Einigkeit - Wir halten Abstand und zusammen! - Das Magazin der NGG - Gewerkschaft Nahrung ...

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Einigkeit - Wir halten Abstand und zusammen! - Das Magazin der NGG - Gewerkschaft Nahrung ...
Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten | Ausgabe 2-2020 | www.ngg.net

einigkeit                                                                Das Magazin der NGG

Wir halten Abstand
und zusammen!
Einigkeit - Wir halten Abstand und zusammen! - Das Magazin der NGG - Gewerkschaft Nahrung ...
WIR SAGEN
               DANKE!

In der
    2 Coronavirus-Krise
        einigkeit 2-2019 haben so viele so viel geleistet – unsichtbar und wenig wertgeschätzt: Danke!
Einigkeit - Wir halten Abstand und zusammen! - Das Magazin der NGG - Gewerkschaft Nahrung ...
EDITORIAL

Ihr seid systemrelevant
Wie belastbar ein guter Zusammenhalt und wie leistungsfähig
Organisationen sind – das merkt man besonders in Ausnahmesitu-
ationen. Wir erleben seit Monaten eine Krise historischen
Ausmaßes, die unser Leben vollständig auf den Kopf gestellt hat.
Niemand hätte sich Anfang dieses Jahres vorstellen können, wie
sehr ein Virus innerhalb kürzester Zeit unseren Arbeitsalltag verän-
dern würde. Der Spannungsbogen, den wir alle aushalten, ist
enorm: Während die einen durch Kurzarbeit in Existenznot geraten
sind, müssen andere Sonderschichten fahren, damit Lebensmittel
nicht knapp werden. Hinzu kam für Unzählige die Doppelbelastung
durch Schul- und Kitaschließungen auf der einen und Homeoffice
auf der anderen Seite. Da gibt es nichts zu beschönigen: Die
Hauptlast hierbei haben oft die Kolleginnen getragen.

Während manche Unternehmen im fairen Dialog mit den Betriebs-
räten und der NGG nach flexiblen und tragfähigen Vereinbarungen
zum Gesundheitsschutz der Beschäftigten und Zukunftssicherung
der Betriebe suchten, gab es auch das Gegenteil: Arbeitgeber, die
sich konstruktiven Gesprächen verweigerten oder egoistisch auf
die Unterstützung des Staates schielten und zugleich schamlos
Arbeitnehmerrechte aushebeln wollten.

An dieser Stelle ist nur selten der Platz für Superlative. Nahezu
täglich mussten wir uns in den vergangenen Monaten neuen Heraus-
forderungen stellen, vom Lockdown der gesamten Gastronomie und
Hotellerie bis hin zu den skandalösen Zuständen in der Schlacht-
industrie. Doch das Krisenmanagement im Zusammenspiel von
Betriebsräten und NGG war durchweg richtig gut. Und agil. All dem
möchten wir in dieser Ausgabe zur Coronavirus-Pandemie Rechnung
tragen. Sie soll zeigen, wie unterschiedlich unsere Branchen
betroffen waren. Aber für alle gilt: Ihr habt vermutlich enorm
belastende Arbeitswochen erlebt. Wir sind an Eurer Seite und
danken Euch für Euren unglaublichen Zusammenhalt!

Bitte bleibt gesund!

Guido Zeitler
NGG-Vorsitzender
                                                                                           Foto: Stephan Pramme

                                                                 einigkeit   2-2019
                                                                  einigkeit 2-2020     3
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6     FOKUS | POLITIK
                                                                                 Coronavirus: Überstunden – Kurzarbeit – Arbeitslosigkeit, so teilte sich in Zeiten   16   FOKUS | POLITIK
                                                                                                                                                                           Endlich öffentlich: Mit massivem
                                                                                 des Lockdowns die Arbeitswelt in den NGG-Branchen. Während das Virus unser                Druck gegen die skandalösen
                                                                                 Leben verändert, war das Gebot der Stunde: Abstand und zusammenhalten.                    Zustände in Schlachtbetrieben

                                                                                 FOKUS | POLITIK
                                                                                                                                                                        NGG AKTIV

                                                                              6 Coronavirus-Pandemie                            20 Von vorbildlich bis katastrophal        23 jungeNGG
                                                                            Wir halten Abstand und                                                                             Ausbildung à la Corona
Fotos: Uwe Völkner / Fotoagentur FOX; Verena Müller; NGG; Jens Wegener

                                                                                                                            		 NGG-Vize Freddy Adjan im
                                                                         		 zusammen! Wer kommt wie durch                   		 Interview über Krisenmanagement,            26 Gleichstellung
                                                                         		 diese Krise? Momentauf-		                       		 alte Missstände und künftige             Jetzt keine Rolle rückwärts

                                                                         		 nahmen aus den NGG-Branchen                     		Herausforderungen
                                                                                                                                                                           32 Meldungen
                                                                              16 Zwischen Kotelett und Corona
                                                                                                                                                                               Burgerbrater im Chaos
                                                                            Seit Jahren prangert die NGG
                                                                         		 menschenunwürdige Bedingungen                                                              		 Das erste Mal ... bei McDonald´s
                                                                         		 in deutschen Schlachtbetrieben an                                                          		 in Frankfurt-Kalbach

                                                                          4      einigkeit 2-2020
                                                                                 einigkeit 2-2019
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IN DIESER AUSGABE

18   MENSCHEN
     Solidarität und Zusammenhalt:      28        NGG VOR ORT
                                                  Mitgliederbetreuung in Krisenzeiten: Kein Problem für das Team der Region
     Viele folgten dem Aufruf zur                 Nürnberg-Fürth. Geschäftsführerin Regina Schleser (Mitte), Laura Schimmel (l.)
     Digital-Demo #GesichterderKrise.             und Kai Eifler setzen auf innovative Formate.

 		MENSCHEN                              		 NGG VOR ORT                               		 KURZ NOTIERT

     18 #GesichterderKrise                   28 Regionen                                   34 Rechtstipp
         Die NGG Digital-Demo               Wir sind für Euch da – 		                 		 Eine Pandemie ist
                                         		 Geschlossene Türen bedeuten               		 kein rechtsfreier Raum
     24 Jubilare                         		 keinesfalls fehlende Hilfe
         Wir gratulieren!                                                                  34 Ausblick
                                                  KOPF UND BAUCH
                                                                                          35 Impressum
                                             33 Vorlesen – Nachlesen – Weiterlesen
                                         		 Buchtipps
                                         		 Euer Feedback

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                                                                                                           einigkeit 2-2019    55
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Wir halten Abstand
                                                                                         und zusammen!
                                                                                            Die Coronavirus-Pandemie verändert die Welt. Während ein Teil der Beschäftigten in den NGG-Branchen am Limit
                                                                                         arbeitet, müssen andere mit Kurzarbeitergeld über die Runden kommen oder fürchten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.
                                                                                         Die Situation ändert sich rasant. Die „einigkeit“ hat im April und Mai Momentaufnahmen eingefangen.
Fotos: Andrea Birr; Uwe Völkner / Fotoagentur FOX; Douwe Egberts; NGG

                                                                                                                                                                                        Hygiene und Abstand
                                                                                                                                                                                        sind die entscheiden-
                                                                                                                                                                                        den Vorgaben in Zeiten
                                                                                                                                                                                        der Pandemie: Das gilt
                                                                                                                                                                                        für die Terrassen am
                                                                                                                                                                                        Bremer Weserbogen
                                                                                                                                                                                        ebenso wie für die
                                                                                                                                                                                        Handdesinfektion bei
                                                                                                                                                                                        Gästen im Kölner „ext-
                                                                                                                                                                                        rablatt“. Zusätzlichen
                                                                                                                                                                                        Schutz bieten Visiere,
                                                                                                                                                                                        eine Idee der JDE-Azu-
                                                                                                                                                                                        bis. In vielen Betrieben
                                                                                                                                                                                        wurde der Zusammen-
                                                                                                                                                                                        halt digital über
                                                                                                                                                                                        #GesichterDerKrise
                                                                                                                                                                                        demonstriert.

                                                                        6   einigkeit 2-2020
Einigkeit - Wir halten Abstand und zusammen! - Das Magazin der NGG - Gewerkschaft Nahrung ...
FOKUS | POLITIK

                                              „Für die, die heute den Beschäftigten Hilfe
                                              verweigern, dürfte es in Zukunft nicht leichter werden,
                                              geeignete Fachkräfte und Auszubildende zu finden.“
                                              Freddy Adjan, stellvertretender NGG-Vorsitzender

In den Unternehmen der NGG-Branchen           „Wir haben schließlich noch Arbeit, nie-           schen tatsächlich aus der Kurzarbeit wie-
spiegelt sich eine Situation, mit der heute   mand musste entlassen werden“, sagt die            der an ihren angestammten Arbeitsplatz
fast alle Beschäftigten zu kämpfen haben:     Betriebsratsvorsitzende von GB Foods               zurückkehren können.
Ein Teil der Beschäftigten fährt Überstun-    Deutschland (u. a. Erasco), Susanne Kra-
den und steht täglich unter dem Druck,        nick. Außerdem organisieren die Betriebs-          Den Preis für die Folgen der Pandemie
möglichst keine Lücken in den Supermarkt-     räte mit den Arbeitgebern Entlastung, wo           zahlen letztlich oft die Beschäftigten. In
regalen zuzulassen. Viele sitzen im Ho-       es möglich ist. Die Kantine ist so ein Prob-       der Systemgastronomie jedoch ist es der
meoffice, die einen recht zufrieden, andere   lemort. Mal wird das Essen fertig von au-          NGG bereits Ende März gelungen, mit den
gestresst zwischen Schreibtisch und Fami-     ßen geholt, in anderen Betrieben läuft die         Arbeitgebern eine Zusatzvereinbarung zum
lie, die auch noch bekocht und bespielt       Kantine weiter – mit Corona-gerechtem              Tarifvertrag abzuschließen, die eine Erhö-
werden will oder Unterstützung bei den        Abstand.                                           hung des Kurzarbeitergeldes auf 90 Pro-
Schulaufgaben braucht. Aber es gibt auch                                                         zent des Nettolohns sichert. Auch in ande-
die andere Seite: In den Hotels, den Gast-    Drehen an der Zeitschraube                         ren Branchen gibt es tarifvertragliche Lö-
stätten fehlen die Gäste – und die Arbeit.    Während es in vielen Unternehmen nun               sungen oder Betriebsvereinbarungen für
                                              mehr Lob von oben für die Beschäftigten            eine Aufstockung. Doch im stark betroffe-
Unsichtbare Helden                            gibt und die Mehrarbeit mit den Betriebs-          nen Gastgewerbe sowie im Fleischer- und
Überstunden – Kurzarbeit – Arbeitslosig-      räten sorgfältig abgestimmt wird, nutzen           Bäckerhandwerk verweigern die Arbeitge-
keit, so teilt sich in Zeiten des Lockdowns   andere Unternehmen „die Gunst der Stun-            ber bis auf wenige Ausnahmen jede Hilfe.
die Arbeitswelt. Zusammenhalten war und       de, um mit den neuen, politisch gewollten          Auch das wird nicht ohne Folgen bleiben.
ist das Gebot und Ziel der NGG: Unterstüt-    Möglichkeiten grundsätzlich an der Zeit-
zung für alle, die mehr arbeiten müssen,      schraube zu drehen“, ärgert sich der stell-
Unterstützung für die, die mit dem Kurzar-    vertretende NGG-Vorsitzende Freddy Adjan.
beitergeld nicht mehr ihren Lebensunter-
halt finanzieren können.                      Noch kann niemand abschätzen, wie sich
                                              das Geschäftsjahr weiter entwickeln wird.
Die Stimmung in den Produktionsbetrie-        Bricht nach dem Ende der Vorratskäufe
ben, die mehr als ausgelastet sind, ist       die Nachfrage massiv ein? Wie viel Umsatz
weitgehend gut. Die Beschäftigten dort        werden Hotellerie und Gastronomie nach
sind die unsichtbaren Helden: Sie sorgen      der vorsichtigen Wiedereröffnung retten
mit Überstunden und teilweise unter er-       können? Wann können die Großabnehmer
schwerten Arbeitsbedingungen für volle        Kantinen wieder öffnen und Großveran-
Regale in den Supermärkten, damit die         staltungen wieder stattfinden? Davon wird
Versorgungskette nicht abreißt.               es nicht zuletzt abhängen, wie viele Men-

                                                                                                                    einigkeit2-2020
                                                                                                                    einigkeit 2-2019     7
Einigkeit - Wir halten Abstand und zusammen! - Das Magazin der NGG - Gewerkschaft Nahrung ...
„Arbeits- und Gesundheitsschutz sind Pflicht.
                                                               Wir reden hier über 220.000 Betriebe im
                                                               Gastgewerbe. Das ist eine Mammutaufgabe.“
                                                               Guido Zeitler, NGG-Vorsitzender

                                                               Das Hotel- und Gaststättengewerbe ist vor-     AccorInvest Germany, einer der größten Ho-
                                                               aussichtlich die Branche, in der die Folgen    telketten weltweit mit mehr als 4200 Hotels,
                                                               von Corona am härtesten und längsten spür-     davon rund 360 in Deutschland. Frauke
                                                               bar sein werden. Nach Angaben der Bun-         Herrmann hat ihr Büro im Ibis Ber-
                                                               desagentur für Arbeit hatten bis Ende April    lin-Spandau. 22 Mitarbeiterinnen und Mitar-
                                                               bundesweit 115.000 und damit 75 Prozent        beiter kümmern sich hier hauptsächlich um
                                                               aller gastronomischen Betriebe Kurzarbeit      Geschäftsreisende. Seit dem 20. April ist das
                                                               angemeldet. Betroffen waren rund eine Mil-     Hotel geschlossen. Neben einer Auszubilden-
                                                               lion Köchinnen, Kellner und Hotelangestell-    den, die sich um anfallende Aufgaben wie
                                                               te. Zahlen, hinter denen sich existenzielle    Spülungen zur Legionellen-Prävention und
               Frauke Herrmann, stellvertretende GBR-          Notsituationen verbergen, zumal die Ende       schulische Themen kümmert, gibt es jeweils
               Vorsitzende bei AccorInvest Germany             April von der Bundesregierung beschlosse-      einen Mitarbeiter, der in Früh-, Spät- oder
                                                               ne Aufstockung des Kurzarbeitergeldes auf      Nachtschicht im Hotel anwesend ist. „Wir
               Wartende Wirte                                  80 oder 87 Prozent erst nach vier Monaten      sorgen dafür, dass jeder mal dran ist, aber
                                                               wirksam wird. Die NGG forderte deshalb be-     davon abgesehen, sind alle Kollegen in Kurz-
                  Geschlossene Hotels und Gaststätten,         reits in Zeiten des Stillstandes einen Bran-   arbeit“, so die gelernte Restaurantfachfrau.
               Kneipen und Bars: Während Einzelhandel          chendialog mit Politik, Arbeitgebern, Ge-      Aufgestockt werde bei Accor nicht. Bei
               und Friseure ihr Geschäft Anfang Mai wie-       werkschaft und Berufsgenossenschaft.           100-prozentiger Kurzarbeit greift eine Ko-
               der aufnehmen durften, blickte die Gastro-                                                     operation mit dem Rewe-Konzern. 450 Euro
               nomie weiter in die Röhre. Erst in der zwei-    In Hotelketten wie Maritim oder Steigenber-    können die Kollegen dann hinzuverdienen.
               ten Maihälfte kam es schrittweise zu Wie-       ger konnten die Betriebsräte Vereinbarun-
               deröffnungen. Von Bundesland zu Bundes-         gen zur Beschäftigungssicherung verhan-        Die NGG drängte auf einen staatlichen
               land unter abweichenden Vorzeichen.             deln. Für einzelne Häuser gibt es auch Re-     Schutzschirm für die Branche sowie auf eine
               Hygiene- und Abstandskonzepte mussten           gelungen zur Aufstockung des Kurzarbeiter-     zeitlich begrenzte Reduzierung der Mehrwert-
               erarbeitet, die Anzahl der Tische stark redu-   geldes. Gleichwohl stockten etwa 95            steuer, die seit Ende April gilt. Dazu Guido
               ziert werden. Zuvor hatte der NGG-Vorsit-       Prozent der Unternehmen im Gastgewerbe         Zeitler: „Als erste Maßnahme war die zeit-
               zende Guido Zeitler immer wieder darauf         nicht auf. Beschäftigte klagten sogar darü-    lich befristete Senkung der Mehrwertsteuer
               hingewiesen, dass ein Wiederhochfahren          ber, dass ihnen gar kein Geld ausgezahlt       auf Speisen ein gutes Signal. Aber es muss
               des gastronomischen Betriebs vernünftig         wurde. Einer gemeinsamen Lösung mit der        nicht nur den Unternehmen geholfen wer-
               vorbereitet werden muss: „Weder für Gäste       NGG verweigerte sich der Deutsche Hotel-       den, sondern auch den Beschäftigten, die
               noch für Beschäftigte darf eine Gesund-         und Gaststättenverband Dehoga. Und das         unverschuldet in einer existenziell bedrohli-
               heitsgefährdung bestehen. Dafür braucht es      in einer Branche, in der ohnehin Niedrig-      chen Situation gelandet sind. Da ist die Po-
               exakte Planungen: Wer kontrolliert wann         löhne gezahlt werden.                          litik in der Pflicht nachzulegen. Und die Ar-
               und wie die Vorgaben in den Restaurants,                                                       beitgeber müssen Verantwortung überneh-
               Hotels und Biergärten? Arbeits- und Ge-         Leere Betten                                   men. Da bleiben wir dran.“
               sundheitsschutz sind Pflicht. Wir reden hier    „Das darf sich nicht hinziehen“, sagte auch
Foto: privat

               über 220.000 Betriebe im Gastgewerbe.           Frauke Herrmann Mitte Mai. Sie ist stellver-   In der Systemgastronomie – bei McDonald’s,
               Das ist eine Mammutaufgabe.“                    tretende Gesamtbetriebsratsvorsitzende bei     Starbucks oder Nordsee – gilt seit März eine

                8       einigkeit 2-2020
Einigkeit - Wir halten Abstand und zusammen! - Das Magazin der NGG - Gewerkschaft Nahrung ...
EDITORIAL
                                                                                                                      FOKUS | POLITIK

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                                                                                                                      und Gäste gehört das
                                                                                                                      Servieren mit Mund-
                                                                                                                      Nasen-Schutz. Lange
                                                                                                                      hieß es: Burger nur
                                                                                                                      zum Mitnehmen. Für
                                                                                                                      die Systemgastronomie
                                                                                                                      gelang bereits im März
                                                                                                                      eine Aufstockungsver-
                                                                                                                      einbarung. Erst in der
                                                                                                                      zweiten Maihälfte öff-
                                                                                                                      neten Restaurants
                                                                                                                      schrittweise – und mit
                                                                                                                      Abstandsgebot.

tariflich festgelegte Aufstockung auf 90      Unternehmen geöffnet. Mit den Großen der        nen kleinen Teil der Umsätze zu retten,
Prozent beim Kurzarbeitergeld. Gleichwohl     Branche – Sodexo, Aramark und Eurest –          Kurzarbeit „Null“ zu vermeiden und bei den
agierten die Arbeitgeber unterschiedlich:     konnten NGG und Betriebsräte gute Verein-       Gästen in Erinnerung zu bleiben. So boten
Während der Branchenriese McDonald‘s          barungen zur Aufstockung des Kurzarbeiter-      Hotels Zimmer als Homeoffice-Ersatz an,
eine „Personalpartnerschaft“ mit der Han-     geldes abschließen. Andere drängten ihre        versendeten Café-Betreiber Kuchen und Ge-
delskette Aldi abschloss, kündigte die        Beschäftigten, schlechte Einzelvereinbarun-     bäck mit der Post und kooperierten Restau-
                                                                                                                                                Fotos: Uwe Völkner / Fotoagentur FOX; NGG

Schloss Burger GmbH (Burger King) Mitar-      gen zu unterzeichnen. Notlösungen wie Au-       rants mit Tafeln. Im Berliner Ibis hielt man
beitern in der Probezeit und schickte sie     tomatenversorgung oder Lunchpakete waren        sich bis Ende Mai mit dem Abbau von
unbezahlt nach Hause (siehe Seite 32).        nicht mehr als ein „Tropfen auf den heißen      Resturlaub und Überstunden einigermaßen
                                              Stein“ für die Betriebsgastronomen, die im      über Wasser und hoffte vor allem auf ein
Bundesweit unterschiedliche Regelungen        Bereich Kantinen vom Handeln ihrer Kun-         schnelles Ende der Beschränkungen. „Dann
galten auch in der Betriebsgastronomie.       den abhängig waren.                             wird es ja auch nicht gleich wieder voll los-
Während das Stadion-Catering und die Be-                                                      gehen können, aber etwas ist besser als
lieferung von Veranstaltungen und Events      Etwas ist besser als nichts                     nichts!“, sagt die Betriebsrätin Frauke Herr-
komplett eingestellt wurden, blieb bis Ende   Findige Ideen und Kreativität gab es in allen   mann und spricht damit Tausenden Be-
Mai etwa ein Drittel der Kantinen in den      Teilen des Gastgewerbes, um wenigstens ei-      schäftigten aus der Seele.

                                                                                                                   einigkeit 2-2020       9
Einigkeit - Wir halten Abstand und zusammen! - Das Magazin der NGG - Gewerkschaft Nahrung ...
Nicht das, was produziert
                                                                                                                                        wird, veränderte sich,
                                                                                                                                        sondern das Wie.

                                                                                                                                        Udo Eckhoff. Wo die Bänder stillstehen,
                                                                                                                                        wird versucht, die Kollegen an andere Ar-
                                                                                                                                        beitsplätze umzusetzen. Das funktioniert
                                                                                                                                        nicht immer reibungslos: „Wer sonst Milch-
                                                                                                                                        pulver macht, kann nicht ohne Einweisung
                                                                                                                                        Quark herstellen.“ So wurde auch über den
                                                                                                                                        Abbau von Überstunden versucht, alle in
                                                                                                                                        der Vollbeschäftigung zu halten.

                                                                                                                                        Nicht das, was produziert wird, veränderte
                                                                                  DMK-Gesamtbetriebsratsvorsitzender                    sich, sondern das Wie: Trotz lang eingeüb-
                                                                                  Udo Eckhoff                                           ter und gewohnter Hygienevorschriften gel-
                                                                                                                                        ten seit Corona in der Herstellung neue
                                                                                  Milch und Käse stark gefragt                          Regeln. Die Arbeitsübergabe erfolgt in
                                                                                                                                        Neuburg wie in Niedersachsen kontaktlos.
                                                                                    Milch, Sahne, Käse: Ob bei den bayeri-              In Bayern gibt es noch zusätzlichen Mund-
                                                                                  schen Neuburger Milchwerken oder dem                  schutz und die Beschäftigten sind generell
                                                                                  Deutschen Milchkontor (DMK): Was der                  aufgefordert, möglichst keine Fahrgemein-
                                                                                  Handel bestellt, wird geliefert. Auch zu Co-          schaften zu bilden, um die Ansteckungsge-
                                                                                  rona-Zeiten.                                          fahr zu verringern.
Fotos: DMK; Uwe Völkner / Fotoagentur FOX; dvv1989 – Adobe Stock; Kai-Uwe Knoth

                                                                                  Zwar gab es Einbrüche bei den Großbestel-
                                                                                  lungen, aber die Verbraucher in Deutsch-
                                                                                  land garantierten eine ungebrochene Nach-
                                                                                  frage. In Neuburg wurde im März und April
                                                                                  an sieben Tagen der Woche im Drei-
                                                                                  Schicht-System für Nachschub gesorgt,
                                                                                  ebenso beim DMK im niedersächsischen
                                                                                  Zeven.

                                                                                  „Wegen Corona sind wir bei den Großgebin-
                                                                                  den – der sogenannten Eimerware – in der
                                                                                  Produktion auf Null, bei der Frischkäserei
                                                                                  brummt es dagegen ohne Ende“, berichte-
                                                                                  te der DMK-Gesamtbetriebsratsvorsitzende

                                                                                                                       Ob Käse, Joghurt oder Milch: Die
                                                                                                                       Verbraucher sorgten für Vollbeschäf-
                                                                                                                       tigung an vielen Produktionsbändern
                                                                                                                       in der Milchindustrie.

                                                                                   10      einigkeit 2-2020
FOKUS | POLITIK

„Unsere Beschäftigten können den Job
nicht zwölf Stunden machen, diese
Belastung wäre nicht vertretbar.“
Michael Halfpap, Betriebsratsvorsitzender JDE

Kaffee macht munter                             Die Raucherpause

   Auch in Nicht-Krisenzeiten gehört Kaffee       Zum Kaffee gehört offenbar für viele
zu den Lieblingsgetränken der Deutschen,        auch die Zigarette. Denn obwohl auch in
in der Krise scheint der Griff zum Koffein      der Tabakindustrie regelmäßige Abnehmer
noch wichtiger zu sein.                         wegfallen, zum Beispiel die Duty-Free-
                                                Shops auf Flughäfen, lief bei Reemtsma in
Bei Jacobs Douwe Egberts (JDE) wurden           Hannover-Langenhagen die Produktion
zusätzlich Leiharbeiter angestellt, um die      ebenso auf Hochtouren wie bei den Mitbe-
Nachfrage zu bewältigen. Der Betriebsrat,       werbern. Neben dem normalen Drei-
der dies normalerweise nicht schätzt, ist       Schicht-System wurde eine Frühschicht
aktuell dankbar für die Entlastung der          am Samstag und eine Nachtschicht am
Kernbelegschaft: „Ich kann mir nicht vor-       Sonntag zusätzlich eingeführt.
stellen, dass wir über die normalen acht
Stunden Arbeitszeit hinausgehen können.         Hier wie andernorts sind alle auf Abstand:
Unsere Beschäftigten können den Job             Die Kantine wurde umgeräumt, in der Pro-
nicht zwölf Stunden machen, diese Belas-        duktion sorgen Markierungen für die nötige
tung wäre nicht vertretbar“, sagte der Be-      Distanz und auch bei Seife und Desinfekti-
triebsratsvorsitzende Michael Halfpap An-       onsmitteln wurde aufgestockt. Es gibt für
fang April. Aber erstmals wurde bei dem         alle Mund- und Nasenschutz. Ein elektroni-
Berliner Kaffeeproduzenten an einem Kar-        sches Bildschirmsystem liefert zeitnah In-
freitag und an Wochenenden gearbeitet.          formationen, auch Fragen an die Geschäfts-
                                                führung werden beantwortet. „Das funktio-
Mehr Hygiene auch hier: Weil die üblichen       niert hervorragend“, lobt der stellvertreten-
Bartbinden keinen Schutz bieten und Mas-        de Betriebsratsvorsitzende Andreas Kirsch.
ken am Anfang Mangelware waren, haben           Unter anderem werden so alle über den
die Azubis mit einer guten Idee gepunktet:      Stand von Infektionen oder Infektionsver-
Sie haben ein Plastikvisier entwickelt, das     dacht auf dem Laufenden gehalten. Bis
sie mit dem Laser-Cutter selbst produzie-       Anfang Mai gab es 30 Verdachtsfälle. Alle
ren. Zusätzlich gibt es seitdem mehr            Beschäftigten konnten wieder arbeiten,
Waschbecken sowie in Pausenräumen und           waren negativ getestet worden.
der Kantine gilt „Abstand halten“. Im Frei-
en wurden zusätzliche Bänke aufgestellt,
damit die Mitarbeiter ihre Pausen in der
Sonne verbringen können.

Für die „Krönung“ von Jacobs mussten
die Beschäftigten erstmals überhaupt am
Wochenende arbeiten. Auch in der Tabak-
industrie blieb die Nachfrage hoch.

                                                                     einigkeit
                                                                 einigkeit     2-2019
                                                                           2-2020         11
Während in der Produktion die Beschäftigten
                                                                                                                        am Limit arbeiten, versucht „der Handel
                                                                                                                        rotzfrech, noch die Preise zu drücken“.
                                                                                                                        Petra Müller-Jungheinrich, Brandt Zwieback-Schokoladen GmbH + Co. KG

                                                                       Süßes stand hoch im
                                                                       Kurs, ob in Gläsern
                                                                       oder als Gebäck. Und
                                                                       wenn es zu süß wurde,
                                                                       fanden die Verbraucher
                                                                       offenbar saure Gurken
                                                                       oder in Essig eingeleg-
                                                                       tes Gemüse besonders
                                                                       schmackhaft.

                                                                       Süßes für die Seele

                                                                          Die Süßwarenbranche hatte ebenfalls
                                                                       kein Nachfrageproblem. Süßes hält sich
                                                                       und war für viele offenbar Trost in der       Die „Corona-Prämie“, wie sie intern heißt,        Konserven für den Vorratskeller
Fotos: Uwe Völkner / Fotoagentur FOX; Syda Productions – Adobe Stock

                                                                       schwierigen häuslichen Situation. Die Ar-     bedeutete 50 Euro mehr für die Nacht-
                                                                       beitgebervereinigung Nahrung und Genuss       schicht, 60 für die Früh- und 70 Euro für            Die verarbeitende Industrie kämpfte we-
                                                                       war hocherfreut und „lobte” schon früh die    die Spätschicht. Außerdem wurden noch             gen des Klimawandels bereits in den ver-
                                                                       politische Entscheidung zur Arbeitszeitver-   Mitarbeiter gesucht, um das Pensum zu             gangenen zwei Jahren mit Engpässen. Im
                                                                       längerung und Wochenendarbeit, auch           bewältigen.                                       März und April kletterte die Nachfrage
                                                                       Kurzarbeit war bei den Arbeitgebern ein                                                         nach oben, und das könnte an einigen Stel-
                                                                       Thema, obwohl die Nachfrage boomte.           Die Produktion sprengte die eigenen Lager-        len zu Nachschubproblemen führen. Um-
                                                                                                                     kapazitäten: „Im Moment produzieren wir           satzrückgänge bei Großkunden wie der Sys-
                                                                       Bei der Brandt Zwieback-Schokoladen           direkt für die Beladung in die Lkw“, sagt         temgastronomie oder den Restaurantkü-
                                                                       GmbH + Co. KG im thüringischen Ohrdruf        Müller-Jungheinrich. Richtig verärgert ist        chen und Caterern bedeuteten für manche
                                                                       war im März und April die Belastung hoch.     die Betriebsratsvorsitzende über den Han-         Unternehmen Kurzarbeit, während solche,
                                                                       An sechs Tagen wurde im Drei-Schicht-         del. Während in der Produktion die Be-            die dem Einzelhandel zuliefern, Überstun-
                                                                       System gearbeitet, berichtet die Betriebs-    schäftigten am Limit arbeiten, versucht           den schieben.
                                                                       ratsvorsitzende Petra Müller-Jungheinrich.    „der Handel rotzfrech, noch die Preise zu
                                                                       Sie äußert sich besorgt über die hohe Be-     drücken“, schimpft sie, weil sie weiß, dass       Denn Gurken, Gemüse, Dosensuppen, Ein-
                                                                       lastung der Beschäftigten. Immerhin gab       eine solche Preispolitik Auswirkungen auf         töpfe sind gut haltbar und bestens als Vor-
                                                                       es einen Ausgleich für den harten Einsatz.    die Beschäftigten haben kann.                     rat geeignet. Bei GB Foods Deutschland

                                                                        12      einigkeit 2-2020
Foto: Vorname Nachname
                                                                                                                             FOKUS | POLITIK

                                                                                                                                     EDITORIAL

    (zum Beispiel Erasco) stellte die Betriebs-   „Jeder Tag ist ein Corona-Problemlösungs-        reien durch die Krise sinken könnte – ab-
    ratsvorsitzende Susanne Kranick fest: „Die    tag“, seufzt Röhricht. Da muss eine Lösung       hängig vom jeweiligen Geschäftsmodell.
    Nachfrage geht durch die Decke. Zusätz-       für Alleinerziehende her, die ihre Kinder
    lich zum normalen Drei-Schicht-System an      nicht mehr in Schule oder Kita schicken          Beim klassischen Bäcker und Fleischer ste-
    fünf Tagen gibt es noch eine Samstags-        können. Zudem müssen die Älteren in der          hen die Kunden geduldig in der Abstands-
    schicht und am Sonntag ebenfalls eine, für    Belegschaft geschützt und beruhigt wer-          schlange. Anders bei allen Verkaufsstellen,
    die Reinigung der Anlagen.“                   den, weil sie ein erhöhtes Risiko haben.         die auch Schulen, Kantinen oder Veranstal-
                                                                                                   tungen beliefert haben. Firmen, die Filialen
    Auch bei der Carl Kühne KG stand große        Und es gilt, die immer Sorglosen zu ermah-       in Flughäfen und Bahnhöfen betreiben,
    Nachfrage neben Umsatzrückgängen: Wäh-        nen, sich an die Vorgaben zu halten. Den-        kämpfen ebenfalls mit Umsatzverlusten.
    rend die Mayonnaise-Produktion und ande-      noch sei die Stimmung insgesamt gut, „weil       Dazu kommen die Geschäfte in lange ver-
    res für die Systemgastronomie stockte,        alle froh sind, überhaupt Arbeit zu haben“.      waisten Tourismusstandorten.
    stieg die Nachfrage nach den klassischen      Im Berliner Werk sind derzeit 40 von 260
    Konserven wie Gurken oder Rotkohl im          Beschäftigten in Kurzarbeit.                     „Umsatzeinbußen von bis zu 90 Prozent
    Glas enorm an. Der Einkauf mache gerade                                                        sind nicht selten“, sagt Daniel Schneider
    einen „Riesen-Job“, um Rohstoffe und Ver-     Die Wurst aufs Brot                              vom Zentralverband des Deutschen Bäcker-
    packungsmaterial zu beschaffen, lobt der                                                       handwerks. Bei den Fleischern sieht es
    Betriebsratsvorsitzende des Berliner Werks       In Bäckereien und Fleischereien herrscht      nicht viel besser aus. Sie kämpften schon
    Mirko Röhricht die Kollegen. Denn gerade      zu diesen Zeiten oft Hochbetrieb. Doch auch      vor Corona: Mit den Angeboten der Dis-
    die Nachfrage bei Gemüse und Gurke in         hier ist die Situation unterschiedlich. In den   counter und Supermärkte konnten sie
    Essig führe zu einem weiteren Problem: Für    vergangenen Jahren gab es eine überdurch-        kaum Schritt halten. Beide Handwerksbe-
    Essig brauchen die Produzenten Alkohol,       schnittliche Zunahme von zusätzlichen            reiche, Bäcker wie Fleischer, leiden ohne-
    den brauchen aber auch die Hersteller der     Snack-, Imbiss-, Café- und Cateringangebo-       hin schon lange unter Nachwuchssorgen.
    Desinfektionsmittel. Und die Gurken müs-      ten. Ein enorm zukunftsträchtiger Markt –
    sen nachwachsen, bevor sie verarbeitet        wie es schien. Nun steht zu befürchten,
    werden können.                                dass die Zahl der Bäckereien und Fleische-

                                                                                                   Brot und Wurst laufen immer:
                                                                                                   Doch das Bäcker- und Fleischer-
                                                                                                   handwerk hatte auch vor Corona
                                                                                                   schon Probleme, die jetzt nicht
                                                                                                   weniger wurden.

                                                                                                                         einigkeit
                                                                                                                     einigkeit     1-2017
                                                                                                                               2-2020          13
                                                                                                                                               13
„Noch ist das Oktoberfestbier
                                                                                                   nicht gebraut, aber die Absage ist
                                                                                                   dennoch rundum ein Desaster."
                                                                                                   Mustafa Öz, Vorsitzender des NGG-Landesbezirks Bayern

                                                                                                   Die wichtigen Auslandsmärkte Italien und
                                                                                                   China brachen praktisch weg. Selbst die
                                                                                                   Hopfenernte war betroffen, weil die Saison-
                                                                                                   arbeitskräfte fehlten.

                                                                                                   Kleinen und mittelständischen Privatbraue-
                                                                                                   reien geht es an die Existenz. Aber auch die
                                                                                                   Großen müssen kämpfen. „Seit Corona geht
                                                                                                   hier alles gegen Null“, stellt Sabine Lenius
                                                    Astrid Neumann, Betriebsratsvorsitzende        fest. Sie ist Betriebsratsvorsitzende beim
                                                    bei Coca-Cola in Halle                         fränkischen Tucher Bräu, das zur Radeber-
                                                                                                   ger Gruppe gehört. Der Außendienst und
                                                    Kein Bier vom Fass                             die Fuhrpark-Beschäftigten sind bereits seit
                                                                                                   Mitte April in Kurzarbeit.
                                                      Auch die Getränkeindustrie leidet – trotz
                                                    Hamsterkäufen. Ohne Restaurants, Kneipen,      Obwohl das nach Kaffee zweitliebste Ge-
                                                    Bars und Clubs fehlen die Kunden.              tränk der Deutschen in diesen Zeiten durch-
                                                                                                   aus gehortet wurde – wie das viel zitierte
                                                    Die Erfrischungsgetränke waren nicht weni-     Klopapier – kann der häusliche Bierkonsum
                                                    ger betroffen als Bier oder Mineralwasser.     die Verluste beim Fassbier nicht auffangen.
                                                    „Der März war noch gut, aber seit April sind   Die Getränkevorräte von Bier und Mineral-
                                                    die Umsätze rückläufig“, berichtet Astrid      wasser in den Vorratskammern und Kellern
                                                    Neumann, Betriebsratsvorsitzende von           sorgten für ein weiteres Problem: Das Leer-
                                                    Coca-Cola am Standort Halle. Hier wird         gut wurde knapp.
                                                    Eistee der Marke Fuze produziert – norma-
                                                    lerweise im Frühjahr und Sommer ein Ver-       Besonders das „Bierland“ Bayern hat Corona
                                                    kaufsschlager. Jetzt „gehen die Kollegin-      hart getroffen. Mehr als 40 Prozent der
                                                    nen und Kollegen nach und nach in Kurzar-      Braustätten bundesweit haben ihren Sitz im
                                                    beit“. Die Schließung der Gastronomie traf     Freistaat, zuletzt gut 650 Betriebe. Vor al-
Fotos: privat; NGG; Uwe Völkner / Fotoagentur FOX

                                                    erst einmal nur den Außendienst, dann ka-      lem die Absage des Oktoberfestes ist ein
                                                    men die anderen Bereiche dazu. Immerhin        Verlust, den viele Unternehmen und Be-
                                                    gibt es eine Betriebsvereinbarung, sodass
                                                    das Kurzarbeitergeld auf 85 Prozent aufge-
                                                    stockt wird.

                                                    In den 1500 deutschen Brauereien sieht es
                                                    noch problematischer aus. Abgesagte Groß-
                                                    veranstaltungen führten ebenso wie die
                                                                                                                   Bier war gefragt, doch der private
                                                    Schließung der Gastronomie zu Umsatz-                          Konsum konnte den fehlenden
                                                    verlusten, dazu fehlen Pachteinnahmen                          Umsatz durch Gastronomie und
                                                    aus den Vertragsgaststätten.                                   Veranstaltungen nicht ersetzen.

                                                     14      einigkeit 2-2020
                                                             einigkeit 1-2019
EDITORIAL
                                                                       FOKUS | POLITIK

schäftigte nur schwer verkraften werden.       es den Versuch, Pausenzeiten zu verän-
„Bayern steht Kopf“, so der Vorsitzende des    dern. Aber, so Brede, „unsere Betriebsräte
NGG-Landesbezirks Bayern, Mustafa Öz.          arbeiten bundesweit zusammen und blei-
„Sechs Millionen Besucher und damit Kon-       ben wachsam“.
sumenten fehlen ohne die ‚Wiesn‘. Das hat
durch die Bank massive Auswirkungen auf        Seelentröster Außendienst
Getränkelieferanten, Hotels, Gaststätten,
Bäckereien und die Brauereien. Noch ist           Sie sitzen selten am Schreibtisch, ihr Ar-
das Oktoberfestbier nicht gebraut, aber die    beitsplatz ist das Auto: die Außendienstler.
Absage ist dennoch rundum ein Desaster.“       Sie sorgen unter anderem dafür, dass die
                                               Kunden von neuen Produkten erfahren und
Inzwischen sind Gaststätten und Biergärten     diese testen können. Homeoffice ist für die
wieder geöffnet. Bei Einhaltung der Hygie-     Beschäftigten, die sonst davon leben, un-
neregeln darf auch wieder sicher Bier ge-      terwegs und im Gespräch zu sein, eine ge-
trunken werden.                                wöhnungsbedürftige Umstellung. Das Büro
                                               zu Hause halten nicht alle für einen guten
Die Kühltruhe ist gefüllt                      Arbeitsplatz, sagt Stefan Jünger, Gesamt-
                                               betriebsratsvorsitzender des Außendiensts
   Wann passt nichts mehr in die Tiefkühl-     beim Zigarettenhersteller Reemtsma. Es
truhe zu Hause? Das ist die Frage, die sich    gebe Kollegen, die den Tag herbeisehnen,
der Betriebsratsvorsitzende von TK-Pizza       an dem sie das Homeoffice wieder schlie-
Freiberger Lebensmittel, Peter Fliegauf,       ßen können, aber auch „die, die auf den
stellt. Denn die produzierte Menge war im-     Geschmack gekommen sind“.
mens, Mehrarbeit stand auf der Tagesord-
nung. Am Standort Muggensturm in Baden-        Aber nicht nur der Arbeitsplatz hat sich ge-
Württemberg gab es zu Zeiten der Grenz-        ändert. Anfangs, so Jünger, „waren wir für
schließungen noch ein anderes Problem:         unsere Kunden eher Sorgentelefon und
Die Tagespendler aus dem nahen Elsass          Seelentröster“. Alles musste sich einspie-
hatten durch Grenzkontrollen und Sonder-       len. Bei Reemtsma arbeitet der Außen-
genehmigungen Mühe, überhaupt rechtzei-        dienst seit März im Homeoffice und durfte
tig an ihren Arbeitsplatz zu kommen.           ab Anfang Mai wieder raus ins normale Ar-
                                               beitsleben. In anderen Branchen sieht es
Beim Tiefkühlkost-Hersteller Frosta in Bre-    schlechter aus, insbesondere bei Zuliefe-
merhaven war die Situation nicht anders.       rern für Hotels, Gaststätten oder auch Kan-
Es gab Sonderschichten und Samstagsar-         tinen. Sie sind überwiegend in Kurzarbeit,
beit. „Die Belegschaft geht hier gut mit“,     denn ihre Kunden bestellen derzeit gar
stellt der Betriebsratsvorsitzende Frank       nichts – auch nicht am Telefon.
Brede fest. Aber es gilt auch, die Betriebs-
ratsarbeit nicht zu vernachlässigen: So gab

Tiefkühlkost wie Fischstäbchen wurde
in Mengen gebunkert, schätzen die
Hersteller und fürchten, dass sie später
kaum noch nachproduzieren müssen.

                                                                    einigkeit2-2020
                                                                   einigkeit  2-2019     15
Foto: Vorname Nachname

                                                     Die festgeschriebenen Mengenvorgaben erzeugen enormen Druck   Medienwirksame NGG-Aktionen zeigten Wirkung und zwangen die Politik schließlich zu konse-
                                                     bei den zumeist osteuropäischen Schlachtern und Zerlegern.    quentem Handeln, um die systematische Ausbeutung zu beenden.

                                                     Zwischen Kotelett und Corona
                                                        Seit Jahren prangert die NGG die skandalösen Arbeits- und Wohnbedingungen von Werkvertragsbeschäftigten in der Fleischindustrie an.
                                                     Mit dem Coronavirus und den lokalen Infektionsausbrüchen im Umfeld einiger Schlachtbetriebe sind die Zustände in der Fleischproduk-
                                                     tion in den vergangenen Wochen schlagartig öffentlich geworden. Es ist eine Katastrophe mit Ansage.

                                                     Mehr als 20 Jahre lang hat die Politik auf         tel stieg beispielsweise zu Beginn des           Schichten verlängert
                                                     Druck der Fleischbarone und Lobbyisten             Lockdowns der Absatz der ostwestfälischen        Auch bei Westfleisch im nordrhein-westfäli-
                                                     weggeschaut, obwohl kein Jahr ohne Skan-           Tönnies Holding. Eine Zeit, in der die Be-       schen Erkenschwick ist die Belastung hoch.
                                                     dale um menschenunwürdige Unterkünfte,             schäftigten unter Druck stehen und die           „Wir haben unsere Schichten jeweils um
                                                     nicht bezahlte oder gesetzwidrige Arbeits-         Branche besonders freudig neue Regeln,           eine Stunde verlängert“, sagt der Betriebs-
                                                     zeiten oder die Umgehung des Mindest-              die Mehr- und Sonntagsarbeit erlauben, be-       ratsvorsitzende Siegmund Koscielski. In Er-
                                                     lohns verging. Das alles waren keine Einzel-       grüßt.                                           kenschwick werden vor allem Wurst und
                                                     fälle. Sie waren Teil eines Systems, das                                                            Schinken für Supermärkte und Discounter
Fotos: industrieblick – Adobe Stock; Verena Müller

                                                     künftig durch konsequentes Handeln des             Bei Tönnies gibt es noch ein weiteres Prob-      produziert. Hier wurden die ohnehin stren-
                                                     Gesetzgebers hoffentlich unterbunden wird.         lem. Von den rund 6500 Beschäftigten             gen Hygienevorschriften in der Produktion
                                                                                                        kommen bis zu 90 Prozent aus Ländern             zum Schutz der Beschäftigten noch einmal
                                                     Heimat oder Kohle                                  wie Bulgarien, Rumänien oder Ungarn. Für         verschärft. Auch der vorgeschriebene Ab-
                                                     Mitte März in Deutschland: Die Maßnah-             sie gibt es quasi keine Heimatbesuche            stand muss eingehalten werden.
                                                     men zur Eindämmung des Coronavirus las-            mehr. Wer nach Hause will, muss dort zwei
                                                     sen den deutschen Fleischproduzenten die           Wochen in Quarantäne und bei der Einrei-         Doch es gibt Ausnahmen. In vielen Betrie-
                                                     Großkunden wegbrechen. Restaurants und             se nach Deutschland ebenso wieder. Vier          ben stehen die Zerleger zu dicht, warnte der
                                                     Hotels sind geschlossen, ebenso Kantinen           Wochen, in denen die in den Werkverträ-          stellvertretende NGG-Vorsitzende Freddy
                                                     und Imbisse. Gleichzeitig steigt der private       gen vorgegebenen Mengen nicht erfüllt            Adjan bereits zu Beginn der Coronavi-
                                                     Konsum. Vor allem Wurstwaren, Dosen-               werden können. Die Konsequenz: kein Hei-         rus-Pandemie. Diese Arbeitsplätze „bergen
                                                     und Hackfleisch sind gefragt. Um ein Drit-         maturlaub oder kein Geld.                        immense Gefahren“. Hier werden Anste-

                                                      16      einigkeit 2-2020
                                                              einigkeit 1-2017
FOKUS | POLITIK

ckungsgefahren ausgeblendet, um noch             unternehmer delegieren, die wiederum mit       sind, sollen wieder aufgestockt, mit einer
mehr verkaufen zu können.                        Privatleuten oder Immobilienbesitzern zu-      digitalen Zeiterfassung soll endlich dem
                                                 sammenarbeiten, die alle kräftig mitverdie-    Betrug bei den Arbeitszeiten ein Ende ge-
Vergammelte Zimmer                               nen. Bis zu 350 Euro sind für ein Bett in      setzt werden. Mit dem Beschluss der Bun-
Wie Recht er damit haben sollte, zeigte sich     einer überbelegten Wohnung zu zahlen.          desregierung, Werkverträge in der Fleisch-
Ende April: Bei Müller Fleisch in Birkenfeld                                                    produktion zu verbieten, endet hoffentlich
(Pforzheim) wurden zunächst 168 Werkver-         Ende Mai sind schließlich mehr als 1400        für rund Zehntausende Menschen, die meist
tragsbeschäftigte positiv auf das Coronavi-      Beschäftigte an deutschen Schlachthöfen        aus Südosteuropa kommen, die Ausbeutung
rus getestet. Der Betrieb wurde unter Qua-       mit dem Coronavirus infiziert. Und die Zahl    in einem anonymen System von Sub-, Sub,-
rantäne gestellt. In einzelnen Landkreisen       steigt weiter. Im Fokus: Müller Fleisch, der   Subunternehmen.
mussten die Behörden, nachdem Mitte Mai          größte Billigschlachthof in Baden-Württem-
die Corona-Auflagen gelockert wurden, die        berg. Mit Unterstützung des DGB-Projekts       Verantwortung übernehmen
Notbremse wegen zu hoher Infektionszah-          „Faire Mobilität“ startete eine großangeleg-   Mit der Möglichkeit der Festanstellung und
len ziehen. Betroffen waren Mitarbeiter von      te Aktion in Pforzheim: Die NGG versuchte,     einer digitalen Arbeitszeiterfassung müs-
Westfleisch in Coesfeld und Erkenschwick,        die größtenteils osteuropäischen Werkver-      sen die Fleischkonzerne Verantwortung für
ebenso ein Schlachthof in Schleswig-Hol-         tragsbeschäftigten über ihre Arbeitnehmer-     eine korrekte und transparente Lohnab-
stein. In der Krise ist nur zu deutlich gewor-   rechte zu informieren und sich ein Bild von    rechnung übernehmen. Künftig haben die
den, wie wichtig konsequentes Gegensteu-         den Bedingungen bei der Birkenfelder           Beschäftigten die Chance, sich beim Be-
ern seitens Politik und Behörden ist. „Wir       Großschlachterei und den Unterkünften zu       triebsrat oder ihrer Gewerkschaft über ihre
brauchen endlich flächendeckende Kontrol-        verschaffen. Trotz Einschüchterungsversu-      Rechte zu informieren, sich vertreten zu
len und Regeln für die Unterkünfte der Be-       chen seitens der Subunternehmer war es         lassen und sich zu beteiligen. Wenn nötig
schäftigten“, so Adjan.                          möglich, mit Beschäftigten zu sprechen         auch an einem Streik. Das ist ihnen als
                                                 und Infomaterialien zu verteilen.              letztes Glied im Subunternehmersystem
Die Wohnverhältnisse sind derart miserabel,                                                     bisher verwehrt worden. Die Werkvertrags-
dass ein Virus leichtes Spiel hat: Viele Men-    Keine Werkverträge mehr                        beschäftigten brauchen keinen weiteren
schen leben auf einem begrenzten Raum            Druck und Medienpräsenz zeigen am 20.          Runden Tisch, keine weitere freiwillige
und sind oft in Unterkünfte einquartiert, die    Mai schließlich Wirkung: Das Bundeskabi-       Selbstverpflichtung und keine Absichtser-
nicht den Standards entsprechen: kleine,         nett beschließt, dass Schlachten und Zerle-    klärungen. Ihnen ist nur wirklich geholfen,
vergammelte Zimmer mit schlecht funktio-         gen ab 2021 nur noch mit Beschäftigten         wenn der Kabinettsbeschluss im Gesetzge-
nierenden sanitären Einrichtungen und            des eigenen Unternehmens zulässig sind.        bungsverfahren Eins zu Eins umgesetzt
ohne die Möglichkeit, auch mal für sich zu       Die Kontrollen sollen verschärft und auf die   wird. Heftiger Widerstand der Arbeitgeber
sein. Die Unternehmen machen es sich ein-        Wohnungen und Unterkünfte ausgedehnt           und ihrer Lobbyisten ist zu erwarten.
fach, indem sie die Frage, wo die Werkver-       werden. Kontrollkapazitäten in den Bundes-
tragsbeschäftigten unterkommen, an Sub-          ländern, die teilweise kaputtgespart worden

                                                                                                              NGG-Referatsleiter Thomas Bern-
                                                                                                              hard verteilte mit Unterstützung
                                                                                                              von „Faire Mobilität“ Infomaterial
                                                                                                              an Beschäftigte des Schlachthofs
                                                                                                              Müller in Pforzheim. Unterbrin-
                                                                                                              gung auf engstem Raum: In den
                                                                                                              teilweise vergammelten und über-
                                                                                                              füllten Unterkünften hat das Virus
                                                                                                              leichtes Spiel.

                                                                                                                   einigkeit 2-2020         17
18   einigkeit 1-2020
     einigkeit 1-2019
MENSCHEN | PORTRÄT

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                 Gesichter
                 der Krise
                 Die NGG Digital-Demo

Corona hat Demonstrationen und Streiks unmöglich
gemacht. Deshalb hat die NGG ihre Mitglieder zur
Digital-Demo aufgerufen: Viele sind dem Aufruf gefolgt
und haben ihre Forderungen an Politik und Arbeitgeber
unter dem Hashtag #GesichterderKrise öffentlich
gemacht.
www.ngg.net/GesichterderKrise

                   einigkeit 1-2020        19
Foto: Vorname Nachname

                              Von vorbildlich bis katastrophal
                                 Die letzten Monate gehörten für viele zu den schwersten ihres Arbeitslebens. Während die einen durch Kurzarbeit in Existenznöte gerie-
                              ten, arbeiteten andere unter Volllast auch an Wochenenden oder wurden durch Kita- und Schulschließungen an den Rand ihrer Belastbar-
                              keit gebracht. NGG-Vize Freddy Adjan über erfolgreiches Krisenmanagement, alte Missstände und künftige Herausforderungen.

                              Der Lockdown seit März hat die Wirtschaft ganz unterschiedlich          auch vorher schon Missstände gab, und Arbeitgeberverbände, die
                              getroffen. Wie sieht es in den NGG-Branchen aus?                        nur an ihre eigenen Interessen denken. Wer zum Teil schwarzgear-
                              Sehr unterschiedlich. In einigen Bereichen der Lebensmittelindus-       beitet und dann noch einen guten Teil des Lohnes über Trinkgelder
                              trie ist der Absatz eingebrochen. Vor allem, wenn für das Gastge-       aufgebessert hat, guckt nicht nur später bei der Rente, sondern
                              werbe produziert wird. Das betrifft unter anderem Brauereien oder       auch jetzt beim Kurzarbeitergeld, in die Röhre. Dies zeigt deutlich,
                              Hersteller von Erfrischungsgetränken. Hier haben wir in der Folge       dass an guten Löhnen und geregelten Arbeitsbedingungen kein
                              Kurzarbeit. Aber überwiegend hat sich für die Lebensmittelindus-        Weg vorbeiführt.
                              trie nichts verändert. Im Gegenteil: Seit März boomte die Produk-
                              tion in anderen Bereichen für mehrere Wochen. Das hieß für unse-        Was konnte die NGG konkret in den letzten Monaten für die
                              re Kolleginnen und Kollegen: Sonderschichten und Mehrarbeit             Beschäftigten erreichen?
                              unter den erschwerten Arbeitsbedingungen mit Abstandsgebot und          In vielen Fällen konnten wir schnell Regelungen zur Aufstockung
                              veränderten Abläufen sowie der Sorge, sich auf dem Weg zur Arbeit       des Kurzarbeitergeldes abschließen, da haben wir als Gewerkschaft
                              oder im Betrieb anzustecken. Unsere Leute haben Großartiges ge-         sehr zügig gemeinsam mit den Betriebsräten vor Ort passgenaue
                              leistet, um die Bevölkerung sicher und verlässlich mit Lebensmit-       Lösungen verhandelt. Kurzarbeit hilft den Beschäftigten, da sie mit
                              teln zu versorgen. Dieser riesige Beitrag blieb aber weithin unsicht-   dem staatlichen Kurzarbeitergeld und einer Aufstockung über einen
                              bar. Da hat kaum jemand für die Beschäftigten unserer Branchen          NGG-Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung dann halbwegs
                              Beifall geklatscht.                                                     den Verlust an Einkommen ausgleichen können. Das rettet die Men-
                                                                                                      schen in vielen Fällen über die ersten Wochen oder Monate, und die
                              Wirkt Corona wie ein Brennglas, unter dem deutlich wird, was            Unternehmen behalten ihren Beschäftigtenstamm und können sehr
                              schon vorher schieflief?                                                flexibel reagieren, wenn die Nachfrage wieder anzieht. Seit Beginn
                              Allerdings. Vor allem im Gastgewerbe. Es ist eine der am stärksten      der Coronavirus-Pandemie haben wir auf Entscheidungen von außen
                              betroffenen Branchen gewesen – und ist es immer noch. Seit Mitte        reagiert und dabei immer unsere Kolleginnen und Kollegen im Blick
                              Mai gibt es eine schrittweise Öffnung. Die NGG hat diesen Prozess       gehabt. Ich glaube, das Krisenmanagement, dass die NGG und die
Fotos: NGG; Bettina Schmidt

                              eng begleitet, wir haben uns stark gemacht gegenüber der Politik        Betriebsräte bislang hingelegt haben, war richtig gut.
                              und unser Fachwissen eingebracht. Uns ist wichtig: Die Beschäf-
                              tigten müssen geschützt arbeiten können, das Ansteckungsrisiko          Und die Arbeitgeber?
                              muss so gering wie möglich gehalten werden. Und auch die Gäste          Da sehen wir eine große Bandbreite: von vorbildlich bis katastro-
                              in Hotels, Cafés und Restaurants müssen sicher sein – sonst kom-        phal. Es gibt Betriebe, denen es wichtiger war, im März und April
                              men sie nicht. Wir alle wollen ein Gastgewerbe, in dem der Laden        die große Nachfrage des Handels bedienen zu können, um damit
                              brummt. Jetzt zeigen sich die Branchen und Betriebe, in denen es        einen Extraprofit zu machen. Andere haben gern die Hilfen des

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FOKUS | POLITIK

                                                                                                                     Oben: Anfang Juni de-
                                                                                                                     monstrieren in Rosen-
                                                                                                                     heim Beschäftigte von
                                                                                                                     Danone gegen die dro-
                                                                                                                     hende Werksschließung
                                                                                                                     Unten: Wut vor den
                                                                                                                     Werkstoren. Die Be-
                                                                                                                     schäftigten von Wurze-
                                                                                                                     ner Dauerbackwaren
                                                                                                                     fordern die Angleichung
                                                                                                                     ihrer Löhne an den Flä-
                                                                                                                     chentarifvertrag der
                                                                                                                     Süßwarenindustrie Ost.

Staates wie das Kurzarbeitergeld angenommen und sich dann we-          Seite unserer Mitglieder und helfen, dass NGG und Betriebsräte
nig um den Schutz der Beschäftigten gekümmert. Und dann gibt           die beste Lösung für unsere Leute erreichen. Wir haben aber auch
es solche Unternehmen, in denen die Geschäftsleitungen ganz fix        schon in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 gesehen,
gemeinsam mit dem Betriebsrat einen Krisenstab gegründet und           dass die Lebensmittelindustrie sehr krisenfest ist, denn auch in
vernünftige Lösungen gefunden haben.                                   Krisenzeiten wird gut gegessen und getrunken. Sollte allerdings
                                                                       der Konsum der Menschen weiterhin schwach bleiben, dann wer-
Was steht in den Betrieben jetzt an?                                   den auch wir Probleme bekommen.
Priorität hat weiterhin der Arbeits- und Gesundheitsschutz: Wie
kann die Produktion laufen, ohne dass sich jemand ansteckt? Wie        Was bedeutet das für anstehende Tarifverhandlungen?
kann dabei 1,5 bis zwei Meter Abstand gehalten werden? Gibt es         Wir sehen jetzt, dass viele Arbeitgeber mit dem Hinweis auf Corona
Masken für alle? Wie oft, wann, von wem werden Treppengeländer,        alles abblocken wollen: keine Tarifverhandlungen, keine Lohnerhö-
Knöpfe, Werkzeuge gereinigt und desinfiziert? Das ist seit März        hungen! Das ist völlig unangemessen, denn einem großen Teil der
eine Riesenaufgabe für die Betriebsräte vor Ort. Hut ab, die haben     Unternehmen in den NGG-Branchen geht es in Coronazeiten gut
sehr schnell gehandelt und sich für die Beschäftigten eingesetzt.      oder sogar sehr gut. Unsere Kolleginnen und Kollegen haben die
                                                                       Menschen in diesem Land mit Lebensmitteln versorgt und in einer
Wie wird es weitergehen?                                               schwierigen Zeit ihre Gesundheit riskiert, um arbeiten zu gehen.
Die erste, akute Krisenphase ist vorbei. Jetzt müssen wir mit dieser   Da erwarten wir Respekt und Anerkennung. Und, natürlich, Lohn-
neuen „Normalität“ umgehen. Es wird in vielen Branchen gearbei-        erhöhungen in den jetzt anstehenden Tarifverhandlungen. Das ha-
tet, zum Teil mit versetzten Schichten, aber doch in Volllast.         ben sie sich verdient und das hilft der ganzen Wirtschaft, weil or-
Wir alle hoffen, dass es in der Industrie und auch im Handwerk         dentliche Lohnerhöhungen den Binnenkonsum ankurbeln. Ich
keine Insolvenzen oder Teilschließungen von Produktionsbereichen       habe schon wieder die ersten Anträge auf Warnstreiks auf dem
geben wird. Wenn es doch dazu kommen sollte, sind wir an der           Tisch liegen – gut so! Wir lassen uns das nicht gefallen.

                                                                                                          einig-   einigkeit2-2020
                                                                                                                   einigkeit 2-2019     21
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                                        Bernd S., Brauer:

                                        „Den neuen digitalen Lohnsteuerservice von
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                                        Ich habe gleich für 4 Jahre eingereicht und
                                        werde eine hohe Steuerrückerstattung
                                        erhalten – für ein paar Minuten ‚Arbeit‘ und
                                        ohne Stress mit dem Finanzamt.“

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Ausbildung à la Corona
  Coronavirus und Ausbildung: zwei Dinge, die scheinbar nur schwer zusammengehen. Nach einer aktuellen
Prognose des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) könnten durch die Pandemie in diesem Jahr mindestens
25.000 Ausbildungsplätze verloren gehen. Zu den am meisten betroffenen Branchen gehört das Gastgewerbe.

In Hotels und Gaststätten machten die Schließungen die          hebungsvertrag gegeben. Wenn ich jünger und unerfahrener
ohnehin schwierige Ausbildungssituation noch komplizier-        wäre, würde ich das gar nicht aushalten. Aber es geht ja
ter. Ein finanzieller Anreiz für Ausbildungsbetriebe soll Ab-   allen so. Jetzt ist wieder Berufsschule. Ich lerne weiter, ko-
hilfe schaffen. Partner der sogenannten Allianz für Aus- und    che jeden Tag Gerichte aus dem Schulbuch und notfalls
Weiterbildung einigten sich Anfang Juni auf ein Maßnah-         ziehe ich für einen neuen Ausbildungsplatz auch um.“
menpaket, das das duale Ausbildungssystem stützen – und
damit den Auszubildenden unter die Arme greifen soll.           Unsichere Zeiten
                                                                Auch in der Hotellerie ist Ausbildung zu Corona-Zeiten
Die stellvertretende NGG-Vorsitzende Claudia Tiedge hatte       besonders schwierig. Anna-Lena Federl steht kurz vor ihrer
bereits zu Beginn der Coronavirus-Pandemie einen staatli-                                     Prüfung zur Hotelfachfrau.
chen Bonus für Unternehmen gefordert, die trotz Kurzarbeit                                    Sie ist Mitglied der Jugend-
an der Berufsausbildung festhalten. „Das kann dazu beitra-                                    und Auszubildendenvertre-
gen, Kurzarbeit für Azubis zu vermeiden und ihnen helfen,                                     tung in einem Münchner
den Berufsabschluss auch in der Krise zu erreichen“, so                                       Hotel. Zurzeit ist sie im
Tiedge. Wie schwierig das dennoch sein kann, berichten                                        Marketing eingesetzt. Das
zwei junge NGGler.                                                                            Büro besetzt sie während des
                                                                                              Lockdowns häufig allein, ihre
Und dann kam Corona                                                                           Kolleginnen und Kollegen ar-
So leicht lässt sich Jens Neumann (Name von der Redakti-                                      beiten zu Hause. „Da gestal-
on geändert) nicht unterkriegen, aber was die Coronavi-         Anna-Lena Federl               tet sich Ausbildung erstmal
rus-Pandemie Auszubildenden im Gastgewerbe abverlangt,                                         nicht so einfach, wenn alle
ist heftig. Als der heute 28-Jährige im Januar 2018 seine       anderen im Homeoffice sind. Aber nach und nach haben wir
Kochausausbildung in einem Restaurant in Baden-Würt-            das übers Telefon gut hingekriegt“, lacht sie. Seit Anfang
temberg begann, war die Welt noch in Ordnung. Alles lief        Mai geht Anna-Lena auch wieder zur Berufsschule. „Bis
gut in seinem Traumjob. Erst als sein Küchenchef Anfang         dahin gab es ein Online-Tool zum Selberlernen. Für manche
des Jahres den Betrieb verließ, fragten ihn die Chefs, ob er    war das neben der Arbeit ziemlich stressig, denn die
nicht woanders hingehen wolle. Es gebe niemanden, der           wenigsten haben von ihren Arbeitgebern Zeit für die
ihn weiter ausbilden dürfe.                                     schulischen Aufgaben bekommen. Neben der Unsicherheit,
                                                                wie nun die Noten zustande kommen, beschäftigt viele –
Neumann: „Ich habe dann tatsächlich einen neuen Ausbil-         vor allem die Auszubildenden aus Betrieben ohne Betriebs-
dungsplatz bei einer großen Hotelkette gefunden. Ich war        rat – wie es um die Übernahme steht. Alles in allem eine
gerade eine Woche da, alles war prima und dann kam Coro-        sehr unsichere Situation.“ Anna-Lena Federl hofft, dass
na…“ Da hieß es, es täte ihnen leid, aber es gebe keine         sich ihre eigene Zukunft bald entscheidet.
Arbeit mehr. Es folgte die betriebsbedingte Kündigung:
„Das lief alles korrekt ab. Sie haben mir gleich das Geld für
die eine Woche gezahlt und keine 24 Stunden später hatte          Kopf an, Füße hoch
ich die Arbeitsbescheinigung. Es gibt da einen Betriebsrat.
Das merkt man gleich.“                                            Viele Weiterbildungen der jungenNGG kommen jetzt
                                                                  direkt zu Euch. Macht ganz bequem von Eurer Couch
Jens Neumann brennt für seinen Beruf und will unbedingt           online mit bei unserem Webinar-Programm.
die Ausbildung im Winter abschließen. „Ich werde jetzt ge-
                                                                                                                                    Foto: privat

                                                                  Alle Infos und die Anmeldung findet Ihr auf
meinsam mit der NGG juristisch gegen meinen alten Be-             www.ngg-veranstaltungen.de
trieb vorgehen. Die haben mir noch nicht einmal einen Auf-

                                                                                                              einigkeit
                                                                                                                 einigkeit
                                                                                                                        2-2019
                                                                                                                           2-2020       23
Foto: Vorname Nachname

            Herzlichen Dank für Eure Treue!
               In dieser Ausgabe gratulieren wir Mitgliedern, die im zweiten Quartal der Jahre 1950 (vor 70 Jahren) und 1970
            (vor 50 Jahren) in die Gewerkschaft NGG eingetreten sind. Wir sind dankbar und sehr stolz, dass uns so viele von
            Euch über Jahrzehnte ihr Vertrauen schenken. Haltet uns auch weiterhin die Treue!

            Seit 75 Jahren Mitglied                                  Seit 50 Jahren Mitglied
            Dortmund: Alfred Döding                                  Allgäu: Laurenz Boedeker
            Mannheim-Heidelberg: Gertrud Lohmann                     Baden-Württemberg-Süd: Katharina Barsi,
            Mecklenburg-Vorpommern: Heinz Häse                       Stevan Berkovic, Caterina Bongarzone, Rosario Errico,
            Schleswig-Holstein-Nord: Karl-Heinz Jensen               Rudolf Gemlin, Doris Herre, Aldo Sia
                                                                     Berlin-Brandenburg: Marianne Heinrich, Hermann Heu-
                                                                     er, Klaus Hoffmann, Wolfgang Hornfeldt, Doris
                                                                     Linstaedt, Norbert Ziesemer
            Seit 70 Jahren Mitglied                                  Bielefeld-Herford: Werner Flottmann, Joachim Grabbe,
                                                                     Heinz-Dieter Müller, Manfred Scholz
            Baden-Württemberg-Süd: Egon Eisele, Kurt Schaffart       Bünde-Lübbecke-Minden: Herbert Greimann
            Berlin-Brandenburg: Harald Ledat                         Darmstadt und Mainz: Herbert Schwantzer,
            Bünde-Lübbecke-Minden: Erich Dettmer,                    Hermann Staiger, Hans Walter
            Herbert Döring                                           Dortmund: Harald Bode, Heinz-Dieter Gros,
            Detmold-Paderborn: Adolf Hübner, Georg Lukas             Günter Knäpper, Hannelore Straube, Heinz-Jürgen Tepel
            Dortmund: Friedrich Horn, Dieter Karaus, Max Klinke,     Dresden-Chemnitz: Christine Lieber, Christian Medack,
            Hans Nennstiel, Josef Rohla, Hans-Dieter Ullrich         Ursula Scheibig
            Dresden-Chemnitz: Brigitte Hauschild,                    Hannover: Bernd Behre, Gunold Fischer,
            Annemarie Moeser                                         Werner Gniffke, Traute Grass, Hartmut Hepke,
            Düsseldorf-Wuppertal: Guenther Freyer                    Kurt Schaller, Uwe Schaper
            Köln: Gottfried Mueller                                  Heilbronn: Monika Bayer, Werner Schiffner
            Lübeck: Rita Liedtke                                     Hamburg-Elmshorn: Antje Ahmling, Siegfried Kästner,
            Magdeburg: Günter Viergutz                               Karl-Heinz Kaufhold, Günther Mohr, Peter Mrutzek,
            Mannheim-Heidelberg: Rudolf Weick                        Gisela Paulsen, Rolf Peters, Roderich Vogel,
            Mittelrhein: Kastor Schneider                            Rainer Wankum
            München: Valentin Bauer                                  Köln: Aydin Durkan, Anton Kirschbaum
            Nord-Mittelhessen: Johann Eschinger                      Krefeld-Neuss: Helmut Crienen, Karin Dollbaum,
            Nürnberg-Fürth: Edith Dietz, Anny Jelifier               Georg Klober, Irene Koenen, Heinrich Koester,
            Oberfranken: Alfred Grampp, Annerose Motschmann,         Walter Quack
            Christoph Strötz                                         Lübeck: Jutta Bohnert
            Pfalz: Otto Müller, Kurt Scherff                         Lüneburg: Walter Johannes, Jose Angel Sanz-Catalina
            Rhein-Main: Nikolaus Bieber                              Magdeburg: Monika Drieselmann
            Ruhrgebiet: Otto Imm                                     Mannheim-Heidelberg: Werner Schneider
            Stuttgart: Oskar Rattai                                  Mecklenburg-Vorpommern: Werner Skomski
            Süd-Ost-Niedersachsen-Harz: Hermann Limburg              Mittelrhein: Alex Höfer
            Trier: Klaus Steinhauer                                  Niederbayern: Franz-Xaver Altmannsdorfer,

24   einigkeit 2-2020
     einigkeit 1-2017
               4-2019
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