FLEISCHATLAS Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel 2013 - Auflage - Heinrich-Böll-Stiftung
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IMPRESSUM Der FLEISCHATLAS ist ein Kooperationsprojekt von Heinrich-Böll-Stiftung, Bund für Umwelt- und Naturschutz und Le Monde diplomatique. 8. Auflage, Juli 2014 Inhaltliche Leitung: Christine Chemnitz, Reinhild Benning Projektmanagement: Dietmar Bartz Media Services Art Direktion und Herstellung: Ellen Stockmar Textchefin: Elisabeth Schmidt-Landenberger Schlussredaktion: Bernd Cornely, Stefan Mahlke Mit Originalbeiträgen von Franziska Badenschier, Dietmar Bartz, Reinhild Benning, Kathrin Birkel, Stephan Börnecke, Christine Chemnitz, Thomas Fatheuer, Susanne Gura, Manfred Kriener, Francisco Mari und Keighley McFarland V. i. S. d. P.: Annette Maennel, Heinrich-Böll-Stiftung Wir danken Wolfgang Sachs, der uns vor zwei Jahren zu diesem Atlas inspiriert hat. Produktionsplanung: Elke Paul, Heinrich-Böll-Stiftung Druck: Druckerei Arnold, Großbeeren Klimaneutral gedruckt auf 100 % Recyclingpapier. Dieses Werk steht unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen“ (CC-BY-SA). Der Text der Lizenz ist unter http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode.de abrufbar. Eine vereinfachende Darstellung ist unter http://creativecommons.org/licenses/ by-sa/3.0/deed.de nachzulesen. Diese Publikation wurde im Rahmen des EcoFair Trade Dialogue Projekts mit Mitteln der EU gefördert. Die Inhalte liegen in der alleinigen Verantwortung der Herausgeber und spiegeln nicht die Sichtweise der EU wider. Bestell- und Download-Adressen: Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstr. 8, 10117 Berlin, www.boell.de/fleischatlas Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland/Versand, Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin, www.bund.net
INHALT 2 IMPRESSUM 14 Exporteure und Protektionisten 6 Intro Einige wenige Länder und Konzerne beherrschen den schnell wachsenden 50 Über uns Weltmarkt für Fleisch. Der globale Handel steckt in einer ununterbrochenen Folge kleiner und großer Krisen. 16 Stille Subventionen, verdeckte Kosten, offene Rechnungen Die Milliardenumsätze der Fleischindustrie zeigen nicht, was ihre Produkte wirklich kosten. Wer Fleisch isst, zahlt dafür dreimal: als Käufer, als Steuerzahler und als Umwelt- nutzer, gemeinsam mit der Natur selbst. 18 Der Speiseplan der Mittelschicht Der Fleischkonsum ist ungleich über die Welt verteilt. In den reichen Ländern stagniert er, in den USA geht er sogar zurück. Weiterhin essen viele Menschen kein Fleisch, weil sie zu arm dafür sind. 20 Deutsche Konsumenten zwischen Massenware, Bio 8 Wovon wir reden ... und Entsagung … wenn wir von Fleisch, Fett, Speck, Mett Für die meisten ist der Sonntagsbraten und Wurst sprechen: Viele Bezeichnungen heute ein Alltagsbraten. Die für fleischliche Nahrung in den indo- großen Lebensmittelskandale haben europäischen Sprachen gehen auf Wurzeln den Ökosektor belebt. Viele zurück, die Eigenschaften und Tätigkeiten Konsumenten sind träge, aber neue ausgedrückt haben. Die Verwandten Angebote erleichtern den Umstieg. solcher Wortfamilien sind manchmal kaum noch zu erkennen. 22 Eine Frage der Haltung Über Jahrzehnte haben Hühner am meisten 10 Eine kurze Geschichte des Nein unter Massenhaltung und Qualzucht Auf tierische Nahrung zu verzichten, ist gelitten. Tierschutz wäre für die Geflügel- ein uraltes philosophisches und religiöses industrie nur ein Kostenfaktor, wenn Gebot. Aus Griechenland, Großbritannien empörte Verbraucher nicht ihre Nachfrage und Indien kamen wichtige Impulse. Im verändert hätten. Doch noch immer Laufe der Zeit wiederholten sich die Motive: leben die meisten Hühner nicht artgerecht. Askese, Ethik, Ökologie. 24 Artenvielfalt in Gefahr 12 Neue Methoden, neue Überdüngung verschlechtert in allen Produzenten Ökosystemen die Lebensbedingungen Auf die „Grüne Revolution“ im Getreide- von Tieren und Pflanzen. Nitrate im anbau ist die „Vieh-Revolution“ in der Grundwasser können zudem Krebs aus- Tierhaltung gefolgt. Multis verdrängen die lösen. In Küstengewässern führen kleinen, weniger kapitalstarken Erzeuger sie zur Bildung von Todeszonen ohne und Verarbeiter. Sauerstoff. 4 FLEISCHATLAS 2013
26 Industrielle Zuchtlinien statt 38 Ernten, die im Viehtrog landen traditioneller Tierrassen Wiederkäuer und Menschen müssten sich Kreuzungen, die auf Hochleistung zielen, bei der Nahrung nicht in die Quere kommen. führen zu genetischer Verarmung. In Doch immer mehr Fleisch gibt es nur mit der Branche nehmen Konzentration und immer mehr Kraftfutter. Wenn hiesige Umsätze zu. Nur noch ganz wenige Äcker dazu nicht mehr ausreichen, werden Unternehmen bieten für die Massentier- sie im Ausland besorgt. haltung entwickelte Hybrid-Tiere an. 40 Futtermittel für Milliarden 28 Ein Schlag ins Wasser Ist das Öl aus den gentechnisch veränderten Das Wachstum der Weltbevölkerung wird Sojabohnen gepresst, beginnt die die Übernutzung von Flüssen und Seen noch Verwertung des proteinreichen Mehls. verstärken. Nicht der Durst des Viehs sorgt Als Tierfutter wird es in die fleischhungrigen für Probleme, sondern die Bewässerung der Länder geschafft, um dort vom Vieh Futterpflanzen und der Dung aus Massen- „veredelt“ zu werden. Oder es verwandelt tierhaltungen, der in zu hoher Konzentration sich – mit höheren Gewinnspannen und samt Antibiotikaresten versickert. – gleich im Anbauland in Exportfleisch. 30 Mit Vieh, Futter und Dünger 42 Der Regenwald hat viele Feinde in den Klimawandel Auf den abgeholzten Flächen im Amazonas- Der Agrarsektor trägt in Deutschland Becken grasen Rinder. Weil auf den offiziell mit sechs bis sieben Prozent alten Weiden Brasiliens immer mehr Soja zur Freisetzung von Treibhausgasen bei. und Zuckerrohr gepflanzt wird, nimmt Aber viele Emissionen, die auf die der Druck auf den Wald zu. Doch Tierhaltung zurückgehen, bleiben bei auch Schutzmaßnahmen zeigen Wirkung. dieser Rechnung unberücksichtigt. 44 Trends im Labor und in der Welt 32 Tiermedikamente machen krank Warum soll man ein ganzes Hühnchen Erst seit kurzem erfassen die Behörden, mästen, wenn man dann doch nur seine wie großzügig dem Groß- und Kleinvieh in Brust und die Schenkel verspeist? Das Deutschland Antibiotika verabreicht sei absurd, meinte 1931 Winston Churchill, werden. Dabei können resistente Bakterien der spätere britische Premierminister. für Menschen lebensgefährlich werden. Er schlug vor, die leckeren Teile der Tiere 20 Themen separat zu züchten. Tatsächlich tüfteln 34 Wenn Hühnerhaltung seit einigen Jahren Gewebe-Forscher, und 60 Grafiken weiblich ist wie Fleisch im Labor herzustellen sei. über die Folgen Für viele Frauen, die sonst vollständig von Interessiert daran sind besonders der industriellen den Entscheidungen ihres Mannes abhängig vegane Aktivisten. Tierhaltung wären, eröffnen eigene Hennen, Küken und Eier den Weg zu mehr Selbstvertrau- 46 Bewegungen und Kampagnen en und Selbstständigkeit. Der Beitrag der für eine gute Landwirtschaft Produzentinnen zur Fleischversorgung wird ln den Industrieländern nimmt das unterschätzt. Unbehagen über Massentierhaltung, schlechtes Fleisch und Lebensmittel- 36 Westafrikanische Krisen durch skandale zu, während sich in den Schwellen- Europas Hühnerfleisch-Reste und Entwicklungsländern Landlose Seit die Geflügelkonzerne der EU ihre und Kleinbauern gegen die Interessen der Schlachtabfälle nicht mehr zu Tierfutter ver- Futtermittelindustrie wehren. mahlen lassen dürfen, werden sie zu Niedrig- preisen in arme Länder exportiert. Dort 48 Autoren uND QUELLEN VON zerstören sie die einheimische Wirtschaft. TEXTEN, KARTEN unD DATEN FLEISCHATLAS 2013 5
Intro Kritische Vielfalt, vielfältige Kritik Essen ist nicht nur lebensnotwendig, Mit unserem Atlas laden wir Sie zu einer sondern besitzt auch eine politische und Reise um die Welt ein und geben Ein- ethische Dimension: Was hat das Schnit- blicke in globale Zusammenhänge der zel auf unserem Teller mit dem Regen- Fleischerzeugung. Denn nur informierte wald im Amazonas zu tun? Wie werden und kritische Bürgerinnen und Konsu- die Tiere gehalten, und welche Auswir- menten treffen richtige Entscheidungen. kungen hat Massentierhaltung auf Hun- ger und Armut? Wo gibt es bäuerliche Barbara Unmüßig Hubert Weiger Viehzucht, bei der Tiere und Landflä- Heinrich-Böll-Stiftung Bund für Umwelt und chen aufeinander abgestimmt sind? Naturschutz Deutschland Die Antworten stehen nicht auf den Verpackungen im Supermarkt. Darum Die globalen Ungerechtigkeiten – all wollen Heinrich-Böll-Stiftung und BUND monatlich das wichtigste Thema in Le über die vielfältigen Dimensionen der Monde diplomatique – lassen sich an Fleischproduktion informieren und Al- nichts anderem so deutlich ablesen wie ternativen aufzeigen. Dies ist uns umso am Verbrauch von tierischem Eiweiß. wichtiger, je mehr Fleisch aus industriel- ler Produktion als scheinbare Billigpro- Barbara Bauer dukte auf den Markt gelangt. Le Monde diplomatique „ Bei jeder Ernährungsform, die ich bisher kennengelernt habe, gibt es Fundis und Realos, die die Regeln unterschiedlich streng aus- sie ja auch sofort Vegetarier. Selten kommt es vor, dass jemand Bienenhonig isst und sich trotzdem als Veganer begreift. Aber viele Veganer füttern legen. Die Fundis bei der Bio-Ernähung kaufen nur ihre Katzen mit ganz normalem Katzenfutter, in kleinen Bio-Läden ein und achten zusätzlich während andere das für ein Verbrechen halten, noch auf Regionalität und den Anbaubetrieb und wiederum aber Wurmkuren für Katzen okay fin- nehmen sich auch keine Einkaufstüte, sondern den, während der ganz streng antispeziesistische haben selbstverständlich einen Korb mitgebracht. Flügel schon die Haustierhaltung an sich als Aus- Die Realos kaufen ihren Bio-Kram auch schon mal beutung von Tieren zur Unterhaltung ablehnt. im Supermarkt und es mischt sich das eine oder andere Nicht-Bio-Produkt darunter. Bei den Vege- tariern beginnt das Spektrum bei Leuten, die sich Karen Duve schon als Vegetarier verstehen, obwohl sie sogar Anständig essen. Ein Selbstversuch noch Fisch essen und Weihnachten Muttis Braten Die Schriftstellerin ist seit der Arbeit an ihrem Erfahrungsbericht über verschiedene Arten bewusster Ernährung, der 2011 erschien, Vegetarierin. nicht widerstehen können, geht über Leute, die Sie lebt mit vielen Tieren auf einem Hof in Brandenburg. zwar kein Fleisch essen, sich aber nicht daran stö- 2012 erschien ihr Märchenbuch „Grrrimm“ (ebenfalls bei Galiani). ren, dass Gelatine in ihren Gummibärchen ist, und reicht bis zu den Veganern. Veganer sind in ihrer Ernährung alle ziemlich konsequent, sonst wären 6 FLEISCHATLAS 2013
„ Es ist grotesk, über Welthunger und Er- nährung zu reden, ohne die Fleischpro- duktion anzusprechen. Genauso grotesk ist es, die Rede. Bereits der Begriff „Fleischproduktion“ enthält einen gewissen Euphemismus: Als Produ- zent erscheint der Mensch – wobei eigentlich ein über Klimaschutz zu sprechen, ohne Nichtfleisch- Tier ein anderes gebiert. Dieser Nachwuchs frisst, essen auch nur zu erwähnen. Die deutschsprachi- wächst und wird später getötet. Ebenso schief ist ge PDF-Version der Agenda 21, die 172 Staaten der Begriff des Nahrungs-„Lieferanten“, weil das 1992 in Rio de Janeiro unterzeichneten, um darin Tier weder seinen Körper noch dessen Sekrete ab- Leitlinien für nachhaltige Entwicklung festzule- liefert, schon gar nicht freiwillig. Und die meisten gen, umfasst 361 Seiten. Auf keiner davon wird die Statistiken geben den Fleischverbrauch ohnehin Frage des Fleischkonsums berührt, nicht einmal in in Kilogramm an, nicht in Tieren. den Kapiteln „Veränderung der Konsumgewohn- heiten“ oder „Förderung einer nachhaltigen Land- wirtschaft“. In der Zusammenfassung des Welt- Hilal Sezgin agrarberichts von 2010 ist nur eine von 41 Seiten Der Weltenretter ihr Fleisch dem Fleischkonsum gewidmet. Sie weigern sich Die Publizistin ist Veganerin und Muslima. 2011 veröffentlichte sie „Landleben. Von einer, die raus zog“ (Dumont). Sie lebt mit vielen Tieren auf einem Hof geradezu, neuere Phänomene wie die weltweite in Niedersachsen. Der vorliegende Text basiert auf einem taz-„Schlagloch“ Verbreitung der Massentierhaltung zur Kenntnis vom 5. Oktober 2011. zu nehmen. Selbst wenn wir über „Fleischproduk- tion“ reden, ist ja noch längst nicht von Tieren Wir machen Fleisch viel billiger, als es eigentlich ist Jonathan Safran Foer, Autor von „Tiere essen“ „ Tierisches Eiweiß ist für den Menschen sehr gut nutzbar, auch für andere Nähr- stoffe sind Fleisch und Fisch eine besonders gute errationen, die vom Menschen für die Ernährung nicht nutzbar sind. Von Verteilungs- und Manage- mentproblemen mal ganz abgesehen. Alternativ Quelle. Alles, was der Mensch braucht, kann er na- könnte man die Erträge der Flächen womöglich türlich Pflanzen entnehmen. Es ist, vor allem bei deutlich steigern, was dann aber wohl bedeuten veganer Ernährung, aber schwieriger. Und man würde, dass in noch stärkerem Maße als bislang braucht so oder so eine ganze Menge hochwerti- Kunstdünger, Pestizide und nicht zuletzt gene- gen pflanzlichen Eiweißes, will man es als einzige tisch manipulierte Pflanzen eingesetzt würden, Proteinquelle nutzen, die alles ersetzt, was bisher was ja nun ebenfalls unerwünscht ist. tierischen Ursprungs war. Das lässt schon sehr daran zweifeln, ob die Er- nährung der gesamten Weltbevölkerung ohne Heiko Werning Fleisch und Fisch oder gar auch noch ohne Milch- Druckerschnitzel und Soja-Felder produkte möglich wäre, ohne die derzeitigen An- Der Reptilienforscher, Schriftsteller und Fleischesser lebt mit vielen Tieren in Berlin-Wedding. 2011 gab er mit Volker Surmann das Buch „Fruchtfleisch ist auch bauflächen für hochwertige Nahrungspflanzen keine Lösung“ (Satyr-Verlag) heraus. Der vorliegende Text basiert auf einem noch weiter auszubauen. Denn man müsste ja alle Eintrag in Wernings taz-Blog „Reptilienfonds“ vom 23. August 2012. Nährstoffe, die derzeit über tierische Produkte aufgenommen werden, über Pflanzen bereitstel- len, bei gleichzeitigem Verzicht auf die Tierfutt- FLEISCHATLAS 2013 7
Wovon wir reden ... ... wenn wir von Fleisch, Fett, Speck, Mett und Wurst sprechen: Viele Bezeichnungen für fleischliche Nahrung in den indoeuropäischen Sprachen gehen auf Wurzeln zurück, die Eigenschaften und Tätigkeiten ausgedrückt haben. Die Verwandten solcher Wortfamilien sind manchmal kaum noch zu erkennen. N ahrungsmittel sind Definitionssache. chisch mazós, „Mutterbrust, Nahrung Gebende“, Fleisch, heißt es im Bundesanzeiger, sind ihre Verwandtschaft findet. Und selbst das Messer „alle Teile von geschlachteten oder erlegten ist in der Wortgruppe Nahrung und Essen zu fin- warmblütigen Tieren, die zum Genuss für Men- den: als *matiz-sahsa war es das „Speise-Schwert“ schen bestimmt sind“. Dazu gehören Huftiere, der Westgermanen. Geflügel und Wildbret. Wurst enthält „schnittfes- Auch das Wort „roh“ selbst, germanisch *hra- te oder streichfähige Gemenge aus zerkleinertem wa, hat seine Wurzeln in einem indoeuropäischen Fleisch, Fettgewebe sowie sortenbezogen teilwei- Nahrungswort: *krowe-o bedeutet „blutig, roh“. se auch Innereien“. Speck ist „das unter der Haut Die uralte Unterscheidung zwischen ungekoch- des Schweines liegende Fettgewebe“, das, „von tem und gekochtem Fleisch in den Begriffen Wasser und Eiweiß befreit“, Fett heißt und auch führte nach mehreren tausend Jahren Sprachver- vom Rind stammen darf. Mett schließlich, weiß zweigung und -entwicklung beispielsweise zu der Duden, ist gehacktes Fleisch vom Schwein, das lateinisch crudus, französisch cru, englisch crude roh verzehrt wird. Die Bezeichnungen im Deut- und deutsch krud, aber auch zu griechisch kréas. schen und in vielen Nachbarsprachen erzählen Und zu chair, dem lebenden Fleisch der Franzo- Geschichten, hinter denen wiederum uralte Er- sen, während das tote viande heißt, von den viven- nährungsgewohnheiten erkennbar werden. da, den „Lebensmitteln“ der Lateiner – mit ganz Das Wort Fleisch etwa hat seine Bedeutung entfernten Sprachverwandten wie Zoo, Bio, keck, kontinuierlich erweitert. Heute wird es für das der letzten Silbe von Amöbe und der mittleren von Fleisch aller Tiere gebraucht, zunächst galt es nur Hygiene. für Schweinefleisch. Wortspuren in west- und Das Wörtchen fett, „sehr beleibt“, aus dem nordgermanischen Sprachen weisen darauf hin, Niederdeutschen stammend, hat sich erst dank dass es dort noch enger gefasst war: Fleisch war Martin Luther im Hochdeutschen etabliert – mit „ein Stück Schweinespeck“. Sprachforscher haben dem Substantiv Fett, das der Sprachforscher Wolf- rekonstruiert (und machen dies immer mit voran- gang Pfeifer als „organisches, aus Estern des Gly- gestelltem Sternchen kenntlich), dass das Fleisch zerins und Fettsäuren bestehendes tierisches oder von heute und das *flaiska der Westgermanen bei pflanzliches Produkt“ definiert. Wie das Wort feist den Ur-Indoeuropäern *ploik-sko „Speckseite, aus- gehen sie auf germanisch *faita- und indoeuro- Das deutsche genommenes Schwein“ geheißen haben könnte. päisch *pei-, „fett sein, strotzen“ zurück. Unsicher Dies wiederum führt zum Verb *ple-, „abspal- sind sich die Etymologen, ob hier nicht auch die Wort „Messer“ Wurzel von Speck, germanisch *spiku liegt. Wenn ten, abreißen“, der ältesten seriös begründeten stammt vom Bedeutungsschicht von Fleisch überhaupt. das anlautende s- fortfällt, lassen sich Verbindun- „Speise-Schwert“ Auch das englische flesh gehört hierher. gen zu Fettwörtern wie altindisch pivas, griechisch der Germanen Seine Bedeutung ist im Laufe der vergangenen piar und lateinisch pinguis begründen. Pinguine 1000 Jahre enger geworden: Ursprünglich be- aber, auch wenn sie nach ihrer Entdeckung auf zeichnete flesh alle Arten von Nahrungsmitteln, Deutsch zunächst „Fettgänse“ hießen, erhielten schließlich meinte es nur noch Speisefleisch. Heu- ihren Namen vermutlich vom pen gwen „weißer te wird es nur noch für lebendes Fleisch verwen- Kopf“ bretonischer oder walisischer Seefahrer. det. Für totes Fleisch ist seit dem frühen Mittelalter Die Wurst hat nur ganz wenige, zumeist ent- zunehmend meat zuständig. Seit dem 15. Jahr- lehnte Verwandte in den Nachbarsprachen. Die hundert kann meat auch Fruchtfleisch bedeuten. Herkunft des einigermaßen sicheren germani- Meat und sein deutscher Verwandter Mett sind schen Wortes *wursti- liegt im Dunkeln. Auch der ebenfalls germanischen Ursprungs. *mat- hieß Bezug zum italienischen buristo, einer Blutwurst, zunächst allgemein „Speise, Essen“. Stärker noch ist unklar. Dies führte dazu, dass die Brüder Grimm als bei meat auf „Fleisch“ verengte sich die Bedeu- in ihrem Wörterbuch Wurst für „genuin deutsch“ tung der niederdeutschen Variante met, mett zum hielten. Moderne Sprachforscher halten indoeu- „gehackten Schweinefleisch ohne Speck“. Das ropäische Ausgangsbedeutungen wie *uers-, „wir- gesamte indoeuropäische Wortfeld geht wohl ren“, oder *uert, „drehen, biegen“, für möglich. auf *mad- „nass, saftig, (von Fett) triefen“ zurück. Das Wort kommt auch in einer Redewendung vor, Dazu gehört auch die Mast, die etwa in altindisch die großen Lohn bei kleiner Mühe ausdrückt: mit medáyati, „macht fett“, lateinisch madere, „zer- der Wurst nach der Speckseite werfen, die ultimative fließen, überlaufen“, und vielleicht auch in grie- Metapher für Fleischesser. 8 FLEISCHATLAS 2013
Ausgewählte „Fleischwörter“ und ihre Verwandten Indoeuropäische Wortwurzeln fit „Wiese“ *gwei- „leben“ *pei- „fett sein, strotzen“ biad „Nahrung“ *ple- „abspalten, abreißen“ altisländ. horund „Fleisch“ *kru- „blutig“ altisl. fla „die Haut abziehen“ *mad- „nass, saftig“ *gwou- „Rind“ altisländ. feima „Mädchen“ *ker- „schneiden“ * rekonstruierte Formen altschwedisch ko „Kuh“ flik „Riß, Spalte“ fel „Rahm“ flis „abgeschnittenes Stück“ beef „Rind, Rindfleisch“ altnordisch kvikr „lebendig“ pisa „Morast“ altirisch bith „Welt“ fat „Fett“ pliska „zerlumpter Mensch“ altirisch bó „Kuh“ angelsächs. flicce „Speckseite“ fed „fett“ guovs „Kuh“ altirisch ith „*Nahrung, Getreide“ meat „Fleisch“ pienas „Milch“ mittelirisch mat „(Mast-)Schwein“ flesh „Fleisch“ MaatFett „Kamerad, Essensgenosse“ gajus „leicht heilend“ kraujas „Blut“ vivid „lebendig“ vlees Mikrobe „Fleisch“ Kuh goj „Friede, Heil!“ crude „roh“ cow „Kuh“ koe scheren Kruste žit‘ „leben“ Mett quick mästen polt‘ „Speckseite“ kornisch biw „Kuh“ krew „Blut“ „Hornvieh, krud Fleisch keck Lebendvieh“ bœuf Antibiotikum Speck? slawisch *govedo „Rind“ „Rind, Ochse“ Flicken „abgetrenntes Stück“ ras-platiti „spalten“ feist vital pul „halb“ viande „Fleisch“ Quecke Schur krv „Blut“ pit‘ „trinken“ piteti „füttern“ chair „Fleisch“ Zoo scharf Hygiene Messer Amphibie pol „halb“ spoller „rauben“ cru „roh“ crudo „roh“ žiti „leben“ carne „Fleisch“ crud „roh“ italienisch carne „Fleisch“ carne „Fleisch“ crusta „Kruste“ krv „Blut“ espolo „Haut, Fell, erbeutete Rüstung“ carne lateinisch carnis „Fleisch“ albanisch maim „fett“ spolium „Haut, Fell, erbeutete Rüstung“ „Fleisch“ corium „Balg, Leder“ bíos „Leben“ madere „zerfließen, überlaufen“ mazós „Mutterbrust“? bos „Rind“ vivere „leben“ keiro „ich schneide ab“ crudus „blutend“ piar „Fett“ bous „Rind, Kuh“ pinguis „fett“ kréas „Fleisch“ spalax „die Erde aufreißend, Maulwurf“ hygies „gut lebend, gesund“ zoón „Tier“ FLEISCHATLAS 2013 9
Eine kurze Geschichte des Nein Auf tierische Nahrung zu verzichten, ist ein uraltes philosophisches und religiöses Gebot. Aus Griechenland, Großbritannien und Indien kamen wichtige Impulse. Im Laufe der Zeit wiederholten sich die Motive: Askese, Ethik, Ökologie. D er Verzicht auf Fleisch ist keine Erfindung gewichtigste Loblieb des Vegetarismus. In seiner der Moderne. Hesiod, Platon und Ovid er- Schrift „Über die Enthaltung vom Beseelten“ ver- wähnten die vegetarische Lebensweise als wirft er den Verzehr von Fleisch, weil zum einen charakteristisch für die frühesten Zeiten. In sei- empfindsame Tiere zu essen ungerecht sei, aber ner „Odyssee“ beschrieb Homer die in Nordafri- zum anderen deren aufwändige Zubereitung und ka lebenden Lotophagen, die sich ausschließlich Verdauung von den Aufgaben eines genügsamen von berauschenden Pflanzen ernährten. Diese Philosophen ablenke. „Lotos-Esser“ galten als besonders freundlich und Christen – Ordensleute, Einsiedler, aber auch friedliebend, aber auch als weltfremd und leicht Angehörige von Erneuerungsbewegungen – üb- zu täuschen. Für Homer bestand die zivilisierte ten die Askese der partiellen oder vollständigen Menschheit ansonsten aus Sitophagen, „Körner- Fleischlosigkeit, um weltliche Begierden abzu- Essern“; in der griechischen und und auch römi- töten. Eier und Milch waren erlaubt; betrieben Da Vinci und schen Antike verzehrten die Menschen überwie- wurde also Ovo-lacto-Vegetarismus. Die Tiere gend pflanzliche Kost. Völker wie die Skythen selbst waren zunächst nicht Gegenstand ethischer Franklin forderten hingegen, denen man nachsagte, sie ernähr- Erörterungen. Die Philosophen René Descartes eine Tierethik, Kant ten sich überwiegend von Fleisch, galten dem und Immanuel Kant lehnten „humanitäre“ Ver- und Descartes Geschichtsschreiber Ephoros von Kyme als roh, pflichtungen gegenüber Tieren ab, der Erfinder waren dagegen und wo schon Tiere gegessen wurden, mochte Leonardo da Vinci und der Staatsmann Benjamin er auch Menschenfresserei nicht ausschließen. Franklin befürworten sie hingegen. Auf Pythagoras (ca. 570–510 v. Chr.) gehen Als früher Tierrechtler gilt der englische Kauf- erste Vorschriften für eine vegetarische Lebens- mann und Autor Thomas Tryon (1634–1703). In haltung zurück. Denn der Philosoph glaubte an seinen zahlreichen, auch von Pythagoras und vom die Seelenwanderung, die alles Lebende mitein- Hinduismus beeinflussten Büchern setzte er sich ander verband. Auch Eier, die den Keim des Le- nicht nur für den Pazifismus unter den Menschen, bens in sich trugen, waren deshalb tabu. Pytha- sondern auch für Gewaltlosigkeit gegenüber al- goras verwies auf das Gerechtigkeitsempfinden len Arten von Tieren ein. Zum ersten Mal in Eu- gegenüber Tieren, forderte die Charakterbildung ropa wurde indisches Gedankengut zum Thema durch Askese und wandte sich auch aus medizini- Vegetarismus aufgegriffen. Tryon verknüpfte sei- schen Gründen gegen den Fleischverzehr, etwa ne Haltung mit ökologischen Forderungen: Ver- weil er Epilepsie hervorrufe. schmutzte Flüsse müssten wieder sauber werden, Im Römischen Reich verbreitete der in Klein- und das Abholzen von Wäldern sei zu beenden. asien lebende Apollonius von Tyana die Idee des Von England ausgehend, bildeten sich im Fleischverzichts. Der Philosoph, ein allererster Ve- 19. Jahrhundert in vielen Ländern Vegetarier- ganer, prangerte Tieropfer an, und nicht einmal Clubs und -verbände; auch der Begriff selbst Leder und Fell kamen für ihn als Kleidung in Frage. entstand zu dieser Zeit. Von den Folgen der in- Der Gelehrte Porphyrios schließlich hinterließ das dustriellen Revolution, der Proletarisierung und Vegetarier – relativ und absolut USA 4 Selbstbezeichnung als Vegetarier oder Veganer, in Prozent der Bevölkerung 7 Männer 2 Frauen Deutschland 1 Männer und Frauen 2,2 Veganer (Männer und Frauen) 0,1 * 2012, lt. Vegetarierbund 8,5* Indien 31 USA 15 Millionen Vegetarier Deutschland 1,5 7* Indien 10 FLEISCHATLAS 2013
Verstädterung abgestoßen, bildeten die Vegeta- Fleischindustrie am Ende rier zunächst eine romantische Opposition; Dich- ter wie Shelley, Shaw und Tolstoi schlossen sich Gutes Ansehen von Wirtschaftszweigen bei Konsumenten, 2008, in Prozent Albersmeier/Spiller ihr an. Neben der Zivilisationskritik bildeten sich 90 auch asketische und tierschützende Strömungen 80 – etwa gegen Versuche am lebenden Tier – her- 70 aus. Die Vielschichtigkeit der Bewegung zeigte 60 71 67 66 sich in der 1900 gegründeten Siedlung Monte 50 59 40 54 50 Verità im Tessin, die Anthropo- und Theosophen, 30 Pazifisten und Anarchisten, Frauenrechtlerinnen 20 und Lebensreformer anzog. Bürgerlich-religiöse 10 Kreise ließen sich vom Arzt und Theologen Albert 0 Schweitzer und seiner Devise „Ehrfurcht vor dem Automobil Bauen Chemie Süßwaren Milch Fleisch Leben“ beeinflussen. In Deutschland gelang nach der NS-Zeit nur langsam eine Wiederbelebung des Vegetarismus, Ausgewählte Lebensmittelskandale seit 1985 der sich als anfällig für antimoderne, völkische und rassistische Theorien erwiesen hatte und zeit- 1985: Nudeln sind mit Hühnerkot, Kükenembryonen und Bakterien verunreinigt weilig zur nationalsozialistischen Modeerschei- 1987: Nematoden-Larven finden sich in Seefischen nung wurde. Positiv wirkte Mahatma Gandhi, 1989: Listeriose-Bakterien werden in deutschen Leberpasteten nachgewiesen Führungsfigur im antikolonialen Kampf, der ne- ben gewaltlosen Protesten eine fleischlose Ernäh- 1994: Verdachtsfälle von BSE-kranken Rindern häufen sich auch in Deutschland. Die Veterinärmedizinerin Margrit Herbst beklagt rung vorlebte. Indische Lebensweisen und Hal- im TV die Weiterverarbeitung von BSE-verdächtigen Rindern und tungen beeinflussten in den 1960er und 1970er wird entlassen (Rehabilitation 1997) Jahren die Jugendbewegungen in vielen Ländern. 1996: Freiland-Eier enthalten Rückstände des krebsver- Die Tierrechtsbewegung und der Veganismus dächtigen Tierarzneimittels Ronidazol und von Nikotin zählen zu den jüngsten Strömungen, für die der 1996: Die britische Regierung bestätigt, dass junge Menschen nach dem Verzehr Verzicht auf den Verzehr von Fleisch essenziell ist. von BSE-Rindfleisch an einer Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit starben Die Tierrechtsbewegung sieht Menschen und Tie- 1999: Dioxin-Skandal in Belgien: Mit Industrie-Altöl versetztes Tierfutter sorgt für Verkaufsverbote und Importstopps re als gleichwertige Teile einer gemeinsamen Ge- um 2000: Massennotschlachtungen BSE-erkrankter Rinder sellschaft; sie lehnt Nutzung und Ausbeutung ab. Aktivisten der Bewegung bezeichnen die Tötung 2000/01: Erster amtlicher BSE-Fall in Deutschland. Immer mehr erkrankte Rinder werden entdeckt, zur Vorsorge ganze Herden per „Massennotschlachtung“ gekeult von Tieren als Mord. Umstritten innerhalb der 2001: Schweinemast-Skandal: Deutsche Tierärzte verkauften Tonnen Bewegung ist der Holocaust-Vergleich, den die illegaler Hormone, Antibiotika und Impfstoffe an Schweinezuchtbetriebe durch ihre Antipelzkampagnen bekannt gewor- 2001: Medienberichten zufolge strecken Fleischhersteller dene Organisation Peta verwendet hat. Der Ve- Kochschinken und Schnitzel heimlich mit Wasser ganismus führt ethische, aber auch ökologische 2002: Nach Geflügel aus Brasilien ist auch Fleisch aus und globalisierungskritische Argumente ins Feld. Thailand mit dem Antibiotikum Nitrofuran belastet Er wurzelt im Vegetarismus, lehnt aber nicht nur 2002: Das verbotene und Krebs erregende Unkrautvernichtungsmittel tierische Lebensmittel ab, sondern auch die Ver- Nitrofen, in Öko-Getreide nachgewiesen, gelangt in Geflügelfleisch und Eier wendung tierischer Produkte wie Wolle und Le- 2002: Mit synthetischen Hormonen gemästete Schweine der und solche mit tierischen Bestandteilen, etwa aus den Niederlanden werden in Deutschland verkauft Kosmetika. Veganismus wird seit einiger Zeit in 2002: Hähnchen-Nuggets im Supermarkt enthalten Nitrofuran den Industrieländern zunehmend als Lifestyle ak- ab 2005: Die Gammelfleisch-Skandale beginnen. 1500 Tonnen umetikettier- zeptiert. tes, überlagertes und ungenießbares Fleisch werden entdeckt. Das Zehnfache sei möglich, meint die Bundesvereinigung der Ernährungswirtschaft 2006 Die Vogelgrippe verbreitet sich über die ganze Welt 2008 Irisches Schweinefleisch ist mit Dioxin vergiftet 2009/10 Listeriose-Bakterien in österreichischem Käse führen zum Tod mehrerer Menschen; die Produkte werden erst spät aus deutschen Supermärkten entfernt Gallup, NVS, SNS 2010 Das Fernsehen berichtet über „Klebefleisch“, zu Schinken zusammengesetzte Fleischteile 2010 Dioxin aus verseuchtem ukrainischen „Bio-Mais“ zur Tierfütterung, in Bio- Eiern und Fleisch nachgewiesen, lässt den Umsatz von Biohöfen zusammenbrechen 2011 Dioxin aus Abfallfetten findet sich in konventionellem Tier- futter aus Niedersachsen – über 5000 Höfe werden geschlossen 2012: In Geflügelfleisch werden Antibiotika-resistente Bakterien nachgewiesen 2012 Der größte deutsche Geflügelproduzent gerät wegen erheblicher 375 Hygienemängel in die Kritik. Als Wiesenhof zum Trikotsponsor von Werder Bremen wird, löst dies unter Fußballfans einen Shitstorm aus FLEISCHATLAS 2013 11
Neue Methoden, neue Produzenten Auf die „Grüne Revolution“ im Getreideanbau ist die „Vieh-Revolution“ in der Tierhaltung gefolgt. Multis verdrängen die kleinen, weniger kapitalstarken Erzeuger und Verarbeiter. I n den vergangenen fünfzig Jahren hat sich die Seither zahlt die Europäische Gemeinschaft bzw. Art und Weise der Fleischproduktion grundle- Union für industrielle Fleischerzeugung jährlich gend geändert. In Europa wurde noch in den Beihilfen in Milliardenhöhe. 1960er Jahren ein großer Teil der Tiere in mittle- Die Produktion von Fleisch ist also verhält- ren bis kleinen Herden gehalten. Selbst gemähtes nismäßig billig – wenn die ökologischen, sozialen Heu und selbst angebautes Getreide dienten als und ethischen Aspekte der Massentierhaltung Futter, im Sommer standen viele der Tiere auf der ausgeklammert bleiben. Private und öffentliche Weide. Geschlachtet und gewurstet wurde am Standards richten nun die Viehhaltung an den Hof oder in der nah gelegenen Schlachterei; die Anforderungen der globalen Produktionskette Fleisch- und Wurstproduktion war lokal und re- aus – für die Tiere endet das meist, in Scheiben gional verankert. Die Landwirtschaft brauchte die geschnitten und in Plastik verpackt, im Kühlregal Tierhaltung vor allem, um die Flächen nutzen zu einer der mächtigen Supermarktketten oder eines können, die sich wegen schlechterer Bodenqua- der Discounter, die den Lebensmittelmarkt der lität oder der topografischen Lage nicht für den Industrieländer unter sich aufgeteilt haben. Ackerbau eigneten. Industrielle Produktionssysteme verdrän- Heute gehört die Tier- und Fleischprodukti- gen in den Industrieländern die bäuerliche Tier- on zu den profitabelsten Zweigen der Landwirt- haltung, vor allem die der Masthühnchen und schaft und trägt 40 Prozent zum Gesamtwert der Schweine. Nicht nur die niedrigen Preise auf dem weltweiten Agrarproduktion bei, in den Industrie Markt, auch die streng ausgelegten Hygiene ländern sogar mehr als die Hälfte. Eingegliedert bestimmungen und die wirtschaftliche Konzent- in globale Produktionsketten, werden die Tiere ration auf einige wenige Großabnehmer machen eher in Fabriken als in Bauernhöfen gehalten sowohl den bäuerlichen Betrieben als auch den und liefern riesige Mengen Fleisch für die globale kleinen Schlachtereien das Überleben schwer. Mittel- und Oberschicht. Die Haltung von 40.000 Trotz der gigantischen Produktion ist die Hühnern oder 2.000 Schweinen unter einem Dach industrielle Tierhaltung auf wenige Länder, auf ist nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. wenige Tierarten und auf wenige Unternehmen Und geschlachtet wird im Sekundentakt. Im nie- weltweit beschränkt. Die USA, Brasilien und Chi- dersächsischen Wietze, dem größten Geflügel- na gehören zu den größten Produzenten von schlachthof Europas, sind es 27.000 Tiere in der Schweine-, Rind- und Geflügelfleisch und tragen Stunde, 135 Millionen im Jahr. als Dreiergruppe in jeder dieser Tierarten zwi- Fleisch, Dünger, Die UN-Agrarorganisation FAO wählte für schen 43 und 59 Prozent zur weltweiten Produk- Zugkraft – Afrikas diese Entwicklung der Fleischindustrie vor tion bei. Neben den neuen Wirtschaftsmächten Kleinbauern nutzen einigen Jahren den Begriff der livestock revo- China und Brasilien und dem klassischen Agrar- ihre Tiere noch lution, der „Vieh-Revolution“. Angelehnt ist land Argentinien befinden sich unter den großen das Wort an die „Grüne Revolution“. Damit ist Fleischproduzenten fast ausschließlich Industri- vielfältig der Weg zur Hochleistungs- und Hochertrags- eländer. Das zeigt, wie stark die industrielle Tier- landwirtschaft seit den 1960er Jahren gemeint, haltung durch kapitalintensive Technologien ge- der durch den schnell zunehmenden Einsatz von prägt ist. Düngemitteln, Pestiziden, Bewässerungssyste- Die Zahl der Schweine und Hühner wird auch men und Maschinen die Erträge aus dem Acker- künftig vor allem in China und dem gesamten ost- bau stark gesteigert hat. und südostasiatischen Wachstumsraum zuneh- Diese Steigerungen in der Fleischproduktion men. Lediglich in den armen Staaten Subsahara-Af- wurden durch das Zusammenspiel unterschied- rikas spielt die Tierhaltung noch eine grundlegend licher Faktoren möglich. Zum einen war die Zeit andere Rolle. In integrierten kleinbäuerlichen der achtziger und neunziger Jahre und der Be- Produktionssystemen, also in Kombinationen von ginn des neuen Jahrtausends geprägt durch eine Tierhaltung und Ackerbau, tragen die Tiere zu ei- weitreichende Liberalisierung der Agrarmärkte. ner differenzierten landwirtschaftlichen Produk- Damit begann ein neuer globaler Handel mit Ag- tion bei. Neben dem Verzehr des Fleisches spielen rarprodukten und Futtermitteln, die in dieser Zeit auch andere Nutzungen wie die Verwendung stark subventioniert und damit billig waren. Hin- des Kots der Tiere als Dünger oder ihre Kraft als zu kamen neue Technologien in der Tierzucht, der Zug- und Transporttiere eine wichtige Rolle, die Tierhaltung, der Schlachtung, der Kühlung, im sich auch in ihrer großen kulturellen Bedeutung Transport – und billiges Öl für Dünger und Diesel. äußert. 12 FLEISCHATLAS 2013
die weltweite Produktion der wichtigsten tierischen Nahrungsmittel FAOSTAT in Millionen Tonnen, 2011 unter 1 1–10 10–50 50–100 über 100 23 8 10 EU-27 52 12 EU-27 USA USA china Schwein Rind, büffel 9 brasilien 12 7 EU-27 EU-27 20 17 5 24 USA china USA china Geflügel Eier 11 2 brasilien brasilien 1 150 EU-27 4 89 EU-27 USA 1 china 53 Schaf, ziege Indien Milch Indien 1 Australien kleine Tiere in großen Massen – Geflügel im Steigflug Stabilitätsversprechen – nur ohne Spekulanten Erzeugung, Trends und Reale Fleischpreise, Trends und Prognosen, OECD/FAO OECD/FAO Rindfleisch Geflügelfleisch Rindfleisch Geflügelfleisch Prognosen, in Mio. Tonnen Schweinefleisch Schaffleisch in US-Dollar pro Tonne Schweinefleisch Schaffleisch 140 5000 120 4000 100 80 3000 60 2000 40 1000 20 0 0 1995 1999 2003 2007 2011 2015 2019 2021 1991 1996 2001 2006 2011 2016 2021 fLEIScHATLAS 2013 13
Exporteure und Protektionisten Einige wenige Länder und Konzerne beherrschen den schnell wachsenden Weltmarkt für Fleisch. Der globale Handel steckt in einer ununterbrochenen Folge kleiner und großer Krisen. G eflügelfleisch, Rindfleisch und Schwei- der internationale Fleischhandel kontinuierlich nefleisch sind die drei hauptsächlichen um 2 Prozent pro Jahr steigt, während die Produk- Fleischarten, die auf dem Weltmarkt ge- tion um 1 Prozent zunimmt. handelt werden. Unterschiedlich verpackt, gefro- Die meisten Industrieländer exportieren ren und zerkleinert, müssen sie Zölle überwinden, Fleisch. Japan ist eine große Ausnahme: Das Land Quoten und Hygienestandards erfüllen, die für ist weltweit der größte Importeur. Auch Russland den internationalen Handel mit Fleisch erlassen führt viel Fleisch ein, versucht aber im Gegensatz wurden und den wohlhabenderen Ländern hel- zu Japan, die eigene Produktion auszuweiten und fen, die eigene Fleischproduktion zu schützen. unabhängiger von Importen zu werden. Abge- Nur ein Zehntel des weltweit produzierten sehen von Zollbestimmungen und Quotenrege- Fleischs wird gehandelt, und doch trägt der finan- lungen führen die Tiergesundheits- und Hygie- zielle Wert der Produkte mehr als 17 Prozent zum nestandards immer wieder dazu, dass das Fleisch Gesamtwert des internationalen Agrarhandels aus verschiedenen Ländern der Europäischen bei, zu dem etwa auch Getreide oder Baumwol- Union und aus den USA nicht nach Russland ein- Oft ist unklar, le gehört. Damit ist der Fleischhandel ein luk- geführt werden darf. Diese Verbote lösten bereits ob die Gesetze den rativer Markt. Welche Länder sich beteiligen mehrmals Konflikte aus, die die bilateralen Bezie- Viehbauern, Multis können, hängt nicht davon ab, welches die hungen belasteten. So legte 2006 Polen ein Veto oder Konsumenten größten Weiden oder das beste Futter für die gegen die Verhandlungen für ein neues Partner- Tiere hat. Maßgeblich ist, wer kontinuierlich schaftsabkommen mit Russland ein, solange der helfen große Mengen an Fleisch liefern kann, verhält- Streit über polnische Fleischexporte in den Osten nismäßig geringe Löhne für die in der Mast und nicht geklärt sei. Schlachtung Beschäftigten zahlt, wer günstige Ähnliche Spannungen gab es zwischen der EU Futtermittel bekommt und den Tiergesundheits- und den USA. Die nordamerikanische Fleischin- und Hygienestandards der jeweiligen Handels- dustrie setzt wachstumsfördernde Hormone ein, partner entsprechen kann. die die europäischen Konsumenten nicht möch- Das sind nicht viele Länder: Die USA und Kana- ten. Das gemeinsame Wirtschaftsrecht der Welt- da, Brasilien und Argentinien, die EU und Austra- handelsorganisation WTO verbietet es der EU lien sind die größten Fleischexporteure der Welt. aber, den Import von hormonbehandeltem Rind- Der Handel von Fleisch nimmt zu – angetrieben fleisch zu beschränken. Um einem Handelsstreit von der immer höheren Nachfrage in vielen Ent- mit den USA aus dem Weg zu gehen, hat die EU wicklungs- und Schwellenländern. Allein zwi- nun eine spezielle Quote für die USA und Kanada schen 1990 und 2003 wuchs der Im- und Export eingerichtet: „Hochwertiges Rindfleisch“, Fleisch von Geflügelfleisch jährlich um etwa 10 Prozent, von Rindern also, die ohne Hormone gemästet der von Schweinefleisch um 6 Prozent. Dieser wurden, darf zollfrei in die EU importiert werden. Trend wird sich so rasant nicht fortsetzen, aber die Die strikten Standards für Tiergesundheit und UN-Agrarorganisation FAO geht davon aus, dass die Handelsbeschränkungen, die damit einherge- Welt-Fleischpreise im Vergleich Lebensmittelpreise im Vergleich Indices, 2002–2004 = 100 Indices, 2002–2004 = 100 FAO FAO FAO 220 220 190 190 160 160 130 Rindfleisch 130 Fleisch-Index Schweinefleisch Milchprodukte-Index Geflügelfleisch Lebensmittel-Index 100 Schaffleisch 100 70 70 2006 2008 2009 2010 2011 2012 2006 2008 2009 2010 2011 2012 14 FLEISCHATLAS 2013
Produktion Handel Eigenverbrauch und Handel Verbrauch Welt, Prognose 2012, Welt, Prognose 2012, Welt, Prognose 2012, Welt, Prognose 2012, FAO FAO FAO FAO in Millionen Tonnen in Millionen Tonnen in Prozent kg pro Kopf 13,9 0,8 10 66,8 8,0 7,4 32,7 110,8 301,8 29,4 100 42,5 104,5 13,0 90 79,0 Entwicklungs- und Schwellenländer Schweinefleisch Geflügelfleisch Schweinefleisch Geflügelfleisch Industrieländer Rindfleisch Schaffleisch andere Rindfleisch Schaffleisch andere Verbrauch Export Welt (gewichteter Durchschnitt) hen, haben ihren Ursprung in der Angst vor Seu- Fleisch unter einem Dach abwickeln. Ihre Gewin- chen. BSE, der „Rinderwahnsinn“, hat den Handel ne maximieren sie durch globale Vernetzung und mit Rindfleischprodukten aus Großbritannien Marktkenntnis, indem sie die kulturell und sozial in den späten neunziger Jahren abrupt beendet. bedingten Essgewohnheiten und -moden in der Auch die Maul- und Klauenseuche und die Vo- ganzen Welt ausnutzen. gelgrippe stoppten den Fleischexport aus vielen So essen viele US- und deutsche Konsumen- Ländern. Millionen Tiere wurden geschlachtet, ten gerne das weiße Brustfleisch des Geflügels um die Seuchen zu bekämpfen; der ökonomische und sind bereit, einen relativ hohen Preis für das Schaden für die Fleischindustrie war immens. Brustfilet zu zahlen. Die restlichen Teile des Hühn- Diese besteht aus wenigen multinationalen chens werden dann oft preisgünstig in die Länder Konzernen, die den Fleischmarkt dominieren. verkauft, in denen die Konsumenten alle Teile des Diese Firmen importieren Fleisch in ihre Heimat- Masthähnchens essen. Auf diese Weise zerstörten länder und handeln rund um die Welt. Von den in den neunziger Jahren europäische Billigexpor- zehn größten Fleischhändlern der Welt haben te die Geflügelproduktion im westafrikanischen sieben ihren Hauptfirmensitz in den USA. Ihre Ef- Ghana – anders als etwa Russland hatte es keine fizienz beruht darauf, dass sie Futtermittelhandel, Chance, sich mit protektionistischen Bestimmun- Tierproduktion, Schlachtung und den Handel mit gen zu schützen. Sechs Monate Fleischpolitik Eine Auswahl von Mai bis Oktober 2012 Russland: Quoten und Importzölle werden wegen WTO-Auflagen geändert EU: Nach acht Jahren Embargo wegen der Vogelgrippe darf thailändisches Hühnerfleisch wieder importiert werden Russland: US-Schweinefleisch wird nach Listeria- und Antibiotika-Funden stärker kontrolliert EU: Mehr hochwertiges Rindfleisch darf ohne Einfuhrgebühren importiert werden Russland: Zuschüsse für die Geflügelindustrie fallen weg, um der Welthandelsorganisation WTO beitreten zu können Ukraine: Importverbot für chinesisches Geflügel wegen Geflügelpest USA: Zuschüsse, um Geflügelfarmer in 22 Bundesländern zu unterstützen Ukraine: Züchter erhalten Kompensationen nach einem Ausbruch des Afrikanischen Schweinefiebers USA: Das Wachstumshormon Ractopamin erhält einen Grenzwert; in der EU und China vollständig verboten Japan: Importbeschränkungen für brasilianisches Schweinefleisch wegen Maul- und Klauenseuche China: Einige Sorten Frischfleisch und Eierprodukte erhalten Mehrwertsteuerbefreiung Korea: Vermarktungshilfen gegen den Preisverfall bei Rindern und Schweinen Kirgistan: Importverbot für irisches Geflügel wegen Geflügelpest Philippinen: Importverbot für Geflügel aus der Gegend um Utrecht wegen einer Influenza-Erkrankung (LPAI) Fidschi: Verbietet den Import brasilianischen Geflügels wegen verkeimter Verpackungen Brasilien: Beschwerde bei der WTO gegen südafrikanische Anti-Dumping-Zuschläge auf brasilianische Hühnchen Indonesien: Zuschüsse an Züchter, um ab 2014 keine Rinder mehr zu importieren Brasilien: Der Staat kauft wieder inländische Schweine zum Garantiepreis auf Hongkong: Vogelgrippe keine Gefahr mehr; Geflügel aus der VR China darf wieder importiert werden Saudi-Arabien: Exportverbote, um Proteste gegen schnell steigende Hühnerfleisch-Preise zu besänftigen Algerien: Mehrwertsteuern und Zölle auf Geflügel entfallen Libyen: Rinderwahn nach neun Jahren keine Gefahr mehr; kanadische Rinder dürfen wieder importiert werden Oman: Vogelgrippe keine Gefahr mehr, indische Geflügelimporte wieder erlaubt Argentinien: Beschwerde bei der WTO gegen Importrestriktionen der USA: Hygienebedenken seien vorgeschoben Argentinien: Importbann für brasilianische Schweine wird aufgehoben FAO FLEISCHATLAS 2013 15
Stille Subventionen, verdeckte Kosten, offene Rechnungen Die Milliardenumsätze der Fleischindustrie zeigen nicht, was ihre Produkte wirklich kosten. Wer Fleisch isst, zahlt dafür dreimal: als Käufer, als Steuerzahler und als Umweltnutzer, gemeinsam mit der Natur selbst. R und 1,3 Milliarden Menschen weltweit le- Gruppe. Die Nippon Meat Packers schließlich ste- ben von der Viehzucht. Die Mehrheit von hen für Japan, den weltgrößten Fleischimporteur. ihnen lebt in Ländern des Südens; sie halten Die gewaltigen Gewinne dieser Firmen beru- einige Haustiere, meist Hühner, manchmal Rin- hen nicht nur auf Eigenleistung, sondern auch der oder Schweine. In den Industrie- und Schwel- auf den Umweltschäden durch Tierhaltung und lenländern hingegen sinkt die Zahl der Tierhalter, Futtergetreide sowie auf staatlichen Beihilfen. die Branche industrialisiert sich, die Umsätze der Eine ökologische und ökonomische Gesamt Ökologen wollen Fleischmultis wachsen. bilanz der Branche steht aus. Aber ihre Umrisse die Subventionen Die Konzerne in den USA, die den hei- sind erkennbar. Drei Rechnungen werden beim umverteilen, mischen Markt versorgen, haben große Kauf tierischer Lebensmittel ausgestellt: eine dem Freihändler wollen Anteile an eine Gruppe neuer Konkurren- Konsumenten, eine dem Steuerzahler und eine ten abgegeben. Die Liste der zehn größten der Natur. Die erste dient einem einzelnen Käufer sie streichen Fleischerzeuger wird inzwischen von einem für seine Preisvergleiche, die zweite und die dritte Unternehmen aus Brasilien angeführt, JBS mit ei- stellen verdeckte Subventionen für die Hersteller nem Umsatz von 35 Milliarden Dollar. 2011 gin- und Händler dar. gen auch die Plätze 3 und 5 aus diesen Top Ten in Die Kosten, die die Umwelt zu tragen hat, sind das südamerikanische Land. Je drei Firmen stam- wahrscheinlich die höchsten, doch sie sind nur men aus den USA und der EU mit ihren großen schwer zu berechnen. Dazu gehören die Schäden Binnenmärkten, darunter die deutsche Tönnies- aus Massentierhaltung, die zur Überdüngung führen, nicht nur durch die Gülle, sondern auch durch die mineralische Düngung von Futtermais Geld vom Staat (1) – Anteil der Zuschüsse an den Erzeugererlösen und -getreide. Wenn sich die Trinkwasserquali- tät eines Brunnens wegen hoher Nitratbelastung Industrieländer (OECD-Mitglieder), in Prozent allmählich verschlechtert, sind die Kosten nur OECD schwer zu berechnen – sie werden erst erkennbar, 50 1995–1997 wenn der Brunnen geschlossen werden und die 2009–2011 betroffene Gemeinde ihr Trinkwasser von weit her 45 holen muss. Externalisierte Kosten – solche, die nicht in den Preis eines Produkts eingehen – ent- 40 stehen auch, wenn der Boden als Filter von Regen- wasser wegen Überdüngung an Leistungskraft 35 verliert, die Erosion fruchtbare Erde fortträgt, die Artenvielfalt in den Gewässern zurückgeht und am Ende Fischer und Touristen unter Algenteppi- 30 chen leiden. Massive Konsequenzen für die Men- schen liegen noch weiter von der eigentlichen 25 Ursache entfernt: Die Abgabe von Amoniak aus Intensivtierhaltungen in die Atmosphäre trägt 20 zum Klimawandel bei, erhöht das Krebsrisiko und verkürzt die Lebensdauer. 15 In Deutschland geht ein Fünftel dieser Stick- stofffracht im Agrarsektor allein auf Tierfutter 10 importe zurück. In der europäischen Land- wirtschaft, schätzte im Jahr 2011 das European Nitrogen Assessment, liegen die Schäden durch 5 den Einsatz von Nitrodüngern bei 70 bis 320 Milli- arden Euro. Die Studie schlussfolgerte: Die Kosten 0 Geflügel Rind u. Kalb Schaf Schwein Milch Eier für den Stickstoff, der in die Umwelt abgegeben wird, wiegen schwerer als die positiven Ergebnis- se wie höhere Erträge, hauptsächlich wegen der 16 FLEISCHATLAS 2013
Geld vom Staat (2) – direkte zuschüsse für tierische Erzeugnisse und futtermittel Industrieländer (OECD-Mitglieder), Schätzung für 2009, in Milliarden US-Dollar OECD Schwein Eier Milch Schaf Sojabohnen Rind und kalb Geflügel Folgen für die Gesundheit des Menschen. Ent- Im Jahr 2013 werden die EU-Mitgliedsländer sprechend hoch ist die Rechnung, die durch die wieder über eine Agrarreform verhandeln. Aus Fleischproduktion für die Umwelt entsteht. diesem Anlass fordern Umwelt- und alternative Neben der Subventionierung durch die Natur Bauernverbände ein „Greening“ der direkten Sub- ist die Subventionierung mit öffentlichen Gel- ventionen: Sie wollen verbindliche Leistungen für dern der andere große unbekannte Faktor der die Umwelt im Gegenzug zu den Subventionen Fleischrechnung. Milliardenschwere EU-Beihilfen pro Hektar Land. Ziel einer solchen Wende in der umfassen unter anderem Flächenzahlungen und Agrarpolitik ist eine ökologische Infrastruktur die Bereitstellung von Verkehrsinfrastruktur, ins- zur Rettung der Artenvielfalt. Subventionsemp- besondere die Hälfte für den Futtermittelhandel. fänger sollen künftig Sojaimporte durch hei- Ein „Greening“ Die EU fördert zudem Investitionen in Ställe mit mische Futtermittel und Maismonokulturen bis zu 50 Prozent, ein mächtiger Anreiz, mehr durch umweltfreundliche Fruchtfolgen erset- der EU-beihilfen Schweine, Geflügel und Rinder zu produzieren. zen. Außerdem müssten Wiesen und Weiden geht nur gegen Zusätzlich stehen im EU-Haushalt jährlich über erhalten und die Überdüngungen sofort ge- die europäische 240 Millionen Euro direkt für die Fleisch verarbei- stoppt werden. Ein solches „Greening“ würde Agrarlobby tende Industrie zur Verfügung. Ein weiterer Bil- die Fleischwirtschaft zu spüren bekommen, die ligmacher sind die niedrigen Löhne auf Schlacht- Futtermittel würden deutlich teurer. Doch die ge- höfen in Ländern wie Deutschland, in denen ein sellschaftlichen Kosten, die Summe der drei Rech- verbindlicher Mindestlohn fehlt. nungen, lägen niedriger als bisher. direkte zahlungen für Tiere EU, in Milliarden Euro in Prozent aller EU-Erzeugerbeihilfen OECD 4 3 3,5 18 18 19 3 3 2 1 0 2009 2010 2011 2009 2010 2011 fLEIScHATLAS 2013 17
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