Piraterie im Golf von Guinea: Greift der Yaoundé-Prozess? - SWP-Studie Wolf Kinzel - Stiftung ...
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SWP-Studie Wolf Kinzel Piraterie im Golf von Guinea: Greift der Yaoundé-Prozess? Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit SWP-Studie 5 März 2019, Berlin
Kurzfassung Die Staatschefs der westafrikanischen Staaten haben 2013 beschlossen, gemeinsam für mehr maritime Sicherheit im Golf von Guinea zu sorgen. Damit haben sie den nach dem Tagungsort benannten Yaoundé-Prozess in die Wege geleitet. Seitdem hat sich das Risiko von Geiselnahmen auf Schif- fen jedoch erhöht: 2018 entfielen von weltweit 83 entführten Besatzungs- mitgliedern 78 Personen auf den Golf von Guinea. Dennoch kann der Yaoundé-Prozess auch Erfolge vorweisen, die auf den ersten Blick in der Statistik nicht erkennbar sind. Allerdings bleibt festzuhalten, dass diese Fortschritte zum großen Teil nur mit umfangreicher internationaler Hilfe erreicht worden sind und es auch Rückschläge gab. Da die Ursachen von Seeräuberei an Land liegen, ist die ausschließliche Konzentration auf das Seegebiet ein »Geburtsfehler« des Yaoundé-Prozesses. Mittelfristig müssen diese Ursachen bekämpft werden, wenn Piraterie wirksam zurückgedrängt werden soll. Als Erstes muss die Zunahme an Geiselnahmen auf offener See gestoppt werden. Dazu benötigen die Marinen der westafrikanischen Staaten neben weiterer Ausbildung, Wartung und Logistik auch Schiffe. Das Hauptaugen- merk sollte auf Nigeria und Ghana liegen: Nigeria ist einerseits am stärksten von Sicherheitsvorfällen auf See betroffen, andererseits verfügt das Land, wie Ghana, über eine große Signalwirkung in der Region. Die internationale Gemeinschaft sollte das klare Signal vermitteln, dass Erfolge und Engagement einer afrikanischen Initiative durch weitere Unter- stützung belohnt werden. Dabei geht es nicht um die Entlassung der afrika- nischen Staaten aus der Verantwortung für ihre eigene Sicherheit – im Gegenteil: Die Anrainerstaaten müssen ihre gemeinsamen Anstrengungen fortsetzen. Dafür bietet der Yaoundé-Prozess den richtigen Rahmen.
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Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus- zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. SWP-Studien unterliegen einem Verfahren der Begut- achtung durch Fachkolle- ginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review), sie werden zudem einem Lektorat unterzogen. Weitere Informationen zur Qualitätssicherung der SWP finden Sie auf der SWP- Website unter https:// www.swp-berlin.org/ueber- uns/qualitaetssicherung/. SWP-Studien geben die Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder. © Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 2019 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 3–4 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-200 swp@swp-berlin.org ISSN 1611-6372 doi: 10.18449/2019S05
Inhalt 5 Problemstellung und Empfehlungen 7 Relevanz und Verortung 8 »Seeräuberei« und »bewaffneter Raubüberfall auf See« 8 Entstehung und bisheriger Verlauf des Yaoundé-Prozesses 11 Vergleich zum Horn von Afrika 12 Statistik zur maritimen Sicherheit 14 Hintergründe der Piraterie am Golf von Guinea 14 Staatliche Fragilität als Determinante von Piraterie 16 Illegale Fischerei, Schmuggel, Organisierte Kriminalität, Terrorismus 17 Ethnische und religiöse Konflikte in Nigeria 18 Umweltverschmutzung im Nigerdelta 20 Analyse der Sicherheitsvorfälle gegen Schiffe 25 Lösungsansätze und ihre Grenzen 25 Die Sicherheitsarchitektur im Rahmen des Yaoundé- Prozesses 27 Maritime Sicherheit auf der Ebene der Afrikanischen Union 28 Maritime Kapazitäten westafrikanischer Staaten 28 Maritime Sicherheit in Nigeria 31 Internationale Übungen 34 Fähigkeitslücken im Bereich Organisation 35 Fähigkeitslücken beim Material und Personal 37 Schlussfolgerungen und Empfehlungen 37 Unterstützung auf bilateraler Ebene 39 Unterstützung auf regionaler Ebene 40 Internationale Zusammenarbeit 41 Abkürzungen
Fregattenkapitän Wolf Kinzel ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika.
Problemstellung und Empfehlungen Piraterie im Golf von Guinea: Greift der Yaoundé-Prozess? Im Juni 2013 beschlossen die Staatschefs der west- afrikanischen Staaten, gemeinsam und koordiniert über 25 Länder und mehrere Regionen hinweg die maritime Sicherheit im Golf von Guinea zu verbes- sern. Der mittlerweile bald sechs Jahre andauernde, nach dem Tagungsort benannte Yaoundé-Prozess hat die Unsicherheit im Golf von Guinea indes nicht signifikant verringern können. Im Gegenteil: Laut Untersuchungen der International Maritime Organ- ization (IMO) hat sich das Gewaltpotential bei Über- fällen auf Schiffe erhöht und das Risiko einer Geisel- nahme ist gestiegen. Dieser Trend hat sich 2018 im Golf von Guinea fortgesetzt: Im vergangenen Jahr entfielen von weltweit 83 entführten Besatzungs- mitgliedern 78 Personen auf das Seegebiet Golf von Guinea (vgl. das Kapitel »Statistik zur maritimen Sicherheit«, S. 12). Im Fokus der vorliegenden Studie steht die Umset- zung der von den Golf-Anrainerstaaten vereinbarten Maßnahmen und Strukturen sowie die Frage, warum diese (noch) nicht zum Erfolg geführt haben. Dabei werden Stärken und Schwächen der bisherigen Ent- wicklung sowie der mögliche weitere Weg zur Imple- mentierung der Afrikanischen Maritimen Strategie 2050 (AIM) aufgezeigt. Abschließend wird erörtert, wie und wo die Umsetzung mit deutscher oder inter- nationaler Unterstützung zu beschleunigen oder effektiver zu gestalten wäre. Der Yaoundé-Prozess kann durchaus auch Erfolge vorweisen, die auf den ersten Blick in der Statistik nicht sichtbar sind. So hat sich die Zusammenarbeit zwischen benachbarten Küstenländern zum Positiven verändert. Zum Beispiel werden Marineschiffe ande- rer Staaten zu Hilfe gerufen, um im eigenen Hoheits- gewässer gegen Piraten vorzugehen. Notrufe von über- fallenen Schiffen verhallen nicht ungehört, sondern führen zum Eingreifen der Sicherheitskräfte. Zumin- dest einige von ihnen sind in der Bekämpfung von Piraten ausgebildet. Die materielle und personelle Einsatzfähigkeit der Marinen konnte teilweise ver- bessert werden, die Gerichtsbarkeiten der Küsten- länder befassen sich immerhin mit dem Problem Piraterie. SWP Berlin Piraterie im Golf von Guinea: Greift der Yaoundé-Prozess? März 2019 5
Problemstellung und Empfehlungen Dennoch bleibt festzuhalten, dass diese Fortschritte MIO) wie auch ein erneutes Engagement an der zum großen Teil nur mit umfangreicher internationa- Marineschule in Sapele im Nigerdelta, die bereits in ler Hilfe erreicht worden sind und es auch eine Reihe den 1980er-Jahren mit deutscher Hilfe entstanden ist. von Rückschlägen gab. Der Prozess an sich ist noch International gesehen, sollte eine regelmäßige Teil- nicht so stabil und vorangeschritten, als dass er un- nahme Deutschlands an der jährlich stattfindenden umkehrbar ist. Die politische Bereitschaft der jewei- Übung »Obangame Express« (OE) angestrebt werden. ligen Regierungen, jenseits von Lippenbekenntnissen Mittel- bis langfristig müssen gemeinsam mit der ni- Verantwortung für das Problem Piraterie zu über- gerianischen Marine Lösungswege gefunden werden, nehmen, ist noch nicht ausreichend. Jedoch fördert wie der eklatante Mangel an Hochsee-Patrouillen- die langjährige (finanzielle) Unterstützung durch booten (Offshore Patrol Vessel, OPV) behoben werden internationale Geber Ausgabendisziplin und Trans- kann, da nur die Präsenz der nigerianischen Marine parenz, denn sichtbare Fortentwicklung, Verstetigung den Zustand des rechtsfreien Raumes in der Küsten- und Dauerhaftigkeit sind Voraussetzung für weiteres region beenden kann. Diese Boote sollten nach Mög- externes Engagement. Die zu verzeichnenden Fort- lichkeit nicht ausgesonderte Einheiten westlicher schritte sind klein, mühsam erarbeitet, setzen nur Marinen sein, um alle damit einhergehenden Prob- langsam ein und fordern den Befürwortern ein hohes leme hinsichtlich Wartung, Logistik und technischem Maß an Frustrationstoleranz ab: Bereits erzielte Aus- Klarstand (Betriebsbereitschaft) zu vermeiden. bildungserfolge konnten im Folgejahr häufig nicht Doch auch das in Accra, Ghana, beheimatete Kofi wiederholt werden. Technisches Gerät ist innerhalb Annan International Peacekeeping Training Centre kürzester Zeit nicht mehr einsetzbar. Scheinbare (KAIPTC), das ebenfalls mit wesentlicher deutscher Kleinigkeiten wie die mangelnde Treibstoffversorgung Unterstützung errichtet wurde, kann mehr als bisher für Notstromaggregate legen ganze Systeme lahm. – in den Yaoundé-Prozess eingebunden werden. Ein Indessen ist diese Initiative nicht einmal sechs Jahre personeller Aufwuchs mit Hilfe maritimer Experten, alt; gemessen an der Aufgabe und der Größe und die am KAIPTC bestehende oder auch neue Lehrgänge Fragilität der Region ist das eine vergleichsweise anbieten, könnte die Weiterentwicklung des Yaoundé- kurze Zeitspanne. Prozesses begleiten und die regionale Zusammen- Die Ursachen von Piraterie liegen an Land, dem- arbeit im maritimen Umfeld voranbringen. zufolge kann das Problem nicht allein auf See gelöst Eine weitere Möglichkeit wäre, in Nigeria ein ge- werden. Die ausschließliche Konzentration auf das meinsames Meldezentrum aufzubauen, wo Sicher- Seegebiet ist sozusagen der »Geburtsfehler« des heitsvorfälle und Umweltverschmutzungen durch Öl Yaoundé-Prozesses. Eine übergreifende Strategie zur registriert und wo die Sicherheitskräfte, die Umwelt- Bekämpfung von Piraterie, die die Verbesserung von behörden, die Industrie und die Gemeinden koordi- Staatlichkeit, gute Regierungsführung, politische niert werden. Darüber hinaus wäre die Erweiterung Teilhabe der Bevölkerung etc. mit einbezieht, hätte der am Yaoundé-Prozess beteiligten Staaten in Rich- diese afrikanische Initiative allerdings überfordert; sie tung südliches Afrika unter Kooperation mit der ist auch so an ihrer Belastungsgrenze. Perspektivisch dortigen Regionalorganisation eine Option für die müssen diese Aspekte aber berücksichtigt werden, Zukunft. um die Ursachen von Piraterie wirksam anzugehen. Der Yaoundé-Prozess ist in seiner Art eine Premiere Der Schwerpunkt maritimer Unsicherheit im Golf in Afrika: Die länderübergreifende Befassung mit von Guinea liegt in Nigeria und den vorgelagerten einem maritimen Problem unter Beachtung der jewei- Seegebieten. Maßnahmen zur Piraterie-Bekämpfung ligen staatlichen Souveränität verdient Anerkennung. außerhalb dieses Gebiets versprechen vielleicht eine Allerdings greifen die bisherigen Maßnahmen noch leichtere Umsetzbarkeit, das Kernproblem selbst lässt nicht mit der erwünschten Effizienz. sich nur zusammen mit dem zugegebenermaßen schwierigen Partner Nigeria bewältigen. Hier gilt es gerade von deutscher Seite, die Zusammenarbeit mit der nigerianischen Marine mittels vieler kleiner Maß- nahmen zu intensivieren und dauerhaft aufrechtzu- erhalten. Dazu gehören zum Beispiel die Fortsetzung der technischen (MTU-Schiffsmotoren) und militäri- schen Ausbildung (Maritime Interdiction Operations, SWP Berlin Piraterie im Golf von Guinea: Greift der Yaoundé-Prozess? März 2019 6
Relevanz und Verortung Relevanz und Verortung Inhaltlich schließt diese Studie an die SWP-Studie lingskrise: »In Afrika engagiert sich Deutschland bei »Piraterie und maritime Sicherheit« aus dem Jahr der Stärkung der eigenen Fähigkeiten auf dem Konti- 2010 an. 1 Während, weltweit betrachtet, die Piraterie nent, selbst mehr Verantwortung für die Vorbeugung zurückgedrängt werden konnte – besonders an den und Lösung von Krisen und Konflikten zu überneh- Brennpunkten Malaysia und Horn von Afrika –, men. Die Förderung von Stabilität und Prosperität gelang dies im Golf von Guinea nicht. Deshalb legt unseres Nachbarkontinents ist eine Zukunftsinvestiti- die vorliegende Studie den Fokus auf dieses Seegebiet. on und liegt im ureigenen Interesse Europas.« 4 Unter Insbesondere die Gewässer vor Nigeria sind die diesem Blickwinkel ist der Yaoundé-Prozess aus deut- inzwischen mit am stärksten betroffene Region der scher Sicht von Interesse, weil er die afrikanischen Welt. 2 Dabei reicht die Bandbreite der Piraterie- Bemühungen im Kampf gegen die Piraterie im Golf Vorfälle von zahlreichen kleineren Überfällen auf von Guinea bündelt. Deutsche Sicherheitspolitik ist in Schiffe, die in Häfen wie Lagos festgemacht haben, erster Linie auch Präventionspolitik. Deutschland als oder auf Schiffe, die unmittelbar davor auf Reede eine der führenden Exportnationen ist ganz besonders liegen, bis hin zu »echten« Fällen von Seeräuberei mit abhängig von weltweit freien und sicheren Handels- schwer bewaffneten Tätern, viele Kilometer vor der wegen. 5 Der Anteil Afrikas am deutschen Außen- Küste. Demgegenüber hat sich die Lage am Horn von handel war 2014 mit etwa 2,2 Prozent der Importe Afrika weitestgehend normalisiert. und 2 Prozent der Exporte auf den ersten Blick ver- Dass sich die Situation auch im Golf von Guinea gleichsweise gering. Allerdings hatte der ganze ame- ändert, liegt im Interesse Deutschlands: »Die Wett- rikanische Kontinent im selben Jahr auch »nur« bewerbsfähigkeit der Industrienation Deutschland 8 Prozent Anteil am deutschen Import und 12 Prozent hängt maßgeblich von der freien Zugänglichkeit und am deutschen Export – und diese Anteile sind der der Sicherheit der Seewege ab. Deutschland verfügt deutschen Wirtschaft ausgesprochen wichtig. 6 Etwa global über die höchste Anzahl an Containerschiffen 85 Prozent aller deutschen Exporte Richtung Afrika und stellt damit weltweit eine der größten Handels- gehen in die Länder Ägypten, Algerien, Marokko, flotten.« 3 Der Blick der Bundesrepublik nach Afrika reduziert sich nicht nur auf die sogenannte Flücht- 1 Vgl. Stefan Mair (Hg.), Piraterie und maritime Sicherheit. 4 Auswärtiges Amt (Hg.), Krisen verhindern, Konflikte bewälti- Fallstudien zu Afrika, Südostasien und Lateinamerika sowie Beiträge gen, Frieden fördern. Leitlinien der Bundesregierung, Berlin, zu politischen, militärischen, rechtlichen und ökonomischen Aspekten, September 2017, S. 28, (Zugriff am 5 Vgl.: »Über 95 % des weltweiten Ferngüterhandels 5.2.2019). werden über den Seeweg abgewickelt. Daraus folgt, dass der 2 Vgl. Marinekommando (Hg.), Jahresbericht 2017. Fakten und Welthandel von sicheren Seewegen abhängig ist.« Zitiert in: Zahlen zur maritimen Abhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland, Marinekommando (Hg.), Jahresbericht 2016. Fakten und Zahlen S. 16, (Zugriff (Zugriff am 5.2.2019). am 20.3.2019). 3 Roderich Kiesewetter, »Vorwort: Deutschland hat klare 6 Sabine Allafi/Julia Koch, »Außenhandel mit Afrika«, in: maritime Interessen. Hieraus müssen Fähigkeiten zu deren Wirtschaft und Statistik, (Juni 2015) 3, S. 9–24 (11), Tabelle 1, Schutz abgeleitet werden«, in: Heinz Dieter Jopp (Hg.), (Zugriff am 28.3.2019). SWP Berlin Piraterie im Golf von Guinea: Greift der Yaoundé-Prozess? März 2019 7
Relevanz und Verortung Tunesien, Südafrika und Nigeria. 7 Auf dem Weg zu an der Westküste Afrikas finden jedoch viele Über- den beiden letztgenannten Ländern passieren die fälle im Bereich von Häfen, vor Reede liegend oder Schiffe den Golf von Guinea. innerhalb der Hoheitsgewässer statt und werden Diese Studie befasst sich schwerpunktmäßig mit daher nicht von Artikel 105 des SRÜ erfasst. 11 Auch den Gründen für maritime Unsicherheit im Golf von ist nicht zweifelsfrei klar, ob nicht teilweise staatliche Guinea – mit staatlicher Fragilität als Determinante Akteure zumindest beteiligt sind oder als Anstifter und mit illegaler Fischerei, Schmuggel, Organisierter agieren. Alle diese Fälle gehören streng genommen in Kriminalität (OK), Terrorismus, ethnischen und reli- die Kategorie »bewaffneter Raubüberfall auf See«, giösen Konflikten sowie Umweltverschmutzung als oftmals mangels Bewaffnung der Täter (häufig Klein- Kodeterminanten – und mit Erfolg versprechenden kriminelle) in Häfen nicht einmal in die Rubrik Unterstützungsmaßnahmen, und zwar auf bilatera- »bewaffnet«. Im Gegensatz dazu sind Überfälle wie ler, regionaler und internationaler Ebene. Zuvor die Verschleppung von Besatzungsangehörigen zur folgen eine Begriffsklärung, eine historische und Erpressung von Lösegeld oder der Diebstahl der geographische Einordnung des Yaoundé-Prozesses Ladung (zum Beispiel das Abpumpen von Rohöl auf sowie ein statistischer Überblick über maritime andere Schiffe) für die Besatzungen sehr viel bedroh- Sicherheit. licher. Auch sie fallen jedoch, so sie sich innerhalb der Hoheitsgewässer ereignen, nicht unter »See- räuberei«. »Seeräuberei« und »bewaffneter In der vorliegenden Studie werden alle diese Vor- Raubüberfall auf See« fälle, soweit nicht explizit anders kenntlich gemacht, unter dem allgemeinen Begriff »Piraterie« zusammen- Umgangssprachlich wird häufig der Begriff »Piraterie« gefasst. verwendet. Das Seerechtsübereinkommen (SRÜ) der Vereinten Nationen (VN) jedoch spricht von »See- räuberei« und definiert diese als »jede rechtswidrige Entstehung und bisheriger Verlauf des Gewalttat oder Freiheitsberaubung oder jede Plünde- Yaoundé-Prozesses rung, welche die Besatzung oder die Fahrgäste eines privaten Schiffes […] zu privaten Zwecken begehen«. 8 Mit der ersten Konferenz der Staatschefs der westafri- Diese Tat muss »auf Hoher See 9 gegen ein anderes kanischen Küstenanrainerstaaten, die alle bereits dem Schiff oder […] gegen Personen oder Vermögenswerte SRÜ beigetreten waren, 12 wurde vom 24. bis 25. Juni an Bord dieses Schiffes« gerichtet sein. 10 Der Begriff 2013 in Kamerun offiziell der Startpunkt einer gemein- »Seeräuberei« (englisch »piracy«) beschränkt sich, samen afrikanischen Initiative gesetzt. 13 Karte 1 vereinfacht ausgedrückt, auf Seegebiete außerhalb der jeweiligen Hoheitsgewässer und bezieht sich nur auf private, nicht aber auf staatliche Akteure. Gerade 11 Vgl.: »Werden Seeräuber hingegen innerhalb des Küstenmeeres, der Archipelgewässer oder der inneren Gewässer eines Staates aktiv oder ziehen sie sich in Häfen 7 GTAI Germany Trade & Invest, Deutscher Afrikahandel legt zurück, findet Artikel 105 SRÜ keine Anwendung.« Zitiert in: 2017 überproportional zu, Berlin, 8.3.2018, (Zugriff am 16.10.2018). Das bedeutet, es handelt sich bei Vorfällen in Häfen, auf 8 Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen [SRÜ], Arti- Reede oder innerhalb der Hoheitsgewässer nicht um Seeräu- kel 101 – Definition der Seeräuberei, (also bei Vorfällen außerhalb der Hoheitsgewässer) jeder (Zugriff am 28.5.2018). beliebige Staat mit einem seiner Schiffe eingreifen kann. 9 »Auf Hoher See« bedeutet in internationalen Gewässern 12 Vgl. United Nations, Chronological Lists of, Ratifications of und damit außerhalb der Hoheitsgewässer. Accessions and Successions to the Convention and the Related 10 SRÜ, Artikel 101 [wie Fn. 8]. Rechtliche Schwierigkeiten, Agreements, New York, 3.4.2018, erläutern Günther Maihold und Kerstin Petretto in Mair (Zugriff am 14.6.2018). (Hg.), Piraterie und maritime Sicherheit [wie Fn. 1], »Piraterie und 13 Vorangegangen war die mehrfache Beschäftigung des maritime (Un-)Sicherheit«, S. 6. Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (VN) mit der SWP Berlin Piraterie im Golf von Guinea: Greift der Yaoundé-Prozess? März 2019 8
Entstehung und bisheriger Verlauf des Yaoundé-Prozesses (S. 10) zeigt die am Yaoundé-Prozess beteiligten maritime Sicherheit im Golf von Guinea zu erhöhen. 15 Staaten, die sich aus den Mitgliedsländern der beiden Dazu sollen gemeinsame Aktivitäten abgestimmt und (Sub-)Regionalorganisationen Economic Community implementiert, Informationen und Erfahrungen aus- of West African States (ECOWAS) und Economic Com- getauscht, die Kontrollmechanismen im Bereich mari- munity of Central African States (ECCAS) zusammen- timer Sicherheit und Gesetze zur Bekämpfung von setzen. Durch die Beteiligung von ECOWAS und Piraterie und illegaler Aktivitäten auf See homogeni- ECCAS haben sich selbst Länder ohne Zugang zum siert werden. Das MoU ist eine noch vergleichsweise Meer der Initiative angeschlossen. allgemein gehaltene Absichtserklärung, während der In der weiteren Analyse wird das ganze Seegebiet am selben Tag unterschriebene Verhaltenskodex vor den am Yaoundé-Prozess beteiligten Ländern als (Code of Conduct) schon recht spezifisch die weitere Golf von Guinea bezeichnet, mit der nördlichen Be- Vorgehensweise beinhaltet. 16 grenzung durch die Kapverdischen Inseln und der Im Verhaltenskodex ist vereinbart worden, gemein- südlichen Begrenzung durch Angola. Da sich mit Ab- sam und über die Grenzen hinweg gegen kriminelle stand die meisten Sicherheitsvorfälle vor der Küste Machenschaften auf See vorzugehen, um den Handel, Nigerias zutragen, beschränkt sich die Studie im die Hafensicherheit und die Sicherheit des Schiffs- Wesentlichen auf die komplette Zone »E« und den verkehrs und der Umwelt zu gewährleisten und sich daran angrenzenden östlichen Teil der Zone »F«. gegenseitig auszutauschen und zu informieren. Zusätz- In Yaoundé unterzeichneten die Mitgliedstaaten lich wurde festgelegt, die nationalen Gesetzgebungen der ECOWAS, der ECCAS und der Gulf of Guinea und Strafverfolgungen entsprechend anzupassen. Commission (GGC) 14 ein Memorandum of Under- Ausdrücklich mit eingeschlossen wurden Umweltver- standing (MoU), um miteinander und koordiniert die gehen und die Bekämpfung illegaler Fischerei. Selbst der Einsatz von Schiffen anderer Nationen in eigenen Gewässern zwecks Strafverfolgung wurde geregelt. maritimen Sicherheit im Golf von Guinea, zum Beispiel am Ferner ist man übereingekommen, das Automated 30. August 2011. In der daraus hervorgegangenen Resolution Identification System (AIS) 17 flächendeckend zu nutzen Nr. 2018 forderte er die Staatschefs der Anrainerstaaten und die Zusammenarbeit mit der International Crimi- sowie Vertreter der Economic Community of West African nal Police Organisation (ICPO-INTERPOL) zu intensi- States (ECOWAS), der Economic Community of Central African States (ECCAS) und der Gulf of Guinea Commission vieren. Schließlich wurden die technische Kooperati- (GGC) auf, eine gemeinsame Strategie im Kampf gegen on, ein gemeinsames Informationsmanagement, eine Piraterie und bewaffnete Raubüberfälle auf See zu ent- einheitliche Datenerhebung sowie der Aufbau von wickeln. Des Weiteren wurde eine Untersuchungskommis- Trainingskapazitäten beschlossen. Bei all diesen Maß- sion eingesetzt, um die Lage im Golf von Guinea zu eruieren nahmen wird die Souveränität der beteiligten Staaten und Empfehlungen auszusprechen. Der Generalsekretär ausdrücklich beibehalten. übermittelte dem Sicherheitsrat am 18.1.2012 die Ergebnisse der Kommission in einem Brief: Darin wird nicht nur die Lage analysiert, sondern auch die Grundlage eines gemeinsamen Vorgehens skizziert. Wiederholt wurde an die ECOWAS, ECCAS und GGC appel- liert, in Koordination mit der Afrikanischen Union (AU) den 15 Vgl. Memorandum of Understanding among ECCAS, ECOWAS Kampf gegen Piraterie aufzunehmen. Eine enge Zusammen- and the GGC on Maritime Safety and Security in Central and West arbeit mit der International Maritime Organization (IMO) Africa, Adopted in Yaoundé, Republic of Cameroon on wurde empfohlen. In die VN-Resolution Nr. 2039 wurde 25 June, 2013, Yaoundé, 25.6.2013, (Zugriff men und die Umsetzung der Empfehlungen eingefordert. am 1.10.2018). 14 Die Gulf of Guinea Commission (GGC) wurde am 3. Juli 16 Vgl. Code of Conduct Concerning the Repression of Piracy, 2003 in Libreville, Gabun, von Angola, Kongo, Gabun, Armed Robbery against Ships, and Illicit Maritime Activity in West Nigeria und São Tomé und Príncipe gegründet. Kamerun and Central Africa,Yaoundé, 25.6.2013, Der Zweck dieser Kommission ist die Bereitstellung eines (Zugriff am 28.5.2018). institutionellen Rahmens der am Golf von Guinea gelegenen 17 Das automatische Identifikationssystem (AIS) wird zur Staaten, um gemeinsame Interessen in Bezug auf Frieden Übermittlung von Navigations- und Schiffsdaten verwendet und Sicherheit sowie sozio-ökonomische Interessen gemein- (z. B. Position, Kurs, Geschwindigkeit, Schiffsname, schaftlich zu koordinieren. Funkrufzeichen etc.). SWP Berlin Piraterie im Golf von Guinea: Greift der Yaoundé-Prozess? März 2019 9
Relevanz und Verortung Karte 1 Die Region und die am Yaoundé-Prozess beteiligten Staaten Alle Maßnahmen sollen zusammen geplant wer- Jahr später, im Juni 2014, unterzeichnet worden ist den, nicht zuletzt durch ein jährliches Treffen der (siehe Kapitel »Die Sicherheitsarchitektur im Rahmen Führungskräfte auf Ebene der Regionalorganisationen. des Yaoundé-Prozesses«, S. 25). Damit ist nicht nur der Grundstein gelegt, sondern In einem Statement des Präsidenten des VN-Sicher- auch der Rahmen geschaffen worden für ein gemein- heitsrates wurde im August 2013 das Ergebnis des sames Vorgehen im Kampf für mehr maritime Sicher- ersten Yaoundé-Gipfels gewürdigt. 18 Im April 2016 heit im Golf von Guinea. Das MoU bestimmt zusätz- lich die Schaffung eines Inter-Regional Coordination 18 Vgl. VN-Sicherheitsrat, Statement by the President of the Centres (ICC). Dessen Aufbau und Aufgaben werden Security Council, S/PRST/2013/13, New York, 14.8.2013, in einem Zusatzprotokoll zum MoU geregelt, das ein
Vergleich zum Horn von Afrika erkannte der Präsident des VN-Sicherheitsrates in oder dorthin fahren, müssen durch die Meerenge einem weiteren Statement die bisherigen Bemühun- Bab al-Mandab zwischen Djibouti und Jemen. Zum gen an und forderte die beteiligten Parteien auf Schutz wurden hier Handelsschiffe in Konvois fortzufahren. 19 Die Verknüpfung von Piraterie und zusammengefasst und von einer Reihe von Kriegs- Organisierter Kriminalität und eine mögliche Ver- schiffen nichtafrikanischer Marinen bis weit vor die bindung mit Terrorgruppen und -organisationen in Küste Somalias geleitet. Zusätzlich wurde das Gebiet Westafrika wurden ebenfalls thematisiert. mit Luftfahrzeugen (Seefernaufklärern und see- gestützten Hubschraubern) abgesichert, um im Falle eines Angriffs schnell reagieren zu können. Afrika- Vergleich zum Horn von Afrika nische Staaten sind nicht beteiligt und Somalia hat keine eigenen Sicherheitskräfte, die nationales oder Am Horn von Afrika konnte die Piraterie innerhalb Völkerrecht vor der eigenen Küste durchsetzen weniger Monate weitestgehend unterbunden werden. könnten. In Somalia ist die Sicherheitslage an Land Die dortige European Union Naval Force Atalanta (EU extrem schwierig, was eine der Ursachen für Piraterie NAVFOR) basiert auf dem VN-Mandat 1816 vom 2. Juni ist. Gleichzeitig ist dadurch deren Ursachenbekämp- 2008. Erstmalig wurden hier alle seefahrenden Natio- fung durch internationales Engagement nur sehr nen dazu aufgerufen, Seeräuberei zu bekämpfen – eingeschränkt möglich. Dennoch wird auch hier auch in den Hoheitsgewässern Somalias. 20 Im Gegen- versucht das Problem Piraterie anzugehen, das durch satz zur Situation im Golf von Guinea hat sich die die militärische Präsenz auf See nur weitestgehend internationale Gemeinschaft des Problems angenom- unterdrückt, nicht aber gelöst werden kann. men, da es sich um eine der meistbefahrenen und Im Vergleich dazu geht der Schiffsverkehr an der dadurch wichtigsten Schifffahrtsrouten der Welt westafrikanischen Küste nicht so gebündelt von- handelt. Alle Schiffe, die vom Suezkanal kommen statten. Ein Teil der Schiffe kommt aus Übersee und fährt gezielt bestimmte Häfen an. Die meisten Schiffs- bewegungen finden zwischen den Anrainerstaaten 6D27-4E9C-8CD3-CF6E4FF96FF9%7D/s_prst_2013_13.pdf> statt oder, wie zum Beispiel Versorger für Bohrinseln (Zugriff am 28.5.2018). oder Fischer, nur direkt vor der Küste. Anders als am 19 Vgl. VN-Sicherheitsrat, Statement by the President of the Security Council, S/PRST/2016/4, New York, 25.4.2016, Horn von Afrika verläuft der Seeverkehr nicht in breit disloziert, für eine Überwachung stehen nur (Zugriff am 28.5.2018). äußerst wenige Schiffseinheiten zur Verfügung, Luft- 20 Die Resolution 1816 vom 2.6.2008 »7. beschließt, dass aufklärung ist faktisch nicht vorhanden. Die Handels- die Staaten, die mit der Übergangs-Bundesregierung [Soma- schiffe können nicht in Konvois zusammengefasst lias] bei der Bekämpfung der Seeräuberei und bewaffneter werden wie vor der Küste Somalias und die Küsten- Raubüberfälle auf See vor der Küste Somalias zusammenar- linie von Dakar, Senegal, bis Luanda, Angola, ist über beiten, nach vorheriger Unterrichtung des Generalsekretärs 4500 km lang. Die Bereitschaft der internationalen durch die Übergangs-Bundesregierung, für einen Zeitraum Gemeinschaft, neben EU NAVFOR eine weitere Mis- von sechs Monaten ab dem Datum dieser Resolution er- sion im Golf von Guinea zu eröffnen, ist gering, ein mächtigt sind, a) in die Hoheitsgewässer Somalias einzulau- militärischer Abstützpunkt wie in Djibouti (Camp fen, um seeräuberische Handlungen und bewaffnete Raub- überfälle auf See im Einklang mit den nach dem einschlägi- Lemonnier) ist entlang der westafrikanischen Küste gen Völkerrecht auf Hoher See zulässigen Maßnahmen nicht vorhanden. So wie Gemeinsamkeiten zwischen gegen Seeräuberei zu bekämpfen; b) innerhalb der Hoheits- den Regionen erkennbar sind, gibt es auch große gewässer Somalias im Einklang mit den nach dem einschlä- Unterschiede. Daher muss für jede Region ein eigener gigen Völkerrecht auf Hoher See zulässigen Maßnahmen Lösungsansatz gefunden werden, ein Denken in Blau- gegen Seeräuberei alle notwendigen Mittel zur Bekämpfung pausen hilft nur begrenzt weiter. seeräuberischer Handlungen und bewaffneter Raubüberfälle anzuwenden«. Zitiert in: VN-Sicherheitsrat, »Resolution 1816 (2008) vom 2. Juni 2008«, in: Vereinte Nationen, Resolutionen und Beschlüsse des Sicherheitsrats vom 1.8.2007 bis 31.7.2008, S/INF/63, New York 2008, S. 65, (Zugriff am 7.3.2019). SWP Berlin Piraterie im Golf von Guinea: Greift der Yaoundé-Prozess? März 2019 11
Relevanz und Verortung Statistik zur maritimen Sicherheit und Raubüberfälle gegen Schiffe und hier besonders im Golf von Guinea 26 ist nicht Bestandteil der vor- Im Jahr 2017 gab es laut dem Jahresbericht des Inter- liegenden Studie. Es bleibt aber festzuhalten, dass, nationalen Schifffahrtsbüros (International Maritime weltweit betrachtet, die Zahlen zu Vorfällen dieser Bureau, IMB) insgesamt 180 Vorfälle von Seeräuberei Art zurückgehen, während sie im Golf von Guinea oder bewaffnetem Raubüberfall auf See weltweit. 21 entgegen dem Trend unverändert hoch sind oder im Das war der niedrigste Stand seit 1995. 22 Von den 180 Falle von Geiselnahmen sogar steigen. Bemerkens- Vorfällen fanden 45 im Golf von Guinea statt, davon wert ist allerdings der gleichzeitige Hinweis im 33 im Seegebiet vor Nigeria. 23 2018 stieg die Anzahl Bericht 2018 auf die gute Zusammenarbeit mit den der weltweiten Überfälle wieder an, auf insgesamt westafrikanischen, insbesondere den nigerianischen, 201. Dabei fällt die enorme Steigerung im Golf von Behörden. 27 Das war in den Jahren zuvor in dieser Guinea auf (von 45 auf 82). Doch diesmal geht das Form nicht im Bericht zu lesen. nicht allein auf das Seegebiet vor Nigeria zurück (von 33 auf 48), sondern gleichermaßen auf die Verdrei- fachung im restlichen Seegebiet (von 12 auf 34) 24 (vgl. Tabelle 1). Betrachtet man nur Fälle von Entführungen von Besatzungsmitgliedern, ist nicht nur der stetige Anstieg in den letzten sechs Jahren beachtlich, sondern auch, dass der Großteil der weltweiten Entführungsfälle im Golf von Guinea zu verzeichnen ist (vgl. Tabelle 2). Die Angreifer sind meist gut bewaffnet und gewalt- bereit. Die Angriffe – die Fälle von »Seeräuberei« und von »bewaffnetem Raubüberfall auf See« einschlie- ßen – ereignen sich zumeist vor Nigeria in dem See- gebiet, das dem Nigerdelta und Port Harcourt vor- gelagert ist, mit bis zu 300 km Abstand zur Küste. 2018 setzte sich der ansteigende Trend fort. Erschwe- rend kommt hinzu, dass das IMB von einer hohen Dunkelziffer nicht gemeldeter Vorfälle ausgeht. 25 Die Problematik der Datenerhebung zum Thema Piraterie 21 ICC [International Chamber of Commerce] International Maritime Bureau (IMB), Piracy and Armed Robbery against Ships, Report for the Period 1 January–31 December 2017, London, Januar 2018, Table 1, S. 7, (Zugriff am 7.3.2019). 22 Ebd., S. 30. 26 Vgl. Dirk Steffen, »Essay: Quantifiying Piracy Trends in 23 Ebd., Table 1, S. 6. the Gulf of Guinea – Who’s Right and Who’s Wrong?«, USNI 24 ICC-IMB, Piracy and Armed Robbery against Ships, Report for [U. S. Naval Institute] News, Annapolis, 19.6.2015, aktualisiert the Period 1 January–31 December 2018, London, Januar 2019, am 22.6.2015, (Zugriff am 28.5.2018). Der Autor geht von 25 Vgl.: »›The number of attacks in the Gulf of Guinea einer mehrfach höheren Anzahl an Vorfällen aus. Damit ist could be even higher than our figures as many incidents das Problem an sich eher größer, als es laut Statistik zu sein continue to be unreported.‹ [Aussage von Herrn Pottengal scheint. Mukundan, Direktor des IMB]« Zitiert in: »4 Takeaways from 27 Vgl.: »Acknowledgement. The IMB PRC appreciates the the IMB’s Latest Global Piracy Report«, ICC [International strong cooperation from the West African Authorities in the Chamber of Commerce] Commercial Crime Services, London, Gulf of Guinea. A special thanks to the Nigerian Authorities 17.10.2017, (Zugriff and valuable cooperation between Agencies.« Zitiert in: ICC- am 28.5.2018). IMB, Piracy and Armed Robbery against Ships [wie Fn. 24], S. 28. SWP Berlin Piraterie im Golf von Guinea: Greift der Yaoundé-Prozess? März 2019 12
Statistik zur maritimen Sicherheit Tabelle 1 Seeräuberei und bewaffnete Raubüberfälle auf Schiffe 2013–2018 2013a 2014b 2015b 2016b 2017b 2018b Weltweit 264 245 246 191 180 201 Golf von Guinea 51 41 31 55 45 82 Golf von Guinea ohne Nigeria 20 23 17 19 12 34 Nigeria 31 18 14 36 33 48 a ICC-IMB, Piracy and Armed Robbery against Ships, Report for the Period 1 January–31 December 2013, London, Januar 2014, Table 1, S. 5f. b ICC-IMB, Piracy and Armed Robbery against Ships, Report for the Period 1 January–31 December 2018, London, Januar 2019, Table 1, S. 6 [wie Fn. 24]: Zahlen von 2014–2018. Tabelle 2 Anzahl der entführten Besatzungsmitglieder 2013–2018 2013a 2014b 2015c 2016d 2017e 2018f Weltweit 36 9 19 62 75 83 Golf von Guinea 36 6 19 34 65 78 Golf von Guinea ohne Nigeria 2 0 0 5 0 38 Nigeria 34 6 19 29 65 40 a ICC-IMB, Piracy and Armed Robbery against Ships, Report for the Period 1 January–31 December 2013, London, Januar 2014, Table 9, S. 11. b ICC-IMB, Piracy and Armed Robbery against Ships, Report for the Period 1 January–31 December 2014, London, Januar 2015, Table 9, S. 11. c ICC-IMB, Piracy and Armed Robbery against Ships, Report for the Period 1 January–31 December 2015, London, Januar 2016, Table 9, S. 10. d ICC-IMB, Piracy and Armed Robbery against Ships, Report for the Period 1 January–31 December 2016, London, Januar 2017, Table 9, S. 10. e ICC-IMB, Piracy and Armed Robbery against Ships [wie Fn. 21], Table 9, S. 12. f ICC-IMB, Piracy and Armed Robbery against Ships [wie Fn. 24], Table 9, S. 12. SWP Berlin Piraterie im Golf von Guinea: Greift der Yaoundé-Prozess? März 2019 13
Hintergründe der Piraterie am Golf von Guinea Hintergründe der Piraterie am Golf von Guinea Staatliche Fragilität als Determinante von arbeitslosigkeit bei gleichzeitiger Perspektivlosigkeit Piraterie ergibt ein hohes Konfliktpotenzial. Dabei ist grund- sätzlich seemännische Kompetenz vorhanden und Als einer der Hauptgründe für Piraterie gilt die Ver- damit der Nährboden für Piraterie. 30 In den Augen fasstheit von Staatlichkeit in der betroffenen Küsten- großer Teile der Bevölkerung kommt der Staat seinen region bzw. die damit verbundene Fragilität der Re- Verpflichtungen ihr gegenüber nicht nach, anderer- gion, die in Westafrika stark ausgeprägt ist: Gemäß seits finanziert er sich weitestgehend durch die Öl- dem »Fragile States Index 2018« gehören die Demo- einnahmen aus dem Nigerdelta. Aufgrund der gras- kratische Republik Kongo und die Zentralafrikanische sierenden Korruption wird ein hoher Anteil dieser Republik in die höchste Kategorie »Very high Alert«, Gewinne zweckentfremdet und fließt statt in den Guinea und der Tschad in die zweithöchste Kategorie Staatshaushalt in private Taschen. 31 Aus Sicht weiter »High Alert« und die Staaten Burundi, Guinea-Bissau, Teile der Bevölkerung des Nigerdeltas sind die Mit- Côte d’Ivoire, Liberia, Kamerun, Republik Kongo, glieder von Regierung, Sicherheitskräften und Wirt- Mali, Niger und Nigeria in die dritthöchste Kategorie schaft schlichtweg eine Gruppe von Verbrechern, die »Alert«. 28 Auch aufgrund der schwierigen topographi- sich, oberflächlich gedeckt durch rechtsstaatliche und schen Gegebenheiten kann besonders für das Niger- demokratische Strukturen, den großen Reichtum aus delta von einer weitestgehenden Abwesenheit jeg- der Ölförderung in die eigene Tasche wirtschaftet. 32 licher Staatlichkeit gesprochen werden. Allenfalls in einigen wenigen Städten gibt es Sicherheitskräfte, 30 Vgl. ebd., S. 33: »Eine Schwerpunktregion für die organi- Polizei oder staatliche Einrichtungen, einzelne sierte Kriminalität ist der Golf von Guinea mit seinen schwer Kasernenanlagen liegen wie kleine Festungen inmit- zu sichernden Gewässern – er bietet einen idealen Nähr- ten der schwer zugänglichen Gegend. In der Fläche boden für Piraterie, illegalen Waffenhandel und Öldiebstahl. gibt es so gut wie keine staatlichen Schulen oder Im Golf von Guinea und besonders im Niger Delta operieren medizinische Grundversorgung, selbst zur Erstellung stark bewaffnete Gruppen, die oft auch über gute Beziehun- eines Personalausweises müssen die Menschen die gen zu ausländischen Schiffseignern und dadurch über ideale Voraussetzungen für den Öldiebstahl verfügen.« nächste Stadt aufsuchen. Die starke Umweltver- 31 Vgl.: »Its endemic corruption and poor governance have schmutzung lässt die traditionelle Lebensweise als failed to stabilize the region of the Niger Delta and today it Fischer kaum noch zu, ohne dass es eine wirkliche exports its own problem.« Zitiert in: Serge Rinkel, Piracy and Alternative dazu gibt. 29 Weit verbreitete Jugend- Maritime Crime in the Gulf of Guinea: Experience-based Analyses of the Situation and Policy Recommendations, Kiel: Institut für 28 The Fund for Peace, Fragile States Index 2018, Sicherheitspolitik an der Christian-Albrechts-Universität zu Washington, D. C. 2018, S. 6–7, (Zugriff am 7.3.2019). Center for Conversion], Länderinformation Nigeria. Informati- 32 Vgl.: »Dieser Staat ist die Domäne von Schurken, Dieben onsdienst Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern und offensichtlichen Banditen geblieben, die beständig das deutscher Rüstungsexporte, Bonn, Dezember 2018, S. 28, Vermögen des Staates geplündert haben und die, in Kolla- (Zugriff am 13.3.2019). vernetzten ausländischen Baufirmen, auch weiterhin die SWP Berlin Piraterie im Golf von Guinea: Greift der Yaoundé-Prozess? März 2019 14
Staatliche Fragilität als Determinante von Piraterie Auf den Punkt gebracht: Perspektivlosigkeit, feh- werden. 35 Vereinfacht gesagt, wird die militärische lende Konsequenzen durch mangelhafte Strafverfol- Führungsebene durch eine Reihe von Privilegien und gung, Korruption und damit durchaus nachvollzieh- Begünstigungen fürstlich entlohnt und damit ruhig- bares fehlendes Vertrauen in staatliche Akteure gestellt, demgegenüber wird das Militär insgesamt bilden »beste Bedingungen« für Piraterie. »Die West- personell und materiell nicht ausreichend ausgestat- küste Afrikas – die Gewässer vor Nigeria – ist weiter- tet. Korruption ist damit ein systemisches Problem. 36 hin ein Hochrisikogebiet für Gewaltangriffe und Neben den militärischen Teilstreitkräften Heer, Luft- bewaffneten Raub, und das, obwohl viele Vorfälle waffe und Marine gibt es auch noch die Polizei, 37 die vermutlich noch nicht einmal gemeldet werden.« 33 Präsidentengarde, Geheimdienste 38 und andere Orga- Ein Teil der staatlichen Fragilität spiegelt sich in den ne, die sich teilweise gegenseitig überwachen und Sicherheitskräften wider. Doch warum bekommen ihre eigentliche Aufgabe – am Beispiel der Polizei die Sicherheitskräfte am Golf von Guinea und hier die Aufrechterhaltung der Ordnung – nicht wirklich besonders in Nigeria die Sicherheitslage nicht in den erfüllen. Griff? Die Marine ist die kleinste der drei Teilstreitkräfte und damit besonders schlecht ausgestattet. 39 Da sie Das Militär wird schwach gehalten, für die Sicherheit entlang der Küste zuständig ist, hat damit es der politischen Führung das negative Auswirkungen auf die Sicherheit im Golf nicht gefährlich wird. Dafür werden von Guinea und in den Sumpfgebieten an der Küste. der militärischen Führung Privilegien eingeräumt. 35 Vgl.: »Blockadeallianz des Militärs: In den Jahren 1966, 1975, 1983, 1985 und 1993 hatte das Militär in Nigeria Am Beispiel Nigerias kann die Problematik gut auf- geputscht.« Zitiert in: Robert Kappel, Ausweitung der Kampf- gezeigt werden: Einerseits wird das Militär gebraucht, zone: Boko Haram und die Krise in Nigeria, Hamburg: German um den unterschiedlichsten sicherheitspolitischen Institute of Global and Area Studies (GIGA), 2015 (GIGA Focus Nr. 3/2015), S. 5, (Zugriff am meist eine höhere Priorität eingeräumt wird als der 4.10.2018). Bekämpfung der Piraterie. 34 Andererseits darf es nicht 36 Vgl. ebd., S. 4: »Viele Generäle und hohen [sic] Offiziere zu mächtig werden, um nicht zu einer Bedrohung der nigerianischen Truppe sind vor allem an zusätzlichen (Putschgefahr) und einer eigenen Macht im Staate zu Mitteln für die Ausstattung der Armee interessiert. Diese Mittel werden teilweise ›privatisiert‹ und dienen der Berei- Ressourcen der Nation weggeben.« Zitiert in: Matthew cherung der Offiziere. Im Grunde genommen hat das Militär Hassan Kukah [Bischof der Diözese Sokoto], »Boko Haram – nicht wirklich ein Interesse an einer vollständigen Vernich- eine Krankheit oder ein Symptom? Hintergründe der Gewalt tung von Boko Haram: Solange die Terrororganisation agiert, in Nigeria«, in: Forum Weltkirche, 131 (2012) 3, S. 8–12, fließen zusätzliche öffentliche Gelder in den Sicherheitssek- (Zugriff am 37 Vgl.: »Die Tatsache, dass die Polizei unfähig ist, die 2.10.2018). Ordnung in dem Land aufrechtzuerhalten und die Bevölke- 33 »International Maritime Bureau (IMB)«, ICC [International rung vor bewaffneten Übergriffen sowie Gewalt zu schützen, Chamber of Commerce] Germany, ten Ausrüstung sowie ihrer unzureichenden institutionellen (Zugriff am 4.10.2018). Kontrolle zusammen. Unzureichende und unregelmäßige 34 Vgl.: »Die Bekämpfung der Piraterie und die Sicherung Bezahlung führen zu Korruption und zur Unterwürfigkeit der eigenen Küstengewässer ist dabei oftmals nicht die gegenüber wirtschaftlichen und politischen Eliten.« Zitiert vordringlichste Aufgabe der jeweiligen staatlichen Akteure: in: BICC, Länderinformation Nigeria [wie Fn. 29], S. 19. Angesichts der Herausforderungen, denen sich ein schwa- 38 Vgl. ebd., S. 19f: »Zusätzlich gibt es drei verschiedene cher Staat gegenüber sieht – etwa die Bewältigung sozialer Geheimdienste, die nach einer Geheimdienstreform von und politischer Konflikte im Land – erscheint die Piraterie 1986 entstanden sind, als die bis dahin tätige National eher als Randaspekt denn als Priorität auf den Agenden der Security Organization (NSO) aufgelöst wurde: State Security jeweiligen Regierungen.« Zitiert in: David Petrovic, »Moderne Service (SSS), National Intelligence Agency (NIA) und Defence Piraterie: Hintergründe, Dynamiken und aktuelle Entwick- Intelligence Agency (DIA).« lungen«, in: Sebastian Bruns/Kerstin Petretto/David Petrovic 39 Vgl. ebd., S. 13: »Die 118.000 Soldaten teilen sich in (Hg.), Maritime Sicherheit, Wiesbaden: Springer VS, 2013, Heer (100.000), Marine (8.000) und Luftwaffe (10.000) auf. S. 99–113 (111f). Hinzu kommen noch 82.000 paramilitärische Soldaten.« SWP Berlin Piraterie im Golf von Guinea: Greift der Yaoundé-Prozess? März 2019 15
Hintergründe der Piraterie am Golf von Guinea Schon seit den 1960er-Jahren gibt es zwischen der die Schlussfolgerung: Sicherheitskräfte müssen auf Regierung und verschiedenen bewaffneten Gruppen 40 die jeweilige Aufgabe vorbereitet und dafür ausgebil- gewaltsame Auseinandersetzungen in der Deltaregi- det sein. Der verbreitete Grundsatz »train as you on. 41 Diese sogenannten Rebellen, die seit Jahrzehn- fight« gilt auch hier. Weder kann eine kurz vorher ten und in wechselnden Gruppierungen eine stärkere bunt zusammengewürfelte Truppe die gewünschten Beteiligung an den Gewinnen aus der Ölförderung Resultate erzielen, 45 noch kann eine gut eingespielte einfordern, haben mit ihren Anschlägen auf die Öl- Truppe automatisch alle verschiedenen Einsatz- industrie 2015 die Regierung an den Rand des wirt- szenarien bedienen. Kontinuität in der Vorbereitung schaftlichen Zusammenbruchs gebracht, da die Erlöse ist alleroberstes Gebot. Darüber hinaus kann man aus der Ölförderung den weitaus größten Teil der effiziente und handlungssichere Einsatzkräfte nur Regierungseinnahmen ausmachen. Folgerichtig hat gewinnen, wenn man die geforderten Fähigkeiten die Regierung mehr finanzielle Mittel für die Marine über Jahre hinweg ständig gemeinsam trainiert. bereitgestellt, die die Hauptlast im Kampf gegen die Rebellen zu tragen hat. 42 Allerdings führten diese verbesserten Fähigkeiten Illegale Fischerei, Schmuggel, auch dazu, dass Marine-Spezialkräfte zeitweise im Organisierte Kriminalität, Terrorismus Kampf gegen Boko Haram im Nordosten des Landes eingesetzt wurden, als Boko Haram übermächtig zu Piraterie ist nicht nur die Folge mangelhafter Staat- werden drohte. Aufgrund mangelnder Abstimmung lichkeit und weit verbreiteter Perspektivlosigkeit. Die und eines bestenfalls lückenhaften Lagebildes kam es nachfolgend beschriebenen Probleme wirken als in der Folge zu mehr Schussverletzungen durch eigene Kodeterminanten, die den Konflikt verschärfen. Truppen (Friendly Fire) als durch Boko-Haram- Westafrikas Küstenstaaten verlieren jährlich bis zu Kämpfer. 43 1,5 Milliarden US-Dollar durch illegale Fischerei Dieselben Marine-Spezialkräfte fielen im Anschluss (illegal, undokumentiert, unreguliert, IUU). 46 Dabei bei einer Boarding Operation während der Übung muss gerade an der nördlichen Westküste Afrikas von »Obangame Express 2015« auf einem Schiff durch un- einer engen Verknüpfung von (illegaler und legaler) verhältnismäßige Eskalation auf. 44 Daraus ergibt sich Fischerei, Menschenhandel und Drogenschmuggel mit Hilfe der unterschiedlichsten Fischereifahrzeuge 40 Beispielsweise seien genannt: Movement for the Eman- ausgegangen werden. cipation of the Niger Delta (MEND), Niger Delta Avengers, In einer Studie über IUU-Fischerei in Subsahara- Niger Delta Volunteers, Bakassi Strike Force, Niger Delta Afrika stellte die Marine Resources Assessment Group Warriors, Niger Delta Peoples Fighters, Bakassi Freedom Ltd (MRAG) fest, dass etwa ein Fünftel des gefangenen Fighters, Niger Delta Movement for Justice und Niger Delta Fisches illegal erbeutet wird. 47 Dabei findet man alle Fighters. 41 Vgl.: »A desire to control oil or gas facilities along disputed internal borders has been instrumental in causing 45 Offiziere der nigerianischen Streitkräfte, die wiederholt conflict across the entire region, so the Niger Delta has been nach der Truppenzusammensetzung und nach gemeinsa- a crossroad of armed groups fighting the government or men vorbereitenden Übungen der Soldaten befragt wurden, fighting each other. The first reported case was in February gaben an, dass die Soldaten überwiegend aus den unter- 1966, when Isaac Adaka Boro, a student’s union president schiedlichsten Einheiten stammten. Außerdem seien sie mit decided with a group of young law students and Delta keiner oder kaum vorhandener gemeinsamer Vorberei- residents to create the first armed militia called the ›Niger tungszeit in den Einsatz gegangen. Teilweise fand auch eine Delta Volunteer Force‹.« Zitiert in: Rinkel, Piracy and Maritime Ausbildung der Soldaten in Abwesenheit ihrer vorgesetzten Crime in the Gulf of Guinea [wie Fn. 31], S. 5f. Offiziere statt. 42 Mehrere Admirale der nigerianischen Marine wiesen in 46 Catharina Lewerenz/Judith Vorrath, Illegale Fischerei und Gesprächen 2014 und 2015 auf diesen Zusammenhang hin. maritime Sicherheit, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, 43 Mehrere Offiziere der Marine-Spezialkräfte äußerten im Dezember 2014 (SWP-Aktuell 76/2014), S. 1, (Zugriff am 9.8.2018). forward. One Step Back, Washington, D. C.: Center for Interna- 47 Vgl.: »Over the whole of the sub-Saharan region, the tional Maritime Security (CIMSEC), 23.4.2015, (Zugriff am 28.5.2018). catch.« Zitiert in: MRAG (Marine Resources Assessment SWP Berlin Piraterie im Golf von Guinea: Greift der Yaoundé-Prozess? März 2019 16
Ethnische und religiöse Konflikte in Nigeria Formen illegaler Fischerei: Fischen ohne jegliche um ein flexibles System, dessen Interessengruppen Lizenz; Fischen unter Angabe falscher Daten, beson- sich stets aufs Neue zusammenfinden. 50 Sie können ders in Bezug auf Größe des Schiffes und Umfang des aus Drogenschmugglern, Terroristen und / oder Fanges; Fischen mit nicht zugelassenen Hilfsmitteln; Piraten bestehen – aber auch Politiker und Sicher- Fischen in nicht zugelassenen Gebieten sowie Fischen heitskräfte können involviert sein, zum Beispiel mit Lizenzen, die zwar von offizieller Seite ausgege- indem sie Bestechungsgelder annehmen. Allen ben werden, deren Gebühren aber weder in den Beteiligten ist gemein, dass sie am Drogenschmuggel Staatshaushalt fließen noch den gültigen Regularien verdienen. entsprechen. Das ist nicht nur ein monetäres Problem Es ist schwer vorstellbar, dass der Schmuggel und wegen fehlender Zahlungen an die jeweiligen Länder, andere Straftaten an der Küste und in den Sümpfen sondern wächst sich bereits sichtbar zu einem Prob- Nigerias ohne jegliche Beteiligung der dortigen Sicher- lem der örtlichen Versorgung an den Küsten aus. Die heitskräfte stattfinden. Die Marineführung versucht, größtenteils mit kleinen Booten ausgestatteten ört- diese Verflechtung durch jährliche Personalwechsel lichen Fischer bringen zunehmend weniger und bis zur untersten Ebene zu unterbinden. Das hat immer kleinere Fische nach Hause. Steigende Bevöl- jedoch einen Preis: Die Streitkräfte finden sich im kerungszahlen steigern andererseits die Nachfrage. schwierigen Terrain in den Sümpfen kaum zurecht Die Ware Fisch wird teurer, die Auswirkungen auf die und können wenig Handlungssicherheit entwi- Nahrungsmittelversorgung sind schon heute in vielen ckeln. 51 Zudem wird eine vertrauensvolle Zusam- Küstenregionen bedrohlich. menarbeit mit den Einheimischen erschwert, da der Am Beispiel Nigeria lässt sich die direkte Verbin- Aufbau von persönlichen Beziehungen und damit dung von Terrorismus und Organisierter Kriminalität Vertrauen zwischen örtlichen Würdenträgern und (hier: Drogenschmuggel) aufzeigen. Boko Haram stellt Kommandeuren militärischer Einheiten Zeit benötigt. Drogenschmugglern die eigenen Versorgungswege zur Verfügung und finanziert sich dadurch zumin- dest in Teilen. 48 Obwohl Drogenschmuggler Terror- Ethnische und religiöse Konflikte in gruppen meist eher als Unsicherheitsfaktor wahr- Nigeria nehmen, 49 profitieren sie in diesem Fall von der schlechten Sicherheitslage und nutzen die von Boko Die Sicherheitskräfte Nigerias stehen vor Heraus- Haram geschützten Versorgungswege an Land. Auf forderungen, die weit über ihre Kapazitäten hinaus- See erhöhen diese Drogentransporte die maritime gehen: Nicht nur der Kampf gegen die Terrorgruppe Unsicherheit. Beim Drogenschmuggel handelt es sich Boko Haram und die damit einhergehende Hungers- not im Nordosten des Landes gehören dazu, sondern auch die seit vielen Jahren andauernden blutigen Group Ltd), Review of Impacts of Illegal, Unreported and Unregula- Kämpfe zwischen Ackerbauern und Viehhirten, ma- ted Fishing on Developing Countries – Final Report, London, Juli rodierende Banden im Nordwesten sowie die zeit- 2005, S. 52, (Zugriff am 13.3.2019). Unruhen im Nigerdelta, die zusammen mit dem 48 Vgl.: »The main sphere of Boko Haram’s activity is the region of Lake Chad and in the northeastern part of Nigeria where main trafficking routes are localized. The group is 50 Vgl.: »It must be remembered, that the drug trade is able to get revenue from providing logistical support to drug coalescing with the arms trade and that the Gulf of Guinea lords transporting heroin and cocaine to Europe through pirates are well involved in the local drug trade. […] Armed Port Harcourt and Port of Calabar in Nigeria. Any attempts to groups in the Delta would not let drug smuggling pass push militants from this region face a tough response of through their domain without their knowledge and agree- Boko Haram defending its financing sources.« Zitiert in: ment. […] These very flexible networks are changing con- »Foreign Policy Diary – Arms and Drug Trafficking in stantly.« Zitiert in: Rinkel, Piracy and Maritime Crime in the Gulf Africa«, Southfront, 14.3.2016, (Zugriff am 51 Mehrere Kommandeure nigerianischer Einheiten im 4.10.2018). Nigerdelta berichteten in Gesprächen über diese jährlichen 49 Diese Einschätzung wurde mehrfach im Rahmen von Personalwechsel und beteuerten, damit die Beteiligung der Gesprächen von internationalen Sicherheitsexperten in der Marine am Drogenschmuggel ausschließen zu können; sie Region geäußert. beklagten aber auch die Nachteile. SWP Berlin Piraterie im Golf von Guinea: Greift der Yaoundé-Prozess? März 2019 17
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