Eckpunkte Ansätze zur Profilierung katholischer Schulen - DIE FACHZEITSCHRIFT DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND ERZIEHUNG - Bistum Münster

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Eckpunkte Ansätze zur Profilierung katholischer Schulen - DIE FACHZEITSCHRIFT DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND ERZIEHUNG - Bistum Münster
DEZEMBER 2020 | NR. 192

 DIE FACHZEITSCHRIFT DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND ERZIEHUNG

Eckpunkte
Ansätze zur Profilierung
katholischer Schulen
Eckpunkte Ansätze zur Profilierung katholischer Schulen - DIE FACHZEITSCHRIFT DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND ERZIEHUNG - Bistum Münster
Impressum und Editorial

                    IMPRESSUM
                    HERAUSGEBER
                    Bischöfliches Generalvikariat Münster
                    Hauptabteilung Schule und Erziehung
                    48135 Münster, Fon 0251 495-412
                    www.bistum-muenster.de/schule

                    REDAKTION
                    Dr. Stephan Chmielus (verantwortlich), Georg Garz

                    KONZEPTION
                    Judith Matern, Abteilung Katholische Schulen

                    LAYOUT & SATZ
                    kampanile | medienagentur, Münster
                    www.kampanile.de

                    DRUCK
                    Druckerei Joh. Burlage, Münster | www.burlage.de

                    REDAKTIONSSEKRETARIAT
                    Bischöfliches Generalvikariat Münster,
                    Hauptabteilung Schule und Erziehung
                    Abteilung Religionspädagogik
                    Kardinal-von-Galen-Ring 55, 48149 Münster
                    Fon 0251 495-417, Fax 0251 495-7417
                    kluck@bistum-muenster.de

                    TITELBILD UND FOTOS
                    (c) Christian Matuschek (Titel), Paulo Sousa / photocase.de (5),
                    Thomas Zühmer, (c) Rheinisches Landesmuseum Trier (6), Michael
                    Bönte (13), privat (20, 42), Manuel von Harenne (24), Kristina
                    Slotty (29), Michael Lemkens (32), Sebastian J. Kornek (35),
                    Klaudia Maria Dederichs (39), Johannes Schmittmann (44),
                    Michael Sandkamp (51), Patrick Schoden (51)

                    ISSN: 2195-9447

                    Das verwendete Papier ist aus 100 % Altpapier hergestellt.
Eckpunkte Ansätze zur Profilierung katholischer Schulen - DIE FACHZEITSCHRIFT DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND ERZIEHUNG - Bistum Münster
LIEBE KOLLEGINNEN
UND KOLLEGEN!
Haben die keine anderen Probleme, fragen Sie            schen- und Weltbild konkret erkennbar wird. Den
sich vielleicht beim Blick auf den Titel dieses         Orientierungsrahmen dafür bilden die Stichworte
Heftes. Unter den derzeitigen Bedingungen kann          Bildungsgerechtigkeit sowie eine professionelle
man doch froh sein, wenn Schule und Unterricht          pädagogische Haltung, die jeden Einzelnen im Blick
halbwegs geordnet funktionieren. Sind Ansätze           behält. In der Beschäftigung mit den Lerngegen-
zur Profilierung nicht Themen, auf die man der-         ständen sollen religiöse Sichtweisen thematisiert
zeit verzichten kann? Ähnlich wie die Systemrele-       werden. Das Schulleben erschließt religiöse Aus-
vanz der Kirchen, die nach dem ersten Lockdown          drucksformen, indem es sie praktisch erfahrbar
problematisiert wurde, ist für katholische              macht. Dabei sollen Sichtweisen der christlichen
Schulen das Funktionieren auf Dauer aber keine          Religion mit anderen Religionen und Weltanschau-
ausreichende Grundlage.                                 ungen ins Gespräch gebracht werden.

   Was katholische Schulen ausmacht, fragt Profes-         Unter der Rubrik BEISPIEL dokumentieren acht
sor Sajak in seinem Beitrag. Er stellt diese Frage in   Beiträge aus Bistumsschulen, wie diese Perspek-
einen umfassenden historischen Zusammenhang             tiven der „Eckpunkte“ bereits umgesetzt werden.
und kommt zu konkreten Anforderungen für die            Der Erfahrungsaustausch darüber könnte helfen,
Gegenwart. Der zweite Beitrag unter der Rubrik          die jeweiligen Ansätze schulform- und region-
SCHWERPUNKT greift diese Aspekte im Rahmen              spezifisch weiterzuentwickeln.
der Diskussion um die Zukunft und den Gestalt-
wandel der Kirche im Bistum Münster auf.                   „Bleiben Sie gesund“ ist in diesem Jahr eine
                                                        viel verwendete Grußformel. Selbstverständlich
   In den „Eckpunkten“ ist formuliert, wie die ka-      wünschen auch wir Ihnen Gesundheit. Noch mehr
tholischen Schulen sich an der Sendung der Kirche       aber wünschen wir Ihnen Zuversicht. Alfred Delp
im Bistum Münster beteiligen wollen. Sie verfolgen      hat diesen Wunsch in einer Weihnachtsmeditation
dabei einen integrierten Profilierungsansatz. Der       aus der Gestapo-Haft folgendermaßen formuliert:
Bildungsauftrag der Schulen soll so umgesetzt           „Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht al-
werden, dass das vielzitierte christliche Men-          lein zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt.“

                       Dr. William Middendorf
                       Leiter der Hauptabteilung                              Dr. Stephan Chmielus
                       Schule und Erziehung                                   Verantwortlicher Redakteur

                                                                                                              3
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Inhalt und Impuls

                    INHALT

          6         SCHWERPUNKT
               6    Von der Tradition zum Dialog                      39   Kuchenstrasse eins fünf
                    Was katholische Schulen früher und heute               Ein Ort des Auftankens und der
                    ausmacht                                               Innovation
                    Dr. Clauß Peter Sajak                                  Klaudia Maria Dederichs

                    Glaube in der Schulwirklichkeit                   42   Das (Bibel-)Wort zum Sonntag
              13    Katholische Schulen tragen zur Zukunft der             Wie die Corona-Krise den Sonntags-
                    Kirche im Bistum Münster bei                           gottesdienst auf der Loburg veränderte
                    Dr. Stephan Chmielus                                   Wolfgang Rensinghoff

                                                                      44   Interkultureller Austausch
                                                                           Die Bischöfliche Canisiusschule lebt
       20           BEISPIEL                                               Europa
                                                                           Johannes Schmittmann
              20    Bildungsgerechtigkeit und Teilhabe an
                    der Liebfrauenschule Nottuln
                    Die Perspektive einer Schulsozial-
                    arbeiterin                                   48        SERVICE
                    Janina Enning
                                                                      48   Sehenswert
              24    Kreative Unterbrechung am                              Neu in der Mediothek
                    Gymnasium St. Christophorus
                    in Werne                                          50   Lesenswert
                    Ein Wochenende des Kollegiums zu                       Sexueller Missbrauch von Kindern und
                    Profilfragen                                           Jugendlichen im Raum von Kirche
                    Gotlind Schnabel
                                                                      51   Bemerkenswert
              29    Ein Kompass für die Schulentwicklung                   Niemals geht man so ganz
                    Wie das Overberg-Kolleg sein Schulpro-                 Digital gestütztes Lernen in Distanz und
                    gramm fortschreibt                                     Präsenz
                    Dr. Holger Bauer und Philipp Klein

              32    Das Projekt „Auschwitz mit
                    eigenen Augen“
                    Ein curriculares Profilelement an der
                    Marienschule Xanten
                    Michael Lemkens

              35    El camino es la meta
                    Der Jakobsweg als Studienfahrt
                    Sebastian J. Kornek

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Eckpunkte Ansätze zur Profilierung katholischer Schulen - DIE FACHZEITSCHRIFT DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND ERZIEHUNG - Bistum Münster
Es wechseln immer drei Generationen.

Eine findet den Gott,
die zweite wölbt den engen Tempel über ihn und fesselt ihn so,
und die dritte verarmt und holt Stein um Stein aus dem Gottesbau,
um damit notdürftig kärgliche Hütten zu bauen.

Und dann kommt eine, die den Gott wieder suchen muss.

                        Text: Rainer Maria Rilke: Tagebücher aus der Frühzeit, Leipzig 1942, S. 32.
                        Foto: Paulo Sousa, photocase.com/3714187

                                                                                                      5
Eckpunkte Ansätze zur Profilierung katholischer Schulen - DIE FACHZEITSCHRIFT DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND ERZIEHUNG - Bistum Münster
Schwerpunkt

              VON DER TRADITION
              ZUM DIALOG
              WAS KATHOLISCHE SCHULEN FRÜHER UND HEUTE AUSMACHT

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Eckpunkte Ansätze zur Profilierung katholischer Schulen - DIE FACHZEITSCHRIFT DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND ERZIEHUNG - Bistum Münster
eine Tradition gekappt, die in die Anfangstage des
von Dr. Clauß Peter Sajak
                                                      Christentums zurückreicht und die die abendlän-
                                                      dische Kulturgeschichte über viele Jahrhunderte
Zur Bedeutung katholischer Schulen                    geprägt hat.
Neben die üblichen Schlagzeilen über die ka-             Die 54 Schulen auf dem niederrheinischen und
tholische Kirche, die in der Regel von Themen         westfälischen Gebiet des Bistums Münster sind
wie mangelnder Geschlechtergerechtigkeit, der         bisher von diözesanen Kürzungsplänen verschont
Diskriminierung sexueller Minderheiten oder dem       geblieben. Sie sind und gelten in den Regionen
vertuschten sexuellen Missbrauch an Kindern und       als gut ausgestattete und pädagogisch hoch ent-
Jugendlichen handeln, ist als Überschrift jüngst      wickelte „Leuchtturmschulen“. Dennoch werden
auch das katholische Schulwesen in Deutsch-           sich auch diese Einrichtungen mittelfristig – mit
land getreten: „Scharfe Kritik an Schließung von      Blick auf die in Zukunft zu erwartenden Kirchen-
katholischen Schulen“¹ oder „Bistum Mainz trennt      steuerrückgänge – definitiv einem Sparprozess
sich von mehreren Schulen“², so lauten aktuelle       unterziehen müssen. Umso wichtiger ist es jetzt,
Headlines. Zumindest das Erzbistum Hamburg            sich der langen Tradition der katholischen Schule
und das Bistum Mainz sind laut Auskunft ihrer Bi-     zu erinnern, die wichtigen theologischen und pä-
schöfe nicht mehr in der Lage, die Schulen in ihrer   dagogischen Aufgaben der katholischen Schule als
Trägerschaft aus eigener finanzieller Kraft weiter-   Einrichtung zu klären, sich den Zustand und die
zuführen. DIE ZEIT sieht in diesen Entwicklungen      Ausdifferenzierung des katholischen Schulwesens
bereits ein Menetekel für die katholische Schul-      zu vergegenwärtigen, um schließlich drängende
landschaft insgesamt und konstatiert lakonisch        bildungspolitische Zukunftsaufgaben katholi-
knapp: „Den deutschen Bistümern geht das Geld         scher Schulen zu beschreiben. Schließlich bleibt
aus. Die katholischen Schulen könnten die ersten      zu hoffen, dass eine angemessene Bearbeitung
Opfer sein.“³                                         dieser dazu beitragen kann, in allen kommenden
                                                      Rationalitäts- und Ökonomisierungsprozessen
   Tatsächlich könnten die Entwicklungen in           eine Perspektive für die Arbeit der Schulen in
Hamburg und Mainz einen Trend vorgeben, der           katholischer Trägerschaft im Bistum Münster zu
sich durch den demografischen Wandel und die          etablieren.
wachsende Zahl der Kirchenaustritte auch in an-
deren, finanziell besser ausgestatteten Diözesen      Zur Tradition katholischer Schulen
mittelfristig einstellen mag. Dies wäre aus vielen    Konfessionelle Schulen in der Trägerschaft der
Gründen bedauerlich: Anders als die pastoralen        katholischen Kirche stehen bereits am Anfang
und liturgischen Angebote, die spätestens durch       des abendländischen Bildungswesens: Bereits
die Corona-Krise in der gesellschaftlichen Bedeu-     im 4. Jahrhundert nach Christus, im Übergang
tungslosigkeit versunken sind, erfreuen sich die      von der Spätantike zum Frühmittalter, begannen
Bildungsangebote der katholischen Kirche, die in      die ersten Mönchsorden mit der Einrichtung
den Kindertageseinrichtungen, im Religionsunter-      von Klosterschulen, die an die Stelle der antiken
richt und in den katholischen Schulen vorgehalten     Grammatik- und Rhetorikschulen griechisch-römi-
werden, weiterhin konstanter, wenn nicht sogar        scher Tradition treten sollten.⁶ Hier konnten junge
steigender Nachfrage. So besuchten im vergan-         Christen eine Grundbildung in Lesen, Schreiben
genen Schuljahr 641.000 Kinder in Deutschland         und Rechnen durchlaufen, ohne den Einflüssen
eine katholische Kindertageseinrichtung, 359.500      der heidnischen Kulte und Philosophien aus-
Schülerinnen und Schüler eine freie Schule in         gesetzt zu sein.⁷ Mit dem Zusammenbruch des
katholischer Trägerschaft⁴ – vor fünf Jahren waren    antiken Kosmos in den Zeiten der Völkerwande-
es noch 592.300 Kinder im Elementarbereich            rung verschwanden auch die traditionsreichen
und knapp 350.000 Schülerinnen und Schüler.⁵          Schulen der Rhetoren und Philosophen, während
Die Nachfrage in konfessionellen Kindergärten         das Christentum im Zuge seines Aufstiegs zur
und Schulen ist sogar noch größer, nie können         Staats- und Reichsreligion sein Bildungssystem
alle aufgenommen werden. Steigende Zahlen             kontinuierlich ausbaute. Neben den oft abseits
und eine Nachfrage, die man nicht befriedigen         gelegenen Klosterschulen entstanden nach dem
kann: Wo gibt es so etwas überhaupt noch in der       Konzil von Toledo (im Jahr 527 nach Christus) in
katholischen Kirche? Zudem würde mit einem            den europäischen Metropolen an den jeweiligen
Rückbau der Schulen in katholischer Trägerschaft      Bischofssitzen sogenannte Kathedralschulen,

                                                                                                            7
Eckpunkte Ansätze zur Profilierung katholischer Schulen - DIE FACHZEITSCHRIFT DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND ERZIEHUNG - Bistum Münster
Schwerpunkt

              nach dem Konzil von Vaison (im Jahr 529 nach         formulierte Papst Pius XI. 1929 in seiner Enzyklika
              Christus) auch in kleineren Städten und größeren     „Divini illius magistri“ ein Grundverständnis der
              Dörfern als weiterer Typus die Presbyterialschu-     katholischen Schule, das „den Erziehungs- und
              len. Während an den Kathedralschulen der Nach-       Schulbereich in kirchlicher Verantwortung nach-
              wuchs für den höheren Klerus in Leitungs- und        haltig prägte“.¹² Deutlich markiert der Papst
              Verwaltungsämtern ausgebildet wurde, dienten         den Vorrang der Familie vor dem Staat bei der
              die Presbyterialschulen als Bildungseinrichtung      Erziehung der Kinder und entfaltet entsprechend
              für den niederen Klerus, der sich um Gottesdienst    dieser doppelten Absicht „die Rechte und Pflich-
              und Seelsorge kümmern sollte.⁸                       ten der Familie, des Staates und der Kirche […].
                                                                   Letztlich geht es in der Enzyklika von Papst Pius
                 Schulen in Europa blieben auch während des        XI. um die Sicherung des kirchlichen Erziehungs-
              Mittelalters und der frühen Neuzeit kirchliche       auftrags vor allem im Schulbereich“.¹³ Dabei wird
              Schulen mit dem ausschließlichen Ziel der Bildung    die katholische Schule als ein Schutzraum ver-
              des geistlichen Nachwuchses. Dies änderte sich       standen, in dem Kinder und Jugendliche vor den
              auch nach der Reformation und im Zeitalter der       Irrungen und Wirrungen der Moderne bewahrt
              Konfessionalisierung nicht. Die katholische Kirche   und im katholischen Glauben erzogen werden
              verlor mit der Entstehung von reformatorischen       können. Zugespitzt formuliert: „Die Schule ist –
              Kirchen lediglich ihren exklusiven Status.⁹ Erst     historisch gesehen – eine Erfindung der Kirche;
              die im Kontext der Aufklärung beschlossene           die Kirche hat daher eine ‚Art‘ Patent auf Schule.
              Einführung der allgemeinen Schulpflicht – in         Der Besuch weltlicher Schulen ist katholischen
              Preußen 1763, in Bayern schließlich 1802 – führte    Kindern verboten. Christliche Erziehung ist aller
              schrittweise zu einem allgemeinbildenden staat-      anderen Erziehung überlegen“¹⁴ – entsprechend
              lichen Schulwesen,¹⁰ das allerdings nur langsam      wird die aufkommende pädagogische Moderne,
              aus dem kirchlichen Schulwesen herauswuchs           also „reformorientierte pädagogische Praxis, Ko-
              und erst mit der in der Weimarer Reichsverfas-       edukation und Sexualerziehung“¹⁵ verworfen.
              sung vollzogenen Trennung von Kirche und Staat
              (Art. 137 WRV) entsprechendes Gewicht bekam.            Grundsätzlich verändert hat sich das katholi-
              Bis in die 1970er Jahre hinein behielt aber in       sche Verständnis von Erziehung und Schule durch
              ausgeprägt katholischen Regionen die Volks-          den theologischen Paradigmenwechsel des II.
              schule, später die Grund- und Hauptschule als        Vatikanischen Konzils (1962 bis 1965): Dieses
              sogenannte „Katholische Bekenntnisschule“ ihren      verabschiedete am 28. Oktober 1965 eine Er-
              konfessionellen Charakter.¹¹                         klärung über die christliche Erziehung, die nach
                                                                   ihren Anfangsworten mit dem Titel „Gravissimum
              Vom Rückzugsort zur Bildungsinstitution              educationis“ – „Über die entscheidende Bedeu-
              Was eine Schule in katholischer Trägerschaft         tung der Erziehung“ – zitiert wird.¹⁶ Im Zentrum
              ausmacht, was ihr Proprium und was ihr Auftrag       von „Gravissimum educationis“ (abgekürzt als
              ist, wird in der katholischen Kirche ihrem Selbst-   GE) steht das achte Kapitel, in dem ein Leitbild
              verständnis gemäß vom römischen Lehramt              der katholischen Schule entworfen wird: Ihre
              festgelegt und verpflichtend gemacht. In der         Aufgabe ist zuallererst, „einen Lebensraum zu
              Jahrhunderte zurückreichenden Geschichte der         schaffen, in dem der Geist der Freiheit und der
              katholischen Schule haben verschiedene Päpste,       Liebe des Evangeliums lebendig ist.“ (GE 8). In
              Konzilien und Synoden zu Fragen von Erziehung,       diesem Raum der Liebe und der Freiheit soll dem
              Bildung und Schule Stellung genommen. Dabei          jungen Menschen Möglichkeit gegeben werden,
              stand lange der Charakter der katholischen Schule    „seine Persönlichkeit zu entfalten und zugleich
              als Bildungsinstitution für den theologischen und    der neuen Schöpfung nach zu wachsen, die er
              im Besonderen für den geistlichen Nachwuchs im       durch die Taufe geworden ist. Ferner richtet sie
              Vordergrund. Dies änderte sich dramatisch in der     die gesamte menschliche Bildung auf die Heils-
              ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als sich die     botschaft aus, so dass die Erkenntnis, welche die
              katholische Kirche in Europa von verschiedenen       Schüler stufenweise von der Welt, vom Leben
              Totalitarismen bedroht sah. Unter dem Eindruck       und Menschen gewinnen, durch den Glauben
              des staatlichen Zugriffs auf das Bildungssystem      erleuchtet wird“. Das schrittweise Hineinwachsen
              in faschistischen und kommunistischen Staaten        in die Existenz als Christin und Christ muss im

8
Eckpunkte Ansätze zur Profilierung katholischer Schulen - DIE FACHZEITSCHRIFT DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND ERZIEHUNG - Bistum Münster
Das Christsein verwandelt grund-
                                sätzlich den Blick auf Menschen
                                und Welt, die dann – christlich
                                gesprochen – zu Geschöpf und
                                Schöpfung werden.

Rahmen der Erziehungs- und Bildungsarbeit an          Eltern skizziert, das im Laufe der folgenden Jahre
katholischen Schulen integrativ in der schrittwei-    als „Projet éducatif“ bekannt werden sollte. Im
sen theologischen Erschließung von Wirklich-          Rahmen dieses Projektes wird jene Synthese von
keit aufgehen. Denn das Christsein verwandelt         Glaube, Kultur und Leben angestrebt, die in der
grundsätzlich den Blick auf Menschen und Welt,        Erklärung des Konzils zur christlichen Erziehung
die dann – christlich gesprochen – zu Geschöpf        „Gravissimum educationis“ als Grundmoment
und Schöpfung werden. Das christliche Proprium        eines Leitbildes der katholischen Schule erstmals
der katholischen Schule ergibt sich also nicht aus    angedacht worden war.
einem größeren Quantum an Religionsunterricht
und Schulpastoral und auch nicht notwendiger-         Zur Situation katholischer Schulen
weise aus der Konfessionalität und dem religiösen     Das Konzept der katholischen Schule als Erzie-
Engagement seiner Lehrerinnen und Lehrer. Viel-       hungsgemeinschaft, in der sich Kinder, Eltern so-
mehr zeigt sich dieses Proprium in der geglückten     wie Lehrerinnen und Lehrer gemeinsam um einen
„Synthese zwischen Glaube und Kultur sowie zwi-       Lebensraum bemühen, „in dem der Geist der
schen Glaube und Leben“ – wie es die bedeuten-        Freiheit und der Liebe des Evangeliums lebendig
de nachkonziliare Erklärung der Kongregation für      ist“ (GE 8) hat sich in den folgenden Jahrzehnten
das katholische Bildungswesen zur katholischen        als äußerst tragfähig und erfolgreich erwiesen.
Schule zehn Jahre später formuliert hat.¹⁷ Diese      Katholische Schulen erfreuen sich Jahr für Jahr
„Zusammenschau“ betrifft alle Fächer und die          einer größeren Nachfrage unter Eltern.¹⁹ Nach
gesamte Erziehungsgemeinschaft von Kindern,           der jüngsten²⁰ vom „Arbeitskreis der Katholischen
Jugendlichen, Eltern und Lehrenden.                   Schulen in freier Trägerschaft“ (AKS) erhobenen
                                                      Schulstatistik besuchten im Schuljahr 2015/2016
   Aufbauend auf die Erklärung über die christ-       insgesamt 359.506 Kinder und Jugendliche eine
liche Erziehung „Gravissimum educationis“             der 904 Schulen in katholischer Trägerschaft, das
publizierte die in Folge des Konzils begründete va-   sind ungefähr 3,6 Prozent aller Schülerinnen und
tikanische „Kongregation für das katholische Bil-     Schüler in der Bundesrepublik Deutschland.²¹ Im
dungswesen“ in den nächsten beiden Jahrzehnten        Vergleich mit anderen Trägern freier Schulen fällt
drei Programmschriften zur katholischen Schule,       das historisch gewachsene Gewicht der katholi-
die sich „als allgemeine Orientierungen und           schen Schulen auf: Da insgesamt 8,8 Prozent aller
Anregungen für eine vertiefende Reflexion und         Schülerinnen und Schüler in Deutschland eine
weiterführende Überlegungen in der konkreten          Privatschule besuchen²², entfällt auf die katholi-
Situation der verschiedenen Länder und Regionen       schen Diözesan- und Ordensschulen im Vergleich
der Welt“¹⁸ verstehen. Erstes und bedeutendstes       zu allen anderen Trägern allein ein Schüleranteil
Dokument der Kongregation war die bereits er-         von 40,4 Prozent.
wähnte Erklärung „Die Katholische Schule“ vom
19. März 1977. In dieser wird jenes Modell einer         Von den 359.506 Schülerinnen und Schü-
Erziehungsgemeinschaft von Lehrerinnen und            lern an katholischen Schulen sind 68,1 Prozent
Lehrern, Schülerinnen und Schülern sowie den          katholischen und 21,7 Prozent evangelischen

                                                                                                           9
Eckpunkte Ansätze zur Profilierung katholischer Schulen - DIE FACHZEITSCHRIFT DER HAUPTABTEILUNG SCHULE UND ERZIEHUNG - Bistum Münster
Schwerpunkt

                                              Nicht nur mit Blick auf die politische
                                              Dimension stände es den katholi-
                                              schen Schulen gut, sich noch stärker
                                              als bisher für Kinder und Jugendliche
                                              aus bildungsfernen Schichten und
                                              hier im Besonderen aus bestimmten
                                              migranti­schen Milieus zu öffnen.

              Bekenntnisses, nur 2 Prozent sind Muslime, 5,8        der Bildungskongregation ein Paradigmenwechsel
              Prozent bekenntnisfrei.²³ Auch der Anteil von         stattgefunden hat. So betont die bereits 2013
              Kindern mit Migrationshintergrund ist mit 8,2 Pro-    veröffentlichte Erklärung „Erziehung zum inter-
              zent zwar gestiegen (von 4,9 Prozent im Schuljahr     kulturellen Dialog in der Katholischen Schule“,
              2009/2010), doch offensichtlich unter 10 Prozent.²⁴   dass diese „aufgrund ihrer pädagogischen und
              Im staatlichen Schulwesen liegt dagegen der           kulturellen Tradition und ihrer tragfähigen Erzie-
              Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund bei       hungskonzepte ihren Beitrag“ zur interkulturellen
              rund 37 Prozent.²⁵ Es sind solche Zahlen, die in      Erziehung in einer globalisierten Welt zu leisten
              den letzten Jahren Kritik am Privatschulwesen         haben: „Die Berücksichtigung der interkulturellen
              haben wachsen lassen. Denn auch wenn sich             Dimension ist in der Tradition der katholischen
              Schulen in kirchlicher Trägerschaft aufgrund ihres    Schulen nichts Neues, da sie von jeher Schüler
              nicht vorhandenen oder nur geringen Schulgeldes       mit unterschiedlichem kulturellen und religiösen
              nicht dem Vorwurf der ökonomischen Sonde-             Hintergrund aufnehmen. Heute ist jedoch eine
              rung ausgesetzt sehen, so unterstellt man ihnen       mutige und innovative Treue zum eigenen Er-
              soziale und auch ethnische Segregation. Doch          ziehungskonzept gefragt. Dies gilt überall, wo es
              nicht nur mit Blick auf die politische Dimension      katholische Schulen gibt, in Ländern, in denen
              stände es den katholischen Schulen gut, sich noch     die katholische Gemeinschaft in der Minderheit
              stärker als bisher für Kinder und Jugendliche aus     ist, und in Ländern, in denen die Tradition des Ka-
              bildungsfernen Schichten und hier im Besonderen       tholizismus stärker verwurzelt ist.“ Ziel ist dabei,
              aus bestimmten migrantischen Milieus zu öffnen.       „Zeugnis abzulegen und Dialogbereitschaft zu zei-
              Durch das Pontifikat von Papst Franziskus mit der     gen, ohne in einen einfachen Relativismus zu ver-
              ihm eigenen Agenda einer Option für die Armen         fallen, wonach alle Religionen gleich und lediglich
              und Marginalisierten ist auch den katholischen        Ausdruck von etwas Absolutem sind, das niemand
              Schulen weltweit ein neues Aufgabenspektrum           wirklich kennen kann. In den anderen Ländern ist
              zugewachsen.                                          es wichtig, den vielen jungen Menschen, die im
                                                                    Zuge einer zunehmenden Säkularisierung ‚ohne
              Zu den Herausforderungen katholischer Schulen         religiöse Heimat‘ sind, Antworten zu geben“.²⁶
              Während die Programmatik des Pontifikats von          Um diesen Auftrag umzusetzen, haben die Voll-
              Papst Franziskus vor allem in den beiden Enzy-        versammlung der Bildungskongregation und eine
              kliken „Laudato si“ und „Fratelli tutti“ sowie in     Expertentagung in Rom 2014 ein umfangreiches
              Apostolischen Schreiben wie „Laetitia amore“          Arbeitspapier unter dem Titel „Erziehung heute
              und „Evangelium gaudii“ in der politischen, kirch-    und morgen“ herausgegeben, das die Umsetzung
              lichen und medialen Öffentlichkeit breit diskutiert   dieses neuen Programms materialreich illustriert
              worden ist, sind die verschiedenen römischen          und anregt. Ausgehend von einer großen Multi-
              Dokumente, die sich in diesen Jahren den katho-       kulturalität und Multireligiosität an katholischen
              lischen Schulen gewidmet haben, lediglich einer       Schulen, wie sie in vielen Teilen der Welt üblich
              kleinen Expertenrunde bekannt. Bei genauerer          ist, fordert das Dokument: „Eine der wichtigsten
              Betrachtung fällt aber auf, dass auch im Bereich      Herausforderungen wird mithin darin bestehen,

10
bei den Lehrkräften eine große kulturelle Auf-         5.     Katholische Schulen leisten einen Beitrag
geschlossenheit und gleichzeitig eine ebenso                  zu mehr Teilhabe und Gerechtigkeit in der
große Zeugnisbereitschaft zu fördern, sodass sie              Gesellschaft.
bei ihrer Arbeit bewusst auf den für die Schule        6.     Katholische Schulen sind Orte des Dialogs
charakteristischen Kontext achten und weder lau               und der menschlichen Gemeinschaft in
noch fundamentalistisch sind, sondern lehren,                 Vielfalt.
was sie wissen, und bezeugen, woran sie glauben.       7.     Mit ihren katholischen Schulen nimmt die
Damit sie ihren Beruf in dieser Weise interpre-               Kirche ihre Erziehungs- und Bildungs-
tieren können, ist es wichtig, dass sie für den               verantwortung im Rahmen der von der
Dialog zwischen Glauben und Kultur und für den                Verfassung gewollten Vielfalt des Schul-
interreligiösen Dialog ausgebildet sind“.²⁷ Offen-            angebots wahr.
sichtlich ist hier die Anspielung auf die Synthese
von Glaube und Kultur, wie sie in „Gravissimum          Die katholische Schule als ein Ort der trans-
educationis“ grundgelegt worden ist.                 funktionalen Bildung, der Gottesbegegnung, der
                                                     Pastoral, der Werterziehung, der Teilhabe und
   Die deutschen Bischöfe haben schließlich 2016     des Dialogs – das Programm ist umfangreich.
die römischen Impulse aufgegriffen und auf Ebe-      Während einige dieser Kriterien von vielen Schu-
ne der Vollversammlung ein neues wegweisendes        len in Deutschland bereits erfüllt werden – die
Programmpapier veröffentlicht. In „Erziehung und     Betonung transfunktionaler Fächer und Profile
Bildung im Geist der Frohen Botschaft – Sie-         wie Kunst, Musik und Religion, ein besonderer
ben Thesen zum Selbstverständnis und Auftrag         Schwerpunkt im Bereich von Ethik und Wertebil-
Katholischer Schulen“ formulieren sie „einen         dung sowie ausgeprägte religiöse Bildung und en-
Anspruch, an dem sich die Realität einer katholi-    gagierte Schulpastoral – formulieren zwei der Kri-
schen Schule messen lassen muss“²⁸ Dieser wird       terien eine Aufgabe und Herausforderung für die
in sieben umfangreichen Thesen entfaltet, die        katholischen Schulen, deren Bewältigung
als Kriterien und Leitlinien für die katholischen    für ihre Zukunft als freie Schulen im staatlichen
Schulen in Deutschland zu verstehen sind: „Unse-     Bildungssystem entscheidend wird: ihr Beitrag zu
re Gesellschaft befindet sich insgesamt in einem     Teilhabe und Gerechtigkeit und ihr Einsatz für den
tiefgreifenden Wandel mit teilweise erheblichen      interkulturellen und interreligiösen Dialog. Auf
Auswirkungen auf unsere katholischen Schulen.        beiden Feldern haben katholische Schulen Ent-
Besonders hervorzuheben ist dabei ein deutlicher     wicklungsbedarf, dies zeigen die Zahlen der offizi-
Zuwachs an religiöser und kultureller Heterogeni-    ellen Schulstatistik und der in den letzten Jahren
tät. Das fordert uns auch als Kirche heraus. Um      intensivierte wissenschaftliche Diskurs über das
auf Veränderungen und neue Fragestellungen zu        Profil katholischer Schulen.³⁰ Es gibt aber auch
reagieren, braucht es Kriterien. Solche Kriterien    zahlreiche Beispiele für eine entsprechende
und Leitlinien bieten die vorliegenden Thesen.“²⁹    Good-Practice.³¹ Nun wird es darauf ankommen,
                                                     diesen Beispielen vereinzelt, aber auch konzeptio-
  Diese lauten wie folgt:                            nell und systematisch zu folgen. Wenn dies
  1. Katholische Schulen stehen für eine Er-         gelingt, brauchen die Träger katholischer Schulen
      ziehung und Bildung um des Menschen            die Auseinandersetzung mit der wachsenden
      willen und grenzen sich gegen ein funktio-     Zahl der Kritiker des Privatschulwesens nicht zu
      nalistisches Bildungsverständnis ab.           fürchten.
  2. Katholische Schulen regen zur Auseinan-
      dersetzung mit existenziellen Fragen an
      und bieten Raum zur Begegnung mit Gott.
  3. Katholische Schulen sind Orte der Kirche
      und haben teil an ihrer pastoralen Sen-
      dung.
  4. Katholische Schulen befähigen die Schüle-
      rinnen und Schüler zu ethischer Reflexion             Eine ausführlichere Version des Aufsatzes
      und ermutigen sie zur Entwicklung einer               von Professor Sajak finden Sie unter
      werteorientierten Haltung und zu verant-              WWW.BISTUM-MUENSTER.DE/KUS
      wortlicher Weltgestaltung.

                                                                                                           11
Schwerpunkt

              1 Scharfe Kritik an Schließung von katholischen Schulen, in:        truktion in pädagogischen Institutionen, Berlin/Toronto 2014, S.
              Süddeutsche Zeitung vom 16. Oktober 2019 (https://www.              121-136; sowie Sabine Gruehn, Thomas Koinzer: Gesellschaft-
              sueddeutsche.de/bildung/schulen-hamburg-scharfe-kritik-an-          liche Funktion privater katholischer Schulen. Programmatik und
              schliessung-von-katholischen-schulen-dpa.urn-newsml-dpa-            empirische Befunde, in: Judith Könemann, Denise Spiekermann
              com-20090101-191016-99-322928, 11.10.2020).                         (Hrsg.): Katholische Schulen. Herausgeforderte Identität, Pader-
              2 Bistum Mainz trennt sich von mehreren Schulen, in: SWR aktu-      born 2019, S. 39-60.
              ell vom 30. September 2020 (https://www.swr.de/swraktuell/          20 Leider liegt bis heute (Oktober 2020) keine aktuellere Statistik
              rheinland-pfalz/mainz/bistum-mainz-trennt-sich-von-schu-            für das katholische Schulwesen vor.
              len-100.html, 11.10.2020).                                          21 Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.):
              3 Fabian Klask: Katholische Schulen: Letzte Stunde, in: DIE ZEIT    Katholische Schulen in freier Trägerschaft in Deutschland.
              vom 14. September 2018 (https://www.zeit.de/2018/38/katholi-        Statistische Basisdaten zum Schuljahr 2015/2016, Bonn 2019,
              sche-schulen-schliessung-finanzen-bistuemer, 01.10.2020).           hier S. 1.
              4 Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Ka-     22 Nach Marcel Helbig, Rita Nikolai, Michael Wrase: Privatschu-
              tholische Kirche in Deutschland. Zahlen und Fakten 2019/20, Ar-     len und die soziale Frage. Wirkung rechtlicher Vorgaben zum
              beitshilfen 315, Bonn 2020, S. 16.                                  Sonderungsverbot in den Bundesländern, in: Berliner Zeitschrift
              5 Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Ka-     für Sozialwissenschaft 45 (2017), Heft 3, S. 357-380, hier S. 357.
              tholische Kirche in Deutschland. Zahlen und Fakten 2014/15, Ar-     23 Vgl. ebd., S. 1.
              beitshilfen 275, Bonn 2015, S. 12.                                  24 Vgl. ebd.
              6 Vgl. Heinz-Elmar Tenorth: Geschichte der Erziehung. Einfüh-       25 Laut Mikrozensus hatte 2018 über ein Drittel (rund 37 Pro-
              rung in die Grundzüge ihrer neuzeitlichen Entwicklung, Wein-        zent) der Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden und
              heim/München ⁵2010, S. 48-51.                                       beruflichen Schulen in Deutschland einen Migrationshinter-
              7 Vgl. Hubertus Lutterbach: Kinder und Christentum. Kultur-         grund. Die Daten des Mikrozensus basieren jedoch nicht auf
              geschichtliche Perspektiven auf Schutz, Bildung und Partizipation   der amtlichen Schulstatistik, sondern auf einer repräsentativen
              von Kindern zwischen Antike und Gegenwart, Stuttgart 2010,          Befragung von rund 830.000 Personen. Die Ergebnisse werden
              S. 65.                                                              hochgerechnet. Vgl. https://mediendienst-integration.de/integ-
              8 Vgl. ebd., S. 67. Ausführlich und grundlegend ist hier Philipp    ration/bildung.html (21.10.2020).
              Ariès: Geschichte der Kindheit. München 172011, S. 221-243.         26 Kongregation für das Katholische Bildungswesen (Hrsg.): Er-
              9 Vgl. Tenorth (2010): S. 69f.                                      ziehung zum interkulturellen Dialog in der Katholischen Schule.
              10 Vgl. ebd., S. 86f.                                               Zusammen leben für eine Zivilisation der Liebe, Vatikanstadt
                                                                                  2013, S. 4f.
              11 In diesen kommunalen Schulen mussten mehrheitlich
              katholische Kinder und Jugendliche aufgenommen werden,              27 Kongregation für das Katholische Bildungswesen (Hrsg.):
              damit eine konfessionell homogene Schülerschaft entstehen           Erziehung heute und morgen. Eine immer neue Leidenschaft.
              konnte; außerdem behielt der Bischof ein Mitbestimmungsrecht        Instrumentum laboris, Vatikanstadt 2014. S. 24.
              bei der Einstellung von Lehrinnen und Lehrern, später dann nur      28 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Erzie-
              noch bei der Beauftragung der Schulleitung. Niedersachsen und       hung und Bildung im Geist der Frohen Botschaft. Sieben Thesen
              Nordrhein-Westfalen kennen noch heute diesen Schultyp als           zum Selbstverständnis und Auftrag Katholischer Schulen, Die
              katholische Bekenntnisgrundschule.                                  deutschen Bischöfe Nr. 102, 25. April 2016, Bonn 2016. S. 5.
              12 Karl Kardinal Lehmann: 40 Jahre Konzilsbeschluss „Gra-           29 Ebd. S. 6. Die folgenden Thesen sind im Inhaltsverzeichnis auf
              vissimum educationis“ – Perspektiven und Auftrag für die            Seite 3 wiedergegeben.
              katholischen Schulen, in: Gertrud Pollak, Clauß Peter Sajak         30 Vgl. die Sammelbände Judith Könemann, Denise Spieker-
              (Hrsg.): Katholische Schulen. Perspektiven und Auftrag nach dem     mann (Hrsg.): Katholische Schulen. Herausgeforderte Identität,
              Zweiten Vatikanischen Konzil. Freiburg/Basel/Wien 2006,             Paderborn 2019 und Michael Reitemeyer, Winfried Verburg
              S. 32-51, hier S. 39.                                               (Hrsg.): Bildung – Zukunft – Hoffnung. Warum Kirche Schule
              13 Ebd.                                                             macht, Freiburg i. Br. 2017.
              14 Rafael Frick: Grundlagen Katholischer Schule im 20. Jahrhun-     31 Vgl. Clauß Peter Sajak: Katholische Schulen als Lernort inter-
              dert. Eine Analyse weltkirchlicher Dokumente zu Pädagogik und       religiöser Bildung? Erfahrungen und Perspektiven von Schule
              Schule, Baltmannsweiler 2004, S. 59.                                in kirchlicher Trägerschaft, in: Michael Reitemeyer, Winfried
              15 Ebd.                                                             Verburg (Hrsg.): Bildung – Zukunft – Hoffnung. Warum Kirche
                                                                                  Schule macht, Freiburg, i. Br. 2017, S. 140-152.
              16 II. Vatikanisches Konzil: Die Erklärung über die christliche
              Erziehung „Gravissimum educationis“, in: Gertrud Pollak, Clauß
              Peter Sajak (Hrsg.) 2006, S. 16-31.
              17 Die Katholische Schule vom 19. März 1977, in: Katholische
              Schulen. Verlautbarungen der Kongregation für das Katholische
              Bildungswesen nach dem II. Vatikanischen Konzil, hrsg. vom
              Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Verlautbarungen
              des Apostolischen Stuhls Nr. 188, 8. Dezember 2010, Bonn 2010,
              S. 39.
              18 Rainer Illgner: Zur Entwicklung einer Theorie der Katholischen
              Schule, in: Wilhelm Wittenbruch (Hrsg.): Vertrauen in Schule.
              Grundriss und Perspektiven der katholischen Schule, Aschendorff
              2005, S. 18.
              19 Dass Eltern natürlich nicht nur aus religiösen und religions-
              pädagogischen Gründen katholische Schulen für ihre Kinder
              wählen, ist evident. Trotzdem bleiben auch diese qualitativ-in-                                 Dr. Clauß Peter Sajak
              haltlichen Gründe ein Motivationsstrang. In jüngster Zeit rückt                                 Professor für Religionspädagogik
              dieses Thema stärker in den Fokus der Forschung. Vgl. Rafael                                    an der Katholisch-Theologischen
              Frick, Rosemarie Godel-Gaßner: Übergänge auf Jungenschulen                                      Fakultät der Westfälischen
              – Schulwahlmotive von Eltern, in: Jürgen Budde, Christine Thon,                                 Wilhelms-Universität Münster
              Katharina Walgenbach (Hrsg.): Männlichkeit – Geschlechterkons-                                  c.sajak@uni-muenster.de

12
GLAUBE IN DER
SCHULWIRKLICHKEIT
KATHOLISCHE SCHULEN TRAGEN ZUR ZUKUNFT DER KIRCHE
IM BISTUM MÜNSTER BEI

                                                    13
Schwerpunkt

              Die katholische Kirche in Deutschland stellt          Veränderungen. Angeführt werden Individuali-
              sich derzeit im Rahmen des „Synodalen Weges“          sierung und Pluralisierung. Die fortschreitende
              einer schweren Krise.¹ Der Vertrauensverlust,         Entkirchlichung der Alltagskultur schlägt sich in
              den Bischöfe und Zentralkomitee der deutschen         einem Rückgang kirchlicher Zahlen nieder. Ein
              Katholiken nach der Veröffentlichung der Er-          verändertes Bindungsverhalten, das sich in punk-
              gebnisse der Studie zu sexuellem Missbrauch           tueller Nutzung kirchlicher Angebote aber auch in
              im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz            der Bereitschaft zu zeitweisem ehrenamtlichem
              konstatiert haben,² lässt sich an Kirchenaus-         Engagement zeigt, wird festgestellt. Hingewiesen
              trittszahlen ablesen. Vermutlich wird der durch       wird auf Ungleichzeitigkeiten in diesen Entwick-
              die Corona-Pandemie erzwungene Rückgang               lungen, die mit den unterschiedlichen regionalen
              einschlägiger Formen religiöser Praxis den            Bedingungen des Bistums zusammenhängen.
              Trend sinkender Kirchenmitgliederzahlen noch
              verstärken. Im Zusammenhang damit werden                 Die Emmaus-Erzählung des Lukasevangeliums
              die Kirchensteuereinnahmen in absehbarer Zeit         bildet in einem zweiten Teil eine geistliche Inter-
              dauerhaft zurückgehen.³ Das Bistum Münster            pretationshilfe zur pastoralen Deutung dieser
              reagiert auf entsprechende Prognosen mit              Veränderungen. Unter Bezug auf die Pastoral-
              einem sogenannten „Spar- und Strategiepro-            konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils
              zess“. Dieser ist darauf ausgerichtet, vom Jahr       „Gaudium et spes“ und das eigene Sendungs-
              2025 an jährlich mindestens 32,7 Millionen            papier wird die „Bildung einer lebendigen, missio-
              Euro im Bistumshaushalt einzusparen. Darüber          narischen Kirche vor Ort“ als Grundanliegen des
              hinaus geht es darum, für die weitere Zukunft         Pastoralplans erläutert.⁸ Im Fortgang des dritten
              festzulegen, in welchen Handlungsfeldern und          Teils wird diese Leitidee mit der Beschreibung
              in welchem Umfang kirchliches Engagement              von vier Optionen näher entfaltet. Die Beteili-
              aufrecht erhalten werden soll.                        gung möglichst aller Getauften soll durch einen
                                                                    Perspektivwechsel von Aufgaben- zu Gabenorien-
                                                                    tierung erreicht werden. Als „Einladung zum Glau-
              von Dr. Stephan Chmielus
                                                                    ben“ wird die Option beschrieben, die religiöse
                                                                    Sprachfähigkeit von Menschen anzuregen und zu
              Pastorale Prioritäten im Bistum Münster               erneuern.⁹ Die Option einer Verbindung von Litur-
              Auch wenn inzwischen finanzielle Aspekte die          gie und Leben zielt auf eine aktive Teilnahme der
              Frage nach kirchlichen Handlungsfeldern zuspit-       Gläubigen an gottesdienstlichen Feiern. Schließ-
              zen, ist der Prozess einer Besinnung auf pastorale    lich soll die Kirche im Bistum Münster solidarisch
              Schwerpunkte im Bistum Münster nichts Neues.          mit den Armen sein und der Versöhnung in Welt
              2007, kurz nach Veröffentlichung des derzeit          und Gesellschaft dienen. Unschwer lassen sich
              geltenden „Leitbildes für die katholischen Schulen    in den vier Optionen Bezüge zu den Grundvoll-
              im Bistum Münster“,⁴ stellte Bischof Reinhard         zügen von Kirche (Koinonia, Martyria, Liturgia und
              Lettmann Überlegungen zu „Prioritäten für die         Diakonia) entdecken. Sie implizieren aber auch
              Pastoral“ an und wies darauf hin, dass auch in        eine Erweiterung traditioneller Vorstellungen von
              der Kirche von Münster die Zeit volkskirchlicher      Seelsorge: „Pastoral“ wird dabei nicht in erster Li-
              Strukturen zu Ende gehe.⁵ Parallel zur Fortsetzung    nie als Praxis von hauptamtlichen Seelsorgerinnen
              einer Strukturreform, die die Zahl der Pfarreien      und Seelsorgern verstanden. Stattdessen geht es
              an die Zahl verfügbarer Priester koppelte und zu      um das Handeln jeder und jedes Getauften, in-
              zahlreichen Fusionsprozessen mit dem Ergebnis         sofern es sich auf das Evangelium beziehen lässt.
              von Großpfarreien führte,⁶ beschloss der Diöze-       In der konkreten Lebenswirklichkeit, in „Freude
              sanrat unter dem Vorsitz von Bischof Felix Genn       und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen
              im September 2011 das Grundlagenpapier „Die           von heute“ sucht dieses Verständnis von Pastoral
              Sendung der Kirche im Bistum Münster“. Dieses         seine Anknüpfungspunkte.¹⁰
              bildete die Grundlage für die Entwicklung eines
              Pastoralplanes für das Bistum Münster, den der           Dem entspricht als Leitvorstellung die Präsenz
              Bischof im März 2013 in Kraft setzte.⁷                von Kirche in den Sozial- und Lebensräumen der
                                                                    Menschen. Über Kirchorte und Gemeindezentren
                 In einer Situationsskizze konstatiert der Pasto-   hinaus kommen weitere Angebote und Ein-
              ralplan zunächst gesellschaftliche und kirchliche     richtungen wie Beratungsstellen, Krankenhäuser,

14
Generell wird zu neuen Wegen der
                                  Pastoral er­mutigt. Mit einer Haltung
                                  des Vertrauens und der Fehler-
                                  freundlichkeit sollen bewusst
                                  Experimente gewagt werden.

Kitas und Schulen in den Blick. Pfarreien werden         zu freiwilligem Engagement zu fördern. Kinder,
als „Netzwerk kirchlicher Orte“ konzipiert.¹¹            Jugendliche und junge Erwachsene werden
Der Pastoralplan war zunächst auf einen Zeitraum         als wichtigste Zielgruppe betrachtet. Sie sollen
von fünf Jahren ausgelegt. Formal wurde seine            bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit und
Gültigkeit bis März 2020 verlängert, um ange-            Entdeckung ihrer Identität unterstützt werden.
sichts regionaler und situativer Unterschiede den        Generell wird zu neuen Wegen der Pastoral er-
Pfarreien des Bistums die Gelegenheit zur Konkre-        mutigt. Mit einer Haltung des Vertrauens und der
tisierung in eigenen lokalen Pastoralplänen zu           Fehlerfreundlichkeit sollen bewusst Experimente
erleichtern.¹² Bereits ab 2016 wurde parallel dazu       gewagt werden. Schließlich werden, mit Blick
im Diözesanrat der Gesprächsprozess zu künftigen         auf schwindende Ressourcen, Kriterien für Nach-
Schwerpunkten der Pastoral auf Bistumsebene              rangigkeiten in der Pastoral formuliert. In dem
fortgesetzt. Ergebnisse und Anregungen veröf-            seit 2019 begonnenen Spar- und Strategieprozess
fentlichte der Bischof im Februar 2018 unter der         bilden diese Anknüpfungspunkte für konkrete
Überschrift „Kulturwandel im Bistum Münster“.¹³          Sparmaßnahme.¹⁵
Der Untertitel bezeichnet die katholische Kirche
im Bistum Münster als eine „Kirche, die Bezie-           Pädagogisches Selbstverständnis katholischer
hung stiftet“. Die Broschüre liegt damit auf der         Schulen
Linie der erwähnten Sozialraumorientierung. Als          Da sie Einrichtungen der Kirche im Bistum
zusätzliches Motiv ist die Reaktion auf Ergebnisse       Münster sind, beziehen sich die Diskussionen
einer 2015 durchgeführten Zufriedenheitsstudie           um pastorale Schwerpunkte sowie der Spar- und
erkennbar. Durch Hervorhebung von Beziehung              Strategieprozess auch auf katholische Schulen.
als „Markenkern“ sollen Potenzial und Vielfalt der       Zugleich nehmen die Schulen, zum Beispiel als
vom Bistum Münster getragenen Angebote sicht-            Teil des Berechtigungswesens, gesellschaftliche
bar gemacht werden.¹⁴                                    Funktionen wahr und sind pädagogisch zu gestal-
                                                         ten. Seit der Erziehungsdeklaration des Zweiten
   Selbstverständlich wird das Ziel, die Botschaft       Vatikanischen Konzils hat die Eigengesetzlichkeit
Jesu mit dem Leben der Menschen in Zusammen-             der Pädagogik in der katholischen Kirche grund-
hang zu bringen, als grundlegendes Motiv jeder           sätzlich Anerkennung gefunden.¹⁶ Im Gefolge des
pastoralen Schwerpunktsetzung hervorgehoben.             Konzils und der Würzburger Synode orientierten
Im Einzelnen empfiehlt der Diözesanrat dem Bis-          sich katholische Schulen verstärkt am Paradigma
tum, den Pfarreien und kirchlichen Einrichtungen         der „guten Schule“; der kirchliche Auftrag wurde
die Orientierung an vier Schwerpunkten. Seelsor-         als zusätzliche Anforderung verstanden. Das
ge soll kontextuell erfolgen, das heißt bezogen auf      Leitbild für die katholischen Schulen im Bistum
das Leben der Menschen und ihre existentiellen           Münster legte im Jahr 2006 mit der Beschreibung
Fragen. Da dies nicht allein und vorrangig durch         gemeinsamer pädagogischer Merkmale und der
hauptamtliche Seelsorgerinnen und Seelsorger             Skizzierung von fünf Profilbereichen ein Raster
zu leisten ist, gilt es Getaufte in ihrer Bereitschaft   vor, das auf die Weiterentwicklungen katholischer

                                                                                                             15
Schwerpunkt

              Schulen im Sinne eines integrierten pädagogi-          Sinn einer integrierten pädagogischen und kirch-
              schen und kirchlichen Profils zielte.¹⁷ Seit 2010      lichen Profilbildung.²⁰
              steht die Schul- und Unterrichtsentwicklung der
              katholischen Schulen unter Einfluss der Quali-         Die Profil-AG wertete die Ergebnisse der Fach-
              tätsanalyse des Landes NRW, an der sich auch           tagung und einschlägiger Befragungen der
              die Kirchen beteiligen.¹⁸ Da die „Eigenprägung         Schulen aus. Einbezogen wurden dabei das 2016
              Katholischer Schulen in Freier Trägerschaft“ in        veröffentlichte Papier der Deutschen Bischofs-
              einem zusätzlichen Qualitätsbereich (zunächst          konferenz zu Selbstverständnis und Auftrag
              QB7, inzwischen Inhaltsbereich K) untersucht           katholischer Schulen sowie die im November
              wird, stärkte die Qualitätsanalyse erneut ein          2017 vom Diözesanrat des Bistums Münster
              additives Verständnis von Profilfragen. Ein nicht      verabschiedeten pastoralen Schwerpunkte.²¹ Als
              zu unterschätzender Anteil von Kolleginnen und         Ergebnis der Arbeit wurden im Mai 2019 fünf
              Kollegen an katholischen Schulen empfindet die         „Eckpunkte“ veröffentlicht. Sie sind der Vorschlag
              Beschäftigung mit Profilfragen als Zusatzbelas-        eines Orientierungsrahmens, der die gemeinsame
              tung. Die damit verbundenen Fragestellungen            Arbeit von Schulen und Schulträger am Profil der
              sind vielen unverständlich; ihre Bearbeitung wird      katholischen Schulen im Rahmen der Verände-
              gern an Religionslehrerinnen, Religionslehrer so-      rungsprozesse des Bistums Münster strukturieren
              wie an Schulseelsorgerinnen und Schulseelsorger        und koordinieren könnte.²²
              delegiert.
                                                                     Empfehlung der Eckpunkte
              Im Rahmen einer Jahrestagung der Leiterinnen           Konzipiert sind die Eckpunkte als systematische
              und Leiter katholischer Schulen im Bistum Müns-        Skizzierung pädagogischer Aufgaben mit Bezug
              ter löste im November 2016 der erste Auftritt des      auf einschlägige kirchliche Äußerungen zum Auf-
              damaligen Generalvikars Dr. Norbert Köster neue        trag katholischer Schulen. Diesen Ausführungen
              Aufmerksamkeit für Profilfragen aus. Vor dem           sind jeweils Empfehlungen zugeordnet, die auf
              Hintergrund der Diskussionen des Diözesanrates         bereits gelebte Praxis hinweisen beziehungsweise
              um pastorale Schwerpunktsetzungen machte               zu entsprechenden Aktivitäten anregen sollen.
              der Generalvikar deutlich, dass es trotz Quali-        Einige Beispiele werden in dieser Ausgabe von
              tätsanalyse und Schulentwicklungsplan keine            KIRCHE UND SCHULE dokumentiert.
              Bestandsgarantie für katholische Schulen gebe.         Eckpunkt eins hebt den Einsatz für Bildungsge-
              Stattdessen stellte er deutlich die Frage nach dem     rechtigkeit und Teilhabe als Profilkriterium hervor.
              institutionellen Profil der Schulen. Konkret forder-   Als Begründung wird auf grundlegende vatikani-
              te er von ihnen Beiträge dazu ein, die Option des      sche Dokumente verwiesen und ein einschlägiges
              Glaubens in der Gesellschaft präsent zu halten.¹⁹      Zitat aus den aktuellen pastoralen Schwerpunkten
              Diese Anregungen griff die AG „Profil katholischer     des Bistums angeführt. Der Beitrag der Lieb-
              Schulen“, eine Gruppe von Vertreterinnen und           frauenschule Nottuln in diesem Heft verdeut-
              Vertretern der Schulleitungen und Referentinnen        licht, dass Schulprogramme und wie Schulpraxis
              und Referenten aus der Hauptabteilung Schule           diese Aufgabe im Blick haben. Der Aufsatz von
              und Erziehung auf. Sie bereitete eine Fachta-          Professor Dr. Clauß Peter Sajak enthält allerdings
              gung vor, die Raum geben sollte für gegenseitige       deutliche Hinweise darauf, dass besonders bezüg-
              Information und offenen Erfahrungsaustausch            lich dieses Eckpunktes noch nicht alle Handlungs-
              darüber, auf welchen Wegen, mit welchen Erfol-         möglichkeiten ausgeschöpft sind.²³
              gen und Stolpersteinen in den einzelnen Schulen
              jungen Menschen die Option angeboten wird, ihr            Dass das vielzitierte christliche Menschenbild
              Leben aus der Sicht des Evangeliums zu verstehen       konkrete Auswirkungen auf die pädagogische Hal-
              und zu gestalten. Aus den Schulen waren dazu           tung der Lehrerinnen und Lehrer und die institu-
              jeweils Vertreterinnen und Vertreter der Schul-        tionellen Rahmenbedingungen der Schule haben
              leitung, des Kollegiums und der Schulseelsorge         muss, ruft Eckpunkt zwei unter dem Titel „Päda-
              eingeladen. Im Rahmen dieser Veranstaltung er-         gogische Professionalität“ in Erinnerung. Wie Kol-
              läuterte Generalvikar Dr. Köster im Februar 2018       legien über die Grundlagen ihrer pädagogischen
              seine Vorstellungen in einem Impulsreferat zum         Haltung ins Gespräch kommen und sich über
              „Spirit“ katholischer Schulen. Er ermutigte die        deren Konkretisierung im gemeinsamen pädago-
              Schulen zur weiteren Nutzung ihrer Freiräume im        gischen Handeln verständigen können, macht der

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Das Schwinden von Kirch-
                                      lichkeit bedeutet keines-
                                      wegs das Verschwinden
                                      religiösen Erlebens.

Beitrag des Christophorus-Gymnasiums Werne            schulseelsorgliches Engagement als Teil einer
nachvollziehbar. Das Overberg-Kolleg bezieht in       lebendigen Schulkultur vom Kollegium mitgetra-
einen derartigen Diskurs seine Studierenden mit       gen werden sollte. Es wäre hilfreich, wenn der
ein. Beide Beispiele seien zur Nachahmung emp-        Austausch über Formate und Projekte, in denen
fohlen. Auf Unterstützungsangebote für solche         Schule in diesem Sinn als Kirch- und Glaubensort
Vorhaben verweist das Eckpunktepapier.²⁴              erlebbar ist, fortgesetzt würde.
                                                      Der Wunsch, dass katholische Schulen den inter-
   In inhaltlich-thematischer Sicht haben ka-         kulturellen und interreligiösen Dialog zu Schwer-
tholische Schulen die Aufgabe, eine christliche       punkten ihres Profils ausbauen, ist in Eckpunkt
Sicht der Welt und des Menschen plausibel zu          fünf formuliert. Den Hintergrund dafür bildet die
machen. Eckpunkt drei erinnert daran, dass dies       entsprechende These sechs zum Selbstverständ-
eine Aufgabe ist, die sich allen Unterrichtsfächern   nis und Auftrag katholischer Schulen, die auf ein-
und Lehrkräften stellt.²⁵ Das Projekt „Auschwitz      schlägige päpstliche Verlautbarungen der letzten
mit eigenen Augen“ der Marienschule Xanten            Jahre Bezug nimmt.²⁹ Die Beiträge über den
beschreibt, wie sich dieser Anspruch in fächer-       interkulturellen Austausch an der Canisiusschule
übergreifenden Unterrichtsarrangements um-            Ahaus und die veränderten Sonntagsgottesdiens-
setzen lässt. Die Einbeziehung außerschulischer       te im Internat der Loburg sind Beispiele dafür, wie
Kooperationspartner erhöht für die Schülerinnen       Schulen vor dem Hintergrund ihrer spezifischen
die lebensweltliche Relevanz der Fragestellungen;     Gegebenheiten und im regionalen Kontext diesen
ethische Reflexion und Verantwortungsübernah-         Impuls aufgreifen.
me können so konkret erprobt werden.²⁶ Fach-
bezogene Hinweise zur curricularen Profilierung       Die Frage nach Gott wachhalten
wurden unter Beteiligung von Kolleginnen aus          Der Soziologe Armin Nassehi machte in einem
dem Bistum Münster erarbeitet. Sie werden in          Beitrag für „Christ und Welt“ darauf aufmerksam,
Kürze vom Institut für Lehrerfortbildung Essen        dass das Schwinden von Kirchlichkeit keineswegs
veröffentlicht.²⁷                                     das Verschwinden religiösen Erlebens bedeute.
                                                      Zurückgewiesen würde allerdings von immer
   Eckpunkt vier fordert dazu auf, die spezifischen   mehr Menschen das Maß an Bestimmtheit, mit
Möglichkeiten von Schulen als religiöse Erlebens-     der die Kirchen auf die Unbestimmtheit des Le-
und Erfahrungsräume zu entdecken. Er nimmt            bens antworteten.³⁰ Mit anderen Worten: Glaube
dabei Bezug auf den pastoralen Schwerpunkt            beziehungsweise Spiritualität hat höhere Konjunk-
„kontextuelle Seelsorge“.²⁸ Die Beiträge über den     tur als verfasste Religion.³¹ Der Bevölkerungsanteil
Jakobsweg als Studienfahrt und über die „Kuchen-      der katholischen und evangelischen Christen wird
straße eins fünf“ belegen, dass Schule nah an         von derzeit gut 50 Prozent bis zur Jahrhundert-
existentiellen Lebensfragen und den ästhetischen      mitte voraussichtlich auf knapp 30 Prozent sinken.
Ausdrucksformen junger Menschen sein kann.            Es ist absehbar, dass etablierte Angebote der
Die skizzierten Projekte weisen darauf hin, dass      Kirchen, wie der konfessionelle Religionsunter-

                                                                                                             17
Schwerpunkt

                                             Wenn es Christen darum geht,
                                             das Angebot ihres Glau­bens in die
                                             Gesellschaft hinein zu kommuni-
                                             zieren, könnten für diese Aufgabe
                                             kirchliche Schulen strukturell
                                             zusätzliche Bedeutung gewinnen.

              richt an Schulen, in der bisher gewohnten Form       len und ästhetischen Formen gemeint, in denen
              nicht aufrecht zu erhalten sein werden.³² Wenn       sich Lebensfragen und Lebensglaube ihrer Mit-
              es Christen darum geht, das Angebot ihres Glau-      menschen äußern. Indem sie sich wertschätzend
              bens in die Gesellschaft hinein zu kommunizieren,    darauf einlässt, wird sie Wege entdecken, neu
              könnten für diese Aufgabe kirchliche Schulen         über das Evangelium ins Gespräch zu kommen.³⁷
              strukturell zusätzliche Bedeutung gewinnen. Im          „Die Frage nach Gott wachhalten“ war die
              Zusammenhang zunehmender weltanschaulicher           Überschrift mit der die Fachtagung und der
              Pluralität werden daher die Profilanforderungen      Vortrag von Generalvikar Dr. Norbert Köster im
              an katholische Schulen steigen. Weil der Anteil      Februar 2018 die Suche der katholischen Schulen
              an nicht kirchlich sozialisierten Schülerinnen und   des Bistums Münster nach Orientierungspunkten
              Schülern stetig zunimmt, wird ihr Angebot kon-       für ihre Profilanstrengungen beantwortete. Mit
              turierter sein müssen. Dass dies keine Verengung     der skizzierten dialogischen Haltung Glaube in der
              auf ein katholisches Milieu bedeuten muss, zeigt     Lebenswirklichkeit der Schulen und der in ihnen
              das Beispiel des Bistums Magdeburg. Bereits seit     lebenden Menschen zu entdecken, kann man
              den 1990er Jahren setzt sich an dessen weiter-       als Reformulierung dieser Aufgabenstellung ver-
              führenden Schulen die Schülerschaft aus jeweils      stehen. Katholische Schulen können sich ihr mit
              einem Drittel katholischer, protestantischer und     guten pädagogischen Gründen stellen und damit
              konfessionell ungebundener Schülerinnen und          einen Beitrag zur Zukunft der Kirche im Bistum
              Schüler zusammen. Bischof Gerhard Feige be-          Münster leisten.
              zeichnet sie ausdrücklich als „Dialogschulen“.³³

                 Im Zusammenhang der pastoralen Priori-            1 Vgl. Hinweise auf der Website des Synodalen Weges:
                                                                   https://www.synodalerweg.de/was-ist-der-synodale-weg/
              täten des Bistums Münster wird das Stichwort         (02.11.2020).
              „Gastfreundschaft“ verwendet.³⁴ Der Terminus         2 Vgl. Harald Dreßing (Hg.) u. a.: Sexueller Missbrauch an Min-
              verdankt sich Anregungen aus der französischen       derjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche
                                                                   Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonfe-
              Fundamental- und Pastoraltheologie.³⁵ Ausgangs-      renz. Projektbericht. Mannheim, Heidelberg, Gießen, 2018.
              punkt sind die im Neuen Testament geschilderten      3 Vgl. Bernd Raffelhüschen, David Gutmann, Fabian Peters:
              Begegnungs- und Beziehungsgeschichten Jesu.          Eine Studie zur langfristigen Entwicklung der Kirchenmitglied-
                                                                   schaft und des Kirchensteueraufkommens in Deutschland,
              Für ihn ist der Lebensglaube der Menschen, das       2019. Folien mit den Ergebnissen sind abrufbar unter https://
              heißt ihr Vertrauen und ihre Hoffnung auf einen      www.dbk.de/themen/kirche-und-geld/projektion-2060
              tragenden Sinngrund ihrer Existenz, Ansatz und       (02.11.2020).
                                                                   4 https://www.bistum-muenster.de/fileadmin/user_up-
              Zielpunkt seiner Sendung. „Dein Glaube hat Dir
                                                                   load/Website/Downloads/Bistum/BGV/300-SchuleEr-
              geholfen“ ist ein typischer Kommentar, der im Zu-    ziehung/2018/2018-04-300-Leitbild-Katholische-Schulen.pdf
              sammenhang heilender Begegnungen mit Jesus           (02.11.2020).
              überliefert wird.³⁶ Wenn die Kirche im Bistum        5 Vgl. Reinhard Lettmann: Zeitzeichen – Prioritäten in der
                                                                   Pastoral des Bistums Münster. Münster 2007. S. 21f.
              Münster sich zur Gastfreundschaft aufgerufen         6 Von ursprünglich beinahe 700 Pfarrgemeinden blieben
              sieht, ist damit auch eine Offenheit für die ihr     bis heute 211 übrig (vgl. Katholische Kirche in Deutschland.
              vielleicht zunächst fremd erscheinenden kulturel-    Zahlen und Fakten 2019/20, https://dbk.de/fileadmin/redak-

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