FLEISCHATLAS Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel 2013 - Auflage - Heinrich-Böll-Stiftung

Die Seite wird erstellt Jörn Kiefer
 
WEITER LESEN
FLEISCHATLAS Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel 2013 - Auflage - Heinrich-Böll-Stiftung
FLEISCHATLAS
Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel   2013

                                                 8. Auflage
FLEISCHATLAS Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel 2013 - Auflage - Heinrich-Böll-Stiftung
IMPRESSUM

Der FLEISCHATLAS ist ein Kooperationsprojekt von Heinrich-Böll-Stiftung,
Bund für Umwelt- und Naturschutz und Le Monde diplomatique.

8. Auflage, Juli 2014

Inhaltliche Leitung: Christine Chemnitz, Reinhild Benning
Projektmanagement: Dietmar Bartz Media Services
Art Direktion und Herstellung: Ellen Stockmar
Textchefin: Elisabeth Schmidt-Landenberger
Schlussredaktion: Bernd Cornely, Stefan Mahlke

Mit Originalbeiträgen von Franziska Badenschier, Dietmar Bartz, Reinhild Benning,
Kathrin Birkel, Stephan Börnecke, Christine Chemnitz, Thomas Fatheuer,
Susanne Gura, Manfred Kriener, Francisco Mari und Keighley McFarland

V. i. S. d. P.: Annette Maennel, Heinrich-Böll-Stiftung

Wir danken Wolfgang Sachs, der uns vor zwei Jahren zu diesem Atlas inspiriert hat.

Produktionsplanung: Elke Paul, Heinrich-Böll-Stiftung
Druck: Druckerei Arnold, Großbeeren
Klimaneutral gedruckt auf 100 % Recyclingpapier.

Dieses Werk steht unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung –
Weitergabe unter gleichen Bedingungen“ (CC-BY-SA). Der Text der Lizenz ist unter
http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode.de abrufbar.
Eine vereinfachende Darstellung ist unter http://creativecommons.org/licenses/
by-sa/3.0/deed.de nachzulesen.

Diese Publikation wurde im Rahmen des EcoFair Trade Dialogue Projekts mit
Mitteln der EU gefördert. Die Inhalte liegen in der alleinigen Verantwortung der
Herausgeber und spiegeln nicht die Sichtweise der EU wider.

Bestell- und Download-Adressen:
Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstr. 8, 10117 Berlin, www.boell.de/fleischatlas
Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland/Versand, Am Köllnischen Park 1,
10179 Berlin, www.bund.net
FLEISCHATLAS Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel 2013 - Auflage - Heinrich-Böll-Stiftung
FLEISCHATLAS
  Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel

                    8. Auflage
                       2014
FLEISCHATLAS Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel 2013 - Auflage - Heinrich-Böll-Stiftung
INHALT
          2 IMPRESSUM                                      14 Exporteure und
                                                              Protektionisten
          6 Intro                                             Einige wenige Länder und Konzerne
                                                              beherrschen den schnell wachsenden
         50 Über uns                                          Weltmarkt für Fleisch. Der globale
                                                              Handel steckt in einer ununterbrochenen
                                                              Folge kleiner und großer Krisen.

                                                           16 Stille Subventionen, verdeckte
                                                              Kosten, offene Rechnungen
                                                              Die Milliardenumsätze der Fleischindustrie
                                                              zeigen nicht, was ihre Produkte wirklich
                                                              kosten. Wer Fleisch isst, zahlt dafür dreimal:
                                                              als Käufer, als Steuerzahler und als Umwelt-
                                                              nutzer, gemeinsam mit der Natur selbst.

                                                           18 Der Speiseplan der
                                                              Mittelschicht
                                                              Der Fleischkonsum ist ungleich über die
                                                              Welt verteilt. In den reichen Ländern
                                                              stagniert er, in den USA geht er sogar zurück.
                                                              Weiterhin essen viele Menschen
                                                              kein Fleisch, weil sie zu arm dafür sind.

                                                           20 Deutsche Konsumenten
                                                              zwischen Massenware, Bio
          8 Wovon wir reden ...                               und Entsagung
            … wenn wir von Fleisch, Fett, Speck, Mett         Für die meisten ist der Sonntagsbraten
            und Wurst sprechen: Viele Bezeichnungen           heute ein Alltagsbraten. Die
            für fleischliche Nahrung in den indo-             großen Lebensmittelskandale haben
            europäischen Sprachen gehen auf Wurzeln           den Ökosektor belebt. Viele
            zurück, die Eigenschaften und Tätigkeiten         Konsumenten sind träge, aber neue
            ausgedrückt haben. Die Verwandten                 Angebote erleichtern den ­Umstieg.
            solcher Wortfamilien sind manchmal kaum
            noch zu erkennen.                              22 Eine Frage der Haltung
                                                              Über Jahrzehnte haben Hühner am meisten
         10 Eine kurze Geschichte des Nein	                   unter Massenhaltung und Qualzucht
            Auf tierische Nahrung zu verzichten, ist          gelitten. Tierschutz wäre für die Geflügel-
            ein uraltes philosophisches und reli­giöses       industrie nur ein Kostenfaktor, wenn
            Gebot. Aus Griechenland, Groß­britannien          empörte Verbraucher nicht ihre Nachfrage
            und Indien kamen wichtige ­Impulse. Im            verändert hätten. Doch noch immer
            Laufe der Zeit wiederholten sich die Motive:      leben die meisten Hühner nicht artgerecht.
            Askese, Ethik, Ökologie.
                                                           24 Artenvielfalt in Gefahr
         12 Neue Methoden, neue                               Überdüngung verschlechtert in allen
            Produzenten                                       Ökosystemen die Lebensbedingungen
            Auf die „Grüne Revolution“ im Getreide-           von Tieren und Pflanzen. Nitrate im
            anbau ist die „Vieh-Revolution“ in der            Grundwasser können zudem Krebs aus-
            Tierhaltung gefolgt. Multis verdrängen die        lösen. In Küstengewässern führen
            kleinen, weniger kapitalstarken Erzeuger          sie zur Bildung von Todeszonen ohne
            und Verarbeiter.                                  Sauerstoff.

4                                                                                             FLEISCHATLAS 2013
FLEISCHATLAS Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel 2013 - Auflage - Heinrich-Böll-Stiftung
26 Industrielle Zuchtlinien statt                   38 Ernten, die im Viehtrog landen
   traditioneller Tierrassen	                          Wiederkäuer und Menschen müssten sich
    Kreuzungen, die auf Hochleistung zielen,           bei der Nahrung nicht in die Quere kommen.
    führen zu genetischer Verarmung. In                Doch immer mehr Fleisch gibt es nur mit
    der Branche nehmen Konzentration und               immer mehr Kraftfutter. Wenn hiesige
    Umsätze zu. Nur noch ganz wenige                   Äcker dazu nicht mehr ausreichen, werden
    Unternehmen bieten für die Massentier-             sie im Ausland besorgt.
    haltung entwickelte Hybrid-Tiere an.
                                                    40 Futtermittel für Milliarden
28 Ein Schlag ins Wasser	                              Ist das Öl aus den gentechnisch veränderten
    Das Wachstum der Weltbevölkerung wird              Sojabohnen gepresst, beginnt die
    die Übernutzung von Flüssen und Seen noch          Verwertung des proteinreichen Mehls.
    verstärken. Nicht der Durst des Viehs sorgt        Als Tierfutter wird es in die fleischhungrigen
    für Probleme, sondern die Bewässerung der          Länder geschafft, um dort vom Vieh
    Futterpflanzen und der Dung aus Massen-            „veredelt“ zu werden. Oder es verwandelt
    tierhaltungen, der in zu hoher Konzentration       sich – mit ­höheren Gewinnspannen
    und samt Antibiotikaresten versickert.             – gleich im Anbauland in Exportfleisch.

30 Mit Vieh, Futter und Dünger                      42 Der Regenwald hat viele Feinde
   in den Klimawandel                                  Auf den abgeholzten Flächen im Amazonas-
    Der Agrarsektor trägt in Deutschland               Becken grasen Rinder. Weil auf den
    offiziell mit sechs bis sieben Prozent             alten Weiden Brasiliens immer mehr Soja
    zur Freisetzung von Treibhausgasen bei.            und Zuckerrohr gepflanzt wird, nimmt
    Aber viele Emissionen, die auf die                 der Druck auf den Wald zu. Doch
    Tierhaltung zurückgehen, bleiben bei               auch Schutzmaßnahmen zeigen Wirkung.
    dieser Rechnung unberücksichtigt.
                                                    44 Trends im Labor und in der Welt
32 Tiermedikamente machen krank                        Warum soll man ein ganzes Hühnchen
    Erst seit kurzem erfassen die Behörden,            mästen, wenn man dann doch nur seine
    wie großzügig dem Groß- und Kleinvieh in           Brust und die Schenkel verspeist? Das
    Deutschland Antibiotika verabreicht                sei absurd, meinte 1931 Winston Churchill,
    werden. Dabei können resistente Bakterien          der spätere britische Premierminister.
    für Menschen lebensgefährlich werden.              Er schlug vor, die leckeren Teile der Tiere
                                                                                                           20 Themen
                                                       separat zu züchten. Tatsächlich tüfteln
34 Wenn Hühnerhaltung                                  seit einigen Jahren Gewebe-Forscher,             und 60 Grafiken
   weiblich ist                                        wie Fleisch im Labor herzustellen sei.            über die Folgen
    Für viele Frauen, die sonst vollständig von        Interessiert daran sind besonders                der industriellen
    den Entscheidungen ihres Mannes abhängig           vegane Aktivisten.                                 Tierhaltung
    wären, eröffnen eigene Hennen, Küken
    und Eier den Weg zu mehr Selbstvertrau-         46 Bewegungen und Kampagnen
    en und Selbstständigkeit. Der Beitrag der          für eine gute Landwirtschaft
    Produzentinnen zur Fleischversorgung wird          ln den Industrieländern nimmt das
    unterschätzt.                                      Unbehagen über Massentierhaltung,
                                                       schlechtes Fleisch und Lebensmittel-
36 Westafrikanische Krisen durch                       skandale zu, während sich in den Schwellen-
   Europas Hühnerfleisch-Reste                         und Entwicklungsländern Landlose
    Seit die Geflügelkonzerne der EU ihre              und Kleinbauern gegen die Interessen der
    Schlachtabfälle nicht mehr zu Tierfutter ver-      Futtermittelindustrie wehren.
    mahlen lassen dürfen, werden sie zu Niedrig-
    preisen in arme Länder exportiert. Dort         48 Autoren uND QUELLEN VON
    zerstören sie die einheimische Wirtschaft.         TEXTEN, KARTEN unD DATEN

FLEISCHATLAS 2013                                                                                                           5
Intro
        Kritische Vielfalt, vielfältige Kritik
        Essen ist nicht nur lebensnotwendig,                  Mit unserem Atlas laden wir Sie zu einer
        sondern besitzt auch eine politische und              Reise um die Welt ein und geben Ein-
        ethische Dimension: Was hat das Schnit-               blicke in globale Zusammenhänge der
        zel auf unserem Teller mit dem Regen-                 Fleischerzeugung. Denn nur informierte
        wald im Amazonas zu tun? Wie werden                   und kritische Bürgerinnen und Konsu-
        die Tiere gehalten, und welche Auswir-                menten treffen richtige Entscheidungen.
        kungen hat Massentierhaltung auf Hun-
        ger und Armut? Wo gibt es bäuerliche                  Barbara Unmüßig                          Hubert Weiger
        Viehzucht, bei der Tiere und Landflä-                 Heinrich-Böll-Stiftung                   Bund für Umwelt und
        chen aufeinander abgestimmt sind?                                                              Naturschutz Deutschland
           Die Antworten stehen nicht auf den
        Verpackungen im Supermarkt. Darum                     Die globalen Ungerechtigkeiten – all­
        wollen Heinrich-Böll-Stiftung und BUND                monatlich das wichtigste Thema in Le
        über die vielfältigen Dimensionen der                 Monde diplomatique – lassen sich an
        Fleischproduktion informieren und Al-                 nichts anderem so deutlich ablesen wie
        ternativen aufzeigen. Dies ist uns umso               am Verbrauch von tierischem Eiweiß.
        wichtiger, je mehr Fleisch aus industriel-
        ler Produktion als scheinbare Billigpro-              Barbara Bauer
        dukte auf den Markt gelangt.                          Le Monde diplomatique

        „       Bei jeder Ernährungsform, die ich bisher
                kennengelernt habe, gibt es Fundis und
        Realos, die die Regeln unterschiedlich streng aus-
                                                              sie ja auch sofort Vegetarier. Selten kommt es vor,
                                                              dass jemand Bienenhonig isst und sich trotzdem
                                                              als Veganer begreift. Aber viele Veganer füttern
        legen. Die Fundis bei der Bio-Ernähung kaufen nur     ihre Katzen mit ganz normalem Katzenfutter,
        in kleinen Bio-Läden ein und achten zusätzlich        während andere das für ein Verbrechen halten,
        noch auf Regionalität und den Anbaubetrieb und        wiederum aber Wurmkuren für Katzen okay fin-
        nehmen sich auch keine Einkaufstüte, sondern          den, während der ganz streng antispeziesistische
        haben selbstverständlich einen Korb mitgebracht.      Flügel schon die Haustierhaltung an sich als Aus-
        Die Realos kaufen ihren Bio-Kram auch schon mal       beutung von Tieren zur Unterhaltung ablehnt.
        im Supermarkt und es mischt sich das eine oder
        andere Nicht-Bio-Produkt darunter. Bei den Vege-
        tariern beginnt das Spektrum bei Leuten, die sich     Karen Duve
        schon als Vegetarier verstehen, obwohl sie sogar      Anständig essen. Ein Selbstversuch
        noch Fisch essen und Weihnachten Muttis Braten        Die Schriftstellerin ist seit der Arbeit an ihrem Erfahrungsbericht über
                                                              verschiedene Arten bewusster Ernährung, der 2011 erschien, Vegetarierin.
        nicht widerstehen können, geht über Leute, die        Sie lebt mit vielen Tieren auf einem Hof in Brandenburg.
        zwar kein Fleisch essen, sich aber nicht daran stö-   2012 erschien ihr Märchenbuch „Grrrimm“ (ebenfalls bei Galiani).

        ren, dass Gelatine in ihren Gummibärchen ist, und
        reicht bis zu den Veganern. Veganer sind in ihrer
        Ernährung alle ziemlich konsequent, sonst wären

6                                                                                                                       FLEISCHATLAS 2013
„        Es ist grotesk, über Welthunger und Er-
         nährung zu reden, ohne die Fleischpro-
duktion anzusprechen. Genauso grotesk ist es,
                                                      die Rede. Bereits der Begriff „Fleischproduktion“
                                                      enthält einen gewissen Euphemismus: Als Produ-
                                                      zent erscheint der Mensch – wobei eigentlich ein
über Klimaschutz zu sprechen, ohne Nichtfleisch-      Tier ein anderes gebiert. Dieser Nachwuchs frisst,
essen auch nur zu erwähnen. Die deutschsprachi-       wächst und wird später getötet. Ebenso schief ist
ge PDF-Version der Agenda 21, die 172 Staaten         der Begriff des Nahrungs-„Lieferanten“, weil das
1992 in Rio de Janeiro unterzeichneten, um darin      Tier weder seinen Körper noch dessen Sekrete ab-
Leitlinien für nachhaltige Entwicklung festzule-      liefert, schon gar nicht freiwillig. Und die meisten
gen, umfasst 361 Seiten. Auf keiner davon wird die    Statistiken geben den Fleischverbrauch ohnehin
Frage des Fleischkonsums berührt, nicht einmal in     in Kilogramm an, nicht in Tieren.
den Kapiteln „Veränderung der Konsumgewohn-
heiten“ oder „Förderung einer nachhaltigen Land-
wirtschaft“. In der Zusammenfassung des Welt-         Hilal Sezgin
agrarberichts von 2010 ist nur eine von 41 Seiten     Der Weltenretter ihr Fleisch
dem Fleischkonsum gewidmet. Sie weigern sich          Die Publizistin ist Veganerin und Muslima. 2011 veröffentlichte sie „Landleben.
                                                      Von einer, die raus zog“ (Dumont). Sie lebt mit vielen Tieren auf einem Hof
geradezu, neuere Phänomene wie die weltweite          in Niedersachsen. Der vorliegende Text basiert auf einem taz-„Schlagloch“
Verbreitung der Massentierhaltung zur Kenntnis        vom 5. Oktober 2011.

zu nehmen. Selbst wenn wir über „Fleischproduk-
tion“ reden, ist ja noch längst nicht von Tieren

                                                                                                                                             Wir machen
                                                                                                                                         Fleisch viel billiger,
                                                                                                                                         als es eigentlich ist
                                                                                                                                            Jonathan Safran
                                                                                                                                             Foer, Autor von
                                                                                                                                              „Tiere essen“

„        Tierisches Eiweiß ist für den Menschen
         sehr gut nutzbar, auch für andere Nähr-
stoffe sind Fleisch und Fisch eine besonders gute
                                                      errationen, die vom Menschen für die Ernährung
                                                      nicht nutzbar sind. Von Verteilungs- und Manage-
                                                      mentproblemen mal ganz abgesehen. Alternativ
Quelle. Alles, was der Mensch braucht, kann er na-    könnte man die Erträge der Flächen womöglich
türlich Pflanzen entnehmen. Es ist, vor allem bei     deutlich steigern, was dann aber wohl bedeuten
veganer Ernährung, aber schwieriger. Und man          würde, dass in noch stärkerem Maße als bislang
braucht so oder so eine ganze Menge hochwerti-        Kunstdünger, Pestizide und nicht zuletzt gene-
gen pflanzlichen Eiweißes, will man es als einzige    tisch manipulierte Pflanzen eingesetzt würden,
Proteinquelle nutzen, die alles ersetzt, was bisher   was ja nun ebenfalls unerwünscht ist.
tierischen Ursprungs war.
    Das lässt schon sehr daran zweifeln, ob die Er-
nährung der gesamten Weltbevölkerung ohne             Heiko Werning
Fleisch und Fisch oder gar auch noch ohne Milch-      Druckerschnitzel und Soja-Felder
produkte möglich wäre, ohne die derzeitigen An-       Der Reptilienforscher, Schriftsteller und Fleischesser lebt mit vielen Tieren in
                                                      Berlin-Wedding. 2011 gab er mit Volker Surmann das Buch „Fruchtfleisch ist auch
bauflächen für hochwertige Nahrungspflanzen           keine Lösung“ (Satyr-Verlag) heraus. Der vorliegende Text basiert auf einem
noch weiter auszubauen. Denn man müsste ja alle       Eintrag in Wernings taz-Blog „Reptilienfonds“ vom 23. August 2012.

Nährstoffe, die derzeit über tierische Produkte
aufgenommen werden, über Pflanzen bereitstel-
len, bei gleichzeitigem Verzicht auf die Tierfutt-

FLEISCHATLAS 2013                                                                                                                                                 7
Wovon wir reden ...
                       ... wenn wir von Fleisch, Fett, Speck, Mett und Wurst sprechen: Viele Bezeichnungen
                       für fleischliche Nahrung in den indoeuropäischen Sprachen gehen auf Wurzeln
                       zurück, die Eigenschaften und Tätigkeiten ausgedrückt haben. Die Verwandten
                       solcher Wortfamilien sind manchmal kaum noch zu erkennen.

                       N
                               ahrungsmittel        sind    Definitionssache.   chisch mazós, „Mutterbrust, Nahrung Gebende“,
                               Fleisch, heißt es im Bundesanzeiger, sind        ihre Verwandtschaft findet. Und selbst das Messer
                               „alle Teile von geschlachteten oder erlegten     ist in der Wortgruppe Nahrung und Essen zu fin-
                       warmblütigen Tieren, die zum Genuss für Men-             den: als *matiz-sahsa war es das „Speise-Schwert“
                       schen bestimmt sind“. Dazu gehören Huftiere,             der Westgermanen.
                       Geflügel und Wildbret. Wurst enthält „schnittfes-             Auch das Wort „roh“ selbst, germanisch *hra-
                       te oder streichfähige Gemenge aus zerkleinertem          wa, hat seine Wurzeln in einem indoeuropäischen
                       Fleisch, Fettgewebe sowie sortenbezogen teilwei-         Nahrungswort: *krowe-o bedeutet „blutig, roh“.
                       se auch Innereien“. Speck ist „das unter der Haut        Die uralte Unterscheidung zwischen ungekoch-
                       des Schweines liegende Fettgewebe“, das, „von            tem und gekochtem Fleisch in den Begriffen
                       Wasser und Eiweiß befreit“, Fett heißt und auch          führte nach mehreren tausend Jahren Sprachver-
                       vom Rind stammen darf. Mett schließlich, weiß            zweigung und -entwicklung beispielsweise zu
                       der Duden, ist gehacktes Fleisch vom Schwein, das        lateinisch crudus, französisch cru, englisch crude
                       roh verzehrt wird. Die Bezeichnungen im Deut-            und deutsch krud, aber auch zu griechisch kréas.
                       schen und in vielen Nachbarsprachen erzählen             Und zu chair, dem lebenden Fleisch der Franzo-
                       Geschichten, hinter denen wiederum uralte Er-            sen, während das tote viande heißt, von den viven-
                       nährungsgewohnheiten erkennbar werden.                   da, den „Lebensmitteln“ der Lateiner – mit ganz
                            Das Wort Fleisch etwa hat seine Bedeutung           entfernten Sprachverwandten wie Zoo, Bio, keck,
                       kontinuierlich erweitert. Heute wird es für das          der letzten Silbe von Amöbe und der mittleren von
                       Fleisch aller Tiere gebraucht, zunächst galt es nur      Hygiene.
                       für Schweinefleisch. Wortspuren in west- und                  Das Wörtchen fett, „sehr beleibt“, aus dem
                       nordgermanischen Sprachen weisen darauf hin,             Niederdeutschen stammend, hat sich erst dank
                       dass es dort noch enger gefasst war: Fleisch war         Martin Luther im Hochdeutschen etabliert – mit
                       „ein Stück Schweinespeck“. Sprachforscher haben          dem Substantiv Fett, das der Sprachforscher Wolf-
                       rekonstruiert (und machen dies immer mit voran-          gang Pfeifer als „organisches, aus Estern des Gly-
                       gestelltem Sternchen kenntlich), dass das Fleisch        zerins und Fettsäuren bestehendes tierisches oder
                       von heute und das *flaiska der Westgermanen bei          pflanzliches Produkt“ definiert. Wie das Wort feist
                       den Ur-Indoeuropäern *ploik-sko „Speckseite, aus-        gehen sie auf germanisch *faita- und indoeuro-
      Das deutsche       genommenes Schwein“ geheißen haben könnte.             päisch *pei-, „fett sein, strotzen“ zurück. Unsicher
                           Dies wiederum führt zum Verb *ple-, „abspal-         sind sich die Etymologen, ob hier nicht auch die
     Wort „Messer“                                                              Wurzel von Speck, germanisch *spiku liegt. Wenn
                           ten, abreißen“, der ältesten seriös begründeten
       stammt vom           Bedeutungsschicht von Fleisch überhaupt.            das anlautende s- fortfällt, lassen sich Verbindun-
    „Speise-Schwert“           Auch das englische flesh gehört hierher.         gen zu Fettwörtern wie altindisch pivas, griechisch
      der Germanen         Seine Bedeutung ist im Laufe der vergangenen         piar und lateinisch pinguis begründen. Pinguine
                         1000 Jahre enger geworden: Ursprünglich be-            aber, auch wenn sie nach ihrer Entdeckung auf
                       zeichnete flesh alle Arten von Nahrungsmitteln,          Deutsch zunächst „Fettgänse“ hießen, erhielten
                       schließlich meinte es nur noch Speisefleisch. Heu-       ihren Namen vermutlich vom pen gwen „weißer
                       te wird es nur noch für lebendes Fleisch verwen-         Kopf“ bretonischer oder walisischer Seefahrer.
                       det. Für totes Fleisch ist seit dem frühen Mittelalter        Die Wurst hat nur ganz wenige, zumeist ent-
                       zunehmend meat zuständig. Seit dem 15. Jahr-             lehnte Verwandte in den Nachbarsprachen. Die
                       hundert kann meat auch Fruchtfleisch bedeuten.           Herkunft des einigermaßen sicheren germani-
                            Meat und sein deutscher Verwandter Mett sind        schen Wortes *wursti- liegt im Dunkeln. Auch der
                       ebenfalls germanischen Ursprungs. *mat- hieß             Bezug zum italienischen buristo, einer Blutwurst,
                       zunächst allgemein „Speise, Essen“. Stärker noch         ist unklar. Dies führte dazu, dass die Brüder Grimm
                       als bei meat auf „Fleisch“ verengte sich die Bedeu-      in ihrem Wörterbuch Wurst für „genuin deutsch“
                       tung der niederdeutschen Variante met, mett zum          hielten. Moderne Sprachforscher halten indoeu-
                       „gehackten Schweinefleisch ohne Speck“. Das              ropäische Ausgangsbedeutungen wie *uers-, „wir-
                       gesamte indoeuropäische Wortfeld geht wohl               ren“, oder *uert, „drehen, biegen“, für möglich.
                       auf *mad- „nass, saftig, (von Fett) triefen“ zurück.     Das Wort kommt auch in einer Redewendung vor,
                       Dazu gehört auch die Mast, die etwa in altindisch        die großen Lohn bei kleiner Mühe ausdrückt: mit
                       medáyati, „macht fett“, lateinisch madere, „zer-         der Wurst nach der Speckseite werfen, die ultimative
                       fließen, überlaufen“, und vielleicht auch in grie-       Metapher für Fleischesser.

8                                                                                                                   FLEISCHATLAS 2013
Ausgewählte „Fleischwörter“ und ihre Verwandten

                                                                      Indoeuropäische Wortwurzeln

                        fit „Wiese“                                      *gwei- „leben“
                                                                         *pei- „fett sein, strotzen“
                       biad „Nahrung“
                                                                         *ple- „abspalten, abreißen“
           altisländ. horund „Fleisch“                                   *kru- „blutig“
                altisl. fla „die Haut abziehen“                          *mad- „nass, saftig“
                                                                         *gwou- „Rind“
                    altisländ. feima „Mädchen“                           *ker- „schneiden“
                                                                         * rekonstruierte Formen

                                                                                                     altschwedisch ko „Kuh“

                                                                                      flik „Riß, Spalte“   fel „Rahm“
                                                                                                   flis „abgeschnittenes Stück“

                                             beef „Rind, Rindfleisch“   altnordisch kvikr „lebendig“                              pisa „Morast“
                altirisch bith „Welt“          fat „Fett“                                                                            pliska „zerlumpter Mensch“
                  altirisch bó „Kuh“           angelsächs. flicce „Speckseite“       fed „fett“                                   guovs „Kuh“
     altirisch ith „*Nahrung, Getreide“            meat „Fleisch“                                                                   pienas „Milch“
    mittelirisch mat „(Mast-)Schwein“
                                                 flesh „Fleisch“ MaatFett
                                                                      „Kamerad, Essensgenosse“
                                                                                                                          gajus „leicht heilend“
                                                                                                                             kraujas „Blut“
                                        vivid „lebendig“               vlees        Mikrobe
                                                                    „Fleisch“ Kuh                                                                  goj „Friede, Heil!“
                                crude „roh“ cow „Kuh“             koe
                                                                             scheren Kruste
                                                                                                                        žit‘ „leben“
                                                                           Mett quick mästen                                                  polt‘ „Speckseite“
                                  kornisch biw                    „Kuh“                                           krew „Blut“
                                      „Hornvieh,                     krud           Fleisch
                                                                                          keck
                                      Lebendvieh“     bœuf           Antibiotikum Speck?                                          slawisch *govedo „Rind“
                                                      „Rind, Ochse“ Flicken „abgetrenntes Stück“                                        ras-platiti „spalten“
                                                                                    feist vital                 pul „halb“
                                            viande „Fleisch“                     Quecke Schur    krv „Blut“ pit‘ „trinken“
                                                                                                                                                   piteti „füttern“

                                            chair „Fleisch“                    Zoo scharf Hygiene
                                                                                 Messer Amphibie
                                                                                                        pol „halb“

                                                   spoller „rauben“
                                                 cru „roh“
                                                                            crudo „roh“                  žiti „leben“                  carne „Fleisch“
                                                                                                                                            crud „roh“
                                                               italienisch carne „Fleisch“
                     carne „Fleisch“                                             crusta „Kruste“
                                                                                                                        krv „Blut“
                espolo „Haut, Fell, erbeutete Rüstung“
     carne                                                            lateinisch carnis „Fleisch“
                                                                                                                             albanisch maim „fett“
                                                                spolium „Haut, Fell, erbeutete Rüstung“
     „Fleisch“                                                                    corium „Balg, Leder“                                 bíos „Leben“
                                                                                 madere „zerfließen, überlaufen“               mazós „Mutterbrust“?
                                                                               bos „Rind“ vivere „leben“                     keiro „ich schneide ab“
                                                                                    crudus „blutend“                    piar „Fett“ bous „Rind, Kuh“
                                                                                          pinguis „fett“                      kréas „Fleisch“
                                                                                                                    spalax „die Erde aufreißend, Maulwurf“
                                                                                                                           hygies „gut lebend, gesund“
                                                                                                                                         zoón „Tier“

FLEISCHATLAS 2013                                                                                                                                                        9
Eine kurze Geschichte des Nein
                                   Auf tierische Nahrung zu verzichten, ist ein uraltes philosophisches und
                                   religiöses Gebot. Aus Griechenland, Großbritannien und Indien kamen wichtige
                                   Impulse. Im Laufe der Zeit wiederholten sich die Motive: Askese, Ethik, Ökologie.

                                   D
                                          er Verzicht auf Fleisch ist keine Erfindung              gewichtigste Loblieb des Vegetarismus. In seiner
                                          der Moderne. Hesiod, Platon und Ovid er-                 Schrift „Über die Enthaltung vom Beseelten“ ver-
                                          wähnten die vegetarische Lebensweise als                 wirft er den Verzehr von Fleisch, weil zum einen
                                   charakteristisch für die frühesten Zeiten. In sei-              empfindsame Tiere zu essen ungerecht sei, aber
                                   ner „Odyssee“ beschrieb Homer die in Nordafri-                  zum anderen deren aufwändige Zubereitung und
                                   ka lebenden Lotophagen, die sich ausschließlich                 Verdauung von den Aufgaben eines genügsamen
                                   von berauschenden Pflanzen ernährten. Diese                     Philosophen ablenke.
                                   „Lotos-Esser“ galten als besonders freundlich und                   Christen – Ordensleute, Einsiedler, aber auch
                                   friedliebend, aber auch als weltfremd und leicht                Angehörige von Erneuerungsbewegungen – üb-
                                   zu täuschen. Für Homer bestand die zivilisierte                 ten die Askese der partiellen oder vollständigen
                                   Menschheit ansonsten aus Sitophagen, „Körner-                   Fleischlosigkeit, um weltliche Begierden abzu-
                                   Essern“; in der griechischen und und auch römi-                 töten. Eier und Milch waren erlaubt; betrieben
     Da Vinci und                    schen Antike verzehrten die Menschen überwie-                 wurde also Ovo-lacto-Vegetarismus. Die Tiere
                                      gend pflanzliche Kost. Völker wie die Skythen                selbst waren zunächst nicht Gegenstand ethischer
  Franklin forderten                   hingegen, denen man nachsagte, sie ernähr-                  Erörterungen. Die Philosophen René Descartes
 eine Tierethik, Kant                  ten sich überwiegend von Fleisch, galten dem                und Immanuel Kant lehnten „humanitäre“ Ver-
    und Descartes                      Geschichtsschreiber Ephoros von Kyme als roh,               pflichtungen gegenüber Tieren ab, der Erfinder
    waren dagegen                     und wo schon Tiere gegessen wurden, mochte                   Leonardo da Vinci und der Staatsmann Benjamin
                                     er auch Menschenfresserei nicht ausschließen.                 Franklin befürworten sie hingegen.
                                        Auf Pythagoras (ca. 570–510 v. Chr.) gehen                     Als früher Tierrechtler gilt der englische Kauf-
                                   erste Vorschriften für eine vegetarische Lebens-                mann und Autor Thomas Tryon (1634–1703). In
                                   haltung zurück. Denn der Philosoph glaubte an                   seinen zahlreichen, auch von Pythagoras und vom
                                   die Seelenwanderung, die alles Lebende mitein-                  Hinduismus beeinflussten Büchern setzte er sich
                                   ander verband. Auch Eier, die den Keim des Le-                  nicht nur für den Pazifismus unter den Menschen,
                                   bens in sich trugen, waren deshalb tabu. Pytha-                 sondern auch für Gewaltlosigkeit gegenüber al-
                                   goras verwies auf das Gerechtigkeitsempfinden                   len Arten von Tieren ein. Zum ersten Mal in Eu-
                                   gegenüber Tieren, forderte die Charakterbildung                 ropa wurde indisches Gedankengut zum Thema
                                   durch Askese und wandte sich auch aus medizini-                 Vegetarismus aufgegriffen. Tryon verknüpfte sei-
                                   schen Gründen gegen den Fleischverzehr, etwa                    ne Haltung mit ökologischen Forderungen: Ver-
                                   weil er Epilepsie hervorrufe.                                   schmutzte Flüsse müssten wieder sauber werden,
                                        Im Römischen Reich verbreitete der in Klein-               und das Abholzen von Wäldern sei zu beenden.
                                   asien lebende Apollonius von Tyana die Idee des                     Von England ausgehend, bildeten sich im
                                   Fleischverzichts. Der Philosoph, ein allererster Ve-            19. Jahrhundert in vielen Ländern Vegetarier-
                                   ganer, prangerte Tieropfer an, und nicht einmal                 Clubs und -verbände; auch der Begriff selbst
                                   Leder und Fell kamen für ihn als Kleidung in Frage.             entstand zu dieser Zeit. Von den Folgen der in-
                                   Der Gelehrte Porphyrios schließlich hinterließ das              dustriellen Revolution, der Proletarisierung und

Vegetarier – relativ und absolut

     USA                       4                Selbstbezeichnung als Vegetarier oder Veganer, in Prozent der Bevölkerung
                                     7
                                                                                                                                 Männer
                         2
                                                                                                                                 Frauen
     Deutschland    1                                                                                                            Männer und Frauen
                         2,2                                                                                                     Veganer (Männer und Frauen)
                   0,1                                                                                                         * 2012, lt. Vegetarierbund

                                         8,5*
     Indien                                                                           31

     USA                           15           Millionen Vegetarier
     Deutschland   1,5 7*
     Indien

10                                                                                                                                         FLEISCHATLAS 2013
Verstädterung abgestoßen, bildeten die Vegeta-                      Fleischindustrie am Ende
rier zunächst eine romantische Opposition; Dich-
ter wie Shelley, Shaw und Tolstoi schlossen sich                     Gutes Ansehen von Wirtschaftszweigen bei Konsumenten, 2008, in Prozent

                                                                                                                                                                       Albersmeier/Spiller
ihr an. Neben der Zivilisationskritik bildeten sich                     90
auch asketische und tierschützende Strömungen                           80

– etwa gegen Versuche am lebenden Tier – her-                           70

aus. Die Vielschichtigkeit der Bewegung zeigte                          60           71                                 67                   66
sich in der 1900 gegründeten Siedlung Monte                             50
                                                                                                59
                                                                        40                                   54                                          50
Verità im Tessin, die Anthropo- und Theosophen,
                                                                        30
Pazifisten und Anarchisten, Frauenrechtlerinnen
                                                                        20
und Lebensreformer anzog. Bürgerlich-religiöse
                                                                        10
Kreise ließen sich vom Arzt und Theologen Albert
                                                                         0
Schweitzer und seiner Devise „Ehrfurcht vor dem                                   Automobil    Bauen       Chemie     Süßwaren              Milch      Fleisch
Leben“ beeinflussen.
    In Deutschland gelang nach der NS-Zeit nur
langsam eine Wiederbelebung des Vegetarismus,                       Ausgewählte Lebensmittelskandale seit 1985
der sich als anfällig für antimoderne, völkische
und rassistische Theorien erwiesen hatte und zeit-                             1985: Nudeln sind mit Hühnerkot, Kükenembryonen und Bakterien verunreinigt
weilig zur nationalsozialistischen Modeerschei-
                                                                       1987: Nematoden-Larven finden sich in Seefischen
nung wurde. Positiv wirkte Mahatma Gandhi,
                                                                             1989: Listeriose-Bakterien werden in deutschen Leberpasteten nachgewiesen
Führungsfigur im antikolonialen Kampf, der ne-
ben gewaltlosen Protesten eine fleischlose Ernäh-                        1994: Verdachtsfälle von BSE-kranken Rindern häufen sich auch
                                                                         in Deutschland. Die Veterinärmedizinerin Margrit Herbst beklagt
rung vorlebte. Indische Lebensweisen und Hal-                            im TV die Weiterverarbeitung von BSE-verdächtigen Rindern und
tungen beeinflussten in den 1960er und 1970er                            wird entlassen (Rehabilitation 1997)
Jahren die Jugendbewegungen in vielen Ländern.                                  1996: Freiland-Eier enthalten Rückstände des krebsver-
    Die Tierrechtsbewegung und der Veganismus                                   dächtigen Tierarzneimittels Ronidazol und von Nikotin
zählen zu den jüngsten Strömungen, für die der                        1996: Die britische Regierung bestätigt, dass junge Menschen nach dem Verzehr
Verzicht auf den Verzehr von Fleisch essenziell ist.                  von BSE-Rindfleisch an einer Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit starben
Die Tierrechtsbewegung sieht Menschen und Tie-                                                       1999: Dioxin-Skandal in Belgien: Mit Industrie-Altöl versetztes
                                                                                                     Tierfutter sorgt für Verkaufsverbote und Importstopps
re als gleichwertige Teile einer gemeinsamen Ge-
                                                                       um 2000: Massennotschlachtungen BSE-erkrankter Rinder
sellschaft; sie lehnt Nutzung und Ausbeutung ab.
Aktivisten der Bewegung bezeichnen die Tötung                           2000/01: Erster amtlicher BSE-Fall in Deutschland. Immer mehr erkrankte Rinder
                                                                        werden entdeckt, zur Vorsorge ganze Herden per „Massennotschlachtung“ gekeult
von Tieren als Mord. Umstritten innerhalb der
                                                                              2001: Schweinemast-Skandal: Deutsche Tierärzte verkauften Tonnen
Bewegung ist der Holocaust-Vergleich, den die                                 illegaler Hormone, Antibiotika und Impfstoffe an Schweinezuchtbetriebe
durch ihre Antipelzkampagnen bekannt gewor-
                                                                                          2001: Medienberichten zufolge strecken Fleischhersteller
dene Organisation Peta verwendet hat. Der Ve-                                             Kochschinken und Schnitzel heimlich mit Wasser
ganismus führt ethische, aber auch ökologische                                       2002: Nach Geflügel aus Brasilien ist auch Fleisch aus
und globalisierungskritische Argumente ins Feld.                                     Thailand mit dem Antibiotikum Nitrofuran belastet
Er wurzelt im Vegetarismus, lehnt aber nicht nur                         2002: Das verbotene und Krebs erregende Unkrautvernichtungsmittel
tierische Lebensmittel ab, sondern auch die Ver-                         Nitrofen, in Öko-Getreide nachgewiesen, gelangt in Geflügelfleisch und Eier
wendung tierischer Produkte wie Wolle und Le-                                                     2002: Mit synthetischen Hormonen gemästete Schweine
der und solche mit tierischen Bestandteilen, etwa                                                 aus den Niederlanden werden in Deutschland verkauft
Kosmetika. Veganismus wird seit einiger Zeit in                        2002: Hähnchen-Nuggets im Supermarkt enthalten Nitrofuran
den Industrieländern zunehmend als Lifestyle ak-                                 ab 2005: Die Gammelfleisch-Skandale beginnen. 1500 Tonnen umetikettier-
zeptiert.                                                                        tes, überlagertes und ungenießbares Fleisch werden entdeckt. Das Zehnfache
                                                                                 sei möglich, meint die Bundesvereinigung der Ernährungswirtschaft
                                                                      2006 Die Vogelgrippe verbreitet sich über die ganze Welt
                                                                                                     2008 Irisches Schweinefleisch ist mit Dioxin vergiftet

                                                                             2009/10 Listeriose-Bakterien in österreichischem Käse führen zum Tod mehrerer
                                                                             Menschen; die Produkte werden erst spät aus deutschen Supermärkten entfernt
                                                 Gallup, NVS, SNS

                                                                     2010 Das Fernsehen berichtet über „Klebefleisch“, zu Schinken zusammengesetzte Fleischteile

                                                                         2010 Dioxin aus verseuchtem ukrainischen „Bio-Mais“ zur Tierfütterung, in Bio-
                                                                         Eiern und Fleisch nachgewiesen, lässt den Umsatz von Biohöfen zusammenbrechen

                                                                      2011 Dioxin aus Abfallfetten findet sich in konventionellem Tier-
                                                                      futter aus Niedersachsen – über 5000 Höfe werden geschlossen

                                                                                     2012: In Geflügelfleisch werden Antibiotika-resistente Bakterien nachgewiesen

                                                                       2012 Der größte deutsche Geflügelproduzent gerät wegen erheblicher
                                           375                         Hygienemängel in die Kritik. Als Wiesenhof zum Trikotsponsor von Werder
                                                                       Bremen wird, löst dies unter Fußballfans einen Shitstorm aus

FLEISCHATLAS 2013                                                                                                                                                                  11
Neue Methoden, neue Produzenten
                       Auf die „Grüne Revolution“ im Getreideanbau ist die „Vieh-Revolution“
                       in der Tierhaltung gefolgt. Multis verdrängen die kleinen, weniger kapitalstarken
                       Erzeuger und Verarbeiter.

                       I
                           n den vergangenen fünfzig Jahren hat sich die       Seither zahlt die Europäische Gemeinschaft bzw.
                           Art und Weise der Fleischproduktion grundle-        Union für industrielle Fleischerzeugung jährlich
                           gend geändert. In Europa wurde noch in den          Beihilfen in Milliardenhöhe.
                       1960er Jahren ein großer Teil der Tiere in mittle-          Die Produktion von Fleisch ist also verhält-
                       ren bis kleinen Herden gehalten. Selbst gemähtes        nismäßig billig – wenn die ökologischen, sozialen
                       Heu und selbst angebautes Getreide dienten als          und ethischen Aspekte der Massentierhaltung
                       Futter, im Sommer standen viele der Tiere auf der       ausgeklammert bleiben. Private und öffentliche
                       Weide. Geschlachtet und gewurstet wurde am              Standards richten nun die Viehhaltung an den
                       Hof oder in der nah gelegenen Schlachterei; die       Anforderungen der globalen Produktionskette
                       Fleisch- und Wurstproduktion war lokal und re-        aus – für die Tiere endet das meist, in Scheiben
                       gional verankert. Die Landwirtschaft brauchte die     geschnitten und in Plastik verpackt, im Kühlregal
                       Tierhaltung vor allem, um die Flächen nutzen zu       einer der mächtigen Supermarktketten oder eines
                       können, die sich wegen schlechterer Bodenqua-         der Discounter, die den Lebensmittelmarkt der
                       lität oder der topografischen Lage nicht für den      Industrie­länder unter sich aufgeteilt haben.
                       Ackerbau eigneten.                                          Industrielle Produktionssysteme verdrän-
                            Heute gehört die Tier- und Fleischprodukti-      gen in den Industrieländern die bäuerliche Tier-
                       on zu den profitabelsten Zweigen der Landwirt-        haltung, vor allem die der Masthühnchen und
                       schaft und trägt 40 Prozent zum Gesamtwert der        Schweine. Nicht nur die niedrigen Preise auf dem
                       weltweiten Agrarproduktion bei, in den Industrie­     Markt, auch die streng ausgelegten Hygiene­
                       ländern sogar mehr als die Hälfte. Eingegliedert      bestimmungen und die wirtschaftliche Konzent-
                       in globale Produktionsketten, werden die Tiere        ration auf einige wenige Großabnehmer machen
                       eher in Fabriken als in Bauernhöfen gehalten          sowohl den bäuerlichen Betrieben als auch den
                       und liefern riesige Mengen Fleisch für die globale    kleinen Schlachtereien das Überleben schwer.
                       Mittel- und Oberschicht. Die Haltung von 40.000             Trotz der gigantischen Produktion ist die
                       Hühnern oder 2.000 Schweinen unter einem Dach         ­industrielle Tierhaltung auf wenige Länder, auf
                       ist nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel.        wenige Tierarten und auf wenige Unternehmen
                       Und geschlachtet wird im Sekundentakt. Im nie-         weltweit beschränkt. Die USA, Brasilien und Chi-
                       dersächsischen Wietze, dem größten Geflügel-           na gehören zu den größten Produzenten von
                       schlachthof Europas, sind es 27.000 Tiere in der       ­Schweine-, Rind- und Geflügelfleisch und tragen
                         Stunde, 135 Millionen im Jahr.                        als Dreiergruppe in jeder dieser Tierarten zwi-
   Fleisch, Dünger,            Die UN-Agrarorganisation FAO wählte für         schen 43 und 59 Prozent zur weltweiten Produk-
  Zugkraft – Afrikas       diese Entwicklung der Fleischindustrie vor          tion bei. Neben den neuen Wirtschaftsmächten
 Kleinbauern nutzen         einigen Jahren den Begriff der livestock revo-     China und Brasilien und dem klassischen Agrar-
   ihre Tiere noch         lution, der „Vieh-Revolution“. Angelehnt ist        land Argentinien befinden sich unter den großen
                           das Wort an die „Grüne Revolution“. Damit ist       Fleischproduzenten fast ausschließlich Industri-
       vielfältig
                         der Weg zur Hochleistungs- und Hochertrags-           eländer. Das zeigt, wie stark die industrielle Tier-
                       landwirtschaft seit den 1960er Jahren gemeint,          haltung durch kapitalintensive Technologien ge-
                       der durch den schnell zunehmenden Einsatz von           prägt ist.
                       Düngemitteln, Pestiziden, Bewässerungssyste-                Die Zahl der Schweine und Hühner wird auch
                       men und Maschinen die Erträge aus dem Acker-            künftig vor allem in China und dem gesamten ost-
                       bau stark gesteigert hat.                               und südostasiatischen Wachstumsraum zuneh-
                            Diese Steigerungen in der Fleischproduktion        men. Lediglich in den armen Staaten Subsahara-Af-
                       wurden durch das Zusammenspiel unterschied-             rikas spielt die Tierhaltung noch eine grundlegend
                       licher Faktoren möglich. Zum einen war die Zeit         andere Rolle. In integrierten kleinbäuerlichen
                       der achtziger und neunziger Jahre und der Be-           Produktionssystemen, also in Kombinationen von
                       ginn des neuen Jahrtausends geprägt durch eine          Tierhaltung und Ackerbau, tragen die Tiere zu ei-
                       weitreichende Liberalisierung der Agrarmärkte.          ner differenzierten landwirtschaftlichen Produk-
                       Damit begann ein neuer globaler Handel mit Ag-          tion bei. Neben dem Verzehr des Fleisches spielen
                       rarprodukten und Futtermitteln, die in dieser Zeit      auch andere Nutzungen wie die Verwendung
                       stark subventioniert und damit billig waren. Hin-       des Kots der Tiere als Dünger oder ihre Kraft als
                       zu kamen neue Technologien in der Tierzucht, der        Zug- und Transporttiere eine wichtige Rolle, die
                       Tierhaltung, der Schlachtung, der Kühlung, im           sich auch in ihrer großen kulturellen Bedeutung
                       Transport – und billiges Öl für Dünger und Diesel.      äußert.

12                                                                                                                FLEISCHATLAS 2013
die weltweite Produktion der wichtigsten tierischen Nahrungsmittel

                                                                                                                                                                                                                        FAOSTAT
  in Millionen Tonnen, 2011                                                                                     unter 1     1–10           10–50         50–100              über 100

                                               23                                                                                                                     8
        10                                    EU-27
                                                                                              52                            12                                   EU-27
        USA                                                                                                                 USA
                                                                                           china
                          Schwein                                                                                                         Rind, büffel

                                                                                                                                           9
                                                                                                                                        brasilien

                                                       12                                                                                                             7
                                                   EU-27                                                                                                             EU-27
        20                                                                                   17                                    5                                                             24
        USA                                                                             china                                     USA                                                            china
                          Geflügel                                                                                                               Eier

                     11                                                                                                                    2
               brasilien                                                                                                                brasilien

                                                   1                                                                                                           150
                                              EU-27
                                                                                             4                              89                             EU-27
                                                                                                                           USA
                                                                                1       china                                                                                           53
                     Schaf, ziege                                             Indien                                                           Milch                                   Indien

                                                                                                       1
                                                                                                   Australien

kleine Tiere in großen Massen – Geflügel im Steigflug                                              Stabilitätsversprechen – nur ohne Spekulanten

  Erzeugung, Trends und                                                                              Reale Fleischpreise, Trends und Prognosen,
                                                                                                                                                                                                                       OECD/FAO
                                                                                       OECD/FAO

                                        Rindfleisch                Geflügelfleisch                                                                                             Rindfleisch          Geflügelfleisch
  Prognosen, in Mio. Tonnen             Schweinefleisch            Schaffleisch                      in US-Dollar pro Tonne                                                    Schweinefleisch      Schaffleisch
  140                                                                                                 5000

  120
                                                                                                      4000
  100
  80                                                                                                  3000

  60                                                                                                  2000
  40
                                                                                                      1000
  20
   0                                                                                                       0
    1995      1999        2003   2007       2011            2015       2019     2021                           1991       1996            2001          2006                 2011            2016               2021

fLEIScHATLAS 2013                                                                                                                                                                                                      13
Exporteure und Protektionisten
                                   Einige wenige Länder und Konzerne beherrschen den schnell wachsenden
                                   Weltmarkt für Fleisch. Der globale Handel steckt in einer ununterbrochenen
                                   Folge kleiner und großer Krisen.

                                   G
                                           eflügelfleisch, Rindfleisch und Schwei-               der internationale Fleischhandel kontinuierlich
                                           nefleisch sind die drei hauptsächlichen               um 2 Prozent pro Jahr steigt, während die Produk-
                                           Fleisch­arten, die auf dem Weltmarkt ge-              tion um 1 Prozent zunimmt.
                                   handelt werden. Unterschiedlich verpackt, gefro-                  Die meisten Industrieländer exportieren
                                   ren und zerkleinert, müssen sie Zölle überwinden,             Fleisch. Japan ist eine große Ausnahme: Das Land
                                   Quoten und Hygienestandards erfüllen, die für                 ist weltweit der größte Importeur. Auch Russland
                                   den internationalen Handel mit Fleisch erlassen               führt viel Fleisch ein, versucht aber im Gegensatz
                                   wurden und den wohlhabenderen Ländern hel-                    zu Japan, die eigene Produktion auszuweiten und
                                   fen, die eigene Fleischproduktion zu schützen.                unabhängiger von Importen zu werden. Abge-
                                       Nur ein Zehntel des weltweit produzierten                 sehen von Zollbestimmungen und Quotenrege-
                                   Fleischs wird gehandelt, und doch trägt der finan-            lungen führen die Tiergesundheits- und Hygie-
                                   zielle Wert der Produkte mehr als 17 Prozent zum              nestandards immer wieder dazu, dass das Fleisch
                                   Gesamtwert des internationalen Agrarhandels                   aus verschiedenen Ländern der Europäischen
                                     bei, zu dem etwa auch Getreide oder Baumwol-                Union und aus den USA nicht nach Russland ein-
     Oft ist unklar,                  le gehört. Damit ist der Fleischhandel ein luk-            geführt werden darf. Diese Verbote lösten bereits
  ob die Gesetze den                   rativer Markt. Welche Länder sich beteiligen              mehrmals Konflikte aus, die die bilateralen Bezie-
  Viehbauern, Multis                   können, hängt nicht davon ab, welches die                 hungen belasteten. So legte 2006 Polen ein Veto
  oder Konsumenten                     größten Weiden oder das beste Futter für die              gegen die Verhandlungen für ein neues Partner-
                                      Tiere hat. Maßgeblich ist, wer kontinuierlich              schaftsabkommen mit Russland ein, solange der
         helfen
                                     große Mengen an Fleisch liefern kann, verhält-              Streit über polnische Fleischexporte in den Osten
                                   nismäßig geringe Löhne für die in der Mast und                nicht geklärt sei.
                                   Schlachtung Beschäftigten zahlt, wer günstige                     Ähnliche Spannungen gab es zwischen der EU
                                   Futtermittel bekommt und den Tiergesundheits-                 und den USA. Die nordamerikanische Fleischin-
                                   und Hygienestandards der jeweiligen Handels-                  dustrie setzt wachstumsfördernde Hormone ein,
                                   partner entsprechen kann.                                     die die europäischen Konsumenten nicht möch-
                                       Das sind nicht viele Länder: Die USA und Kana-            ten. Das gemeinsame Wirtschaftsrecht der Welt-
                                   da, Brasilien und Argentinien, die EU und Austra-             handelsorganisation WTO verbietet es der EU
                                   lien sind die größten Fleischexporteure der Welt.             aber, den Import von hormonbehandeltem Rind-
                                   Der Handel von Fleisch nimmt zu – angetrieben                 fleisch zu beschränken. Um einem Handelsstreit
                                   von der immer höheren Nachfrage in vielen Ent-                mit den USA aus dem Weg zu gehen, hat die EU
                                   wicklungs- und Schwellenländern. Allein zwi-                  nun eine spezielle Quote für die USA und Kanada
                                   schen 1990 und 2003 wuchs der Im- und Export                  eingerichtet: „Hochwertiges Rindfleisch“, Fleisch
                                   von Geflügelfleisch jährlich um etwa 10 Prozent,              von Rindern also, die ohne Hormone gemästet
                                   der von Schweinefleisch um 6 Prozent. Dieser                  wurden, darf zollfrei in die EU importiert werden.
                                   Trend wird sich so rasant nicht fortsetzen, aber die              Die strikten Standards für Tiergesundheit und
                                   UN-Agrarorganisation FAO geht davon aus, dass                 die Handelsbeschränkungen, die damit einherge-

Welt-Fleischpreise im Vergleich                                                 Lebensmittelpreise im Vergleich

 Indices, 2002–2004 = 100                                                        Indices, 2002–2004 = 100
                                                                                                                                                        FAO
                                                                          FAO

                                                                                                                                                        FAO

     220                                                                            220

     190                                                                            190

     160                                                                            160

     130                                                Rindfleisch                 130                                           Fleisch-Index
                                                        Schweinefleisch                                                           Milchprodukte-Index
                                                        Geflügelfleisch                                                           Lebensmittel-Index
     100                                                Schaffleisch                100

      70                                                                             70
           2006   2008      2009       2010     2011     2012                             2006    2008      2009   2010    2011       2012

14                                                                                                                                     FLEISCHATLAS 2013
Produktion                                           Handel                                                     Eigenverbrauch und Handel                                Verbrauch

  Welt, Prognose 2012,                                  Welt, Prognose 2012,                                       Welt, Prognose 2012,                                      Welt, Prognose 2012,

                                          FAO

                                                                                                  FAO

                                                                                                                                                             FAO

                                                                                                                                                                                                                      FAO
  in Millionen Tonnen                                   in Millionen Tonnen                                        in Prozent                                                kg pro Kopf

                13,9                                                     0,8                                                       10
                           66,8                                                      8,0
                                                                 7,4                                                                                                                   32,7

        110,8      301,8                                                     29,4                                                       100                                                    42,5

                        104,5                                                13,0                                                       90                                                         79,0

                                                                                                                                                                                 Entwicklungs- und Schwellenländer
     Schweinefleisch         Geflügelfleisch                Schweinefleisch         Geflügelfleisch                                                                              Industrieländer
     Rindfleisch    Schaffleisch    andere                  Rindfleisch    Schaffleisch    andere                         Verbrauch       Export                                 Welt (gewichteter Durchschnitt)

hen, haben ihren Ursprung in der Angst vor Seu-                                          Fleisch unter einem Dach abwickeln. Ihre Gewin-
chen. BSE, der „Rinderwahnsinn“, hat den Handel                                          ne maximieren sie durch globale Vernetzung und
mit Rindfleischprodukten aus Großbritannien                                              Marktkenntnis, indem sie die kulturell und sozial
in den späten neunziger Jahren abrupt beendet.                                           bedingten Essgewohnheiten und -moden in der
Auch die Maul- und Klauenseuche und die Vo-                                              ganzen Welt ausnutzen.
gelgrippe stoppten den Fleischexport aus vielen                                              So essen viele US- und deutsche Konsumen-
Ländern. Millionen Tiere wurden geschlachtet,                                            ten gerne das weiße Brustfleisch des Geflügels
um die Seuchen zu bekämpfen; der ökonomische                                             und sind bereit, einen relativ hohen Preis für das
Schaden für die Fleischindustrie war immens.                                             Brustfilet zu zahlen. Die restlichen Teile des Hühn-
    Diese besteht aus wenigen multinationalen                                            chens werden dann oft preisgünstig in die Länder
Konzernen, die den Fleischmarkt dominieren.                                              verkauft, in denen die Konsumenten alle Teile des
Diese Firmen importieren Fleisch in ihre Heimat-                                         Masthähnchens essen. Auf diese Weise zerstörten
länder und handeln rund um die Welt. Von den                                             in den neunziger Jahren europäische Billigexpor-
zehn größten Fleischhändlern der Welt haben                                              te die Geflügelproduktion im westafrikanischen
sieben ihren Hauptfirmensitz in den USA. Ihre Ef-                                        Ghana – anders als etwa Russland hatte es keine
fizienz beruht darauf, dass sie Futtermittelhandel,                                      Chance, sich mit protektionistischen Bestimmun-
Tierproduktion, Schlachtung und den Handel mit                                           gen zu schützen.

Sechs Monate Fleischpolitik

  Eine Auswahl von Mai bis Oktober 2012

                                                                                                                                   Russland: Quoten und Importzölle werden wegen WTO-Auflagen geändert
    EU: Nach acht Jahren Embargo wegen der Vogelgrippe darf thailändisches Hühnerfleisch wieder importiert werden
                                                                                                                            Russland: US-Schweinefleisch wird nach Listeria- und Antibiotika-Funden stärker kontrolliert
          EU: Mehr hochwertiges Rindfleisch darf ohne Einfuhrgebühren importiert werden
                                                                                                 Russland: Zuschüsse für die Geflügelindustrie fallen weg, um der Welthandelsorganisation WTO beitreten zu können

                                                                                                        Ukraine: Importverbot für chinesisches Geflügel wegen Geflügelpest
   USA: Zuschüsse, um Geflügelfarmer in 22 Bundesländern zu unterstützen                                      Ukraine: Züchter erhalten Kompensationen nach einem Ausbruch des Afrikanischen Schweinefiebers
  USA: Das Wachstumshormon Ractopamin erhält einen Grenzwert; in der EU und China vollständig verboten
                                                                                                                    Japan: Importbeschränkungen für brasilianisches Schweinefleisch wegen Maul- und Klauenseuche
                                                                                                                          China: Einige Sorten Frischfleisch und Eierprodukte erhalten Mehrwertsteuerbefreiung

                                                                                                                                        Korea: Vermarktungshilfen gegen den Preisverfall bei Rindern und Schweinen
                                                                Kirgistan: Importverbot für irisches Geflügel wegen Geflügelpest

                                                                                                        Philippinen: Importverbot für Geflügel aus der Gegend um Utrecht wegen einer Influenza-Erkrankung (LPAI)
                                                                                                                              Fidschi: Verbietet den Import brasilianischen Geflügels wegen verkeimter Verpackungen
  Brasilien: Beschwerde bei der WTO gegen südafrikanische Anti-Dumping-Zuschläge auf brasilianische Hühnchen
                                                                                                                               Indonesien: Zuschüsse an Züchter, um ab 2014 keine Rinder mehr zu importieren
          Brasilien: Der Staat kauft wieder inländische Schweine zum Garantiepreis auf
                                                                                                                      Hongkong: Vogelgrippe keine Gefahr mehr; Geflügel aus der VR China darf wieder importiert werden

                                                           Saudi-Arabien: Exportverbote, um Proteste gegen schnell steigende Hühnerfleisch-Preise zu besänftigen
                                                                 Algerien: Mehrwertsteuern und Zölle auf Geflügel entfallen
                                                              Libyen: Rinderwahn nach neun Jahren keine Gefahr mehr; kanadische Rinder dürfen wieder importiert werden

                                                                                                                            Oman: Vogelgrippe keine Gefahr mehr, indische Geflügelimporte wieder erlaubt

   Argentinien: Beschwerde bei der WTO gegen Importrestriktionen der USA: Hygienebedenken seien vorgeschoben
       Argentinien: Importbann für brasilianische Schweine wird aufgehoben
                                                                                                                                                                                                                      FAO

FLEISCHATLAS 2013                                                                                                                                                                                                      15
Stille Subventionen, verdeckte
Kosten, offene Rechnungen
                                Die Milliardenumsätze der Fleischindustrie zeigen nicht, was ihre Produkte
                                wirklich kosten. Wer Fleisch isst, zahlt dafür dreimal: als Käufer,
                                als Steuerzahler und als Umweltnutzer, gemeinsam mit der Natur selbst.

                               R
                                       und 1,3 Milliarden Menschen weltweit le-        Gruppe. Die Nippon Meat Packers schließlich ste-
                                       ben von der Viehzucht. Die Mehrheit von         hen für Japan, den weltgrößten Fleischimporteur.
                                       ihnen lebt in Ländern des Südens; sie halten        Die gewaltigen Gewinne dieser Firmen beru-
                                einige Haustiere, meist Hühner, manchmal Rin-          hen nicht nur auf Eigenleistung, sondern auch
                                der oder Schweine. In den Industrie- und Schwel-       auf den Umweltschäden durch Tierhaltung und
                                lenländern hingegen sinkt die Zahl der Tierhalter,     Futtergetreide sowie auf staatlichen Beihilfen.
                                  die Branche industrialisiert sich, die Umsätze der   Eine ökologische und ökonomische Gesamt­
   Ökologen wollen                  Fleischmultis wachsen.                             bilanz der Branche steht aus. Aber ihre Umrisse
  die Subventionen                      Die Konzerne in den USA, die den hei-          sind erkennbar. Drei Rechnungen werden beim
     umverteilen,                    mischen Markt versorgen, haben große              Kauf tierischer Lebensmittel ausgestellt: eine dem
  Freihändler wollen                 Anteile an eine Gruppe neuer Konkurren-           Konsumenten, eine dem Steuerzahler und eine
                                    ten abgegeben. Die Liste der zehn größten          der Natur. Die erste dient einem einzelnen Käufer
    sie streichen
                                  Fleischerzeuger wird inzwischen von einem            für seine Preisvergleiche, die zweite und die dritte
                                Unternehmen aus Brasilien angeführt, JBS mit ei-       stellen verdeckte Subventionen für die Hersteller
                                nem Umsatz von 35 Milliarden Dollar. 2011 gin-         und Händler dar.
                                gen auch die Plätze 3 und 5 aus diesen Top Ten in          Die Kosten, die die Umwelt zu tragen hat, sind
                                das südamerikanische Land. Je drei Firmen stam-        wahrscheinlich die höchsten, doch sie sind nur
                                men aus den USA und der EU mit ihren großen            schwer zu berechnen. Dazu gehören die Schäden
                                Binnenmärkten, darunter die deutsche Tönnies-          aus Massentierhaltung, die zur Überdüngung
                                                                                       führen, nicht nur durch die Gülle, sondern auch
                                                                                       durch die mineralische Düngung von Futtermais
Geld vom Staat (1) – Anteil der Zuschüsse an den Erzeugererlösen                       und -getreide. Wenn sich die Trinkwasserquali-
                                                                                       tät eines Brunnens wegen hoher Nitratbelastung
 Industrieländer (OECD-Mitglieder), in Prozent                                         allmählich verschlechtert, sind die Kosten nur
                                                                                OECD

                                                                                       schwer zu berechnen – sie werden erst erkennbar,
     50
                            1995–1997
                                                                                       wenn der Brunnen geschlossen werden und die
                            2009–2011                                                  betroffene Gemeinde ihr Trinkwasser von weit her
     45                                                                                holen muss. Externalisierte Kosten – solche, die
                                                                                       nicht in den Preis eines Produkts eingehen – ent-
     40                                                                                stehen auch, wenn der Boden als Filter von Regen-
                                                                                       wasser wegen Überdüngung an Leistungskraft
     35
                                                                                       verliert, die Erosion fruchtbare Erde fortträgt, die
                                                                                       Artenvielfalt in den Gewässern zurückgeht und
                                                                                       am Ende Fischer und Touristen unter Algenteppi-
     30
                                                                                       chen leiden. Massive Konsequenzen für die Men-
                                                                                       schen liegen noch weiter von der eigentlichen
     25
                                                                                       Ursache entfernt: Die Abgabe von Amoniak aus
                                                                                       Intensivtierhaltungen in die Atmosphäre trägt
     20                                                                                zum Klimawandel bei, erhöht das Krebsrisiko und
                                                                                       verkürzt die Lebensdauer.
     15                                                                                    In Deutschland geht ein Fünftel dieser Stick-
                                                                                       stofffracht im Agrarsektor allein auf Tierfutter­
     10
                                                                                       importe zurück. In der europäischen Land-
                                                                                       wirtschaft, schätzte im Jahr 2011 das European
                                                                                       Nitrogen Assessment, liegen die Schäden durch
      5
                                                                                       den Einsatz von Nitrodüngern bei 70 bis 320 Milli-
                                                                                       arden Euro. Die Studie schlussfolgerte: Die Kosten
     0
           Geflügel   Rind u. Kalb     Schaf     Schwein   Milch       Eier            für den Stickstoff, der in die Umwelt abgegeben
                                                                                       wird, wiegen schwerer als die positiven Ergebnis-
                                                                                       se wie höhere Erträge, hauptsächlich wegen der

16                                                                                                                         FLEISCHATLAS 2013
Geld vom Staat (2) – direkte zuschüsse für tierische Erzeugnisse und futtermittel

  Industrieländer (OECD-Mitglieder), Schätzung für 2009, in Milliarden US-Dollar

                                                                                                                                                 OECD
                                                                            Schwein
                    Eier                                                                                                              Milch

                                                                                                                                        Schaf
                                                          Sojabohnen
      Rind und kalb
                                                                                                            Geflügel

Folgen für die Gesundheit des Menschen. Ent-                           Im Jahr 2013 werden die EU-Mitgliedsländer
sprechend hoch ist die Rechnung, die durch die                     wieder über eine Agrarreform verhandeln. Aus
Fleischproduktion für die Umwelt entsteht.                         diesem Anlass fordern Umwelt- und alternative
    Neben der Subventionierung durch die Natur                     Bauernverbände ein „Greening“ der direkten Sub-
ist die Subventionierung mit öffentlichen Gel-                     ventionen: Sie wollen verbindliche Leistungen für
dern der andere große unbekannte Faktor der                        die Umwelt im Gegenzug zu den Subventionen
Fleischrechnung. Milliardenschwere EU-Beihilfen                    pro Hektar Land. Ziel einer solchen Wende in der
umfassen unter anderem Flächenzahlungen und                        Agrarpolitik ist eine ökologische Infrastruktur
die Bereitstellung von Verkehrsinfrastruktur, ins-                 zur Rettung der Artenvielfalt. Subventionsemp-
besondere die Hälfte für den Futtermittelhandel.                   fänger sollen künftig Sojaimporte durch hei-
                                                                                                                               Ein „Greening“
Die EU fördert zudem Investitionen in Ställe mit                   mische Futtermittel und Maismonokulturen
bis zu 50 Prozent, ein mächtiger Anreiz, mehr                      durch umweltfreundliche Fruchtfolgen erset-                der EU-beihilfen
Schweine, Geflügel und Rinder zu produzieren.                      zen. Außerdem müssten Wiesen und Weiden                     geht nur gegen
Zusätzlich stehen im EU-Haushalt jährlich über                     erhalten und die Überdüngungen sofort ge-                  die europäische
240 Millionen Euro direkt für die Fleisch verarbei-                stoppt werden. Ein solches „Greening“ würde                   Agrarlobby
tende Industrie zur Verfügung. Ein weiterer Bil-                   die Fleischwirtschaft zu spüren bekommen, die
ligmacher sind die niedrigen Löhne auf Schlacht-                   Futtermittel würden deutlich teurer. Doch die ge-
höfen in Ländern wie Deutschland, in denen ein                     sellschaftlichen Kosten, die Summe der drei Rech-
verbindlicher Mindestlohn fehlt.                                   nungen, lägen niedriger als bisher.

direkte zahlungen für Tiere

  EU, in Milliarden Euro                                           in Prozent aller EU-Erzeugerbeihilfen
                                                                                                                       OECD

      4

      3
                    3,5                                                            18             18          19
                                 3              3
      2

       1

      0
                  2009         2010           2011                         2009                2010        2011

fLEIScHATLAS 2013                                                                                                                                  17
Sie können auch lesen