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Entschieden entflechten Entschieden entflechten Chinas Boom war für die deutsche Wirtschaft lange ein Glücksfall. Doch auch die Unternehmen merken, wie sich der Wind in Peking dreht. Künftig wird man hart darum ringen müssen, wo die Grenze zwischen vorteilhafter Verflechtung und gefährlichen Abhängigkeiten verläuft. Von Bernhard Bartsch und Anika Laudien IP Special • 3 /2021 | 55
Ökonomie und Offenheit A nfang 2021 in der Strategiesitzung Realität, etwa wenn es um den Transfer eines deutschen Mittelständlers: von Daten geht. „Unsere Datensysteme für Quer durch alle Zeitzonen treffen unsere Anlagen müssen für unterschiedli- sich 20 führende Manager in einem vir- che Märkte komplett voneinander getrennt tuellen Meeting-Raum, um sich die Kern- sein“, sagt der Vorstand. „Allein das sind frage jedes Unternehmens zu stellen: schon Anforderungen und Kosten, die Passt unsere Strategie noch zu der Welt nicht jedes Unternehmen stemmen kann.“ von morgen? Die Pandemie spielt dabei schon keine zentrale Rolle mehr; die Be- Die Wirtschaft denkt um stellungen für die Produktionsmaschinen Ähnliche Diskussionen führen derzeit die der Deutschen ziehen wieder an. Die gro- meisten deutschen Exportunternehmen. ße Frage ist China. Das neue China. Das Von den Strategien, die dabei herauskom- schwierige China. „Vor ein paar Jahren men, hängt viel ab für den Wirtschafts- ging es vor allem darum, wie viel wir in standort Deutschland. Drei Jahrzehnte China verkaufen können“, erklärt einer der lang sind die wirtschaftlichen Beziehun- Vorstände. „Heute ist die Frage: Wie viel gen immer enger geworden, ein dichtes China ist gesund für unser Unternehmen?“ Netz aus Geschäftsverbindungen tausen- Natürlich ist China ein Schlüsselmarkt; der Firmen. Doch die Welt hat sich verän- nirgends verzeichnet die Branche auch dert und mit ihr der deutsche Blick auf Ko- nur annähernd so hohe Wachstumszah- operationen mit China. In den kommenden len. Aber jeder im Call weiß, dass hinter Jahren wird politisch und wirtschaftlich den steilen Kurven Gefahren lauern. Eine hart darum gerungen werden, wo die Gren- davon heißt „Made in China 2025“. Die chi- ze zwischen vorteilhafter Verflechtung und nesische Industriepolitikinitiative soll die gefährlicher Abhängigkeit verläuft. chinesischen Technologieunternehmen zu Dabei wird das lange Jahre dominieren- Bernhard Bartsch Weltmarktführern machen, gerade auch in de Narrativ, die deutsche Wirtschaft sei so ist seit Mai Director Branchen, in denen die Deutschen traditi- abhängig von China, dass ein unabhän- External Relations bei MERICS. Zuvor onell stark sind. gigerer oder gar konfrontativerer Kurs ge- arbeitete er im Kann das Unternehmen darauf hoffen, genüber Peking ökonomischer Selbstmord Asien-Programm dass es mit seinen hochspezialisierten An- sei, in wachsendem Maße infrage gestellt. der Bertelsmann lagen eine Nische bedient, die groß genug Angela Merkels Kanzleramt scheint derzeit Stiftung und als Korrespondent ist, damit eine deutsche Mittelstandsfirma noch die letzte Bastion dieser Ansicht zu in China. darin gut leben kann, aber zu klein, um sein. In weiten Teilen der Wirtschaft hat auf das Radar der Pekinger Wirtschafts- längst ein Umdenken eingesetzt. planer zu geraten? Oder hat die chine- Zwar sind einzelne deutsche Unterneh- sische Politik es nicht gerade auf solche men und Branchen tatsächlich stark von neuralgischen Punkte in den Wertschöp- China abhängig, insbesondere die Automo- fungsketten abgesehen? bilindustrie, aber mitnichten die deutsche Eine andere Gefahr heißt „Decoupling“, Wirtschaft insgesamt. Schätzungsweise ein politisch motivierter Abkopplungs- 900 000 deutsche Arbeitsplätze hängen Anika Laudien kurs zwischen der chinesischen und der an Exporten nach China, weniger als ist Projekt- US-Wirtschaft, dem sich auch Europa 2 Prozent der gesamten Beschäftigten in managerin im nicht entziehen kann. Eine weitgehende Deutschland. Das ist kaum eine Zahl, die Asien-Programm der Bertelsmann Rückabwicklung der Globalisierung mag ein Nachdenken über größere Unabhän- Stiftung. schwer vorstellbar sein und ist doch längst gigkeit verbieten würde. 56 | IP Special • 3 /2021
Entschieden entflechten Im Gegenteil: Da die chinesische Wirt- deutsche Maschinenbau weiterhin mit ei- schaftspolitik ihrerseits darauf ausge- nem langfristigen Wachstum der Exporte richtet ist, immer weniger Technologie in die Volksrepublik rechnen. Die Zahlen zu importieren und immer mehr selbst zeigen außerdem: Je mehr Erfolg Peking zu exportieren, muss sich die deutsche mit seiner Industriepolitik hat, desto mehr Wirtschaft ohnehin darauf einstellen, Maschinen und Anlagen exportiert es dass sich das China-Geschäft in den kom- auch in Drittländer und wird dort zu einer menden Jahren grundlegend verändern starken Konkurrenz. Die ausschließliche wird. Vorbei sind die Zeiten, in denen man Fokussierung auf eine Teilhabe am wirt- im Westen davon ausgehen konnte, dass schaftlichen Wachstum Chinas könnte für sich Peking auf einem Weg marktwirt- die deutsche Wirtschaft mit steigenden schaftlicher Reformen und systemischer Abhängigkeiten und dennoch rückläufi- Annäherung befände. Zwar bemüht sich gen Exporten einhergehen. Chinas Regierung, Sorgen über die chine- Das heißt keineswegs, dass Unterneh- sischen Ambitionen zu zerstreuen. Vorbe- men sich aus dem chinesischen Markt halte gegenüber „Made in China 2025“, ge- zurückziehen müssten. Chinas Anteil am genüber der Seidenstraßen-Initiative oder Weltmarkt wächst stetig, und in vielen gegenüber einem Cybersicherheitsgesetz, Sektoren setzt die Volkrepublik längst das der Kommunistischen Partei de facto selbst technologische Standards. Doch vollen Zugriff auf alle Daten chinesischer in Zeiten einer wachsenden Politisierung Unternehmen ermöglicht, werden von Pe- der Weltwirtschaft ist die alte Devise, king als (mehr oder weniger böswillige) dass alles, was für ein deutsches Unter- Missverständnisse dargestellt. nehmen gut ist, auch dem Wirtschafts- standort Deutschland diene, nur noch eingeschränkt gültig. Je erfolgreicher China Wie viel Marktmacht China mit seinen seine Pläne umsetzt, umso Produkten entwickeln kann und welche politischen Folgen daraus entstehen kön- schwerer wird es für nen, hat zuletzt die 5G-Diskussion gezeigt. Die Frage, in welchen Branchen wir mit deutsche Unternehmen China gut zusammenarbeiten können, wird unweigerlich ins Zentrum der wirt- Doch nimmt man die Pläne und Ankün- schaftspolitischen Debatte rücken. Dort digungen ernst, ergibt sich ein ziemlich braucht es transparente Richtlinien, nach klares Bild von Chinas Kurs. Ein Beispiel: denen Chancen und Risiken gegeneinan- „Made in China 2025“. In einer Studie ha- der abgewogen werden. ben die Bertelsmann Stiftung und das Wie ein solches Raster aussehen könn- Fraunhofer Institut für Innovations- und te, zeigt der sogenannte Green-List-Ansatz, Systemforschung (ISI) berechnet, was es den das US-Forschungsunternehmen Rho- für den deutschen Maschinen- und An- dium im Auftrag der Bertelsmann Stiftung lagenbau, eine der exportwirtschaftlich entwickelt hat. Dafür wird analysiert, wel- wichtigsten Branchen, bedeuten würde, che Teile des wirtschaftlichen Austauschs wenn China mit seiner Strategie Erfolg hat. zwischen der EU und China aus sicherheits- Die Ergebnisse sind deutlich: Nur wenn politischer Sicht unbedenklich sind. Das Er- „Made in China 2025“ scheitert, kann der gebnis: Der größte Teil des China-Geschäfts IP Special • 3 /2021 | 57
Ökonomie und Offenheit ist sicherheitspolitisch irrelevant, also kei- Dabei sollte klar sein: Wirklich behaup- ne Bedrohung für die nationale Sicherheit, ten können wir uns gegenüber China nicht die Stabilität kritischer Infrastruktur oder mit Defensivschlachten, sondern nur durch die Versorgung mit lebensnotwendigen Gü- Wettbewerbsfähigkeit. Und dafür brauchen tern. 83 Prozent der europäischen Importe wir faire Wettbewerbsbedingungen in einem aus China und 56 Prozent der europäischen so großen Teil der Welt wie möglich. Hier Exporte werden als „grün“ eingestuft. Auch liegen auch die Ansatzpunkte für eine aus- ein beträchtlicher Anteil der Branchen, die sichtsreiche transatlantische China-Agen- nicht auf der „Green List“ stehen, könnten da. Da nicht zu erwarten ist, dass Peking durch entsprechende Regulierungsmaß- seinen staatlich gelenkten wirtschaftlichen nahmen wieder auf grün geschaltet werden. Ansatz in absehbarer Zeit wesentlich ändert, Konzepte wie dieses können nicht nur sollten sich die EU und die USA auf die Ge- Transparenz für Unternehmen schaffen, staltung des Umfelds konzentrieren, in dem sondern auch politische Argumentations- sie mit China interagieren. hilfen liefern, sowohl in Richtung Peking Hier ist eine stärkere transatlantische als auch in Richtung Washington. Zwar Abstimmung über den Schutz gleicher gibt es für Europa zwischen den beiden Wettbewerbsbedingungen im eigenen Großmächten keine Äquidistanz; die USA Land gegenüber chinesischen Playern sind für die Europäer die deutlich engeren und über die Förderung der Wettbewerbs- Partner. Doch auch im transatlantischen neutralität in China von entscheidender Verhältnis wird Europa seine Eigenstän- Bedeutung. Darüber hinaus sollten die digkeit beweisen müssen. Vereinigten Staaten und die EU auf gleiche Bild nur in Printausgabe verfügbar Andockfähig: Einzelne deutsche Unternehmen und Branchen sind stark vom China-Geschäft abhängig, die Wirtschaft als Ganzes eher nicht. Blick in den Hafen von Qingdao, einen der geschäftigsten Häfen der Welt. 58 | IP Special • 3 /2021
Entschieden entflechten Bild nur in Printausgabe verfügbar Vorteilhaft verflochten? Die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen sind ausgesprochen eng. Kunst- stoffprodukte (hier: ein Unternehmen in Lianyungang) gehören dabei zu Chinas wichtigsten Exportgütern. Wettbewerbsbedingungen in Drittländern kommen, wird ein erneuertes transatlan- hinwirken, wo chinesische Wirtschaftsak- tisches Bündnis ernst genommen werden. teure unfaire Praktiken anwenden könn- So ließe sich Peking signalisieren, dass die ten, die amerikanische und europäische USA und Europa entschlossen und in der Unternehmen benachteiligen. Lage sind, gleiche Wettbewerbsbedingun- Damit dieser Ansatz erfolgreich ist, gen untereinander und für eine breitere müssen die USA und die EU ihre eigenen Gruppe der fortschrittlichsten Volkswirt- Streitigkeiten beilegen. Dazu gehören schaften zu schaffen – und dass China Meinungsverschiedenheiten über Daten- den (zumindest teilweisen) Ausschluss schutzstandards und digitale Besteue- von diesem Spielfeld riskiert. rung, Stahl- und Automobilzölle sowie Dieser Ansatz spiegelt eine Verschie- der langjährige Airbus-Boeing-Streit, der bung in der China-Politik wider: Es geht nun immerhin bis mindestens Juli 2021 nicht mehr nur um unsere Beziehung zu auf Eis gelegt wurde. Die Lösung dieser China, sondern darum, die Probleme, die Fragen würde die USA und Europa in die Peking weltweit schafft, gemeinsam mit Lage versetzen, mit China robuster das gleichgesinnten liberalen Demokratien Thema gleiche Wettbewerbsbedingungen und Marktwirtschaften anzugehen. Mit sowohl innerhalb als auch außerhalb des multilateralen Strukturen können wir dazu WTO-Kontexts zu verhandeln. beitragen, direkte Konfrontationen zu ver- Nur wenn die USA und die EU ihre Fä- hindern, und uns so im Spannungsfeld von higkeit beweisen, inhaltliche Differenzen Partnerschaft, Wettbewerb und Rivalität zu überwinden und gemeinsam voranzu- selbstbewusst positionieren. IP Special • 3 /2021 | 59
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