GESTAUTE STRÖME WASSERKRAFT: FLUCH ODER SEGEN FÜR LATEINAMERIKA? - Lateinamerika Nachrichten
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Gefördert von: Engagement Global im Auftrag des BMZ Misereor Stiftung Umverteilen Für den Inhalt dieser Publikation sind alleine die Herausgeber verantwortlich; die hier dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt von Engagement Global gGmbH und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, von Misereor oder der Stiftung Umverteilen wieder. V.i.S.d.P.: Thilo F. Papacek und Christian Russau LATEINAMERIKA NACHRICHTEN GEGENSTRÖMUNG // INFOE Gneisenaustr. 2a, D – 10961 Berlin Melchiorstraße 3 · Tel.: 030 / 694 61 00, Fax: 030 / 692 65 90 50670 Köln www.lateinamerika-nachrichten.de Tel. 02 21 / 7 39 28 71 redaktion@LN-Berlin.de Email: infoe@infoe.de Titelfoto: Christian Russau // Staudamm Belo Monte, Fluss Xingu, mit geflutetem Staureservoir, März 2016
INHALT WASSERKRAFT IN LATEINAMERIKA 4 Wasserkraft: Fluch oder Segen? // Kaum eine Weltregion hängt so stark von Wasserkraft ab wie Lateinamerika – mit gemischtem Erfolg PANAMA 8 Vollendete Tatsachen // Umfangreiche Zugeständnisse an die Indigenen an dem Fluss Tabasará nachdem das Wasserkraftwerk Barro Blanco fertiggestellt ist CHILE 11 Grüne Lunge in Gefahr // Ein Laufwasserkraftwerk bedroht die „grüne Lunge“ der chilenischen Hauptstadt Santiago PERU 15 Echsen gegen Dämme // Interview mit der Reptilienforscherin Dr. Claudia Koch über die ökologische Bedeutung der Trockenwälder im Marañón BOLIVIEN 18 Schlechter Deal // Bolivien will mit Wasserkraft zum Stromexporteur werden – die Erfolgsaussichten des Projekts sind gering BRASILIEN 22 Staudamm, Schiene, Schnitzel // Wie Staudämme und Wasserstraßen am Tapajós mit Bergbau und Soja in Mato Grosso und dem billigen deutschen Schnitzel zusammenhängen 28 „Dieses Entwicklungsmodell verursacht soziale Gewalt!“ // Mit dem Ende der Bauarbeiten am Kraftwerk Belo Monte nehmen Arbeitslosigkeit, Drogenkriminalität und Zwangsprostitution in Altamira zu GUATEMALA 31 Widerhall der Gräuel // Konflikte um Wasserkraftwerke wecken bei guatemaltekischen Indigenen Erinnerungen an die Vergangenheit VENEZUELA 34 Die andere Krise // Die Energieversorgung Venezuelas hängt maßgeblich von Wasserkraft ab HONDURAS 36 Mörderisches Projekt // Agua Zarca: Todesprojekt auf dem Territorium der Lenca MEXIKO 39 Freie Flüsse in Südmexiko // Erfolgreiche Staudamm-Widerstände in Oaxaca und Puebla
WASSERKRAFT IN LATEINAMERIKA WASSERKRAFT: FLUCH ODER SEGEN? KAUM EINE WELTREGION HÄNGT SO STARK VON WASSERKRAFT AB, WIE LATEINAMERIKA – MIT GEMISCHTEM ERFOLG In den 1960er und 1970er Jahren galten große ne und Investor*innen aus aller Welt organisie- Wasserkraftwerke als Voraussetzung für eine ren, die im Geschäft mit der Wasserkraft aktiv gute wirtschaftliche Entwicklung in Latein- sind. Auf dem diesjährigen Kongress der IHA, der amerika. Nach über 50 Jahren Erfahrung fra- im Mai in Addis Abeba stattfand, bezogen sich gen GegenStrömung und die Lateinamerika viele Diskussionen sowohl auf die UN-Ziele für Nachrichten in diesem Dossier nach den Folgen eine nachhaltige Entwicklung (SDG) als auch das der Wasserkraftnutzung in der Region. Dabei Pariser Klimaabkommen. Beide beinhalten die wollen wir vor allem auf die unbekannteren Verpflichtung, den Zugang zu Elektrizität und Auswirkungen dieser Technologie eingehen. Wasser unter Berücksichtigung des Klimawandels zu verbessern und die Wasserkraftindustrie ist „Erneuerbare Energien sind zweifellos die nach- darum bemüht, ihre Technologie als Lösung bei- haltigste Antwort auf den wachsenden weltwei- der Probleme darzustellen. ten Energiebedarf. Die Wasserkraft spielt eine Zentral- und insbesondere Südamerika sind Vor- entscheidende Rolle bei der nachhaltigen und um- zeigeregionen für die Wasserkraft. Von den zehn weltfreundlichen Stromerzeugung aus erneuer- größten Wasserkraftwerken der Welt stehen vier baren Energien und ist weltweit die größte in Südamerika. In Brasilien und Venezuela wer- erneuerbare Quelle für die Stromerzeugung.“ So den über 80 Prozent der genutzten Elektrizität steht es in einer Pressemitteilung des deutschen mit Wasserkraft generiert. Seit den 1960er Jahre Konzerns Voith Hydro, der zu den Marktführern investieren lateinamerikanische Länder massiv in bei der Produktion von Turbinen und anderer Wasserkraftwerke, da sie als Voraussetzung für Ausstattung für Wasserkraftwerke gehört. eine angestrebte wirtschaftliche Entwicklung gal- Die Argumentation erscheint schlüssig: Wasser- ten. Vorreiter war und ist vor allem Brasilien, das kraft ist eine grüne Energiequelle, da kein Erdöl, die Entwicklung dieser Technologie nicht nur im Gas oder Kohle zur Stromgewinnung verbrannt eigenen Land, sondern auch in den Nachbarstaa- werden. Auch der Einsatz radioaktiver Elemente ten, vorantreibt. So steht das zweitgrößte Wasser- ist für den Betrieb eines Wasserkraftwerks nicht kraftwerk der Welt, Itaipú, auf der Grenze notwendig. So erscheint Wasserkraft als älteste zwischen Brasilien und Paraguay und wird von ei- regenerative Energiequelle. nem binationalen Konzern kontrolliert. Gleichzeitig kann man mit Wasserkraftwerken Wasserkraft in Brasilien – Eine Erfolgsgeschich- weitestgehend zuverlässig enorme Mengen Ener- te? Viele deuten dies so. Die Industrie der größ- gie erzeugen. Von den weltweit zehn größten ten Volkswirtschaft Lateinamerikas hängt von der Kraftwerken sind neun Wasserkraftwerke. Insbe- Energie aus Staudämmen und Laufwasserkraft- sondere für Länder des Globalen Südens, so die werken ab. Und der deutsche Konzern Voith Hy- Fürsprecher*innen der Wasserkraft, biete diese dro verweist auf seiner Webseite stolz darauf, dass Energiequelle eine attraktive Möglichkeit, güns- er einen Teil der Turbinen von Itaipú geliefert ha- tig umweltfreundlichen Strom zu erzeugen. be. Iatipu deckt knapp 17 Prozent des brasiliani- Gerade angesichts der Herausforderungen des Kli- schen und 75 Prozent des paraguayischen mawandels erscheint so Wasserkraft als eine not- Strombedarfs. Das Kraftwerk hat zur industriel- wendige und wichtige Technologie. Diese len Entwicklung im Ballungsraum São Paulo bei- Sichtweise propagiert auch die International Hy- getragen. Deshalb wird gerade Itaipú als das dropower Association (IHA), in der sich Konzer- Paradebeispiel für einen erfolgreichen Staudamm 4 ★ LN-Dossier
Foto: International Hydropower Association (CC BY 2.0) WASSERKRAFT IN LATEINAMERIKA Zweifelhaftes Vorbild Der Staudamm von Itaipú präsentiert, dem die beteiligten Staaten Brasilien Hauptgrund für die hohen Kosten sind Verzöge- und Paraguay viel zu verdanken hätten. rungen beim Bau. Bei acht von zehn Projekten Doch die Darstellung der Wasserkraft als unein- dauerte der Bau eines Staudamms oder eines an- geschränkt positiv zu bewertende Technologie deren Wasserkraftwerks länger als geplant – im blendet ihre zahlreichen negativen Seiten aus. So Durchschnitt etwa acht Jahre länger, aber oft weit zeigen jüngere wissenschaftliche Studien, dass mehr als zehn. Ein aktuelles Beispiel ist das Alto- der so hochgelobte Itaipú-Staudamm wahrschein- Maipo-Projekt in Chile, dessen Bau sich immer lich niemals seine Baukosten wieder einbringen wieder verzögert und dessen Kosten deshalb ex- werde. Vor allem Paraguay hat schwer unter der plodieren (siehe Artikel). Schuldenlast, die das pharaonisch anmutende Projekt verursacht hat, zu tragen. Die linksgerich- tete Regierung von Fernando Lugo strebte wäh- ABKÜRZUNGEN UND GLOSSAR rend ihrer Amtszeit (2008-2012) deshalb auch eine erneute Verhandlung mit Brasilien über die MW: Megawatt; 1000 MW = ein Gigawatt. In Aufteilung der Schulden an. dieser Maßeinheit wird die Leistung gemessen, Staudämme können also nicht nur die wirtschaft- mit der ein Kraftwerk Strom erzeugen kann. liche Entwicklung eines Landes stärken, sondern MWh: Megawattstunden. In dieser Maßeinheit auch für massive finanzielle Probleme sorgen. Ein wird die Energiemenge gemessen, die ein Forschungsteam der Universität Oxford unter Lei- Kraftwerk erzeugt. Eine MWh entspricht 3600 tung des dänischen Wirtschaftsgeographen Bent Mega-Joule. Flyvbjerg hat 2014 eine Studie publiziert, die ge- Kapazität: Die „installierte Kapazität“ gibt an, nau dieser Frage nachging: Wie sinnvoll sind mit welcher Leistung ein Kraftwerk bei voller Staudämme für die wirtschaftliche Entwicklung Auslastung Strom erzeugen kann. von Ländern des Globalen Südens? Sie haben 245 Staudamm: Ein Fluss wird aufgestaut; durch Staudämme, die seit 1934 gebaut worden sind, den kontrollierten Abfluss kann man in Tur- untersucht. Heraus kam, dass der Bau diese Däm- binen Strom erzeugen me im Durchschnitt 96 Prozent mehr gekostet Laufwasserkraftwerk: Einem Fluss wird in hat, als ursprünglich veranschlagt. Bei zwei von einem Wehr Wasser entnommmen, um es zehn Dämmen stiegen die Kosten um mehr als 100 durch Turbinen und anschließend wieder in Prozent, bei einem von zehn Dämmen sogar über den Fluss zu leiten. Im Gegensatz zum Stau- 300 Prozent vom ursprünglich veranschlagten damm wird nicht der ganze Fluss aufgestaut. Wert. LN-Dossier ★ 5
Foto: Dr. Claudia Koch WASSERKRAFT IN LATEINAMERIKA Wilde Flusslandschaft in Gefahr Am Marañón in Peru sind über 20 Staudämme geplant (S. 15) Aus diesem Grund sind große Staudammprojek- te würden nicht mehr ins amazonische Tiefland te – die meist von Staaten finanziert werden – transportiert, was die Fruchtbarkeit der dortigen oft der Grund für die massive Verschuldung von Böden verringern würde. Fische könnten nicht Ländern des Globalen Südens, den sogenannten mehr zu ihren Laichplätzen migrieren, viele Ar- Entwicklungsländern. Dem Wissenschaftler Flyv- ten würden womöglich aussterben – und Fisch ist bjerg zufolge belastete die Schuldenlast, die aus die Nahrungsgrundlage für den Großteil der Be- dem Itaipú Staudamm entstand, die brasiliani- völkerung im Amazonasgebiet. Über die zu erwar- schen Staatsfinanzen für Jahrzehnte. Der Bau war tenden ökologischen Folgen dieser Projekte damit für die Hyperinflation in den 1970er und sprachen wir mit der Biologin Dr. Claudia Koch 1980er Jahren mindestens mitverantwortlich. (siehe Artikel). Vor diesem Hintergrund erscheint es geradezu Befürworter*innen der Wasserkraft führen gerne fahrlässig, wenn ohnehin verarmte Länder große ins Feld, dass die positiven Entwicklungsmöglich- Staudammprojekte planen. Doch das ärmste Land keiten die negativen ökologischen Effekte der Südamerikas, Bolivien plant genau das. Die Kraft- Wasserkraft aufwiegen würden. Doch von Ent- werke El Bala und Chepete sollen, in den Worten wicklungsmöglichkeiten spürt die lokale Bevöl- von Regierungsvertreter*innen, Bolivien zum kerung um die Wasserkraftwerke meist wenig. Wir „energetischen Herzen Südamerikas“ machen. durften ein Interview mit dem brasilianischen Der Strom soll nach Brasilien und Argentinien ex- Wissenschaftler und Aktivisten Assis Oliveira portiert werden. Dabei würde das Projekt die nachdrucken, in dem der von der Situation in Al- Schulden des Staates fast verdoppeln – wenn sich tamira berichtet. Seit auf dem Gemeindegebiet das die Baukosten im geplanten Rahmen bewegen. Die Laufwasserkraftwerk Belo Monte gebaut wird – Regierung will das Projekt durchbringen, obwohl das nach Fertigstellung das zweitgrößte Wasser- alles danach aussieht, als ob das Geschäft mit dem kraftwerk der Welt sein wird – haben sich die Le- Stromexport niemals lukrativ genug sein wird, bensbedingungen dort eher zum Schlechten um das Projekt zu rechtfertigen. Wir sprachen mit entwickelt. Viele Arbeiter*innen sind nach Been- dem bolivianischen Aktivisten Pablo Solón über digung des Großteils der Bauarbeiten einkom- die Ungereimtheiten dieses Projektes (siehe Ar- menslos, die Kriminalität grassiert (siehe Artikel). tikel). Von der Energie, die in den Kraftwerken erzeugt Auch Peru will zum Stromexporteur werden. Dort wird, profitieren meist Andere. Oft geht der Strom sind über 20 Staudämme am Marañón, dem wich- an extraktivistische Industriezweige, wie Berg- tigsten Quellfluss des Amazonas, geplant. Doch bau oder Ölförderung, die zusätzliche Umwelt- die ökologischen Folgen wären enorm: Sedimen- probleme verursachen, wie etwa das bereits 6 ★ LN-Dossier
WASSERKRAFT IN LATEINAMERIKA genannte Beispiel Alto Maipo zeigt (siehe Artikel). zugunsten der Wasserkraft aufgezählt wird, ist Doch Staudämme sollen mitunter nicht nur der ihre Verlässlichkeit. Doch angesichts des Klima- Energieproduktion dienen. Ein anderer Effekt ist, wandels wird die Zuverlässigkeit der Wasserkraft dass man mit ihnen Flüsse anstauen kann, damit immer fragwürdiger. Immer mehr Studien be- sie zu Wasserstraßen werden. Ein Beispiel dafür schäftigen sich mit den Auswirkungen des Kli- sind die geplanten Staudämme am Tapajós-Fluss mawandels auf die Wasserkraft. Durch den in der brasilianischen Amazonasregion. Auf den Klimawandel werden sich sowohl Starkregener- Zusammenhang zwischen Expansion der Agrar- eignisse, die die Sicherheit der Wasserkraftwer- industrie, Zerstörung des Regenwaldes und großen ke gefährden, häufen, als auch Dürren, die dann Infrastrukturprojekten wie Staudämmen und Ei- zum Ausfall der vermeintlich zuverlässigen Ener- senbahnen gehen wir in einem weiteren Artikel giequelle führen. Bestes Beispiel ist Venezuela, ein. wo aufgrund von Dürren die Stromversorgung, Große Staudämme werden meistens von staatli- die fast ausschließlich vom Guri-Staudamm ab- chen Institutionen gebaut und betrieben. Doch hängt, mehrmals ausgefallen ist (siehe Artikel). Kleinwasserkraftwerke, die oft von privaten In- Doch Wasserkraft wird nicht nur vom Klimawan- vestoren gebaut werden, um die Energieversor- del beeinflusst, sondern wirkt sich auch auf das gung von Bergwerken zu gewährleisten, sind Klima aus. Befürworter*innen der Wasserkraft meist nicht weniger konfliktbeladen. Oft kommt verweisen gerne darauf, dass Wasserkraftwerke es zu Wasserkonflikten zwischen den Kraftwerks- nicht das Treibhausgas Kohlendioxid ausstoßen. betreiber*innen und lokalen Gemeinden. Doch die Doch in den Reservoirs von Staudämme oder in Gemeinden organisieren bisweilen erfolgreichen langsam fließenden Flüssen, deren Fließge- Widerstand, wie etwa in den südmexikanischen schwindigkeit durch Wasserkraftwerke gebremst Bundestaaten Oaxaca und Puebla (siehe Artikel). wird, verrotten organische Materialien zu Me- Doch derartiger Widerstand wird oft kriminali- thangas. Methan ist nach Angaben des deutschen siert oder gewaltsam unterdrückt. Bekanntestes Umweltbundesamts ein 25mal stärker wirkendes Beispiel ist sicher der Fall von Berta Cáceres, die Treibhausgas als Kohlendioxid. Aus diesem Grund im März vergangenen Jahres ermordet worden emittiert das Wasserkraftwerk Balbina im bra- ist, was für weltweite Empörung sorgte. Grund silianischen Amazonasgebiet mehr Treibhaus- für den Mord an ihr war, dass sie den Widerstand gase, als ein modernes Gaskraftwerk, wie der gegen das geplante Kleinwasserkraftwerk Agua amerikanische Wissenschaftler Philipp Fearnsi- Zarca organisierte (siehe Artikel). Doch auch in de berechnet hat. Mit diesem Dossier wollen wir anderen Ländern werden Staudämme gewaltsam die Diskussion um die Wasserkraft bereichern und gegen den Willen der lokalen Bevölkerung durch- auf die weniger bekannten problematischen gesetzt. Betroffen sind meist indigene Gemein- Aspekte dieser Technologie aufmerksam machen. den und so reproduzieren sich in den Konflikten Es lohnt sich, diese Technologie, die in der Ver- um Wasserkraftwerke koloniale Gewaltverhält- gangenheit oft überschwänglich als „grün“, „ver- nisse, wie der Konflikt um das Projekt Oxec II in lässlich“ und „nachhaltig“ tituliert wurde, neu Guatemala zeigt (siehe Artikel). zu bewerten. Sowohl am Kraftwerkprojekt Oxec II als auch Agua Zarca sind europäische und deutsche Akteure be- // Thilo F. Papacek, GegenStrömung teiligt. Europäische und deutsche Konzerne fi- nanzieren, versichern und beliefern Wasser- kraftwerksprojekte in ganz Lateinamerika. So wird auch das hochumstrittene Staudammprojekt in Panama, Barro Blanco, dass das Territorium der indigenen Ngöbe Bugle bedroht, von der Deut- schen Entwicklungsgesellschaft mbH, einer Toch- ter der Kreditanstalt für Wiederaufbau, mitfinanziert (siehe Artikel). Staudammbefürworter*innen leugnen meist die- se negativen Konsequenzen der Wasserkraftnut- zung nicht, sagen aber, dass die positiven Seiten die negativen überwiegen. Ein Aspekt, der gerne LN-Dossier ★ 7
WASSERKRAFT IN LATEINAMERIKA VOLLENDETE TATSACHEN UMFANGREICHE ZUGESTÄNDNISSE AN DIE INDIGENEN AN DEM FLUSS TABASARÁ, NACHDEM DAS WASSERKRAFTWERK BARRO BLANCO FERTIGGESTELLT IST Nach 18 Jahren wurde der Konflikt um den Studie über die Umweltverträglichkeit des Projekts Barro Blanco Staudamm im August 2016 offi- durch und befragte die lokale Bevölkerung – doch ziell beendet. Vertreter*innen der Ngäbe-Buglé die Gemeinden, die entlang des Flusses leben und und der Regierung unterschrieben einen Ver- somit direkt von den Flutungen betroffen wären, trag, der den Indigenen viele ihrer Rechte zu- wurden niemals in diese Beratungen einbezogen. rückgibt. Doch Zweifel an einer dauerhaften „Das Volk der Ngäbe-Buglé wurde zu keinem Zeit- Foto: Carb Befriedung bleiben. punkt konsultiert. Es hat dieses Projekt nie akzep- tiert“, so Binns. Der Congreso General, die höchste „Wir werden alles dafür tun, dass dieses Wasser- Entscheidungsinstanz der Comarca, hätte nie über kraftwerk nicht in Gang kommt“, versprach Este- Barro Blanco entscheiden dürfen. Schlimmer noch: ban Binns vor beinahe genau einem Jahr. Gerade In der Umweltverträglichkeitsstudie heißt es, in saß er an einem Tisch mit der panamaischen Re- dem Gebiet gäbe es „keine indigenen Gemeinden gierung und beriet die indigenen Repräsen- von Bedeutung“. tant*innen in den Verhandlungen um den Nach dem Amtsantritt der Regierung unter Ricar- Staudamm. Der Mathematiker stammt aus Taba- do Martinelli im Jahr 2009 spitzte sich die Lage sará im Westen Panamas, durch die der gleichna- deutlich zu. In einem höchst intransparenten Pro- mige Fluss fließt, welcher für ein Wasserkraftwerk zess wurde die ursprünglich geplante Kapazität des gestaut werden soll. Dafür würde die Heimat der Staudamms von 19 auf 29 Megawatt angehoben. Indigenen Ngäbe-Buglé geflutet werden. Die Bau- Das heißt: Der Damm sollte 20 Meter höher, das arbeiten waren zu diesem Zeitpunkt bereits abge- Wasserreservoir um fast 30 Hektar größer und die schlossen und die Flutungen hatten inoffiziell umliegenden Gebiete um ein fünf Meter höheres begonnen. Nach monatelanger Diskussion haben Niveau geflutet werden. Eine erforderliche neu auf- sich beide Parteien im vergangenen August nun gezogene Studie über mögliche Auswirkungen blieb geeinigt und einen Vertrag unterzeichnet. Doch sein Versprechen konnte Binns nicht halten. Der Barro Blanco Staudamm ist die Ursache eines Die holländische FMO und die der längsten und kompliziertesten Konflikte in Pa- Deutsche DEG finanzieren Barro nama: 18 Jahre dauert er bereits. Nachdem der erste Blanco. Entwurf 1981 an den massiven Protesten der loka- len Bevölkerung gescheitert war, wurde das Pro- jekt Ende der 90er Jahre wieder aufgegriffen. hingegen aus, es wurde sich weiterhin auf die erste Damals trug es noch den Namen Tabasará. 1999 Studie bezogen. Anfang 2011 begannen die Bauar- mündeten erste Demonstrationen in Festnahmen beiten. und die Ngäbe-Buglé begannen sich als Movimien- Die holländische FMO und die Deutsche Investiti- to 10 de Abril (M10) zu organisieren. Damalige Ge- ons- und Entwicklungsgesellschaft (DEG), Toch- setze verhinderten schließlich die Umsetzung des ter der KfW, finanzieren Barro Blanco mit jeweils Vorhabens. 25 Millionen Dollar. Nach eigener Aussage inves- In den darauf folgenden Jahren wurden daraufhin tieren sie damit in „grünen Strom“, der bis zu wesentliche Teile des panamaischen Umweltrechts 70.000 Menschen versorgen würde. Auf ihrer Ho- verändert. Das eigens für diesen Zweck gegründe- mepage erklärt die DEG, sie trage zu „dauerhaft te Unternehmen GENISA erhielt somit 2007 die Ge- besseren Lebensbedingungen in Entwicklungslän- nehmigung für den Bau des Staudamms, nun unter dern“ bei. dem Namen Barro Blanco. GENISA führte zwar eine Was ist mit den Ngäbe-Buglé? Den Informationen 8 ★ LN-Dossier
WASSERKRAFT IN LATEINAMERIKA Foto: Carbon Market Watch (CCBY-ND20) Bedrohte Landschaft Die Gebiete um den Fluss Tabasará im Westen Panamas sollen geflutet werden der DEG nach hätte es eine Einigung zwischen GE- So tagte ab Februar 2015 der Runde Tisch zwischen NISA und der Comarca gegeben. Das Unternehmen Vertreter*innen der Regierung und den Ngäbe- hätte Vertreter*innen der indigenen Bevölkerung Buglé. Sie riefen im August 2015 einen „Techni- mehrfach über das Vorhaben informiert. Erst spä- schen Tisch“ ins Leben, um eine Lösung zu finden, ter hätte sich herausgestellt, dass sich nicht alle ohne weitere Menschenleben zu opfern. „Die Kon- Indigenen vertreten gefühlt und dem Projekt zu- sequenz war der Acuerdo de Barro Blanco vom 22. gestimmt hätten. August 2016, mit der Unterstützung von sieben Ex- Die Bank nehme, betont Fachreferentin Schrahe- Timera, „Kritik an ihrer Arbeit sehr ernst“. Ein spezieller Beschwerdemechanismus stehe sowohl Binns wurde vor fünf Jahren von Organisationen als auch Einzelpersonen offen, die sich beeinträchtigt fühlen. Indigene aus Tabasará Polizist*innen bewusstlos ge- nahmen dies 2014 wahr, erzählt auch Esteban schlagen. Binns. Allerdings kam das unabhängige Gremium, das die Beschwerde prüfte, zu dem Schluss, dass die Banken ihre Kredite im Einklang mit ihren pert*innen auf der Seite der Ngäbe-Buglé.“ Im Standards vergeben hätten. Auf diese verweist auch September schrieb Präsident Varela auf seiner Fa- Schrahe-Timera, wie die Umwelt- und Sozialprin- cebook-Seite: „Mit der Unterzeichnung dieses Ab- zipien der European Development Finance Insti- kommens haben wir klare Ziele erreicht, die den tution, die Konventionen der Internationalen Ngäbe-Buglé zugutekommen.“ Labour Organisation und die Guiding Principles der Der Vertrag wirkt zunächst wie ein großer Erfolg für Vereinten Nationen. die Ngäbe-Buglé. Viele ihrer Forderungen sind dort Demgegenüber stehen drei Tote und mehr als hun- umgesetzt. So soll das Unternehmen GENISA die dert Verletzte, die der Konflikt bereits gekostet Geschäfte an eine Treuhandgesellschaft abtreten. habe, berichtet Carbon Market Watch. Binns spricht Die Darlehen der deutschen, niederländischen und sogar von zwölf Toten. Er selbst wurde vor fünf zentralamerikanischen Entwicklungsbanken DEG, Jahren von Polizisten bewusstlos geschlagen. Nur FMO und BCIE werden gekündigt. Das Wasserkraft- mit Glück überlebte er. werk soll zukünftig Eigentum eines staatlichen Un- Trotz aller Gewalt, oder gerade deshalb, konnte der ternehmens mit mindestens 51-prozentiger Konflikt nicht auf der Straße gelöst werden, Beteiligung der lokalen Gemeinden der Ngäbe-Buglé schreibt er in seinem Blog: „Die Krise dauert an.“ werden. Zudem soll der südliche Distrikt Müna von LN-Dossier ★ 9
WASSERKRAFT IN LATEINAMERIKA der Stromversorgung des Wasserkraftwerks profi- biet wurde ignoriert oder zugunsten des Stau- tieren. Auch über Barro Blanco hinaus trifft der Ver- damms angewandt. trag Vorkehrungen: Die Regierung wird alle weiteren Beobachter*innen erwidern häufig, dass sich viele Wasserkraftprojekte am Tabasará beenden. Alle zu- der Ngäbe-Buglé durch die offiziellen Verhand- künftigen Projekte in der Comarca Ngäbe-Buglé lungsführer*innen nicht repräsentiert gefühlt und müssen erst durch ein Referendum der Bewoh- dem Projekt niemals zugestimmt hätten. Zu diesem Ergebnis kam auch die Deutsche Inves- titions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG), Die Ngäbe-Bugle fühlten sich nachdem sie die Vertreter*innen der indigenen Be- durch die Comarca nicht reprä- völkerung mehrfach über das Vorhaben informiert sentiert. hatte und die starken Proteste trotz einer Einigung zwischen GENISA und der Comarca andauerten. Erst später hätte sich herausgestellt, dass sich nicht ner*innen und durch die Zustimmung des lokalen alle Indigenen vertreten fühlten und dem Projekt Kongresses autorisiert werden. „Es ist nicht das, zugestimmt hätten. Zu den Konsequenzen aus dem was wir wollten“, gibt Binns zu. „Aber wir verste- Vertrag zwischen Regierung und Ngäbe-Buglé hen die Schwierigkeit der Situation, die durch die nimmt die DEG derzeit keine Stellung. Auf der Ho- verantwortungslosen früheren Regierungen ent- mepage heißt es weiterhin, das Projekt werde um- standen ist. Mit der Vereinbarung fordern wir die gesetzt. Rechte der Betroffenen ein.“ Vor wenigen Wochen berichtete der Nachrichten- Nun gilt es abzuwarten. Die Protestierenden wur- sender TVN Notícias, dass drei Demonstrant*innen den in den vergangenen Jahren oft enttäuscht, das – unter ihnen der M10-Aktivist Manolo Miranda Vertrauen ist stark gesunken, denn zu oft führte – angeklagt worden seien, weil sie die Bauarbei- GENISA entgegen aller Abmachungen die Flutun- ten behindert hätten. Sie hätten die Zufahrt zum gen weiter fort. In seinem Blog-Eintrag beschreibt Kraftwerk blockiert. Das Urteil werde im August Binns, wie die Rechte der indigenen Bevölkerung verkündet, ein Freispruch sei laut diverser Juris- im Laufe der Jahre geschwächt wurden. Barro Blan- ten*innen aber sehr wahrscheinlich. Schließlich co ist das anschaulichste Beispiel dafür. Das Recht hätte die Blockade nicht nur aus den drei Ange- der Ngäbe-Buglé auf Konsultierung und Zustim- klagten bestanden. mung zu dem Entwicklungsprojekt in ihrem Ge- // Leonie Düngefeld Foto: Urgewald Keine Staatskohle für Wasserkraft Protest vor dem DEG-Gebäude 10 ★ LN-Dossier
WARRERKRAFT IN LATEINAMERIKA GRÜNE LUNGE IN GEFAHR EIN LAUFWASSERKRAFTWERK BEDROHT DIE „GRÜNE LUNGE“ DER CHILENISCHEN HAUPTSTADT SANTIAGO Foto: Nicolas Figueroa Peña (CC BY-SA 2.0) Das Wasserkraftprojekt Alto Maipo in der Nähe Trinkwasserversorgung des Ballungsraums um die von Santiago de Chile bedroht nicht nur ein Hauptstadt hängt von dem Gebirgsfluss ab. Zudem wichtiges Naherholungsgebiet, sondern auch wird das Tal intensiv von der lokalen Bevölkerung die Trinkwasserversorgung der Metropole. für den Anbau von Nahrungsmitteln genutzt. Mehrere deutsche Unternehmen und Finanz- So ist es kein Wunder, dass sich früh Widerstand institutionen beteiligen sich an diesem um- gegen ein Wasserkraftprojekt formierte, das dieses strittenen Bauvorhaben. Wenn das Kraftwerk Tal gefährdet. Im Jahr 2007 wurden die Pläne für fertig gestellt wird, soll es vor allem Energie das Wasserkraftprojekt Alto Maipo bekannt, und für den Kupfertagebau Los Pelambres liefern. schnell bildete sich ein breites Widerstandsbünd- nis aus Umwelt- und Tourismusverbänden, loka- Sie ist die „grüne Lunge“ der sechs Millionen Ein- len Aktivist*innen, Gewerkschaften, Anwält*innen wohner*innen zählenden Hauptstadt Santiago de und Politiker*innen unter dem Namen „Red Me- Chile: Die Schlucht Cajón del Maipo rund um den tropolitana No Alto Maipo“. Flusslauf des Maipo ist ein beliebtes Naherholungs- Das Wasserkraftprojekt Alto Maipo wird seit 2013 gebiet für die Hauptstädter*innen. Insbesondere in rund 2.500 Metern Höhe am oberen Flussverlauf das Gebiet um den Nationalpark El Morado mit sei- des Río Maipo im Gemeindegebiet von San José de nen Vulkanen und Gletschern wird gerne für Wan- Maipo gebaut. Etwa 50 km südöstlich der chileni- dertouren oder andere Outdoor-Sportarten genutzt. schen Hauptstadt Santiago soll der Laufwas- Doch auch für die Wasserversorgung der chileni- serkraftwerkkomplex entstehen. Befürworter*innen schen Hauptstadt ist der Río Maipo wichtig: Die bewerben es als saubere Energiequelle: Das Wasser LN-Dossier ★ 11
WARRERKRAFT IN LATEINAMERIKA der Quellflüsse des Río Maipo – der Flüsse Volcán, Bauarbeiten. Eigentlich sollte das Projekt bereits in Yeso und Colorado – soll teilweise abgezweigt und diesem Jahr fertiggestellt werden; inzwischen rech- über insgesamt etwa 46,5 Kilometer lange Beton- net kaum jemand damit, dass das Kraftwerk vor röhren zu den unterirdischen Kraftwerken Alfalfal 2020 in Betrieb gehen kann. Dies liegt unter ande- II und Las Lajas geleitet werden, wo mit Turbinen rem an erfolgreichen Streiks der Bauarbeiter*innen elektrische Energie erzeugt werden soll. Zusammen für höhere Löhne. Ende 2016 legten die Angestell- soll der Komplex eine Gesamtkapazität von 531 MW ten den Bau für zwei Monate komplett lahm. In- haben. Bereits mit dem ursprünglich geplanten Auf- zwischen mussten die beteiligten Baufirmen für tragsvolumen von rund 750 Millionen US-Dollar ist Hunderte Beschäftigte monatlich je 600 US-Dollar Löhne nach zahlen. Namhafte deutsche, österreichische und italieni- Das Wasserkraftwerk soll haupt- sche Firmen und Banken sind an dem Projekt be- teiligt, darunter federführend das deutsche sächlich der Energieversorgung der Unternehmen Voith Hydro. Das Joint Venture der Bergbauindustrie dienen. Siemens AG und der Voith GmbH zeichnet für die komplette elektromechanische Ausrüstung des Vor- habens verantwortlich. Das heißt, die Turbinen und es eines der größten privaten Bauvorhaben in Süd- Generatoren werden von den brasilianischen und amerika. chilenischen Niederlassungen des Heidenheimer Bauherr ist die Alto Maipo S.p.A., ein Tochterunter- Konzerns gebaut. Dazu übernimmt der Konzern das nehmen des chilenischen Energieproduzenten und gesamte Engineering, den Aufbau und die Inbe- -netzbetreibers AES Gener und des US-amerikani- triebnahme des Kraftwerks. schen Mutterkonzerns AES Corporation. Alto Maipo Für den Bau des Projektes ist die Constructora S.p.A. befand sich bis Anfang 2017 zu 60 Prozent im Nuevo Maipo SpA zuständig, ein Baukonsortium, Besitz von AES Gener und zu 40 Prozent im Besitz des chilenischen Bergbaukonzerns Antofagasta Mi- nerales, deren Eigentümer die Milliardärs-Familie Inzwischen kalkuliert die verant- Luksic ist. wortliche Firma Gesamtkosten von Dass ein Bergbauunternehmen Miteigentümer des 2,05 Milliarden US-Dollar. Kraftwerks war, ist kein Zufall. Das Laufwasser- kraftwerkprojekt Alto Maipo soll hauptsächlich der Energieversorgung der expandierenden Bergbau- an dem die deutsche HOCHTIEF A.G., der italieni- industrie dienen. Wichtigster Konsument des sche C.M.C. di Ravenna und die chilenische Toch- Stroms soll das Kupferbergwerk Los Pelambres terfirma der österreichischen Strabag AG beteiligt werden, das Antofagasta Minerales gehört. sind. Angeführt wird das Baukonsortium von der Anfang dieses Jahres ist Antofagasta Minerales aber deutschen Firma Hochtief, die für die Detailpla- aus dem Projekt ausgestiegen. Grund waren die ge- nung und den Bau der Tief- und Ingenieurbauar- stiegenen Baukosten, die auf das Dreifache des an- beiten zuständig ist. fangs geplanten Budgets explodiert sind. Dabei kam es aber Anfang Juni zu Unstimmigkei- Inzwischen kalkuliert die verantwortliche Firma ten zwischen Hochtief und AES Gener: AES Gener Gesamtkosten von 2,05 Milliarden US-Dollar – und wollte die Tunnel bohren lassen, weil dies schnel- weitere Kostensteigerungen sind wahrscheinlich. ler geht und billiger ist. Doch Hochtief bevorzugt Dadurch geriet AES im Januar 2017 in Finanzie- ein anderes Vortriebverfahren, das zwar langsa- rungs-schwierigkeiten. Schließlich übernahm die mer, aber auch sicherer ist. Hochtief argumentiert, Muttergesellschaft AES Gener (USA) die 40 Prozent dass bei der Gesteinsart, die im Maipo-Tal vor- Anteile, die Antofagasta Minerales abstoßen woll- kommt, das schnellere und billigere Bohrverfahren te. Auch wenn das Bergbauunternehmen nun nicht die Sicherheit der Arbeiter*innen aufs Spiel setzen mehr zu den Eigentümern des Kraftwerks zählt, würde. Da es keine Einigung gab, wurde der Ver- bleibt der Vertrag bestehen, dass die Energie von trag zwischen dem Baukonsortium und AES Gener Alto Maipo zuerst an den Tagebau Los Pelambres Anfang Juni gekündigt. Ein Schiedsgericht in New geliefert werden soll. York soll nun über den Streitfall entscheiden. Grund für die massiv gestiegenen Baukosten beim Kurz vor Redaktionsschluss wurde bekannt, dass Projekt Alto Maipo waren Verzögerungen bei den das Konsortium, das das Projekt Alto Maipo finan- 12 ★ LN-Dossier
Foto: Telly Gacitua (CC BY-NC 2.0) WARRERKRAFT IN LATEINAMERIKA „Kein Alto Maipo“ Protest-Wandbild gegen das geplante Wasserkraftprojekt ziert, stark durch den Ausstieg von Hochtief aus terstützt. Denn es ist alles andere als unumstritten, dem Projekt verunsichert ist. Durch den Ausstieg dass es sich bei Alto Maipo um ein umweltfreund- von Hochtief würden sich die Kosten noch einmal liches Energieprojekt handelt. um mindestens 40 Millionen US-Dollar erhöhen, Die Bürgerinitiative gegen Alto Maipo ließ mehre- erklärte AES Gener. Eventuell soll die Österreichi- re unabhängige Gegenuntersuchungen anfertigen. sche Strabag einspringen und Anteile des Kraft- Aus diesen geht hervor, dass gravierende Umwelt- werks übernehmen. auswirkungen auf Flora und Fauna zu erwarten Doch diese Umstrukturierung verursacht Unsicher- wären. Eine Studie unter Leitung des renommier- heit, und die sieht das Finanzkonsortium natürlich nicht gerne. Einige der beteiligten Banken drohten Medienberichten zufolge, den Geldhahn zuzudre- Das Widerstandsbündnis stellte hen, wenn nicht ein detaillierter Plan vorgelegt über 20 Strafanzeigen gegen die wird, der erklärt, wie der Bau nun weitergehen soll. Bauherren. Das Finanzkonsortium hat beträchtlichen Einfluss, denn es hat Kredite über 60 Prozent der entstehen- den Kosten zugesagt. Insgesamt handelt es sich um ten Toxikologen Prof. Dr. Andrei Tchernitchin von einen Kredit über rund 1,2 Milliarden US-Dollar mit der Universität Chile von 2015 zeigte, dass die Ge- einer Laufzeit von 20 Jahren. Das Konsortium be- wässer in der Maipo-Schlucht durch die Bauarbei- steht aus acht südamerikanischen, europäischen ten am Wasserkraftprojekt mit toxischen Metalle und internationalen Banken. Darunter befinden sich wie Arsen, Nickel, Blei und Mangan kontaminiert die Weltbanktochter International Finance Corpo- werden. Für Blei wurden die zulässigen Grenzwer- ration und eine Tochter der deutschen Kreditan- ten sogar um mehr als 5.000 Prozent überschrit- stalt für Wiederaufbau (KfW), die KfW-IPEX-Bank. ten. Das Wasser des Rio Maipo sei wegen der Auf ihrer Homepage wirbt die halbstaatliche KfW- Gesundheitsgefahren nicht mehr für den mensch- IPEX, dass sie „innovative Energie- und Umwelt- lichen Verbrauch sicher, so die Studie. projekte“ finanzieren und damit „eine nachhalti- In den vergangenen drei Jahren stellte das Wider- ge Energieversorgung“ sichern würde. Verschiedene standsbündnis deshalb über 20 Strafanzeigen gegen deutsche Organisationen wie Misereor und Gegen- die Bauherren. Sie warfen ihnen gravierende Ver- Strömung kritisieren dagegen, dass eine deutsche stöße gegen die Umweltauflagen vor, die in der halbstaatliche Bank das Projekt mit Krediten un- Umweltverträglichkeitsprüfung und der Baugeneh- LN-Dossier ★ 13
WARRERKRAFT IN LATEINAMERIKA migung aufgestellt worden waren. Ende Januar 2017 werden. Vor allem im Norden von Chile kommt es reagierte die Oberste Umweltbehörde endlich auf immer wieder zu Umweltkatastrophen, wenn sol- die Klagen und kündigte Untersuchungen an. Nun che tailings bei Starkregenfällen über ihre Dämme prüft die Umweltbehörde, ob die mit dem Bauherrn treten. vereinbarten Auflagen auch eingehalten werden. Deutschland unterhält eine strategische Rohstoff- Strafen wurden aber bislang nicht gegen AES Gener partnerschaft mit Peru und Chile. 60 Prozent des ausgesprochen. in Deutschland verarbeiteten Kupfers kommt aus Der Anwalt der Nichtregierungsorganisation „Be- Lateinamerika, vor allem aus diesen beiden Län- obachtungsstelle für Umweltkonflikte in Latein- dern. Vor diesem Hintergrund stellte die Bundes- amerika“ (OLCA), Álvaro Toro, berät das tagsfraktion „Bündnis 90/Die Grünen“ im April Widerstandsbündnis gegen Alto Maipo. Ihm zufol- 2017 eine kleine Anfrage an die Bundesregierung zu ge ist die geltende Umweltgesetzgebung in Chile zu „Umweltverschmutzung und Menschenrechtsver- schwach. Er erwartet deshalb, dass die Umweltbe- stöße beim Kupferbergbau“, in der sie auch auf Alto hörde den Bauherren einen Freifahrtschein aus- Maipo und die Verbindungen zu Los Pelambres und stellt und erklären wird, dass das Unternehmen die die daraus resultierenden Umweltprobleme einging. Auflagen erfüllt. In Chile ist es üblich, dass Um- Doch die Antwort der Bundesregierung war eher weltkonflikte zugunsten von Unternehmen ent- ausweichend: Die zivilgesellschaftlichen Proteste schieden werden. gegen Alto Maipo würden zeigen, dass die Bevöl- Doch nicht nur das Wasserkraftwerk selbst gefähr- kerung „ihre Kontrollfunktion wahrnähme“. Bes- det Menschen und Umwelt, sondern auch das Pro- ser wäre es aber, wenn auch die Bundesregierung jekt, das die Energie hauptsächlich nutzen wird. ihre Kontrollfunktion bei der KfW-IPEX erfüllen Vom Kupfertagebau Los Pelambres gehen massive würde. Dann würde die halbstaatliche Bank viel- Umweltprobleme aus. Der Oberste Gerichtshof Chi- leicht nicht mehr so umweltschädliche Projekte wie les hat Antofagasta Minerales bereits verurteilt, weil Alto Maipo finanzieren. von dem Tagebau Los Pelambres Wasserverschmut- zungen durch Schwermetalle ausgingen. Der Kon- // Ulrike Bickel und Thilo Papacek zern musste die Staubecken für die Bergbauabwässer (sogenannte tailings) umverle- gen, damit Nachbargemeinden nicht kontaminiert Cajón del Maipo Ein beliebtes Naherholungsgebiet für die Hauptstädter*innen Foto: Mariana Leon (CC BY-NC-ND 2.0) 14 ★ LN-Dossier
WARRESKSAFT IN LATEINAMESIKA ECHREN GEGEN DÄMME INTERVIEW MIT DER REPTILIENFORSCHERIN DR. CLAUDIA KOCH ÜBER DIE ÖKOLOGISCHE BEDEUTUNG DER TROCKENWÄLDER IM MARAÑÓN Die Biologin Dr. Claudia Koch arbeitet seit 2005 zu den kaum erforschten Trockenwäldern des Marañóntals in Peru und hat dabei elf zuvor unbekannte Arten entdeckt. Mit ihr sprachen wir über dieses einzigartige Ökosystem und was die Konsequenzen wären, wenn es durch den geplanten Bau von 20 Staudämmen am Marañón zerstört würde. Foto: Claudia Koch Frau Dr. Koch, seit wann beschäftigen Sie sich mit den Trockenwäldern im Marañón-Tal? Zum ersten Mal war ich 2005 im Marañón-Tal, für nur vier Tage, im Rahmen meiner Diplom- arbeit. Ich wollte eigentlich nur die dortige Rep- DS. CLAUDIA KOCH tilienfauna mit der in den Trockenwäldern an ist Kuratorin für Herpetologie (Amphibien- der Küste vergleichen. Aber da haben wir in vier und Reptilienforschung) am Zoologischen Tagen vier neue Arten gefunden und festgestellt, Forschungsmuseum Alexander Koenig in dass da noch ein offenes Forschungsfeld exis- Bonn. Seit 2005 beschäftigt sie sich mit der tiert. Und so habe ich entschieden, dass ich ger- Reptilienfauna der Trockenwälder in Nord- ne meine Doktorarbeit zu dem Thema machen peru. Im Jahr 2014 promovierte sie zu diesem würde und mich intensiver den inner-andinen Thema im Marañón-Tal. Auf vier ver- Reptilienarten widmen wollte. Ab 2008 habe ich schiedenen Forschungsaufenthalten hat sie dann die erste Forschungsreise dorthin unter- 22 Untersuchungsgebiete in diesem wenig er- nommen und bis 2010 bin ich viermal in das forschten Ökosystem besucht und dabei Marañón-Tal gefahren, jeweils für mehrere Mo- zahlreiche neue Arten entdeckt, von denen elf nate. In 22 Untersuchungsgebieten habe ich dann bereits durch sie und ihre peruanischen die Reptilien- und Amphibienfauna dokumen- Kolleg*innen beschrieben wurden. Die Rep- tiert. tilienarten im Marañón-Tal sind weiterhin ihr Spezialgebiet, denn die Wissenschaftler- Was ist denn das besondere an diesen Trocken- in und ihre Kolleg*innen wollen möglichst wäldern im Marañón-Tal? viel über diese Arten erfahren, bevor diese Die Artenzusammensetzung in diesem Lebens- möglicherweise den geplanten Staudämmen raum ist wirklich einzigartig, sie ist so nirgend- zum Opfer fallen. wo sonst zu finden. Wenn dieser Trockenwald verloren geht, dann ist dieses Ökosystem für immer weg. Da geht es nicht nur um Reptilien, Naturschützer*innen sehen sich manchmal sondern auch um Amphibien, verschiedene mit dem Argument konfrontiert, dass es ja für Pflanzenarten und andere Tierarten, die nur dort die Menschen egal wäre, wenn ein paar Am- vertreten sind. Bei den Reptilien und Amphibi- phibien- und Reptilienarten nicht mehr vor- en sind etwa 50 Prozent aller dort vorkommen- kommen. Was wären denn die Auswirkungen den Arten endemisch, also kommen nur dort auf Menschen und Gesellschaft, wenn diese vor. endemischen Arten aussterben würden? LN-Dossier ★ 15
WARRESKSAFT IN LATEINAMESIKA Foto: Claudia Koch Ameiva aggerecusans Das Aussterben von Reptilien und Amphibien wirkt sich auch auf den Menschen aus Mit Sicherheit hätte das Aussterben dieser Ar- Würden die Staudämme, wenn sie denn ge- ten auch Auswirkungen auf die Menschen. Dort baut werden, auch Konsequenzen haben, die gibt es zum Beispiel große Probleme mit Mäu- über das Marañón-Tal hinausgehen? sen und Ratten, wie überall, wo man Landwirt- Ja, viele der Amazonas-Fischarten leben zwar schaft betreibt. Und da sind Reptilien, vor allem im Flussunterlauf. Zum Laichen mi- insbesondere die Schlangen, ein wichtiger Fak- grieren sie aber in die Flussoberläufe. Wenn dann tor, um diese Mäuse- und Rattenpopulationen eine Staumauer den Weg unterbricht, dann kön- im Zaum zu halten. In diesen Tälern gibt es auch nen sich diese Arten nicht mehr reproduzieren. Reisfelder, und in denen sitzen haufenweise Von diesen Fischarten ernähren sich viele Men- Frösche und Kröten drin, die die Mücken fres- schen im amazonischen Tiefland. Außerdem ist sen. Die Geckos in den Häusern fressen die In- der Marañón der Hauptquellfluss des Amazonas sekten. Wenn da mehrere Arten einfach und bringt also auch die meisten Sedimente in aussterben, müssen die Menschen mit größeren dieses Flusssystem. Diese Sedimente aus den Insektenplagen rechnen. Anden werden dann über den gesamten Ama- Die Leute in den Dörfern leben auch viel von den zonas verteilt und haben da auch eine wichtige Fischen, die sie aus dem Fluss fangen. Das sind Funktion. Die Staumauern der geplanten aber alles Fließwasserfische, die das wahr- Wasserkraftwerke würden verhindern, dass die- scheinlich auch nicht besonders toll finden, se Sedimente abfließen. Man kann gar nicht ab- wenn sie auf einmal in einem gestauten See le- schätzen, welche Folgen das für den ben sollen. Das wird mit Sicherheit auch zu ei- Nährstoffhaushalt der ganzen Amazonasregion nem großen Artensterben führen und das betrifft haben würde. All das wurde bei der Planung die- dann natürlich auch die Bevölkerung, die vom ser Staudämme nicht richtig berücksichtigt. Fischfang lebt. Und es gibt viele derartiger kom- plexer ökologischer Zusammenhänge. Man muss Wie beurteilen Sie denn die Umweltverträg- bedenken, dass ganz viele Tier- und Pflanzen- lichkeitsstudien, die für diese Staudämme ge- arten dort noch gar nicht untersucht worden macht wurden? sind, man kann also gar nicht wissen, was für Einige meiner peruanischen Bekannten haben andere Konsequenzen es haben könnte, wenn solche Umweltverträglichkeitsstudien durchge- diese Arten verschwinden. Man kennt die Zu- führt. Da ist dann einmal für zwei Wochen ein sammenhänge noch nicht wirklich und kann Team in das entsprechende Gebiet gefahren, wo deshalb die Folgen kaum abschätzen. der Staudamm gebaut werden soll, und hat Un- 16 ★ LN-Dossier
WARRESKSAFT IN LATEINAMESIKA tersuchungen gemacht, um zu schauen, was da ten würde. Ich habe dann nur gefragt: Haben die für Arten vorkommen. Ich selber war in 22 Un- denn vorher mal untersucht, welche Faktoren tersuchungsgebieten und habe die meisten Ge- das sind, die diese Tiere in ihrem jetzigen Ha- biete mehrmals besucht. Da habe ich teilweise bitat brauchen, und ob diese Faktoren auch in in der einen Jahreszeit andere Arten gefunden, dem neuen Lebensraum herrschen? Und ist auch als in der anderen Jahreszeit. Mit einmal Hin- untersucht worden, ob es nicht eine andere Art gehen kann man nicht wirklich sagen, was für gibt, die diese ökologische Nische bereits an dem Arten dort vorkommen. Zum anderen muss man neuen Lebensraum besetzt? Das ist natürlich al- bedenken, dass durch einen Staudamm ja nicht les nicht gemacht worden. Naja, diese Aktion hat nur der eine Ort beeinflusst wird, wo die Stau- nun auch keinen größeren Schaden angerichtet, mauer gebaut wird, das reicht nicht, wenn man als der Bau des Staudamms, aber es war natür- sich nur diesen einen Ort anschaut. Die ganzen lich eine völlig sinnlose Aktion. Effekte, die diese Staudämme flussabwärts ha- ben, werden in diesen Studien gar nicht berück- Momentan wird ja Südamerika vom Odebrecht- sichtigt. Vor allem wird auch nicht bedacht, wie Korruptionsskandal erschüttert, und die mei- viele andere Staudammprojekte geplant sind und sten dieser Staudammprojekte gehen ja direkt welchen Effekt sie zusammen haben werden. von Brasilien und dieser Baufirma aus. Des- Nach dem, was ich gehört habe, gibt es in dem halb ist es wahrscheinlich, dass erstmal bei Bereich auch überhaupt keine Absprache zwi- diesen Bauprojekten eine Atempause eingelegt schen Peru und Ecuador, also es wird gar nicht wird. Doch die Gefahr besteht ja weiterhin, dass berücksichtigt, welche Staudämme schon auf diese Projekte realisiert werden. Was kann man ecuadorianischer Seite im Einzugsgebiet des denn machen, um den Marañón wirklich zu Amazonas geplant sind. schützen? Ja, da gibt es aktuell einige Anstrengungen, um Das ist ja eigentlich absurd, dass da die kumu- den Marañón zu schützen. Einige peruanische lativen Effekte gar nicht berücksichtigt wer- Bekannte haben bei der Naturschutzbehörde den, es geht ja da um 20 Staudämme, die am einen Antrag gestellt, um ein Naturschutzgebiet Marañón geplant sind. im Marañón zu errichten. Bislang ist dieser in- Ja, absolut. Wir haben deshalb auch zwei Repti- ner-andine Teil des Trockenwaldes komplett lienarten, die wir entdeckt haben, dementspre- nicht geschützt. Da sind einige peruanische Na- chend benannt. Insgesamt haben wir zahlreiche turschutzorganisationen dabei, die dieses Pro- weitere neue Arten entdeckt, von denen wir elf jekt unterstützen wollen. Und dazu wollen die bereits beschrieben haben. Darunter zwei Arten auch eine große Kampagne machen, um ein grö- aus der Gattung Ameiva, die wir nach dieser ßeres Bewusstsein für dieses Problem unter der Problematik benannt haben. Mit dieser Namens- Bevölkerung zu schaffen. gebung von Ameiva nodam, nach dem engli- Und das haben wir mit unserer Benennung von schen „No Dam“ und Ameiva aggerecusans, Tierarten ja auch versucht. Wir haben auch eine nach dem lateinischen Wort Agger für Staudamm Geckoart nach Pachamama, dem Quechua-Wort und recusare für zurückweisen, wollten wir ge- für Mutter Erde, benannt. Das kennen ja alle gen diese Staudammprojekte protestieren. Das Leute dort, und das ist ja auch unsere Hoffnung: hat auch einige Publicity in Peru gebracht, ich Dass dadurch, dass wir den Namen einer Tier- habe da auch ein paar Interviews geführt und art der Mutter Erde widmen, sich die Leute stär- das hat schon geholfen, für dieses Thema ein ker ins Gedächtnis rufen, auch die Erde und die bisschen mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Umwelt zu schützen. Hatte dieser Protest dann auch weitere Konse- // Interview: Thilo F. Papacek quenzen? Naja, das mit den Echsen ist dann auch bis zu den Betreibern eines Staudammprojektes durch- gedrungen. Die haben dann einige Tiere dieser Art eingefangen und sie an einer anderen Stelle ausgesetzt, um die Echsenart dadurch zu retten. Da wurde ich dann gefragt, was ich davon hal- LN-Dossier ★ 17
WASSERKRAFT IN LATEINAMERIKA SCHLECHTER DEAL BOLIVIEN WILL MIT WASSERKRAFT ZUM STROMEXPORTEUR WERDEN – DIE ERFOLGSAUSSICHTEN DES PROJEKTS SIND GERING Foto: Friends of the Earth International (CC BY-NC-ND 2.0) Boliviens Staatsfinanzen sind abhängig vom Export von Erdgas nach Brasilien und Ar- gentinien. Doch die Einnahmen sinken we- gen des niedrigen Gaspreises. Die Regierung will mit dem Export von Strom die Finanzie- rungslücke schließen. Doch die Idee ist zum Scheitern verurteilt, findet der Aktivist Pablo Solón, wie er im Interview erklärt. In kurzen Worten: Was sind die Projekte El Bala und Chepete? Geplant ist der Bau von zwei großen Wasserkraft- werken im Flusslauf des Beni. Die Namen stam- men von zwei Schluchten, durch die der Fluss verläuft. Das Kraftwerk von El Bala soll mit ei- ner Kapazität von 3.300 MW mehr Energie er- PABLO SOLÓN zeugen als Chepete, das mit 350 MW Kapazität ist ehemaliger Diplomat und derzeit Direktor deutlich kleiner ausfällt. Dafür würde bei Chepe- der Fundación Solón. Er ist Sohn des Künstlers te der größere Stausee entstehen. Durch die Stau- und Gründers der Stiftung, Walter Solón Ro- ung soll der Wasserspiegel um mehr als 150 mero. Als sozialer Aktivist hat er mit den Or- Meter angehoben werden. Dann würden 677 Qua- ganisationen von Kleinbäuer*innen, Minen- dratkilometer Fläche überflutet werden. Der arbeiter*innen und Indigenen zusammenge- Stausee von El Bala soll 94 Quadratkilometer arbeitet. Er war ein Freund des heutigen Prä- überfluten, sodass insgesamt 771 Quadratkilo- sidenten Boliviens, Evo Morales, der ihn 2006 meter überflutet werden würden. Der Stausee von bat, sich an seiner Regierung zu beteiligen. Chepete, der entstehen würde, wäre der dritt- Von 2009 bis 2011 war er Botschafter Bolivi- größte See des Landes, fünf Mal größer als die ens vor den Vereinten Nationen. Im Jahr 2011 urbane Region von La Paz. legte Pablo Solón sein Amt nieder, da er die Alle diese Daten stammen aus der vorläufigen von der Regierung geplante Straße durch das Umweltbilanz, die die italienische Firma Geoda- Indigenenschutzgebiet und Nationalpark und ta im Auftrag der bolivianischen Regierung an- das Isiboro-Secure (TIPNIS) ablehnte. gefertigt hat. Nach den Berechnungen von Kurz nach diesem Interview erklärte die Geodata müssen etwa 5.100 Menschen umgesie- bolivianische Regierung, dass sie eine Klage delt werden. Teile des Sees werden auch den Na- gegen Pablo Solón anstrenge. Sie wirft ihm vor, tionalpark Madidi überfluten. Das Regenwald- während seiner Zeit im diplomatischen Dienst gebiet gilt als eine Region mit der höchsten sein Amt missbraucht zu haben. In Kreisen von Biodiversität auf dem Planeten. Insbesondere für Nichtregierungsorganisationen geht man davon Säugetiere weist es die höchste Artenvielfalt aus, dass die Regierung versucht, seine Kritk an weltweit auf. Er ist weltberühmt und ein wich- El Bala und Chepete zum Schweigen zu bringen. tiger Touristenmagnet. Das Naturschutzgebiet Sie können Pablo Solón auf der Homepage Fokus wird sehr stark beeinträchtigt werden. In der vor- on the Global South eine Unterstützungsnachricht läufigen Umweltbilanz sind keine Maßnahmen senden (englisch): beschrieben, um die Auswirkungen des Kraft- http://bit.ly/2ucLvjM werks auf die Biodiversität abzumildern. 18 ★ LN-Dossier
Foto: Joe Lazarus (CC BY-NC-ND 2.0) Regenwald in Gefahr Der bedrohte Madidi Nationalpark weist eine große Artenvielfalt auf Wie ist der aktuelle Stand der Planungen? livien existiert nicht. Es wird zwar verhandelt, Derzeit fertigt die Firma Geodata ein endgülti- aber es gibt keinen Vertrag. Geodata rechnet in ges Projektdesign an. Auf dessen Grundlage sol- ihren Studien mit einer Laufzeit von 50 Jahren len dann im kommenden Jahr die internationalen für die geplanten Kraftwerke. Dementsprechend Ausschreibungen erfolgen. Für den Bau von Che- müsste auch der Vertrag über den Kauf von Strom pete werden sechs Jahre veranschlagt. Nach den eine Laufzeit von 50 Jahren haben. Die italieni- Berechnungen der Regierung wären dann die sche Firma hat ebenfalls berechnet, dass sich das Bauarbeiten im Jahr 2025 abgeschlossen. Kraftwerk von Chepete nur dann lohne, wenn der Verkaufspreis für den Strom über diesen Zeit- Wofür soll die Energie der Kraftwerke ver- raum bei 70 US-Dollar pro Megawattstunde ($/ wendet werden? MWh) liegt. Damit sich El Bala lohnt, müsste der Die Energie, die in El Bala und Chepete erzeugt Preis noch höher liegen, über 80 $/MWh. Der- werden soll, ist vor allem für den Export nach zeit liegt aber der Strompreis in Brasilien bei et- Brasilien bestimmt. Derzeit hat Bolivien insge- wa 52 $/MWh. Das bedeutet, dass das ganze samt 1.900 MW Kapazität in allen Kraftwerken Projekt darauf wettet, dass der Strompreis in des Landes installiert. Das bedeutet, dass das Brasilien in den nächsten Jahren enorm steigt. Land nur mit den beiden Wasserkraftwerken Chepete und El Bala fast doppelt so viel Energie Dabei muss man berücksichtigen, dass Bra- erzeugen kann, wie alle heutigen bolivianischen silien auch mehrere neue Kraftwerke am Ta- Kraftwerke zusammen. Es soll eine 1.300 Kilo- pajós plant... meter lange Hochspannungsleitung bis nach Absolut! Und zudem wachsen auch die brasilia- Cuiabá in Brasilien gebaut werden. Boliviens nischen Investitionen in die Windenergie. Brasi- Regierung ist stark abhängig vom Export von Gas lien hat bereits 9.000 MW Kapazität in nach Argentinien und Brasilien. Die ganzen So- Windenergie installiert. Wir gehen davon aus, zialprogramme der MAS-Regierung hängen von dass bis zur Fertigstellung von Chepete und El diesen Einnahmen ab. Doch die Gasreserven Bala Brasilien diese Menge verdoppeln wird. Das schrumpfen und der Gaspreis ist gesunken. Der wird den Strompreis in Brasilien eher senken als Export von Strom soll dafür Ersatz schaffen. erhöhen. Nach unserer Meinung ist dieses gan- ze Projekt deshalb ökonomisch völlig unsinnig. Erachten Sie dieses Modell des Exports von Strom nach Brasilien als sinnvoll? Warum wird das Projekt dennoch weiter Ich würde klar sagen: Nein. Bei einem so großen verfolgt? Projekt benötigt man vorab einen klaren Vertrag Bei der Lizenzvergabe an solche Großprojekte über die Abnahme der Energie, in dem die Strom- bestehen große Probleme. Nach den boliviani- preise über einen langen Zeitraum festgelegt sind. schen Gesetzen muss die Partei, die ein Projekt Doch so ein Vertrag zwischen Brasilien und Bo- beantragt, auch die Umweltverträglichkeitsstu- LN-Dossier ★ 19
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