamin weist
auf Festsäle. Nach Inventaren ist aber auch eine Nutzung als Schlafsaal oder als Wirt-
schaftsbereich belegt.

Die Giebel
Charakteristisch für die Backsteinarchitektur des gesamten Ostseeraums und seines
Hinterlandes ist der stark getreppte Staffelgiebel mit einer straffen Binnenstruktur. Er
ist in Lüneburg seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts nachgewiesen und weist überwie-
gend eine unpaarige Anzahl von Staffeln auf. Kleine Giebel besitzen 5 bis 7 Staffeln
(Große Bäckerstraße 5). Große Giebel mit neun Staffeln wie z.B. bei der Ratsapotheke,
die 1598 errichtet wurde, gibt es erst in der Renaissance.

Getreppter Staffelgiebel
mit Rundbögen. Hier die s
eltene Form von 6 Staffeln.
Große Bäckerstraße
5 (Dachwerk 1342)

Die Binnengliederung der Staffeln erfolgte durch Blendarkaden, die im 14. und 15.
Jahrhundert spitzbogig, anschließend rundbogig ausgeführt waren. Die Blenden greifen
im 14. und in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts noch auf die Obergeschosse über, seit
der Mitte des 15. Jahrhunderts enden die Blendarkaden am Fuße des Giebeldreiecks an
einem waagerechten Fries. In der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts erscheint zusätzlich
das im Bogenzwickel eingefügte Kreismotiv mit einer Füllung aus einem vier- oder fünf-
strahligen Stern. Wir finden eine solche Gestaltung am Giebel des ehemaligen Patrizier-
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hauses „An der Münze 7“, der heutigen Musikschule, aber auch „Am Berge 5“, um 1470
erbaut.

Grader Giebel mit Spitzbögen
Am Berge 5 (1470)

Tausteine
Um 1470 begann der Siegeszug eines aufwändig herzustellenden Formsteins, des Tau-
steins. Er wurde am Rückgiebel des um 1470 erbauten Hauses „Am Berge 35“ vermauert
und im 16. Jahrhundert der vorherrschende Formstein. Er ist eine Lüneburger Erfin-
dung und wurde kaum in anderen Backsteinstädten verbaut.

Tausteine im Eingang
Am Berge 35 (um 1470)
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Glasur
Die Glasur von Backsteinen ist ein aufwändiges Verfahren, denn neben dem Bezug von
Bleiglasuren war es notwendig, den Stein zweimal zu brennen. Seit dem 14. Jahrhundert
wurden dunkelbraun, rotbraun, hellgrau und grün glasierte Backsteine verbaut, wie in
der Schröderstraße 16, Fassade Apothekenstraße (um 1400) zu sehen ist. Glasierte und
unglasierte Formsteine wurden im Wechsel verbaut.

Glasur
Schröderstraße 16,
Fassade Apothe
kenstraße
(um 1400)

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Renaissance
Im 16. Jahrhundert erlebte Lüneburg einen Bauboom. Fassaden und Innenstrukturen
bzw. Ausstattungen von Häusern wurden verändert oder aufgewertet, man löste sich
teilweise aber nach der Mitte des Jahrhunderts von dem alten Grundrissschema des
Giebelhauses mit Diele und Stube im Erdgeschoss. Die enorme Salzproduktion des Mit-
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telalters bescherte der Stadt einen solchen Reichtum, dass die Bürger der Stadt in der
Lage waren, große Investitionen zu tätigen.

Staffelgiebel
Im frühen 16. Jahrhundert wird die Gliederung der Staffelgiebel durch senkrechte Blen-
den aufgegeben. Nun erfolgt eine waagerechte Zonierung durch Friese, wie am Rückgie-
bel des 1517/18 durch Ludtke Dassel umgestalteten Hauses „Gr. Bäckerstr. 26“ oder wie
hier am markanten Brauhaus „Am Sande 1“, das 1548 erbaut wurde. (Arthur Illies 1924)

Einzigartig ist die Gestaltung des
Giebels „Am Ochsenmarkt 1“ durch
Staffelfüllungen aus Sandstein in
Form von auf Delfinen reitenden
Putti, darüber befinden sich See-
pferdchen sowie Köpfe von weib-
lichen und männlichen Meergeis-
tern: Die Delfine gelten als Sym-
bole Christi, der die Christen sicher
ins Jenseits geleitet, so Werner Preuß
in seinem Buch über dieses Haus,
in dem Heinrich Heine einige Jahre
lebte (das sog.Heinehaus).
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Glasierung
Aus dem 16. Jahrhundert gibt es einige Beispiele von Fassaden, die gänzlich aus schwarz
glasierten Backsteinen hergestellt wurden. Der Staffelgiebel des Brauhauses „Am Sande
1“ mit einer starken horizontalen Gliederung und reicher Tausteinzier ist eine seit der
Mitte des 15. Jahrhunderts entwickelte Giebelgestaltung. Der Backstein der Fassaden ist
schwarz glasiert. (Siehe das obige Bild vom Brauhaus.)

Terrakotten
Über dem leicht spitzbogigen Portal und den Segmentbogenfenstern des 1. und 2. Ober-
geschosses Am Sande 1 sind polychrom glasierte Terrakotten, die einen starken Kon-
trast zur schwarzen Fassade bilden, eingefügt. Die runden Terrakottamedaillons sind in
Tausteinkreise eingesetzt. Auch an der Traufseite in der Grapengießerstraße finden sich
in zwei Reihen in Kreise eingesetzte Terrakottamedaillons. Über dem Hauptportal be-
findet sich eine Terrakottaplatte mit der Jahreszahl 1548, dem Erbauungsjahr des Brau-
hauses, begleitet von zwei rechteckigen Platten mit der Darstellung einer Frau links und
eines Kriegers rechts. Terrakotte „Am Sande 1“:

Die Terrakottazier dieses Brauhauses ist das Dokument einer Serienproduktion von
Fassadenschmuck, deren Erzeugnisse sowohl „auf Vorrat“ als auch speziell für ein Bau-
vorhaben gefertigt wurden. Die Auftragsarbeiten verweisen auf eine Töpferei, deren ar-
chäologische Untersuchung vor einigen Jahren erfolgte. Im Zuge der Ausgrabungen auf
der Parzelle „Auf der Altstadt 29“ wurde ein Tonmodel geborgen, dass als Form zur
Produktion des Kriegers genutzt wurde, der den Eingang des Brauhauses „Am Sande 1“
ziert. Weitere Model belegen die Produktion von Terrakottamedaillons, die sich noch
heute an Lüneburger Häusern befinden. Ein Medaillon mit der Jahreszahl 1543 am
Hause „An der Münze 8A“ bezeichnet mit großer Wahrscheinlichkeit den Beginn der
Produktion von polychrom glasierten Terrakotten in Lüneburg. In der bereits genann-
ten Töpferei wurde auch für dieses Relief der Model geborgen.
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Patrizier und Brauer
Auftraggeber dieser seriell gefertigten Kunst am Bau waren in der Minderheit Patrizier.
Die Verwendung renaissancezeitlicher Terrakotten als Fassadenschmuck während der
kurzen Terrakottaperiode in Lüneburg von 1543 bis 1568 geht nicht auf die führende
Schicht der Patrizier zurück. Zunächst finden sich polychrom glasierte Terrakotten an
den Fassaden der Häuser, die Essig- und Bierbrauer errichten ließen. Ihnen gelang es,
in den exklusiven Kreis der Patrizier aufzusteigen.

Sandsteinportale
Patrizier wählten ab etwa 1500 einen aufwändigeren Fassadenschmuck in Form von
Sandsteinportalen mit vollplastischen Skulpturen oder mit Hausteinelementen wie
Wappentafeln. Nur wenige Portale sind am Originalstandort erhalten. Ludtke von Das-
sel ließ 1517 an seinem Haus „Große Bäckerstr. 26“ das Portal mit einem Sandstein-
schmuck versehen. Es ziegt das Wappen der Familie von Dassel und das seiner ersten
Frau Gesche von Stöterogge. Den Eingang bekrönte eine Christophorus-Figur. Das Por-
tal kostete, so der Zeitgenosse Jürgen Hammenstede, 500 Mark lübisch, etwa der Wert
eines mittleren Hauses.
Ein bedeutendes Sandsteinportal finden wir am Haus „Am Ochsenmarkt 1“, das Hein-
rich-Heine-Haus, das Hartwig Witzendorff ab 1561 errichten ließ. Das Portal weist eben-
falls links und rechts muschelbekrönte Nischen auf, über denen sich die Wappen des
Hartwig Witzendorff und seiner Frau Beata Haker befinden. Ungewöhnlich reich ver-
ziert ist das 1568 datierte Portal des Hauses „Am Berge 37“, das der Sülfmeister Albert
Mutzeltin errichten ließ. Das Rundbogenportal wird von Hermenpilastern flankiert, die
auf ihren Köpfen Fruchtkörbe tragen. Die Pilaster sind mit Masken und Fruchtgehängen
geschmückt. Auf Konsolen stehen zwei Sandsteinfiguren als Allegorien des Friedens und
der Gerechtigkeit. In den Bogenzwickeln finden sich die Wappen der Eheleute Albert
Mutzeltin und Anna Töbing. Auch das Rundbogenportal der Durchfahrt ist reich ver-
ziert. Immer wieder wird spekuliert, ob Albert von Soest dieses Portal geschaffen hat.

Am Berge 37
Portal von 1568
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Das aus Obernkirchener Sandstein gefertigte Portal der 1598 errichteten Ratsapotheke
kann einem Künstler zugeschrieben werden, es ist Marten Köler. Mittlerweile ist sicher,
dass der vor 400 Jahren verstorbene Künstler Daniel Frese das Portal farbig fasste. Auf
dieses faszinierende Portal möchte ich aber hier nicht näher eingehen.

Erker und Utluchten
Heute gibt es nur noch wenige Erker an den Hausfassaden. Ab etwa 1540 wurden sie in
den Obergeschossen abgefügt, zur Belichtung und Beobachtung. Spuren dieser mittler-
weile wieder demontierten Erker finden sich „An der Münze 8a/b“ und an der Heiligen-
geiststr. 8. Ein Erker eines Flügelbaus wurde in den vergangenen Jahren rekonstruiert.
Utluchten sind dagegen noch zahlreich im Straßenbild vorhanden, einige wurden in
den vergangenen Jahrzehnten auch wieder rekonstruiert. Diese ein- oder mehrstöckigen
Standerker aus Fachwerk oder Backstein hatten dieselbe Funktion wie die Erker. Siehe
das obige Bild von „Am Sande 1“.

Auf der Altstadt 43,
1593 (Erker)

Fachwerk
Fachwerk spielt, so hat man heute den Eindruck, in der Backsteinstadt Lüneburg nur
eine untergeordnete Rolle. Viele Fachwerkbauten, insbesondere Nebengebäude, sind
aus dem Stadtbild verschwunden. Holzkonstruktionen spielen aber eine große Rolle,
bedenkt man allein die vielen Dachwerke und die Innenkonstruktionen der Backstein-
häuser. Daher war die Holzversorgung insgesamt ein wichtiger Aspekt der städtischen
Wirtschaft. Der große Holzlagerplatz auf der Hude und die innerstädtischen Holzhöfe
belegen dies.
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Das vielleicht älteste Fachwerkgebäude ist der um 1475 errichtete Speicher „Am Iflock
4“ mit einer Ankerbalkenkonstruktion. Traufständige Kleinwohnhäuser in Fachwerk-
bauweise sind noch häufiger vorhanden, wie etwa das Gebäude „Hinter dem Brunnen 6/
7“ von 1477/78. Bei den Fahrtknechthäusern „Hinter der Bardowicker Mauer 5“ von
1544 handelt es sich um eingeschossige Wandständerbauten.

Singulär ist das traufenständige Haus “Baumstraße 3“ mit seinem farbig gefassten Figu-
renprogramm. Bei dem 1538 von Dionys von Minden erbauten Haus erscheint erstmals
in Lüneburg die geschnitzte Halbrosette. Die stärkere Verwendung von dekorativer
Schnitzerei, die Einflüsse des Harzvorlanges und Braunschweigs erkennen lässt, entwi-
ckelte sich im 16. Jahrhunderts, in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts fand diese Zier
verstärkt Eingang in die Architektur höherer sozialer Schichten. Hier sind besonders die
Flügelbauten zu nennen, die über einem massiven Erdgeschoss aus Backstein ein Ober-
geschoss aus Fachwerk mit starker Durchfensterung aufweisen.
Häufig wird über die Farbigkeit des Fachwerks diskutiert. Restauratorische Befunder-
hebungen an dem Haus „Baumstr. 3“ und dem Flügelbau „Auf der Altstadt 44“ belegen
einen blaustichigen Rotton. Das Fachwerk des Flügelbaus Am Ochsenmarkt 1 ist in ei-
nem Rotton (Caput Mortuum) gefasst. Fachwerk blieb aber auch monochrom holzsich-
tig.

Baumstraße 3,
1538

Inschriften auf Schwellen sind überwiegend in Mittelniederdeutsch verfasst, seltener
in Hochdeutsch oder Latein. Vorrangig sind sie Bibelzitate und religiöse Sinnsprüche,
die ein protestantisches Bekenntnis darstellen. Mit einem Beispiel vom Flügelbau der
Schröderstraße 4 soll die Darstellung abgeschlossen werden:
„O Minsche wultu datt idt di woll schall gelingen so fruchte godt vor allen dingen“
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