Entscheiden Sie! Ein Gedankenexperiment am Beispiel Organspende - Wo, wenn nicht hier? - HHU
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2020 — AUSGABE 1 Entscheiden Sie! Ein Gedankenexperiment am Beispiel Organspende SCHREIBWETTBEWERB JURA WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFT Wo, wenn Jung und Arm durch nicht hier? vernetzt Energieverbrauch
(c) Rowlands / Greenpeace Simulant? Nein. Jährlich sterben rund 300.000 Wale und Delne als nutzloser Beifang in Fischer- netzen. Und das ist nur einer von vielen Gründen, warum wir uns für den Schutz der Meere einsetzen. Jetzt mitmachen unter e www.greenpeace.de / netze
MAGAZIN 1 — 2020 Editorial FOTO PAUL SCHWADERER Liebe Leserin, lieber Leser, könnten Sie oder ich in einem Computer weiterleben oder endet Ihre und meine Existenz mit der des Körpers? Und wissen Sie genau, wie Sie leben wollen? Und wenn Sie Bundestagsabgeordnete*r wären und müssten über die Widerspruchs- oder Zustimmungslösung bei Organspenden entscheiden – was würden Sie dann tun? Allesamt schwie rige, zugleich praktische und philosophische Fragen, die es zu durchdenken lohnt. Gelegenheit, solche Fragen mit Laien und Fachleuten zu erörtern, bietet seit knapp einem Jahr „denXte“, eine interaktive Vortragsreihe im Haus der Univer- sität. In Gedankenexperimenten werden gesellschaftlich und wissenschaftlich relevante philosophische Fragen handhab- bar gemacht. Zu einem solchen Gedankenexperiment laden wir Sie mit unserer Titelgeschichte ein, die in diesem Fall zu- gleich ein Sonderheft ist. Eines, dass Sie drehen und wenden können, um mit uns gemeinsam über die politische und die persönliche Dimension von Organspende nachzudenken. Viel Vergnügen beim Drehen und Denken und eine schöne Frühlingszeit wünscht Dr. Victoria Meinschäfer 3
INHALT Dieter Birnbacher, Markus Schrenk und Titel Christoph Sapp konzipierten ein Gedanken- experiment SONDERHEFT Entscheiden Sie! Ein Gedankenexperiment am Beispiel Organspende FOTO FLORIAN KAISER-WINTER Campus 06 ENTLANG DER MAGISTRALE 07 07 Politik gehört an die Unis 10 MOMENTAUFNAHME FOTO WILFRIED MEYER Über 700 Gäste begrüßte die Rektorin beim Neujahrsempfang Selbstbildnisse zeigen uns Künstler*- innen, wie sie sich selbst gesehen haben Fakultäten PHILOSOPHISCHE FAKULTÄT ABBILDUNG WIKIMEDIA COMMONS 12 Wo, wenn nicht hier? Studentischer Schreibwettbewerb 18 Was Selbstportraits verraten – Forschungsprojekt 18 23 Düsseldorfer Kunsthistoriker*innen Meyer-Struckmann-Preis 2019 verliehen 4
MAGAZIN 1 — 2020 Fakultäten 32 24 JURISTISCHE FAKULTÄT Tod auf Mallorca – Europäische Erbrechtsverordnung 26 Jung und vernetzt – 25 Jahre Juristische Ausbildung an der HHU WIRTSCHAFTS- WISSENSCHAFTLICHE FAKULTÄT 29 Zukunftsträchtig – Museumsweltverband ICOM bekommt ein Young Professionals Netzwerk 30 Arm durch Energieverbrauch MATHEMATISCH- NATURWISSENSCHAFTLICHE FAKULTÄT 32 Medizinphysikerin Cornelia Monzel untersucht Physik der Zellen 34 Studiengang Medizinische Physik 36 Verlieren lernen – Doktorand untersucht psychologische Faktoren beim Pokerspiel FOTO CHRISTOPH KAWAN Prof. Dr. Cornelia Monzel unter- MEDIZINISCHE FAKULTÄT sucht, wie Moleküle in Zellen 39 Sichere Diagnose mit weniger Biopsien gezielt beeinflusst werden können 40 Extrem eng getaktet – Bei Herztransplantationen kommt es auf die perfekte Abstimmung an 43 Wann werden die Weichen gestellt? Graduiertenkolleg „vivid“ untersucht Ursachen der Entstehung von Typ-2-Diabetes Personalia 29 45 Ausschreibung Forschungspreis 2020 der Dr.-Günther- und Imme-Wille- Stiftung 46 ERNENNUNGEN, TODESFÄLLE FOTO STUDIO TOMÁS SARACENO 2013 Düsseldorfer Studentinnen entwickeln ein Konzept zur Verjüngung des Welt- verbands der Museen 03 EDITORIAL 44 NEUERSCHEINUNGEN 46 IMPRESSUM 5
ENTLANG DER MAGISTRALE 10.000 Alumni Das Alumni-Netzwerk der Hein- rich-Heine-Universität Düssel- dorf konnte nun das 10.000 Mit- glied begrüßen: Beim Neujahrs- empfang freute sich Rektorin FOTO WILFRIED MEYER Prof. Dr. Anja Steinbeck über die Mitgliedschaft von Sarah Taik und gratulierte mit einem Blumenstrauß. FOTO FLORIAN KAISER-WINTER Kamera ab, Film läuft und Action! FOTO ALEXANDER SCHNEIDER 4K-Kameras, WLAN-LED-Lampen, Mo- derationspult und eine Greenbox-Hohl- kehle – die HHU hat nun ein hochmo- Höchst erheiternd dernes Video-Studio. Innerhalb von nur vier Monaten wurde der Umbau reali- Ein voller Erfolg war der Abend mit Jür- siert. Auf den 60 Quadratmetern entste- gen von der Lippe, der am 20. Januar hen künftig professionelle Lehrvideos Chapeau! an der Heinrich-Heine-Universität zu und Imagefilme. Zur Eröffnung schlug Bei der Promotionsfeier Gast war. Auf Einladung von Prof. Dr. ZIM-Direktor Prof. Dr. Harald Ziegler ge- Achim Reichel vom Institut für Klas- meinsam mit Prorektor Prof. Dr. Chris- der Mathematisch-Natur- sische Philologie der Heinrich-Heine-Uni- wissenschaftlichen Fakul- toph J. Börner die erste Klappe. versität sprach der ebenso vielseitige wie vielbelesene Entertainer über „Die tät am 31. Januar wurden Möglichkeiten humanistischer Bildung traditionell auch wieder im Hinblick auf professionelle Erhei- die besten Doktorhüte ge- terung“. kürt. Die Arbeitsgruppen bauen für die frisch Pro- movierten sehr kreative Objekte, die vom Träger FOTO UTE CLAMES GFFU Startup Wettbewerb teils akrobatische Fähig- Kreative Köpfe gesucht keiten verlangen. HHU Ideenwettbewerb Busfahren, Bezahlen, HHU-Ideenwettbewerb 2020 Ausleihen und mehr – Mach mit und starte durch! – mit einer einzigen Bereits zum neunten Mal sucht das CEDUS neue und kreative Gründungsideen aus allen Karte: der HHU-Card. Fachbereichen, aus denen tragfähige Ge- Sie erleichtert multi- schäftsmodelle entstehen können. Der Wett- funktional das (Uni-) bewerb richtet sich an alle Studierenden, Ab- Leben und ersetzt solvent*innen, Wissenschaftler*innen, Mitarbei- ter*innen der HHU, der An-Institute und des Univer- zum Sommersemester sitätsklinikums Düsseldorf. Gleichzeitig lobt die GFFU den bisherigen Stu- im parallel stattfindenden Start-up-Wettbewerb zum vierten dierendenausweis Mal ein Stipendium in Höhe von 50.000 € für ein bereits und damit auch das ausgearbeitetes Gründungskonzept aus. Bis zum 31. Mai können die Ideen und Konzepte eingereicht werden. Semesterticket. www.cedus.hhu.de 6
MAGAZIN 1 — 2020 ILLUSTRATION NICK EBERT Politik gehört an die Unis Neujahrsempfang der Rektorin Entscheidungen, die eine Hochschulleitung zu treffen hat, gleichen mitunter einem Drahtseilakt. Diesen verdeutlichte Karikaturist Nick Ebert eigens für die Neujahrsrede von Rektorin Prof. Dr. Anja Steinbeck. VON CAROLIN GRAPE G ut 700 Gäste begrüßte die Rektorin Publizist und ehemalige Politiker Thilo Sarrazin eingela- am 22. Januar zum Neujahrsempfang den wurde, um über (die Grenzen der) Meinungsfreiheit an der HHU – darunter hochrangige in Deutschland zu sprechen. Drei Anläufe brauchte der Vertreter*innen aus Diplomatie, Poli- AfD-Mitbegründer und Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke, tik, Wirtschaft, Verwaltung, Wissen- ehe er Ende Oktober 2019 endlich seine Vorlesung schaft und Kultur. Im Fokus ihrer mit viel Applaus bedachten Rede setzte sich Prof. Dr. Anja Steinbeck mit einer sensiblen Frage auseinander: Wie politisch Wer darf an den Unis sprechen? muss eine Universität sein, wie neutral sollte sie sein? Die Rektorin bezog persönlich Stellung: Politische Debatten gehören an die Universitäten – nicht Mit- „Makroökonomik II“ an der Hamburger Universität hal- spielen ist keine Lösung. ten konnte – unter massivem Polizeischutz. Vor vier Jah- ren wurde eine Veranstaltung (ebenfalls) mit Bernd Lucke Ende des Jahres 2018 kam es an der Universität Siegen an der HHU abgesagt, weil es ernstzunehmende Dro- zu massivem Widerstand als bekannt wurde, dass der hungen gegen das Organisationsteam gegeben hatte. 7
CAMPUS In Hamburg, Siegen und Düsseldorf immer wieder die gleiche Frage: Wer soll an Universitäten sprechen „Wer nach dem dürfen, welche kontroversen Positionen müssen sie aus- halten und welche eben auch nicht? Ein hochkomplexes Studium in eine wie auch hochpolitisches Thema, das im Wissenschafts- verantwortungsvolle betrieb – teils emotional – in jüngerer Zeit intensiv disku- tiert wird. Viele, auch namhafte Wissenschaftler*innen, Position kommt, lehnen Veranstaltungen mit parteipolitischer Ausrichtung grundsätzlich ab. Sie berufen sich auf das Neutralitäts- sollte gelernt haben, gebot, dem Hochschulen unterliegen. Zudem erachten sie den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn als zwin- sich auch mit dem gende Voraussetzung universitärer Tätigkeit: „Wissen- auseinanderzusetzen, schaft produziert Erkenntnisse, keine Meinungen!“. Die Rektorin der HHU, Anja Steinbeck, sieht das was die Welt jenseits differenzierter: Zum einen schieße man über das Ziel hinaus, wenn man den wissenschaftlichen Erkenntnis- seines Faches bewegt.“ gewinn zur zwingenden Voraussetzung erkläre. Damit stelle man jeglichen Transfer von Wissen in die Gesell- — Prof. Dr. Anja Steinbeck schaft in Frage. Rektorin Hochschulen unterliegen Eine Universität müsse einen Ausgleich finden zwi- schen der „reinen Wissenschaft“ und ihrem Anspruch, die dem Neutralitätsgebot Studierenden zu Persönlichkeiten, zu kritischen und wa- chen Bürger*innen heranzubilden: „Dieses Ziel können Zum anderen bedeute das Gebot der politischen wir nur erreichen, indem wir Studierende mit Politik kon- Neutralität im Kern Chancengleichheit – will heißen: frontieren und ihnen Gelegenheit dazu geben, den poli- keine politische Partei dürfe einseitig benachteiligt oder tischen Diskurs mit offenem Visier zu üben. Wer nach bevorzugt werden, solange sie nicht als verfassungswid- dem Studium in eine verantwortungsvolle Position kommt, rig eingestuft sei. Es bedeute aber nicht, dass Hochschu- sollte gelernt haben, sich auch mit dem auseinanderzu- len politikfrei sein müssten. Allerdings räumt sie ein: „Die setzen, was die Welt jenseits seines Faches bewegt“. Beantwortung gleicht einem Drahtseilakt, das Balancie- Und in Richtung Politik: „Wenn wir möchten, dass ren auf dem Seil der Politik ist wacklig, aber herunter- Politikerinnen und Politiker unsere wissenschaftlichen springen keine überzeugende Strategie.“ Ergebnisse ernst nehmen und zur Grundlage ihres poli- tischen Handelns nehmen, dann sind wir gut beraten, den Dialog mit ihnen zu führen – und zwar auch in unse- ren eigenen Räumen.“ Gerade für den Austausch von kontroversen Mei- nungen und umstrittenen Thesen – insbesondere in Zei- ten zunehmender Polarisierung – sei die Universität der Ort, um fatale Ideologien zu analysieren, zu entlarven und argumentativ zu bekämpfen: „Es ist ein Gebot der rhetorischen Logik, dass ich Ansichten nur dann entge- gentreten kann, wenn ich ihre Argumente kenne. Wenn an einer Institution, an der ich beteiligt bin, Leute ein- geladen werden, deren Haltungen mir nicht passen, ver- langt es die Toleranz nicht, dass ich mir meinen Wider- spruch verkneife. Aber sie verlangt, dass ich andere, un- bequeme Positionen nicht unterbinde. Verweigerung ist keine Strategie gegen den Sirenengesang, egal ob von rechts oder von links.“ Allerdings gebe es für den Dialog klare Grenzen: 1. Die hochschulpolitische Öffentlichkeit dürfe nicht für Wahlkämpfe und Meinungskampagnen missbraucht 8
MAGAZIN 1 — 2020 FOTOS WILFRIED MEYER Passend zum Thema der Neujahrsansprache war viel politische Prominenz gekommen: (v. l.) Kerstin Griese (Parlamentarische Staatssekretärin für Arbeit und Soziales, MdB), Oberbürgermeister Thomas Geisel, Hochschulrats-Vorsitzende Anne-José Paulsen, Rektorin Prof. Dr. Anja Steinbeck sowie Prof. Dr. Andreas Pinkwart, NRW-Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie. werden. Deshalb plädierte die Rektorin für ein Verbot Ausblick auf 2020: Eines der zentralen Themen – von politischen Veranstaltungen vier bis acht Wochen Nachhaltigkeit. Zudem stellte die Rektorin für Frühsom- vor einer Wahl. 2. Wenn eine Universität Bedrohungs- mer 2020 den Relaunch der Webseite in Aussicht. Als szenarien antizipieren könne, also Gefahren für die Si- letzten Höhepunkt gab die Rektorin einen Ausblick auf cherheit der Teilnehmer*innen oder unbeteiligter Dritter, die anstehende Heinrich-Heine-Gastprofessur, die der müsse die Veranstaltung abgesagt werden. 3. Gleiches Schauspieler Klaus Maria Brandauer übernehmen wird. gelte, wenn ernsthaft zu befürchten sei, dass Inhalte und Sein Thema: „Heinrich Heine – Liebe, Revolution, Euro- Thesen vertreten würden, die verfassungsfeindlich sind. pa“ sprechen. Anja Steinbecks persönliches Fazit: Eine Universität ist Mit der Ehrenmedaille der Universität wurden Univ.- ohne politische Debatten nicht denkbar. Prof. Dr. Andrea von Hülsen-Esch (Prorektorin für In- ternationales von 2014 bis 2019) sowie Univ.-Prof. Dr. Martin Mauve (Dekan der Mathematisch-Naturwissen- Rückblick und Ausblick schaftlichen Fakultät von 2015 bis 2019) ausgezeichnet. Ebenfalls bereits gute Tradition: Zum Abschluss des Neu- jahrsempfangs entführten zwei kurzweilige Vorträge in die Nach dieser persönlichen Positionsbestimmung er- aktuelle Forschung: Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Dr. innerte die Rektorin in ihrem Jahresrückblick an die Ein- Svenja Caspers (Institut für Anatomie I an der HHU; Ins- führung des neuen Logos 2019 sowie an herausragende titut für Neurowissenschaften und Medizin (INM –1) am Veranstaltungen wie die Nacht der Wissenschaft mit Forschungszentrum Jülich) überraschte mit neuen Er- ca. 10.000 Besuchern, das 25-jährige Jubiläum der Juristi- kenntnissen zur Gehirnalterung und zu den Einflüssen aus schen Fakultät, den Einzug in das Medizinische For- Umwelt und Genetik. Den Philosophen Prof. Dr. Markus schungszentrum II sowie die feierliche Einweihung der Schrenk (Philosophie III, Metaphysik und Sprachphiloso- baulichen Erweiterung des oeconomicums. Die kurzfristig phie) interessierte, ob es Kunstwerke gibt oder geben kann, aus Brandschutzgründen notwendig gewordene Räumung die die Propriozeption (Wahrnehmung des eigenen Kör- eines Campusgebäudes, in dem überwiegend Angehöri- pers und der Vorgänge in ihm) zum Wesenskern haben. ge der Philosophischen Fakultät untergebracht waren, konnte dank der guten Zusammenarbeit aller Beteiligten Die Rede der Rektorin ist abrufbar unter schneller als gedacht erfolgen. www.hhu.de/neujahrsrede 9
MOMENTAUFNAHME Blühende Wollemie Ein besonderer Moment im Botanischen Garten im Januar 2020: Ein äußerst seltener Baum, der lange Zeit als ausgestorben galt und erst 1994 in Australien entdeckt wurde, blüht – eine Wollemie. Reviergärtner Lars Leonhard befruchtet in filigraner Handarbeit die weiblichen Blüten mit Pollen, die aus Marburg geschickt worden sind. FOTO ULI OBERLÄNDER 10
MAGAZIN 1 — 2020 11
PHILOSOPHISCHE FAKULTÄT Wo, wenn nicht hier? Studentischer Schreibwettbewerb am Institut für Medien- und Kulturwissenschaft 12
MAGAZIN 1 — 2020 VON ANNA SCHÜRMER Kultur braucht Räume, und Orte formen Kulturen. Dieses Wechselspiel spiegelt sich im Begriff der „Resonanzräume“, den Prof. Dr. Dirk Matejovski seit 2011 am Institut für Medien- und Kulturwissenschaft der HHU fruchtbar macht. Doch: Wie verändert sich ein Raum durch die Kultur und wie verändert sich Kultur durch einen Raum? D iese Frage stand im Fokus eines Schreib- rende wählten das „Weltkunstzimmer“ auf dem alten wettbewerbs, der im Rahmen meines Se- CON-SUM Gelände in Flingern – einer davon ist hier zu minars „Print-Funk@Online“ im vergange- lesen. Ähnliche Zeichen des kulturindustriellen Wandels nen Wintersemester durchgeführt wurde. tragen der Kreativraum „Flora und Fauna“ in der ehe- Das Angebot: Die besten Texte sollten maligen Billetfabrik Granderath sowie der „reinraum“ – im MAGAZIN der Heinrich-Heine-Universität abgedruckt eine ehemals öffentliche Toilette, die heute Kunst und werden. In der Wahl ihres Sujets waren die Studieren- Subkultur präsentiert. den völlig frei – nur das räsonierende Zusammenspiel Aber auch traditionellere Kunst- und Kulturorte kön- von Ort und Kultur sollte gegeben sein. Letztlich wurden nen Resonanzräume sein: Etwa das „Tanzhaus NRW“, hier zum Druck vier von 20 Texten ausgewählt, die in das Goethe-Museum im Schloss Jägerhof oder „Kunst im Summe eine kulturelle Topographie Düsseldorfs karto- Tunnel“ (KIT), wo die spezielle Architektur künstlerische graphieren: Interventionen provoziert. In die klassische Kategorie gehört auch das hier portraitierte „Unterhaus“, die neue Studiobühne des Düsseldorfer Schauspielhauses. Und doch ist urbane Kultur längst mehr als Kunst – Beliebt: Orte des Transfers das zeigt sich im Interesse vieler Studierenden an be- stimmten Plätzen, Straßen und Vierteln der Stadt: Die Täglich pendelt eine Vielzahl von Menschen zwi- Kö wird zum hybriden Resonanzraum zwischen Protz schen Ruhrgebiet und Rheinland, zwischen Arbeits- und und Almosen, die Vergnügungen an der „längsten Theke Wohnort – per Auto und mit dem Zug. Unter den Pend- der Welt“ werden aus Sicht eines Altbiers erzählt, die lern auch viele Studierende, was Grund sein mag für die bunten Häuserfassaden des „Farbfieber e.V.“ der Gentri- Texthäufung zu Orten des Transfers: Die Soundinstal- fizierung entgegengehalten. Insbesondere die Kiefern- lation an der U-Bahn-Station Heinrich-Heine-Allee, die straße in Flingern konnte erfolgreich eine „Kultur des Videoinstallation an der Haltestelle Schadowstraße oder Widerstands“ etablieren, wie hier nachzulesen ist. Anders auch die „Hall of Fame“ der Graffiti-Szene am S-Bahn- die „Botschaft“ am Worringer Platz: Einst Operettenhaus, hof Eller. Abgedruckt wird ein Gedankenexperiment: später Kino, dann Party-Location und zuletzt Probebüh- Was wäre, wenn an Bahnhöfen Kunst statt Werbung ge- ne, muss das Gebäude nun Platz für Mikroappartements zeigt würde? machen. Dafür ist mit dem benachbarten „hotel friends“ Daran anschließend weist der Wandel vom Autohof ein neuer Düsseldorfer Resonanzraum entstanden, der zum Kunstpalast beim „QuARTier8“ auf Funktionswandel nicht nur wirtschaftlich trägt, sondern zur Kunst „anti- urbaner und industrieller Räume: Gleich zwei Studie- chambriert“. 13
PHILOSOPHISCHE FAKULTÄT COMPOSING PAUL SCHWADERER / HHU DÜSSELDORF HBF STADTMITTE FOTO SHUTTERSTOCK/MICHAEL715 Was wäre, wenn…? VON BIBIANA CAU D er Düsseldorfer Hauptbahnhof: Mit etwa 270.000 wir uns einen Kunstdruck von Van Goghs „Sternennacht“ Reisenden pro Tag eine der meist frequentierten aus. Anstelle von Calzedonias Werbung für eine Strumpf- Stationen in NRW. Hier tummeln sich alle Gesell- hose tritt uns Jan Vermeers „Mädchen mit dem Perlenohr- schaftsschichten: von Schülern auf dem Weg zu einer ring“ vor Augen. Ein reales Beispiel für dieses Gedanken- „Fridays For Future“-Demo, bis hin zu Geschäftsleuten mit experiment ist die Soundinstallation an den drei Zugängen Anzug und Aktenkoffern. Unruhe und Hetze stehen hier der Heinrich-Heine-Station. Wir sprechen also von Pro- auf der Tagesordnung. jekten, die uns unvermeidbare Wartezeiten mit Kultur „Was ich hier mit dem Bahnhof verbinde?“, überlegt und Ästhetik verbinden lassen, anstelle von Konsum und eine durchgefrorene Person an Gleis 17. „Genervtheit Tristesse. Inspirationen, durch die wir mit anderen War- wegen der langen Wartezeiten. Und Kälte, Trostlosig- tenden – und in dem Moment Kunstinteressierten – ins keit…“ Die Frau schaut sich um: „Irgendwie habe ich gera- Gespräch kommen könnten. de in der Winterzeit immer Angst, dass sich eine Person, die zu nah am Gleis vorbeiläuft und ein bisschen eigenartig verhält, umbringen will. Ich meine… Wenn man solche Horizont erweitern Gedanken hat, dann sind das Grau-in-Grau der Gleise und die McDonalds-Werbung wohl das Letzte, was einen da- von abhalten würde.“ Inwieweit eine solche Veränderung auf unser Innen- Ich überlege: Wie würde sich die triste Atmosphäre leben wirken würde, ist unklar. Doch eins ist sicher: Die und sogar der soziale Kontakt verändern, würden die wenigsten Pendler*innen würden sich gegen eine solche Gleise – statt mit Werbungen für zu billige Burger und Ästhetisierung aussprechen. Anstatt einen starren Na- transparente Strumpfhosen – mit Kunst und Kreativität cken vom ewigen Herunterschauen auf das Handy zu verziert? Anstatt McDonalds neuestem Angebot malen bekommen oder den Blick auf Werbung versunken zu finden, hätten wir die Möglichkeit, unseren Horizont während der Wartezeit zu erweitern: Eine Art Museum in der Durchgangsstation, das einen tristen Ort in einen Kulturraum verwandelt. 14
MAGAZIN 3 — 2019 Zwischen Knetmaschine und Rocker-Club VON CARINA MÜLLER W ie können wir Kunst und Gesellschaft in Ver- ter großen Geländes der ehemaligen Backfabrik. Zu Be- bindung bringen?“ – diese Frage stellt sich ginn des 20. Jahrhunderts diente das Backsteingebäude Janine Blöß immer wieder bei ihrer Arbeit. als Fuhrpark für den „Allgemeinen Consumverein freies Sie ist Kuratorin des Weltkunstzimmers in Flingern und Rheinland“. Anfang der 70er Jahre wurde die Fabrik still- führt uns durch die Ausstellungshallen auf dem soge- gelegt, Hans Peter Zimmer rettete die Anlage mit seiner nannten CON-SUM-Gelände, das 67 Proben- und über Stiftung vor dem Abriss. Seitdem zieht das Gelände die 50 Gewerberäume, sechs Künstlerstudios und vier Ver- Düsseldorfer Kunst- und Kulturszene an. anstaltungsorte umfasst. Die Wände der langen Halle sind weiß gefliest. Auf den Fliesen sind Kritzeleien, die an Strichlisten von Ge- Räume divers nutzen fangenen erinnern. „Woher die kommen? Keine Ahnung, die gehören auf jeden Fall nicht zur Ausstellung“, er- zählt Janine Blöß. Die Räume der ehemaligen Fabrik sind Die Kuratorin erzählt von dem ehemaligen Club-Raum roh und überwiegend unrenoviert: „Wir versuchen, sen- einer Rockerbande. An den Wänden sind noch Einschuss- sibel mit der Geschichte umzugehen, nicht alles zu über- löcher und dunkle Malereien zu sehen. In einem anderen streichen.“ Das ist eine Herausforderung für Künstler* Raum bauen Künstler*innen ihre Werke rund um die -innen und Kurator*innen: „Die Kunst und die Räume Überbleibsel der Backfabrik, etwa eine riesige Knetma- gehen eine Symbiose ein. Dabei darf man nie gegen die schine, auf. Die Nutzung der Räumlichkeiten ist divers – Räume arbeiten“, erklärt sie. und damit eine Auffassung von Kunst vertreten, „die der Das Weltkunstzimmer, das entgegen den Erwartungen postmodernen Beliebigkeit den Wunsch zur Utopie ent- nicht nur aus einem Zimmer, sondern aus mehreren al- gegenstellt“. Unter dieser Prämisse unterstützt die Hans- ten Fabrikhallen besteht, ist Teil des 10.000 Quadratme- Peter-Zimmer-Stiftung im Weltkunstzimmer seit 2009 Kunst als eine Instanz des Widerstandes, als Forschungs- stätte und als geistiges Reservoir. WELTKUNSTZIMMER FLINGERN FOTO CARSTEN HEISTERKAMP 15
PHILOSOPHISCHE FAKULTÄT Uns die Kiefern, Euch die Kö VON ROBIN KLÜBER Z wischen der hektischen Erkrather- und der ge- kamen diese Oberschüler, die Toten Hosen, und wollten lassenen Fichtenstraße im Süden Flingerns liegt hier auftreten.“ Sie sollten nicht einzigen bleiben, die ein Stück Düsseldorfer Kulturgeschichte: Circa vom Lebensgefühl der Kiefern angesteckt wurden. 800 Bewohner*innen und 45 Nationalitäten leben auf Fakt ist, dass immer mehr Künstler*innen in die alte der Kiefernstraße, die sich schon von weitem durch die Arbeitersiedlung drängten, deren Bewohner*innen vom bunte Bemalung der Häuserfronten bemerkbar macht. Sozialdezernat als „arbeitslose Jugendliche, Punks, Skin- Wo das AK-47 als letzte Punk-Bastion ein Stück Düssel- heads, […] Drogen- und Alkoholabhängige“ beschrieben dorfer Gegenkultur bewahrt, liegt der Kinderclub Kie- wurden. Die „Kiefern“ reagierten mit dem Aufbau des fernstraße gleich um die Ecke. Kulturbüros K4 und der Gründung des Zentrums für Aktion, Kultur und Kommunikation – kurz zakk. Einrich- tungen, die bis heute aktiv das kulturelle Miteinander Lebensgefühl verteidigen fördern. Etwa durch ein jährliches Straßenfest: Hier ver- kaufen keine Profis, sondern Bewohner des Viertels, de- ren Stände den Häuserfassaden in punkto Farbenpracht Michel Kaspar ist ein Kiefernsträßler der ersten Stun- in nichts nachstehen: „Fast jedes Haus hat ein eigenes de. Von 1981 bis 1987 hat er hier in einer großen Wohn- Thema und wurde von einem anderen Künstler gestal- gemeinschaft gelebt. Dass die Straße trotz wiederkehren- tet“, erzählt Kaspar. Wer genauer hinschaut, erkennt der Abrisspläne noch steht, ist für ihn auch ein Verdienst das Frauenhaus, das Schwesternheim oder die Ateliers der Musikszene: „New wave, no future Bewegung – das diverser Künstler*innen an ihren Graffitis. hat sich alles hier getroffen. Das AK-47 war früher ein Die Kiefernstraße beweist, dass Unterschiede in Reli- Gemüseladen. Da haben wir versucht gemeinsam zu ko- gion, Herkunft und Milieu mehr vereinen, als entzweien chen, irgendjemand hat eine Lesung gehalten. Und dann können. Dieses Lebensgefühl verteidigen die Bewoh- ner*innen gegen jeden äußeren Widerstand. Aktuell gegen Cube Real Estate, die mit ihrem Hotelbauvorha- ben die Mietpreise akut gefährdet. KIEFERNSTRASSE FLINGERN FOTO ROBIN KLÜBER 16
MAGAZIN 3 — 2019 SCHAUSPIELHAUS STADTMITTE FOTO MATTHIAS ROHDE Motor für neue Stückideen VON LÉO SOLLEDER P rovisorisch sieht es im Innersten des Schauspiel- nicht bei anderen Abenden im Schauspielhaus angetrof- hauses am Gustaf-Gründgens-Platz aus. Das Bau- fen hat, weil es bislang vielleicht noch keine Berührungs- werk von Bernhard Pfau gleicht einem Dampfer punkte gab“, so Möller. Trotzdem wolle man ein Programm mitten in der Stadt. In seinem Innersten, am Ende von erstellen, welches möglichst alle Zielgruppen interessie- mit losen Kabeln verzierten Gängen, liegt der ‚Maschinen- ren und den Austausch zwischen verschiedenen Gene- raum‘: das Unterhaus, die neue Spielstätte des Düssel- rationen und Hintergründen fördern kann. dorfer Schauspielhauses. „Wir hatten bis jetzt keine Studiobühne hier am Haus, „Wir befinden uns hier noch in einer Phase des Aus- wie es sie an vielen Theatern gibt“, erinnert Corinna probierens und müssen teilweise auch noch improvisie- Möller. Nun wurde also mit dem Unterhaus ein solches ren, aber es ist natürlich auch eine Stärke dieses Ortes, Versuchslabor für kleine und experimentelle Perfor- dass wir uns recht unabhängig vom restlichen Spielplan mances am Ort der ehemaligen Probebühne geschaffen. bewegen können“, erklärt Corinna Möller, Dramaturgie- Das Schöne am Unterhaus sei auch, dass „durch die ge- assistentin am Düsseldorfer Schauspielhaus. Gemeinsam ringe Größe des Raumes eine Nähe und ein Austausch mit Frederik Tíden ist sie verantwortlich für die Veran- zwischen dem Publikum und den Darsteller*innen auf der Bühne entstehen kann, die es auf diese Weise unmit- telbar nach oder sogar manchmal auch während einer Austausch fördern Vorstellung auf den anderen Bühnen eher nicht gibt.“ So entsteht im „Maschinenraum“ des großen Dampfers Düsseldorfer Schauspielhaus ein Motor für neue Stück- staltungen im Unterhaus. Auf dem Programm stehen ideen, der sich hoffentlich als ein Ort der Gemeinschaft neben szenischen Abenden auch Vorträge, Filmvorfüh- und des Austauschs etablieren kann. rungen oder Formate wie eine feministische Lesereihe. „Natürlich sprechen wir mit einem solchen Programm auch ein jüngeres Publikum an, das man vielleicht noch 17
PHILOSOPHISCHE FAKULTÄT ABBILDUNGEN WIKIMEDIA COMMONS Johannes Gumpp, Selbstbildnis, 1646, Öl auf Leinwand, 88,5 x 89 cm, Florenz, Galleria degli Uffizi Johannes Gumpp malt sich in seinem außergewöhnlichen Selbstbildnis gleich drei Mal und nutzt dafür die Spiegelmetaphorik, mit der er den Übergang vom Spiegelbild zum Gemälde thematisiert. Sein gemaltes Gesicht blickt über die Schultern des Malers aus dem Bild heraus und fokussiert den Betrachter, als wolle es sagen: „Ich bin hier.“ 18
MAGAZIN 1 — 2020 t p o r t r a i t sv lb s er S e ra t Was en Ein Forschungsprojekt Düsseldorfer Kunsthistoriker*innen untersucht die Autoritratti der Florentiner Uffizien VON VICTORIA MEINSCHÄFER S elbstbildnisse zeigen uns doch im Depot eingelagert. Damit war die bildnissen in einer neuzeitlichen Samm- Künstler*innen, wie sie sich Sammlung nur noch stark eingeschränkt lung“. selbst gesehen haben, geben zugänglich und blieb daher wissenschaft- „Leopoldo de’ Medici hat einen immen- Auskunft über die künstleri- lich weitgehend unbearbeitet. Über den sen Aufwand betrieben, um seine Samm- sche Selbstdarstellung und Aufbau, die Ordnung und die Praktiken lung von Selbstbildnissen zusammenzu- sind bei den alten Meistern oft die einzige der Sichtbarmachung der Bilder ist da- tragen“, erzählt Anna Maria Procajlo. Es Möglichkeit, den Künstler oder die Künst- her nur wenig bekannt. In einem von der handelt sich um die erste neuzeitliche Spe- lerin einmal zu sehen. Der Florentiner Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zialsammlung, die sich ausschließlich auf Kardinal Leopoldo de’ Medici (1617 – 1675) eine einzige Bildgattung konzentriert und begann schon 1650 eine Sammlung von somit mit den bis dahin typischen früh- Selbstbildnissen anzulegen, sein Neffe Co- Erste Spezialsammlung neuzeitlichen Universalsammlungen bricht. simo III. de’ Medici (1642 – 1723) erwei- Der Kardinal hatte rund sechzig Agenten, terte die Sammlung und setzte neue Schwer- meist Händler und Kunstliebhaber, die nicht punkte. Trotz ihrer Einzigartigkeit wurde geförderten Forschungsprojekt untersu- nur in Rom, Bologna und Venedig nach die Sammlung bisher nur in Ansätzen er- chen nun Prof. Dr. Valeska von Rosen und passenden Kunstwerken suchten, sondern forscht. Dies mag institutionelle Gründe ihre Mitarbeiterinnen Anna Maria Pro- auch in Flandern, der Schweiz und Eng- haben, denn die Selbstbildnisse wurden cajlo und Dr. des. Isabell Franconi die „Pro- land Kontakt zu den besten Künstler*in- 1970 zum Teil in den sogenannten Vasari- duktionsbedingungen, Rezeptionsweisen nen der Zeit hatten. Von diesem Aufwand Korridor verbracht, der Großteil wurde je- und Ordnungsmodelle von Künstlerselbst- zeugt ein großes Konvolut an Briefen, die 19
PHILOSOPHISCHE FAKULTÄT Adriaen van der Werff, Selbstbildnis, Gian Lorenzo Bernini, Selbstbildnis, 1697, Öl auf Leinwand, 89 x 73 cm, ca. 1610, Öl auf Leinwand, 62 x 46 cm, Andrea del Sarto, Selbstbildnis, 1528 – 1530, Fresko auf Ziegel, Florenz, Galleria degli Uffizi Florenz, Galleria degli Uffizi 51,5 x 37,5 cm, Florenz, Galleria degli Uffizi Wie dem großen Archivbestand Die Sammlung der Selbstbildnisse der Medici – in dem weit über konzentriert sich vorrangig auf das Möglicherweise wegen des außer vier Millionen Briefe existieren – Medium der Malerei. Sogar der gewöhnlichen Bildträgers hing zu entnehmen ist, schrieb Cosimo III. Bildhauer Gian Lorenzo Bernini dieses Gemälde ursprünglich nicht den Malern sowohl die Bildmaße malte ein Selbstporträt, das von dem in der Selbstbildnisssammlung, als auch eine bestimmte Kompo römischen „Agenten“ als einzigartig sondern in der sog. „Tribuna“, die sition vor. Der Fürst wünschte, und mit den Worten „bellissimo, den Besuchern frei zugänglich war. dass sich die Künstler bei der bellissimo“ beschrieben wurde. Arbeit darstellten, möglichst mit einem Bild im Bilde, aus dem ihre Spezialisierung hervorging. Procajlo nun untersucht. Rund 4 Millionen Künstler*innen zu bekommen.“ So ist das Briefe gibt es insgesamt noch, die die Samm- „Leopoldo älteste Selbstportrait der Sammlung das lung in den Uffizien betreffen, 150 hat von Raffael, der rund 100 Jahre vor Leopoldo die Kunsthistorikerin gelesen, teilweise tran- de’ Medici de’ Medici meist in Rom lebte. Rund 80 skribiert und katalogisiert. Bei jedem ein- Werke hat er auf diese Weise zusammenge- zelnen Brief eine Herausforderung. Doch hat immensen tragen. Das Interesse der Künstler*innen, so konnte Procajlo die Sammlungsprinzi- in dieser Sammlung vertreten zu sein, war pien Leopoldos kennenlernen: „Die Künst- Aufwand von Anfang an groß: So hat Gian Lorenzo ler*innen, die während dieser Zeit um einen Bernini, eigentlich Bildhauer und Archi- betrieben, tekt, eigens für die Sammlung ein gemaltes Selbstportrait angefertigt. Sich selbst im Akt des um seine Als Cosimo III. de’ Medici die Samm- lung übernahm, ändert er den Fokus. Zu- Malens malen Sammlung nächst erteilte er einen Auftrag, der allen heutigen Kunstinteressierten das blanke Beitrag zur Sammlung gebeten wurden, wa- zusammen Entsetzen in die Augen treibt: „Die Bilder ren im Prinzip völlig frei in ihrer Art der Dar- wurden beschnitten bzw. erweitert, um sie stellung“, erzählt Procajlo. „Sie waren ledig- zutragen.“ zu vereinheitlichen“, erzählt von Rosen. Zu- lich gebeten, sich selbst im Akt des Malens dem konnte er die Sammlung um über hun- zu malen.“ Aber bitte nur sich selbst: ein dert Werke auf 214 Portraits erweitern. Mit — Anna Maria Procajlo Bild von Paolo De Matteis (1662–1728) wur- der Zeit nach dem Tod Cosimos und der Kunsthistorikerin de abgelehnt, weil es den Künstler gemein- Schenkung der Sammlung an die Toskana sam mit seiner Tochter und zwei Enkeln zeig- durch Anna Maria Luisa de’ Medici (kinder- te. „Zudem betrieb Leopoldo einen großen lose Witwe Herzog Jan Wellems) im Jahr Aufwand, um nicht nur Werke von zeitge- 1737 beschäftigt sich Isabell Franconi. „Von nössischen, sondern auch von verstorbenen 1737 bis 1861 wurde Florenz – mit einem 20
MAGAZIN 1 — 2020 ABBILDUNG ÖSTERREICHISCHE NATIONALBIBLIOTHEK Stefano Gaetano Neri, La sala dei pittori nella Galleria di Firenze (hier: Scuola romana e fiorentina), Florenz, 2. Hälfte 18. Jh., Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Min. 51 Stiche, in denen die Sammlung reproduziert wurde, sind eine ergiebige Quelle, um den Bestand und die Disposition der Gemälde in ihrem ursprünglichen Kontext zu rekonstruieren. 21
PHILOSOPHISCHE FAKULTÄT Carlo Maratta, Selbstbildnis, Elisabeth Vigée LeBrun, Selbstbildnis, 1682, Öl auf Leinwand, 72,5 x 58,5 cm, 1790, Öl auf Leinwand, 100 x 81 cm, Florenz, Galleria degli Uffizi Angelica Kaufmann, Selbstbildnis, Florenz, Galleria degli Uffizi 1787, Öl auf Leinwand, 128 x 94 cm, Florenz, Galleria degli Uffizi Für sein Selbstbildnis entlohnte Dieses Selbstbildnis erfreute sich Cosimo III. den Maler mit einer Scha- im 19. Jahrhundert großer Beliebt- le aus Silber, aufgefüllt mit Ein kleinformatiges Selbstbildnis heit und wurde vielfach kopiert, 100 Scudi und Früchten, einer der Schweizer Malerin in bregen- wie Quellen belegen. kleinen Schachtel mit medizinischen zerischer Tracht gelangte bereits Ölen sowie einer feinen Goldmedaille. 1763 in die Sammlung. Da die Malerin es jedoch nicht mehr für angemessen hielt, fertigte sie über zwanzig Jahre später dieses und schenkte es den Uffizien. Zum Dank erhielt sie eine Goldmedaille mit dem Bildnis Großherzog Peter Leopolds. kurzen napoleonischen Intermezzo – von hinsichtlich der Zugänglichkeit zukam: Un- „Wir wollen den Habsburgern regiert, bevor es ab 1861 ter den Habsburgern stand die Sammlung dem Königreich Italien einverleibt wurde.“ grundsätzlich allen Bürgern offen. Das mit sowohl den Die neuen Besitzer der Sammlung führten 500.000 Euro von der DFG geförderte Pro- neue Regeln ein, weniger für die Sammlung jekt, das in Kooperation mit den Uffizien Aufbau der der Kunstwerke selbst als vielmehr für ihre öffentliche Ausstellung. Es entstand ein re- Sammlung als gelrechter Museumsbetrieb mit Museums- Aus dem Depot geholt direktoren, die gemeinsam mit den Habs- auch die Um- burgisch-Lothringischen Großherzögen das Publikum an die Sammlung heranführen und seinem Direktor Dr. Eike Schmidt sowie wandlung in wollten. „Bis 1840 war die Sammlung nur mit dem Zentralinstitut für Kunstgeschich- mit einer Führung zugänglich, ab 1840 bis te in München (Prof. Dr. Ulrich Pfisterer) eine staatliche 1970 waren alle Räume der Selbstbildnis- durchgeführt wird, organisierte bereits vom Sammlung öffentlich zugänglich“, erzählt sie. 10.–11. September 2018 für einen erlesenen Gemäldegalerie Rund 2000 Besucher*innen kamen pro Jahr, Kreis an internationalen Kunsthistoriker*- mit verschiedenen Arten von Publikationen innen einen Studientag in den Florentiner untersuchen.“ wurde die Sammlung weltweit bekannt Uffizien. Eigens für die Vorträge der Teil- gemacht. nehmer*innen aus Deutschland, Italien, Eng- „Mit unserem Forschungsprojekt wol- land und den USA wurden ausgewählte —P rof. Dr. Valeska von Rosen len wir sowohl den Aufbau der Sammlung Exemplare aus dem Depot geholt und zur Kunsthistorikerin durch Leopoldo und Cosimo III. als auch Nahansicht zur Verfügung gestellt. Als Re- die Umwandlung in eine staatliche Gemäl- aktion auf Valeska von Rosens Vortrag kün- degalerie untersuchen“, so Valeska von Ro- digte Eike Schmidt an, das Selbstbildnis sen. Tatsächlich sind die Uffizien das erste des Malers Leandro Bassano restaurieren europäische Museum, dem dieser Status zu lassen. 22
MAGAZIN 1 — 2020 Prof. Dr. Michael Stolleis ausgezeichnet Meyer-Struckmann-Preis 2019 M it dem Meyer-Struckmann-Preis, 2019 ausgeschrieben für geistes- und sozialwissenschaftliche Eu- ropaforschung, wurde am 27. November der Frankfurter Jurist und Rechtshistoriker Prof. em. Dr. Dr. h. c. mult. Michael Stolleis ausgezeichnet. Zur feierlichen Preisverlei- hung im Haus der Universität waren rund hundert geladene Gäste erschienen. Bernhard Schlink, Mitglied im Vorstand der Meyer-Struckmann-Stiftung, dankte der Fakultät für ihr Engagement und erklärte, FOTO MEDIENLABOR/ MANUEL BALZER Fritz Meyer-Struckmann wäre sicher über die Wahl des diesjährigen Preisträgers sehr glücklich gewesen: „Zu den selbstverständ- lichen Aufgaben des Juristen gehört das ge- sellschaftliche Engagement, wie wir auch an unserem Preisträger sehen können.“ Stolleis bedankte sich für die Auszeichnung und er- Dekan Prof. Dr. Achim Landwehr, Preisträger Prof. Dr. Michael Stolleis, Prorektor Prof. Dr. Stefan Marschall und klärte: „Europa war für unsere Generation Bernhard Schlink vom Vorstand der Meyer-Struckmann-Stiftung unverzichtbare Realität, Hoffnung und Auf- gabe“. Dass er mit diesem Preis für sein wis- senschaftlichen Karriere der rechtshistori- Toulouse, Padua und Helsinki. Zudem ist er senschaftliches Engagement für Europa aus- schen Forschung verschrieben – und das Mitglied zahlreicher europäischer wissen- gezeichnet werde, mache ihn stolz und froh. immer mit einer dezidiert europäischen schaftlicher Akademien, Träger des renom- Perspektive. Er hat sich in seiner Arbeit mit mierten Balzan-Preises sowie Träger des grundlegenden juristischen und rechtshis- Großen Bundesverdienstkreuzes und des Forscherpersönlichkeit torischen Problemen beschäftigt, die das Ordens Pour le mérite. V. M. Fundament der europäischen Kultur bil- von Format den – und zwar nicht nur in rechtlicher Hinsicht. Stolleis, 1941 in Ludwigshafen geboren, Mit seinen Büchern zu Fragen der Meyer-Struck- studierte nach dem Abitur Rechtswissen- Staatlichkeit, des öffentlichen Rechts, der schaft, Germanistik und Kulturgeschichte öffentlichen Ordnung, des Sozialrechts, der mann-Stiftung in Heidelberg und Würzburg. Nach Promo- Verfassung und der Verwaltung hat er Die Meyer-Struckmann-Stiftung för- dert Wissenschaft und Forschung, tion und Habilitation in München wurde er auch immer die Eigenheiten und Gemein- insbesondere im Bereich der Kultur- 1974 auf den Lehrstuhl für Öffentliches samkeiten des europäischen Kontinents in und Geisteswissenschaften und ver- Recht und Rechtsgeschichte an die Univer- den Blick genommen. Zeitlich reichen sei- leiht jährlich die mit 20.000 Euro dotierte Auszeichnung. Die Mittel sität Frankfurt berufen, von 1991 bis zu ne Forschungsinteressen vom 16. bis zum stammen aus dem Nachlass des seiner Emeritierung 2009 war er Direktor 20. Jahrhundert. Stifters, Fritz Meyer-Struckmann, des Max-Planck-Instituts für europäische Diese Forschung ist auch europaweit Bankier in Essen. Die Jury entschei- det in jedem Jahr neu über das For- Rechtsgeschichte. anerkannt worden. So war Stolleis nicht schungsfeld, aus dem der Preisträ- Mit Michael Stolleis wird in diesem Jahr nur von 1991 bis 2009 Direktor des Max- ger / die Preisträgerin zu bestimmen eine Forscherpersönlichkeit von europäi- Planck-Instituts für Europäische Rechtsge- ist. 2019 verleiht die Philosophische Fakultät der Heinrich-Heine-Univer- schem Format ausgezeichnet. Stolleis hat schichte in Frankfurt a. M., sondern erhielt sität Düsseldorf zum 14. Mal die sich als Jurist bereits sehr früh in seiner wis- auch Ehrendoktorate der Universitäten Lund, Auszeichnung. 23
24 JURISTISCHE FAKULTÄT COMPOSING PAUL SCHWADERER / HHU
MAGAZIN 1 — 2020 Achtung: Europäische Erbrechtsverordnung Tod auf Mallorca VON VICTORIA MEINSCHÄFER E s ist ein Klischee: Ein älteres wohlhabendes Ehe- deutschen verschieden. „Das ist historisch begründet, die paar möchte den Lebensabend in der Sonne ver- Rechtssysteme der meisten romanischen Länder bezie- bringen und zieht – natürlich – nach Mallorca. hen sich immer noch auf den Code civile von 1804 und Selbstverständlich reisen die beiden immer mal wieder stellen den genealogischen Aspekt stärker in den Vorder- heim, aber die Bindungen auf der Insel festigen sich. grund als die Rechte des überlebenden Ehegatten.“ Auch Man wird Teil der dortigen deutschen Community, die das hierzulande sehr übliche gemeinschaftliche Testa- Reisen nach Hause werden seltener. Freunde und Ver- ment von Ehepartnern, meist „Berliner Testament“ ge- wandte daheim sterben vielleicht, das Ehepaar wird älter, nannt, hat in vielen anderen EU-Ländern keine Geltung. ist nicht mehr so mobil, aus Gebrechlichkeitsgründen „Die dortigen Gesetze missbilligen die Bindungswirkung entfallen die vielen Heimreisen. Und weil wir im Klischee dieses Testamentes“, erklärt Looschelders. sind, stirbt er zuerst. Die trauende Witwe geht natürlich All das ist jedoch überhaupt kein Problem, wenn die davon aus zu erben, das hatten beide ja auch so abgespro- künftigen Erblasser*innen bei der Erstellung des Testa- chen. Doch sie hatten ihre Pläne ohne die Europäische ments einen wichtigen Punkt beachten: „Man kann allen Erbrechtsverordnung gemacht. nur raten, im Testament die Anwendung des deutschen Was diese besagt, was für unser Ehepaar zu beachten Erbrechts zu wählen“, erklärt Looschelders. Ist das ver- gewesen wäre und was alle anderen, die (noch) nicht merkt, dann gelten die deutschen Bestimmungen und auf Mallorca leben, beachten sollten, erklärt Prof. Dr. Dirk Gesetze, egal wo die Erblasser*innen den Lebensmittel- Looschelders, Lehrstuhlinhaber für Bürgerliches Recht, punkt hatten. Doch, so die Erfahrungen des Juristen, gibt Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung sowie es in weiten Teilen der Bevölkerung kein Problembe- wusstsein. Man kennt vielleicht das deutsche Erbrecht, aber kaum einer weiß um die Europäische Erbrechtsver- Der letzte gewöhnliche ordnung. Die noch eine weitere Neuerung gebracht hat: Das Europäische Nachlasszeugnis – der Erbschein – der Aufenthaltsort entscheidet beim zuständigen Nachlassgericht beantragt werden muss, wird nun EU-weit anerkannt. „Das erleichtert den Erb*- Privatversicherungsrecht. „Bis zur Einführung der Euro- innen das Leben. Hat der Erblasser sein Vermögen auch in päischen Erbrechtsverordnung richtete sich die Zustän- anderen europäischen Ländern, dann kann trotzdem mit digkeit nach der Staatsangehörigkeit. Nun aber ist der diesem einen Nachlasszeugnis alles geregelt werden.“ letzte gewöhnliche Aufenthaltsort entscheidend“, erklärt Looschelders. Das bedeutet, dass die Gerichte schauen, wo der oder die Erblasser*in den Lebensmittelpunkt, der auf eine gewisse Dauer angelegt war, hatte. Und damit „Das Erbrecht in sind die Gerichte an diesem Ort zuständig. Oft mit ver- wirrenden Folgen. „Das Erbrecht in Spanien und in den Spanien und in den meisten romanischen Ländern ist höchst kompliziert“, so Looschelders, „es gibt gerade in Spanien quasi für jede meisten romanischen Region eigene Sonderrechte, sogenannte Foralrechte“. Das geht so weit, dass das Erbrecht auf Mallorca ein an- Ländern ist höchst deres ist als auf Menorca, in Katalonien anders als in Galizien. „Die Familie ist im spanischen Erbrecht deut- kompliziert.“ lich stärker begünstigt als der überlebende Ehegatte, der lediglich Niesbrauchrecht hat.“ Auch die Regelungen — Prof. Dr. Dirk Looschelders zum Pflichtteil für die Kinder etc. sind deutlich von den Jurist 25
JURISTISCHE FAKULTÄT 25 Jahre Juristische Ausbildung an der HHU Jung und vernetzt VON CAROLIN GRAPE Am 13. November 1994 fand unter dem damaligen Gründungsdekan Prof. Dr. Janbernd Oebbecke die erste Fakultätsratssitzung mit fünf weiteren Hochschullehrer*innen der ersten Stunde statt. Der Studienbetrieb war aufgenommen, die Fakultät mit 100 immatrikulierten Studierenden gegründet. 25 Jahre später – auf den Tag genau – feierte die Juristische Fakultät ihr Jubiläum. D ekanin Prof. Dr. Nicola Preuss: “Es lohnt „Nur weil wir damals Rückendeckung aus der Wirtschaft sich, innezuhalten, zurückzuschauen und erhielten, konnten wir die Juristische Fakultät überhaupt sich dankbar bewusst zu machen, wo die ins Leben rufen – gegen den Widerstand der etablierten Fakultät nach einer enormen Aufbauleis- Juristischen Fakultäten im Land!“, erinnert sich Altrektor tung heute steht. Zudem wollen wir die Prof. Dr. Gert Kaiser, dessen Hartnäckigkeit die akademische Zukunft in den Blick nehmen und nach den künftigen He- Rechtsausbildung in Düsseldorf erst möglich machte. rausforderungen der Jurist*innenausbildung fragen. Des- Was 1994 als Reformstudiengang in Zusammenarbeit halb steht der heutige Festakt unter dem Motto: Jura an mit der Fernuniversität Hagen eingerichtet wurde, ist längst der HHU: Gestern – Heute – Morgen.“ eine selbstständige Fakultät mit 16 Professuren, acht Insti- tuten, 22 Honorarprofessuren und rund 60 Lehrbeauftrag- ten, die unter anderem aus dem Anwalts- und Richteramt Jura an der HHU: ihre praktische Erfahrung einbringen. 1996 wurde das Fakultätsgebäude „Juridicum“ auf dem Campus der HHU Gestern – Heute – Morgen eröffnet. Heute sind knapp 2.000 Studierende, darunter rund 350 Erstsemester, eingeschrieben. Die Juristische Fa- Ein exzellenter Wirtschafts- und Gerichtsstandort wie kultät der HHU ist nicht nur etabliert, sondern auch aufs Düsseldorf braucht – 1994 wie heute – juristisch hervor- Beste vernetzt. ragend ausgebildete Menschen mit starkem Praxisbezug. HHU-Rektorin Prof. Dr. Anja Steinbeck: „Am Anfang hat Auf dieses Potenzial bezogen, wurde überraschend spät – man klein und unter schwierigen Bedingungen begonnen. vor 25 Jahren – an der Heinrich-Heine-Universität Düssel- Aber die Juristische Fakultät hat es geschafft, aus einer ver- dorf die Juristische Fakultät gegründet. Ihre Jugend und meintlichen Schwäche eine Stärke zu machen. Sie hat früh Modernität ist heute einer ihrer Standortvorteile. Lehrbeauftragte aus der Praxis mit einbezogen und damit 26
MAGAZIN 1 — 2020 Prof. Dr. Juliane Kokott, Generalanwältin am Europä ischen Gerichtshof: „Die breite deutsche Jurist*innen- ausbildung setzt international Maßstäbe. Daran sollten wir nicht rütteln. Ich lese am liebsten die deutschen Plädoyers – sie sind strukturiert, man wird nicht durch lauter Details erschlagen.“ FOTOS RAPHAEL DÖRCK „Aber die Juristische das Studium praxisnah gemacht. Von dieser Verzahnung Fakultät hat es von Theorie und Praxis profitiert die gesamte Hochschule: geschafft, aus einer Bei den großen Forschungsfragen, die unsere Zukunft be- treffen, gibt es stets auch juristische Implikationen.“ vermeintlichen Schwäche eine Stärke Im CHE-Ranking ganz oben zu machen: Sie hat früh Lehrbeauftragte Ein vielfältiges Angebot, erstklassige Studienbedin- gungen und eine gute Betreuungsrelation sind – wie stets aus der Praxis hervorragende Ergebnisse im CHE-Ranking zeigen – die besonderen Stärken der Fakultät. Um diese noch auszubau- mit einbezogen.“ en, hat die Fakultät für Erstsemester aktuell das deutsch- landweit einzigartige „Professorenkolloquium“ eingeführt: — Rektorin Prof. Dr. Anja Steinbeck Studienanfänger*innen der Rechtswissenschaft werden in Juristin Kleingruppen betreut und an das Jurastu- dium sowie das wissenschaftliche Arbeiten herangeführt. Die Juristische Fakultät der Heinrich-Hei- ne-Universität hat acht Institute. Aufgabe dieser Zentren ist es, das jeweilige Rechts- gebiet in Forschung und Lehre zu vertreten und die Verbindung von Rechtswissenschaft und Praxis auf diesem Gebiet zu fördern. Prof. Dr. Rupprecht Podszun versteht es, juristische Inhalte bereits im Studium interessant und lebensnah zu machen. In seiner mit dem Lehrpreis 2019 ausge- zeichneten Vorlesung „Law 100 – Jura und die großen Fragen der Zeit“, einer Grundlagenveranstaltung für Erstsemester, verknüpft er gerichtliche Entscheidungen mit aktuellen, gesellschaftlichen Diskursen (wie bei- spielweise bei dem Konflikt um den Hambacher Forst). So können Jurastudierende bereits früh Anknüpfungs- punkte zwischen dem Jurastudium und ihren Interessen finden sowie erste Erfahrungen mit rechtlichen Texten und Argumentationsstrukturen machen. 27
JURISTISCHE FAKULTÄT Um gemeinsam den Geburtstag dieser jüngsten Rechtsfakultät des Landes zu feiern, kam am 13. Dezem- ber 2019 viel Prominenz aus der Justiz auf den Campus, unter anderem NRW-Justizminister Peter Biesenbach, Prof. Dr. Alexander Lorz (Kultusminister des Landes Hessen) sowie die Generalanwältin am Europäischen Gerichts- hof, Prof. Dr. Juliane Kokott. Beide auch als Wegge- fährt*innen – Kokott und Lorz gehörten lange der Fakul- NRW-Justizminister Peter Biesenbach: „Wir arbeiten zur Zeit an tät an. Sie stellten – moderiert von „F.A.Z. Einspruch“- einem neuen Juristenausbildungsgesetz. Mir ist es ein großes An- Redakteur und HHU-Alumnus Constantin von Lijnden – liegen, die bisherigen Examensanforderungen zu ändern. Heute reicht es für ein gutes Examen aus, wenn sie die Skripten der Repe- titoren auswendig können. Wir müssen dazu kommen, im Examen Methodik und methodisches Wissen und Können abzufragen.“ Herausforderungen der Dazu gehören das Insolvenz- und Sanierungsrecht, das Juristenausbildung Internationale und Europäische Parteienrecht und die Parteienforschung (zentrale Einrichtung der HHU), das mit Rektorin Prof. Dr. Anja Steinbeck, Prof. Dr. Rup- Kartellrecht, Rechtsfragen der Medizin, das Unterneh- precht Podszun (Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, deut- menssteuerrecht, das Unternehmensrecht, das Versiche- sches und europäisches Wettbewerbsrecht und Direktor rungsrecht, der Gewerbliche Rechtsschutz, das Informa- des Institutes für Kartellrecht) sowie Kathrin Leitges (Stu- tionsrecht sowie die jüngste Gründung, das Düsseldorfer dentin der Rechtswissenschaft) die deutsche Jurist*in- Institut für Energierecht (2018). In den letzten 25 Jahren nenausbildung auf den Prüfstand und fragten nach den wurden insgesamt elf Habilitations- und 583 Promotions- Herausforderungen, die auch die Digitalisierung an die verfahren erfolgreich abgeschlossen. Rechtswissenschaft stellt. Öffentliche Ringvorlesung Im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten bieten die Juristinnen und Juristen eine „Vortragsreihe in und für Düsseldorf“ an, in der allgemeinverständlich verschiedene juristische Themen und Forschungsfelder vorgestellt werden. Alle Vorträge finden jeweils um 19 Uhr im Haus der Universität statt: 22. April 2020 17. Juni 2020 9. September 2020 Roboter als Chef – Künstliche What’s in a name? Entwicklungen Wie gelingt die Energiewende? Intelligenz und das Unternehmens im deutschen Namensrecht Klimaschutz- und Energierecht recht Prof. Dr. Katharina Lugani Prof. Dr. Charlotte Kreuter- Prof. Dr. Ulrich Noack Kirchhof 26. August 2020 6. Mai 2020 Verkaufsoffene Sonntage – 22. September 2020 Juristen und der Sinn des Lebens Rechtliche Aspekte eines Tod auf Mallorca – Prof. Dr. Rupprecht Podszun umstrittenen Themas Erbfälle mit Auslandsberührung Prof. Dr. Johannes Dietlein Prof. Dr. Dirk Looschelders, 18. Mai 2020 Notar Dr. Jens Heinig Was heilt Kunst? Die späte Rück gabe von NS-Raubkunst als Mittel 9. November 2020 der Vergangenheitspolitik Absprachen im Strafverfahren Prof. Dr. Sophie Schönberger Prof. Dr. Karsten Altenhain 28
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