Jahrgang Winter 2018 - Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt eV

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Jahrgang Winter 2018 - Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt eV
39. Jahrgang		           Winter 2018        Heft 129

Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde
Themenseiten: Der Kirchenwald

Themenseiten:
Anthropozän – Das neue Antlitz der Erde
Jahrgang Winter 2018 - Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt eV
Inhalt

Editorial                                                                      3

Geistlicher Impuls
Natur, Kunst und Gott. Gedanken zur Glasarche im Luthergarten (Frank Koine)   4

Leserbrief
Vor uns die Sintflut? Die christliche Gemeinde in und mit
der Gesellschaft (Heiko Reinhold)                                             8

Aus der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
„Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben“ – Ein Impulspapier
der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung (Ruth Gütter)                  11
Beschluss der 12. Synode der EKD zum Engagement
für Klimagerechtigkeit (Irmgard Schwaetzer)                                   16

Aus den Landeskirchen
Zukunft einkaufen – auch in Sachsen (Heiko Reinhold)                          18

Klimawandel
Warum die Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas zum Anstieg
der Temperatur auf der Erde führt (Peter Müller)                              21

Nachhaltige Entwicklung
Die Tränen der Bäume. Naturkautschukgewinnung in Asien (Irene Knoke)          29

Impressum                                                                     35

Zum Schluss
Jahreslosung 2019                                                             36

Die Themenseiten
Anthropozän – Das neue Antlitz der Erde

Zeitzeichen (Jörg Göpfert)                                                     1
„Leben im Anthropozän“ – Rezension (Ivo Frankenreiter)                         6
Die Schöpfung im Anthropozän: Zwischen Natur und Kultur (Manuel Rivera)       11
Adam im Anthropozän. Können – und sollten – Theologie und Kirchen zu einer
transformativen, nachhaltigen Wissenschaft beitragen? (Ivo Frankenreiter)     29
Jahrgang Winter 2018 - Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt eV
Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

die Monate April bis Juli 2018 waren die wärmsten dieses Viermonatszeit-
raums in Deutschland seit Beginn der regelmäßigen Wetteraufzeichnungen
im Jahr 1881. Gemäß einer Untersuchung am Center for Disaster Manage-
ment and Risk Reduction Technology (CEDIM) am Karlsruher Institut für
Technologie (KIT) gab es seit 1881 in keinem Bundesland ein Jahr, in dem
dieser Viermonatszeitraum wärmer gewesen wäre. Im Durchschnitt lagen
die Temperaturen in diesen vier Monaten um 1,7 Grad über dem langjäh-
rigen Mittel von 1981 bis 2010. Im bisherigen Rekordjahr 2003 betrug die
Durchschnittstemperatur im gleichen Zeitraum 15,3 Grad Celsius und damit
1,3 Grad weniger als 2018. Extrem war der Sommer 2018 aber auch in Bezug
auf die Trockenheit. Insgesamt seien deutschlandweit gemittelt nur etwa
60 Prozent der üblichen Regenmenge niedergegangen. Nur in den gleichen
Monaten der Jahre 1921 und 1976 sei es trockener gewesen.

Ob der Hitze- und Dürresommer 2018 eine Folge des vom Menschen ver-
ursachten Klimawandels war, lässt sich bisher nicht zweifelsfrei feststellen.
Gleichwohl hat er viele Menschen für das Thema sensibilisiert. Aus diesem
Anlass haben wir in diese Ausgabe erneut einen Beitrag aufgenommen, in
dem die Ursachen des Klimawandels sehr anschaulich erklärt und mögli-
che Gegenmaßnahmen erläutert werden. Passend hierzu geben wir den Be-
schluss der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum
Kohleausstieg wieder. Außerdem befassen sich die Autorinnen und Auto-
ren dieser Ausgabe mit der neuen Beschaffungsrichtlinie der Evangelisch-
Lutherischen Landeskirche Sachsens, einem Impulspapier der Kammer für
nachhaltige Entwicklung der EKD und der Kautschukgewinnung in Asien.

Der Schwerpunkt dieser Ausgabe ist der Auseinandersetzung mit den Her-
ausforderungen des Anthropozäns gewidmet. Mit ihnen setzen sich auch die
Autorinnen und Autoren eines Sammelbandes auseinander, der mit Unter-
stützung der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt im September 2018
erschienen ist und auf den Themenseiten vorgestellt wird.

Mit einem herzlichen Dank an alle Mitwirkenden an dieser Ausgabe wünscht
Ihnen eine anregende Lektüre und ein gesegnetes, friedvolles Neues Jahr

Ihr Jörg Göpfert

BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 129, 4|2018        3
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Geistlicher Impuls

                                         Am 15. Oktober 2018 ging im Luther-
                                         garten zu Wittenberg eine Glasarche
                                         vor Anker. Sie sollte „die Menschen
                                         daran erinnern, dass die Umwelt emp-
                                         findlich ist und es in unserer Hand
                                         liegt, sie zu schützen und zu bewah-
                                         ren“. So beschreiben die Initiatorinnen
                                         und Initiatoren vom Landschaftspfle-
                                         geverein Mittleres Elstertal die Missi-
on ihres Kunstprojekts  1. Ende 2015 setzte der bayerische Glaskünstler Roland
Fischer mit Kollegen das etwa fünf Meter lange Boot Glasplanke für Glasplanke
zusammen. Der thüringische Holzkünstler Christian Schmidt gestaltete Anfang
2016 die mächtige Eichenhand, in der das Boot aus Glas seither ruht. Im April
2016 begab sich die Glasarche dann auf die Reise. Bis ins Jahr 2019 hinein führt
sie entlang besonderer Orte. An 20 ausgewählten Stationen geht sie jeweils für
einige Wochen vor Anker. Anfang November 2018 lud Pastor Frank Koine, zu
jener Zeit Jugendpastor, Musiker und Missionar aus Kenia an der Stadtkirche
der Lutherstadt Wittenberg, zu einer Andacht am Heck der Glasarche ein. Am
26. November legte sie wieder ab, um pünktlich zur Eröffnung der 24. UN-
Klimakonferenz im polnischen Katowice zu sein.

Natur, Kunst und Gott
Gedanken zur Glasarche im Luthergarten

von Frank Koine

Kunst und Natur sind wunderbar miteinander verbunden. Die Künstler, die die
Glasarche entworfen und gebaut haben, möchten uns daran erinnern, dass die
Menschen für den Schutz der Natur verantwortlich sind. Die Natur kennt keine
Grenzen, sie wird keine Zäune errichten, und deshalb müssen wir einen gemein-
samen Dialog über die Erhaltung der Arten führen. Diese Glasarche sollte uns an
die Fragilität der Natur erinnern. Es gibt viele wertvolle Lektionen, die Kunst und
Natur uns vermitteln können. Ich werde über einige dieser Lektionen sprechen.
1
    Weitere Informationen zum Projekt Glasarche: www.glasarche-3.de

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Geistlicher Impuls

Die Natur erinnert uns daran, dass Schönheit in uns selbst existiert

Es gibt eine unglaublich schöne Orchidee, die nur in den tiefsten unberühr-
ten Gegenden Amazoniens wächst. Die Blume blendet, wenn sie vollständig
blüht. Sie ist zart und zeigt eine erstaunliche Farbauswahl. Die Düfte dieser
Blume sind so exquisit und intensiv, dass der Wind sie so weit trägt, dass
sich die Menschen außerhalb des Waldes fragen, woher dieser Duft kommen
mag. Niemand hat diese Blume je gesehen, und es gibt keine Bilder von ihr.
– Ich habe sie gerade erfunden.

Wenn eine Blume im äußersten Winkel der Erde wächst, blüht und stirbt, wer
erzählt dann von ihrer Schönheit? Die Natur vertraut nicht auf unseren Schön-
heitsanspruch. Sie ist für sich ganz alleine schön. Sogar Jesus sagte im Matthäus-
Evangelium, Kapitel 26: „Nicht einmal König Salomo hatte mit all seinem Reich-
tum ein so schönes Gewand wie eine dieser Blumen.“ Der Künstler bringt aus
dieser Schönheit erstaunliche Werke hervor – wie diese Glasarche. Wenn wir über
ein schönes Kunstwerk staunen, staunen wir über die Schönheit, die in seinem
Schöpfer vorhanden ist. Natur und Kunst rufen in uns Schönheit hervor.

Die Natur ist geduldig

Laotse, ein chinesischer Philosoph, sagte: „Die Natur beeilt sich nicht, aber
alles ist getan.“ Ich bin jetzt seit ungefähr drei Monaten in diesem großar-
tigen Land, aber ich bin ungeduldig; ungeduldig, weil ich die recht schwie-
rige deutsche Sprache immer noch nicht fließend sprechen kann. Ich habe
vergessen, dass es lange dauert, sich an einem neuen Ort niederzulassen.
Ich muss von Natur und Kunst lernen. Der Sommer weicht langsam dem
Herbstwind, der langsam die Kälte des Winters auslöst. Der Frühling wartet
geduldig darauf, frische Blumen zu bringen.

Wie bei der Natur ist es auch in der Kunst. Der Künstler nimmt sich die Zeit,
seine Kunst sorgfältig zu gestalten. Geduldig verwandelt er seine Kreation
durch alle möglichen Herausforderungen in das, was wir anschließend ge-
nießen. So sollten wir mit dem Leben, mit uns selbst und mit anderen, be-
sonders mit anderen, umgehen. Natur und Kunst sind die besten Lehrer der
Geduld. Wenn wir geduldig sind, locken wir das Beste aus dem Leben und
aus den Beziehungen hervor.

BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 129, 4|2018             5
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Geistlicher Impuls

Die Natur ist mächtig und weise in ihrer Stille

Und so ist es auch mit der Kunst. Natur und Kunst ähneln einander in dem
Sinne, dass sie uns zum Staunen und Vergnügen anregen. Wir erfahren
Trost und innere Heilung. Natur als Kunst ist Therapie in ihrer reinsten
Form. Manchmal, wenn ich tief beunruhigt bin oder eine klare Perspektive
brauche, gehe ich in einen Garten, in den Wald oder in eine Kunstgalerie. In
Kenia ging ich auf Safari in die Wildparks, und es ist unglaublich: Wer die
riesigen Elefanten beobachtet und sieht, wie zärtlich sie mit ihren Jungen
sind, oder die Löwen in ihrem Stolz oder die Antilopen, die über die Savan-
ne springen, vergisst diese Erfahrung nie. Die Natur bietet eine kraftvolle
Form der Wiedergeburt und gibt Kraft für den Alltag. Natur und Kunst
geben mir eine sehr tiefe Verbindung zu meinem inneren Selbst. Um uns
herum herrscht tiefe Weisheit, wenn wir aufmerksam sind.

In Afrika gibt es ein gemeinsames Sprichwort von verschiedenen Kulturen
und Stämmen: „Weisheit wächst mit den weißen Haaren alter Menschen.“
Es wird also gelehrt, dass wir älteren Menschen großen Respekt entgegen-
bringen sollten. Wie alt ist die Natur? Millionen von Jahren! Und trotzdem,
denke ich manchmal, hat die Menschheit keinerlei Respekt vor der Natur.
Die Natur wird missbraucht, ignoriert, und zugleich wird von ihr erwartet,
dass sie die Bedürfnisse der Menschheit erfüllt.

Die Natur verbindet uns miteinander und mit Gott

Die Natur bedeckt die ganze Erde, mit Flüssen, Meeren, Wäldern, Bergen und
allen Arten von natürlichen Umgebungen. Wir alle verlassen uns auf die Na-
tur. Durch die Natur sind wir miteinander verbunden, und die Natur verbindet
uns mit Gott. Die Künstler, die die Glasarche geschaffen haben, möchten un-
sere Aufmerksamkeit auf die Zerbrechlichkeit der Natur lenken. Der Dichter
Ralph Emerson sagte: „Die Natur ist die Kunst Gottes.“ Ich denke, die Weisheit
der Natur sagt uns über Gott: Er möchte, dass wir an ihn denken.

Mutter Teresa sagte: „Gott ist ein Freund der Stille. Bäume, Blumen und Gras
wachsen stumm. Sehen Sie die Sterne, den Mond und die Sonne, wie sie sich
schweigend bewegen.“

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Geistlicher Impuls

In dem Film „Pocahontas“ gibt es ein Lied, das ich liebe, weil es mich daran erin-
nert, wie kraftvoll und weise die Natur in ihrer Stille ist. Lassen Sie mich einige
Zeilen aus dem Lied „Colours of the Wind“ – „Farben des Windes“ – für Sie singen:

„Komm renn mit mir im Schattenlicht der Wälder
Probier die süßen Beeren dieser Welt
Komm wälze dich in ihrer reichen Vielfalt
Und du merkst, dass im Leben dir nichts fehlt

Der Regen und der Fluss sind meine Brüder
Der Reiher und der Otter mein Geleit
Und jeder dreht sich mit und ist verbunden
Mit dem Sonnenrad, dem Ring der Ewigkeit

Kannst du hören wie der Wolf heult
Unterm Silbermond?
Und weißt du auch, warum der Luchs so grinst?
Kannst du singen wie die Stimmen in den Bergen?
Kannst du malen wie das Farbenspiel des Winds?
Kannst du malen wie das Farbenspiel des Winds?“

Gebet

Wir danken dir Gott für das Leben, die Natur und die Künste. Danke für die
Schönheit und Weisheit, die man in der Natur finden kann. Danke für diese
Glasarche, die durch die Arbeit von Künstlern hier im Luthergarten liegt, um
uns daran zu erinnern, was wir vielleicht vergessen haben: wie zerbrech-
lich die Natur doch ist. Wir bitten dich: Öffne unsere Herzen, damit wir die
Weisheit erlangen, die Natur und Kunst über das Leben vermitteln, und zeige
uns, wie wir unsere Umwelt besser pflegen können. Darum bitten wir dich im
Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Pastor Frank Koine
Jugend Pastor
Evangelische Stadtkirchengemeinde Wittenberg
Jüdenstraße 36
Tel.: 0159 90719299 | fkoine@gmail.com

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Leserbrief

Vor uns die Sintflut?
Die christliche Gemeinde in und mit der Gesellschaft

von Heiko Reinhold

„Ich habe derzeit nicht den Eindruck, dass die sächsische Landeskirche als
eine gestalterische Kraft unserer Gesellschaft auftreten möchte.“ So schätzt
es Christian Wolff, der ehemalige Pfarrer der Leipziger Thomaskirche,
in einem Interview zur Kohlepolitik ein (Der Sonntag, 5.8.2018). Diese
Erfahrung ist wohl auch in anderen Kirchen zu machen – ungeachtet der
zahlreichen Verlautbarungen, Stellungnahmen und Projekte, die meist nur
begrenzt wirksam werden. Es scheinen vor allem drei Hinderungsgründe zu
sein, die den Gestaltungswillen bremsen:

1. „Das ist nicht unsere Aufgabe“

Meist wird kirchenintern der Vorrang von geistlicher Arbeit, von Verkündi-
gung und Seelsorge betont. Doch wie glaubwürdig kann eine christliche Ver-
kündigung sein, die das prophetische Amt der Kirche leugnet – und damit we-
sentliche biblische Aussagen ausklammert –, die schweigt, wenn Schwestern
und Brüder aus der weltweiten Ökumene ungerechte Strukturen beklagen,
wenn menschenfeindliche Parolen in der Gemeinde laut werden, und die es
hinnimmt, dass Kirchen weggebaggert, Tiere gequält und lebensfeindliche Ar-
beitsplätze als zukunftsfähig dargestellt werden? Der Ruf zur Nachfolge bedeu-
tet Umkehr, das Hinterfragen bisheriger Gewohnheiten – auch praktisch. Das
Reich Gottes umfasst nicht nur geistige Sphären, sondern wirkt im besten Sinne
ganzheitlich. Seelsorge und Klimaschutz, diakonisches Handeln und politisches
Mitgestalten, Mission und fair-ökologischer Einkauf lassen sich nicht gegen-
einander ausspielen. Zuspruch gibt es nicht ohne Anspruch.

2. „Es gibt zurzeit Wichtigeres“

Zum Beispiel Strukturdebatten – welch eine frohe Botschaft! Nicht nur, dass
es mindestens schon seit Jahrzehnten um Strukturveränderungen geht –
was genauso lange auch beklagt wird –, es entsteht gelegentlich der Ein-
druck, dass sich diese Diskussionen trefflich als Begründung eignen, um

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Leserbrief

sich mit nichts anderem befassen zu müssen. Die Wichtigkeit funktions-
fähiger und nachvollziehbarer Strukturen ist unbestritten, doch sind mit
deren Erarbeitung ständig sämtliche Glieder einer Kirchgemeinde befasst?
Liegt die Begabung tausender Christen allein in der Prozentrechnung und
der Erstellung von Organigrammen? Der biblische Befund zeigt ganz ver-
schiedene Gaben und Aufgaben – ohne eine Bewertung, was mehr oder
weniger wichtig ist. Der Schutz der Lebensgrundlagen ist für uns alle jeden-
falls existenziell bedeutsam.

3. „Da gibt es schon eine Projektstelle“

Es ist also jemand da, der sich kümmert? Befristet, Teilzeit? Als „die
Kirche“? Eine bequeme Möglichkeit, eigene Verantwortung loszuwerden.
Als könnten Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung Themen und
„Bearbeitungsgegenstand“ nur einzelner Personen sein.

Ganz anders als die binnenkirchliche Sichtweise stellt sich die Betrachtung
von außen dar. „Die Kirche“ wird von vielen Seiten als große Organisation in
der Gesellschaft wahrgenommen, der einerseits eine ethische Urteilsfähigkeit
und entsprechend positive Einflussnahme zugetraut werden, von der
andererseits jedoch auch eine enorme Vorbildwirkung erwartet wird.
Gesamtgesellschaftliche Herausforderungen wie der Klimawandel oder
ungerechte Handelsstrukturen machen nicht an Kirchentüren halt, sondern
erfordern engagiertes Handeln – nicht nur von extra „Beauftragten“.

Professor Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
schrieb 2016 zum Klimavertrag von Paris und der sich daraus ergebenden
Rolle der Kirchen: „Die Kirche kann sich in drei Funktionen für eine starke
Umsetzung von Klimaschutz einsetzen: Erstens als große Organisation, die
selbst Gebäude und Fahrzeuge betreibt. Zweitens als große gesellschaftliche
Akteurin, welche der Politik den Mut stärken kann, sich aus den Macht-
strukturen der bestehenden Energiewirtschaft zu lösen. Und drittens kann
und sollte die Kirche als eben diese sprechen: theologisch. Der Schutz der
Erde und des Lebens, neue Chancen für Mitmenschen und die Lösung der
Weltprobleme sind mehr als eine Frage ökonomischer Opportunität. Sie sind
auch Fragen an uns selbst, unsere Position und Rolle in der Welt. Das Chris-
tentum kann sich um Antworten um diese Fragen nicht mit allgemeinen

BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 129, 4|2018       9
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Leserbrief

christlichen Fürsorge- und Behutsamkeitsformulierungen herumwinden. Es
braucht eine starke Theologie der Zuständigkeit.“  1

Bezeichnenderweise trägt dieser Artikel den Titel „Das Vertagen und Wegsehen
ist zu Ende“. Zwei Jahre später gilt das mehr denn je. Doch nicht genug, dass
wir unsere eigenen Hausaufgaben – „oikos“! – erledigen müssen. Wenn wir
die international verbindlich vereinbarten Klimaziele erreichen wollen, müssen
sich wesentliche gesellschaftliche Rahmenbedingungen ändern. Zehn, zwanzig
Prozent Energieeinsparung sind etwas anderes als eine vollständige Abkehr
von fossilen Energieträgern in allen Sektoren, also Elektroenergie, Verkehr und
Wärme, für die auch unpopuläre politische Entscheidungen erforderlich sind.
Hierzu werden die Kirchen – deren Glieder die Bevölkerungsmehrheit darstellen
– mindestens als unterstützende Partnerinnen gebraucht.

Bei all dem ist zu betonen, dass es bei diesen Aktivitäten auch um
Gemeindeaufbau geht. Neue Zielgruppen können erschlossen werden,
mehr Menschen können sich aktiv einbringen, haupt- und ehrenamtlich
Mitarbeitende kooperieren. Jesu Auftrag „Gehet hin!“ ermutigt zum Betreten
neuer Räume. Kirche ist beides: Leib Christi und Körperschaft öffentlichen
Rechts. Beides hat seine spezifischen Aufgaben und Methoden.

Die Kirche als gesellschaftliche Akteurin – das bedeutet beispielsweise: Bund
und Länder haben Klimaziele beschlossen, die EKD bittet ihre Gliedkirchen
um entsprechende Maßnahmen, und die neuen Mitteilungen des IPCC zeigen
die Verletzlichkeit unserer Erde sehr deutlich. Für unsere Kirchen stellt sich
nun nicht die Frage, ob, sondern wie sie sich dazu positionieren, wie und wo
sie aktiv werden. Bloße Absichtserklärungen, Bitten und Stellungnahmen
reichen nicht mehr aus. Kirchliches Handeln ist nötig.

Die Zeit drängt.

Heiko Reinhold
ehem. Umweltbeauftragter der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens
heiko.reinhold@evlks.de

1
    Wolfgang Lucht: „Das Vertagen und Wegsehen ist zu Ende. Zum Vertrag von Paris und zur Rolle
    der Kirchen“, nachrichten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Heft 1/16, S. 16

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Aus der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

„Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben“
Die Agenda 2030 als Herausforderung für die Kirchen – Ein Impulspapier
der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung

von Ruth Gütter

Das Impulspapier der Kammer für nachhaltige Entwicklung wurde im Mai
2018 vom Rat der EKD einstimmig verabschiedet. Am 26. September 2018
wurde es von Professor Uwe Schneidewind, Vorsitzender der Kammer für
nachhaltige Entwicklung, und von Marlehn Thieme, Mitglied des Rates
der EKD und Vorsitzende des deutschen Nachhaltigkeitsrates, in Berlin der
Öffentlichkeit vorgestellt.

Bei der Präsentation bezeichnete Professor Schneidewind das Papier als
ein „kleines protestantisches deutsches Laudato si’“, in Anspielung auf die
gleichnamige, viel beachtete Enzyklika von Papst Franziskus. In der Tat gibt
es sowohl in der Analyse der Ursachen der gegenwärtigen globalen Krisen als
auch in der Dringlichkeit des Rufes nach einem konsequenten Umsteuern in
Politik und Gesellschaft große Übereinstimmungen zwischen beiden Texten.

Bei der Vorstellung des EKD-Papieres hoben Vertreterinnen und Vertreter
von Wissenschaft und Politik die Bedeutung der Kirchen für den nötigen
Werte- und Kulturwandel für die anstehenden Transformationen beson-
ders hervor. Vertreterinnen und Vertreter aus dem kirchlichen Bereich be-
zeichneten das Impulspapier als ein „starkes“ Papier, das für das eigene
Engagement ermutigend wirke und Anstöße gebe, noch mehr als bisher zu
tun. Genau diese Wirkung soll das Papier entfalten, wie man den Worten
des Ratsvorsitzenden der EKD Landesbischof Professor Heinrich Bedford-
Strohm im Vorwort entnehmen kann (S. 7):

„Wir wollen in dem Umsetzungsprozess der Agenda 2030 Mahner, Mittler und
Motor sein. Wir wollen zur Umkehr mahnen, wir wollen in gesellschaftlichen
Zielkonflikten vermitteln und um faire Lösungen ringen. Und wir wollen
selbst in unserer kirchlichen Praxis noch nachhaltiger und glaubwürdiger
werden. Wenn uns das gelingt, dann können wir zum Motor einer nachhalti-
gen Entwicklung werden, zur treibenden Kraft des Wandels …“

BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 129, 4|2018      11
Aus der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Im Folgenden sollen die Grundstruktur und die Kernaussagen des Impulspa-
pieres kurz skizziert werden:

Was uns trägt

Das Impulspapier beschreibt im ersten Kapitel die theologisch-ethischen Per-
spektiven, aus denen die EKD auf die Agenda 2030 der Vereinten Nationen  1
blickt. Ausgehend vom christlichen Schöpfungsglauben und einer Lebenshal-
tung der Dankbarkeit für das Geschenk der Schöpfung wird dem menschlichen
Herrschaftsanspruch über die Schöpfung eine klare Absage erteilt. Zugleich
wird unmissverständlich eingestanden, dass der Mensch seiner Verantwortung
zur Erhaltung der Schöpfung nicht gerecht geworden ist. Insbesondere der Le-
bensstil der Eliten sei alles andere als nachhaltig und gefährde das Leben auf
der Erde (S. 10): „Wir machen uns schuldig. Wir werden unserer Schöpfungs-
verantwortung nicht gerecht. Wir lieben unseren Nächsten nicht wie uns selbst.
Wir sorgen nicht gut für das Geschenk der Schöpfung.“ Die Schöpfung sei zum
Objekt von Ausbeutung und Kalkulation geworden, die Frage nach Preis und
Nutzen habe alle anderen Werte überschattet. Der Glaube an Gottes Liebe, die
größer sei als das menschliche Versagen, eröffne jedoch einen Weg zur Umkehr
zu einem Leben in Verantwortung. Angesichts der vielfachen Überschreitun-
gen der planetarischen Grenzen wird gemahnt (S. 11): „Ein weiter so geht nicht
mehr!“ Außerdem wird eine „Ethik des Genug“ gefordert. Die Akzeptanz von
Grenzen sei etwas Heilsames: „Der christliche Glaube gibt Freiheit zur Begren-
zung. Er hilft uns, die aktive Begrenzung eigener Möglichkeiten und Interes-
sen als ein Ausdruck christlicher Befreiung zu erkennen.“ Vor diesem ethisch-
theologischen Hintergrund wird die Agenda 2030 als Transformationsagenda
ausdrücklich begrüßt. Sie habe eine Tragweite, die mit der Charta der Men-
schenrechte von 1948 vergleichbar sei (S. 12). Die EKD sehe sich in der Pflicht,
an ihrer Umsetzung mitzuarbeiten.

Was wir begrüßen

Im zweiten Kapitel werden der umfassende Anspruch der Agenda 2030 als
Agenda für alle Staaten und ihr ganzheitlicher und integrativer Ansatz be-
1
    Die Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete am 25. September 2015 eine
    Resolution mit dem Titel „Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Ent-
    wicklung“: www.un.org/Depts/german/gv-70/band1/ar70001.pdf

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Aus der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

grüßt (S. 16). Der hohe Anspruch der Agenda, nämlich die sozialen Grund-
lagen für alle Menschen – auch künftiger Generationen – zu sichern und
zugleich die ökologischen Grenzen einzuhalten, wird als zentral und unent-
behrlich eingeschätzt. Das könne nur gelingen, wenn man sich von bishe-
rigen Entwicklungspfaden und Wachstumsstrategien verabschiede (S. 18).

Was wir suchen

Im dritten Kapitel wird festgehalten, dass die Agenda 2030 vieles von dem
enthält, was die Mitgliedskirchen im Ökumenischen Rat der Kirchen schon
seit 40 Jahren fordern und diskutieren. Beispiele sind die Forderung nach
einer nachhaltigen und verantwortlichen Gesellschaft (1975 Nairobi), der
konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung
(1983 Vancouver) und der Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens (2013
Busan). Obgleich in der Agenda 2030 ein weitreichender und kühner An-
spruch vertreten werde, gingen die Suchbewegungen der Kirchen noch dar-
über hinaus. Insbesondere müsse die unkritische Koppelung von Wohlstand
und Wachstum hinterfragt werden (S. 24). Weiterhin wird kritisch angemerkt,
dass der Gedanke der Suffizienz in der Agenda 2030 weitgehend fehle. Hier
seien die Kirchen in ihren Reflexionen weiter, da sie schon seit geraumer Zeit
eine „Ethik des Genug“ forderten. Auch die Frage, welche kulturellen Verän-
derungsprozesse es zur Umsetzung der Agenda 2030 brauche, komme in der
Agenda 2030 zu kurz. Hierfür sei insbesondere die Rolle von Religion und
Spiritualität nicht zu unterschätzen. Die Kirchen seien bereit, sich an den nö-
tigen Suchprozessen für einen Kultur- und Wertewandel zu beteiligen. Dabei
ließen sie sich leiten von ihren Visionen von der zukünftigen Welt Gottes, in
der Gerechtigkeit und Frieden wohnten (S. 26).

Was wir erwarten

Im vierten Kapitel wird klargestellt, dass die primäre Verantwortung zur
Umsetzung der Agenda 2030 bei den Regierungen der Mitgliedsstaaten der
UN liege. Die Bundesregierung habe sich somit verpflichtet, die Agenda
2030 umzusetzen, und zwar „in, mit und durch Deutschland“ (S. 27). Das
bedeute, dass sie nicht nur in ihrer nationalen Politik auf die Umsetzung
der Nachhaltigkeitsziele achten müsse, sondern auch in ihrer internationa-
len Politik – etwa in ihrer Entwicklungs- oder ihrer Handelspolitik – dafür

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Aus der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

sorgen müsse, dass die Nachhaltigkeitsziele in anderen Ländern ebenfalls
umgesetzt werden können.

Das Impulspapier enthält die Forderung, die deutsche Nachhaltigkeitsstra-
tegie weiterzuentwickeln und die offensichtlichen Zielkonflikte zwischen
verschiedenen Politikfeldern bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele zu
überwinden. Außerdem wird angeregt, die vorhandenen Partizipationsfor-
men für die Beteiligung der Zivilgesellschaft auszubauen.

Auch an die Kirchen sind im Impulspapier klare Erwartungen gerichtet. Die
Kirchen sollen bei der Umsetzung der Agenda 2030 „Mahnerin, Mittlerin und
Motor“ sein (S.31–35). Insbesondere für die Rolle als „Motor“, also als Vorrei-
terin müsse in den Kirchen noch mehr geschehen. Zwar sei im Bereich der
Klimaschutzkonzepte und ethischen Geldanlagen schon einiges erreicht, auch
gebe es in der Bewusstseinsarbeit und der spirituellen Auseinandersetzung mit
dem Thema Nachhaltigkeit bereits viele gute Initiativen, dennoch werde das
als richtig Erkannte noch zu wenig konsequent in die eigene Praxis umgesetzt.

Was zu tun ist

Im fünften Kapitel werden vier Politik- und Handlungsfelder herausgegrif-
fen, bei denen die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele in Deutschland be-
sonders unzureichend ist und bei denen auch die Kirchen herausgefordert
sind. Es sind die Politik- und Handlungsfelder

• „Hunger beenden und nachhaltige Landwirtschaft fördern“ (SDG 1),
• „nachhaltig konsumieren und produzieren“ (SDG 12),
• „Ungleichheiten überwinden“ (SDG 5 und SDG 10 Geschlechtergerechtigkeit)
 sowie
• „Klima schützen, Kohleausstieg und nachhaltige Mobilität fördern“ (SDG 13).

Diese vier Unterkapitel (S.37–71) sind jeweils so aufgebaut, dass sie die Aus-
sagen der Agenda 2030 und der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie zu jedem
Handlungsfeld darstellen und kommentieren, bevor dann die Handlungs-
möglichkeiten und -notwendigkeiten für die Kirchen beschrieben werden.
In besonders gekennzeichneten Kästen finden sich in jedem Unterkapitel
Praxisbeispiele, die zeigen, wie Kirchen hier zum Vorreiter werden können.

14                   BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 129, 4|2018
Aus der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Was wir in Dankbarkeit tun wollen

Im Schlusskapitel findet sich eine nachdrückliche Mahnung, dass es höchste
Zeit sei, zu einer nachhaltigen Lebensweise umzukehren (S. 71): „Viel Zeit
bleibt nicht mehr. Die Weltgemeinschaft gleicht einem Tanker, der nur lang-
sam die Richtung ändern kann. Nur wer den Kurswechsel rechtzeitig einleitet,
kann die Kollision verhindern …“ Den Kirchen komme in diesem „Kairos“ eine
besondere Verantwortung zu, die sie entschieden und konsequent wahrneh-
men müssten. Kirchen sollten sich selbst ehrgeizige Ziele für Veränderungen
ihrer eigenen Praxis setzen. Je mehr sie hier erreichten, umso glaubwürdi-
ger würden auch ihre Mahnungen und Forderungen an andere. Das Papier
schließt mit dem Bekenntnis (S. 72): „Wir wissen, dass die Zeit umzusteuern
drängt. Wir bekennen, dass die Erde Gott gehört und nicht uns. Wir wissen,
dass der Stern, auf dem wir leben, nur geliehen ist.“

OKR Dr. Ruth Gütter
Referentin für Fragen der Nachhaltigkeit
Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)
Abteilung: 31 – Öffentliche Verantwortung | Referat: 316 – Nachhaltigkeit
Herrenhäuser Straße 12 | 30419 Hannover
Tel.: 0511 2796-8387 | ruth.guetter@ekd.de

Bezugsmöglichkeiten für das Impulspapier:

                            EKD-Texte 130
                            „Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben“
                            Die Agenda 2030 als Herausforderung für die Kirchen

                            Ein Impulspapier der Kammer der EKD für
                            nachhaltige Entwicklung

                            Kostenfreies Herunterladen aus dem Internet:
                            www.ekd.de/EKD-Texte-288.htm

                            Bestellung gedruckter Exemplare für 2,40 €/Stück
                            zuzüglich Portokosten: versand@ekd.de

BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 129, 4|2018           15
Aus der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

                                  Beschluss
           der 12. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland
                             auf ihrer 5. Tagung
                 zum Kohleausstieg in der Energievesorgung

Die Synode spricht sich für einen zügigen Ausstieg aus der Kohleverstro-
mung (Braun- und Steinkohle) aus, der der Umsetzung des Pariser Klima-
abkommens entspricht und dazu beiträgt, dass die deutschen Klimaziele
möglichst zeitnah noch erreicht werden. Dafür muss kurzfristig die Hälfte
der Kohlekraftwerke, vorrangig die ältesten und ineffizientesten, vom Netz
genommen werden.

Die Synode fordert die politisch Verantwortlichen auf, den mit dem Koh-
leausstieg verbundenen Strukturwandel konsequent sozialverträglich zu
gestalten sowie für die betroffenen Regionen Perspektiven zu eröffnen.
Mit großem Interesse hat die Synode den Zwischenbericht vom 25. Okto-
ber 2018 der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“  1
zur Kenntnis genommen, der sehr differenziert mögliche Maßnahmen zur
sozialen und strukturpolitischen Entwicklung der Braunkohleregionen dar-
stellt. Ausdrücklich unterstützt sie die Absicht der Kommission, „Klima-
schutz, gute Arbeit und Wirtschaft in Einklang“ zu bringen „und damit
einen Beitrag zur Umsetzung des Leitbilds Nachhaltigkeit“ (S. 28) zu leisten.
Die Synode begrüßt, dass die Zivilgesellschaft in den Prozess der Struk-
turentwicklung aktiv eingebunden werden soll, und sieht darin auch eine
Aufgabe der Kirchen.

Die Synode spricht sich dafür aus, umgehend ein konkretes Kohleausstiegs-
datum festzulegen. Sie knüpft damit an den Beschluss der Landessynode
der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz vom
27. Oktober 2018 an. Der Zeitpunkt muss wissensbasiert den internationalen
Klimazielen genügen und im geplanten Klimaschutzgesetz  2 festgeschrieben
1
    Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ wurde auf Beschluss der
    Bundesregierung vom 6. Juni 2018 eingesetzt. (Anm. d. Red.)
2
    Im Koalitionsvertrag der 19. Wahlperiode des Bundestages vom 12. März 2018 wurde verein-
    bart, ein „Gesetz zur Einhaltung der Klimaziele 2030“ zu verabschieden. In der Regierungserklä-
    rung dazu kündigte die neue Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicher-
    heit, Svenja Schulze, dieses Klimaschutzgesetz für 2019 an. Mit dem Gesetz sollen die Leitlinien
    für das Klimaschutzziel 2030 rechtlich verankert werden. (Anm. d. Red.)

16                           BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 129, 4|2018
Aus der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

werden. Belastbare Studien zeigen, dass ein Kohleausstieg, der den Erfor-
dernissen der Sozialverträglichkeit, der Versorgungssicherheit und des Kli-
maschutzes entspricht, bis spätestens 2035 notwendig und möglich ist.

Die betroffenen Standorte und Regionen brauchen langfristige Planungs-
sicherheit, damit sie sich auf die notwendigen Veränderungen einstellen
und entsprechende Entwicklungsprozesse einleiten können. Je länger der
Beginn des Strukturwandels hinausgezögert wird, umso größer wird die
Gefahr, dass die Klimaziele verfehlt werden und es zu sozialunverträglichen
Strukturbrüchen kommt.

Würzburg, den 14. November 2018

Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland

Dr. Irmgard Schwaetzer

BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 129, 4|2018     17
Aus den Landeskirchen

Zukunft einkaufen – auch in Sachsen

von Heiko Reinhold

Seit 1. Juli 2018 gilt in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sach-
sens die „Richtlinie für den Erwerb von Waren und die Inanspruchnahme
von Dienstleistungen nach ökologischen und sozialen Gesichtspunkten“. Sie
wurde im Amtsblatt vom 15. Juni 2018 veröffentlicht und ist von allen
Kirchgemeinden und kirchlichen Einrichtungen anzuwenden.  1 Auch dem
Diakonischen Werk wird empfohlen, nach dieser Richtlinie zu verfahren.

Bereits im Vorwort der Richtlinie wird eine zentrale Zielsetzung genannt:
„Damit wird ein Beitrag zu mehr globaler Gerechtigkeit und Gesundheit ge-
leistet.“ Kirchen haben eine besondere Verantwortung in ihrem Tun. Bei ihren
Einkäufen haben die Gemeinden und Einrichtungen aber auch mehr Gestal-
tungsmöglichkeiten. Sie können beispielsweise Rahmenverträge nutzen oder
längere Garantiezeiten in Anspruch nehmen. Im Sinne der haushalterischen
Grundsätze von Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit geht es um das Hinter-
fragen der eigenen Einkaufsgewohnheiten und eine langfristige Beurteilung
von investiven Maßnahmen. Als Kriterien werden deshalb nicht nur die so-
ziale und ökologische Verträglichkeit genannt, sondern beispielsweise auch
Langlebigkeit, Reparaturfähigkeit, Energiebedarf und Ergonomie.

Vorausgegangen war ein entsprechender Beschluss der Landessynode vom
April 2017  2, der auch auf den Erfahrungen der 2013 bis 2017 in Leipzig
arbeitenden Projektstelle „Kirchgemeinden als Lernorte für Nachhaltigkeit
und Zukunftsfähigkeit“ aufbaute und die Schaffung ähnlicher Stellen in
den anderen Kirchenbezirken anregte. Mit diesen Stellen sollte auch die
spätere Umsetzung der Richtlinie begleitet werden. Dieser Beschlussteil
blieb jedoch leider bisher weitgehend unbeachtet.

1
    http://engagiert.evlks.de/fileadmin/userfiles/EVLKS_engagiert/B._Landeskirche/Amtsblatt/
    Amtsblatt_2018_11.pdf
2
    http://engagiert.evlks.de/fileadmin/userfiles/EVLKS_engagiert/B._Landeskirche/Landessyno-
    de/PDF/27_Drucksache_Nr._115.pdf

18                         BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 129, 4|2018
Aus den Landeskirchen

In Leipzig wurden die Impulse der Projektstelle dankbar aufgegriffen. Vor
allem die Peters-/Bethlehemgemeinde setzte viele Vorschläge um, unterzog
ihren Einkauf einem intensiven Check, erstellte eigene Beschaffungsleitli-
nien und wurde 2015 als deutschlandweit erste Gemeinde mit dem Siegel
der Initiative „Zukunft einkaufen“ ausgezeichnet.  3 Inzwischen entstand
dort gemeinsam mit anderen Gemeinden eine Online-Einkaufsplattform,
die speziell auf den kirchlichen Bedarf ausgerichtet ist und den nachhalti-
gen Einkauf vereinfachen soll.  4

Bereits seit mehreren Jahren ist in Sach-
sen eine ökumenische Arbeitsgruppe
„Zukunft einkaufen“ aktiv, die mehrere
Praxistage veranstaltete sowie Vorträge
und konkrete Beratungsleistungen für
Gemeinden und engagierte Gemeinde-
glieder anbietet. Mit ihrer Hilfe können
Fragen zu Produkten, Siegeln, Bezugs-
quellen, Garantiezeiten und vielem mehr
geklärt werden. Diese Aktivitäten und
Erfahrungen führten dazu, dass die Ar-
beitsgruppe durch das Landeskirchenamt
gebeten wurde, eine Vorlage für die ge-
plante Richtlinie zu erstellen. Dabei wur-
de schnell klar, dass sich das, was mit
„fair-ökologisch-sozialem Einkauf“ ge-
meint ist, nur unzureichend mit rechts-
konformen Begriffen darstellen lässt.
Mit juristischer Hilfe aus dem Landeskir-
chenamt wurde dieser Spagat geschafft. Gleichzeitig bedeutet das aber auch,
dass die Richtlinie – die im Kern nur eine Seite umfasst – nur eine prinzipielle
Grundlage bildet. Ergänzt wird sie durch eine Produkttabelle mit empfoh-
lenen Kriterien, Siegeln und Bezugsquellen. Hier finden sich beispielsweise
Empfehlungen für die Beschaffung von Ökostrom, Büromaterial, Lebens- und
Reinigungsmitteln, aber auch Hinweise zu Mobilität und Geldanlagen.

3
    http://www.zukunft-einkaufen.de/zertifizierung/kirchengemeinden-mit-ze-siegel/
4
    http://einkaufsnetz-leipzig.de/

BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 129, 4|2018                 19
Aus den Landeskirchen

Mehrfach wurde die Frage nach der Verbindlichkeit gestellt. „Diese Richtli-
nie ist ab 1. Juli 2018 anzuwenden“ sollte eindeutig sein – allerdings kann
die Umsetzung weder kontrolliert noch die Nicht-Umsetzung bestraft wer-
den. Die Richtlinie ist als Aufforderung zu verstehen, das Einkaufsverhalten
zu überdenken und zu verändern. Sie soll Grundlage für individuelle Rege-
lungen sein, die die lokalen Bedingungen – wie Zuständigkeiten, konkreten
Bedarf oder Bezugsmöglichkeiten – berücksichtigen.

Die sächsische Landeskirche ist neben DGB, BUND, dem Bistum Dresden-
Meißen sowie dem Entwicklungspolitischen Netzwerk auch Partnerin der
Allianz „Sachsen kauft fair“,  5 die einen ökologisch und sozial verantwort-
lichen Einkauf der öffentlichen Hand fordert und kürzlich ihr zehnjähriges
Bestehen feierte. Dass die nach außen gerichteten Forderungen auch im
eigenen Handeln umgesetzt werden, sollte selbstverständlich sein. Die Be-
schaffungsrichtlinie ist somit nur konsequent.

Heiko Reinhold
Mitglied der Arbeitsgruppe „Zukunft einkaufen“
heiko.reinhold@evlks.de

5
    https://sachsen-kauft-fair.de/

20                           BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 129, 4|2018
Klimawandel

Warum die Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas zum Anstieg der
Temperatur auf der Erde führt

von Peter Müller

Die Strahlung der Sonne ist die Quelle allen Lebens auf der Erde. Ihre Ener-
gie ermöglichte und ermöglicht die Entwicklung von Pflanzen und Tieren.
Über die gesamte Oberfläche gemittelt empfängt die Erde von der Sonne
ständig eine Strahlungsleistung von 236 Watt pro Quadratmeter in Form
kurzwelliger Strahlung mit Maximum im sichtbaren Bereich (siehe Abbil-
dung 1). Diese Energie wird direkt oder über Zwischenstufen, wie etwa das
Pflanzenwachstum, in Wärme umgewandelt. Die Erde ihrerseits sendet zu-
gleich langwelligere infrarote Strahlung mit im Mittel ebenfalls 236 Watt
pro Quadratmeter in alle Richtungen des -269 °C kalten Weltraums aus.
Ohne Sonne würde es daher auf der Erde nicht nur dunkel werden, sondern
infolge dieser eigenen Abstrahlung in kurzer Zeit auch extrem kalt.

                                                                       Abbildung 1:
                                                                       Einseitige solare
                                                                       Einstrahlung auf die
                                                                       Erde und allseitige
                                                                       infrarote Abstrahlung
                                                                       von der Erde (µm =
                                                                       Millionstel Meter).

BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 129, 4|2018                     21
Klimawandel

Bei Fehlen einer Lufthülle oder bei einer Hülle, die ausschließlich aus einfa-
chen Gasen wie Stickstoff und Sauerstoff bestünde, würde sich das Gleich-
gewicht zwischen Einstrahlung von der Sonne und Abstrahlung in den kal-
ten Weltraum bei einer mittleren Temperatur der Erdoberfläche von -18 °C
einstellen. Die seit langem in der Erdatmosphäre vorhandenen Spurengase
Wasserdampf (H2O) und Kohlendioxid (CO2) bewirken jedoch durch eine
teilweise Rückstrahlung der infraroten Strahlung zur Erdoberfläche einen
natürlichen Treibhauseffekt, der zu einer stabilen und für die Entwicklung
der menschlichen Zivilisation günstigen Temperatur auf der Erde von im
Mittel +15 °C geführt hat. Dieser natürliche Treibhauseffekt war und ist für
das Leben von außerordentlicher Bedeutung.

Die von der Erdoberfläche ausgehende Infrarotstrahlung verursacht die An-
regung verschiedener Schwingungszustände der Atome in den in der Ab-
bildung 2 gezeigten drei- und mehratomigen Treibhausgasmolekülen. Der
nachfolgende Übergang in den energetischen Grundzustand dieser Mole-
küle ist dann jeweils gekoppelt mit der Aussendung der gleichen (Wärme-)
Strahlung in alle Richtungen, also auch zum Teil zurück zur Erde.

                                                        Abbildung 2:
                                                        Modelle der wichtigsten
                                                        Treibhausgasmoleküle. In
                                                        Deutschland entfielen 2014 bei
                                                        der Freisetzung von Treib-
                                                        hausgasen 87,9 Prozent auf
                                                        Kohlendioxid, 6,2 Prozent auf
                                                        Methan, 4,3 Prozent auf Dis-
                                                        tickstoffoxid und 1,6 Prozent
                                                        auf fluorhaltige Gase.

22                   BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 129, 4|2018
Klimawandel

Im Jahr 1958 begann der amerikanische Chemiker C. D. Keeling mit ei-
ner systematischen Bestimmung der CO2-Konzentration der Atmosphäre.
Um den Einf luss von Industrie, Verkehr und Pf lanzen auf die Ergebnisse
auszuschließen, erfolgten die Messungen in 3400 m Höhe auf der abge-
legenen Hawaii-Insel Mauna Loa. Aber auch hier war erstaunlicherweise
die CO2-Konzentration nicht konstant, sondern sie variierte um den Wert
315 ppm (parts per million) beziehungsweise 0,0315 Prozent. Nach eini-
ger Zeit war die Ursache dafür gefunden. Durch das Pf lanzenwachstum
auf der nördlichen Halbkugel, bei dem die Pf lanzen CO2 aus der Atmo-
sphäre aufnehmen, nimmt im Frühjahr und Sommer die Konzentration
an CO2 ab bis auf ein Minimum im September, um dann im Herbst und
Winter durch das Verrotten von Pf lanzenteilen, bei dem CO2 freigesetzt
wird, wieder anzusteigen. Diesem jahreszeitlichen Wechsel war jedoch
eine ständige Zunahme der CO2-Konzentration in der Atmosphäre über-
lagert. Wie die berühmte Keelingkurve in der Abbildung 3 zeigt, hat die
CO2-Konzentration in der Atmosphäre in den vergangenen 60 Jahren um
30 Prozent zugenommen.

Im mittleren Teil der Abbildung mit den Messergebnissen der letzten
beiden Jahre ist zu sehen, dass die CO 2-Konzentration auch im Bereich
des jeweiligen Minimums nicht wieder unter den Wert von 400 ppm
gefallen ist. Der untere Teil der Abbildung zeigt außer der Keelingkurve
auch die CO2-Konzentration der in Eisbohrkernen eingeschlossenen Luft.
Tiefere Eisbohrkerne, die Rückschlüsse auf die vergangenen 10.000 Jah-
re erlauben, liefern über die gesamte Zeit gleichbleibende CO2-Anteile
von etwa 270 ppm. In zeitlicher Übereinstimmung mit Industrialisierung
und vermehrter Brandrodung beginnt ab etwa 1860 ein erster Anstieg
des Kurvenverlaufs.

Der experimentelle Nachweis der jahreszeitlichen Variation der CO2-
Konzentration durch das Pf lanzenwachstum sowie des kontinuierlichen
Anstiegs war von außerordentlicher Bedeutung für unsere Vorstellungen
von der Umwelt. Inzwischen bestätigen weitere Untersuchungen, dass
die Verbrennung der fossilen Vorräte an Kohle, Öl und Erdgas eindeutig
die Ursache für die CO2-Zunahme in der Atmosphäre ist.

BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 129, 4|2018   23
Klimawandel

     Keelingkurve der letzten zwei Jahre mit dem Endwert 408,3 ppm
     CO2 am 10.7.2018.

                                                                     Abbildung 3:
                                                                     Entwicklung der CO2-Kon-
     Die CO2-Werte vor 1958 stammen aus Eisbohrkernen, die danach    zentration in der Atmos-
     vom Mauna Loa. Quelle der einzelnen Graphiken:                  phäre über verschiedene
     https://scripps.ucsd.edu/programs/keelingcurve/                 Zeiträume.

24                         BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 129, 4|2018
Klimawandel

Die erhöhte CO2-Konzentration sowie weitere freigesetzte Spurengase wie
Methan, Distickstoffoxid und fluorhaltige Gase verursachen einen zusätz-
lichen Treibhauseffekt, der mit einem globalen Anstieg der Erdtemperatur
verbunden ist. Denn erst die mit steigender Temperatur zunehmende Strah-
lungsleistung ermöglicht es, dass die Erde trotz des verstärkten Treibhaus-
effektes weiterhin die von der Sonne empfangene Energie durch Abstrah-
lung in den kalten Weltraum loswerden kann.

Der menschengemachte Temperaturanstieg hat gefährliche Klimaänderun-
gen zur Folge mit zerstörerischen Stürmen, Überflutungen, Dürren, mit der
Ausbreitung von Parasiten und tropischen Krankheiten und in südlichen
Regionen sogar mit dem Übersteigen der Grenztemperatur für das Wachs-
tum wichtiger Nutzpflanzen. Im Bereich des Persischen Golfs ist bereits
jetzt in der Sommerzeit infolge von Extremtemperaturen bei gleichzeitig
hoher Luftfeuchtigkeit nur noch ein begrenzter Aufenthalt im Freien mög-
lich. Drastische Klimaänderungen sind insbesondere dann zu erwarten,
wenn durch die menschengemachte Erwärmung Prozesse angestoßen wer-
den, die wegen des Überschreitens von kritischen Werten, von sogenannten
Kipp-Punkten, Temperaturanstiege auslösen, die selbständig weiterlaufen
und nicht mehr rückgängig gemacht werden können.

Wie kann eine solche kritische Entwicklung vermieden werden? Die Ver-
fügbarkeit von Energie in ihren verschiedensten Formen hat in Deutsch-
land zur Erleichterung körperlich schwerer Arbeit in der Landwirtschaft,
im Bauwesen und in der Industrie und zu einem insgesamt außerordentlich
hohen Lebensstandard geführt. Nach Angaben des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Energie entsprach im Jahr 2015 der Primärenergie-
verbrauch, also der Verbrauch aller in den Energierohstoffen enthaltenen
Energie, im Mittel reichlich 45.000 kWh pro Einwohner. Dabei erfolgte
die Bereitstellung von 80 Prozent des Primärenergiebedarfs durch Kohle,
Erdöl und Erdgas.

Eine gute Vorstellung von der derzeitigen Energienutzung erhält man durch
einen Vergleich mit der menschlichen Arbeitskraft. Dividiert man die 45.000
kWh durch die 8.760 Stunden eines Jahres, so ergibt sich im zeitlichen Mit-
tel ein Leistungsbezug von 5,2 kW pro Einwohner. Ein Erwachsener kann
auf einem Energiefahrrad eine Dauerleistung von 100 Watt aufbringen. Ein

BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 129, 4|2018     25
Klimawandel

Leistungsbezug von 5,2 kW bedeutet daher, dass praktisch für jeden von
uns ständig 52 Energiesklaven rund um die Uhr arbeiten.

                                                   Abbildung 4:
                                                   Energiefahrrad zur Erzeugung von
                                                   elektrischem Strom mit Muskelkraft
                                                   für die Versorgung verschiedener
                                                   Verbraucher in der im Herzberger
                                                   Bürgerzentrum 2014 organisierten
                                                   Ausstellung „Unser Leben mit Licht
                                                   – Sehen, Begreifen, Verstehen“.

Stärker als alle anderen Gründe (Endlichkeit der Vorräte, Importabhän-
gigkeit) erzwingen die mit der Anreicherung von CO2 in der Atmosphäre
verbundenen lebensbedrohlichen Klimaänderungen einen raschen Stopp
der gegenwärtig noch massenhaften Verbrennung von Kohle, Öl und
Erdgas. Wie die UN-Klimakonferenz im Dezember 2015 in Paris gezeigt
hat, ist sich die Weltgemeinschaft, entgegen der Meinung von Leugnern
menschgemachter Klimaänderungen, der Probleme voll bewusst. Nach
vielen vorangegangenen ergebnislosen Konferenzen wurden in Paris in
harten Verhandlungen konkrete Klimaschutzziele vereinbart, die auf
eine Begrenzung der Erhöhung der Erdtemperatur um maximal 2 Grad
– besser 1,5 Grad – zielen. Die Analysen der Klimaforscher zeigen nun,
dass zur Einhaltung der 2-Grad-Grenze die Überschreitung einer CO2-
Konzentration von 450 ppm vermieden werden muss und dass dement-
sprechend höchstens noch etwa 800 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmo-
sphäre emittiert werden dürfen.

Etwa 7,6 Milliarden Menschen leben derzeit auf der Erde. Bei Gleichverteilung
des noch verbleibenden CO2-Budgets von 800 Milliarden Tonnen darf jeder
der heutigen Erdbewohner die Atmosphäre nur noch als Deponieraum für 105
Tonnen CO2 benutzen. Im Jahr 2015 lag die Emission im Weltdurchschnitt bei

26                   BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 129, 4|2018
Klimawandel

4,9 Tonnen CO2 pro Person. Dabei waren es im überreichen Katar jedoch mehr
als 40, in den USA 17 und in Deutschland 11 Tonnen CO2 pro Einwohner und
Jahr. Die ärmeren südlichen Länder lehnen jedoch eine Gleichverteilung ab,
da sie zur wirtschaftlichen Aufholjagd höhere Emissionswerte beanspruchen
und da ihre Bevölkerung weiter sehr stark zunimmt.

Einen Ausweg aus dieser Zwangssituation bietet die Nutzung der – nach
menschlichem Ermessen – zeitlich unbegrenzt verfügbaren erneuerbaren
Energien, zu denen insbesondere die Sonnenstrahlung, die Windkraft
und die Biomasse gehören. Diese Energien ermöglichen eine dauerhafte
und sichere sowie mittel- und langfristig kostengünstige Versorgung.
Da die Sonne immer wieder scheint, der Wind immer wieder weht und
Biomasse wieder nachwächst, wird mit deren Nutzung künftigen Gene-
rationen auch nichts weggenommen. Der Auf bau von Solar- oder Wind-
energieanlagen erfordert zwar höhere Anfangsinvestitionen, danach
aber nicht die Zuführung von Brennstoffen. Damit entfallen Sorgen um
künftig steigende Preise. Das Potential der vor kurzem noch belächel-
ten erneuerbaren Energien ist enorm. Die Solarenergie hat gegenüber
allen anderen erneuerbaren Energien nicht nur das bei weitem größte
Potential, sondern sie ermöglicht mit der Photovoltaik bereits gegen-
wärtig häufig auch die billigste Art der Stromerzeugung. Im Jahr 2018
lagen Stromerzeugungskosten neuer Photovoltaik-Freif lächenanlagen
in Deutschland bereits im Mittel bei 4,59 Cent pro kWh. Infolge eines
höheren Wirkungsgrades und einer noch weiter verbesserten Langzeit-
stabilität der Solarstrommodule werden die Kosten künftig auf 3 bis 4
Cent pro Kilowattstunde zurückgehen. In südlichen Ländern mit höherer
Sonneneinstrahlung liegen in günstigen Fällen die Kosten bereits jetzt
bei 2 bis 3 Cent pro Kilowattstunde Elektroenergie.

Für den Umstieg auf erneuerbare Energien bestehen auch in Mitteldeutsch-
land gute Bedingungen. In Zukunft sollten sich jedoch hiesige Bewohner
mit Unterstützung heimischer Banken zur Bildung von Energiegenossen-
schaften zusammentun, um anstelle fremder Investoren selbst die Instal-
lation von Anlagen zur Bereitstellung erneuerbarer Energien voranzubrin-
gen. Eine solche Energiegenossenschaft aus Bürgern mehrerer Gemeinden
könnte sich auf optimale Standorte einigen. Gäbe es genossenschaftliches
Eigentum vor Ort, so wäre das nicht nur finanziell für die Bürger und

BRIEFE – Zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Nr. 129, 4|2018    27
Klimawandel

die Kommunen von Vorteil, sondern es würde auch die Akzeptanz für
die neuen Anlagen erhöhen. Die technischen Voraussetzungen für eine
dauerhafte, langfristig kostengünstige und umweltfreundliche auf erneu-
erbaren Energien basierende Energieversorgung stehen bereit. Es kommt
ausschließlich auf den politischen Willen in der Gesellschaft an, sie zu
nutzen. Hierfür tragen jedoch nicht nur die Politiker Verantwortung, son-
dern auch jeder Einzelne.

Dr. Peter Müller  1
Kniebuschweg 23 | 04936 Schlieben
Tel.: 035361 89638
p.mueller.schlieben@t-online.de

1
    Dr. Peter Müller hat von 1960 bis 1990 als Festkörperphysiker in einem Forschungsinstitut der
    Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin-Adlershof gearbeitet. Von 1990 bis 2000 war
    er in dem am gleichen Ort eingerichteten Ostberliner Institutsteil des Hahn-Meitner-Instituts
    an Arbeiten zur Entwicklung kostengünstiger Silizium-Solarzellen beteiligt. Dr. Peter Müller
    ist Mitglied der Vereinigung Eurosolar, der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie und des
    Solarenergie-Fördervereins Deutschland.

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Nachhaltige Entwicklung

Die Tränen der Bäume
Naturkautschukgewinnung in Asien

von Irene Knoke

Viele Rohstoffe, die in Europa konsumiert werden, stammen aus Ent-
wicklungs- und Schwellenländern. Oft werden sie unter problematischen
Arbeits- und Umweltbedingungen gewonnen oder hergestellt. Das Be-
wusstsein dafür ist bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern hier-
zulande deutlich gestiegen. Vor allem Kaffee, Kakao, Bananen, Palmöl
oder metallischen Rohstoffe gerieten in den Blick. Ein anderer – ebenso
wichtiger – Rohstoff blieb aber meist außen vor: Naturkautschuk. Eine
neue Studie des Institut SÜDWIND und des Global Nature Fund soll diese
Aufmerksamkeitslücke jetzt schließen helfen.

Naturkautschuk ist ein weltweit gehandelter Rohstoff, der als Gummi in
zahlreichen Produkten zum Einsatz kommt. Wichtigster Abnehmer ist die
Automobilindustrie. Etwa 70 Prozent des in Deutschland verwendeten Na-
turkautschuks landet in Autoreifen. Gemischt wird er meistens mit Synthe-
sekautschuk, einer erdölbasierten Alternative. Aufgrund seiner besonderen
Eigenschaften vor allem in puncto Elastizität und Belastbarkeit ist Natur-
kautschuk aber bis heute unersetzbar. Vereinfacht lässt sich sagen: je höher
die Belastung, desto größer der Anteil an Naturkautschuk. Flugzeugreifen
bestehen beispielsweise fast ausschließlich aus Naturkautschuk, PKW-Rei-
fen nur etwa zur Hälfte. Doch die Verwendung von Naturkautschuk ist weit
vielfältiger. Insgesamt werden mehr als 50.000 verschiedene Produkte dar-
aus hergestellt, darunter Handschuhe, Matratzen, Kondome und Schuhsoh-
len, aber auch Dichtungen, Förderbänder, Dämm- und Baumaterial. Im Jahr
2017 wurden weltweit insgesamt 13,2 Millionen Tonnen Naturkautschuk
verbraucht, 90 Prozent davon stammen aus Asien.

Die Quelle für den Rohstoff, aus dem Gummi hergestellt wird, ist der Kaut-
schukbaum (Hevea brasiliensis). Von ihm kann der weiße Milchsaft gewon-
nen werden, den die Indigenen in Südamerika, der ursprünglichen Heimat
des Baumes, „Caucho“ nannten – die „Träne des Baumes“. Er besteht zu
einem Drittel aus Naturkautschuk und ist in Deutschland eher unter dem

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