EINFACH LISA Weil sie nicht weiß ist, wird Lisa angegriffen. Ihr geht es wie vielen Menschen, die täglich Rassismus erfahren - Kurt.digital
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
JULI 2020 Studierendenmagazin für Dortmund EINFACH LISA Weil sie nicht weiß ist, wird Lisa angegriffen. Ihr geht es wie vielen Menschen, die täglich Rassismus erfahren.
Eins vorab Nadja, Ali, Sarah und Lisa erfahren in ihrem Alltag häufig Rassismus. Sie berichten von ihren Erlebnissen und sagen, was sich in der Gesellschaft ändern muss. 6 TEXTROMAN WINKELHAHN FOTODANIELA ARNDT L iebe Leser*innen, es geht in diesem Heft um Träume und Freiheiten – und um die Rück- schläge, die mit ihnen einhergehen. Wir sprechen über Schicksale, über Men- schen, die ihr Glück verloren haben, über jene, die es gefunden haben, und über die, denen die Suche verdammt schwer gemacht wird. Die Themenwahl dieses Heftes ist, um den Schriftsteller Heinrich Böll zu zitieren, „weder be- absichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich“. Tim lag am Boden, dabei wollte er doch Basketball-Profi werden. Die Ge- schichte eines fallenden Nachwuchstalents und seiner wackligen Schritte zu- rück aufs Feld, erzählt von unserer Autorin Mona (Seite 14). Jonas verfolgt seinen Traum hinter'm Rasenmäher. Sein Spielfeld ist der Schrebergarten. Nein, Jonas ist kein Rentner. Das macht ihn und sein Hobby 14 Tim stand kurz vor einer Karriere als Profibasketball- spieler. Dann bereitete eine so außergewöhnlich. Autor Sascha stand für euch auf Jonas' perfekt gemäh- schwere Verletzung seinem tem Rasen (Seite 20). Traum ein abruptes Ende. Er Im Vergleich zu Mietwohnungen sind Kleingärten für wenig Geld zu haben. wurde depressiv. Wie Tim Autorin Alice hat für dieses Heft die Diskriminierung auf dem Wohnungs- sein Leben neu ordnete. markt untersucht (Seite 30). Ihr Experiment bestätigt die traurige Wahrheit: Im Schatten von George Floyds Tod steht ein Ungeheuer namens Alltagsras- sismus. Seine hässliche Grimasse zeigt es, wenn Marie und Lukas eher eine Wohnung bekommen als Fahima und Yusuf. „Einmischung ist die einzige Möglichkeit, realistisch zu bleiben.“ Auch dieser 20 Satz stammt von Heinrich Böll. Hinfallen, aufstehen, nicht aufgeben. Träu- Kleingärtner*innen in Deutschland me und Schicksale sind so unterschiedlich wie wir Menschen. werden immer jünger. Dem Nach- wuchs geht es nicht nur um Grill- Habt euch lieb! Viel Spaß beim Lesen. partys im Grünen. Er baut auch sein eigenes Obst und Gemüse an.
Inhalt 4 MOMENTE Ein Sommer, wie er ohne Corona hätte sein können 6 WOHER KOMMST DU? Betroffene sprechen über Rassismus im Alltag 13 SAG MAL, PROF …? Warum wird Bier in dunklen Flaschen abgefüllt? 14 NOT THE LAST DANCE Tims harter Weg zurück aufs Basketball-Parkett 19 KURTS MITTEILUNG Unsere Autorin fordert: Werbeverbot für Billigfleisch 20 SEIN KLEINER GRÜNER GARTEN Jonas ist 24, Kleingärtner und überhaupt nicht spießig 27 KURTS ARBEIT Gräfin Zahl und die Symptome des Coronavirus 28 I WOULD WALK 500 MILES Zahlen zeigen, wie Corona uns (nicht) bewegt hat 30 DER DEUTSCHE NAME MACHT'S Diskriminierung bei der Wohnungssuche in Dortmund 37 KURT DAHEIM Heimaturlaub: Fernweh auf der Couch 38 KURTS TRIP Die „Mona Lisa“: jetzt im Taschenformat 39 IMPRESSUM Wer wann was gemacht hat und Rätsel FOTOSIMON JOST & MAGNUS TERHORST COVERDANIELA ARNDT BACKCOVERZERXZA/PIXABAY
Sie sind groß, sie sind majestätisch und sagen verlässlich das nächste Konzert von Andrea Berg voraus: Litfaßsäulen prägen nahezu jedes Stadtbild in Deutschland. Wäh- rend der Corona-Pandemie sind sie traurige Erinnerungen daran, was wir alles verpassen. TEXTJANA-SOPHIE BRÜNTJEN FOTOSARAH LINNERT 11
IST DOCH NICHT SO GEMEINT … Die aktuelle Black Lives Matter-Bewegung führt uns Rassismus in seiner schlimmsten Form vor Augen. Hier schildern fünf Personen ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus. Es geht um vermeintlich unbedachte Äußerungen, die Menschen verletzen. Lasst uns drüber reden. PROTOKOLLANABEL SCHRÖTER FOTODANIELA ARNDT, JAN LADWIG, MAGNUS TERHORST & PRIVAT Lisa Brück Durch mein Umfeld konnte ich diese 21 Jahre, aus Duisburg Gefühle nicht früher entwickeln, denn ich bin in einer weißen Gegend aufge- Ich bin müde. Einfach nur müde. Vom wachsen. Es gab nichts, mit dem ich Alltagsrassismus, davon ihn akzeptieren mich hätte identifizieren können. Kei- zu müssen und dass ich für die Menschen ne Ideale und keine Vorbilder. Keine immer etwas Besonderes bin. Es treibt Schwarzen Disney-Prinzessinnen, Baby mich in die Verzweiflung. Ich kann nir- Borns oder Barbies. gendwo hingehen, ohne dass mir jemand ungefragt in meinen Afro, meine Rasta- Trotzdem habe ich mich nie anders ge- zöpfe oder meine Braids fasst. Damals in fühlt als die anderen. Im Kindergarten der Schule. Heute im Club, im Bus oder und in der Grundschule wurde ich im- wenn ich jemanden im Krankenhaus be- mer wieder zum Thema gemacht, weil suche. Die Menschen verstehen nicht, ich anders aussehe. Dadurch brannte dass mich dieses Verhalten stört. Wenn sie sich der Gedanke in meinen Kopf, da- mich um Erlaubnis bitten würden, wäre es zugehören zu müssen. Ich wollte Bestä- in Ordnung, weil sie mir gegenüber dann tigung erhalten und hatte das Gefühl, respektvoll wären. mich beweisen zu müssen. Auf Dauer macht das müde. Erst seit vier Jahren laufe ich mit offe- nem Haar herum. Zuvor habe ich mich Deshalb wünsche ich mir für meine spä- geschämt, wollte nicht auffallen, keine teren Kinder, dass sie mehr Vorbilder ha- Aufmerksamkeit erregen. Deshalb habe ben. Dass sie sehen: „Ich bin nicht allein.“ ich schon als Kind meine Haare mit einem Dass sie sich mit jemandem identifizieren chemischen Mittel geglättet. Nicht aus ei- können. Und vor allem, dass sie nicht sol- nem Gefühl der Zugehörigkeit, sondern che Erfahrungen wie ich machen müs- eher der Anpassung. Mit der Zeit habe ich sen. Dass Rassismus einfach kein Thema meine Haare lieben gelernt. mehr ist. 6
Nadja Uamusse auf einmal ein Problem, die Wohnung 25 Jahre, aus Bonn zu sehen? Ein Junge aus dem Kindergarten hat Ich bin deswegen nicht verzweifelt. Ich etwas über meine Hautfarbe gesagt. stecke den Alltagsrassismus weg und Ich weiß nicht mehr genau, was. Es hat habe mich daran gewöhnt. Das macht mich verletzt, da ich den Sinn hinter der es nicht besser. In den vergangenen Aussage nicht verstanden habe. Denn Jahren gab es viele Stunden, in denen ich war erst sechs Jahre alt. Die einzige ich geweint habe. Ich wollte mich an das Frage, die mir damals im Kopf herum- europäische Bild anpassen und habe schwirrte, war: Warum? meine Haare geglättet. Mit zehn Jahren zum ersten Mal. Auch die Sonne habe Bei dieser Situation aus meiner Kind- ich eine Zeit lang gemieden. Bloß nicht heit blieb es nicht. Auch heute wird dunkler werden. über meine Hautfarbe gesprochen und sie wird mit Essen verglichen: Schoko- Heute, mit 25 Jahren, stehe ich zu mir. lade, Karamell, Cappuccino. Für mich Geholfen hat mir der Austausch mit ist das völlig normal. Seit ich von Sie- meiner Familie und anderen, die Ähnli- gen nach Bonn gezogen bin, habe ich es ches erleben mussten. Social Media trug zum Glück nicht mehr in der Form er- ebenfalls einen Teil dazu bei, da ich dort lebt. Der Alltagsrassismus ist aber da, Menschen gesehen habe, die so sind wie etwa bei der Wohnungssuche. Als mein ich. Schwarze müssen besser repräsen- Freund und ich mit einem Vermieter tiert werden. Seien es Schwarze Lehrer, telefonisch einen Besichtigungstermin Ärzte oder Busfahrer. Und ein Schwarzer ausgemacht hatten, gab es keine Prob- sollte eine Sendung moderieren, ohne leme. Vor Ort durften wir uns die Woh- dabei auf seine Hautfarbe reduziert zu nung dann nicht ansehen. Es lag an un- werden. Ich wünsche mir, dass es einfach serer Hautfarbe. Warum sonst war es normal ist, Schwarz zu sein. 7
Sarah Vecera Im In- und Ausland wurde mir oft mein sein möchte. Der Springerstiefel trägt 36 Jahre, aus Essen Deutschsein abgesprochen. Mir wurde und eine Glatze hat. Der in den Nach- bewusst, dass der ganze Alltagsrassis- richten erscheint und sich rechtsradikal King Louie war meine Rolle. Nicht, mus daher rührt, dass ich von der Gesell- verhält, weil er oder sie sich bewusst weil ich den Affen im Schulmusical schaft nicht als deutsch wahrgenommen dazu entschieden hat. spielen wollte, sondern weil er mir werde. Dadurch fühle ich mich nicht da- zugewiesen wurde. Dabei wollte ich zugehörig, obwohl ich keine andere Her- Alltagsrassismus betrifft jeden von uns. selbst entscheiden, welchen Part ich kunft habe. Ich bin Deutsche. Deshalb Durch Kinderbücher, die Medien, den im Dschungelbuch übernehme, so wie mag ich die Frage „Woher kommst du?“ Kindergarten und die Schule bekommen alle meine Freundinnen. Die Chan- nicht. Wer das fragt, zeigt mir, dass ich wir Bilder vermittelt, die rassistisch sind. ce bekam ich nicht. Damals habe ich nicht als Deutsche wahrgenommen wer- Kolonialismus und Rassismus hingegen diese Entscheidung nicht verstanden. de. Besonders die Diskussion über All- sind kaum bis gar nicht im Lehrplan vor- Heute bin ich mir sicher, dass ich die tagsrassismus beunruhigt mich. Er wird geschrieben und werden schon im Bil- Rolle aufgrund von Rassismus be- heruntergespielt und ist salonfähig. Ich dungssystem ausgeblendet. Wir müssen kommen habe. Ich war schließlich die muss mich dafür rechtfertigen, wenn ich nicht diskutieren, ob es Alltagsrassismus einzige Schwarze in der siebten Klas- Menschen darauf anspreche. Immer wie- gibt. Wir müssen ihn enttarnen und das se. Damals dachte ich, dass wir alle der merke ich, dass die Leute sich schnell in jedem versteckten Winkel. Und dann gleich sind. Dass ich nicht anders bin. angegriffen fühlen, weil die deutsche Ge- sollten wir gucken, was wir ändern kön- Diese Illusion wurde mir mittlerweile schichte stark durch Rassismus geprägt nen, um strukturellen Rassismus abzu- genommen. ist. Ein Rassist ist nur der, der Rassist schaffen. 8
Ali Can der jeder seine Meinung äußern kann, 26 Jahre, aus Essen vor allem Wähler der AfD und Pegida- Anhänger. Bei der Hotline sprechen sie Als ich Alltagsrassismus zum ersten Mal dann mit Menschen, die einen Migra- erlebt habe, wollte ich bei der obligato- tionshintergrund haben. Sie bietet den rischen Notenbesprechung mit meinem „besorgten Bürgern“ einen geschützten Lehrer über meine Schulnote sprechen. Rahmen, um ihre Gedanken mitzutei- So wie es jeder einmal macht. Ich bekam len und zu reflektieren. Ich gehe auf nur zu hören: „Wir sind hier nicht auf ei- Demos und leite in Essen das „VielRes- nem türkischen Basar.“ Ich komme zwar pektZentrum“. Meine eigenen Rassis- aus der Türkei. Das berechtigt aber nie- muserfahrungen habe ich außerdem manden, diese Bemerkung zu äußern. in zwei Büchern niedergeschrieben. In einem Kapitel habe ich mich mit der Solche Hürden, ausgelöst durch mei- Frage „Woher kommst du?“ auseinan- ne Herkunft, gab es auch in meinem dergesetzt. Für mich ist es ein komple- Lehramtsstudium. Hürden, die mich xes Thema. Die Frage kann einfach Teil verzweifeln ließen. Während eines des Kennenlernens sein, aber oft steckt Praktikums in einer Schule wurde ich unreflektierter, nicht beabsichtigter All- rausgeschmissen, weil ich mich gegen tagsrassismus dahinter. Die Frage ist für einen rassistischen Lehrer gewehrt hat- mich in Ordnung, wenn sie nicht sofort te und für geflüchtete Schüler eingetre- gestellt wird. Ganz wichtig ist es, dass die ten war. Der Schule waren damals der erste Antwort akzeptiert und nicht wei- Lehrer und das eigene Image wichtiger. ter nachgefragt wird. Letztlich geht es Meine Uni wusste nicht, wie sie mit der immer um den Kontext. Situation umgehen sollte, und ist nicht für mich eingetreten. Es gibt auch Rückschläge im Kampf gegen den Alltagsrassismus und Ras- Durch diesen Vorfall habe ich erst so sismus: rechtsextreme Anschläge, ob richtig gemerkt, dass Menschen meine in Halle oder Hanau. Ich war zwar nie Existenz ablehnen und dass ein System direkt betroffen. Aber irgendwie schon dahinter ist, das es zulässt. Weil ich mitgemeint. Es zeigt, dass da draußen schwarze Haare habe und einen auslän- immer noch Gewalttäter rumlaufen, die dischen Namen trage. Dinge, die mir mit Menschenleben auslöschen wollen. der Geburt gegeben wurden. Solche Er- fahrungen ändern mit der Zeit das eige- Ich finde, wir alle sollten lernen, soli- ne Verhalten und können einschüchtern. darisch zu sein für die Lebenswelt von Minderheiten und diskriminierten Men- Davon habe ich mich nicht unterkriegen schen und uns gegen den Hass stellen. lassen und setze mich seitdem für Res- Jeder sollte seinen Beitrag gegen Rassis- pekt und Dialog ein. Ich habe die „Hot- mus leisten. Ob in der Familie, bei Freun- line für besorgte Bürger“ gegründet, bei den oder in der Kneipe. 9
Anonym hat mich mit der Zeit so unter Druck mehr dran. Wenn ich angesprochen 20 Jahre, aus Bochum gesetzt, dass ich mich für meine Her- wurde, hat sie mich angeschrien. Das kunft geschämt habe. Wo komme hat mich extrem eingeschüchtert. Die Protagonistin möchte anonym bleiben, ich überhaupt her? Ich fühle mich in da sie sich nicht wohlfühlt, beim Thema Deutschland zu Hause, bin hier gebo- Bis heute prägt mich diese Erfahrung. Alltagsrassismus im Mittelpunkt zu ste- ren und aufgewachsen. Mit der Heimat Ich rede immer sehr leise, versuche, hen. Sie möchte kein Mitleid. meiner Eltern kann ich nicht viel an- mich überall anzupassen. Ich will mich fangen. Dennoch mag ich die dortige deutsch verhalten, bin pünktlich und Es fällt das Wort Indien im Klassen- Kultur. Dafür will ich mich niemals ordentlich. Ein Mitschüler sagte einmal raum. Und sofort drehen sich alle zu schämen müssen. zu mir: „Du bist a white girl trapped in mir um. Ständig diese Blicke. Ich werde a brown body.“ gefragt, ob ich denn auch Kühe anbete. Nicht nur von Mitschülern habe ich Ein Mitschüler lässt sich das Wort „pi- Alltagsrassismus erfahren. Auch durch In Zukunft will ich mich endlich in cken“ einfallen. Eine Anspielung auf das die Lehrer. Als ich mich mit einer Mit- meiner Haut wohlfühlen, und mich Pflücken von Baumwolle in Indien. schülerin gestritten habe, sprach meine nicht wie zwei verschiedene Menschen Lehrerin mich auf das Geschehene an. in meinen beiden Kulturen verhalten. Dabei bin ich keine Inderin, sondern Ich durfte mich jedoch gar nicht erst Damit ich so sein kann, wie ich bin. Tamilin. Meine Eltern kommen aus zu dem Thema äußern. In der nächsten Ohne mir Gedanken darüber zu ma- Sri Lanka. Das verstand in der Schu- Klausur gab sie mir eine schlechte Note chen, wie ich von anderen wahrgenom- le niemand. Dieser Alltagsrassismus und nahm mich im Unterricht nicht men werde. 10
Sind wir nicht alle ein bisschen rassistisch? Oft bleibt Alltagsrassismus unerkannt. Doch die wenigsten können sich von ihm freisprechen. Der Rassismusforscher Karim Fereidooni erklärt, woher Rassismus kommt und warum er so selten problematisiert wird. INTERVIEWANABEL SCHRÖTER FOTOPRIVAT R assismus und Alltagsrassismus sind für Karim Fereidooni immer wieder Thema. Als Juniorprofessor für die Didak- Kinder wissen, wer beispielsweise die Funktion eines Politikers übernehmen kann und wer nicht. Rassismus hat die zugeschriebene oder faktische Herkunft bezieht, von der Person, die abgewertet wird. Menschen, denen tik der sozialwissenschaftlichen Bildung an also nichts zu tun mit Intention, Intel- das Deutschsein nicht abgesprochen der Ruhr-Universität in Bochum setzt sich ligenz, dem Alter, Wohnort oder dem wird, die erfahren keinen Rassismus, der 36-Jährige unter anderem mit Rassis- sozialen Status. Sondern mit Macht- sondern situative Diskriminierung. Es muskritik in pädagogischen Institutionen strukturen. gibt keine Macht, die weiße Deutsche auseinander. Bereits für seine Dissertation vom Arbeitsmarkt, Wohnungsmarkt forschte er dazu. Und wer hat diese Macht in unserer oder Ähnlichem ausschließt. Weiße Gesellschaft inne? Menschen haben Rassismus und Ras- Stecken in jedem von uns alltagsras- Auf der ganzen Welt sind das ganz klar sen erfunden und sich an die Spitze der sistische Gedanken? die weißen Menschen. Unter anderem menschlichen Pyramide platziert. Der Alltagsrassismus ist in uns Men- durch die vom Rassismus geschaffenen schen verankert, da wir ihn im Laufe Rassestrukturen. Auch wenn wir wis- Warum ist Alltagsrassismus 2020 unserer Sozialisation durch Kinder- sen, dass es keine Rasse gibt, wurden immer noch ein großes Problem? bücher, Erzählungen der Eltern, die diese Konstrukte gebildet, um Unter- Rassismus ist in uns verankert, er wird Nachbarschaft und Schule lernen. Stu- drückung zu legitimieren, wie in der nicht problematisiert und oftmals dien zeigen, dass Rassismus bereits Zeit der Aufklärung. Das bedeutet, nicht thematisiert. Das Problem ist, bei Kindern ab drei Jahren eine Rolle dass es keinen Rassismus gegen wei- dass viele im Glauben sind, dass es in spielt. In diesem Alter erlernen sie zwei ße Deutsche gibt, denn Weißsein gilt der Mitte der Gesellschaft keinen Ras- Dinge: Zum einen, dass Männer mehr überall auf der Welt als Norm. sismus gäbe. Es wird suggeriert, dass Macht haben als Frauen. Zum anderen er nur etwas mit dem rechten Rand lernen sie, von äußerlichen Merkmalen Warum gibt es keinen Rassismus ge- zu tun hätte und es ihn seit 1945 in darauf zu schließen, ob jemand Macht gen Weiße? Deutschland nicht mehr gäbe, denn hat oder nicht. In Rollenspielen kommt Rassismus ist eine spezifische Spiel- dieses Land sei demokratisch. Es gibt dieses Bild zum Vorschein, indem die art von Diskriminierung, die sich auf einen Unterschied zwischen Alltags- 11
» Der erste Schritt gegen Rassismus vorzugehen, ist anzuerkennen, dass er überall virulent ist, wo Menschen zusammenkommen. « Prof. Dr. Karim Fereidooni forscht an der Ruhr-Universität Bochum zum Thema Rassismus. rassismus und Staatsrassismus. Letz- Deutschland und die Bundesrepublik teren gab es zwischen 1933 und 1945, muss sich unter anderem ihrem kolo- mit den Konzentrationslagern und nialen Erbe stellen. Der erste Schritt den Nürnberger Rassegesetzen. Diese gegen Rassismus vorzugehen, ist an- existieren zum Glück nicht mehr. All- zuerkennen, dass Rassismus überall tagsrassismus schon und das muss uns virulent ist, wo Menschen zusammen- bewusst werden. kommen. Welche Entwicklungen haben Sie in Könnte es durch den Tod von George den vergangenen Jahren beobachtet? Floyd zu einem Umdenken in der ge- Zum einen ist die BRD 2020 so rassis- samten Gesellschaft kommen? tisch wie noch nie in der Geschichte. Ein gesellschaftliches Umdenken kann Als die AfD in den Bundestag eingezo- nur stattfinden, wenn jede*r einzelne gen ist, wurde einiges sagbar, was vor Bürger*in sich gegen Rassismus zur zehn oder fünfzehn Jahren undenkbar Wehr setzt. Das Engagement gegen war. Zum Beispiel, dass Politiker*innen Rassismus muss – genauso wie der von dem Holocaust-Denkmal als Einsatz gegen den Klimawandel – als „Denkmal der Schande“ sprechen. gesamtgesellschaftliche Aufgabe ver- Diese Partei hat Rassismus wieder ein standen werden. Dazu benötigen wir Stück weit salonfähig gemacht. Gleich- eine Solidarität von Menschen, die zeitig ist die BRD so rassismuskritisch die unterschiedlichsten Erfahrungen wie noch nie. 2015 gab es eine Solidari- gemacht haben. Weiße Menschen soll- tätsbewegung, bei der viele Menschen ten Rassismus nicht kritisieren, um unter anderem an den Bahnhöfen ge- Schwarzen zu helfen, sondern um sich standen und geflüchteten Menschen selbst zu helfen. Damit sie Schwarze applaudiert haben. Ich würde also Menschen nicht als Gefahr sehen. von einer Gleichzeitigkeit sprechen. Alle Gesellschaftsmitglieder müssen Ist die Frage „Woher kommst du?“ sich tagtäglich gegen Rassismus und rassistisch? Antisemitismus einsetzen. Denn der Wenn Sie die erste Antwort ihres Ge- Kampf ist nie vorbei. genübers akzeptieren, dann ist diese Frage nicht rassismusrelevant für mich. Wie bewerten Sie die Solidaritäts- Aber leider wird Menschen of Color oder bewegung momentan in Europa, Schwarzen Menschen das Deutschsein vor allem in Deutschland? abgesprochen, indem nachgebohrt Es gibt Alltagsrassismus und die da- wird. In einer Migrationsgesellschaft mit zusammenhängende Polizeigewalt kann nicht vom Aussehen von Personen auch in Deutschland. Schwarze Men- auf ihre Staatsbürgerschaft geschlossen schen leben seit über 400 Jahren in werden. 12
⁄⁄ SAGMALPROF Warum sind Bierflaschen meistens aus dunklem Glas? PROTOKOLLPHILIP ALTROCK FOTOASTRID FAHLENKAMP ILLUSTRATIONNANNA ZIMMERMANN D ass wir Bier fast immer aus grünen oder braunen Fla- schen trinken, ist keine reine Frage der Ästhetik. Das dunkle Glas schützt das Getränk vor Lichteinfall, damit wir Corona. Das passiert nicht, weil die Hersteller den schlechten Geschmack des Getränks in Kauf nehmen. Diese Firmen stel- len ihr Bier anders her. Einige von ihnen produzieren es zum den Geschmack des Biers auch im Sommer im Freien genie- Beispiel mit so wenig Hopfen, dass die Veränderung des Ge- ßen können. schmacks durch den Lichteinfall für den Menschen nicht mehr Problematisch für das Bier sind blau- wahrnehmbar ist. Andere es Licht und UVA-Strahlen, die vor Hersteller benutzen Hopfen- allem im Tageslicht vorkommen. Sie extrakte, in denen das Humu- schaden einem wichtigen Stoff im lon, das den Geruch auslösen Bier, dem Humulon. Das ist ein Be- kann, durch andere Stoffe mit standteil des Hopfens, der nach dem vergleichbarem Geschmack er- Gärungsprozess den bitteren und setzt wird. herben Geschmack ausmacht. Der Lichteinfall ist dafür verantwortlich, Es gibt eine deutsche Firma, die dass Bier seinen Geschmack verän- ihr Bier in durchsichtigen Flaschen dert. Es riecht verdorben, wenn es anbietet, obwohl sie Hopfen zur zu lange in der Sonne steht. Experten Produktion verwendet: Gemeint ist bezeichnen das auch als Light-Struck- Becks Gold. Die Brauerei löst das Problem mit den Lichtstrah- Effekt oder Light-Struck-Geschmack, also len, indem sie Vanadiumpentoxid in ihrem Glas verwendet. Das „vom Licht getroffen“. ist ein Stoff zum Lichtschutz. Der schützt das Bier vor den Strahlen, ähnlich wie Sonnenschutzmittel in ei- Dunkles Glas kann diesen Effekt ver- ner Sonnencreme. langsamen. Würden wir ein Bier in einer braunen Flasche und ein Bei den herkömmlichen, dunklen Flaschen Bier in einer hellen Flasche ne- gilt: Braune Glasflaschen sind ein wenig beneinander in die Sonne stellen, besser geeignet als grüne, um Bier aufzu- bekämen zwar beide nach einer bewahren. Braune Flaschen lassen näm- gewissen Zeit diesen Light- lich noch weniger Lichtstrahlen durch. Bei Struck-Geschmack. In der hellen grünen Flaschen kann es deshalb eher Flasche würde das aber deutlich vorkommen, dass Bier einen leicht ver- früher passieren. Sie kann das dorbenen und unangenehmeren Geruch Bier nicht so gut vor dem Licht hat. Außerdem erklärt es, warum sich viele schützen. Das braune Glas wirkt leidenschaftliche Biertrinker darüber unter- hingegen wie ein Lichtfilter, hält halten, dass Bier aus grünen Flaschen ko- allerdings auch nicht alle Lichtstrah- misch riecht. len auf. Prof. Dr. Hajo Haase Trotzdem gibt ist Professor für es viele Bier- Lebensmittel- marken, die in chemie und durchsichtigen Toxikologie Flaschen ver- an der kauft wer- Technischen den, zum Universität Beispiel Berlin.
14
UND PLÖTZLICH IST ALLES ANDERS Tims Chancen, Profibasketballer zu werden, standen gut – bis er aufgrund einer Verletzung für Wochen im Rollstuhl saß. Wie sich Tim zurück in seinen Alltag kämpfte und der Unfall seine Prioritäten änderte, erzählt er hier. TEXTMONA WESTHOLT FOTOMAGNUS TERHORST D er Moment, der das Leben von Tim Gilberti verändert, dauert nur wenige Sekunden. Ein Zweikampf während eines Basketball- spiels, wie er ihn schon hunderte Male Wenn Tim darüber spricht, wie sich von einem auf den anderen Moment sein Leben veränderte, wird er ernst und ru- hig. Sechs Jahre sind seit dem Unfall vergangen und ihm ist anzumerken, wie Um seinen Traum zu verwirklichen, brachte Tim Opfer: drei Mal täglich Trai- ning, wenig Zeit für seine Freund*innen und auch die Schule war für ihn zweit- rangig. Weil er durch den Unterricht das geführt hat. Der Ellenbogen eines Geg- traurig ihn dieser Schicksalsschlag Morgentraining verpasste, musste er am ners trifft ihn an der Halswirbelsäule. macht. Während er erzählt, sieht er im- Nachmittag ein zusätzliches Krafttrai- Tim verliert den Halt, kippt um, bleibt mer wieder auf den Boden – aber spricht ning absolvieren. Zeit für Hausaufgaben regungslos am Boden liegen. dann mit einem Lächeln weiter. blieb wenig. Sein Eifer zahlte sich aus. In seinem Team galt Tim als großes Talent. Diese Sekunden, sagt Tim heute, hat er RÜCKSCHLAG KURZ Ein Ex-Mitspieler der Metropol Baskets nicht richtig wahrgenommen. Sie fühl- VOR DEM PROFIZIEL Ruhr, wo Tim vor seinem Unfall spielte, ten sich an wie in Trance. Die Schieds- erzählt von seiner überdurchschnittli- richter unterbrachen das Spiel. Der Tim ist kein Basketballer wie jeder an- chen Schnelligkeit. Tim habe einen guten Teamarzt rief nach einer kurzen Unter- dere. Die Zeichen in seiner Karriere Wurf und ein sehr gutes Spielverständ suchung die Rettungskräfte, die Tim in standen überaus gut. Mit sechs Jahren nis gehabt. Zum richtigen Zeitpunkt die Notaufnahme brachten. Er erinnert stand Tim bereits auf dem Basketball- übernahm er mit dem nötigen Ego die sich noch, dass er im Krankenhaus da- platz und verbesserte sich mit jedem Verantwortung auf dem Spielfeld. von ausging, in wenigen Wochen wieder Training. Als er mit 14 Jahren in der Ju- spielen zu können. Es kam anders. gendbundesliga spielte, wurde ihm be- Wer dem 23-Jährigen mit den breiten Ärzt*innen entdeckten eine Wasserbla- wusst, dass er sich seinen Traum vom Schultern und dunklen Haaren heute se in seinem Halswirbelkanal, ein Kno- Profibasketball erfüllen könnte. Mit beim Basketballspielen zusieht, ahnt chenmarködem. Dieses behinderte und 1,93 Meter hat der heute 23-Jährige sein Können. Tim rollt den Basketball zerstörte Teile seines Nervenstrangs. nicht nur eine gute Körpergröße. Den auf seinem Finger, dribbelt ihn hin und Weder Arme noch Beine konnte Tim nötigen Ehrgeiz und das nötige Talent, her und zielt auf den Korb, wie er es spüren. Der bis dato aufstrebende Bas- um Karriere zu machen, besaß er auch, schon vor dem Unfall gemacht hat. Nur, ketballer: Von nun an saß er für Wochen sagen sowohl ein früherer Mitspieler als dass das heute alles keineswegs selbst- in einem Rollstuhl. auch sein heutiger Trainer. verständlich ist. 15
Tim im Gespräch mit Kurt-Autorin Mona Westholt Eineinhalb Jahre hatte Tim mit den phy- Unbedingt wollte er gesund werden, kam er nicht mehr richtig mit, musste sischen Folgen seiner Verletzung zu schnell wieder spielen. Doch genau die- ein Schuljahr wiederholen. „Von jetzt kämpfen. Er musste etliche Therapie ma- ser Druck hemmte seine Genesung. auf gleich ging alles kaputt“, sagt Tim. chen, um die Feinmotorik in seinen Ar- Heute weiß er, dass in seinem Kopf eine Die Belastungen waren für ihn kaum men zurückzuerlangen. Darunter Ergo-, Blockade entstanden war. Die Ärzt*in noch auszuhalten. Und seine Enttäu- Mal- und Musiktherapien. Das sei „das nen sprachen von einer psychogenen schung über den verpassten Aufstieg in Krasseste überhaupt“ gewesen. Ein Vi- Lähmung, die ihn daran hinderte, lau- die Profiliga wuchs täglich. Nur eine deo, das er auf Facebook geteilt hat, zeigt fen zu können. Und nicht nur das: Aus Woche nach seinem Unfall hätte Tim seine Fortschritte: Sein Körper hängt der Frustration heraus stritt er sich im- sich nämlich seinen Traum erfüllen schlaff in einem großen Gürtel. Seine mer öfter mit seinen Eltern. können: den Wechsel zur ersten Mann- Beine sind von Oberschenkel bis Waden schaft der ETB Wohnbau Baskets Essen. in Bandagen umwickelt. Auch seine DIE BELASTUNG WAR KAUM Dann hätte er sich offiziell Profibasket- Schuhe hängen in Schlaufen, die an robo- NOCH AUSZUHALTEN baller nennen dürfen. Mit dem Verein terartigen Metallbeinen festgemacht stellte er sogar einen Fünfjahresplan sind. Sie helfen ihm dabei, Schritte auf Selbst das Verhältnis zu seinen Ärzt*in auf, mit dem Ziel, in den hohen Ligen dem langsamen Laufband zu machen. nen habe darunter gelitten, sagt er. Tim Europas zu spielen. Der Wechsel schei- Mit den Metallbeinen hebt und senkt er fiel es zunehmend schwer, ihnen zu ver- terte, wie so vieles in dieser Zeit. Das seine Glieder wie ferngesteuert. trauen. Oft habe er länger für Fort- Management des Zweitligisten wolle schritte gebraucht, als die Ärzt*innen keine verletzten Spieler unter Vertrag Tim sagt, dass er damals schnell Fort- prognostizierten. Durch die Medika- nehmen, erfuhr Tim, als feststand, dass schritte machte. Er sagt aber auch, dass mente, die er nehmen musste, nahm er mehrere Monate ausfallen würde. ihm diese nicht schnell genug kamen. Tim stark an Gewicht zu. In der Schule Dies konnte und wollte er zunächst 16
» Ich war komplett am Boden zerstört. Ich hatte keine Lust mehr. Keiner glaubt an dich. Alle verlassen dich. « Tim Gilberti über die harte Zeit während und nach seiner Verletzung nicht wahrhaben. „Ich war komplett am Aber Tim will sich erst einmal auf die Wenn ich aber merke, ich komme mit Boden zerstört.“ Uni konzentrieren. Der Unfall hat seine der Uni nicht hinterher, würde ich einen Prioritäten verschoben. Früher kam ein Schritt zurückgehen.“ Als Tim die Folgen seines Unfalls be- Abitur für ihn nicht infrage. Das brau- wusst wurden, wurde er depressiv. Trotz che man als Profibasketballer nicht, hat Ganz aufgegeben hat Tim seinen Traum psychologischer Hilfe verschlimmerte er damals immer gesagt. Nach seiner vom Profidasein nicht. Zuerst will er sein sich die Depression. Zweimal versuchte Verletzung entschied er sich um. Er ab- Studium abschließen. Wenn er aber er, sich das Leben zu nehmen. „Ich hatte solvierte erst das Abitur, fing dann ein dann zur richtigen Zeit am richtigen Ort keine Lust mehr. Keiner glaubt an dich. Studium in Geowissenschaften an der vor den richtigen Leuten eine gute Leis- Alle verlassen dich“, erzählt er. Ruhr-Universität Bochum an. Basket- tung erbringt, kann er noch einen Schritt ball ist heute nicht mehr das Allerwich- zum Profibasketball gehen. „Mein Traum NEUES TEAM, tigste für ihn. „Ich will so lange und in ist es immer noch, wenigstens einmal im ANDERE PRIORITÄTEN so hohen Ligen spielen, wie möglich. Bundesligatrikot zu spielen.“ Es brauchte Zeit, bis die Zuversicht zu- rückkam. Etwa eineinhalb Jahre. Mit- hilfe von Psycholog*innen gelang es Tim, die Depression hinter sich zu las- sen. Er probierte sich bei verschiedenen Vereinen aus, die ihn als Basketballer wieder aufbauen wollten. Doch die ers- ten Trainingsversuche waren frustrie- rend. „Ich konnte den Ball nicht mehr richtig in meiner Hand fühlen.“ Er habe nicht mehr richtig werfen können. Nichts habe so funktioniert, wie er es wollte. „Mein Kopf wollte, aber meine Motorik konnte nicht.“ Mittlerweile kann seine Motorik wieder so, wie sein Kopf es will. Tim hat seinen Weg zurück zum Basketball gefunden. Bei seinem Dortmunder Verein SV Der- ne 49 fühlt er sich wohl. Er spielt im besseren Amateurbereich in der zweiten Regionalliga der Herren und hat das Vertrauen von Trainer und Mitspielern. Er hat sich in der vergangenen Saison sportlich weiterentwickelt, gute Ent- scheidungen getroffen und mehr Ver- antwortung übernommen, erzählt sein Trainer – und sieht in Tim sogar das Potenzial, in höheren Ligen zu spielen. 17
Genesung ist Kopfsache Im Sport ist nicht nur der Erfolg Kopfsache. Sportler*innen können auch ihre Verletzungen mental beeinflussen, sagt Jens Kleinert, Professor für Sport- und Gesundheitspsychologie an der Deut- schen Sporthochschule Köln. INTERVIEWMONA WESTHOLT FOTOPRESSE/DSHS KÖLN J unge Nachwuchstalente arbeiten mitunter ihr ganzes Leben darauf hin, Profisportler*innen zu werden. älterer Sportler. In beiden Bereichen können problematische psychische Fol- gen auftreten. Die Probleme sind aber anderes sagt als der Trainer und dieser etwas anderes sagt als der Vater. Sport- ler brauchen eine aufgehobene, positive Eine Verletzung kann diesen Lebens anders gelagert. Bei jungen Athleten und konsistente soziale Umgebung. traum durchkreuzen. Was m acht das hängt oft der Traum der Karriere von der mit den Betroffenen? Verletzung ab. Sie müssen sich noch im Kann eine Verletzung die Leistung Sport ist gerade für junge Athleten mit Profisport bewähren. Dagegen ist der der Sportler*innen nachhaltig belas vielen Idealen und Wünschen verbun- Sport für ältere Athleten wesentlich exis- ten – angenommen, sie sind wieder den. Eine Verletzung, die so schwer sein tenzabhängiger, da sie häufig auch finan- vollkommen körperlich genesen? könnte, dass bestimmte Träume in Ge- ziell auf den Sport angewiesen sind. Es kommt immer wieder vor, dass Ath- fahr sind, kann bei ihnen zu krisenhaften leten, die sich in bestimmten Situatio- Veränderungen führen. Man unterschei- Können verletzte Sportler*innen ihre nen verletzt haben, sehr zurückhaltend det zwischen kleineren oder mittleren Genesung mental beeinflussen? oder ängstlich sind. Eine Verletzung Verletzungen und solchen, die zum Kar- Körperliche und psychische Heilungs- kann also die Leistung nachhaltig min- riereabbruch führen könnten. Bei letzte- prozesse hängen stark voneinander ab. dern. Ein unangemessenes, unsicheres ren brauchen die Sportler häufig sport- Das, was exzellente von sehr guten Verhalten kann sogar dazu führen, dass psychologische Hilfe. Sie könnten sogar Sportlern unterscheidet, ist der Kopf. sportmotorische oder technische Fehler Symptome bekommen, die sie psycho- Wenn verletzte Sportler eine positive gemacht werden, die wiederum zu Fol- therapeutisch behandeln lassen müssen. Einstellung haben und sich selbst in der geverletzungen führen. Heilung vertrauen, spiegelt sich das po- Welche Symptome sind das? sitiv im körperlichen Heilungsprozess Wo können Sportler*innen, die we Zunächst sind das vor allem Niederge- wider. Die Athleten, die mit solchen Si- gen einer Verletzung ihren Profi-Traum schlagenheit und Lustlosigkeit. Dies be- tuationen optimal zurechtkommen, aufgeben mussten, Hilfe finden? zieht sich nicht nur auf das Training. Es sind die, die am Ende Karriere machen. Es gibt ganz unterschiedliche Institutio- kann auch zu schlechteren Leistungen nen, die den Sportlern helfen können. in der Schule oder im Studium kom- Welche Rolle spielen dabei die Mann Kaderathleten können über die Olym- men. Das ganze System fährt herunter schaft und das persönliche Umfeld? piastützpunkte psychologische Betreu- und eine emotionale Leere entsteht. Die Das soziale Umfeld ist einer der wich- ung finden. Speziell für junge Athleten Sportler haben weniger Energie und tigsten Faktoren für die psychische Situ- gibt es die „MentalTalent“ Initiative in sind nicht mehr so aktiv wie früher. ation der Athleten. Das können der NRW. Das ist ein Netz von Sportpsycho- Trainer, die Familie oder Freunde sein, logen, die besonders junge Sportler und Kann eine Verletzung bei Nach- die ihnen zusprechen oder durch Tipps Sportlerinnen betreuen. Die Initiative wuchssportler*innen andere psychi und Hilfestellungen unterstützen. „MentalGestärkt“ vermittelt bei psychi- sche Folgen haben als bei gestande Wichtig ist, dass Sporttreibende sich in schen Problemen, also etwa bei Verdacht nen Profisportler*innen? dem sozialen Umfeld aufgehoben und auf Depressionen, therapeutische Hilfe. Die Situation von jungen Profisportlern, geborgen fühlen. Es wäre schlimm, Karriereberatungen können Sportlern die am Anfang ihrer Karriere stehen, un- wenn sich verschiedene Instanzen wi- helfen, indem sie Alternativen zur sport- terscheidet sich kaum von der Situation dersprechen. Wenn also der Arzt etwas lichen Karriere aufzeigen. 18
⁄ ⁄ KURTSMITTEILUNG Werbung ohne Wurst! In jedem Heft schreiben wir eine Mail – dieses Mal an die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft Julia Klöckner. Werbung für billiges Fleisch ist omnipräsent. Unsere Autorin fordert ein Verbot von Billigfleisch-Werbung, um die Gesundheit der Verbraucher*innen zu schützen. TEXTLAURA WUNDERLICH Neue Nachricht: Werbeverbot für Billigfleisch Laura Wunderlich Julia Klöckner Werbeverbot für Billigfleisch Sehr geehrte Frau Klöckner, jede*r Deutsche isst im Durchschnitt 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr. So berichtet es die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Das ist viel zu viel. Nur 30 Kilogramm empfiehlt der Verein „Deutsche Gesellschaft für Ernährung“. Die Folgen des zu hohen Fleischkonsums sind ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle, Diabetes und Krebskrankheiten. Dass wir so viel Fleisch essen, wird vor allem durch eins ermöglicht: niedrige Preise. Jede Woche landen in den Briefkästen der Verbraucher*innen bunte Blättchen, die mit dem nächsten Schnäppchen werben. Liebe Frau Klöckner, Sie müssen dafür sorgen, dass dieser Wahnsinn endet: Schaffen Sie ein Werbeverbot für Billigfleisch. Es kann nicht sein, dass ein Kilogramm Schweinehack für drei Euro zur Verlockung wird. Ein Verbot von Werbung für Billigfleisch ist vergleichbar mit dem Werbeverbot für Tabak. Bei Zigaretten hilft diese Maßnahme. Um etwa sieben Prozent geht der Tabakkonsum zurück, wenn man ihn nicht mehr bewirbt, sagt die Weltgesundheitsorganisation. In der Praxis zeigen sich noch stärkere Auswirkungen. Der Tabakkonsum sank in Finnland nach dem Werbeverbot um 37 Prozent, so das gemeinnützige Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung. Um die Gesundheit der Verbraucher*innen zu schützen, sind Werbeverbote also sinnvoll. Und da die deutsche Politik Tabakwerbung einschränkt, ist es nur konsequent, beim Fleisch weiterzumachen. Ein Werbeverbot könnte zudem ein Umdenken in der Lebensmittelbranche anstoßen: Der öffentliche Preiskampf wäre unterbunden. Wenn der Einzelhandel nicht mehr mit dem Preis werben kann, muss er andere Verkaufsargumente finden – etwa das Tierwohl. Die Discounter und Supermärkte hätten dann einen Anreiz, den Halter*innen klare Vorgaben zu machen, wie die Tiere leben müssen. Infolgedessen könnte das Werbeverbot dazu führen, dass sich gute und gesunde Tierhaltung mehr lohnt. Das Werbeverbot von Billigfleisch wäre damit ein guter Schritt, um endlich Veränderungen in der Fleischindustrie zu erreichen. Fangen Sie an. Mit freundlichen Grüßen Laura Wunderlich 19
IM SCHREBERGARTEN SEINE LAUBE Perfekter Rasen, symmetrisch angeordnete Gemüsebeete und penibel herausgeputzte Gartenzwerge. Schrebergärten sind das Symbol deutscher Spießigkeit. Dieses Bild verändert sich. Ein Besuch bei Jonas, 24 Jahre alt und begeisterter Kleingärtner. TEXTSASCHA MATTHIAS ERDELHOFF FOTOSIMON JOST 20
21
Seit Januar hat Jonas (rechts) einen Kleingarten gepachtet. Freund Fabian steht ihm immer zur Seite. 22
W er zu Jonas Adrian möch- te, braucht ein gutes Ge- dächtnis und einen genau- en Orientierungssinn. Zwischen den Hecken, Lauben und Gemüsebeeten und den Rasen mit einer Nagelschere perfekt auf 3,5 Zentimeter zu stutzen? Tatsächlich ist Jonas mit seinen 24 Jah- ren einer der Jüngsten in seinem Gar- tenverein. Flagge hängt. Bis es hier so aussah, war viel Arbeit notwendig: „Der Garten sah vorher aus wie hingerichtet“, sagt Jonas. „Das waren hier teilweise richtige Müllberge. Das musste ich erstmal kann man sich leicht verlaufen. Die wieder alles auf Vordermann bringen.“ Strecke führt über einen kleinen Kies- Doch Studien zeigen: Das Kleingarten- Unterstützung bekommt Jonas von weg, vorbei an Ästen von Obstbäumen, wesen verändert sich. Da die Pächter*in seinem Freund Fabian, der als gelernter die aus einigen Gärten auf den schma- nen von Kleingärten immer älter wer- Elektriker besonders in handwerklichen len Pfad ragen. Wer es geschafft hat, der den, kommt es hier nach und nach zu Dingen helfen kann. Jonas selbst macht entdeckt Jonas schließlich in einem der einem Generationenwechsel. Derzeit eine Ausbildung zum Heilerziehung s- vielen Gewächshäuser hinter einer klei- liegt das Durchschnittsalter der Men- pfleger und bietet Massagen an. Wenn nen Hecke – in seinem eigenen grünen schen, die einen Kleingarten gepachtet er nicht arbeitet, nutzt er jede freie Reich. Der 24-Jährige hat sich seinen haben, bei 56 Jahren. 2013 waren Minute für die Gartenarbeit. Traum vom Schrebergarten erfüllt. Seit Kleingärtner*innen in Deutschland Januar gehören ihm 400 Quadratmeter durchschnittlich noch etwa 60 Jahre alt. IM GRÜNEN FREI Grün, mitten in einer riesigen Kleingar- Besonders in den großen westdeut- UND UNABHÄNGIG tenkolonie in Soest nahe Dortmund. schen Städten übersteigt die Nachfrage nach Kleingärten mittlerweile das An- Jonas geht es nicht nur ums Gärtnern. Viel Fläche, die viel Arbeit bedeutet: gebot. Hier sind es vor allem junge Fa- Für ihn bedeutet der eigene Garten „Umgraben, anpflanzen, düngen, gie- milien, die dazu beitragen, dass das auch Freiheit und Unabhängigkeit. „Für ßen, reparieren – es steht immer jede Durchschnittsalter in den Vereinen mich stand fest: Entweder ziehe ich zu Menge an“, erzählt Jonas. Lässig geklei- sinkt. Das ergab eine Studie des Bun- Hause aus oder ich kaufe mir ein eige- det mit T-Shirt, Sporthose und Turn- desinstituts für Bau-, Stadt- und Raum- nes Grundstück“, erzählt er. Jonas hat schuhen macht er sich an die Arbeit. Die forschung 2019. In Deutschland gibt es Schweißtropfen auf der Stirn. Einen Mittagssonne scheint von außen durch insgesamt etwa 1,1 Millionen Klein Stein nach dem anderen platziert er auf die Scheiben seines kleinen Gewächs- gärten. Dass diese bei Jüngeren zuneh- dem schmalen Kiesfundament in sei- hauses. Mit einer Schaufel gräbt Jonas mend beliebt werden, lässt sich zum nem Gewächshaus. Am Ende soll hier ein Loch in die Erde. Behutsam setzt er Beispiel mit einem neuen Zeitgeist in ein kleiner Weg entstehen. Im Gewächs- eine junge Bananenpflanze hinein. Ein der Bevölkerung erklären: Obst und Ge- haus ist es noch heißer und stickiger als bisschen Dünger und Wasser dazu und müse aus dem eigenen Garten, biolo- draußen bei seinen Beeten oder der schon ist sein Garten wieder etwas grü- gisch und ohne Chemie oder Schäd- breiten Rasenfläche. Jonas sagt: „Der ner geworden. „Das war schon immer lingsbekämpfung – gerade bei den Garten ist riesengroß und ich kann ein Kindheitstraum von mir“, sagt er. jungen Menschen aus der Stadt kommt mich hier komplett entfalten. Ich kann „So wie andere Spaß an Fußball haben dies zunehmend in Mode. sogar hier übernachten.“ Hin und wie- oder daran, am Auto zu schrauben, habe der feiert er vor seiner Laube kleine ich Spaß am Gärtnern.“ Zu Hause bei Selbst angepflanztes Obst und Gemüse: Gartenpartys mit Freund*innen. seiner Mutter in Soest hat Jonas nur ei- Das war auch für Jonas ein Grund, nen kleinen Ziergarten. warum er den Kleingarten gepachtet „Gerade die Jüngeren sehen den eige- hat. Obstbäume, Sträucher mit Beeren, nen Garten auch als Freizeitgarten“, er- EINE NEUE GENERATION Kürbisse, Wassermelonen und jede klärt Frank Vormberge. Er ist Vorstand EROBERT DEN KLEINGARTEN Menge Kräuter wachsen hier. In einem des Gartenvereins „Am alten Flughafen“ Gewächshaus pflanzt er zudem Zitronen in Dortmund. Sein Verein erlebe eben- Kleingärtner*innen: Sind das nicht und Tomaten an. Sogar eine kleine, blau falls einen Generationenwechsel der Rentner*innen, die ihren Tag damit ver- gestrichene Laube gibt es auf seinem Pächter*innen: „Die Älteren gehen so bringen, den Gartenzwerg zu polieren Grundstück, in deren Fenster die Pride- langsam, weil sie einsehen, dass sie die 23
Arbeit nicht mehr schaffen, oder leider wirtschaften: „Aus eigener Erfahrung einer großen Kreissäge weiter Steinplat- versterben. Diejenigen, die bei uns ei- kann ich sagen: Wenn man Gärtner hat, ten für den Weg im Gewächshaus zu- nen neuen Garten bekommen, sind die alleinstehend sind und vielleicht recht. Dank ihm hat es mit dem Garten meistens so um die 30 bis 45 Jahre alt.“ noch arbeiten müssen, dann ist das sehr schließlich doch geklappt. Fabian er- Auch einige Studierende haben im Ver- schwierig.“ zählt: „Jonas kam aus dem Vereinsheim ein einen Garten gepachtet. Konflikte raus und sagte zu mir: ‚Wir müssen jetzt zwischen den Generationen beobachtet Für Jonas war es nicht einfach, über- zusammenbleiben. Ich habe dem Ver- Frank Vormberge nicht: „Bei uns im haupt einen eigenen Garten zu bekom- einsleiter gesagt, du bist mein Freund Verein müssen sich die Jungen und die men. Er kniet auf dem Boden, vor ihm und du machst das jetzt hier mit mir.‘“ Alten an die Regeln halten“, erklärt er. zwei Reihen Knoblauchpflanzen und Fast jedes Wochenende verbringt Jonas mindestens doppelt so viel Unkraut. in seinem Garten. Wenn es die Arbeits- KÄMPFEN FÜR „Ich wurde nicht mit offenen Armen zeiten zulassen, ist er auch unter der DEN EIGENEN GARTEN empfangen“, sagt er. „Da ich nicht ver- Woche hier. Das Gärtnern habe er sich heiratet und noch ziemlich jung bin, hat selbst beigebracht, erzählt er. „Und Vormberge sagt, der Verein sei froh, der Vereinsleiter gesagt, dass ich mit wenn ich mal nicht weiter weiß, dann dass auch Jüngere eintreten, weil sie meinem Alter hier nicht angenommen schaue ich im Internet nach, beispiels- mit anpacken können: „In so einem werde.“ Schließlich habe es viel Überre- weise wie man Zwiebeln anpflanzt.“ Garten fallen natürlich diverse Arbeiten dungskunst gekostet, bis der Vereinslei- an. Da ist es schön, ein paar Leistungs- ter endlich nachgegeben habe. Routi- MEHR ALS GRILLEN träger dabei zu haben. Das sind eben niert zupft Jonas mit den Fingerspitzen UND PARTY MACHEN meistens die Jüngeren, weil die mehr Unkraut und alles, was sonst nicht ins Kraft haben.“ Dennoch sei ein eigener Beet gehört, aus der trockenen Erde. So Spaß am Anpflanzen und Ernten ist Kleingarten nicht für jeden etwas. lange, bis der Knoblauch wieder genug wichtig, wenn man Kleingärtner*in wer- Kleingärtner*innen sollten Zeit haben, Raum zum Wachsen hat. Währenddes- den will. Denn nur zum Grillen und Fei- regelmäßig den eigenen Garten zu be- sen schneidet sein Freund Fabian mit ern seien die Gärten nicht gedacht, er- 24
klärt Frank Gerber vom Stadtverband setzungen erfüllen, um in den Garten- müse angebaut werden muss, wie groß Dortmunder Gartenvereine: „Im Bun- verein aufgenommen zu werden. „Wenn die Laube sein darf und welche Pflanzen deskleingartengesetz ist genau defi- der Verein den Eindruck hat, der erlaubt sind. Ganz so streng wie früher niert, wozu ein Kleingarten da ist: ei- Mensch möchte wirklich nur grillen und sei es aber heute oft nicht mehr, meint nerseits zum Anbau von Obst und Party machen und hat gar kein Interesse der Dortmunder Vereinsvorstand Frank Gemüse und andererseits zur Erho- daran, hier Gemüse anzubauen, dann Vormberge: „Bis vor wenigen Jahren lung.“ Wenn jemand den Fokus nur auf würde er vielleicht gar nicht aufgenom- war es noch so, dass die Vorstände ganz die Erholung lege, könne das zu Kon- men werden“, sagt Gerber. Häufig gibt genau geguckt haben, ob das wirklich flikten führen. Kleingärten seien auch es deshalb ein Aufnahmegespräch mit alles akkurat ist und die Richtlinien ein- deshalb so günstig, weil sie der Eigen- dem Vorstand. Außerdem müssen Mit- gehalten werden. Und es waren wenige versorgung dienen sollen. glieder eines Gartenvereins an Gemein- Jüngere, die das dann überhaupt noch schaftsstunden teilnehmen. Die Ver- wollten, einfach weil die keine Lust hat- Tatsächlich sind Kleingärten im Ver- einsmitglieder kümmern sich dabei ten, die ganze Zeit nur Gemüse anzu- gleich zu einer Mietwohnung für wenig gemeinsam um die Pflege der gesamten bauen.“ Geld zu haben. Mit etwa 400 Euro pro Gartenanlage. Jahr sollten Interessierte laut Gerber Dennoch gibt es Vormberge zufolge für den eigenen Kleingarten rechnen. WEG VOM auch heute noch Vereine, die ganz ge- Wasser, Strom und Versicherung inklu- GARTENZWERG-IMAGE nau hinschauen: „Da laufen die wirklich sive. Jonas zahlt für die Pacht seines noch kleinkariert mit Maßbändern Gartens und eine Versicherung 160 Viele Vorschriften und alles ist bis ins durch die Gegend, messen alles aus und Euro im Jahr. Dazu kommen weitere kleinste Detail festgelegt: Kein Mensch zählen, wie viele Kohlköpfe man Kosten für die Gartenpflege. Gerber zu- scheint das mehr zu lieben als braucht.“ Er selbst achte zwar auch dar- folge sollten Kleingärtner*innen etwa Kleingärtner*innen. So schreibt das auf, dass die Gärten nicht verkommen zwei- bis dreimal in der Woche Zeit für Bundeskleingartengesetz vor, auf wie und Regeln eingehalten werden, aber es ihren Garten einplanen und die Voraus- viel Fläche des Gartens Obst und Ge- zähle vor allem das Gesamtbild. Das 25
Klein gartenwesen öffne sich immer mehr, wodurch es einen Wandel gebe weg vom „Gartenzwerg-Image“ hin zum modernen Kleingartenwesen, heißt es dazu in der Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung. WENN DER RASEN NICHT KURZ GENUG IST Der obligatorische Gartenzwerg steht bislang nicht in Jonas' Garten. Und auch der Rasen ist nicht überall sauber gemäht. Insgesamt seien in seinem Gar- tenverein alle sehr locker, erzählt Jonas. Während des Gesprächs schaut sein deutlich älterer Nachbar ab und zu inte- ressiert über den Gartenzaun. Die bei- den tauschen sich aus. Man kennt sich. Erst vor Kurzem hat Jonas ihm seine alten Fenster aus dem Gewächshaus ge- schenkt. Doch es gebe auch Pächter*in nen, die gelegentlich meinen, die Gär- ten der anderen genauer prüfen zu müssen: „Ich habe schon mal von Gärt- nern gehört, dass ich meinen Rasen kurzzuhalten habe. Ich habe auch schon gehört, dass das Dach meiner Garten- laube falsch wäre oder meine Wasser- tonne zu schief stehen würde“, sagt Jo- nas. „Aber die Sprüche gehen da rein, da raus.“ Er habe den Garten schließlich gepachtet, damit er ihn selbst gestalten könne und nicht andere. Mittlerweile scheint die Abendsonne durch die Blätter der Bäume und die Scheiben von Jonas' Gewächshaus. Den ganzen Tag hat er mit Freund Fabian im Garten verbracht und Pflanzen in die Erde gesetzt. Der Weg im Gewächshaus ist nun auch gepflastert. Die Motivation für die harte Arbeit käme von ganz al- lein, erzählt Jonas. Es gebe aber auch Tage, an denen er einfach nur auf der Wiese in seinem Garten sitze und die Sonne genieße. Es seien außerdem noch viele weitere Projekte geplant: „Ich wür- de gerne noch einen kleinen Pavillon mit Theke bauen. Aber das hat Zeit“, er- zählt er lachend. 26
⁄⁄ KURTSARBEIT Die Corona-Detektivin Unzählige Daten fallen derzeit im Dortmunder Gesundheitsamt durch das Coronavirus an. Studentin Katharina Verch hilft als Containment-Scout dabei, alle digital zu erfassen und sorgt so dafür, dass der Überblick nicht verloren geht. TEXTMIGUEL KALUZA FOTOLUCAS ENGELHARDT K annst du das lesen?“, fragt Katharina Verch ihre Kolleg*innen immer dann, wenn sie die Handschrift auf ei- nem Anamnese-Bogen nicht entziffern kann. Auf diesen Bögen stehen die Kontaktdaten von Menschen, die möglicherweise mit Corona infiziert sind. Katharina arbeitet in einer Behörde, dem Gesundheitsamt Dortmund. Doch mitunter gleicht ihr Job dem einer Detektivin – um die Handschriften zu entziffern. „Manchmal lesen wir komplett verschiedene Wörter aus den Bögen heraus, dann helfen wir uns gegenseitig“, sagt Katharina. Dabei hat sie mit Kriminologie sonst nichts zu tun: Die zahl der getesteten Personen haben“, sagt sie. Als die Stadt 27-Jährige studiert Sport- und Gesundheitstechnik an der bereits Genesene für Blutplasma-Spenden anfragen wollte, Hochschule in Hamm. Als Containment-Scout ist es nun ihre waren die aufgearbeiteten Daten besonders wertvoll, erzählt Aufgabe, Daten von Corona-Tests in Excel-Tabellen festzuhal- Katharina. ten. „Mir ist es wichtig, in dieser besonderen Situation einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten“, sagt Katharina über Fünf Kolleg*innen arbeiten mit ihr im Dortmunder Gesund- ihren Job. Ihr Onkel hatte ihr zu Beginn der Coronakrise eine heitsamt als Containment-Scouts. Dass es sich dabei nicht um Stellenausschreibung des Bundesverwaltungsamtes gezeigt. einen Job handelt, den die Studentin entspannt nebenbei ma- Nach kurzer Bewerbungsphase wurde sie Ende April dem Ge- chen kann, habe schon die Vorbereitung gezeigt. „Uns wurde sundheitsamt Dortmund zugeteilt – zweiter Stock, Abteilung ein großer Ordner mit Schulungsmaterial bereitgestellt, damit Infektionsschutz. Für ihre Vollzeit-Arbeit bekomme sie im wir optimal für unseren Job vorbereitet sind“, sagt Katharina. Vergleich zu anderen Studierendenjobs ein gutes Gehalt, fin- det Katharina. Was sie genau verdient, will sie nicht verraten. Eigentlich empfiehlt das Bundesverwaltungsamt den Studie- renden, ein Urlaubssemester für den Job einzulegen. Kathari- Mit Mundschutz sitzt sie nun fünfmal in der Woche vor ihrem na befindet sich bereits in den letzten Zügen ihres Studiums. Monitor. Die Anamnese-Bögen, von denen etwa 60 jeden Tag Sie ist überzeugt, dass sie es auch ohne hinkriegt: „Durch die auf ihrem Schreibtisch landen, kommen von den Dortmunder momentane Situation ist es ein glücklicher Zufall, dass die Corona-Teststationen. Dort tragen die Getesteten ihre Daten Veranstaltungen dieses Semester komplett online ablaufen wie Anschrift, Telefonnummer, E-Mail, Aufenthalt in Risiko- und ich diese nach Feierabend und am Wochenende nach- gebieten oder Symptome ein. Katharinas Aufgabe ist es, diese arbeiten kann.“ Katharina gibt aber zu, dass „es manchmal Angaben in Excel-Tabellen zu digitalisieren – nachdem sie es schon stressig ist“, wenn beispielsweise Klausuren anstehen. geschafft hat, die Handschrift zu entziffern. Bis Ende Oktober wird sie noch im Gesundheitsamt in Dort- mund arbeiten. Hinzu kommen die Testergebnisse aus dem Labor. Die muss Katharina ebenfalls digital erfassen und den Kontaktdaten „Durch die gesammelten Erfahrungen im Gesundheitsamt in der Excel-Tabelle zuordnen. „Unsere Arbeit ist wichtig, entwickelt man ein ganz anderes Bewusstsein für die Wichtig- damit wir einen genauen Überblick über die Daten und An- keit der Maßnahmen“, findet sie. 27
Sie können auch lesen