Entgrenzung von Arbeit - Prof. Dr. Gabriele Winker Arbeit-Gender-Technik TU Hamburg-Harburg
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Vier Phasen des Kapitalismus nach Aglietta (1979) Extensive Akkumulationsstrategie während der Konstitutionsphase des Kapitalismus mit dem Ziel einer Ausweitung des Arbeitstages und eine Reduzierung der Löhne In der fordistischen Frühphase intensive Akkumulationsstrategie mit Investitionen in Produktionsanlagen und Einführung des wissenschaftlichen Managements (Taylor) Fordismus mit Massenproduktion für die Konsuminteressen breiter Bevölkerungsschichten, begleitet von Keynesianischer Nachfragepolitik, Ausbau sozialer Sicherungssysteme und Tarifautonomie Post-Fordismus eingeleitet durch eine Internationalisierung der Finanzmärkte und Wertschöpfungsketten und charakterisiert durch Entgrenzung und Subjektivierung von Arbeit Arbeitssoziologie Winker
Historische Typen von Arbeitskraft Proletarisierter Lohnarbeiter (Frühindustrialisierung) rohes Arbeitsvermögen rigide direkte Kontrolle der Arbeit harte Ausbeutung, kein sozialer Schutz Verberuflichter Arbeitnehmer (Fordismus) standardisierte Qualifikationen, rudimentäre Arbeitstugenden verwissenschaftlichte, strukturelle Kontrolle der Arbeit gedämpfte Ausbeutung, hoher staatlicher Schutz Verbetrieblichter Arbeitskraftunternehmer (Postfordismus) individualisierte Qualifikationen systematische Selbst-Kontrolle der Arbeit Selbstausbeutung, unklarer sozialer Schutz Pongratz/Voß (2003): 26 Arbeitssoziologie Winker
Drei Kennzeichen des Fordismus Etablierung des achtstündigen „Normalarbeitstages“ und eine – zumindest in mittleren und großen Betrieben – am tayloristischen Paradigma (Arbeitsteilung und Spezialisierung, hierarchisch-bürokratische Steuerung und Organisation) orientierte Arbeitsorganisation Zusammenspiel von betrieblichen, tarifvertraglichen und gesetzlichen Regulierungen mit ausgebauten wohlfahrtsstaatlichen Sicherungssystemen und kollektiven Konfliktregulierungsinstitutionen Räumliche, zeitliche und soziale Abgrenzung von Familie und Freizeit gegenüber Erwerbsarbeit und Beruf (Kratzer/Lange 2006: 172) Kratzer/Lange 2006: 172 Arbeitssoziologie Winker
Entgrenzung von Arbeit im Post- Fordismus Entgrenzungsprozesse als Umbruchtendenzen fordistisch-tayloristischer Normalarbeit, die sich in der Erosion bislang konstitutiver Grenzziehungen äußert Arbeitssoziologie Winker
Zentrale betriebliche Reorganisationsprozesse Dezentralisierung Verringerung der Leistungstiefe Verlagerung von Kompetenzen von zentralen Instanzen auf ausführende Stellen Stärkung der Autonomie der Organisationseinheiten Vermarktlichung Öffnung der Unternehmen zum Markt Marktliche Sanktionen anstelle hierarchischer Kontrolle Faktische und fiktive Konkurrenz von Unternehmenseinheiten Arbeitssoziologie Winker
Zentrale Entwicklungstendenzen von Erwerbsarbeit Zunahme von Selbstorganisation und Eigenverantwortung Abflachung von Hierarchien Rücknahme von Arbeitsteilung Verantwortungstransfer auf die operative Ebene Veränderte Führungs- und Steuerungskonzepte (Coaching, Zielvorgaben) Erweiterte Partizipationsansätze (Gruppenarbeit, organisierte Beteiligung) Flexibilisierung von Erwerbsarbeit Bezieht sich auf Arbeitszeit, Beschäftigungsverhältnis, Qualifikationsanforderungen, Arbeitsort, Erwerbsverläufe ¾ „Jobnomaden“ Arbeitssoziologie Winker
Ziel arbeitskraftorientierter Rationalisierung Zugriff auf bislang nur begrenzt zugängliche Ressourcen und Potenziale von Arbeitskraft Flexibilitäts- und Steuerungspotenzial der Subjekte Kommunikative Fähigkeiten und empathische Eigenschaften Bisher gegen den Betrieb abgegrenzte zeitliche, räumliche und soziale Ressourcen aus der Lebenswelt der Beschäftigten ¾ Erweiterter Zugriff auf die Subjektivität der Beschäftigten und ihre lebensweltlichen Ressourcen ¾ Subjektivierung von Arbeit Arbeitssoziologie Winker
Alltägliche Entgrenzung von Erwerbsarbeit (schwarz) und Nicht-Erwerbsarbeit (weiß) Traditioneller Berufsalltag Flexibler Berufsalltag Gruber/Löffler/ Thien 2002: 113 Arbeitssoziologie Winker
Entgrenzung versus Begrenzung Autonomie versus Absicherung Beschäftigte bevorzugen ein Normalarbeitsverhältnis und thematisieren offensiv die Vorteile „begrenzter Arbeit“ (Pongratz/Voß 2004) „Der Zugewinn an individueller Autonomie im Arbeitsprozess scheint sich offenkundig nur dann als Vorteil zu erweisen, wenn die mit dem Beschäftigungsverhältnis bislang verbundenen Absicherungen erhalten bleiben.“ (Jürgens 2006: 68) Arbeitssoziologie Winker
Erosion des Ernährermodells http://www.boeckler-boxen.de/images/impuls_2009_03_3.pdf Arbeitssoziologie Winker
Arbeitskraftmanager/in zwischen den Lebensbereichen Erwerbsarbeit Haus- und Sorgearbeit Selbst-Kontrolle Selbst-Kontrolle Leistungsorientierungen Leistungsorientierungen Selbst-Ökonomisierung Selbst-Sozialisierung Berufsbiografische Familienbiografische Orientierungen Orientierungen Selbst-Rationalisierung Elastizitätsmuster von beruflichen, familiären und sonstigen Tätigkeiten Winker/Carstensen 2007 Arbeitssoziologie Winker
Neue Familienmodelle – anstelle des Familienernährermodells Ökonomisiertes Familienmodell Zwei Normalarbeitsverhältnisse in flexibilisierter Form Übertragung der Fürsorgetätigkeiten auf Mini-Jobberinnen oder illegalisierte Migrantinnen Prekäres Familienmodell Erwerbstätige prekär beschäftigt, max. ein/e Normalbeschäftigte/r Doppelbelastung von in der Regel Frauen Subsistenzorientiertes Familienmodell Jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zu jeder Erwerbstätigkeit verpflichtet Organisation des alltäglichen Überlebens meist durch Frauen Winker 2007 Arbeitssoziologie Winker
Prekarisierung des Lebens Prof. Dr. Gabriele Winker Arbeit–Gender–Technik TU Hamburg-Harburg
Prekarisierung Von lat.-franz. prekär; unsicher, durch Bitten erlangt, widerruflich, schwierig Stetige Zunahme von Arbeitsplätzen mit geringer Arbeitsplatzsicherheit, niedrigem Lohn, Teilzeitbeschäftigung, befristeten Verträgen, mangelndem Kündigungsschutz Prozess der relativen Zunahme von prekären (schlecht bezahlten und/oder unsicheren) Arbeitsverhältnissen Arbeitssoziologie Winker
Charakteristika prekärer Arbeitsverhältnisse Gefährdung der Beschäftigung Gefährdung von Subsistenzeinkommen und Einkommensstabilität Gefährdung der Beschäftigungsfähigkeit (employability) Gefährdung der Integration in das System sozialer Sicherheit Erfahrungen von Marginalisierung und Unsicherheit Arbeitssoziologie Winker
(Des-)Integrationspotenziale von Erwerbsarbeit – eine Typologie Zone der Integration 1. Gesicherte Integration („Die Gesicherten“) 2. Atypische Integration („Die Unkonventionellen“ oder „Selbstmanager“) 3. Unsichere Integration („Die Verunsicherten“) 4. Gefährdete Integration („Die Abstiegsbedrohten“) Zone der Prekarität 5. Prekäre Beschäftigung als Chance / temporäre Integration („Die Hoffenden“) 6. Prekäre Beschäftigung als dauerhaftes Arrangement („Die Realistischen“) 7. Entschärfte Prekarität („Die Zufriedenen“) Zone der Entkoppelung 8. Überwindbare Ausgrenzung („Die Veränderungswilligen“) 9. Kontrollierte Ausgrenzung / inszenierte Integration („Die Abgehängten“) Dörre 2005: 60 Arbeitssoziologie Winker
Literatur Aglietta, Michel (1979): A Theory of Capitalist Regulation. The US Experience. London: NLB Dörre, Klaus (2005): Prekarisierung contra Flexicurity. Unsichere Beschäftigungsverhältnisse als arbeitspolitische Herausforderung. In: Kronauer, Martin; Linne, Gudrun (Hg.): Flexicurity. Die Suche nach Sicherheit in der Flexibilität. Berlin: Edition Sigma, S. 53-72 Gruber, Sabine; Löffler, Klara; Thien, Klaus (Hg.) (2002): Bewegte Zeiten. München, Wien: Profil Verlag Jürgens, Kerstin (2006): Arbeits- und Lebenskraft. Reproduktion als eigensinnige Grenzziehung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften Kratzer, Nick; Lange, Andreas (2006): Entgrenzung von Arbeit und Leben: Verschiebung, Pluralisierung, Verschränkung. Perspektiven auf ein neues Re-Produktionsmodell. In: Dunkel, Wolfgang; Sauer, Dieter (Hg.): Von der Allgegenwart der verschwindenden Arbeit. Berlin: edition sigma, 171-200 Pongratz, Hans J.; Voß, G. Günter (Hg.) (2004): Typisch Arbeitskraftunternehmer? Befunde der empirischen Arbeitsforschung. Berlin: edition sigma Winker, Gabriele (2007): Traditionelle Geschlechterordnung unter neoliberalem Druck. Veränderte Verwertungs- und Reproduktionsbedingungen der Arbeitskraft. In: Groß, Melanie; Winker, Gabriele (Hg.): Queer - | Feministische Kritiken neoliberaler Verhältnisse. Münster: Unrast Verlag, 15-49 Winker, Gabriele; Carstensen, Gabriele (2007): Eigenverantwortung in Beruf und Familie – vom Arbeitskraftunternehmer zur ArbeitskraftmanagerIn. In: Feministische Studien, Nr.2, 277-288 Arbeitssoziologie Winker
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