GESTAUTE STRÖME WASSERKRAFT: FLUCH ODER SEGEN FÜR LATEINAMERIKA? - Lateinamerika Nachrichten

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GESTAUTE STRÖME WASSERKRAFT: FLUCH ODER SEGEN FÜR LATEINAMERIKA? - Lateinamerika Nachrichten
LN-Dossier 15 // Juli/August 2017

GESTAUTE STRÖME
WASSERKRAFT:
FLUCH ODER SEGEN FÜR LATEINAMERIKA?
GESTAUTE STRÖME WASSERKRAFT: FLUCH ODER SEGEN FÜR LATEINAMERIKA? - Lateinamerika Nachrichten
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      V.i.S.d.P.: Thilo F. Papacek und Christian Russau

LATEINAMERIKA NACHRICHTEN                      GEGENSTRÖMUNG // INFOE

Gneisenaustr. 2a, D – 10961 Berlin             Melchiorstraße 3 ·
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Titelfoto: Christian Russau // Staudamm Belo Monte, Fluss Xingu, mit geflutetem Staureservoir, März 2016
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INHALT

     WASSERKRAFT IN LATEINAMERIKA
4    Wasserkraft: Fluch oder Segen? // Kaum eine Weltregion hängt so stark von
     Wasserkraft ab wie Lateinamerika – mit gemischtem Erfolg

     PANAMA
8    Vollendete Tatsachen // Umfangreiche Zugeständnisse an die Indigenen an dem Fluss
     Tabasará nachdem das Wasserkraftwerk Barro Blanco fertiggestellt ist

     CHILE
11   Grüne Lunge in Gefahr // Ein Laufwasserkraftwerk bedroht die „grüne Lunge“ der
     chilenischen Hauptstadt Santiago

     PERU
15   Echsen gegen Dämme // Interview mit der Reptilienforscherin Dr. Claudia Koch über die
     ökologische Bedeutung der Trockenwälder im Marañón

     BOLIVIEN
18   Schlechter Deal // Bolivien will mit Wasserkraft zum Stromexporteur werden – die
     Erfolgsaussichten des Projekts sind gering

     BRASILIEN
22   Staudamm, Schiene, Schnitzel // Wie Staudämme und Wasserstraßen am Tapajós mit
     Bergbau und Soja in Mato Grosso und dem billigen deutschen Schnitzel zusammenhängen
28   „Dieses Entwicklungsmodell verursacht soziale Gewalt!“ // Mit dem Ende der
     Bauarbeiten am Kraftwerk Belo Monte nehmen Arbeitslosigkeit, Drogenkriminalität und
     Zwangsprostitution in Altamira zu

     GUATEMALA
31   Widerhall der Gräuel // Konflikte um Wasserkraftwerke wecken bei guatemaltekischen
     Indigenen Erinnerungen an die Vergangenheit

     VENEZUELA
34   Die andere Krise // Die Energieversorgung Venezuelas hängt maßgeblich von Wasserkraft ab

     HONDURAS
36   Mörderisches Projekt // Agua Zarca: Todesprojekt auf dem Territorium der Lenca

     MEXIKO
39   Freie Flüsse in Südmexiko // Erfolgreiche Staudamm-Widerstände in Oaxaca und Puebla
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WASSERKRAFT IN LATEINAMERIKA

WASSERKRAFT:
FLUCH ODER SEGEN?
KAUM EINE WELTREGION HÄNGT SO STARK VON WASSERKRAFT AB, WIE
LATEINAMERIKA – MIT GEMISCHTEM ERFOLG

      In den 1960er und 1970er Jahren galten große         ne und Investor*innen aus aller Welt organisie-
      Wasserkraftwerke als Voraussetzung für eine          ren, die im Geschäft mit der Wasserkraft aktiv
      gute wirtschaftliche Entwicklung in Latein-          sind. Auf dem diesjährigen Kongress der IHA, der
      amerika. Nach über 50 Jahren Erfahrung fra-          im Mai in Addis Abeba stattfand, bezogen sich
      gen GegenStrömung und die Lateinamerika              viele Diskussionen sowohl auf die UN-Ziele für
      Nachrichten in diesem Dossier nach den Folgen        eine nachhaltige Entwicklung (SDG) als auch das
      der Wasserkraftnutzung in der Region. Dabei          Pariser Klimaabkommen. Beide beinhalten die
      wollen wir vor allem auf die unbekannteren           Verpflichtung, den Zugang zu Elektrizität und
      Auswirkungen dieser Technologie eingehen.            Wasser unter Berücksichtigung des Klimawandels
                                                           zu verbessern und die Wasserkraftindustrie ist
      „Erneuerbare Energien sind zweifellos die nach-      darum bemüht, ihre Technologie als Lösung bei-
      haltigste Antwort auf den wachsenden weltwei-        der Probleme darzustellen.
      ten Energiebedarf. Die Wasserkraft spielt eine       Zentral- und insbesondere Südamerika sind Vor-
      entscheidende Rolle bei der nachhaltigen und um-     zeigeregionen für die Wasserkraft. Von den zehn
      weltfreundlichen Stromerzeugung aus erneuer-         größten Wasserkraftwerken der Welt stehen vier
      baren Energien und ist weltweit die größte           in Südamerika. In Brasilien und Venezuela wer-
      erneuerbare Quelle für die Stromerzeugung.“ So       den über 80 Prozent der genutzten Elektrizität
      steht es in einer Pressemitteilung des deutschen     mit Wasserkraft generiert. Seit den 1960er Jahre
      Konzerns Voith Hydro, der zu den Marktführern        investieren lateinamerikanische Länder massiv in
      bei der Produktion von Turbinen und anderer          Wasserkraftwerke, da sie als Voraussetzung für
      Ausstattung für Wasserkraftwerke gehört.             eine angestrebte wirtschaftliche Entwicklung gal-
      Die Argumentation erscheint schlüssig: Wasser-       ten. Vorreiter war und ist vor allem Brasilien, das
      kraft ist eine grüne Energiequelle, da kein Erdöl,   die Entwicklung dieser Technologie nicht nur im
      Gas oder Kohle zur Stromgewinnung verbrannt          eigenen Land, sondern auch in den Nachbarstaa-
      werden. Auch der Einsatz radioaktiver Elemente       ten, vorantreibt. So steht das zweitgrößte Wasser-
      ist für den Betrieb eines Wasserkraftwerks nicht     kraftwerk der Welt, Itaipú, auf der Grenze
      notwendig. So erscheint Wasserkraft als älteste      zwischen Brasilien und Paraguay und wird von ei-
      regenerative Energiequelle.                          nem binationalen Konzern kontrolliert.
      Gleichzeitig kann man mit Wasserkraftwerken          Wasserkraft in Brasilien – Eine Erfolgsgeschich-
      weitestgehend zuverlässig enorme Mengen Ener-        te? Viele deuten dies so. Die Industrie der größ-
      gie erzeugen. Von den weltweit zehn größten          ten Volkswirtschaft Lateinamerikas hängt von der
      Kraftwerken sind neun Wasserkraftwerke. Insbe-       Energie aus Staudämmen und Laufwasserkraft-
      sondere für Länder des Globalen Südens, so die       werken ab. Und der deutsche Konzern Voith Hy-
      Fürsprecher*innen der Wasserkraft, biete diese       dro verweist auf seiner Webseite stolz darauf, dass
      Energiequelle eine attraktive Möglichkeit, güns-     er einen Teil der Turbinen von Itaipú geliefert ha-
      tig umweltfreundlichen Strom zu erzeugen.            be. Iatipu deckt knapp 17 Prozent des brasiliani-
      Gerade angesichts der Herausforderungen des Kli-     schen und 75 Prozent des paraguayischen
      mawandels erscheint so Wasserkraft als eine not-     Strombedarfs. Das Kraftwerk hat zur industriel-
      wendige und wichtige Technologie. Diese              len Entwicklung im Ballungsraum São Paulo bei-
      Sichtweise propagiert auch die International Hy-     getragen. Deshalb wird gerade Itaipú als das
      dropower Association (IHA), in der sich Konzer-      Paradebeispiel für einen erfolgreichen Staudamm

4 ★ LN-Dossier
GESTAUTE STRÖME WASSERKRAFT: FLUCH ODER SEGEN FÜR LATEINAMERIKA? - Lateinamerika Nachrichten
Foto: International Hydropower Association (CC BY 2.0)
                                                                                                                       WASSERKRAFT IN LATEINAMERIKA

                                                                     Zweifelhaftes Vorbild Der Staudamm von Itaipú

präsentiert, dem die beteiligten Staaten Brasilien                                                       Hauptgrund für die hohen Kosten sind Verzöge-
und Paraguay viel zu verdanken hätten.                                                                   rungen beim Bau. Bei acht von zehn Projekten
Doch die Darstellung der Wasserkraft als unein-                                                          dauerte der Bau eines Staudamms oder eines an-
geschränkt positiv zu bewertende Technologie                                                             deren Wasserkraftwerks länger als geplant – im
blendet ihre zahlreichen negativen Seiten aus. So                                                        Durchschnitt etwa acht Jahre länger, aber oft weit
zeigen jüngere wissenschaftliche Studien, dass                                                           mehr als zehn. Ein aktuelles Beispiel ist das Alto-
der so hochgelobte Itaipú-Staudamm wahrschein-                                                           Maipo-Projekt in Chile, dessen Bau sich immer
lich niemals seine Baukosten wieder einbringen                                                           wieder verzögert und dessen Kosten deshalb ex-
werde. Vor allem Paraguay hat schwer unter der                                                           plodieren (siehe Artikel).
Schuldenlast, die das pharaonisch anmutende
Projekt verursacht hat, zu tragen. Die linksgerich-
tete Regierung von Fernando Lugo strebte wäh-                                                            ABKÜRZUNGEN UND GLOSSAR
rend ihrer Amtszeit (2008-2012) deshalb auch
eine erneute Verhandlung mit Brasilien über die                                                          MW: Megawatt; 1000 MW = ein Gigawatt. In
Aufteilung der Schulden an.                                                                              dieser Maßeinheit wird die Leistung gemessen,
Staudämme können also nicht nur die wirtschaft-                                                          mit der ein Kraftwerk Strom erzeugen kann.
liche Entwicklung eines Landes stärken, sondern                                                          MWh: Megawattstunden. In dieser Maßeinheit
auch für massive finanzielle Probleme sorgen. Ein                                                        wird die Energiemenge gemessen, die ein
Forschungsteam der Universität Oxford unter Lei-                                                         Kraftwerk erzeugt. Eine MWh entspricht 3600
tung des dänischen Wirtschaftsgeographen Bent                                                            Mega-Joule.
Flyvbjerg hat 2014 eine Studie publiziert, die ge-                                                       Kapazität: Die „installierte Kapazität“ gibt an,
nau dieser Frage nachging: Wie sinnvoll sind                                                             mit welcher Leistung ein Kraftwerk bei voller
Staudämme für die wirtschaftliche Entwicklung                                                            Auslastung Strom erzeugen kann.
von Ländern des Globalen Südens? Sie haben 245                                                           Staudamm: Ein Fluss wird aufgestaut; durch
Staudämme, die seit 1934 gebaut worden sind,                                                             den kontrollierten Abfluss kann man in Tur-
untersucht. Heraus kam, dass der Bau diese Däm-                                                          binen Strom erzeugen
me im Durchschnitt 96 Prozent mehr gekostet                                                              Laufwasserkraftwerk: Einem Fluss wird in
hat, als ursprünglich veranschlagt. Bei zwei von                                                         einem Wehr Wasser entnommmen, um es
zehn Dämmen stiegen die Kosten um mehr als 100                                                           durch Turbinen und anschließend wieder in
Prozent, bei einem von zehn Dämmen sogar über                                                            den Fluss zu leiten. Im Gegensatz zum Stau-
300 Prozent vom ursprünglich veranschlagten                                                              damm wird nicht der ganze Fluss aufgestaut.
Wert.

                                                                                                                                                    LN-Dossier ★ 5
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Foto: Dr. Claudia Koch
WASSERKRAFT IN LATEINAMERIKA

         Wilde Flusslandschaft in Gefahr Am Marañón in Peru sind über 20 Staudämme geplant (S. 15)

      Aus diesem Grund sind große Staudammprojek-            te würden nicht mehr ins amazonische Tiefland
      te – die meist von Staaten finanziert werden –         transportiert, was die Fruchtbarkeit der dortigen
      oft der Grund für die massive Verschuldung von         Böden verringern würde. Fische könnten nicht
      Ländern des Globalen Südens, den sogenannten           mehr zu ihren Laichplätzen migrieren, viele Ar-
      Entwicklungsländern. Dem Wissenschaftler Flyv-         ten würden womöglich aussterben – und Fisch ist
      bjerg zufolge belastete die Schuldenlast, die aus      die Nahrungsgrundlage für den Großteil der Be-
      dem Itaipú Staudamm entstand, die brasiliani-          völkerung im Amazonasgebiet. Über die zu erwar-
      schen Staatsfinanzen für Jahrzehnte. Der Bau war       tenden ökologischen Folgen dieser Projekte
      damit für die Hyperinflation in den 1970er und         sprachen wir mit der Biologin Dr. Claudia Koch
      1980er Jahren mindestens mitverantwortlich.            (siehe Artikel).
      Vor diesem Hintergrund erscheint es geradezu           Befürworter*innen der Wasserkraft führen gerne
      fahrlässig, wenn ohnehin verarmte Länder große         ins Feld, dass die positiven Entwicklungsmöglich-
      Staudammprojekte planen. Doch das ärmste Land          keiten die negativen ökologischen Effekte der
      Südamerikas, Bolivien plant genau das. Die Kraft-      Wasserkraft aufwiegen würden. Doch von Ent-
      werke El Bala und Chepete sollen, in den Worten        wicklungsmöglichkeiten spürt die lokale Bevöl-
      von Regierungsvertreter*innen, Bolivien zum            kerung um die Wasserkraftwerke meist wenig. Wir
      „energetischen Herzen Südamerikas“ machen.             durften ein Interview mit dem brasilianischen
      Der Strom soll nach Brasilien und Argentinien ex-      Wissenschaftler und Aktivisten Assis Oliveira
      portiert werden. Dabei würde das Projekt die           nachdrucken, in dem der von der Situation in Al-
      Schulden des Staates fast verdoppeln – wenn sich       tamira berichtet. Seit auf dem Gemeindegebiet das
      die Baukosten im geplanten Rahmen bewegen. Die         Laufwasserkraftwerk Belo Monte gebaut wird –
      Regierung will das Projekt durchbringen, obwohl        das nach Fertigstellung das zweitgrößte Wasser-
      alles danach aussieht, als ob das Geschäft mit dem     kraftwerk der Welt sein wird – haben sich die Le-
      Stromexport niemals lukrativ genug sein wird,          bensbedingungen dort eher zum Schlechten
      um das Projekt zu rechtfertigen. Wir sprachen mit      entwickelt. Viele Arbeiter*innen sind nach Been-
      dem bolivianischen Aktivisten Pablo Solón über         digung des Großteils der Bauarbeiten einkom-
      die Ungereimtheiten dieses Projektes (siehe Ar-        menslos, die Kriminalität grassiert (siehe Artikel).
      tikel).                                                Von der Energie, die in den Kraftwerken erzeugt
      Auch Peru will zum Stromexporteur werden. Dort         wird, profitieren meist Andere. Oft geht der Strom
      sind über 20 Staudämme am Marañón, dem wich-           an extraktivistische Industriezweige, wie Berg-
      tigsten Quellfluss des Amazonas, geplant. Doch         bau oder Ölförderung, die zusätzliche Umwelt-
      die ökologischen Folgen wären enorm: Sedimen-          probleme verursachen, wie etwa das bereits

6 ★ LN-Dossier
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WASSERKRAFT IN LATEINAMERIKA

genannte Beispiel Alto Maipo zeigt (siehe Artikel).   zugunsten der Wasserkraft aufgezählt wird, ist
Doch Staudämme sollen mitunter nicht nur der          ihre Verlässlichkeit. Doch angesichts des Klima-
Energieproduktion dienen. Ein anderer Effekt ist,     wandels wird die Zuverlässigkeit der Wasserkraft
dass man mit ihnen Flüsse anstauen kann, damit        immer fragwürdiger. Immer mehr Studien be-
sie zu Wasserstraßen werden. Ein Beispiel dafür       schäftigen sich mit den Auswirkungen des Kli-
sind die geplanten Staudämme am Tapajós-Fluss         mawandels auf die Wasserkraft. Durch den
in der brasilianischen Amazonasregion. Auf den        Klimawandel werden sich sowohl Starkregener-
Zusammenhang zwischen Expansion der Agrar-            eignisse, die die Sicherheit der Wasserkraftwer-
industrie, Zerstörung des Regenwaldes und großen      ke gefährden, häufen, als auch Dürren, die dann
Infrastrukturprojekten wie Staudämmen und Ei-         zum Ausfall der vermeintlich zuverlässigen Ener-
senbahnen gehen wir in einem weiteren Artikel         giequelle führen. Bestes Beispiel ist Venezuela,
ein.                                                  wo aufgrund von Dürren die Stromversorgung,
Große Staudämme werden meistens von staatli-          die fast ausschließlich vom Guri-Staudamm ab-
chen Institutionen gebaut und betrieben. Doch         hängt, mehrmals ausgefallen ist (siehe Artikel).
Kleinwasserkraftwerke, die oft von privaten In-       Doch Wasserkraft wird nicht nur vom Klimawan-
vestoren gebaut werden, um die Energieversor-         del beeinflusst, sondern wirkt sich auch auf das
gung von Bergwerken zu gewährleisten, sind            Klima aus. Befürworter*innen der Wasserkraft
meist nicht weniger konfliktbeladen. Oft kommt        verweisen gerne darauf, dass Wasserkraftwerke
es zu Wasserkonflikten zwischen den Kraftwerks-       nicht das Treibhausgas Kohlendioxid ausstoßen.
betreiber*innen und lokalen Gemeinden. Doch die       Doch in den Reservoirs von Staudämme oder in
Gemeinden organisieren bisweilen erfolgreichen        langsam fließenden Flüssen, deren Fließge-
Widerstand, wie etwa in den südmexikanischen          schwindigkeit durch Wasserkraftwerke gebremst
Bundestaaten Oaxaca und Puebla (siehe Artikel).       wird, verrotten organische Materialien zu Me-
Doch derartiger Widerstand wird oft kriminali-        thangas. Methan ist nach Angaben des deutschen
siert oder gewaltsam unterdrückt. Bekanntestes        Umweltbundesamts ein 25mal stärker wirkendes
Beispiel ist sicher der Fall von Berta Cáceres, die   Treibhausgas als Kohlendioxid. Aus diesem Grund
im März vergangenen Jahres ermordet worden            emittiert das Wasserkraftwerk Balbina im bra-
ist, was für weltweite Empörung sorgte. Grund         silianischen Amazonasgebiet mehr Treibhaus-
für den Mord an ihr war, dass sie den Widerstand      gase, als ein modernes Gaskraftwerk, wie der
gegen das geplante Kleinwasserkraftwerk Agua          amerikanische Wissenschaftler Philipp Fearnsi-
Zarca organisierte (siehe Artikel). Doch auch in      de berechnet hat. Mit diesem Dossier wollen wir
anderen Ländern werden Staudämme gewaltsam            die Diskussion um die Wasserkraft bereichern und
gegen den Willen der lokalen Bevölkerung durch-       auf die weniger bekannten problematischen
gesetzt. Betroffen sind meist indigene Gemein-        Aspekte dieser Technologie aufmerksam machen.
den und so reproduzieren sich in den Konflikten       Es lohnt sich, diese Technologie, die in der Ver-
um Wasserkraftwerke koloniale Gewaltverhält-          gangenheit oft überschwänglich als „grün“, „ver-
nisse, wie der Konflikt um das Projekt Oxec II in     lässlich“ und „nachhaltig“ tituliert wurde, neu
Guatemala zeigt (siehe Artikel).                      zu bewerten.
Sowohl am Kraftwerkprojekt Oxec II als auch Agua
Zarca sind europäische und deutsche Akteure be-              // Thilo F. Papacek, GegenStrömung
teiligt. Europäische und deutsche Konzerne fi-
nanzieren, versichern und beliefern Wasser-
kraftwerksprojekte in ganz Lateinamerika. So wird
auch das hochumstrittene Staudammprojekt in
Panama, Barro Blanco, dass das Territorium der
indigenen Ngöbe Bugle bedroht, von der Deut-
schen Entwicklungsgesellschaft mbH, einer Toch-
ter der Kreditanstalt für Wiederaufbau,
mitfinanziert (siehe Artikel).
Staudammbefürworter*innen leugnen meist die-
se negativen Konsequenzen der Wasserkraftnut-
zung nicht, sagen aber, dass die positiven Seiten
die negativen überwiegen. Ein Aspekt, der gerne

                                                                                                LN-Dossier ★ 7
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WASSERKRAFT IN LATEINAMERIKA

VOLLENDETE TATSACHEN
UMFANGREICHE ZUGESTÄNDNISSE AN DIE INDIGENEN AN DEM FLUSS TABASARÁ,
NACHDEM DAS WASSERKRAFTWERK BARRO BLANCO FERTIGGESTELLT IST

      Nach 18 Jahren wurde der Konflikt um den              Studie über die Umweltverträglichkeit des Projekts
      Barro Blanco Staudamm im August 2016 offi-            durch und befragte die lokale Bevölkerung – doch
      ziell beendet. Vertreter*innen der Ngäbe-Buglé        die Gemeinden, die entlang des Flusses leben und
      und der Regierung unterschrieben einen Ver-           somit direkt von den Flutungen betroffen wären,
      trag, der den Indigenen viele ihrer Rechte zu-        wurden niemals in diese Beratungen einbezogen.
      rückgibt. Doch Zweifel an einer dauerhaften           „Das Volk der Ngäbe-Buglé wurde zu keinem Zeit-
                                                                                                                  Foto: Carb
      Befriedung bleiben.                                   punkt konsultiert. Es hat dieses Projekt nie akzep-
                                                            tiert“, so Binns. Der Congreso General, die höchste
      „Wir werden alles dafür tun, dass dieses Wasser-      Entscheidungsinstanz der Comarca, hätte nie über
      kraftwerk nicht in Gang kommt“, versprach Este-       Barro Blanco entscheiden dürfen. Schlimmer noch:
      ban Binns vor beinahe genau einem Jahr. Gerade        In der Umweltverträglichkeitsstudie heißt es, in
      saß er an einem Tisch mit der panamaischen Re-        dem Gebiet gäbe es „keine indigenen Gemeinden
      gierung und beriet die indigenen Repräsen-            von Bedeutung“.
      tant*innen in den Verhandlungen um den                Nach dem Amtsantritt der Regierung unter Ricar-
      Staudamm. Der Mathematiker stammt aus Taba-           do Martinelli im Jahr 2009 spitzte sich die Lage
      sará im Westen Panamas, durch die der gleichna-       deutlich zu. In einem höchst intransparenten Pro-
      mige Fluss fließt, welcher für ein Wasserkraftwerk    zess wurde die ursprünglich geplante Kapazität des
      gestaut werden soll. Dafür würde die Heimat der       Staudamms von 19 auf 29 Megawatt angehoben.
      Indigenen Ngäbe-Buglé geflutet werden. Die Bau-       Das heißt: Der Damm sollte 20 Meter höher, das
      arbeiten waren zu diesem Zeitpunkt bereits abge-      Wasserreservoir um fast 30 Hektar größer und die
      schlossen und die Flutungen hatten inoffiziell        umliegenden Gebiete um ein fünf Meter höheres
      begonnen. Nach monatelanger Diskussion haben          Niveau geflutet werden. Eine erforderliche neu auf-
      sich beide Parteien im vergangenen August nun         gezogene Studie über mögliche Auswirkungen blieb
      geeinigt und einen Vertrag unterzeichnet. Doch
      sein Versprechen konnte Binns nicht halten.
      Der Barro Blanco Staudamm ist die Ursache eines         Die holländische FMO und die
      der längsten und kompliziertesten Konflikte in Pa-      Deutsche DEG finanzieren Barro
      nama: 18 Jahre dauert er bereits. Nachdem der erste     Blanco.
      Entwurf 1981 an den massiven Protesten der loka-
      len Bevölkerung gescheitert war, wurde das Pro-
      jekt Ende der 90er Jahre wieder aufgegriffen.         hingegen aus, es wurde sich weiterhin auf die erste
      Damals trug es noch den Namen Tabasará. 1999          Studie bezogen. Anfang 2011 begannen die Bauar-
      mündeten erste Demonstrationen in Festnahmen          beiten.
      und die Ngäbe-Buglé begannen sich als Movimien-       Die holländische FMO und die Deutsche Investiti-
      to 10 de Abril (M10) zu organisieren. Damalige Ge-    ons- und Entwicklungsgesellschaft (DEG), Toch-
      setze verhinderten schließlich die Umsetzung des      ter der KfW, finanzieren Barro Blanco mit jeweils
      Vorhabens.                                            25 Millionen Dollar. Nach eigener Aussage inves-
      In den darauf folgenden Jahren wurden daraufhin       tieren sie damit in „grünen Strom“, der bis zu
      wesentliche Teile des panamaischen Umweltrechts       70.000 Menschen versorgen würde. Auf ihrer Ho-
      verändert. Das eigens für diesen Zweck gegründe-      mepage erklärt die DEG, sie trage zu „dauerhaft
      te Unternehmen GENISA erhielt somit 2007 die Ge-      besseren Lebensbedingungen in Entwicklungslän-
      nehmigung für den Bau des Staudamms, nun unter        dern“ bei.
      dem Namen Barro Blanco. GENISA führte zwar eine       Was ist mit den Ngäbe-Buglé? Den Informationen

8 ★ LN-Dossier
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WASSERKRAFT IN LATEINAMERIKA

Foto: Carbon Market Watch (CCBY-ND20)

               Bedrohte Landschaft Die Gebiete um den Fluss Tabasará im Westen Panamas sollen geflutet werden

            der DEG nach hätte es eine Einigung zwischen GE-      So tagte ab Februar 2015 der Runde Tisch zwischen
            NISA und der Comarca gegeben. Das Unternehmen         Vertreter*innen der Regierung und den Ngäbe-
            hätte Vertreter*innen der indigenen Bevölkerung       Buglé. Sie riefen im August 2015 einen „Techni-
            mehrfach über das Vorhaben informiert. Erst spä-      schen Tisch“ ins Leben, um eine Lösung zu finden,
            ter hätte sich herausgestellt, dass sich nicht alle   ohne weitere Menschenleben zu opfern. „Die Kon-
            Indigenen vertreten gefühlt und dem Projekt zu-       sequenz war der Acuerdo de Barro Blanco vom 22.
            gestimmt hätten.                                      August 2016, mit der Unterstützung von sieben Ex-
            Die Bank nehme, betont Fachreferentin Schrahe-
            Timera, „Kritik an ihrer Arbeit sehr ernst“. Ein
            spezieller Beschwerdemechanismus stehe sowohl           Binns wurde vor fünf Jahren von
            Organisationen als auch Einzelpersonen offen, die
            sich beeinträchtigt fühlen. Indigene aus Tabasará
                                                                    Polizist*innen bewusstlos ge-
            nahmen dies 2014 wahr, erzählt auch Esteban             schlagen.
            Binns. Allerdings kam das unabhängige Gremium,
            das die Beschwerde prüfte, zu dem Schluss, dass
            die Banken ihre Kredite im Einklang mit ihren         pert*innen auf der Seite der Ngäbe-Buglé.“ Im
            Standards vergeben hätten. Auf diese verweist auch    September schrieb Präsident Varela auf seiner Fa-
            Schrahe-Timera, wie die Umwelt- und Sozialprin-       cebook-Seite: „Mit der Unterzeichnung dieses Ab-
            zipien der European Development Finance Insti-        kommens haben wir klare Ziele erreicht, die den
            tution, die Konventionen der Internationalen          Ngäbe-Buglé zugutekommen.“
            Labour Organisation und die Guiding Principles der    Der Vertrag wirkt zunächst wie ein großer Erfolg für
            Vereinten Nationen.                                   die Ngäbe-Buglé. Viele ihrer Forderungen sind dort
            Demgegenüber stehen drei Tote und mehr als hun-       umgesetzt. So soll das Unternehmen GENISA die
            dert Verletzte, die der Konflikt bereits gekostet     Geschäfte an eine Treuhandgesellschaft abtreten.
            habe, berichtet Carbon Market Watch. Binns spricht    Die Darlehen der deutschen, niederländischen und
            sogar von zwölf Toten. Er selbst wurde vor fünf       zentralamerikanischen Entwicklungsbanken DEG,
            Jahren von Polizisten bewusstlos geschlagen. Nur      FMO und BCIE werden gekündigt. Das Wasserkraft-
            mit Glück überlebte er.                               werk soll zukünftig Eigentum eines staatlichen Un-
            Trotz aller Gewalt, oder gerade deshalb, konnte der   ternehmens mit mindestens 51-prozentiger
            Konflikt nicht auf der Straße gelöst werden,          Beteiligung der lokalen Gemeinden der Ngäbe-Buglé
            schreibt er in seinem Blog: „Die Krise dauert an.“    werden. Zudem soll der südliche Distrikt Müna von

                                                                                                                LN-Dossier ★ 9
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WASSERKRAFT IN LATEINAMERIKA

      der Stromversorgung des Wasserkraftwerks profi-         biet wurde ignoriert oder zugunsten des Stau-
      tieren. Auch über Barro Blanco hinaus trifft der Ver-   damms angewandt.
      trag Vorkehrungen: Die Regierung wird alle weiteren     Beobachter*innen erwidern häufig, dass sich viele
      Wasserkraftprojekte am Tabasará beenden. Alle zu-       der Ngäbe-Buglé durch die offiziellen Verhand-
      künftigen Projekte in der Comarca Ngäbe-Buglé           lungsführer*innen nicht repräsentiert gefühlt und
      müssen erst durch ein Referendum der Bewoh-             dem Projekt niemals zugestimmt hätten.
                                                              Zu diesem Ergebnis kam auch die Deutsche Inves-
                                                              titions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG),
        Die Ngäbe-Bugle fühlten sich                          nachdem sie die Vertreter*innen der indigenen Be-
        durch die Comarca nicht reprä-                        völkerung mehrfach über das Vorhaben informiert
        sentiert.                                             hatte und die starken Proteste trotz einer Einigung
                                                              zwischen GENISA und der Comarca andauerten.
                                                              Erst später hätte sich herausgestellt, dass sich nicht
      ner*innen und durch die Zustimmung des lokalen          alle Indigenen vertreten fühlten und dem Projekt
      Kongresses autorisiert werden. „Es ist nicht das,       zugestimmt hätten. Zu den Konsequenzen aus dem
      was wir wollten“, gibt Binns zu. „Aber wir verste-      Vertrag zwischen Regierung und Ngäbe-Buglé
      hen die Schwierigkeit der Situation, die durch die      nimmt die DEG derzeit keine Stellung. Auf der Ho-
      verantwortungslosen früheren Regierungen ent-           mepage heißt es weiterhin, das Projekt werde um-
      standen ist. Mit der Vereinbarung fordern wir die       gesetzt.
      Rechte der Betroffenen ein.“                            Vor wenigen Wochen berichtete der Nachrichten-
      Nun gilt es abzuwarten. Die Protestierenden wur-        sender TVN Notícias, dass drei Demonstrant*innen
      den in den vergangenen Jahren oft enttäuscht, das       – unter ihnen der M10-Aktivist Manolo Miranda
      Vertrauen ist stark gesunken, denn zu oft führte        – angeklagt worden seien, weil sie die Bauarbei-
      GENISA entgegen aller Abmachungen die Flutun-           ten behindert hätten. Sie hätten die Zufahrt zum
      gen weiter fort. In seinem Blog-Eintrag beschreibt      Kraftwerk blockiert. Das Urteil werde im August
      Binns, wie die Rechte der indigenen Bevölkerung         verkündet, ein Freispruch sei laut diverser Juris-
      im Laufe der Jahre geschwächt wurden. Barro Blan-       ten*innen aber sehr wahrscheinlich. Schließlich
      co ist das anschaulichste Beispiel dafür. Das Recht     hätte die Blockade nicht nur aus den drei Ange-
      der Ngäbe-Buglé auf Konsultierung und Zustim-           klagten bestanden.
      mung zu dem Entwicklungsprojekt in ihrem Ge-
                                                                                           // Leonie Düngefeld

                                                                                                                       Foto: Urgewald

                  Keine Staatskohle für
                         Wasserkraft
          Protest vor dem DEG-Gebäude

10 ★ LN-Dossier
WARRERKRAFT IN LATEINAMERIKA

GRÜNE LUNGE IN GEFAHR
EIN LAUFWASSERKRAFTWERK BEDROHT DIE „GRÜNE LUNGE“ DER CHILENISCHEN
HAUPTSTADT SANTIAGO

                                                                                      Foto: Nicolas Figueroa Peña (CC BY-SA 2.0)

   Das Wasserkraftprojekt Alto Maipo in der Nähe         Trinkwasserversorgung des Ballungsraums um die
   von Santiago de Chile bedroht nicht nur ein           Hauptstadt hängt von dem Gebirgsfluss ab. Zudem
   wichtiges Naherholungsgebiet, sondern auch            wird das Tal intensiv von der lokalen Bevölkerung
   die Trinkwasserversorgung der Metropole.              für den Anbau von Nahrungsmitteln genutzt.
   Mehrere deutsche Unternehmen und Finanz-              So ist es kein Wunder, dass sich früh Widerstand
   institutionen beteiligen sich an diesem um-           gegen ein Wasserkraftprojekt formierte, das dieses
   strittenen Bauvorhaben. Wenn das Kraftwerk            Tal gefährdet. Im Jahr 2007 wurden die Pläne für
   fertig gestellt wird, soll es vor allem Energie       das Wasserkraftprojekt Alto Maipo bekannt, und
   für den Kupfertagebau Los Pelambres liefern.          schnell bildete sich ein breites Widerstandsbünd-
                                                         nis aus Umwelt- und Tourismusverbänden, loka-
   Sie ist die „grüne Lunge“ der sechs Millionen Ein-    len Aktivist*innen, Gewerkschaften, Anwält*innen
   wohner*innen zählenden Hauptstadt Santiago de         und Politiker*innen unter dem Namen „Red Me-
   Chile: Die Schlucht Cajón del Maipo rund um den       tropolitana No Alto Maipo“.
   Flusslauf des Maipo ist ein beliebtes Naherholungs-   Das Wasserkraftprojekt Alto Maipo wird seit 2013
   gebiet für die Hauptstädter*innen. Insbesondere       in rund 2.500 Metern Höhe am oberen Flussverlauf
   das Gebiet um den Nationalpark El Morado mit sei-     des Río Maipo im Gemeindegebiet von San José de
   nen Vulkanen und Gletschern wird gerne für Wan-       Maipo gebaut. Etwa 50 km südöstlich der chileni-
   dertouren oder andere Outdoor-Sportarten genutzt.     schen Hauptstadt Santiago soll der Laufwas-
   Doch auch für die Wasserversorgung der chileni-       serkraftwerkkomplex entstehen. Befürworter*innen
   schen Hauptstadt ist der Río Maipo wichtig: Die       bewerben es als saubere Energiequelle: Das Wasser

                                                                                                       LN-Dossier ★ 11
WARRERKRAFT IN LATEINAMERIKA

      der Quellflüsse des Río Maipo – der Flüsse Volcán,     Bauarbeiten. Eigentlich sollte das Projekt bereits in
      Yeso und Colorado – soll teilweise abgezweigt und      diesem Jahr fertiggestellt werden; inzwischen rech-
      über insgesamt etwa 46,5 Kilometer lange Beton-        net kaum jemand damit, dass das Kraftwerk vor
      röhren zu den unterirdischen Kraftwerken Alfalfal      2020 in Betrieb gehen kann. Dies liegt unter ande-
      II und Las Lajas geleitet werden, wo mit Turbinen      rem an erfolgreichen Streiks der Bauarbeiter*innen
      elektrische Energie erzeugt werden soll. Zusammen      für höhere Löhne. Ende 2016 legten die Angestell-
      soll der Komplex eine Gesamtkapazität von 531 MW       ten den Bau für zwei Monate komplett lahm. In-
      haben. Bereits mit dem ursprünglich geplanten Auf-     zwischen mussten die beteiligten Baufirmen für
      tragsvolumen von rund 750 Millionen US-Dollar ist      Hunderte Beschäftigte monatlich je 600 US-Dollar
                                                             Löhne nach zahlen.
                                                             Namhafte deutsche, österreichische und italieni-
        Das Wasserkraftwerk soll haupt-                      sche Firmen und Banken sind an dem Projekt be-
                                                             teiligt, darunter federführend das deutsche
        sächlich der Energieversorgung der                   Unternehmen Voith Hydro. Das Joint Venture der
        Bergbauindustrie dienen.                             Siemens AG und der Voith GmbH zeichnet für die
                                                             komplette elektromechanische Ausrüstung des Vor-
                                                             habens verantwortlich. Das heißt, die Turbinen und
      es eines der größten privaten Bauvorhaben in Süd-      Generatoren werden von den brasilianischen und
      amerika.                                               chilenischen Niederlassungen des Heidenheimer
      Bauherr ist die Alto Maipo S.p.A., ein Tochterunter-   Konzerns gebaut. Dazu übernimmt der Konzern das
      nehmen des chilenischen Energieproduzenten und         gesamte Engineering, den Aufbau und die Inbe-
      -netzbetreibers AES Gener und des US-amerikani-        triebnahme des Kraftwerks.
      schen Mutterkonzerns AES Corporation. Alto Maipo       Für den Bau des Projektes ist die Constructora
      S.p.A. befand sich bis Anfang 2017 zu 60 Prozent im    Nuevo Maipo SpA zuständig, ein Baukonsortium,
      Besitz von AES Gener und zu 40 Prozent im Besitz
      des chilenischen Bergbaukonzerns Antofagasta Mi-
      nerales, deren Eigentümer die Milliardärs-Familie        Inzwischen kalkuliert die verant-
      Luksic ist.                                              wortliche Firma Gesamtkosten von
      Dass ein Bergbauunternehmen Miteigentümer des            2,05 Milliarden US-Dollar.
      Kraftwerks war, ist kein Zufall. Das Laufwasser-
      kraftwerkprojekt Alto Maipo soll hauptsächlich der
      Energieversorgung der expandierenden Bergbau-          an dem die deutsche HOCHTIEF A.G., der italieni-
      industrie dienen. Wichtigster Konsument des            sche C.M.C. di Ravenna und die chilenische Toch-
      Stroms soll das Kupferbergwerk Los Pelambres           terfirma der österreichischen Strabag AG beteiligt
      werden, das Antofagasta Minerales gehört.              sind. Angeführt wird das Baukonsortium von der
      Anfang dieses Jahres ist Antofagasta Minerales aber    deutschen Firma Hochtief, die für die Detailpla-
      aus dem Projekt ausgestiegen. Grund waren die ge-      nung und den Bau der Tief- und Ingenieurbauar-
      stiegenen Baukosten, die auf das Dreifache des an-     beiten zuständig ist.
      fangs geplanten Budgets explodiert sind.               Dabei kam es aber Anfang Juni zu Unstimmigkei-
      Inzwischen kalkuliert die verantwortliche Firma        ten zwischen Hochtief und AES Gener: AES Gener
      Gesamtkosten von 2,05 Milliarden US-Dollar – und       wollte die Tunnel bohren lassen, weil dies schnel-
      weitere Kostensteigerungen sind wahrscheinlich.        ler geht und billiger ist. Doch Hochtief bevorzugt
      Dadurch geriet AES im Januar 2017 in Finanzie-         ein anderes Vortriebverfahren, das zwar langsa-
      rungs-schwierigkeiten. Schließlich übernahm die        mer, aber auch sicherer ist. Hochtief argumentiert,
      Muttergesellschaft AES Gener (USA) die 40 Prozent      dass bei der Gesteinsart, die im Maipo-Tal vor-
      Anteile, die Antofagasta Minerales abstoßen woll-      kommt, das schnellere und billigere Bohrverfahren
      te. Auch wenn das Bergbauunternehmen nun nicht         die Sicherheit der Arbeiter*innen aufs Spiel setzen
      mehr zu den Eigentümern des Kraftwerks zählt,          würde. Da es keine Einigung gab, wurde der Ver-
      bleibt der Vertrag bestehen, dass die Energie von      trag zwischen dem Baukonsortium und AES Gener
      Alto Maipo zuerst an den Tagebau Los Pelambres         Anfang Juni gekündigt. Ein Schiedsgericht in New
      geliefert werden soll.                                 York soll nun über den Streitfall entscheiden.
      Grund für die massiv gestiegenen Baukosten beim        Kurz vor Redaktionsschluss wurde bekannt, dass
      Projekt Alto Maipo waren Verzögerungen bei den         das Konsortium, das das Projekt Alto Maipo finan-

12 ★ LN-Dossier
Foto: Telly Gacitua (CC BY-NC 2.0)
                                                                                                     WARRERKRAFT IN LATEINAMERIKA

                                                  „Kein Alto Maipo“ Protest-Wandbild gegen das geplante Wasserkraftprojekt

ziert, stark durch den Ausstieg von Hochtief aus                                      terstützt. Denn es ist alles andere als unumstritten,
dem Projekt verunsichert ist. Durch den Ausstieg                                      dass es sich bei Alto Maipo um ein umweltfreund-
von Hochtief würden sich die Kosten noch einmal                                       liches Energieprojekt handelt.
um mindestens 40 Millionen US-Dollar erhöhen,                                         Die Bürgerinitiative gegen Alto Maipo ließ mehre-
erklärte AES Gener. Eventuell soll die Österreichi-                                   re unabhängige Gegenuntersuchungen anfertigen.
sche Strabag einspringen und Anteile des Kraft-                                       Aus diesen geht hervor, dass gravierende Umwelt-
werks übernehmen.                                                                     auswirkungen auf Flora und Fauna zu erwarten
Doch diese Umstrukturierung verursacht Unsicher-                                      wären. Eine Studie unter Leitung des renommier-
heit, und die sieht das Finanzkonsortium natürlich
nicht gerne. Einige der beteiligten Banken drohten
Medienberichten zufolge, den Geldhahn zuzudre-                                          Das Widerstandsbündnis stellte
hen, wenn nicht ein detaillierter Plan vorgelegt                                        über 20 Strafanzeigen gegen die
wird, der erklärt, wie der Bau nun weitergehen soll.                                    Bauherren.
Das Finanzkonsortium hat beträchtlichen Einfluss,
denn es hat Kredite über 60 Prozent der entstehen-
den Kosten zugesagt. Insgesamt handelt es sich um                                     ten Toxikologen Prof. Dr. Andrei Tchernitchin von
einen Kredit über rund 1,2 Milliarden US-Dollar mit                                   der Universität Chile von 2015 zeigte, dass die Ge-
einer Laufzeit von 20 Jahren. Das Konsortium be-                                      wässer in der Maipo-Schlucht durch die Bauarbei-
steht aus acht südamerikanischen, europäischen                                        ten am Wasserkraftprojekt mit toxischen Metalle
und internationalen Banken. Darunter befinden sich                                    wie Arsen, Nickel, Blei und Mangan kontaminiert
die Weltbanktochter International Finance Corpo-                                      werden. Für Blei wurden die zulässigen Grenzwer-
ration und eine Tochter der deutschen Kreditan-                                       ten sogar um mehr als 5.000 Prozent überschrit-
stalt für Wiederaufbau (KfW), die KfW-IPEX-Bank.                                      ten. Das Wasser des Rio Maipo sei wegen der
Auf ihrer Homepage wirbt die halbstaatliche KfW-                                      Gesundheitsgefahren nicht mehr für den mensch-
IPEX, dass sie „innovative Energie- und Umwelt-                                       lichen Verbrauch sicher, so die Studie.
projekte“ finanzieren und damit „eine nachhalti-                                      In den vergangenen drei Jahren stellte das Wider-
ge Energieversorgung“ sichern würde. Verschiedene                                     standsbündnis deshalb über 20 Strafanzeigen gegen
deutsche Organisationen wie Misereor und Gegen-                                       die Bauherren. Sie warfen ihnen gravierende Ver-
Strömung kritisieren dagegen, dass eine deutsche                                      stöße gegen die Umweltauflagen vor, die in der
halbstaatliche Bank das Projekt mit Krediten un-                                      Umweltverträglichkeitsprüfung und der Baugeneh-

                                                                                                                                  LN-Dossier ★ 13
WARRERKRAFT IN LATEINAMERIKA

                                         migung aufgestellt worden waren. Ende Januar 2017        werden. Vor allem im Norden von Chile kommt es
                                         reagierte die Oberste Umweltbehörde endlich auf          immer wieder zu Umweltkatastrophen, wenn sol-
                                         die Klagen und kündigte Untersuchungen an. Nun           che tailings bei Starkregenfällen über ihre Dämme
                                         prüft die Umweltbehörde, ob die mit dem Bauherrn         treten.
                                         vereinbarten Auflagen auch eingehalten werden.           Deutschland unterhält eine strategische Rohstoff-
                                         Strafen wurden aber bislang nicht gegen AES Gener        partnerschaft mit Peru und Chile. 60 Prozent des
                                         ausgesprochen.                                           in Deutschland verarbeiteten Kupfers kommt aus
                                         Der Anwalt der Nichtregierungsorganisation „Be-          Lateinamerika, vor allem aus diesen beiden Län-
                                         obachtungsstelle für Umweltkonflikte in Latein-          dern. Vor diesem Hintergrund stellte die Bundes-
                                         amerika“ (OLCA), Álvaro Toro, berät das                  tagsfraktion „Bündnis 90/Die Grünen“ im April
                                         Widerstandsbündnis gegen Alto Maipo. Ihm zufol-          2017 eine kleine Anfrage an die Bundesregierung zu
                                         ge ist die geltende Umweltgesetzgebung in Chile zu       „Umweltverschmutzung und Menschenrechtsver-
                                         schwach. Er erwartet deshalb, dass die Umweltbe-         stöße beim Kupferbergbau“, in der sie auch auf Alto
                                         hörde den Bauherren einen Freifahrtschein aus-           Maipo und die Verbindungen zu Los Pelambres und
                                         stellt und erklären wird, dass das Unternehmen die       die daraus resultierenden Umweltprobleme einging.
                                         Auflagen erfüllt. In Chile ist es üblich, dass Um-       Doch die Antwort der Bundesregierung war eher
                                         weltkonflikte zugunsten von Unternehmen ent-             ausweichend: Die zivilgesellschaftlichen Proteste
                                         schieden werden.                                         gegen Alto Maipo würden zeigen, dass die Bevöl-
                                         Doch nicht nur das Wasserkraftwerk selbst gefähr-        kerung „ihre Kontrollfunktion wahrnähme“. Bes-
                                         det Menschen und Umwelt, sondern auch das Pro-           ser wäre es aber, wenn auch die Bundesregierung
                                         jekt, das die Energie hauptsächlich nutzen wird.         ihre Kontrollfunktion bei der KfW-IPEX erfüllen
                                         Vom Kupfertagebau Los Pelambres gehen massive            würde. Dann würde die halbstaatliche Bank viel-
                                         Umweltprobleme aus. Der Oberste Gerichtshof Chi-         leicht nicht mehr so umweltschädliche Projekte wie
                                         les hat Antofagasta Minerales bereits verurteilt, weil   Alto Maipo finanzieren.
                                         von dem Tagebau Los Pelambres Wasserverschmut-
                                         zungen durch Schwermetalle ausgingen. Der Kon-                     // Ulrike Bickel und Thilo Papacek
                                         zern     musste     die    Staubecken     für      die
                                         Bergbauabwässer (sogenannte tailings) umverle-
                                         gen, damit Nachbargemeinden nicht kontaminiert

                                           Cajón del Maipo Ein beliebtes Naherholungsgebiet für die Hauptstädter*innen
  Foto: Mariana Leon (CC BY-NC-ND 2.0)

14 ★ LN-Dossier
WARRESKSAFT IN LATEINAMESIKA

ECHREN GEGEN DÄMME
INTERVIEW MIT DER REPTILIENFORSCHERIN DR. CLAUDIA KOCH ÜBER DIE
ÖKOLOGISCHE BEDEUTUNG DER TROCKENWÄLDER IM MARAÑÓN

    Die Biologin Dr. Claudia Koch arbeitet seit 2005
    zu den kaum erforschten Trockenwäldern des
    Marañóntals in Peru und hat dabei elf zuvor
    unbekannte Arten entdeckt. Mit ihr sprachen
    wir über dieses einzigartige Ökosystem und
    was die Konsequenzen wären, wenn es durch
    den geplanten Bau von 20 Staudämmen am
    Marañón zerstört würde.

                                                                                                         Foto: Claudia Koch
    Frau Dr. Koch, seit wann beschäftigen Sie sich
    mit den Trockenwäldern im Marañón-Tal?
    Zum ersten Mal war ich 2005 im Marañón-Tal,
    für nur vier Tage, im Rahmen meiner Diplom-
    arbeit. Ich wollte eigentlich nur die dortige Rep-   DS. CLAUDIA KOCH
    tilienfauna mit der in den Trockenwäldern an         ist Kuratorin für Herpetologie (Amphibien-
    der Küste vergleichen. Aber da haben wir in vier     und Reptilienforschung) am Zoologischen
    Tagen vier neue Arten gefunden und festgestellt,     Forschungsmuseum Alexander Koenig in
    dass da noch ein offenes Forschungsfeld exis-        Bonn. Seit 2005 beschäftigt sie sich mit der
    tiert. Und so habe ich entschieden, dass ich ger-    Reptilienfauna der Trockenwälder in Nord-
    ne meine Doktorarbeit zu dem Thema machen            peru. Im Jahr 2014 promovierte sie zu diesem
    würde und mich intensiver den inner-andinen          Thema im Marañón-Tal. Auf vier ver-
    Reptilienarten widmen wollte. Ab 2008 habe ich       schiedenen Forschungsaufenthalten hat sie
    dann die erste Forschungsreise dorthin unter-        22 Untersuchungsgebiete in diesem wenig er-
    nommen und bis 2010 bin ich viermal in das           forschten Ökosystem besucht und dabei
    Marañón-Tal gefahren, jeweils für mehrere Mo-        zahlreiche neue Arten entdeckt, von denen elf
    nate. In 22 Untersuchungsgebieten habe ich dann      bereits durch sie und ihre peruanischen
    die Reptilien- und Amphibienfauna dokumen-           Kolleg*innen beschrieben wurden. Die Rep-
    tiert.                                               tilienarten im Marañón-Tal sind weiterhin
                                                         ihr Spezialgebiet, denn die Wissenschaftler-
    Was ist denn das besondere an diesen Trocken-        in und ihre Kolleg*innen wollen möglichst
    wäldern im Marañón-Tal?                              viel über diese Arten erfahren, bevor diese
    Die Artenzusammensetzung in diesem Lebens-           möglicherweise den geplanten Staudämmen
    raum ist wirklich einzigartig, sie ist so nirgend-   zum Opfer fallen.
    wo sonst zu finden. Wenn dieser Trockenwald
    verloren geht, dann ist dieses Ökosystem für
    immer weg. Da geht es nicht nur um Reptilien,        Naturschützer*innen sehen sich manchmal
    sondern auch um Amphibien, verschiedene              mit dem Argument konfrontiert, dass es ja für
    Pflanzenarten und andere Tierarten, die nur dort     die Menschen egal wäre, wenn ein paar Am-
    vertreten sind. Bei den Reptilien und Amphibi-       phibien- und Reptilienarten nicht mehr vor-
    en sind etwa 50 Prozent aller dort vorkommen-        kommen. Was wären denn die Auswirkungen
    den Arten endemisch, also kommen nur dort            auf Menschen und Gesellschaft, wenn diese
    vor.                                                 endemischen Arten aussterben würden?

                                                                                              LN-Dossier ★ 15
WARRESKSAFT IN LATEINAMESIKA
   Foto: Claudia Koch

                          Ameiva aggerecusans Das Aussterben von Reptilien und Amphibien wirkt sich auch auf den Menschen aus

                        Mit Sicherheit hätte das Aussterben dieser Ar-       Würden die Staudämme, wenn sie denn ge-
                        ten auch Auswirkungen auf die Menschen. Dort         baut werden, auch Konsequenzen haben, die
                        gibt es zum Beispiel große Probleme mit Mäu-         über das Marañón-Tal hinausgehen?
                        sen und Ratten, wie überall, wo man Landwirt-        Ja, viele der Amazonas-Fischarten leben zwar
                        schaft betreibt. Und da sind Reptilien,              vor allem im Flussunterlauf. Zum Laichen mi-
                        insbesondere die Schlangen, ein wichtiger Fak-       grieren sie aber in die Flussoberläufe. Wenn dann
                        tor, um diese Mäuse- und Rattenpopulationen          eine Staumauer den Weg unterbricht, dann kön-
                        im Zaum zu halten. In diesen Tälern gibt es auch     nen sich diese Arten nicht mehr reproduzieren.
                        Reisfelder, und in denen sitzen haufenweise          Von diesen Fischarten ernähren sich viele Men-
                        Frösche und Kröten drin, die die Mücken fres-        schen im amazonischen Tiefland. Außerdem ist
                        sen. Die Geckos in den Häusern fressen die In-       der Marañón der Hauptquellfluss des Amazonas
                        sekten. Wenn da mehrere Arten einfach                und bringt also auch die meisten Sedimente in
                        aussterben, müssen die Menschen mit größeren         dieses Flusssystem. Diese Sedimente aus den
                        Insektenplagen rechnen.                              Anden werden dann über den gesamten Ama-
                        Die Leute in den Dörfern leben auch viel von den     zonas verteilt und haben da auch eine wichtige
                        Fischen, die sie aus dem Fluss fangen. Das sind      Funktion. Die Staumauern der geplanten
                        aber alles Fließwasserfische, die das wahr-          Wasserkraftwerke würden verhindern, dass die-
                        scheinlich auch nicht besonders toll finden,         se Sedimente abfließen. Man kann gar nicht ab-
                        wenn sie auf einmal in einem gestauten See le-       schätzen, welche Folgen das für den
                        ben sollen. Das wird mit Sicherheit auch zu ei-      Nährstoffhaushalt der ganzen Amazonasregion
                        nem großen Artensterben führen und das betrifft      haben würde. All das wurde bei der Planung die-
                        dann natürlich auch die Bevölkerung, die vom         ser Staudämme nicht richtig berücksichtigt.
                        Fischfang lebt. Und es gibt viele derartiger kom-
                        plexer ökologischer Zusammenhänge. Man muss          Wie beurteilen Sie denn die Umweltverträg-
                        bedenken, dass ganz viele Tier- und Pflanzen-        lichkeitsstudien, die für diese Staudämme ge-
                        arten dort noch gar nicht untersucht worden          macht wurden?
                        sind, man kann also gar nicht wissen, was für        Einige meiner peruanischen Bekannten haben
                        andere Konsequenzen es haben könnte, wenn            solche Umweltverträglichkeitsstudien durchge-
                        diese Arten verschwinden. Man kennt die Zu-          führt. Da ist dann einmal für zwei Wochen ein
                        sammenhänge noch nicht wirklich und kann             Team in das entsprechende Gebiet gefahren, wo
                        deshalb die Folgen kaum abschätzen.                  der Staudamm gebaut werden soll, und hat Un-

16 ★ LN-Dossier
WARRESKSAFT IN LATEINAMESIKA

tersuchungen gemacht, um zu schauen, was da        ten würde. Ich habe dann nur gefragt: Haben die
für Arten vorkommen. Ich selber war in 22 Un-      denn vorher mal untersucht, welche Faktoren
tersuchungsgebieten und habe die meisten Ge-       das sind, die diese Tiere in ihrem jetzigen Ha-
biete mehrmals besucht. Da habe ich teilweise      bitat brauchen, und ob diese Faktoren auch in
in der einen Jahreszeit andere Arten gefunden,     dem neuen Lebensraum herrschen? Und ist auch
als in der anderen Jahreszeit. Mit einmal Hin-     untersucht worden, ob es nicht eine andere Art
gehen kann man nicht wirklich sagen, was für       gibt, die diese ökologische Nische bereits an dem
Arten dort vorkommen. Zum anderen muss man         neuen Lebensraum besetzt? Das ist natürlich al-
bedenken, dass durch einen Staudamm ja nicht       les nicht gemacht worden. Naja, diese Aktion hat
nur der eine Ort beeinflusst wird, wo die Stau-    nun auch keinen größeren Schaden angerichtet,
mauer gebaut wird, das reicht nicht, wenn man      als der Bau des Staudamms, aber es war natür-
sich nur diesen einen Ort anschaut. Die ganzen     lich eine völlig sinnlose Aktion.
Effekte, die diese Staudämme flussabwärts ha-
ben, werden in diesen Studien gar nicht berück-    Momentan wird ja Südamerika vom Odebrecht-
sichtigt. Vor allem wird auch nicht bedacht, wie   Korruptionsskandal erschüttert, und die mei-
viele andere Staudammprojekte geplant sind und     sten dieser Staudammprojekte gehen ja direkt
welchen Effekt sie zusammen haben werden.          von Brasilien und dieser Baufirma aus. Des-
Nach dem, was ich gehört habe, gibt es in dem      halb ist es wahrscheinlich, dass erstmal bei
Bereich auch überhaupt keine Absprache zwi-        diesen Bauprojekten eine Atempause eingelegt
schen Peru und Ecuador, also es wird gar nicht     wird. Doch die Gefahr besteht ja weiterhin, dass
berücksichtigt, welche Staudämme schon auf         diese Projekte realisiert werden. Was kann man
ecuadorianischer Seite im Einzugsgebiet des        denn machen, um den Marañón wirklich zu
Amazonas geplant sind.                             schützen?
                                                   Ja, da gibt es aktuell einige Anstrengungen, um
Das ist ja eigentlich absurd, dass da die kumu-    den Marañón zu schützen. Einige peruanische
lativen Effekte gar nicht berücksichtigt wer-      Bekannte haben bei der Naturschutzbehörde
den, es geht ja da um 20 Staudämme, die am         einen Antrag gestellt, um ein Naturschutzgebiet
Marañón geplant sind.                              im Marañón zu errichten. Bislang ist dieser in-
Ja, absolut. Wir haben deshalb auch zwei Repti-    ner-andine Teil des Trockenwaldes komplett
lienarten, die wir entdeckt haben, dementspre-     nicht geschützt. Da sind einige peruanische Na-
chend benannt. Insgesamt haben wir zahlreiche      turschutzorganisationen dabei, die dieses Pro-
weitere neue Arten entdeckt, von denen wir elf     jekt unterstützen wollen. Und dazu wollen die
bereits beschrieben haben. Darunter zwei Arten     auch eine große Kampagne machen, um ein grö-
aus der Gattung Ameiva, die wir nach dieser        ßeres Bewusstsein für dieses Problem unter der
Problematik benannt haben. Mit dieser Namens-      Bevölkerung zu schaffen.
gebung von Ameiva nodam, nach dem engli-           Und das haben wir mit unserer Benennung von
schen „No Dam“ und Ameiva aggerecusans,            Tierarten ja auch versucht. Wir haben auch eine
nach dem lateinischen Wort Agger für Staudamm      Geckoart nach Pachamama, dem Quechua-Wort
und recusare für zurückweisen, wollten wir ge-     für Mutter Erde, benannt. Das kennen ja alle
gen diese Staudammprojekte protestieren. Das       Leute dort, und das ist ja auch unsere Hoffnung:
hat auch einige Publicity in Peru gebracht, ich    Dass dadurch, dass wir den Namen einer Tier-
habe da auch ein paar Interviews geführt und       art der Mutter Erde widmen, sich die Leute stär-
das hat schon geholfen, für dieses Thema ein       ker ins Gedächtnis rufen, auch die Erde und die
bisschen mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.          Umwelt zu schützen.

Hatte dieser Protest dann auch weitere Konse-                       // Interview: Thilo F. Papacek
quenzen?
Naja, das mit den Echsen ist dann auch bis zu
den Betreibern eines Staudammprojektes durch-
gedrungen. Die haben dann einige Tiere dieser
Art eingefangen und sie an einer anderen Stelle
ausgesetzt, um die Echsenart dadurch zu retten.
Da wurde ich dann gefragt, was ich davon hal-

                                                                                           LN-Dossier ★ 17
WASSERKRAFT IN LATEINAMERIKA

SCHLECHTER DEAL
BOLIVIEN WILL MIT WASSERKRAFT ZUM STROMEXPORTEUR WERDEN – DIE
ERFOLGSAUSSICHTEN DES PROJEKTS SIND GERING

                                                                                                              Foto: Friends of the Earth International (CC BY-NC-ND 2.0)
      Boliviens Staatsfinanzen sind abhängig vom
      Export von Erdgas nach Brasilien und Ar-
      gentinien. Doch die Einnahmen sinken we-
      gen des niedrigen Gaspreises. Die Regierung
      will mit dem Export von Strom die Finanzie-
      rungslücke schließen. Doch die Idee ist zum
      Scheitern verurteilt, findet der Aktivist Pablo
      Solón, wie er im Interview erklärt.

      In kurzen Worten: Was sind die Projekte El
      Bala und Chepete?
      Geplant ist der Bau von zwei großen Wasserkraft-
      werken im Flusslauf des Beni. Die Namen stam-
      men von zwei Schluchten, durch die der Fluss
      verläuft. Das Kraftwerk von El Bala soll mit ei-
      ner Kapazität von 3.300 MW mehr Energie er-          PABLO SOLÓN
      zeugen als Chepete, das mit 350 MW Kapazität         ist ehemaliger Diplomat und derzeit Direktor
      deutlich kleiner ausfällt. Dafür würde bei Chepe-    der Fundación Solón. Er ist Sohn des Künstlers
      te der größere Stausee entstehen. Durch die Stau-    und Gründers der Stiftung, Walter Solón Ro-
      ung soll der Wasserspiegel um mehr als 150           mero. Als sozialer Aktivist hat er mit den Or-
      Meter angehoben werden. Dann würden 677 Qua-         ganisationen von Kleinbäuer*innen, Minen-
      dratkilometer Fläche überflutet werden. Der          arbeiter*innen und Indigenen zusammenge-
      Stausee von El Bala soll 94 Quadratkilometer         arbeitet. Er war ein Freund des heutigen Prä-
      überfluten, sodass insgesamt 771 Quadratkilo-        sidenten Boliviens, Evo Morales, der ihn 2006
      meter überflutet werden würden. Der Stausee von      bat, sich an seiner Regierung zu beteiligen.
      Chepete, der entstehen würde, wäre der dritt-        Von 2009 bis 2011 war er Botschafter Bolivi-
      größte See des Landes, fünf Mal größer als die       ens vor den Vereinten Nationen. Im Jahr 2011
      urbane Region von La Paz.                            legte Pablo Solón sein Amt nieder, da er die
      Alle diese Daten stammen aus der vorläufigen         von der Regierung geplante Straße durch das
      Umweltbilanz, die die italienische Firma Geoda-      Indigenenschutzgebiet und Nationalpark und
      ta im Auftrag der bolivianischen Regierung an-       das Isiboro-Secure (TIPNIS) ablehnte.
      gefertigt hat. Nach den Berechnungen von             Kurz nach diesem Interview erklärte die
      Geodata müssen etwa 5.100 Menschen umgesie-          bolivianische Regierung, dass sie eine Klage
      delt werden. Teile des Sees werden auch den Na-      gegen Pablo Solón anstrenge. Sie wirft ihm vor,
      tionalpark Madidi überfluten. Das Regenwald-         während seiner Zeit im diplomatischen Dienst
      gebiet gilt als eine Region mit der höchsten         sein Amt missbraucht zu haben. In Kreisen von
      Biodiversität auf dem Planeten. Insbesondere für     Nichtregierungsorganisationen geht man davon
      Säugetiere weist es die höchste Artenvielfalt        aus, dass die Regierung versucht, seine Kritk an
      weltweit auf. Er ist weltberühmt und ein wich-       El Bala und Chepete zum Schweigen zu bringen.
      tiger Touristenmagnet. Das Naturschutzgebiet         Sie können Pablo Solón auf der Homepage Fokus
      wird sehr stark beeinträchtigt werden. In der vor-   on the Global South eine Unterstützungsnachricht
      läufigen Umweltbilanz sind keine Maßnahmen           senden (englisch):
      beschrieben, um die Auswirkungen des Kraft-          http://bit.ly/2ucLvjM
      werks auf die Biodiversität abzumildern.

18 ★ LN-Dossier
Foto: Joe Lazarus (CC BY-NC-ND 2.0)

                                        Regenwald in Gefahr Der bedrohte Madidi Nationalpark weist eine große Artenvielfalt auf

                                      Wie ist der aktuelle Stand der Planungen?               livien existiert nicht. Es wird zwar verhandelt,
                                      Derzeit fertigt die Firma Geodata ein endgülti-         aber es gibt keinen Vertrag. Geodata rechnet in
                                      ges Projektdesign an. Auf dessen Grundlage sol-         ihren Studien mit einer Laufzeit von 50 Jahren
                                      len dann im kommenden Jahr die internationalen          für die geplanten Kraftwerke. Dementsprechend
                                      Ausschreibungen erfolgen. Für den Bau von Che-          müsste auch der Vertrag über den Kauf von Strom
                                      pete werden sechs Jahre veranschlagt. Nach den          eine Laufzeit von 50 Jahren haben. Die italieni-
                                      Berechnungen der Regierung wären dann die               sche Firma hat ebenfalls berechnet, dass sich das
                                      Bauarbeiten im Jahr 2025 abgeschlossen.                 Kraftwerk von Chepete nur dann lohne, wenn der
                                                                                              Verkaufspreis für den Strom über diesen Zeit-
                                      Wofür soll die Energie der Kraftwerke ver-              raum bei 70 US-Dollar pro Megawattstunde ($/
                                      wendet werden?                                          MWh) liegt. Damit sich El Bala lohnt, müsste der
                                      Die Energie, die in El Bala und Chepete erzeugt         Preis noch höher liegen, über 80 $/MWh. Der-
                                      werden soll, ist vor allem für den Export nach          zeit liegt aber der Strompreis in Brasilien bei et-
                                      Brasilien bestimmt. Derzeit hat Bolivien insge-         wa 52 $/MWh. Das bedeutet, dass das ganze
                                      samt 1.900 MW Kapazität in allen Kraftwerken            Projekt darauf wettet, dass der Strompreis in
                                      des Landes installiert. Das bedeutet, dass das          Brasilien in den nächsten Jahren enorm steigt.
                                      Land nur mit den beiden Wasserkraftwerken
                                      Chepete und El Bala fast doppelt so viel Energie        Dabei muss man berücksichtigen, dass Bra-
                                      erzeugen kann, wie alle heutigen bolivianischen         silien auch mehrere neue Kraftwerke am Ta-
                                      Kraftwerke zusammen. Es soll eine 1.300 Kilo-           pajós plant...
                                      meter lange Hochspannungsleitung bis nach               Absolut! Und zudem wachsen auch die brasilia-
                                      Cuiabá in Brasilien gebaut werden. Boliviens            nischen Investitionen in die Windenergie. Brasi-
                                      Regierung ist stark abhängig vom Export von Gas         lien hat bereits 9.000 MW Kapazität in
                                      nach Argentinien und Brasilien. Die ganzen So-          Windenergie installiert. Wir gehen davon aus,
                                      zialprogramme der MAS-Regierung hängen von              dass bis zur Fertigstellung von Chepete und El
                                      diesen Einnahmen ab. Doch die Gasreserven               Bala Brasilien diese Menge verdoppeln wird. Das
                                      schrumpfen und der Gaspreis ist gesunken. Der           wird den Strompreis in Brasilien eher senken als
                                      Export von Strom soll dafür Ersatz schaffen.            erhöhen. Nach unserer Meinung ist dieses gan-
                                                                                              ze Projekt deshalb ökonomisch völlig unsinnig.
                                      Erachten Sie dieses Modell des Exports von
                                      Strom nach Brasilien als sinnvoll?                      Warum wird das Projekt dennoch weiter
                                      Ich würde klar sagen: Nein. Bei einem so großen         verfolgt?
                                      Projekt benötigt man vorab einen klaren Vertrag         Bei der Lizenzvergabe an solche Großprojekte
                                      über die Abnahme der Energie, in dem die Strom-         bestehen große Probleme. Nach den boliviani-
                                      preise über einen langen Zeitraum festgelegt sind.      schen Gesetzen muss die Partei, die ein Projekt
                                      Doch so ein Vertrag zwischen Brasilien und Bo-          beantragt, auch die Umweltverträglichkeitsstu-

                                                                                                                                        LN-Dossier ★ 19
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