Eckpunkte Ansätze zur Profilierung katholischer Schulen - DIE FACHZEITSCHRIFT DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND ERZIEHUNG - Bistum Münster
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DEZEMBER 2020 | NR. 192 DIE FACHZEITSCHRIFT DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND ERZIEHUNG Eckpunkte Ansätze zur Profilierung katholischer Schulen
Impressum und Editorial IMPRESSUM HERAUSGEBER Bischöfliches Generalvikariat Münster Hauptabteilung Schule und Erziehung 48135 Münster, Fon 0251 495-412 www.bistum-muenster.de/schule REDAKTION Dr. Stephan Chmielus (verantwortlich), Georg Garz KONZEPTION Judith Matern, Abteilung Katholische Schulen LAYOUT & SATZ kampanile | medienagentur, Münster www.kampanile.de DRUCK Druckerei Joh. Burlage, Münster | www.burlage.de REDAKTIONSSEKRETARIAT Bischöfliches Generalvikariat Münster, Hauptabteilung Schule und Erziehung Abteilung Religionspädagogik Kardinal-von-Galen-Ring 55, 48149 Münster Fon 0251 495-417, Fax 0251 495-7417 kluck@bistum-muenster.de TITELBILD UND FOTOS (c) Christian Matuschek (Titel), Paulo Sousa / photocase.de (5), Thomas Zühmer, (c) Rheinisches Landesmuseum Trier (6), Michael Bönte (13), privat (20, 42), Manuel von Harenne (24), Kristina Slotty (29), Michael Lemkens (32), Sebastian J. Kornek (35), Klaudia Maria Dederichs (39), Johannes Schmittmann (44), Michael Sandkamp (51), Patrick Schoden (51) ISSN: 2195-9447 Das verwendete Papier ist aus 100 % Altpapier hergestellt.
LIEBE KOLLEGINNEN UND KOLLEGEN! Haben die keine anderen Probleme, fragen Sie schen- und Weltbild konkret erkennbar wird. Den sich vielleicht beim Blick auf den Titel dieses Orientierungsrahmen dafür bilden die Stichworte Heftes. Unter den derzeitigen Bedingungen kann Bildungsgerechtigkeit sowie eine professionelle man doch froh sein, wenn Schule und Unterricht pädagogische Haltung, die jeden Einzelnen im Blick halbwegs geordnet funktionieren. Sind Ansätze behält. In der Beschäftigung mit den Lerngegen- zur Profilierung nicht Themen, auf die man der- ständen sollen religiöse Sichtweisen thematisiert zeit verzichten kann? Ähnlich wie die Systemrele- werden. Das Schulleben erschließt religiöse Aus- vanz der Kirchen, die nach dem ersten Lockdown drucksformen, indem es sie praktisch erfahrbar problematisiert wurde, ist für katholische macht. Dabei sollen Sichtweisen der christlichen Schulen das Funktionieren auf Dauer aber keine Religion mit anderen Religionen und Weltanschau- ausreichende Grundlage. ungen ins Gespräch gebracht werden. Was katholische Schulen ausmacht, fragt Profes- Unter der Rubrik BEISPIEL dokumentieren acht sor Sajak in seinem Beitrag. Er stellt diese Frage in Beiträge aus Bistumsschulen, wie diese Perspek- einen umfassenden historischen Zusammenhang tiven der „Eckpunkte“ bereits umgesetzt werden. und kommt zu konkreten Anforderungen für die Der Erfahrungsaustausch darüber könnte helfen, Gegenwart. Der zweite Beitrag unter der Rubrik die jeweiligen Ansätze schulform- und region- SCHWERPUNKT greift diese Aspekte im Rahmen spezifisch weiterzuentwickeln. der Diskussion um die Zukunft und den Gestalt- wandel der Kirche im Bistum Münster auf. „Bleiben Sie gesund“ ist in diesem Jahr eine viel verwendete Grußformel. Selbstverständlich In den „Eckpunkten“ ist formuliert, wie die ka- wünschen auch wir Ihnen Gesundheit. Noch mehr tholischen Schulen sich an der Sendung der Kirche aber wünschen wir Ihnen Zuversicht. Alfred Delp im Bistum Münster beteiligen wollen. Sie verfolgen hat diesen Wunsch in einer Weihnachtsmeditation dabei einen integrierten Profilierungsansatz. Der aus der Gestapo-Haft folgendermaßen formuliert: Bildungsauftrag der Schulen soll so umgesetzt „Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht al- werden, dass das vielzitierte christliche Men- lein zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt.“ Dr. William Middendorf Leiter der Hauptabteilung Dr. Stephan Chmielus Schule und Erziehung Verantwortlicher Redakteur 3
Inhalt und Impuls INHALT 6 SCHWERPUNKT 6 Von der Tradition zum Dialog 39 Kuchenstrasse eins fünf Was katholische Schulen früher und heute Ein Ort des Auftankens und der ausmacht Innovation Dr. Clauß Peter Sajak Klaudia Maria Dederichs Glaube in der Schulwirklichkeit 42 Das (Bibel-)Wort zum Sonntag 13 Katholische Schulen tragen zur Zukunft der Wie die Corona-Krise den Sonntags- Kirche im Bistum Münster bei gottesdienst auf der Loburg veränderte Dr. Stephan Chmielus Wolfgang Rensinghoff 44 Interkultureller Austausch Die Bischöfliche Canisiusschule lebt 20 BEISPIEL Europa Johannes Schmittmann 20 Bildungsgerechtigkeit und Teilhabe an der Liebfrauenschule Nottuln Die Perspektive einer Schulsozial- arbeiterin 48 SERVICE Janina Enning 48 Sehenswert 24 Kreative Unterbrechung am Neu in der Mediothek Gymnasium St. Christophorus in Werne 50 Lesenswert Ein Wochenende des Kollegiums zu Sexueller Missbrauch von Kindern und Profilfragen Jugendlichen im Raum von Kirche Gotlind Schnabel 51 Bemerkenswert 29 Ein Kompass für die Schulentwicklung Niemals geht man so ganz Wie das Overberg-Kolleg sein Schulpro- Digital gestütztes Lernen in Distanz und gramm fortschreibt Präsenz Dr. Holger Bauer und Philipp Klein 32 Das Projekt „Auschwitz mit eigenen Augen“ Ein curriculares Profilelement an der Marienschule Xanten Michael Lemkens 35 El camino es la meta Der Jakobsweg als Studienfahrt Sebastian J. Kornek 4
Es wechseln immer drei Generationen. Eine findet den Gott, die zweite wölbt den engen Tempel über ihn und fesselt ihn so, und die dritte verarmt und holt Stein um Stein aus dem Gottesbau, um damit notdürftig kärgliche Hütten zu bauen. Und dann kommt eine, die den Gott wieder suchen muss. Text: Rainer Maria Rilke: Tagebücher aus der Frühzeit, Leipzig 1942, S. 32. Foto: Paulo Sousa, photocase.com/3714187 5
eine Tradition gekappt, die in die Anfangstage des von Dr. Clauß Peter Sajak Christentums zurückreicht und die die abendlän- dische Kulturgeschichte über viele Jahrhunderte Zur Bedeutung katholischer Schulen geprägt hat. Neben die üblichen Schlagzeilen über die ka- Die 54 Schulen auf dem niederrheinischen und tholische Kirche, die in der Regel von Themen westfälischen Gebiet des Bistums Münster sind wie mangelnder Geschlechtergerechtigkeit, der bisher von diözesanen Kürzungsplänen verschont Diskriminierung sexueller Minderheiten oder dem geblieben. Sie sind und gelten in den Regionen vertuschten sexuellen Missbrauch an Kindern und als gut ausgestattete und pädagogisch hoch ent- Jugendlichen handeln, ist als Überschrift jüngst wickelte „Leuchtturmschulen“. Dennoch werden auch das katholische Schulwesen in Deutsch- sich auch diese Einrichtungen mittelfristig – mit land getreten: „Scharfe Kritik an Schließung von Blick auf die in Zukunft zu erwartenden Kirchen- katholischen Schulen“¹ oder „Bistum Mainz trennt steuerrückgänge – definitiv einem Sparprozess sich von mehreren Schulen“², so lauten aktuelle unterziehen müssen. Umso wichtiger ist es jetzt, Headlines. Zumindest das Erzbistum Hamburg sich der langen Tradition der katholischen Schule und das Bistum Mainz sind laut Auskunft ihrer Bi- zu erinnern, die wichtigen theologischen und pä- schöfe nicht mehr in der Lage, die Schulen in ihrer dagogischen Aufgaben der katholischen Schule als Trägerschaft aus eigener finanzieller Kraft weiter- Einrichtung zu klären, sich den Zustand und die zuführen. DIE ZEIT sieht in diesen Entwicklungen Ausdifferenzierung des katholischen Schulwesens bereits ein Menetekel für die katholische Schul- zu vergegenwärtigen, um schließlich drängende landschaft insgesamt und konstatiert lakonisch bildungspolitische Zukunftsaufgaben katholi- knapp: „Den deutschen Bistümern geht das Geld scher Schulen zu beschreiben. Schließlich bleibt aus. Die katholischen Schulen könnten die ersten zu hoffen, dass eine angemessene Bearbeitung Opfer sein.“³ dieser dazu beitragen kann, in allen kommenden Rationalitäts- und Ökonomisierungsprozessen Tatsächlich könnten die Entwicklungen in eine Perspektive für die Arbeit der Schulen in Hamburg und Mainz einen Trend vorgeben, der katholischer Trägerschaft im Bistum Münster zu sich durch den demografischen Wandel und die etablieren. wachsende Zahl der Kirchenaustritte auch in an- deren, finanziell besser ausgestatteten Diözesen Zur Tradition katholischer Schulen mittelfristig einstellen mag. Dies wäre aus vielen Konfessionelle Schulen in der Trägerschaft der Gründen bedauerlich: Anders als die pastoralen katholischen Kirche stehen bereits am Anfang und liturgischen Angebote, die spätestens durch des abendländischen Bildungswesens: Bereits die Corona-Krise in der gesellschaftlichen Bedeu- im 4. Jahrhundert nach Christus, im Übergang tungslosigkeit versunken sind, erfreuen sich die von der Spätantike zum Frühmittalter, begannen Bildungsangebote der katholischen Kirche, die in die ersten Mönchsorden mit der Einrichtung den Kindertageseinrichtungen, im Religionsunter- von Klosterschulen, die an die Stelle der antiken richt und in den katholischen Schulen vorgehalten Grammatik- und Rhetorikschulen griechisch-römi- werden, weiterhin konstanter, wenn nicht sogar scher Tradition treten sollten.⁶ Hier konnten junge steigender Nachfrage. So besuchten im vergan- Christen eine Grundbildung in Lesen, Schreiben genen Schuljahr 641.000 Kinder in Deutschland und Rechnen durchlaufen, ohne den Einflüssen eine katholische Kindertageseinrichtung, 359.500 der heidnischen Kulte und Philosophien aus- Schülerinnen und Schüler eine freie Schule in gesetzt zu sein.⁷ Mit dem Zusammenbruch des katholischer Trägerschaft⁴ – vor fünf Jahren waren antiken Kosmos in den Zeiten der Völkerwande- es noch 592.300 Kinder im Elementarbereich rung verschwanden auch die traditionsreichen und knapp 350.000 Schülerinnen und Schüler.⁵ Schulen der Rhetoren und Philosophen, während Die Nachfrage in konfessionellen Kindergärten das Christentum im Zuge seines Aufstiegs zur und Schulen ist sogar noch größer, nie können Staats- und Reichsreligion sein Bildungssystem alle aufgenommen werden. Steigende Zahlen kontinuierlich ausbaute. Neben den oft abseits und eine Nachfrage, die man nicht befriedigen gelegenen Klosterschulen entstanden nach dem kann: Wo gibt es so etwas überhaupt noch in der Konzil von Toledo (im Jahr 527 nach Christus) in katholischen Kirche? Zudem würde mit einem den europäischen Metropolen an den jeweiligen Rückbau der Schulen in katholischer Trägerschaft Bischofssitzen sogenannte Kathedralschulen, 7
Schwerpunkt nach dem Konzil von Vaison (im Jahr 529 nach formulierte Papst Pius XI. 1929 in seiner Enzyklika Christus) auch in kleineren Städten und größeren „Divini illius magistri“ ein Grundverständnis der Dörfern als weiterer Typus die Presbyterialschu- katholischen Schule, das „den Erziehungs- und len. Während an den Kathedralschulen der Nach- Schulbereich in kirchlicher Verantwortung nach- wuchs für den höheren Klerus in Leitungs- und haltig prägte“.¹² Deutlich markiert der Papst Verwaltungsämtern ausgebildet wurde, dienten den Vorrang der Familie vor dem Staat bei der die Presbyterialschulen als Bildungseinrichtung Erziehung der Kinder und entfaltet entsprechend für den niederen Klerus, der sich um Gottesdienst dieser doppelten Absicht „die Rechte und Pflich- und Seelsorge kümmern sollte.⁸ ten der Familie, des Staates und der Kirche […]. Letztlich geht es in der Enzyklika von Papst Pius Schulen in Europa blieben auch während des XI. um die Sicherung des kirchlichen Erziehungs- Mittelalters und der frühen Neuzeit kirchliche auftrags vor allem im Schulbereich“.¹³ Dabei wird Schulen mit dem ausschließlichen Ziel der Bildung die katholische Schule als ein Schutzraum ver- des geistlichen Nachwuchses. Dies änderte sich standen, in dem Kinder und Jugendliche vor den auch nach der Reformation und im Zeitalter der Irrungen und Wirrungen der Moderne bewahrt Konfessionalisierung nicht. Die katholische Kirche und im katholischen Glauben erzogen werden verlor mit der Entstehung von reformatorischen können. Zugespitzt formuliert: „Die Schule ist – Kirchen lediglich ihren exklusiven Status.⁹ Erst historisch gesehen – eine Erfindung der Kirche; die im Kontext der Aufklärung beschlossene die Kirche hat daher eine ‚Art‘ Patent auf Schule. Einführung der allgemeinen Schulpflicht – in Der Besuch weltlicher Schulen ist katholischen Preußen 1763, in Bayern schließlich 1802 – führte Kindern verboten. Christliche Erziehung ist aller schrittweise zu einem allgemeinbildenden staat- anderen Erziehung überlegen“¹⁴ – entsprechend lichen Schulwesen,¹⁰ das allerdings nur langsam wird die aufkommende pädagogische Moderne, aus dem kirchlichen Schulwesen herauswuchs also „reformorientierte pädagogische Praxis, Ko- und erst mit der in der Weimarer Reichsverfas- edukation und Sexualerziehung“¹⁵ verworfen. sung vollzogenen Trennung von Kirche und Staat (Art. 137 WRV) entsprechendes Gewicht bekam. Grundsätzlich verändert hat sich das katholi- Bis in die 1970er Jahre hinein behielt aber in sche Verständnis von Erziehung und Schule durch ausgeprägt katholischen Regionen die Volks- den theologischen Paradigmenwechsel des II. schule, später die Grund- und Hauptschule als Vatikanischen Konzils (1962 bis 1965): Dieses sogenannte „Katholische Bekenntnisschule“ ihren verabschiedete am 28. Oktober 1965 eine Er- konfessionellen Charakter.¹¹ klärung über die christliche Erziehung, die nach ihren Anfangsworten mit dem Titel „Gravissimum Vom Rückzugsort zur Bildungsinstitution educationis“ – „Über die entscheidende Bedeu- Was eine Schule in katholischer Trägerschaft tung der Erziehung“ – zitiert wird.¹⁶ Im Zentrum ausmacht, was ihr Proprium und was ihr Auftrag von „Gravissimum educationis“ (abgekürzt als ist, wird in der katholischen Kirche ihrem Selbst- GE) steht das achte Kapitel, in dem ein Leitbild verständnis gemäß vom römischen Lehramt der katholischen Schule entworfen wird: Ihre festgelegt und verpflichtend gemacht. In der Aufgabe ist zuallererst, „einen Lebensraum zu Jahrhunderte zurückreichenden Geschichte der schaffen, in dem der Geist der Freiheit und der katholischen Schule haben verschiedene Päpste, Liebe des Evangeliums lebendig ist.“ (GE 8). In Konzilien und Synoden zu Fragen von Erziehung, diesem Raum der Liebe und der Freiheit soll dem Bildung und Schule Stellung genommen. Dabei jungen Menschen Möglichkeit gegeben werden, stand lange der Charakter der katholischen Schule „seine Persönlichkeit zu entfalten und zugleich als Bildungsinstitution für den theologischen und der neuen Schöpfung nach zu wachsen, die er im Besonderen für den geistlichen Nachwuchs im durch die Taufe geworden ist. Ferner richtet sie Vordergrund. Dies änderte sich dramatisch in der die gesamte menschliche Bildung auf die Heils- ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als sich die botschaft aus, so dass die Erkenntnis, welche die katholische Kirche in Europa von verschiedenen Schüler stufenweise von der Welt, vom Leben Totalitarismen bedroht sah. Unter dem Eindruck und Menschen gewinnen, durch den Glauben des staatlichen Zugriffs auf das Bildungssystem erleuchtet wird“. Das schrittweise Hineinwachsen in faschistischen und kommunistischen Staaten in die Existenz als Christin und Christ muss im 8
Das Christsein verwandelt grund- sätzlich den Blick auf Menschen und Welt, die dann – christlich gesprochen – zu Geschöpf und Schöpfung werden. Rahmen der Erziehungs- und Bildungsarbeit an Eltern skizziert, das im Laufe der folgenden Jahre katholischen Schulen integrativ in der schrittwei- als „Projet éducatif“ bekannt werden sollte. Im sen theologischen Erschließung von Wirklich- Rahmen dieses Projektes wird jene Synthese von keit aufgehen. Denn das Christsein verwandelt Glaube, Kultur und Leben angestrebt, die in der grundsätzlich den Blick auf Menschen und Welt, Erklärung des Konzils zur christlichen Erziehung die dann – christlich gesprochen – zu Geschöpf „Gravissimum educationis“ als Grundmoment und Schöpfung werden. Das christliche Proprium eines Leitbildes der katholischen Schule erstmals der katholischen Schule ergibt sich also nicht aus angedacht worden war. einem größeren Quantum an Religionsunterricht und Schulpastoral und auch nicht notwendiger- Zur Situation katholischer Schulen weise aus der Konfessionalität und dem religiösen Das Konzept der katholischen Schule als Erzie- Engagement seiner Lehrerinnen und Lehrer. Viel- hungsgemeinschaft, in der sich Kinder, Eltern so- mehr zeigt sich dieses Proprium in der geglückten wie Lehrerinnen und Lehrer gemeinsam um einen „Synthese zwischen Glaube und Kultur sowie zwi- Lebensraum bemühen, „in dem der Geist der schen Glaube und Leben“ – wie es die bedeuten- Freiheit und der Liebe des Evangeliums lebendig de nachkonziliare Erklärung der Kongregation für ist“ (GE 8) hat sich in den folgenden Jahrzehnten das katholische Bildungswesen zur katholischen als äußerst tragfähig und erfolgreich erwiesen. Schule zehn Jahre später formuliert hat.¹⁷ Diese Katholische Schulen erfreuen sich Jahr für Jahr „Zusammenschau“ betrifft alle Fächer und die einer größeren Nachfrage unter Eltern.¹⁹ Nach gesamte Erziehungsgemeinschaft von Kindern, der jüngsten²⁰ vom „Arbeitskreis der Katholischen Jugendlichen, Eltern und Lehrenden. Schulen in freier Trägerschaft“ (AKS) erhobenen Schulstatistik besuchten im Schuljahr 2015/2016 Aufbauend auf die Erklärung über die christ- insgesamt 359.506 Kinder und Jugendliche eine liche Erziehung „Gravissimum educationis“ der 904 Schulen in katholischer Trägerschaft, das publizierte die in Folge des Konzils begründete va- sind ungefähr 3,6 Prozent aller Schülerinnen und tikanische „Kongregation für das katholische Bil- Schüler in der Bundesrepublik Deutschland.²¹ Im dungswesen“ in den nächsten beiden Jahrzehnten Vergleich mit anderen Trägern freier Schulen fällt drei Programmschriften zur katholischen Schule, das historisch gewachsene Gewicht der katholi- die sich „als allgemeine Orientierungen und schen Schulen auf: Da insgesamt 8,8 Prozent aller Anregungen für eine vertiefende Reflexion und Schülerinnen und Schüler in Deutschland eine weiterführende Überlegungen in der konkreten Privatschule besuchen²², entfällt auf die katholi- Situation der verschiedenen Länder und Regionen schen Diözesan- und Ordensschulen im Vergleich der Welt“¹⁸ verstehen. Erstes und bedeutendstes zu allen anderen Trägern allein ein Schüleranteil Dokument der Kongregation war die bereits er- von 40,4 Prozent. wähnte Erklärung „Die Katholische Schule“ vom 19. März 1977. In dieser wird jenes Modell einer Von den 359.506 Schülerinnen und Schü- Erziehungsgemeinschaft von Lehrerinnen und lern an katholischen Schulen sind 68,1 Prozent Lehrern, Schülerinnen und Schülern sowie den katholischen und 21,7 Prozent evangelischen 9
Schwerpunkt Nicht nur mit Blick auf die politische Dimension stände es den katholi- schen Schulen gut, sich noch stärker als bisher für Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Schichten und hier im Besonderen aus bestimmten migrantischen Milieus zu öffnen. Bekenntnisses, nur 2 Prozent sind Muslime, 5,8 der Bildungskongregation ein Paradigmenwechsel Prozent bekenntnisfrei.²³ Auch der Anteil von stattgefunden hat. So betont die bereits 2013 Kindern mit Migrationshintergrund ist mit 8,2 Pro- veröffentlichte Erklärung „Erziehung zum inter- zent zwar gestiegen (von 4,9 Prozent im Schuljahr kulturellen Dialog in der Katholischen Schule“, 2009/2010), doch offensichtlich unter 10 Prozent.²⁴ dass diese „aufgrund ihrer pädagogischen und Im staatlichen Schulwesen liegt dagegen der kulturellen Tradition und ihrer tragfähigen Erzie- Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund bei hungskonzepte ihren Beitrag“ zur interkulturellen rund 37 Prozent.²⁵ Es sind solche Zahlen, die in Erziehung in einer globalisierten Welt zu leisten den letzten Jahren Kritik am Privatschulwesen haben: „Die Berücksichtigung der interkulturellen haben wachsen lassen. Denn auch wenn sich Dimension ist in der Tradition der katholischen Schulen in kirchlicher Trägerschaft aufgrund ihres Schulen nichts Neues, da sie von jeher Schüler nicht vorhandenen oder nur geringen Schulgeldes mit unterschiedlichem kulturellen und religiösen nicht dem Vorwurf der ökonomischen Sonde- Hintergrund aufnehmen. Heute ist jedoch eine rung ausgesetzt sehen, so unterstellt man ihnen mutige und innovative Treue zum eigenen Er- soziale und auch ethnische Segregation. Doch ziehungskonzept gefragt. Dies gilt überall, wo es nicht nur mit Blick auf die politische Dimension katholische Schulen gibt, in Ländern, in denen stände es den katholischen Schulen gut, sich noch die katholische Gemeinschaft in der Minderheit stärker als bisher für Kinder und Jugendliche aus ist, und in Ländern, in denen die Tradition des Ka- bildungsfernen Schichten und hier im Besonderen tholizismus stärker verwurzelt ist.“ Ziel ist dabei, aus bestimmten migrantischen Milieus zu öffnen. „Zeugnis abzulegen und Dialogbereitschaft zu zei- Durch das Pontifikat von Papst Franziskus mit der gen, ohne in einen einfachen Relativismus zu ver- ihm eigenen Agenda einer Option für die Armen fallen, wonach alle Religionen gleich und lediglich und Marginalisierten ist auch den katholischen Ausdruck von etwas Absolutem sind, das niemand Schulen weltweit ein neues Aufgabenspektrum wirklich kennen kann. In den anderen Ländern ist zugewachsen. es wichtig, den vielen jungen Menschen, die im Zuge einer zunehmenden Säkularisierung ‚ohne Zu den Herausforderungen katholischer Schulen religiöse Heimat‘ sind, Antworten zu geben“.²⁶ Während die Programmatik des Pontifikats von Um diesen Auftrag umzusetzen, haben die Voll- Papst Franziskus vor allem in den beiden Enzy- versammlung der Bildungskongregation und eine kliken „Laudato si“ und „Fratelli tutti“ sowie in Expertentagung in Rom 2014 ein umfangreiches Apostolischen Schreiben wie „Laetitia amore“ Arbeitspapier unter dem Titel „Erziehung heute und „Evangelium gaudii“ in der politischen, kirch- und morgen“ herausgegeben, das die Umsetzung lichen und medialen Öffentlichkeit breit diskutiert dieses neuen Programms materialreich illustriert worden ist, sind die verschiedenen römischen und anregt. Ausgehend von einer großen Multi- Dokumente, die sich in diesen Jahren den katho- kulturalität und Multireligiosität an katholischen lischen Schulen gewidmet haben, lediglich einer Schulen, wie sie in vielen Teilen der Welt üblich kleinen Expertenrunde bekannt. Bei genauerer ist, fordert das Dokument: „Eine der wichtigsten Betrachtung fällt aber auf, dass auch im Bereich Herausforderungen wird mithin darin bestehen, 10
bei den Lehrkräften eine große kulturelle Auf- 5. Katholische Schulen leisten einen Beitrag geschlossenheit und gleichzeitig eine ebenso zu mehr Teilhabe und Gerechtigkeit in der große Zeugnisbereitschaft zu fördern, sodass sie Gesellschaft. bei ihrer Arbeit bewusst auf den für die Schule 6. Katholische Schulen sind Orte des Dialogs charakteristischen Kontext achten und weder lau und der menschlichen Gemeinschaft in noch fundamentalistisch sind, sondern lehren, Vielfalt. was sie wissen, und bezeugen, woran sie glauben. 7. Mit ihren katholischen Schulen nimmt die Damit sie ihren Beruf in dieser Weise interpre- Kirche ihre Erziehungs- und Bildungs- tieren können, ist es wichtig, dass sie für den verantwortung im Rahmen der von der Dialog zwischen Glauben und Kultur und für den Verfassung gewollten Vielfalt des Schul- interreligiösen Dialog ausgebildet sind“.²⁷ Offen- angebots wahr. sichtlich ist hier die Anspielung auf die Synthese von Glaube und Kultur, wie sie in „Gravissimum Die katholische Schule als ein Ort der trans- educationis“ grundgelegt worden ist. funktionalen Bildung, der Gottesbegegnung, der Pastoral, der Werterziehung, der Teilhabe und Die deutschen Bischöfe haben schließlich 2016 des Dialogs – das Programm ist umfangreich. die römischen Impulse aufgegriffen und auf Ebe- Während einige dieser Kriterien von vielen Schu- ne der Vollversammlung ein neues wegweisendes len in Deutschland bereits erfüllt werden – die Programmpapier veröffentlicht. In „Erziehung und Betonung transfunktionaler Fächer und Profile Bildung im Geist der Frohen Botschaft – Sie- wie Kunst, Musik und Religion, ein besonderer ben Thesen zum Selbstverständnis und Auftrag Schwerpunkt im Bereich von Ethik und Wertebil- Katholischer Schulen“ formulieren sie „einen dung sowie ausgeprägte religiöse Bildung und en- Anspruch, an dem sich die Realität einer katholi- gagierte Schulpastoral – formulieren zwei der Kri- schen Schule messen lassen muss“²⁸ Dieser wird terien eine Aufgabe und Herausforderung für die in sieben umfangreichen Thesen entfaltet, die katholischen Schulen, deren Bewältigung als Kriterien und Leitlinien für die katholischen für ihre Zukunft als freie Schulen im staatlichen Schulen in Deutschland zu verstehen sind: „Unse- Bildungssystem entscheidend wird: ihr Beitrag zu re Gesellschaft befindet sich insgesamt in einem Teilhabe und Gerechtigkeit und ihr Einsatz für den tiefgreifenden Wandel mit teilweise erheblichen interkulturellen und interreligiösen Dialog. Auf Auswirkungen auf unsere katholischen Schulen. beiden Feldern haben katholische Schulen Ent- Besonders hervorzuheben ist dabei ein deutlicher wicklungsbedarf, dies zeigen die Zahlen der offizi- Zuwachs an religiöser und kultureller Heterogeni- ellen Schulstatistik und der in den letzten Jahren tät. Das fordert uns auch als Kirche heraus. Um intensivierte wissenschaftliche Diskurs über das auf Veränderungen und neue Fragestellungen zu Profil katholischer Schulen.³⁰ Es gibt aber auch reagieren, braucht es Kriterien. Solche Kriterien zahlreiche Beispiele für eine entsprechende und Leitlinien bieten die vorliegenden Thesen.“²⁹ Good-Practice.³¹ Nun wird es darauf ankommen, diesen Beispielen vereinzelt, aber auch konzeptio- Diese lauten wie folgt: nell und systematisch zu folgen. Wenn dies 1. Katholische Schulen stehen für eine Er- gelingt, brauchen die Träger katholischer Schulen ziehung und Bildung um des Menschen die Auseinandersetzung mit der wachsenden willen und grenzen sich gegen ein funktio- Zahl der Kritiker des Privatschulwesens nicht zu nalistisches Bildungsverständnis ab. fürchten. 2. Katholische Schulen regen zur Auseinan- dersetzung mit existenziellen Fragen an und bieten Raum zur Begegnung mit Gott. 3. Katholische Schulen sind Orte der Kirche und haben teil an ihrer pastoralen Sen- dung. 4. Katholische Schulen befähigen die Schüle- rinnen und Schüler zu ethischer Reflexion Eine ausführlichere Version des Aufsatzes und ermutigen sie zur Entwicklung einer von Professor Sajak finden Sie unter werteorientierten Haltung und zu verant- WWW.BISTUM-MUENSTER.DE/KUS wortlicher Weltgestaltung. 11
Schwerpunkt 1 Scharfe Kritik an Schließung von katholischen Schulen, in: truktion in pädagogischen Institutionen, Berlin/Toronto 2014, S. Süddeutsche Zeitung vom 16. Oktober 2019 (https://www. 121-136; sowie Sabine Gruehn, Thomas Koinzer: Gesellschaft- sueddeutsche.de/bildung/schulen-hamburg-scharfe-kritik-an- liche Funktion privater katholischer Schulen. Programmatik und schliessung-von-katholischen-schulen-dpa.urn-newsml-dpa- empirische Befunde, in: Judith Könemann, Denise Spiekermann com-20090101-191016-99-322928, 11.10.2020). (Hrsg.): Katholische Schulen. Herausgeforderte Identität, Pader- 2 Bistum Mainz trennt sich von mehreren Schulen, in: SWR aktu- born 2019, S. 39-60. ell vom 30. September 2020 (https://www.swr.de/swraktuell/ 20 Leider liegt bis heute (Oktober 2020) keine aktuellere Statistik rheinland-pfalz/mainz/bistum-mainz-trennt-sich-von-schu- für das katholische Schulwesen vor. len-100.html, 11.10.2020). 21 Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): 3 Fabian Klask: Katholische Schulen: Letzte Stunde, in: DIE ZEIT Katholische Schulen in freier Trägerschaft in Deutschland. vom 14. September 2018 (https://www.zeit.de/2018/38/katholi- Statistische Basisdaten zum Schuljahr 2015/2016, Bonn 2019, sche-schulen-schliessung-finanzen-bistuemer, 01.10.2020). hier S. 1. 4 Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Ka- 22 Nach Marcel Helbig, Rita Nikolai, Michael Wrase: Privatschu- tholische Kirche in Deutschland. Zahlen und Fakten 2019/20, Ar- len und die soziale Frage. Wirkung rechtlicher Vorgaben zum beitshilfen 315, Bonn 2020, S. 16. Sonderungsverbot in den Bundesländern, in: Berliner Zeitschrift 5 Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Ka- für Sozialwissenschaft 45 (2017), Heft 3, S. 357-380, hier S. 357. tholische Kirche in Deutschland. Zahlen und Fakten 2014/15, Ar- 23 Vgl. ebd., S. 1. beitshilfen 275, Bonn 2015, S. 12. 24 Vgl. ebd. 6 Vgl. Heinz-Elmar Tenorth: Geschichte der Erziehung. Einfüh- 25 Laut Mikrozensus hatte 2018 über ein Drittel (rund 37 Pro- rung in die Grundzüge ihrer neuzeitlichen Entwicklung, Wein- zent) der Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden und heim/München ⁵2010, S. 48-51. beruflichen Schulen in Deutschland einen Migrationshinter- 7 Vgl. Hubertus Lutterbach: Kinder und Christentum. Kultur- grund. Die Daten des Mikrozensus basieren jedoch nicht auf geschichtliche Perspektiven auf Schutz, Bildung und Partizipation der amtlichen Schulstatistik, sondern auf einer repräsentativen von Kindern zwischen Antike und Gegenwart, Stuttgart 2010, Befragung von rund 830.000 Personen. Die Ergebnisse werden S. 65. hochgerechnet. Vgl. https://mediendienst-integration.de/integ- 8 Vgl. ebd., S. 67. Ausführlich und grundlegend ist hier Philipp ration/bildung.html (21.10.2020). Ariès: Geschichte der Kindheit. München 172011, S. 221-243. 26 Kongregation für das Katholische Bildungswesen (Hrsg.): Er- 9 Vgl. Tenorth (2010): S. 69f. ziehung zum interkulturellen Dialog in der Katholischen Schule. 10 Vgl. ebd., S. 86f. Zusammen leben für eine Zivilisation der Liebe, Vatikanstadt 2013, S. 4f. 11 In diesen kommunalen Schulen mussten mehrheitlich katholische Kinder und Jugendliche aufgenommen werden, 27 Kongregation für das Katholische Bildungswesen (Hrsg.): damit eine konfessionell homogene Schülerschaft entstehen Erziehung heute und morgen. Eine immer neue Leidenschaft. konnte; außerdem behielt der Bischof ein Mitbestimmungsrecht Instrumentum laboris, Vatikanstadt 2014. S. 24. bei der Einstellung von Lehrinnen und Lehrern, später dann nur 28 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Erzie- noch bei der Beauftragung der Schulleitung. Niedersachsen und hung und Bildung im Geist der Frohen Botschaft. Sieben Thesen Nordrhein-Westfalen kennen noch heute diesen Schultyp als zum Selbstverständnis und Auftrag Katholischer Schulen, Die katholische Bekenntnisgrundschule. deutschen Bischöfe Nr. 102, 25. April 2016, Bonn 2016. S. 5. 12 Karl Kardinal Lehmann: 40 Jahre Konzilsbeschluss „Gra- 29 Ebd. S. 6. Die folgenden Thesen sind im Inhaltsverzeichnis auf vissimum educationis“ – Perspektiven und Auftrag für die Seite 3 wiedergegeben. katholischen Schulen, in: Gertrud Pollak, Clauß Peter Sajak 30 Vgl. die Sammelbände Judith Könemann, Denise Spieker- (Hrsg.): Katholische Schulen. Perspektiven und Auftrag nach dem mann (Hrsg.): Katholische Schulen. Herausgeforderte Identität, Zweiten Vatikanischen Konzil. Freiburg/Basel/Wien 2006, Paderborn 2019 und Michael Reitemeyer, Winfried Verburg S. 32-51, hier S. 39. (Hrsg.): Bildung – Zukunft – Hoffnung. Warum Kirche Schule 13 Ebd. macht, Freiburg i. Br. 2017. 14 Rafael Frick: Grundlagen Katholischer Schule im 20. Jahrhun- 31 Vgl. Clauß Peter Sajak: Katholische Schulen als Lernort inter- dert. Eine Analyse weltkirchlicher Dokumente zu Pädagogik und religiöser Bildung? Erfahrungen und Perspektiven von Schule Schule, Baltmannsweiler 2004, S. 59. in kirchlicher Trägerschaft, in: Michael Reitemeyer, Winfried 15 Ebd. Verburg (Hrsg.): Bildung – Zukunft – Hoffnung. Warum Kirche Schule macht, Freiburg, i. Br. 2017, S. 140-152. 16 II. Vatikanisches Konzil: Die Erklärung über die christliche Erziehung „Gravissimum educationis“, in: Gertrud Pollak, Clauß Peter Sajak (Hrsg.) 2006, S. 16-31. 17 Die Katholische Schule vom 19. März 1977, in: Katholische Schulen. Verlautbarungen der Kongregation für das Katholische Bildungswesen nach dem II. Vatikanischen Konzil, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 188, 8. Dezember 2010, Bonn 2010, S. 39. 18 Rainer Illgner: Zur Entwicklung einer Theorie der Katholischen Schule, in: Wilhelm Wittenbruch (Hrsg.): Vertrauen in Schule. Grundriss und Perspektiven der katholischen Schule, Aschendorff 2005, S. 18. 19 Dass Eltern natürlich nicht nur aus religiösen und religions- pädagogischen Gründen katholische Schulen für ihre Kinder wählen, ist evident. Trotzdem bleiben auch diese qualitativ-in- Dr. Clauß Peter Sajak haltlichen Gründe ein Motivationsstrang. In jüngster Zeit rückt Professor für Religionspädagogik dieses Thema stärker in den Fokus der Forschung. Vgl. Rafael an der Katholisch-Theologischen Frick, Rosemarie Godel-Gaßner: Übergänge auf Jungenschulen Fakultät der Westfälischen – Schulwahlmotive von Eltern, in: Jürgen Budde, Christine Thon, Wilhelms-Universität Münster Katharina Walgenbach (Hrsg.): Männlichkeit – Geschlechterkons- c.sajak@uni-muenster.de 12
GLAUBE IN DER SCHULWIRKLICHKEIT KATHOLISCHE SCHULEN TRAGEN ZUR ZUKUNFT DER KIRCHE IM BISTUM MÜNSTER BEI 13
Schwerpunkt Die katholische Kirche in Deutschland stellt Veränderungen. Angeführt werden Individuali- sich derzeit im Rahmen des „Synodalen Weges“ sierung und Pluralisierung. Die fortschreitende einer schweren Krise.¹ Der Vertrauensverlust, Entkirchlichung der Alltagskultur schlägt sich in den Bischöfe und Zentralkomitee der deutschen einem Rückgang kirchlicher Zahlen nieder. Ein Katholiken nach der Veröffentlichung der Er- verändertes Bindungsverhalten, das sich in punk- gebnisse der Studie zu sexuellem Missbrauch tueller Nutzung kirchlicher Angebote aber auch in im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz der Bereitschaft zu zeitweisem ehrenamtlichem konstatiert haben,² lässt sich an Kirchenaus- Engagement zeigt, wird festgestellt. Hingewiesen trittszahlen ablesen. Vermutlich wird der durch wird auf Ungleichzeitigkeiten in diesen Entwick- die Corona-Pandemie erzwungene Rückgang lungen, die mit den unterschiedlichen regionalen einschlägiger Formen religiöser Praxis den Bedingungen des Bistums zusammenhängen. Trend sinkender Kirchenmitgliederzahlen noch verstärken. Im Zusammenhang damit werden Die Emmaus-Erzählung des Lukasevangeliums die Kirchensteuereinnahmen in absehbarer Zeit bildet in einem zweiten Teil eine geistliche Inter- dauerhaft zurückgehen.³ Das Bistum Münster pretationshilfe zur pastoralen Deutung dieser reagiert auf entsprechende Prognosen mit Veränderungen. Unter Bezug auf die Pastoral- einem sogenannten „Spar- und Strategiepro- konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils zess“. Dieser ist darauf ausgerichtet, vom Jahr „Gaudium et spes“ und das eigene Sendungs- 2025 an jährlich mindestens 32,7 Millionen papier wird die „Bildung einer lebendigen, missio- Euro im Bistumshaushalt einzusparen. Darüber narischen Kirche vor Ort“ als Grundanliegen des hinaus geht es darum, für die weitere Zukunft Pastoralplans erläutert.⁸ Im Fortgang des dritten festzulegen, in welchen Handlungsfeldern und Teils wird diese Leitidee mit der Beschreibung in welchem Umfang kirchliches Engagement von vier Optionen näher entfaltet. Die Beteili- aufrecht erhalten werden soll. gung möglichst aller Getauften soll durch einen Perspektivwechsel von Aufgaben- zu Gabenorien- tierung erreicht werden. Als „Einladung zum Glau- von Dr. Stephan Chmielus ben“ wird die Option beschrieben, die religiöse Sprachfähigkeit von Menschen anzuregen und zu Pastorale Prioritäten im Bistum Münster erneuern.⁹ Die Option einer Verbindung von Litur- Auch wenn inzwischen finanzielle Aspekte die gie und Leben zielt auf eine aktive Teilnahme der Frage nach kirchlichen Handlungsfeldern zuspit- Gläubigen an gottesdienstlichen Feiern. Schließ- zen, ist der Prozess einer Besinnung auf pastorale lich soll die Kirche im Bistum Münster solidarisch Schwerpunkte im Bistum Münster nichts Neues. mit den Armen sein und der Versöhnung in Welt 2007, kurz nach Veröffentlichung des derzeit und Gesellschaft dienen. Unschwer lassen sich geltenden „Leitbildes für die katholischen Schulen in den vier Optionen Bezüge zu den Grundvoll- im Bistum Münster“,⁴ stellte Bischof Reinhard zügen von Kirche (Koinonia, Martyria, Liturgia und Lettmann Überlegungen zu „Prioritäten für die Diakonia) entdecken. Sie implizieren aber auch Pastoral“ an und wies darauf hin, dass auch in eine Erweiterung traditioneller Vorstellungen von der Kirche von Münster die Zeit volkskirchlicher Seelsorge: „Pastoral“ wird dabei nicht in erster Li- Strukturen zu Ende gehe.⁵ Parallel zur Fortsetzung nie als Praxis von hauptamtlichen Seelsorgerinnen einer Strukturreform, die die Zahl der Pfarreien und Seelsorgern verstanden. Stattdessen geht es an die Zahl verfügbarer Priester koppelte und zu um das Handeln jeder und jedes Getauften, in- zahlreichen Fusionsprozessen mit dem Ergebnis sofern es sich auf das Evangelium beziehen lässt. von Großpfarreien führte,⁶ beschloss der Diöze- In der konkreten Lebenswirklichkeit, in „Freude sanrat unter dem Vorsitz von Bischof Felix Genn und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen im September 2011 das Grundlagenpapier „Die von heute“ sucht dieses Verständnis von Pastoral Sendung der Kirche im Bistum Münster“. Dieses seine Anknüpfungspunkte.¹⁰ bildete die Grundlage für die Entwicklung eines Pastoralplanes für das Bistum Münster, den der Dem entspricht als Leitvorstellung die Präsenz Bischof im März 2013 in Kraft setzte.⁷ von Kirche in den Sozial- und Lebensräumen der Menschen. Über Kirchorte und Gemeindezentren In einer Situationsskizze konstatiert der Pasto- hinaus kommen weitere Angebote und Ein- ralplan zunächst gesellschaftliche und kirchliche richtungen wie Beratungsstellen, Krankenhäuser, 14
Generell wird zu neuen Wegen der Pastoral ermutigt. Mit einer Haltung des Vertrauens und der Fehler- freundlichkeit sollen bewusst Experimente gewagt werden. Kitas und Schulen in den Blick. Pfarreien werden zu freiwilligem Engagement zu fördern. Kinder, als „Netzwerk kirchlicher Orte“ konzipiert.¹¹ Jugendliche und junge Erwachsene werden Der Pastoralplan war zunächst auf einen Zeitraum als wichtigste Zielgruppe betrachtet. Sie sollen von fünf Jahren ausgelegt. Formal wurde seine bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit und Gültigkeit bis März 2020 verlängert, um ange- Entdeckung ihrer Identität unterstützt werden. sichts regionaler und situativer Unterschiede den Generell wird zu neuen Wegen der Pastoral er- Pfarreien des Bistums die Gelegenheit zur Konkre- mutigt. Mit einer Haltung des Vertrauens und der tisierung in eigenen lokalen Pastoralplänen zu Fehlerfreundlichkeit sollen bewusst Experimente erleichtern.¹² Bereits ab 2016 wurde parallel dazu gewagt werden. Schließlich werden, mit Blick im Diözesanrat der Gesprächsprozess zu künftigen auf schwindende Ressourcen, Kriterien für Nach- Schwerpunkten der Pastoral auf Bistumsebene rangigkeiten in der Pastoral formuliert. In dem fortgesetzt. Ergebnisse und Anregungen veröf- seit 2019 begonnenen Spar- und Strategieprozess fentlichte der Bischof im Februar 2018 unter der bilden diese Anknüpfungspunkte für konkrete Überschrift „Kulturwandel im Bistum Münster“.¹³ Sparmaßnahme.¹⁵ Der Untertitel bezeichnet die katholische Kirche im Bistum Münster als eine „Kirche, die Bezie- Pädagogisches Selbstverständnis katholischer hung stiftet“. Die Broschüre liegt damit auf der Schulen Linie der erwähnten Sozialraumorientierung. Als Da sie Einrichtungen der Kirche im Bistum zusätzliches Motiv ist die Reaktion auf Ergebnisse Münster sind, beziehen sich die Diskussionen einer 2015 durchgeführten Zufriedenheitsstudie um pastorale Schwerpunkte sowie der Spar- und erkennbar. Durch Hervorhebung von Beziehung Strategieprozess auch auf katholische Schulen. als „Markenkern“ sollen Potenzial und Vielfalt der Zugleich nehmen die Schulen, zum Beispiel als vom Bistum Münster getragenen Angebote sicht- Teil des Berechtigungswesens, gesellschaftliche bar gemacht werden.¹⁴ Funktionen wahr und sind pädagogisch zu gestal- ten. Seit der Erziehungsdeklaration des Zweiten Selbstverständlich wird das Ziel, die Botschaft Vatikanischen Konzils hat die Eigengesetzlichkeit Jesu mit dem Leben der Menschen in Zusammen- der Pädagogik in der katholischen Kirche grund- hang zu bringen, als grundlegendes Motiv jeder sätzlich Anerkennung gefunden.¹⁶ Im Gefolge des pastoralen Schwerpunktsetzung hervorgehoben. Konzils und der Würzburger Synode orientierten Im Einzelnen empfiehlt der Diözesanrat dem Bis- sich katholische Schulen verstärkt am Paradigma tum, den Pfarreien und kirchlichen Einrichtungen der „guten Schule“; der kirchliche Auftrag wurde die Orientierung an vier Schwerpunkten. Seelsor- als zusätzliche Anforderung verstanden. Das ge soll kontextuell erfolgen, das heißt bezogen auf Leitbild für die katholischen Schulen im Bistum das Leben der Menschen und ihre existentiellen Münster legte im Jahr 2006 mit der Beschreibung Fragen. Da dies nicht allein und vorrangig durch gemeinsamer pädagogischer Merkmale und der hauptamtliche Seelsorgerinnen und Seelsorger Skizzierung von fünf Profilbereichen ein Raster zu leisten ist, gilt es Getaufte in ihrer Bereitschaft vor, das auf die Weiterentwicklungen katholischer 15
Schwerpunkt Schulen im Sinne eines integrierten pädagogi- Sinn einer integrierten pädagogischen und kirch- schen und kirchlichen Profils zielte.¹⁷ Seit 2010 lichen Profilbildung.²⁰ steht die Schul- und Unterrichtsentwicklung der katholischen Schulen unter Einfluss der Quali- Die Profil-AG wertete die Ergebnisse der Fach- tätsanalyse des Landes NRW, an der sich auch tagung und einschlägiger Befragungen der die Kirchen beteiligen.¹⁸ Da die „Eigenprägung Schulen aus. Einbezogen wurden dabei das 2016 Katholischer Schulen in Freier Trägerschaft“ in veröffentlichte Papier der Deutschen Bischofs- einem zusätzlichen Qualitätsbereich (zunächst konferenz zu Selbstverständnis und Auftrag QB7, inzwischen Inhaltsbereich K) untersucht katholischer Schulen sowie die im November wird, stärkte die Qualitätsanalyse erneut ein 2017 vom Diözesanrat des Bistums Münster additives Verständnis von Profilfragen. Ein nicht verabschiedeten pastoralen Schwerpunkte.²¹ Als zu unterschätzender Anteil von Kolleginnen und Ergebnis der Arbeit wurden im Mai 2019 fünf Kollegen an katholischen Schulen empfindet die „Eckpunkte“ veröffentlicht. Sie sind der Vorschlag Beschäftigung mit Profilfragen als Zusatzbelas- eines Orientierungsrahmens, der die gemeinsame tung. Die damit verbundenen Fragestellungen Arbeit von Schulen und Schulträger am Profil der sind vielen unverständlich; ihre Bearbeitung wird katholischen Schulen im Rahmen der Verände- gern an Religionslehrerinnen, Religionslehrer so- rungsprozesse des Bistums Münster strukturieren wie an Schulseelsorgerinnen und Schulseelsorger und koordinieren könnte.²² delegiert. Empfehlung der Eckpunkte Im Rahmen einer Jahrestagung der Leiterinnen Konzipiert sind die Eckpunkte als systematische und Leiter katholischer Schulen im Bistum Müns- Skizzierung pädagogischer Aufgaben mit Bezug ter löste im November 2016 der erste Auftritt des auf einschlägige kirchliche Äußerungen zum Auf- damaligen Generalvikars Dr. Norbert Köster neue trag katholischer Schulen. Diesen Ausführungen Aufmerksamkeit für Profilfragen aus. Vor dem sind jeweils Empfehlungen zugeordnet, die auf Hintergrund der Diskussionen des Diözesanrates bereits gelebte Praxis hinweisen beziehungsweise um pastorale Schwerpunktsetzungen machte zu entsprechenden Aktivitäten anregen sollen. der Generalvikar deutlich, dass es trotz Quali- Einige Beispiele werden in dieser Ausgabe von tätsanalyse und Schulentwicklungsplan keine KIRCHE UND SCHULE dokumentiert. Bestandsgarantie für katholische Schulen gebe. Eckpunkt eins hebt den Einsatz für Bildungsge- Stattdessen stellte er deutlich die Frage nach dem rechtigkeit und Teilhabe als Profilkriterium hervor. institutionellen Profil der Schulen. Konkret forder- Als Begründung wird auf grundlegende vatikani- te er von ihnen Beiträge dazu ein, die Option des sche Dokumente verwiesen und ein einschlägiges Glaubens in der Gesellschaft präsent zu halten.¹⁹ Zitat aus den aktuellen pastoralen Schwerpunkten Diese Anregungen griff die AG „Profil katholischer des Bistums angeführt. Der Beitrag der Lieb- Schulen“, eine Gruppe von Vertreterinnen und frauenschule Nottuln in diesem Heft verdeut- Vertretern der Schulleitungen und Referentinnen licht, dass Schulprogramme und wie Schulpraxis und Referenten aus der Hauptabteilung Schule diese Aufgabe im Blick haben. Der Aufsatz von und Erziehung auf. Sie bereitete eine Fachta- Professor Dr. Clauß Peter Sajak enthält allerdings gung vor, die Raum geben sollte für gegenseitige deutliche Hinweise darauf, dass besonders bezüg- Information und offenen Erfahrungsaustausch lich dieses Eckpunktes noch nicht alle Handlungs- darüber, auf welchen Wegen, mit welchen Erfol- möglichkeiten ausgeschöpft sind.²³ gen und Stolpersteinen in den einzelnen Schulen jungen Menschen die Option angeboten wird, ihr Dass das vielzitierte christliche Menschenbild Leben aus der Sicht des Evangeliums zu verstehen konkrete Auswirkungen auf die pädagogische Hal- und zu gestalten. Aus den Schulen waren dazu tung der Lehrerinnen und Lehrer und die institu- jeweils Vertreterinnen und Vertreter der Schul- tionellen Rahmenbedingungen der Schule haben leitung, des Kollegiums und der Schulseelsorge muss, ruft Eckpunkt zwei unter dem Titel „Päda- eingeladen. Im Rahmen dieser Veranstaltung er- gogische Professionalität“ in Erinnerung. Wie Kol- läuterte Generalvikar Dr. Köster im Februar 2018 legien über die Grundlagen ihrer pädagogischen seine Vorstellungen in einem Impulsreferat zum Haltung ins Gespräch kommen und sich über „Spirit“ katholischer Schulen. Er ermutigte die deren Konkretisierung im gemeinsamen pädago- Schulen zur weiteren Nutzung ihrer Freiräume im gischen Handeln verständigen können, macht der 16
Das Schwinden von Kirch- lichkeit bedeutet keines- wegs das Verschwinden religiösen Erlebens. Beitrag des Christophorus-Gymnasiums Werne schulseelsorgliches Engagement als Teil einer nachvollziehbar. Das Overberg-Kolleg bezieht in lebendigen Schulkultur vom Kollegium mitgetra- einen derartigen Diskurs seine Studierenden mit gen werden sollte. Es wäre hilfreich, wenn der ein. Beide Beispiele seien zur Nachahmung emp- Austausch über Formate und Projekte, in denen fohlen. Auf Unterstützungsangebote für solche Schule in diesem Sinn als Kirch- und Glaubensort Vorhaben verweist das Eckpunktepapier.²⁴ erlebbar ist, fortgesetzt würde. Der Wunsch, dass katholische Schulen den inter- In inhaltlich-thematischer Sicht haben ka- kulturellen und interreligiösen Dialog zu Schwer- tholische Schulen die Aufgabe, eine christliche punkten ihres Profils ausbauen, ist in Eckpunkt Sicht der Welt und des Menschen plausibel zu fünf formuliert. Den Hintergrund dafür bildet die machen. Eckpunkt drei erinnert daran, dass dies entsprechende These sechs zum Selbstverständ- eine Aufgabe ist, die sich allen Unterrichtsfächern nis und Auftrag katholischer Schulen, die auf ein- und Lehrkräften stellt.²⁵ Das Projekt „Auschwitz schlägige päpstliche Verlautbarungen der letzten mit eigenen Augen“ der Marienschule Xanten Jahre Bezug nimmt.²⁹ Die Beiträge über den beschreibt, wie sich dieser Anspruch in fächer- interkulturellen Austausch an der Canisiusschule übergreifenden Unterrichtsarrangements um- Ahaus und die veränderten Sonntagsgottesdiens- setzen lässt. Die Einbeziehung außerschulischer te im Internat der Loburg sind Beispiele dafür, wie Kooperationspartner erhöht für die Schülerinnen Schulen vor dem Hintergrund ihrer spezifischen die lebensweltliche Relevanz der Fragestellungen; Gegebenheiten und im regionalen Kontext diesen ethische Reflexion und Verantwortungsübernah- Impuls aufgreifen. me können so konkret erprobt werden.²⁶ Fach- bezogene Hinweise zur curricularen Profilierung Die Frage nach Gott wachhalten wurden unter Beteiligung von Kolleginnen aus Der Soziologe Armin Nassehi machte in einem dem Bistum Münster erarbeitet. Sie werden in Beitrag für „Christ und Welt“ darauf aufmerksam, Kürze vom Institut für Lehrerfortbildung Essen dass das Schwinden von Kirchlichkeit keineswegs veröffentlicht.²⁷ das Verschwinden religiösen Erlebens bedeute. Zurückgewiesen würde allerdings von immer Eckpunkt vier fordert dazu auf, die spezifischen mehr Menschen das Maß an Bestimmtheit, mit Möglichkeiten von Schulen als religiöse Erlebens- der die Kirchen auf die Unbestimmtheit des Le- und Erfahrungsräume zu entdecken. Er nimmt bens antworteten.³⁰ Mit anderen Worten: Glaube dabei Bezug auf den pastoralen Schwerpunkt beziehungsweise Spiritualität hat höhere Konjunk- „kontextuelle Seelsorge“.²⁸ Die Beiträge über den tur als verfasste Religion.³¹ Der Bevölkerungsanteil Jakobsweg als Studienfahrt und über die „Kuchen- der katholischen und evangelischen Christen wird straße eins fünf“ belegen, dass Schule nah an von derzeit gut 50 Prozent bis zur Jahrhundert- existentiellen Lebensfragen und den ästhetischen mitte voraussichtlich auf knapp 30 Prozent sinken. Ausdrucksformen junger Menschen sein kann. Es ist absehbar, dass etablierte Angebote der Die skizzierten Projekte weisen darauf hin, dass Kirchen, wie der konfessionelle Religionsunter- 17
Schwerpunkt Wenn es Christen darum geht, das Angebot ihres Glaubens in die Gesellschaft hinein zu kommuni- zieren, könnten für diese Aufgabe kirchliche Schulen strukturell zusätzliche Bedeutung gewinnen. richt an Schulen, in der bisher gewohnten Form len und ästhetischen Formen gemeint, in denen nicht aufrecht zu erhalten sein werden.³² Wenn sich Lebensfragen und Lebensglaube ihrer Mit- es Christen darum geht, das Angebot ihres Glau- menschen äußern. Indem sie sich wertschätzend bens in die Gesellschaft hinein zu kommunizieren, darauf einlässt, wird sie Wege entdecken, neu könnten für diese Aufgabe kirchliche Schulen über das Evangelium ins Gespräch zu kommen.³⁷ strukturell zusätzliche Bedeutung gewinnen. Im „Die Frage nach Gott wachhalten“ war die Zusammenhang zunehmender weltanschaulicher Überschrift mit der die Fachtagung und der Pluralität werden daher die Profilanforderungen Vortrag von Generalvikar Dr. Norbert Köster im an katholische Schulen steigen. Weil der Anteil Februar 2018 die Suche der katholischen Schulen an nicht kirchlich sozialisierten Schülerinnen und des Bistums Münster nach Orientierungspunkten Schülern stetig zunimmt, wird ihr Angebot kon- für ihre Profilanstrengungen beantwortete. Mit turierter sein müssen. Dass dies keine Verengung der skizzierten dialogischen Haltung Glaube in der auf ein katholisches Milieu bedeuten muss, zeigt Lebenswirklichkeit der Schulen und der in ihnen das Beispiel des Bistums Magdeburg. Bereits seit lebenden Menschen zu entdecken, kann man den 1990er Jahren setzt sich an dessen weiter- als Reformulierung dieser Aufgabenstellung ver- führenden Schulen die Schülerschaft aus jeweils stehen. Katholische Schulen können sich ihr mit einem Drittel katholischer, protestantischer und guten pädagogischen Gründen stellen und damit konfessionell ungebundener Schülerinnen und einen Beitrag zur Zukunft der Kirche im Bistum Schüler zusammen. Bischof Gerhard Feige be- Münster leisten. zeichnet sie ausdrücklich als „Dialogschulen“.³³ Im Zusammenhang der pastoralen Priori- 1 Vgl. Hinweise auf der Website des Synodalen Weges: https://www.synodalerweg.de/was-ist-der-synodale-weg/ täten des Bistums Münster wird das Stichwort (02.11.2020). „Gastfreundschaft“ verwendet.³⁴ Der Terminus 2 Vgl. Harald Dreßing (Hg.) u. a.: Sexueller Missbrauch an Min- verdankt sich Anregungen aus der französischen derjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonfe- Fundamental- und Pastoraltheologie.³⁵ Ausgangs- renz. Projektbericht. Mannheim, Heidelberg, Gießen, 2018. punkt sind die im Neuen Testament geschilderten 3 Vgl. Bernd Raffelhüschen, David Gutmann, Fabian Peters: Begegnungs- und Beziehungsgeschichten Jesu. Eine Studie zur langfristigen Entwicklung der Kirchenmitglied- schaft und des Kirchensteueraufkommens in Deutschland, Für ihn ist der Lebensglaube der Menschen, das 2019. Folien mit den Ergebnissen sind abrufbar unter https:// heißt ihr Vertrauen und ihre Hoffnung auf einen www.dbk.de/themen/kirche-und-geld/projektion-2060 tragenden Sinngrund ihrer Existenz, Ansatz und (02.11.2020). 4 https://www.bistum-muenster.de/fileadmin/user_up- Zielpunkt seiner Sendung. „Dein Glaube hat Dir load/Website/Downloads/Bistum/BGV/300-SchuleEr- geholfen“ ist ein typischer Kommentar, der im Zu- ziehung/2018/2018-04-300-Leitbild-Katholische-Schulen.pdf sammenhang heilender Begegnungen mit Jesus (02.11.2020). überliefert wird.³⁶ Wenn die Kirche im Bistum 5 Vgl. Reinhard Lettmann: Zeitzeichen – Prioritäten in der Pastoral des Bistums Münster. Münster 2007. S. 21f. Münster sich zur Gastfreundschaft aufgerufen 6 Von ursprünglich beinahe 700 Pfarrgemeinden blieben sieht, ist damit auch eine Offenheit für die ihr bis heute 211 übrig (vgl. Katholische Kirche in Deutschland. vielleicht zunächst fremd erscheinenden kulturel- Zahlen und Fakten 2019/20, https://dbk.de/fileadmin/redak- 18
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