Sozial - KIBIS Nordfriesland

Die Seite wird erstellt Lana Marquardt
 
WEITER LESEN
Sozial - KIBIS Nordfriesland
sozial
        DIE MITGLIEDERZEITSCHRIFT DES
        PARITÄTISCHEN SCHLESWIG-HOLSTEIN #3/20

        Schulaufgaben, während die Bundeskanzlerin über Corona-Maßnahmen spricht: Aufwachsen mit der Pandemie.

Schwerpunkt „Wohnen“
Wohnen inklusiv Seite 6
Leiharbeit in der Pflege Seite 16
Junges Engagement Seite 28
Sozial - KIBIS Nordfriesland
Editorial

        Liebe Leser*innen,
        #stayhome – das ist das Gebot der Stunde. Die anhaltende Corona-Pandemie zwingt uns,
mehr Zeit in den eigenen vier Wänden zu verbringen; und was im Sommer noch gut aushaltbar
war, wird jetzt in den Wintermonaten umso schwieriger, wenn man nicht über ein Eigenheim mit
ausreichend Platz und einem Garten verfügt.
        Die soziale Schieflage hat spätestens jetzt auch den Immobilienmarkt erreicht: Die Zugänge
zu Wohnraum sind nicht gerecht verteilt, das gilt zum einen für die Zielgruppen der Wohlfahrt,
aber auch für Familien aus der Mittelschicht und Menschen aus den unteren Einkommensberei-
chen. Sie alle konkurrieren um bezahlbaren Wohnraum – und auch wenn man den Eindruck hat,
es werde allerorts gebaut, entstehen dort in der Regel keine bezahlbaren Wohnungen, sondern
Büros und hochpreisige Appartements.
        Dafür müssen wir gar nicht ins entfernte München, die Stadt mit den teuersten Mieten
in ganz Deutschland, blicken. In Schleswig-Holstein fehlen Zehntausende Wohnungen für
Menschen aus dem unteren Einkommensbereich. In den ländlichen Gebieten haben wir bis zu
98 Prozent Ein- und Zweifamilienhäuser, aber keine Mietwohnungen für Senior*innen, die bar-
rierearmen Wohnraum benötigen und in ihrem Wohnort bleiben möchten. In den Städten suchen
Familien, Singles und Student*innen nach bezahlbaren Wohnungen und verzweifeln fast daran.
Gleichzeitig schießen die Immobilienpreise – befeuert durch eben jenes #stayhome – in
die Höhe: Wer kann, wechselt von der Pandemie entnervt ins Eigenheim mit Garten und zahlt
dafür immer häufiger Preise, die jeglicher Grundlage entbehren.
        Finanzierbarer, sozial gerechter Wohnraum – auch das muss das Gebot der Stunde sein.
Es bedarf wohnungspolitischer Maßnahmen, die individuell sowohl Wohnsituationen in Nord-
friesland als auch Probleme in den Ballungsgebieten in den Blick nehmen. Schleswig-Holstein
benötigt nicht nur mehr Wohnraum, sondern vor allem zielgruppenübergreifend gedachten
Wohnraum; dieser muss zwingend die Faktoren Gesundheit, Inklusion, Mobilität, Digitalisierung
und den demografischen Wandel konsequent berücksichtigen und Quartiersentwicklung entspre-
chend umsetzen.
        Es ist die Kernkompetenz der Wohlfahrtsverbände und ihrer Mitgliedsorganisationen,
ressortübergreifend und interdisziplinär zu denken und zu handeln. Wir haben die Lebens-
situation der Menschen mit unterschiedlichen Bedarfslagen im Blick und sind erfahren in der
Sicherstellung von Partizipation und Beteiligungsprozessen. Deshalb bin ich froh, dass wir
innerhalb der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände nun das Thema Wohnen
aufgreifen, Impulse setzen und uns aktiv einmischen – gemeinsam für den sozialen Frieden.
        Ich wünsche uns allen einen guten Start ins neue Jahr und vor allem viel Kraft für die
kommenden Monate. Die Corona-Pandemie wird uns weiterhin fordern, als Gesellschaft und als
Akteur*innen in der Sozialen Arbeit. Bleiben Sie gesund!

                                                                                                     Michael Saitner
                                                                                                     Geschäftsführender Vorstand
                                                                                                     0431 56 02 – 10
                                                                                                     vorstand@paritaet-sh.org

                                                                                                                                   1
Sozial - KIBIS Nordfriesland
Inhaltsverzeichnis                                                                                                                                                                    Schwerpunkt: Wohnen

                                                                                                                                                                                               Foto: Klaus-Henning Hansen Email 16.9.

     1   Editorial

                                              Sozialpädagogin Cathrina Neubert und Bewohner Turan vor dem von der HEMPELS-Stiftung gekauften Haus, in dem einst wohnungslose Menschen leben.
     3   Schwerpunkt: Wohnen

    13   Gesellschaft
    14   Teilhabe
    16   Pflege
    18   Kinder & Jugendliche
    20   Migration & Flucht
    22   Frauen & LSBTIQ*

    23   Engagement
    24   Freiwilligendienste
    26   EUTB & KIBIS
    27   Zivilgesellschaftliches Engagement
    30   Förderung

    31   Soziale Arbeit
    32   Digitalisierung
    34   Qualität & Fortbildung

    35   Neuigkeiten aus dem Verband

2
Sozial - KIBIS Nordfriesland
Keine*n zurücklassen:                                                                                  Frauen_Wohnen
                                     Strategien einer sozialen Wohnraumversorgung in Schleswig-Holstein                                     Wege in eigenen Wohnraum für gewaltbetroffene Frauen

                                     In Schleswig-Holstein werden nach wie vor          wird eine neue Förderrichtlinie sein, die voraus-   Das Projekt, das Frauen und ihre Kinder aus        boten jenseits von Kooperationsverträgen und
                                     mehr Wohnungen gebraucht und auch gebaut.          sichtlich Anfang 2021 in Kraft tritt. Grundlegen-   Frauenhäusern oder Frauenberatungsstellen          tragen so zum Gelingen des Projektes bei. Be-
                                     Der Bedarf an bezahlbaren und sozial geförder-     der Gedanke ist, im Rahmen der sozialen Wohn-       unbürokratisch bei der Wohnungssuche unter-        legungsbindungen konnten außerdem bei ei-
                                     ten Wohnungen mit Mietobergrenzen, die zwi-        raumförderung des Landes den Wohnungsbau            stützt, blickt auf zweieinhalb produktive und      nem Neubau erworben werden, dort können
                                     schen 5,25 Euro und 6,10 Euro pro Quadratme-       im preisgünstigen Segment zu verstärken.            ergebnisreiche Jahre zurück.                       in Kürze die Wohnungen von Mieterinnen erst-
                                     ter Wohnfläche liegen, stellt sich regional sehr   Das Programm richtet sich an Kommunen und           Frauen_Wohnen besteht aus zwei wichtigen           malig bezogen werden. Frauen_Wohnen bindet
                                     unterschiedlich dar. Vorrangig geht es darum,      Investor*innen – insbesondere soziale oder          Bausteinen, die zusammenwirken: Begleitung         aktiv relevante Akteur*innen aus Politik, Woh-
                                     mit dem Wohnraumförderungsprogramm für             kirchliche Träger –, die Wohnraum für Men-          der Frauen und Kooperation mit der Woh-            nungswirtschaft, Frauenfacheinrichtungen und
                                     Mietwohnungsneubau und Bestandssanierung           schen mit geringem Einkommen und für beson-         nungswirtschaft. Die regionalen Servicestellen     Sozialwirtschaft mit ein: In den interdiszipli-
                                     alle Regionen, alle Wohnungsunternehmen und        dere Bedarfsgruppen schaffen wollen. Zielgrup-      akquirieren Wohnraum vor Ort, beraten die          nären Gremien „Inhaltliche Steuerung“ oder
                                     Investor*innen und vor allem alle Zielgruppen      pe sind Menschen, die ohne Unterkunft oder von      Teilnehmerinnen und stehen auch nach Ein-          dem Projektbeirat werden gemeinsam mit den
                                     zu erreichen und zu sozialräumlich ausgewo-        Wohnungslosigkeit bedroht sind. Die Richtlinie      zug als verlässliche Ansprechpartner*innen für     Projektbeteiligten Vorgehensweisen erläutert,
                                     genen Wohnquartieren beizutragen. Die Lan-         ist geeignet, ergänzende wohnbegleitende Hil-       Vermietende zur Verfügung. Das überregionale       neue Entwicklungen vorgestellt und wird der
                                     desstrategie zum bezahlbaren Wohnen setzt          fen im Sinne eines Housing-First-Konzeptes zu       Netzwerk und die Kooperationsformen mit der        aktuelle Stand der Zusammenarbeit vor Ort er-
                                     erfolgreich auf die die beiden tragenden Säulen    unterstützen, indem sie eine Refinanzierungs-       Wohnungswirtschaft haben sich dabei als ech-       örtert. Das Ministerium für Inneres, ländliche
                                     Wohngeld und Wohnraumförderung. Deshalb            möglichkeit des Trägers über Mietzuschläge          tes Erfolgsmodell etabliert. Aus dem Projekt he-   Räume, Integration und Gleichstellung fördert
                                     hat die Landesregierung in der aktuellen Förder-   zulässt. Zudem müssen die Wohnungen oder            raus konnten bislang 69 Belegungsbindungen         das Projekt während seiner fünfjährigen Lauf-
                                     periode 2019–2022 für ein gut ausgestattetes       Wohngruppenmodelle nicht alle Baustandards          für die Dauer von 10 Jahren erworben werden        zeit mit insgesamt 4,2 Millionen Euro – ein star-
                                     Programm gesorgt, mit mehr als 800 Millionen       der allgemeinen Wohnraumförderung erfüllen.         und sichern nachhaltig Wohnraum für die Ziel-      kes Signal für den Gewaltschutz und die Unter-
                                     Euro für Förderdarlehen und -zuschüsse. Zudem      Schlichtwohnungen sind dennoch ausdrücklich         gruppe.                                            stützung gewaltbetroffener Frauen und Kinder.
                                     stehen Mittel für die Umsetzung modellhafter       nicht gemeint.                                                                                         Auch die Sensibilisierung der Öffentlichkeit
                                     Konzepte zur Verfügung und es werden Woh-          Housing-First-Konzept bedeutet im Sinne dieser                                                         sowie der Wohnungswirtschaft für die Lebens-
                                     nungsmarktdaten bereitgestellt, um die Be-         Richtlinie, dass an erster Stelle des Hilfeansat-          Auch die Sensibilisierung                   lagen gewaltbetroffener Frauen sind gelebter
                                     darfs- und Versorgungslage besser einschätzen      zes die bedingungslose Wohnungsversorgung                  der Öffentlichkeit sowie der                Bestandteil von Frauen_Wohnen, denn Gewalt-
                                     zu können.                                         steht. Um die Wohnverhältnisse zu stabilisie-                                                          schutz ist ein gesamtgesellschaftliches und kei-
                                     Dennoch ist die Versorgung der am Wohnungs-        ren, wird die Mietverwaltung durch wohnbe-                 Wohnungswirtschaft für die                  neswegs ein individuelles Problem. Das Gesamt-
                                     markt Benachteiligten in einigen Regionen eine     gleitende Hilfen über einen geeigneten Träger              Lebenslagen gewaltbetroffener               ergebnis der Vermittlungen kann sich sehen
                                     besondere Herausforderung. Wo ein Anstieg der      flankiert. Ihre Inanspruchnahme ist freiwillig,            Frauen sind gelebter Bestand-               lassen: Seit Projektbeginn wurden 506 Frauen
                                     Wohnungslosenzahlen wahrnehmbar ist, ist zu-       sie werden aber für alle Bewohner*innen eines                                                          und Kinder (Stand 30.09.2020) erfolgreich in
                                     gleich auch ein Mangel an bezahlbarem Wohn-        Wohnobjektes obligatorisch in aktiver und auf-             teil von Frauen_Wohnen.                     Wohnraum vermittelt. Ein schöner Erfolg für
                                     raum, verbunden mit einer zunehmenden Stig-        suchender Form kontinuierlich vorgehalten.                                                             alle Beteiligte, die zum Gelingen beitragen: Wir
                                     matisierung, vorhanden. Diese Bedarfsgruppen       Der Träger muss eine Kostenzusage über min-                                                            bedanken uns herzlich bei all unseren Unter-
                                     haben insbesondere in den Städten oftmals          destens zwei Jahre zur Finanzierung der Wohn-       Dieses Vorgehen hat sich bewährt, denn nam-        stützer*innen und freuen uns auf die nächsten
                                     den Konkurrenzkampf auf dem regulären Woh-         begleitung nach dem Housing-First-Modell vor-       hafte Kooperationspartner aus der Wohnungs-        zweieinhalb Jahre Frauen_Wohnen! •
                                     nungsmarkt weitestgehend verloren. Es sind         weisen können, wenn dieser Hilfeansatz umge-        wirtschaft unterstützen uns engagiert dabei,
                                     also weitere Strategien zur besseren Versorgung    setzt werden soll. Die Förderung erfolgt als An-    Zugänge für gewaltbetroffene Frauen zum
                                     der am Wohnungsmarkt Benachteiligten nötig.        teilfinanzierung in Höhe von bis zu 90 Prozent      Wohnungsmarkt zu schaffen: Wankendorfer
                                     Durch die Wohnraumförderung begleitete Pro-        der zuwendungsfähigen Gesamtkosten. Sie setzt       Baugenossenschaft für Schleswig-Holstein,
Dr. Maik Krüger, Heidrun Buhse       jekte wie Frauen_Wohnen des PARITÄTISCHEN          sich aus einem zinsverbilligten Darlehen und ei-    NEUE LÜBECKER Norddeutsche Baugenossen-
Ministerium für Inneres, ländliche   SH machen deutlich, dass eine erfolgreiche Stra-   nem Zuschuss zusammen, wobei der Zuschuss           schaft eG, Grundstücks-Gesellschaft TRAVE
Räume, Integration und Gleich-       tegie darin bestehen kann, den direkten Kontakt    auf maximal 25 Prozent der zuwendungsfä-            mbH, Dr. Hans Kersig Nachf. GmbH & Co. Ver-
stellung des Landes Schleswig-       zu Vermieter*innen zu suchen, um langfristig       higen Gesamtkosten begrenzt ist. Wo neben           mietungs KG, Baugenossenschaft Sachsenwald
Holstein                             Zugang zu Wohnraum für die Bedarfsgruppen          normalen Mietbindungen wohnbegleitende              eG, KIV Kieler Immobilien & Handels GmbH &
Referat IV 50 Wohnraumförderung,     zu erzielen.                                       Hilfen im Rahmen eines Housing-First-Kon-           Co. KG , KIV Kieler Grundbesitz & GmbH Co. KG ,
Recht des Wohnungswesens,            Im Ministerium für Inneres, ländliche Räume,       zeptes vorgesehen sind, sind Zuschläge auf die      Wohnungsbau GmbH Neumünster, LÜBECKER
Wohngeld                             Integration und Gleichstellung (MILIG) wurde       Bewilligungsmiete bis zu einer maximalen An-        BAUVEREIN eG.                                                                                          Ivy Wollandt
0431 988 – 32 17                     dieser Bedarf noch einmal verstärkt aufgegrif-     fangskaltmiete von 8,00 Euro pro Quadratmeter       Weitere Unternehmen der Wohnungswirt-                                                                  0431 56 02 – 64
poststelle@im.landsh.de              fen und durch Studien untersucht. Ergebnis         Wohnfläche/Monat zulässig. •                        schaft unterstützen uns mit Wohnungsange-                                                              wollandt@paritaet-sh.org

4 | TITELTHEMA: WOHNEN                                                                                                                                                                                                                                                        5
Sozial - KIBIS Nordfriesland
Wohnen inklusiv
                                      Bezahlbarer Wohnraum für alle

                                      Im Oktober 2019 veranstaltete die LAG der freien      Menschen, die mit erheblichen Vermittlungs-          Welche Expertise bringen Wohlfahrtsverbände         gemeinsamen Prozess zu starten, der auch die
                                      Wohlfahrtsverbände erstmals den Fachtag „Wohnen       hemmnissen zu tun haben und für die sowohl           dafür mit?                                          Sorgen und Nöte der kommunalen Träger mit
                                      inklusiv“, der wichtige Impulse für ein verstärktes   der Zugang zu angemessenem Wohnraum                  KO | Der PARITÄTISCHE als der Verband mit der       aufnimmt und so ein Miteinander zum Wohle
                                      Engagement der Verbände im Bereich Wohnen             als auch der Verbleib in einer Wohnung nicht         heterogensten Mitgliedschaft versteht sich als      der betroffenen Menschen entstehen kann.
                                      setzte. SOZIAL sprach mit Bernd Hannemann, Vor-       selbstverständlich ist, verschlossen. Selbst die     strategischer, sozialpolitischer Wegbereiter für
                                      stand der Diakonie Stiftung SH, und Kerstin           oft beschriebene Durchmischung von Wohn-             das Thema Wohnen. Die Expertise, das Wissen
                                      Olschowsky, Mitglied der Geschäftsführung beim        quartieren wird ohne verlässliche und beglei-        um die Bedarfe der Nutzer*innen liegt bei un-              Wichtig ist, dass es bei
                                      PARITÄTISCHEN SH, über die Rolle der Wohlfahrts-      tende Strukturen wenig Raum schaffen für             seren Mitgliedsorganisationen als Erbringer So-            dieser gesamtgesellschaft-
                                      verbände bei der Schaffung von finanzierbarem und     Menschen in besonderen sozialen Lebenslagen.         zialer Arbeit. Wir denken Wohnen ganzheitlich
                                      sozial gerechtem Wohnraum.                            Der gesamte Wohnungsmarkt – und dazu zähle           inklusiv und vielfältig.                                   lichen Herausforderung
                                                                                            ich auch den genossenschaftlichen Bereich –          Beispiele hierfür sind Initiativen einzelner Mit-          nicht vorrangig um kurzlebige
                                      Wohnen bedeutet Sicherheit und ist der Mittel-        funktioniert über Angebot und Nachfrage. Das         gliedsorganisationen, aber auch das von uns                Leuchtturmprojekte geht.
                                      punkt der sozialen Existenz – doch die Zugänge        ist der Mechanismus des Marktes und gehört           als Landesverband derzeit umgesetzte, verbän-
                                      zu Wohnraum sind seit Langem nicht mehr ge-           zum Wesen der Marktwirtschaft. Das ist die Re-       deübergreifende Projekt Frauen_Wohnen: Die
                                      recht verteilt. Welchen Handlungsbedarf sehen         alität und das ist zu akzeptieren; es sollte aber    beiden Säulen des Projektes, die konkrete Bera-
                                      Sie als Vertreter*innen der beiden größten Wohl-      darüber hinaus in diesem Kontext auch akzep-         tung vor Ort sowie die Kooperationen mit der        Wie blicken Sie beim Thema Wohnen in die
                                      fahrtsverbände in Schleswig-Holstein?                 tiert werden, dass bezahlbarer Wohnraum für          Wohnungswirtschaft und der Erwerb von Bele-         Zukunft?
                                      BH | Menschen in besonderen sozialen Lebensla-        Menschen in besonderen sozialen Lebenslagen          gungsbindungen, können mit den gewonnenen           BH | Es gibt in diesem unverzichtbaren Hilfebe-
                                      gen finden in der Regel ohne Hilfe kaum geeig-        nicht durch den Markt zur Verfügung gestellt         Erkenntnissen als Blaupause für eine strukturel-    reich hoffnungsvolle Ansätze und Entwicklun-
                                      neten Wohnraum, der auch bezahlbar ist – der          wird und dass es hierfür besonderer Instrumen-       le Verankerung für möglichst alle Zielgruppen       gen, die uns durchaus zuversichtlich stimmen
                                      Wohnungsmarkt ist für diese Zielgruppe ver-           te und Maßnahmen bedarf.                             der Sozialen Arbeit genutzt werden.                 können. Insbesondere das Innenministerium
                                      schlossen. Es reicht nicht mehr aus, den Man-                                                                                                                  des Landes hat uns sehr ermutigt, diesen Pfad
                                      gel zu beklagen und nach Versäumnissen zu                                                                  BH | Viele unserer Mitgliedseinrichtungen be-       weiter aktiv zu verfolgen, und mit den erkenn-
                                      suchen. Wir sind aufgefordert, aktiv zu werden               Der klassische sogenannte                     schäftigen sich bereits in unterschiedlicher        bar verbesserten Fördermöglichkeiten scheint
                                      und die Möglichkeiten und Kompetenzen der                    soziale Wohnungsbau ist ohne                  Weise mit dem Thema Wohnen. Ein gutes Bei-          auch eine Realisierung möglich zu sein.
                                      Wohlfahrtspflege zu nutzen. Dabei ist vollkom-                                                             spiel für eine gelungene Zusammenarbeit mit         Denn eine wichtige Frage bei der Entwicklung
                                      men klar, dass wir nicht alle Probleme in diesem             begleitende Hilfen für viele                  der Immobilienwirtschaft ist unter anderem          von bezahlbarem Wohnraum ist die Übernah-
                                      Bereich lösen können, aber wir können Impul-                 Menschen mit Vermittlungs-                    das Wohnprojekt Eulenspiegel in Schleswig:          me der Verantwortung für Investitionen. In der
                                      se setzen, mit konkreten Beispielen zeigen, was              hemmnissen verschlossen.                      Der größte Teil der Mieter*innen dort wird          Regel sind die Träger der freien Wohlfahrtspfle-
                                      möglich sein kann. Zusammenarbeit befördern                                                                durch Ambulant Betreutes Wohnen der Schles-         ge an diesem Punkt sehr zurückhaltend und
                                      und Mut machen, neue Wege auszuprobieren.                                                                  wiger Werkstätten pädagogisch unterstützt;          überlassen vielfach dem freien Immobilien-
                                                                                                                                                 das Bauunternehmen hat die gesamte Investi-         markt diese Rolle. Wir sollten uns mehr zutrau-
                                      KO | Die Themen Wohnen und bezahlbarer                Wie sollten diese Maßnahmen Ihrer Meinung nach       tion übernommen und dann langfristig an uns         en und selbst die Investorenrolle ernsthaft prü-
                                      Wohnraum sind in jedem Arbeitsbereich und             aussehen?                                            vermietet.                                          fen. Es erscheint mir nicht unmöglich, dass wir
                                      für alle Adressat*innen der Sozialen Arbeit rele-     KO | Eine lösungsorientierte Vorgehensweise,         Ein sehr ermutigendes Signal ist für mich auch      auch in dieser Weise mehr zur Realisierung von
                                      vant. Längst sind davon nicht mehr ausschließ-        die alle bisherigen Ansätze unter einem ge-          das gemeinsame Vorgehen der LAG zum The-            geeigneten Wohnprojekten beitragen können.
                                      lich Menschen mit besonderen Zugangsschwie-           meinsamen Dach bündelt – verbunden mit der           ma „Wohnen inklusiv“. Im Rahmen der viel            KO | Wichtig ist, dass es bei dieser gesamtgesell-
                                      rigkeiten zum Wohnungsmarkt betroffen – die           Beteiligung der Wohlfahrtsverbände und ihrer         beachteten Fachtagung erfolgte eine erste Po-       schaftlichen Herausforderung nicht vorrangig
                                      oft verzweifelte Suche nach bezahlbarem               Einrichtungen – ist hier aus unserer Sicht der       sitionsbestimmung und auch der Start für den        um kurzlebige innovative Leuchtturmprojekte
                                      Wohnraum ist in der Mitte der Gesellschaft an-        richtige Weg. Mit der verbändeübergreifenden         ernsthaften Versuch, konkrete Wohnprojekte an       geht – diese können lediglich der Erprobung
Bernd Hannemann                       gekommen und wird nicht selten existenzbe-            LAG Wohnen wurden bereits punktuell Akzente          geeigneten Standorten in Schleswig-Holstein         von geeigneten Lösungsstrategien dienen. Es
Vorstand der Diakonie Stiftung SH |   drohend. Damit ist Wohnen ein Kernthema der           gesetzt. Künftig soll die soziale Perspektive noch   zu realisieren. Dabei ist die Zusammenarbeit al-    geht um geeignete, langfristige und nachhaltige
Teamleitung Diakonische Entwick-      Daseinsvorsorge unserer Zeit.                         stärker bei der Erarbeitung landesweit trag-         ler Partner notwendig: Dazu gehören zwingend        sowie strukturell verankerte Handlungsansätze
lung, Förderung und Ökumene                                                                 fähiger Lösungsstrategien mit erfolgverspre-         die kommunalen Träger vor Ort, das Innenmi-         im Interesse aller. Dafür setzen wir uns enga-
Kanalufer 48, 24768 Rendsburg         Empfinden Sie das, was momentan als sozialer          chenden Rahmenbedingungen, ganzheitlich              nisterium des Landes Schleswig-Holstein, das        giert und mit Nachdruck ein. •
04331 593 410                         Wohnungsbau definiert wird, als ausreichend?          inklusiven Bauvorhaben oder der Quartiersent-        Sozialministerium und die Träger der Wohl-                                                               Kerstin Olschowskay
hannemann@diakonie-sh.de              BH | Der klassische sogenannte soziale Woh-           wicklung eingebracht werden.                         fahrtspflege. Um nachhaltige Rahmenbedin-                                                                0431 56 02 – 50
www.diakonie-sh.de                    nungsbau ist ohne begleitende Hilfen für viele                                                             gungen zu schaffen, ist es unerlässlich, einen                                                           olschowsky@paritaet-sh.org

6 | TITELTHEMA: WOHNEN                                                                                                                                                                                                                                                                 7
Sozial - KIBIS Nordfriesland
Das Sechsbuchstabenproblem                                                                              Es geht nicht mehr –
                            Welchen Schwierigkeiten HEMPELS-Verkäufer*innen                                                         es geht mehr!
                            auf dem Wohnungsmarkt begegnen
                                                                                                                                    Wohnen im Frauenhaus

                            Beginnen wir diese Geschichte mit einer Binse:       einmal eine Wohnung verloren hat, weil er oder     Wir lieben sie: unsere schöne kleine Altbauvilla,   springen sie auf und bekräftigen uns, verste-
                            Wohnen ist Menschenrecht; jeder Mensch sollte        sie die Miete nicht mehr bezahlen konnte oder      gut gelegen und von netten Nachbar*innen um-        hen, überlegen, handeln. Es wird telefoniert, ge-
                            ein Dach über dem Kopf haben, das Privatsphä-        einen Handyvertrag nicht bedienen konnte, hat      geben mit einem hübschen Garten, der sowohl         mailt, gesucht und angefragt. Denn, wie soll es
                            re sichert. Nun ein Blick auf die Realität: Etwa     kaum Aussicht, auf dem freien Wohnungsmarkt        kleine Bobbycartouren, berauschendes Schau-         aussehen, das neue Frauenhaus? Der Schwung
                            10.000 Frauen und Männer in Schleswig-Hol-           je wieder eine neue Unterkunft zu finden. Und      keln als auch Kicken auf einem Fleckchen grüne      der entstand, plötzlich gestoppt: Corona, Lock-
                            stein haben nach Schätzungen des Diako-              wer mit Suchterkrankungen oder psychischen         Wiese zulässt.                                      down … Wie geht es jetzt weiter?
                            nischen Werks keine eigene Wohnung oder              Krankheiten zu kämpfen hat oder Sozialleistun-                                                         Ein Unterstützungsangebot angedacht und an-
                            sind akut von Wohnungslosigkeit bedroht, sie         gen bezieht, bleibt sowieso außen vor. Solange                                                         gefragt, beim PARITÄTISCHEN SH oder besser
                            schlafen meist bei Freund*innen, Bekannten, in       Vermieter*innen am Markt auswählen können,                In einer Lebenssituation, in                 bei der Paritätischen Ivy Wollandt, uns bekannt
                            Schrebergartenlauben oder öffentlichen Notun-        entscheiden sie sich gegen aktuell oder ehemals           der Frauen sich auf den Weg                  aus der landesweiten politischen Arbeit und im
                            terkünften.                                          Wohnungs- oder Obdachlose, gegen Suchtkran-                                                            Wohlfahrtsverband tätig, dem wir uns ange-
                            Und nun zu HEMPELS und den Verkäufer*innen           ke, gegen langjährige Arbeitslose.                        gemacht haben, um ein selbst-                schlossen haben. Sie sagt uns zu, mit uns einen
                            unserer Obdachlosenzeitung. Wobei – schon            Überall gilt: Es fehlt bezahlbarer Wohnraum.              bestimmtes und gewaltfreies                  Zukunftsworkshop „Neues Frauenhaus“ zu ma-
                            ist uns hier ein grober Fehler unterlaufen. Ob-      Vor drei Jahren hat unsere HEMPELS -Stiftung,             Leben zu leben, müssen sie                   chen. Coronakonform.
                            dachlosenzeitung? Eine solche Schubladenbe-          mit großer finanzieller Unterstützung vieler Le-                                                       Wir sind zu sechst (eine im Off, da eine Gefähr-
                            zeichnung für eine ausschließlich auf der Stra-      ser*innen, in Kiel ein erstes Wohnhaus gekauft,           sich erneut arrangieren, sich                dung durch Ansteckung sehr gefährlich wäre).
                            ße verkaufte Zeitung – für ein Straßenmagazin        in dem ehemals wohnungslose Menschen le-                  zurücknehmen, sich zusam-                    Wir arbeiten zum IST und zum WIRD . Schauen
                            also – mag vor einem Vierteljahrhundert bei          ben. Das damit verbundene Signal an die Poli-             menreißen.                                   nach Talenten, welche könnte wo was tun und
                            der Gründung von HEMPELS als Klassifizierung         tik: Es geht, wenn man will. Und was HEMPELS                                                           zu welcher Zeit? Gibt es Fürsprecher*innen für
                            einer bis dahin unbekannten Mediengattung            in vergleichsweise kleinen Schritten schafft                                                           uns? Und wie lange kann es dauern, bis es da-
                            noch erklärbar gewesen sein. In weiten Teilen        – weitere Wohnungen auch in anderen schles-                                                            steht, unser neues Frauenhaus?
                            falsch war sie aber schon damals, so wie sie es      wig-holsteinischen Städten sollen folgen –, das    Das macht es schwer, die Entscheidung zu tref-      Das Wichtigste für uns alle ist die Frage: Wie
                            auch heute ist.                                      sollte der öffentlichen Hand doch erst recht       fen, dass es nicht mehr geht. Im Winter sind die    sollte unser neues Haus ausgestattet sein? Be-
                            Unsere Verkäufer*innen leben aus unterschied-        möglich sein.                                      Zimmer sehr, sehr kalt und im Sommer sehr,          hindertengerecht, ein energie- und umwelt-
                            lichen Gründen prekär, doch die wenigsten von        Noch etwas ist wichtig: Von Wohnungslosigkeit      sehr heiß. Wir haben nur fünf Schlafräume für       freundliches Gebäude, helle großzügige Räume,
                            ihnen leben obdachlos auf der Straße. Manche,        betroffenen Menschen muss rechtzeitig gehol-       15 Personen, das heißt, Menschen, die einander      ein besserer Schallschutz, flexible Betten, die
                            die das in früheren Jahren mussten, konnten          fen werden, nämlich bevor Vermieter*innen          nicht kennen, müssen sich ein Zimmer teilen. In     breit genug sind, schöne stabile Möbel, umwelt-
                            ihre Situation selbst oder mit Unterstützung         Wohnraum kündigen und das Kind endgültig           einer Lebenssituation, in der Frauen sich auf den   freundliche Materialien und Einrichtungen, ein
                            von Hilfeeinrichtungen verändern, anderen ha-        in den Brunnen gefallen ist. Untersuchungen        Weg gemacht haben, um ein selbstbestimmtes          separates WC für die Mitarbeiterinnen usw.
                            ben wir über all die Jahre geholfen. Das ist gut     zeigen, dass 80 Prozent der Betroffenen ihre je-   und gewaltfreies Leben zu leben, müssen sie         Es geht mehr.
                            so, aber ist deshalb auch alles gut?                 weilige Wohnung deshalb verloren haben, weil       sich erneut arrangieren, sich zurücknehmen,
                            Die typische Wohnung von HEMPELS -Verkäu-            sie die Miete nicht mehr bezahlen konnten. Nur     sich zusammenreißen und körperlich so fit sein,
                            fer*innen mag so aussehen, und das gilt in Kiel      wer eine Wohnung hat oder wieder eine findet,      dass sie die Treppe häufig rauf- und runterlau-            Wir müssen etwas ändern. Und:
                            nicht anders als in Lübeck oder Flensburg: ein,      kann auch andere Alltagsprobleme lösen, sich       fen können.                                                Wir brauchen Unterstützung.
                            vielleicht auch zwei kleine Zimmer in Wohn-          beispielsweise auf die Suche nach Arbeit bege-     Es geht nicht mehr.
                            vierteln, die nicht zu den Vorzeigestadtteilen ge-   ben. Eine einfache Binse ist das. Womit wir wie-   Der angestrengte Wohnungsmarkt verlängert
                            hören. Bei Bezieher*innen von Transferleistun-       der am Anfang dieser Geschichte wären. Denn        den Aufenthalt unnötig. Innerhalb einer Zeit, in
                            gen achten schon allein die Ämter darauf, dass       wo Dinge nicht ineinandergreifen, sieht Realität   der die Unterstützung, das Zusammensein, die        Es ist wichtig, Frauen und ihren Kindern einen
                            es sich um einfache Wohnungen mit niedrigem          ganz anders aus. •                                 Stärkung des Selbst, ein Beginn der Heilung der     Raum zu geben, der dazu beiträgt, Wunden
                            Standard handelt.                                                                                       seelischen und körperlichen Verletzungen, gut       heilen zu lassen. Und es gibt sie, die Unterstüt-
                            Wer versucht, auf eigene Faust eine Wohnung                                                             tun, wird der Zeitrahmen zu anstrengend, um         zer*innen in Politik, Gesellschaft und die Men-
                            zu finden ist oft mit dem Sechsbuchstabenpro-                                                           ihn über ein halbes oder auch ein ganzes Jahr in    schen von nebenan, die dafür tätig werden.          Silke Lechterbeck
Peter Brandhorst            blem konfrontiert: Schufa. 10 Prozent der Men-                                                          diesen engen Räumlichkeiten zu ertragen.            Denn: Es geht mehr. •                               Frauenhaus Pinneberg e.V.
HEMPELS e.V.                schen in Deutschland haben einen negativen           HEMPELS-Stiftung                                   Es geht nicht mehr.                                                                                     Postfach 1406
Schaßstraße 4, 24103 Kiel   Schufa-Eintrag; das sind bei Weitem nicht nur        Konto: Diakonie Stiftung Schleswig-Holstein        Wir müssen etwas ändern. Und: Wir brauchen                                                              25404 Pinneberg
0431 67 44 94               Verkäufer*innen von Straßenzeitungen, be-            Stichwort: HEMPELS hilft wohnen                    Unterstützung. Unsere Vereinsfrauen: Frauen,                                                            04101 – 20 49 67
verwaltung@hempels-sh.de    troffen sind inzwischen auch viele Angehörige        IBAN: DE03 5206 0410 0806 4140 10                  die ebenfalls berufstätig sind, die Kinder ha-                                                          info@frauenhaus-pinneberg.de
www.hempels-sh.de           aus der sogenannten Mittelschicht. Heißt: Wer        BIC: GENODEF1EK1                                   ben und volle Terminkalender. Aber trotzdem                                                             www.frauenhaus-pinneberg.de

8 | TITELTHEMA: WOHNEN                                                                                                                                                                                                                                                     9
Sozial - KIBIS Nordfriesland
„Wir fordern ein Recht auf                                                                               Wohnen im Stadtteil
                           mobiles Arbeiten!“                                                                                      Ein tragender Teil der (Erwerbs-)Biografie
                            Interview mit Ulrich Bähr, Geschäftsführender Vorstand der CoWorkLand eG

                          Bei Co-Working-Spaces denkt man an hippe Vier-        haben wir Spaces wie den Alten Heuboden in         Mehrmals wöchentlich ist Anja Junk* bei uns in       auf beruflicher und privater Ebene Zugänge
                          tel in Berlin – wie sind Sie auf die Idee gekommen,   Felde, der eine Sonnensegelmacherei beheima-       der Beratungsstelle. Sie ist bereits mit 15 Jahren   bahnen und Schritte begleiten, erleichtern und
                          Co-Working auf dem Land anzubieten?                   tet. Oder den Co-Working-Space in Hitzacker, in    aus dem Elternhaus ausgezogen, hat ohne fes-         aufrechterhalten. Es zeichnet sich durch einen
                          Unserer Ansicht nach sind die Spaces gerade auf       dem eine Theatergruppe regelmäßig ihre Auf-        ten Wohnsitz ihr Abitur absolviert und während       gemeinwesen- und lebenslagenorientierten
                          dem Land besonders sinnvoll. Die meisten Jobs         tritte plant, ein Gärtner die Räumlichkeiten für   ihres Studiums phasenweise auf dem Campus            Ansatz aus, der die Erkundung und Entwicklung
                          werden nach wie vor in den Städten angeboten,         seine Anbauplanung nutzt oder ein Pilzzüchter      übernachtet. Heute erhält sie aufstockende           von Kompetenzen der Teilnehmenden mit in-
                          was zu verlassenen Dörfern und Kleinstädten           einen Raum vollständig für die Zucht umbaut.       Leistungen und lebt in einer Wohnung, die von        tensiver Netzwerkarbeit im Sozialraum verbin-
                          oder alternativ zu langen Pendelzeiten in die         Auch ein Zimmermann ist mit von der Partie.        Schimmel und Ungeziefer dominiert wird. Anja         det: Empowerment! Ausgangspunkt ist dabei
                          Stadt führt. Nicht jeder Mensch wird in den           Viele Menschen benötigen immer mal Zugang          Junk möchte sich beruflich (neu) aufstellen, ihre    die Wahrnehmung und Anerkennung der Res-
                          nächsten zehn Jahren mobil arbeiten können,           zu einem stabilen Internet oder zusätzliche Räu-   persönlichen Talente nutzen und eine Perspekti-      sourcen, Fähigkeiten und Leistungen jedes und
                          manche Berufe erfordern eine räumliche Anwe-          me mit der passenden Ausstattung. Das können       ve entwickeln, um damit sowohl im Stadtteil als      jeder Einzelnen.
                          senheit. Viele Branchen entdecken allerdings,         Co-Working-Spaces super abdecken.                  auch beruflich ein Zuhause finden. Eines, wel-       Im Beratungsprozess stellt sich Frau Junk im-
                          gerade durch die aktuelle Krisensituation, dass       Selbst wenn ich nicht dort arbeite, kann ich zum   ches ihr Sicherheit gibt – finanziell und sozial.    mer wieder die Fragen: Warum sehe ich derzeit
                          sich eben doch mehr örtlich unabhängig abbil-         Beispiel Konzerte besuchen, Weiterbildungen                                                             keine berufliche Perspektive? Beeinflusst meine
                          den lässt, als vermutet.                              machen, Werkstätten nutzen, bei der integrier-                                                          gefühlte Wohnungslosigkeit die Arbeitslosig-
                                                                                ten Bäckerei meine Brötchen holen oder in der             Wohnen und Arbeiten beein-                    keit? Bekomme ich Absagen, nur weil ich hier
                                                                                Postannahmestelle meine Pakete loswerden.                 flussen sich gegenseitig und                  wohne? Diese inneren Fragen zeigen die enge
                                 Die Spaces werden zu                           Dadurch geht es beim Co-Working nicht um                                                                Verbindung zwischen Wohnen, Arbeiten und
                                                                                Lohnarbeit in geteilten Großraumbüros – es um             manifestieren den eigenen                     Leben. Mit dem Wohnen und Arbeiten werden
                                 modernen Gemeindehäusern,
                                                                                die Gemeinschaft, die sich in den Spaces ent-             sozialen Status, welcher nicht                Bedürfnisse wie Sicherheit, Geborgenheit, Kom-
                                 in denen Menschen mit                          wickelt. Sie werden zu modernen Gemeinde-                                                               munikation und Selbstverwirklichung assozi-
                                                                                                                                          selten einen negativen Einfluss
                                 verschiedenen Interessen                       häusern, in denen Menschen unterschiedlichen                                                            iert. Wohnen und Arbeiten beeinflussen sich
                                                                                Alters und mit verschiedenen Interessen aufei-            auf die Erwerbsbiografie hat.                 gegenseitig und manifestieren den eigenen so-
                                 aufeinandertreffen.
                                                                                nandertreffen.                                                                                          zialen Status, welcher nicht selten einen negati-
                                                                                                                                                                                        ven Einfluss auf die Erwerbsbiografie hat.
                          Wie stellen Sie die Bedarfe nach Co-Working-          Was glauben Sie, wie sich das Thema Arbeitsplatz   Im März 2020 hat das Frauennetzwerk zur Ar-          Die belastende Wohnsituation hemmt die be-
                          Spaces fest?                                          in der nahen Zukunft entwickelt?                   beitssituation e.V. die Stadtteilberatung Die        rufliche Orientierung und Stabilisierung von
                          Um genau herauszufinden, welches Konzept              Der Arbeitsort von morgen entwickelt sich          Salzspeicher – kurz: STABS – für Frauen und          Frau Junk. Der Beratungsprozess ist daher weit-
                          wo gut funktionieren würde, unterstützen wir          weg von festen Büros. Stattdessen bevorzugen       ihre Familien in den Lübecker Stadtteilen Mois-      aus vielfältiger als ein Bewerbungstraining oder
                          Gründer*innen während des gesamten Prozes-            immer mehr Selbstständige und Angestellte          ling, Buntekuh und St. Lorenz Nord eröffnet.         eine Arbeitsmarktrecherche. Es geht darum, das
                          ses und auch im Betrieb. Dafür nutzen wir unter       mobile Lösungen. Durch dezentrales Arbeiten        Das Projektgebiet bildet den südlichen Rand          soziale und geografische Umfeld als Teil der (Er-
                          anderem Pop-Up-Co-Working-Spaces als eine             entzerren sich auch zu große Menschenan-           Lübecks nicht nur geografisch, sondern auch          werbs-)Biografie anzunehmen und die eigenen
                          Art Testlauf. Dabei handelt es sich um mobile         sammlungen an einzelnen Unternehmenssit-           gesellschaftlich ab. Der alte Stadtkern mit Bil-     Chancen zu entfalten. Wir laden zu einem Pers-
                          Container, die sich per Tieflader überall abstel-     zen, was den aktuellen Entwicklungen durch-        dungs- und Kulturangeboten sowie auch um-            pektivwechsel ein, welcher bereits in der erwei-
                          len lassen. Durch Befragungen der Nutzer*in-          aus zugutekommen dürfte.                           fangreichere Arbeitsmöglichkeiten sind nur           terten Wahrnehmung sowie im Wording und
                          nen und Standortanalysen finden wir heraus,           Deswegen haben wir aktuell ein Positionspa-        kosten- und zeitintensiv erreichbar. Die Bera-       folglich im Bewerbungsprozess sichtbar wird.
                          was in der Region vorhanden sein sollte, damit        pier veröffentlicht, mit dem wir die Forderun-     tungsstelle im Stadtteil möchte ein Teil der neuen
                          das Konzept nachhaltig funktionieren kann. Wir        gen von Arbeitsminister Heil nach einem Recht      Nachbarschaft von Frau Junk und den ansässi-         Das Projekt STABS wird im Rahmen von „Akti(F)
                          sind der Ansicht, dass man nicht ein pauschales       auf Homeoffice auf die nächste Ebene heben:        gen Familien werden.                                 für Familien und ihre Kinder“ durch das Bun-
                          Rezept über alle ländlichen Regionen Deutsch-         Wir fordern stattdessen ein Recht auf mobiles      Mit dem Grundgedanken der Partizipation wer-         desarbeitsministerium und den ESF gefördert. •
                          lands stülpen kann.                                   Arbeiten. Ergänzend wünschen wir uns eine          den wir als Nachbarin einen stärkenden Einfluss                                                                     Sarah Teut
Ulrich Bähr                                                                     „Dableib-Pauschale“. Momentan wird mit der         auf die Bewältigungsmöglichkeit von schwieri-                                                                       Frauennetzwerk zur
CoWorkLand eG             Wer nutzt momentan Co-Working im ländlichen           Pendlerpauschale ein umweltschädliches Ver-        gen Lebenslagen und die ökonomischen, kultu-                                                                        Arbeitssituation e.V.
Heiligendammer Str. 15    Raum?                                                 halten gefördert, das den Klimazielen der Bun-     rellen und sozialen Teilhabechancen am gesell-                                                                      Dr.-Julius-Leber-Straße 3–7
24106 Kiel                Co-Working ist für mehr Berufsgruppen inte-           desregierung widerspricht. Daher wünschen          schaftlichen Leben haben. Als Beratungsstelle                                                                       23552 Lübeck
0431 90 66 132            ressant, als viele Menschen denken. Das Modell        wir uns, dass es einen zusätzlichen Anreiz für     sind wir eine erreichbare, vertraute und verläss-                                                                   0451 70 79 79 3
ulrich@coworkland.de      richtet sich längst nicht nur an Digitalarbei-        das Arbeiten von zu Hause oder eben einem          liche Nachbarin im Lebensumfeld. Das für die         * Name ist von der Redaktion geändert und stellt einen exem-   luebeck@frauennetzwerk-sh.de
www.coworkland.de         ter*innen. In der CoWorkLand-Genossenschaft           nahe gelegenen Co-Working-Space gibt. •            Teilnehmenden kostenfreie Projekt STABS kann           plarischen Beratungsprozess vor.                             www.frauennetzwerk-sh.de

10 | TITELTHEMA: WOHNEN                                                                                                                                                                                                                                                               11
Buchempfehlungen                                                                                                                                                                                                                                                           Gesellschaft
Zum Titelthema „Wohnen“

                                                                                                                                    Die Londoner Künstlerin und Designerin Morag Myerscough möchte mit ihren bunten Installationen für Zuversicht und Optimismus sorgen.
                              Zusammenhalt braucht Räume                                          Bergstraße 68 –
                              Christine Hannemann, Karin                                          ein Baum zieht um
                              Hauser (Hg.), Jovis, 20,00 €                                        Tina Brenneisen, Veronica
                                                                                                  Solomon, Schaltzeit Verlag,
                             Wohnkonzepte müssen gesell-                                          ab 8 Jahren, 13,00 €
                             schaftliche Integration, Teil-
                             habe und Zusammenhalt för-                                            Ein Phänomen, das viele Groß-
                             dern. Eine besondere Chance                                           städte trifft: Der Wohnraum
                             eröffnen Projekte, die interkul-                                      wird knapper, die Mieten stei-
turelles und gemeinschaftliches Zusammenwohnen von ver-             gen. Mieter*innen werden mit der Ankündigung einer Mo-
schiedenen sozialen Gruppen und Personen unterschied-               dernisierung aus ihren Wohnungen verdrängt. Tilda und
licher geografischer Herkunft ermöglichen: integrative              ihrer Familie geht es ähnlich. Eines Tages kommt ein neuer
Wohnprojekte. Die Autor*innen haben einige in Fallstudien           Hausbesitzer, der Tildas Zuhause gern für andere Zwecke nut-
untersucht. Der Band fokussiert das Zusammenwohnen von              zen und am liebsten alle rausekeln möchte. Aber Tilda wehrt
Ortsansässigen und Neuzugewanderten.                                sich, mit ihrer Fantasie und einer wunderbaren Geschichte.

                              Bezahlbar. Gut. Wohnen.                                             Wie sieht es aus in unserm
                              Klaus Dömer, Hans Drexler, Joachim                                  Haus?
                              Schultz-Granberg, Jovis, 25,00 €                                    Einat Tsarfati, Annette Betz,
                                                                                                  ab 4 Jahren, 14,95 €
                              Architektur und Städtebau
                              können einen entscheidenden                                        In jedem Stockwerk sehen die
                              Beitrag leisten, neue Lösungs-                                     Wohnungstüren anders und
                              ansätze zu finden, um das An-                                      geheimnisvoll aus: eine Tür
                              gebot von Wohnraum für alle                                        mit lauter Schlössern, eine mit
sicherzustellen. Die Herausforderung für erschwingliches            matschigen Fußabdrücken davor, bei einer riecht es nach
Wohnen besteht vor allem darin, Kosten und Wohnwert in              Fisch und im 4. Stock geht immer das Licht aus … Wer da
ein optimales Verhältnis zu setzen. Vor diesem Hintergrund          wohl wohnt? Und wie sieht es hinter den Türen in den Woh-
werden nicht nur theoretische Ansätze vorgestellt, sondern          nungen der Nachbar*innen aus? Eine clevere Bilderbuchge-
am Beispiel herausragender Wohngebäude auch Strategien              schichte mit Wimmelspaß und Suchrätsel und eine Hom-
zur Schaffung von erschwinglichem Wohnraum aufgezeigt.              mage an die kindliche Fantasie.

                              Boden für alle                                                      Menschen im Schatten des
                              Angelika Fitz, Karoline Mayer u.a.,                                 Wohnungsmarktes
                              Park Books, 38,00 €                                                 https://bit.ly/3mKPuLY

                            Der Boden ist unser kostbars-                                         Gemeinsam mit sieben ande-
                            tes Gut. Ein kapitalgetriebe-                                         ren Verbänden hat der Pari-
                            ner Umgang damit und die                                              tätische Gesamtverband die
                            fortschreitende Versiegelung                                          „Soziale Plattform Wohnen“
                            tragen zur Klimakrise bei. Hor-                                       gegründet. Mit eigenem Kon-
tung von Grundstücken und Spekulation verteuern das Woh-            zept und konkretem Forderungskatalog mischt sich die-
nen und führen zu schleichender Privatisierung des öffent-          ser Zusammenschluss erstmals gemeinsam in die aktuelle
lichen Raums. Im Band werden die politischen, rechtlichen           wohnungspolitische Debatte ein. Zum Auftakt wurde die
und wirtschaftlichen Hintergründe erläutert; Länderverglei-         Broschüre „Menschen im Schatten des Wohnungsmarktes“
che veranschaulichen Stärken und Schwächen verschiede-              veröffentlicht. Diese enthält unter anderem sechs Reporta-
ner Modelle, internationale Best-Practice-Beispiele zeigen          gen über Menschen, die von den aktuellen Verwerfungen auf
Alternativen auf.                                                   dem Wohnungsmarkt besonders hart betroffen sind.

12 | TITELTHEMA: WOHNEN
Arbeitsschutz für Menschen                                                                               Vormundschafts- und
                          mit Behinderung                                                                                          Betreuungsrechtsreform
                          Neue Regelungen durch die Pandemie                                                                       Stärkung des Selbstbestimmungsrechts

                          Das neuartige Corona-Virus, COVID-19, stellt          Arbeitgeber*innen, für den Arbeits- und Ge-        Die Bundesregierung hat am 23. September             einbarung über eine Begleitung und Unterstüt-
                          seit Mitte März 2020 unser aller Leben auf den        sundheitsschutz der Mitarbeitenden Sorge zu        2020 im Kabinett den im Juni 2020 veröf-             zung neu eingeführt. Zur Sicherstellung einer
                          Kopf. Milliardenschwere Hilfspakete wurden            tragen. Aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch und        fentlichen Entwurf für ein Gesetz zur Reform         einheitlichen Qualität der beruflichen Betreu-
                          aufgelegt; das Arbeitszeitrecht und weitere Be-       dem Vertragsrecht, insbesondere dem Arbeits-       des Vormundschafts- und Betreuungsrechts             ung soll ein formales Registrierungsverfahren
                          reiche wurden befristet liberalisiert. Zuletzt hat-   vertrag, haben die Mitarbeitenden einen indi-      beschlossen. Das Vormundschaftsrecht wird            mit persönlichen und fachlichen Mindesteig-
                          ten sich Politik, Verwaltung und Jurist*innen in      vidualrechtlichen Anspruch auf die Einhaltung      grundlegend erneuert. Änderungen finden sich         nungsvoraussetzungen eingeführt werden.
                          den Jahren 2009/10 im Rahmen der sogenann-            der einschlägigen Standards. Grundsätzlich sind    im BGB, EGBGB, RPFLG und Betreuungsorgani-
                          ten Schweinegrippe mit den aus einer Pande-           im Arbeitsschutz technische (z.B. Belüftungsan-    sationsrecht. Das Gesetzespaket sieht die Neu-
                          mie folgenden Rechtsfragen beschäftigt.               lagen, „Spuckschutzscheiben“) vor organisatori-    strukturierung des Vormundschafts- und Be-                  Die Stärkung des Selbst-
                                                                                schen (z.B. Arbeit in Wechselschicht / Kohorten,   treuungsrechts wie folgt vor:                               bestimmungsrechts und
                                                                                Arbeit im Homeoffice) vor persönlichen Maß-
                                 Seit Beginn der Pandemie stellt                nahmen (z.B. Tragen von Masken) zu ergreifen,      1. Die Vorschriften des Vormundschaftsrechts                der Berücksichtigung der
                                 sich im Alltags- und Berufs-                   dies ist das sogenannte TOP -Prinzip.              zur Vermögenssorge, zu Fürsorge und Aufsicht                Wünsche der Menschen
                                                                                Wer besonders schutzbedürftig ist, muss von        des Gerichts, zum Aufwendungsersatz und zur                 mit Betreuungsbedarf ist
                                 leben die Frage nach dem                       der Arbeitgeberseite auch ganz besonders ge-       Vergütung werden in das Betreuungsrecht ein-
                                 richtigen Umgang mit den vom                   schützt werden. Dies stellen sowohl das Ar-        geordnet und daran angepasst. Im Vormund-                   zu begrüßen.
                                 RKI als Risikogruppen klassifi-                beitsschutzgesetz als auch die Arbeitsschutz-      schaftsrecht soll das Mündel mit seinen Rechten
                                                                                standards und die Arbeitsschutzregel des BMAS      als Subjekt im Zentrum stehen. Die Personen-
                                 zierten Personen.                              ausdrücklich klar. Überdies haben Menschen         sorge und die Rechte von Pflegeeltern sollen         3. Maßnahmen zur effektiveren Umsetzung
                                                                                mit Behinderung und (chronisch) kranke Men-        gestärkt werden. Die verschiedenen Vormund-          des Erforderlichkeitsgrundsatzes sind im Vor-
                                                                                schen Anspruch auf eine Beschäftigung, die         schaftstypen werden zu einem Gesamtsystem            feld der Betreuung vorgesehen. Die Verwaltung
                          Die am Anfang der Corona-Pandemie vermehrt            ihrer Behinderung oder ihrem Leiden gerecht        zusammengefügt. Die beruflichen Vormünder            des Vermögens durch Betreuer*innen und Vor-
                          auftauchenden Rechtsfragen im Zusammen-               wird und bei der sie ihre Potenziale bestmög-      einschließlich des Jugendamts als Amtsvor-           münder soll modernisiert werden und künf-
                          hang mit dem kurzfristigen Einsatz im Home-           lich entfalten können. Arbeitsplätze sind nach     mund sollen gleichrangig sein. Nur ehrenamtli-       tig bargeldlos erfolgen. Ehegatt*innen sollen
                          office, mit Reisestornierungen, Veranstaltungs-       dem SGB IX leidens- und behinderungsgerecht        che Vormünder werden vorrangig bestellt.             sich in Angelegenheiten der Gesundheitssorge
                          absagen, geschlossenen Schulen und Kitas              einzurichten. Dies können etwa die Einrichtung                                                          kraft Gesetzes für die Dauer von drei Monaten
                          usw. sind inzwischen im Zuge des allgemeinen          barrierefreier Zugänge, Parkplätze für beson-      2. Im Betreuungsrecht soll zentral die Selbstbe-     gegenseitig vertreten können, wenn ein*e Ehe-
                          Wiederhochfahrens von Wirtschaft und öffent-          ders Gehbehinderte oder behinderungsgerech-        stimmung und Autonomie unterstützungsbe-             gatt*in aufgrund von Bewusstlosigkeit oder ei-
                          lichem Leben von Regelungen zu Abstand, Hy-           te Sanitäranlagen sein. Aber auch die Freistel-    dürftiger Menschen im Vorfeld und innerhalb          ner Krankheit seine oder ihre Angelegenheiten
                          giene, Fallzahlen usw. verdrängt worden. Das          lung von bestimmten besonders belastenden          einer rechtlichen Betreuung im Sinne der UN-         der Gesundheitssorge vorübergehend rechtlich
                          Bundesministerium für Arbeit und Soziales             Schichten oder Tätigkeiten, zum Beispiel von       BRK gestärkt werden. Klarer geregelt wird, dass      nicht besorgen kann.
                          (BMAS ) hat im April den Arbeitsschutzstandard        Nachtarbeit, kann Folge des Anspruchs auf be-      die Betreuung in erster Linie eine Unterstüt-        Die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts und
                          als Empfehlung und im August die neuen Ar-            hinderungsgerechte Beschäftigung sein.             zung der Betreuten bei der Besorgung ihrer An-       der Berücksichtigung der Wünsche der Men-
                          beitsschutzregeln, die rechtlich verbindlicher        Der beschriebene Schutz ist dynamisch. Er ist      gelegenheiten durch eigenes selbstbestimmtes         schen mit Betreuungsbedarf ist zu begrüßen.
                          sind, vorgestellt.                                    ständig an die sich ändernden Gegebenheiten        Handeln gewährleistet. Die Stellvertretung darf      Ungelöst geblieben ist das Problem zu vieler Be-
                          Seit Beginn der Pandemie stellt sich im Alltags-      anzupassen. In der Pandemie ist es für uns alle    nur eingesetzt werden, soweit es erforderlich ist.   treuungsfälle bei Berufsbetreuer*innen. Die vor-
                          und Berufsleben die Frage nach dem richtigen          eine große Herausforderung, das Infektionsge-      Der Vorrang der Wünsche der Betreuten wird als       gesehene Prüfung der Eignung als Betreuer*in
                          Umgang mit den vom RKI als Risikogruppen              schehen im Auge zu behalten und den wechsel-       der zentrale Maßstab des Betreuungsrechts für        wird als Einfallstor einer Einflussnahme durch
                          klassifizierten Personen. Für den Umgang im           seitigen Umgang stetig zu reflektieren. •          Betreuerhandeln, Eignung der Betreuer*innen          staatliche Stellen beziehungsweise Gerichte kri-
                          Arbeitsleben und die Anforderungen an den Ar-                                                            und die Wahrnehmung der gerichtlichen Auf-           tisiert. Die Entscheidung über die Person, deren
                          beits- und Gesundheitsschutz ist zu unterschei-                                                          sicht normiert. Betroffene sollen in sämtlichen      Notwendigkeit und den Umfang der Betreuung
                          den zwischen allgemeinen und besonderen An-                                                              Stadien des Betreuungsverfahrens insbeson-           liegt bei diesen und nicht bei den Betreuten. Ein
                          forderungen nach den einschlägigen Gesetzen,                                                             dere bei gerichtlichen Entscheidungen besser         Inkrafttreten des Gesetzes ist nach den weite-
                          Verordnungen usw. Genaue Auskunft über Risi-                                                             informiert und stärker eingebunden werden.           ren Phasen des Gesetzgebungsverfahrens ver-
                          kogruppen, zu denen vor allem chronisch Kran-                                                            Zur Verbesserung des Informations- und Kennt-        mutlich nicht vor dem Jahr 2022 zu erwarten. •
Heiko Jarosch             ke und Menschen mit Behinderung gehören                                                                  nisniveaus bei ehrenamtlichen Betreuer*innen                                                             Heiko Jarosch
0431 56 02 – 19           können, gibt das RKI unter anderem auf seiner                                                            wird die Möglichkeit einer engen Anbindung                                                               0431 56 02 – 19
jarosch@paritaet-sh.org   Website. Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet                                                            an einen Betreuungsverein im Wege einer Ver-                                                             jarosch@paritaet-sh.org

14 | GESELLSCHAFT | TEILHABE                                                                                                                                                                                                                                          15
Leiharbeit in der Pflege
                             Der Fachkräftemangel und seine Auswirkungen

                             Die Leiharbeit beziehungsweise Arbeitnehmer-         verträglichere Arbeitszeiten (d.h. keine oder we-   personal der Pflege die Aufgabe, die Leiharbeit-    an der bestehenden Situation nichts ändern
                             überlassung in der Pflege ist seit Jahren ein in-    niger Wochenenddienste, Nachtschichten oder         nehmer*innen einzuarbeiten. Je häufiger ein         und die Leiharbeit ihre Attraktivität behalten.
                             tensiv diskutiertes Thema in der Pflegebranche       Dienste zu aus ihrer Sicht ungünstigen Zeiten,      Wechsel der ausgeliehenen Mitarbeitenden er-        Nur mit der Änderung der Arbeitsbedingungen
                             und in der politischen Diskussion. Je nach Inte-     keine Überstunden). Die Wahlmöglichkeiten           folgt, desto größer ist naturgemäß der Aufwand,     für die festangestellten Pflegekräfte ist eine
                             ressenlage gehen die Meinungen weit ausein-          reichen bis in die Arbeitsinhalte hinein.           sodass Zeit für andere Dinge fehlt.                 Rückführung der Leiharbeit auf die weiterhin
                             ander. So wird von mancher Seite als ein Extrem      Die negativen Folgen der Leiharbeitskräfte wie                                                          notwendige Abfederung von Belastungsspitzen
                             pauschal die Abschaffung der Pflegeleiharbeit        fehlende Teamzugehörigkeit, wechselnde Ein-         Pflegebedürftige, die regelmäßig längere Zeit       in den Einrichtungen zu vollziehen.
                             gefordert, wohingegen an anderer Stelle eine         satzorte oder mangelnde Wertschätzung wer-          versorgt werden, leiden unter einem dauer-          Im Sommer 2019 hat sich die Konzertierte Ak-
                             Ausweitung von Leiharbeit gerade im Bereich          den dabei in Kauf genommen.                         haften Wechsel des Personals, da die Leihar-        tion Pflege (KAP ) auf Bundesebene mit einer
                             der Pflege erwartet wird. Auch zwischen den                                                              beitskräfte nur zeitweise an der Versorgung         Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der
                             Mitgliedsorganisationen im PARITÄTISCHEN             Ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen        beteiligt sind. So kann – eigentlich im Sinne       Pflege sowie mit dem Thema der Pflegeleihar-
                             gibt es unterschiedliche Erfahrungen mit dem         müssen auf Pflegeleiharbeitskräfte zurückgrei-      der Bezugspflege – kein dauerhaftes Verhältnis      beit befasst und Lösungsmöglichkeiten erar-
                             Einsatz von Leiharbeitnehmer*innen in Pflege-        fen, um kurzfristig auf den temporären Ausfall      von Pflegebedürftigen und sie versorgenden          beitet. Gerade auch die Pflegeeinrichtungen
                             einrichtungen und folglich auch verschiedene         von Pflegepersonal aus der Stammbelegschaft         Pflegemitarbeiter*innen entstehen. Darunter         selbst sind gemäß der KAP gefordert, für eine
                             Einschätzungen zu diesem Instrument. Im Fol-         zu reagieren. Die kurzfristige Kompensation         leidet die Pflege- und Lebensqualität der Pflege-   Verbesserung der Arbeitsbedingungen für ihr
                             genden wird der Fokus auf Leiharbeit in der Al-      eines zudem nur vorübergehenden Ausfalls            bedürftigen. Weiterhin erhöht der Einsatz von       Stammpersonal zu sorgen, damit sie möglichst
                             tenpflege liegen.                                    von eigenen Mitarbeitenden ist schon in der         Leiharbeitnehmer*innen die Personalkosten           wenig auf Leiharbeiter*innen angewiesen sind.
                             In erster Linie aufgrund des demografischen          Vergangenheit eine Herausforderung für die          der Pflegeeinrichtungen, die dann über höhere       Schließlich sind laut der KAP alle Leistungser-
                             Wandels, aber auch durch Änderungen im               Pflegearbeitgeberschaft gewesen. Der Fachkräf-      Heimkosten für die Pflegebedürftigen refinan-       bringerverbände sowie Kostenträger in allen
                             Pflegebedürftigkeitsbegriff steigt die Zahl der      temangel führt weiterhin dazu, dass dauerhaft       ziert werden müssen. Eine solche Entwicklung        Bundesländern aufgefordert worden, in den
                             pflegebedürftigen Menschen nach dem SGB XI           auf Leiharbeitskräfte zurückgegriffen werden        führt zu noch stärker steigenden Eigenanteilen      Landesrahmenverträgen nach § 75 SGB XI Re-
                             weiterhin an. Daraus erwächst eine immer grö-        muss, um die notwendige Personalausstattung         für die Pflegebedürftigen und in der Folge auch     gelungen für den Einsatz von Leiharbeit in der
                             ßere Nachfrage nach Altenpflegepersonal, vor         sicherstellen zu können. Aus dieser Perspektive     zu höheren Ausgaben im Bereich der Sozialhilfe.     Pflege bis zum Sommer 2020 zu vereinbaren.
                             allem in Bezug auf Fachkräfte. Gleichzeitig fällt    wäre Leiharbeit für die Einrichtungen positiv                                                           Die Umsetzung dieser Aufgabe ist jedoch nicht
                             es den Pflegeeinrichtungen schwer, ihre Stellen      zu sehen. Jedoch müssen die Pflegeeinrichtun-                                                           erfolgt. So besteht beispielsweise die potenzielle
                             zu besetzen, es herrscht akuter Fachkräfteman-       gen für die Leiharbeitnehmer*innen einen ho-               Solange sich arbeitnehmer-                   Gefahr, dass in einem Bundesland die Leihar-
                             gel. Somit ist die Diskussion über Leiharbeit in     hen Preis an die Leiharbeitsfirmen zahlen, der             freundliche Arbeitskonzepte                  beit so stark reguliert werden würde, dass es
                             der Altenpflege vor dem Hintergrund eines            schwierig zu refinanzieren ist, zu Ungerechtig-                                                         Nachteile für die Versorgung mit ausreichend
                             sehr angespannten Arbeitskräfteangebots zu           keiten führt und an anderer Stelle eingespart              in Festanstellung nicht durch-               benötigtem Leiharbeitspersonal geben könnte.
                             betrachten. Viele Einrichtungen könnten ohne         werden muss. Die Refinanzierung der Kosten                 setzen, wird die Leiharbeit                  So könnten sich Leiharbeitsfirmen oder an Leih-
                             Personal aus der Leiharbeit ihren Betrieb nicht      von Leihpersonal in den Vergütungsverhand-                 ihre Attraktivität behalten.                 arbeit interessierte Arbeitnehmer*innen bei-
                             voll aufrechterhalten.                               lungen mit den Kostenträgern stellt eine Her-                                                           spielsweise aufgrund der Regulierung für eine
                             Im Folgenden ein Überblick über die verschie-        ausforderung für die Einrichtungen dar.                                                                 Tätigkeit in anderen Bundesländern entschei-
                             denen Aspekte rund um die Leiharbeit in der                                                                                                                  den. Es ist daher sinnvoll, dass auf Bundesebene
                             Altenpflege:                                         Regulär in Pflegeeinrichtungen angestellte Alten-   Allein aus diesen beispielhaft dargestellten        eine gesetzliche Regulierung erfolgt.
                                                                                  pflegearbeitnehmer*innen fühlen sich aus einer      Aspekten kann ein sehr kritisches Fazit zur ge-     Fazit: Die Leiharbeit in der Pflege muss in jedem
                             Bei Leiharbeitsfirmen beschäftigte Altenpflegear-    Vielzahl an Gründen als „Arbeitnehmer*innen         genwärtigen Situation der Leiharbeit in der         Fall reguliert und ihr Ausmaß zurückgeführt
                             beitnehmer*innen haben dort oftmals einen Ar-        2. Klasse“. So müssen sie die eher als ungünstig    Pflege gezogen werden. Ohne einschränkende          werden. Ein reines Verbot erscheint nicht hilf-
                             beitsvertrag unterschrieben, um bessere Löhne        anzusehenden Schichten oder Wochenend- und          und regulierende Vorgaben für den Einsatz von       reich, da aufgrund der Personalsituation in den
                             und vor allem auch bessere Arbeitsbedingun-          Feiertagsdienste übernehmen und mitunter            Leiharbeitskräften kann nur ein negatives Fazit     Einrichtungen unter gewissen Umständen der
                             gen zu erreichen, die sie als festangestellte Mit-   mit der Kenntnis leben, dass ihre Kolleg*innen      erfolgen.                                           Einsatz von Pflegeleiharbeit notwendig ist. In
                             arbeiter*innen in den Pflegeeinrichtungen nicht      der Leiharbeitsfirmen finanzielle Privilegien       Solange sich arbeitnehmerfreundliche Arbeits-       jedem Falle werden die Diskussionen sowohl           Patrick Kaiser
                             bekommen würden. So schätzen diese Personen          bei angenehmeren Arbeitsbedingungen haben.          konzepte in Festanstellung nicht durchsetzen        auf Bundes- als auch auf Landesebene weiter-         0431 56 02 – 80
                             beispielsweise familiengerechtere oder sozial-       Des Weiteren hat das festangestellte Stamm-         beziehungsweise refinaziert werden, wird sich       gehen. •                                             kaiser@paritaet-sh.org

16 | GESELLSCHAFT | PFLEGE                                                                                                                                                                                                                                              17
Sie können auch lesen