Exzellente Dienstleistungsarbeit - Wege der Professionalisierung Service Professionality Guide
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Nizar Abdelkafi Andrea Baukrowitz Fritz Böhle Ingeborg Bootz Werner Duell Evelyne Fischer Jens Gerhardt Robert Goecke Felix Haala Dennis Hilgers Franz Kaiser Sarina Keiser Hans Koller Judith Marquardt Ralf Reichwald Ortfried Schäffter Agnes Schipanski Margarete Schmidt Sonntag Helmut Schönenberger Albert Sonntag Michael Steinbusch Gereon Stock Margit Weihrich Fritz Wickenhäuser Kathrin Wickenhäuser Service Professionality Guide Hans Wiesmeth Klaus Zühlke-Robinet Herausgeber: Ralf Reichwald, Agnes Schipanski, Felix Haala Exzellente Dienstleistungsarbeit Wege der Professionalisierung AOC
Vorwort Autoren Grußwort Autoren Mit dieser vorliegenden Broschüre legt das Metaprojekt „ServProf“ den Schlussstein für Nizar Abdelkafi – Empfehlungen für den Export von Bildungsdienstleistungen 67 den Förderschwerpunkt „Dienstleistungsqualität durch professionelle Arbeit“. Der För- derschwerpunkt mit seinen fast 60 Einzelvorhaben nahm seine Arbeit in 2008 auf und Andrea Baukrowitz – IT-Dienstleistungen – Situation und Empfehlungen 23 kann nun auf eine wirkungsvolle Arbeit zurückblicken. Sich den neuen Herausforderungen und Tücken von Dienstleistungsarbeit, Dienstleistungsqualität und Professionalisierung Fritz Böhle – Dienstleistungsarbeit als Interaktionsarbeit – Überblick 14 im Kontext der Vielfältigkeit von Dienstleistung zu stellen, ermöglichte 2007 die BMBF- Bekanntmachung „Dienstleistungsqualität durch professionelle Arbeit“. Aufgabe und Ziel Ingeborg Bootz – Der Förderschwerpunkt „Dienstleistungsqualität durch professionelle Arbeit“ 79 der beteiligten Vorhaben war es, Treiber und Hemmnisse für Professionalität sowie für An- Werner Duell – Empfehlungen zur Professionalisierung 84 erkennung und Wertschätzung zu identifizieren und entsprechende Gestaltungsoptionen für Unternehmen und Gesellschaft zu benennen und zu befördern. Ob Pflege- oder Erzie- Evelyne Fischer – Empfehlungen zur Weiterbildung 88 hungsarbeit, Arbeit in technischen Bezügen, Kunden in Arbeitsbezüge integriert werden oder Beschäftige unternehmerisch tätig sein sollen: professionelles Handeln und professio- Jens Gerhardt – Empfehlungen für die Automobilbranche 71 nelle/berufliche Identität sind zwingende Voraussetzung für Dienstleistungsqualität, sie wird auch durch Wertschätzung und Anerkennung stark befördert. Robert Goecke – Tourismus-Dienstleistungen – Situation und Empfehlungen 33 Die zentralen, konstituierenden Elemente von qualifizierter Arbeit, wie Facharbeit, Stolz auf Felix Haala – Weiterbildung und Kompetenzentwicklung 50 die Arbeit, Wertschätzung, Professionalität und Engagement als Erfolgsfaktoren des „Made in Germany“ sollten auch für Dienstleistungstätigkeiten systematisch erschlossen werden. Dennis Hilgers – Public Services – Situation und Empfehlungen 39 In vielen Bereichen findet Dienstleistungsarbeit unter Unwägbarkeiten und Unsicherheiten statt, so dass die Interaktion mit Kunden nicht stets vollständig ergebnisorientiert vorweg Franz Kaiser – Dienstleistungstätigkeiten – Dienstleistungsqualität durch Professionalisierung 08 zu planen ist. Dienstleistungsqualität auch in unvorhergesehenen Situationen zu gewähr- Sarina Keiser – Empfehlungen zur Interaktionsarbeit 86 leisten bedarf einer gehörigen Portion Professionalität. Sie ist nicht per se vorhanden, son- dern sie ist gerade in betrieblichen Kontexten systematisch zu entwickeln und zu entfalten. Hans Koller – Professionalisierung von Dienstleistungen und die Grenzen der Übertragbarkeit 74 Dabei ist ebenso die Vielschichtigkeit der Dienstleistungsqualität in Rechnung zu stellen. Sie hat bei personenbezogenen Dienstleistungen eine andere Konnotation als in hybriden Judith Marquardt – Pflegedienstleistungen – Situation und Empfehlungen 30 Wertschöpfungsbezügen und wiederum eine andere Bedeutung in technischen Bezügen oder im Umgang mit Symbolen. Ralf Reichwald – Dienstleistungstätigkeiten – Dienstleistungsqualität durch Professionalisierung 08 Die hohe Beteiligung von Unternehmen und Organisationen zeigt deutlich, dass sie durch- Ortfried Schäffter – Empfehlungen für Weiterbildungsdienstleistungen 54 aus an professionell agierenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern interessiert sind. Ihnen ist durchaus bewusst, dass Wertschätzung und Anerkennung zur Sicherstellung einer ho- Agnes Schipanski – Weiterbildung und Kompetenzentwicklung 50 hen und durchgängigen Dienstleistungsqualität erheblich beitragen. Die Ergebnisse des Förderschwerpunktes zeigen auch, dass Unternehmen und Organisationen bereit sind, Margarete Schmidt Sonntag und Albert Sonntag – Dienstleistungsvernetzung 45 in „ihre“ Beschäftigten zu investieren und Strukturen und Prozesse so verändern, dass Helmut Schönenberger – Gründungsdienstleistungen – Situation und Empfehlungen 43 Dienstleistungsarbeit professionell und wertgeschätzt ausgeübt werden kann. Zugleich ist dies die beste Strategie gegen den Fachkräftemangel. Michael Steinbusch – Architekturdienstleistungen – Situation und Empfehlungen 47 Die Broschüre macht das breite Spektrum der bearbeiteten Bereiche deutlich und be- Gereon Stock – Empfehlungen für den öffentlichen Nahverkehr 58 schreibt, wie Unternehmen und Organisationen die Ergebnisse aufgreifen und verwerten. Schließlich werden aus Sicht der Wissenschaft Anschlussmöglichkeiten für weiterfüh- Margit Weihrich – Die Professionalisierung interaktiver Arbeit 20 rende Forschung benannt. Der Projektträger dankt im Namen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung allen an der Broschüre beteiligten Personen, Unternehmen, Fritz Wickenhäuser – Empfehlungen für die mittelständische Wirtschaft 61 Organisationen und Forschungseinrichtungen. Ohne ihre Bereitschaft zur Teilnahme an Workshops und ihre einschlägigen Diskussionsbeiträge hätte diese Broschüre nicht veröf- Kathrin Wickenhäuser – Hotellerie-Dienstleistungen – Situation und Empfehlungen 27 fentlicht werden können. Wir wünschen ihr eine weite Verbreitung und dass die Ergebnisse und Erkenntnisse eine gute Sichtbarkeit erlangen. Hans Wiesmeth – Empfehlungen für Bildungsdienstleistungen im akademischen Bereich 64 Klaus Zühlke-Robinet – Der Förderschwerpunkt „Dienstleistungsqualität durch professionelle Arbeit“ 79 Prof. Dr. Ingeborg Bootz Klaus Zühlke-Robinet Projektträger im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, e.V., Bonn OE 30 Innovationsfähigkeit und Transfer, Arbeitsgestaltung und Dienstleistungen/ Koordinationsgruppe Dienstleistungen 2 3
Inhalt Inhalt Inhalt Grusswort ....................................................................................................................................... 02 3. Weiterbildung und Kompetenzentwicklung als Grundlage Vorwort . .......................................................................................................................................... 07 der Professionalisierung.................................................................................... 50 3.1 Weiterbildung und Kompetenzentwicklung............................................................................ 51 1. Dienstleistungstätigkeiten – Dienstleistungsqualität Die Bedeutung von Weiterbildung für die Professionalisierung von Dienstleistungstätigkeiten............................. 51 durch Professionalisierung ................................................................................ 08 Die Vermittlung von Interaktions- und Methodenkompetenz als Eckpfeiler von Weiterbildungsmaßnahmen........52 1.1. Merkmale von Beruflichkeit und Professionalisierung.......................................................... 09 Institutionen der Weiterbildung als Beitrag zur Professionalisierung ...................................................................53 Was macht eigentlich einen Beruf aus?.............................................................................................................. 09 3.2 Empfehlungen zur Weiterbildung im Dialog............................................................................ 54 Wie entstehen Berufe als „demokratischer Prozess der Berufsbildung“?............................................................ 11 Interview mit Prof. Dr Ortfried Schäffter: Empfehlungen für Weiterbildungsdienstleistungen...............................54 1.2. Der Anspruch demokratischer Berufsbildung als Grundlage der Professionalisierung....... 12 Interview mit Gereon Stock: Empfehlungen für den öffentlichen Nahverkehr......................................................58 Professionalisierung von Dienstleistungen: Wesensmerkmal „Interaktion“.......................................................... 12 Interview mit Prof. Dr. Fritz Wickenhäuser: Empfehlungen für die mittelständische Wirtschaft............................ 61 Was ist der Unterschied der kaufmännischen Dienstleistungsarbeit zur Industriearbeit? .................................... 12 Interview mit Prof. Dr. Hans Wiesmeth: Empfehlungen für Bildungsdienstleistungen im Was sind die Anforderungen für neue Dienstleistungsberufe?............................................................................ 12 akademischen Bereich......................................................................................................................................64 Vermittlerfunktion als dominantes Merkmal....................................................................................................... 13 Interview mit Dr. Nizar Abdelkafi: Empfehlungen für den Export von Bildungsdienstleistungen...........................67 Interview mit Jens Gerhardt: Empfehlungen für die Automobilbranche............................................................... 71 1.3. Zusammenfassung und Trends................................................................................................ 13 2. Interaktionsarbeit im Fokus der Professionalisierung 4. Professionalisierung von Dienstleistungen und die Grenzen von Dienstleistungsarbeit....................................................................................14 der Übertragbarkeit ........................................................................................... 74 2.1. Dienstleistungsarbeit als Interaktionsarbeit – Überblick ..................................................... 15 4.1 Umwälzungen im Dienstleistungssektor................................................................................ 75 Was ist Interaktionsarbeit?................................................................................................................................. 15 4.2 Die Einbettung von Sachleistungen in umfassende Dienstleistungen.................................... 76 Merkmale von Interaktionsarbeit ....................................................................................................................... 15 4.3 Thesen zur Professionalisierung künftiger Dienstleistungen................................................ 77 Interaktionskompetenz...................................................................................................................................... 16 Die Beziehung zwischen Dienstleister und Kunden als Kern der Dienstleistungsarbeit....................................... 17 5. Weiterbildung, Interaktionsarbeit und Professionalisierung – Empfehlungen Neue Formen des Wissensaustauschs als Innovationstreiber............................................................................. 17 für die Dienstleistungswirtschaft aus Sicht des Förderschwerpunkts . ............ 78 2.2. Empfehlungen zur Interaktionsarbeit im Dialog..................................................................... 20 5.1 Der Förderschwerpunkt „Dienstleistungsqualität durch professionelle Arbeit“.................. 79 Interview mit Dr. Margit Weihrich: Die Professionalisierung interaktiver Arbeit.................................................... 20 Interview mit Andrea Baukrowitz: IT-Dienstleistungen – Situation und Empfehlungen ........................................ 23 5.2 Empfehlungen zur Professionalisierung................................................................................. 84 Interview mit Kathrin Wickenhäuser: Hotellerie-Dienstleistungen – Situation und Empfehlungen ....................... 27 Worin liegt das Besondere bei der Professionalisierung in der Dienstleistung?....................................................84 Interview mit Dr. Judith Marquardt: Pflegedienstleistungen – Situation und Empfehlungen ................................ 30 Was bedeutet diese Besonderheit für die Ausbildung in der Dienstleistung?.......................................................85 Interview mit Prof. Dr. Robert Goecke: Tourismus-Dienstleistungen – Situation und Empfehlungen ................... 33 Was bedeutet diese Besonderheit für die Praxis der Dienstleistung?..................................................................85 Interview mit Prof. Dr. Dennis Hilgers: Public Services – Situation und Empfehlungen ....................................... 39 5.3 Empfehlungen zur Interaktionsarbeit .................................................................................... 86 Interview mit Dr. Helmut Schönenberger: Gründungsdienstleistungen – Situation und Empfehlungen................ 43 In welchen Bereichen der Dienstleistungswirtschaft spielt Interaktionsarbeit eine entscheidende Rolle Interview mit Margarete Schmidt Sonntag und Dr. Albert Sonntag: Dienstleistungsvernetzung – für die Dienstleistungsqualität?..........................................................................................................................86 Situation und Empfehlungen............................................................................................................................. 45 Inwiefern spiegeln sich Interaktionskompetenzen im beruflichen Bildungs- und Ausbildungssystem Interview mit Dr. Michael Steinbusch: Architekturdienstleistungen – Situation und Empfehlungen...................... 47 wider oder sollten dies tun?...............................................................................................................................86 Welche Kompetenzen erfordert Interaktionsarbeit und wie können diese entwickelt werden?.............................87 Welche Rolle spielt Wertschätzung in der Interaktionsarbeit? ............................................................................87 5.4 Empfehlungen zur Weiterbildung ........................................................................................... 88 Welchen Stellenwert nimmt Weiterbildung in der Professionalisierung von Dienstleistungsarbeit ein?..................88 Welche Formen hat Weiterbildung im Dienstleistungsbereich?...........................................................................89 Professionalisierung und Wertschätzung in der Dienstleistungsarbeit – wie wandelt sich die Weiterbildung selbst?.........................................................................................................................................89 Literaturverzeichnis . ..................................................................................................................... 90 Autorenverzeichnis......................................................................................................................... 93 4 5
Vorwort Vorwort Vorwort Dienstleistungen tragen in Deutschland erheblich zur Wert- Aus den Workshops konnten wichtige, weiterführende Er- schöpfung und Schaffung von Arbeitsplätzen bei. Die Gene- kenntnisse gewonnen werden, die wir mit dieser Broschüre rierung von innovativen Dienstleistungen stellt somit eine we- an die Fachöffentlichkeit weitergeben wollen. Unser Ziel ist sentliche Aufgabe für den Wirtschaftsstandort Deutschland es, einen praxisnahen „Guide“ zur Professionalisierung von dar. Es besteht daher die Notwendigkeit, sich dem internatio- Dienstleistungsarbeit „aus der Praxis für die Praxis“ vorzu- nalen Wettbewerb um innovative Dienstleistungen zu stellen. stellen. Dabei lassen wir unsere Experten aus ihrem jewei- Qualifikation und Kompetenzentwicklung, Beruflichkeit und ligen Erfahrungshintergrund in Interviewform direkt zu Wort Berufsbildung der im Dienstleistungsbereich Beschäftigten kommen. sind dabei wesentliche Anknüpfungspunkte einer Professio- nalisierung der Dienstleistungsarbeit, die sich auf die Inno- An dieser Stelle möchten wir uns bei unseren Partnern der vationsfähigkeit, die Qualität der Dienstleistungen, aber auch Workshops für die interaktive Mitgestaltung dieser Broschüre auf die Wertschätzung der Dienstleistungsarbeit auswirken. bedanken. Dank schulden wir auch dem Bundesministerium Allerdings sind in der Dienstleistungswirtschaft noch erheb- für Bildung und Forschung und unseren Betreuern, insbe- liche Defizite der Professionalisierung festzustellen. Um an sondere Frau Professor Dr. Ingeborg Bootz und Herrn Klaus die Professionalität der Industriearbeit und die Innovations- Zühlke-Robinet, Projektträger im Deutschen Zentrum für kultur in der industriellen Produktion anschließen zu können, Luft- und Raumfahrt e.V. „Arbeitsgestaltung und Dienstlei- müssen auch im Dienstleistungsbereich nachhaltig wirkende stungen“, die uns so hilfreich inspiriert und begleitet haben. Konzepte der Berufsbildung und Professionalisierung entwi- Darüber hinaus danken wir den Kollegen und Kolleginnen am ckelt werden. Dieser Aufgabe widmet sich eine Gruppe von Center for Leading Innovation & Cooperation (CLIC) der HHL Forschungsprojekten, die unter dem Förderschwerpunkt des Leipzig Graduate School of Management, insbesondere Katja Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) Trescher, Leontin Grafmüller und Friedrich Heidemann für „Dienstleistungsqualität durch professionelle Arbeit“ zusam- die hilfreiche Unterstützung bei der redaktionellen Erstellung mengefasst sind. dieser Broschüre. Ein Instrument zur Unterstützung und Steuerung dieses Förderschwerpunktes ist das „Metaprojekt“. Es soll zur Fort- Ralf Reichwald entwicklung und Verstetigung der Arbeit im Förderschwer- Agnes Schipanski punkt beitragen und aus einer übergreifenden Perspektive Felix Haala die themenbezogene Forschungslandschaft analysieren. Das Metaprojekt „Service Professionalität lernen und leben“ (Ser- vProf) ist Bestandteil des Förderschwerpunkts „Innovationen mit Dienstleistungen“. Ein wichtiges Ergebnis der Metaprojektarbeit ist der För- derschwerpunktband „Zukunftsfeld Dienstleistungsarbeit: Professionalisierung – Wertschätzung – Interaktion“, Wies- baden 2012, (Hrsg.: Reichwald, R./Frenz, M./Hermann, S./ Schipanski, A.). Dieser Buchband besteht aus Beiträgen, die wesentliche Forschungsergebnisse und Erkenntnisse aus den Projekten des Förderschwerpunktes zusammenfassen. Ein weiteres Ziel des Metaprojektes war es, die „Sicht von Außen“ auf die Themenfelder des Förderschwerpunktes ein- zubringen. Zu diesem Zweck fanden im September/Oktober 2012 Experten-Workshops in Leipzig zu folgenden Themen- feldern statt: • „Interaktionsarbeit“, • „Erfolgreiche Professionalisierungsmodelle aus der Dienstleistungswirtschaft und die Übertragung auf neue Dienstleistungsberufe/-tätigkeiten“, • „Weiterbildung als Dienstleistung“. 6 7
01 Merkmale von Beruflichkeit und Professionalisierung Professionalisierung zielt im Wesentlichen auf vier Schwer- punkte: 1. die gestellten Aufgaben in den Leistungsprozessen bewältigen zu können, 2. das Arbeitsumfeld aktiv mitzugestalten und mitzube- Was macht eigentlich einen Beruf aus? • Was sind Kennzeichen von Berufen? • Wie entstehen duale Ausbildungsberufe? Ein Beruf ist die Bündelung von Tätigkeiten in einem sozia- len Verständigungsprozess. Meist gekoppelt mit mehr oder minder systematischer Qualifizierung zur Bewältigung dieser Tätigkeiten. Dienstleistungstätigkeiten – stimmen, 3. Innovationsprozesse auszulösen, Ein Beruf ist gekoppelt an bestimmte Erwerbserwartungen. 4. kritische Reflexion über Sinn und Ziele unserer Arbeit Einen Beruf erlernen wir nicht, um ihn dann in unserer Frei- anzuregen (Wo bin ich?, Für welche Institution arbeite zeit zu praktizieren, sondern meistens um ihn auf dem Ar- Dienstleistungsqualität ich?, Ergibt es Sinn, oder bringt es mir nur mein beitsmarkt als Äquivalent für Einkommenserzielung einzuset- Geld?). zen. Beruflichkeit hat stets mehrere Dimensionen. Das hat Konsequenzen für die Berufsbildung, die Qualifizie- • Ein Beruf ist eine Orientierung für den Arbeitgeber, der rung und Kompetenzentwicklung in allen Berufen. Wir wollen mit bestimmten Berufen bestimmte Qualifikationser- durch Professionalisierung uns in diesem Guide schwerpunktmäßig mit den Dienstlei- wartungen verbindet. stungsberufen und mit der Professionalisierung von Dienst- • Ein Beruf ist aber auch eine Orientierung für den leistungen befassen. Dazu müssen wir grundlegende Fragen Arbeitnehmer im Hinblick auf künftige Tätigkeiten und beantworten: Mentalität. • Ein Beruf hat immer auch eine gesellschaftliche Dimen- • Was macht eigentlich einen Beruf aus? sion (Status, Wertschätzung). Franz Kaiser und Ralf Reichwald • Wie entstehen Berufe als „demokratischer Prozess der • Ein Beruf ist mit einem Prozess der Qualifizierung und Berufsbildung“? der Kompetenzentwicklung verbunden. • Wodurch entsteht Ansehen und Wertschätzung von • Ein Beruf ist meist mit einem Abschluss verbunden. Berufen? Berufe haben bestimmte Kompetenzanforderungen, die sich Auf dieser Basis werden wir uns mit den Spezifika der Dienst- auf das Tätigkeitsspektrum beziehen, welche das Berufsfeld leistungsberufe befassen und uns den Fragen der Professio- ausmachen. Dazu gehören fachliche Inhalte (Fachkompe- nalisierung von Dienstleistungen zuwenden. tenzen), die Beherrschung von Werkzeugen und Methoden Einsatzgebiete und Tätigkeiten Technisch- Betriebliche inforationelle Hierarchiestrukturen Hilfsmittel Gesellschaftliche Wissenskanon und Stellung (Status und curriculare Standespolitik) Berufsstrukturen Ökonom.; rechtl.; Beruf politisch, kulturelle Qualifizierungswege Rahmenbedingungen Arbeitsvermögen; Habitus, Mentalität und Motivation Service Professionality Guide Abb. 1-1: Funktion und Konstruktion von Berufen (Kaiser, 2012a, S. 167) 8 9
(Methodenkompetenzen) und der Umgang mit dem sozialen von Berufen und die Entstehung von neuen Berufen. Dem- angelegt sein, dass sie den Menschen dazu ermächtigen, in Wie läuft der Prozess der Berufsentwicklung praktisch ab? Umfeld (Sozialkompetenzen). Diese Anforderungen können entsprechend entwickeln sich auch Qualifizierungswege: be- seinem beruflichen Umfeld gestaltend tätig zu werden, d.h. Wenn es dazu kommt, verständigt man sich auf Arbeitgeber- sich verändern oder es können völlig neue Berufe entstehen. rufliche Fortbildungs- und Ausbildungsgänge für neue Berufe das Arbeitsumfeld zu erfassen und zu gestalten, die Inhalte und Arbeitnehmerseite, dass es Modernisierungen in den Die Arbeitswelt und das gesellschaftliche Umfeld sind einem (z.B. Personaldienstleistungsfachwirte und -kaufleute). und Beziehungen zu reflektieren. Diese Fähigkeiten zur kri- Berufsstrukturen geben muss. Dann tritt man an die Bun- stetigen Wandel unterworfen, der eine kontinuierliche Anpas- Entscheidend für das Ansehen und die Wertschätzung eines tischen Reflexion der beruflichen Tätigkeiten in einem gesell- desregierung in Form des BMBF heran. Anschließend folgt sung der Berufsbilder (Aus- und Fortbildungsverordnungen) Berufes (gesellschaftliche Dimension) ist die Frage, wo dieser schaftlichen Umfeld und die Beantwortung der Sinnfragen ein Antragsgespräch, woraufhin betriebliche Sachverständige erforderlich macht. Beruf hierarchisch in der Betriebsorganisation angesiedelt ist meiner Arbeit sind neben der engen Verbindung zwischen benannt werden. Das Entwicklungsverfahren beginnt und die Bei der Auseinandersetzung mit der Entwicklung neuer Be- und welches Ansehen er in der Gesellschaft genießt. So wa- beruflicher Bildung und Arbeitssystem1 die Voraussetzungen Länder entwickeln parallel dazu den schulischen Teil. rufe stellt sich die zentrale Frage nach den primären Tätig- ren im Mittelalter die Kaufleute jahrzehntelang nicht angese- für Innovationen in der Arbeitswelt. Also gesetzt den Fall, die Sozialpartner haben sich verständigt keiten. „Was soll derjenige können, der diesen neuen Beruf hen, weil sie keiner „produktiven Arbeit“ nachgingen. Erst ihr und es findet ein Antragsgespräch beim BMBF statt, dann ausübt?“ Aufstieg durch die Ausdehnung der Handelswege und dem Wie entstehen Berufe als „demokratischer Prozess der Be- werden die sogenannten Eckwerte festgelegt und man hat Ein neuer Beruf ist eine Innovation in der Arbeitswelt. Er er- damit verbundenen Reichtum sicherte ihnen zunehmenden rufsbildung“? einen groben Qualifikationskatalog. Nun wird die Dauer der zeugt auch arbeitsorganisatorische Veränderungen in den sozialen Status (vgl. Reinisch, 2011, Zugriff am 27.03.2013). Ausbildung festgelegt. Dieser Ausschuss ist nichts anderes Unternehmen, woraus sich ein Wechselverhältnis zwischen Die ökonomischen, politischen und rechtlichen Rahmenbe- Die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Bildung als der Koordinierungsausschuss zwischen Bund und Län- Entwicklungen in der Arbeitswelt und der Entwicklung der dingungen spielen dabei immer eine Rolle. oder Qualifizierung stattfindet, haben auch Einfluss auf die dern, weil parallel dazu auf Länderseite bei der Kultusminis Berufe ergibt. Nicht immer ist die Implementierung eines Es besteht eine Wechselbeziehung zwischen dem Beruf und Berufsbildung. Wenn man emanzipierte und innovative Mit- terkonferenz die Rahmenpläne für die Berufsschulen entwi- ganz neuen Berufes notwendig. Die Veränderung bestehen- dem angelernten Arbeitsvermögen, dem Habitus und der arbeiter haben will, dann ist es sinnvoll, demokratische Struk- ckelt werden. Notwendig ist es dann, bei diesem Verfahren der Berufe erfolgt durch Ergänzung und Wegfall von Qualifi- Mentalität. Dies wird deutlich, wenn man gefragt wird „Was turen beim Prozess der Berufsbildung anzulegen. dabei zu sein, Sachveständige benennen zu lassen, bei die- kationsbestandteilen oder auch durch die Zusammenfassung machen Sie denn? Antwort: „Ich bin Arzt, ich bin Informati- Berufsbildung ist ein gesellschaftlicher demokratischer Pro- sem Vorverfahren dabei zu sein, Sachverständige benennen kleinerer Berufe zu einer Berufsfamilie (vgl. Brötz/Schapfel- ker, ich bin Krankenpfleger, ich bin Börsenmakler, Pädago- zess, an deren Entwicklung unterschiedliche gesellschaft- zu lassen von den Spitzenverbänden und diesen Prozess zu Kaiser/Schwarz, 2008, S. 23-26). Entscheidend ist auch ge oder Soziologe.“ Mit der Berufsbezeichnung transportiert liche Gruppen teilnehmen. Es ist nicht nur den Arbeitgebern koordinieren, zu strukturieren, Qualifikationskataloge mit den immer die Frage, welche Hilfsmittel, welche Werkzeuge und man eine bestimmte Erwartungshaltung. Dieser Sachverhalt überlassen, wie es früher der Fall war, als der mittelalterliche Sachverständigen zu entwickeln, auf das ein oder andere welche Methoden zur Ausübung der Tätigkeiten in einem Be- „Was ist ein Beruf?“ hat klare Konsequenzen für eine Viel- Handelsherr alleine über die Ausbildung seiner Zöglinge hinzuweisen und schließlich eine Verordnung auf den Weg rufsfeld benötigt werden. In der modernen informationsbe- dimensionalität beruflicher Bildung. Wenn wir Berufe entwi- wachte. Heutzutage sind sowohl Arbeitgeber als auch Ar- zu bringen, mit allen Prüfungsstrukturen, damit sie vom Wirt- stimmten Arbeitswelt ist die Entwicklung prozessbezogenen ckeln, dann sollten sie sich nicht nur in einer Konstellation beitnehmer und der Staat an der Entwicklung der Berufswelt schafts- und Bildungsministerium erlassen wird. Zusammenhangswissens eine Kernfrage für die Änderung von neuen Tätigkeiten erschöpfen, sondern sie sollen so beteiligt. Nr. Berufsbezeichnung Erlassjahr Entwicklungs- und Forschungsphase Einigung der Sozialparteien 1 Kaufleute für Verkehrsservice 1997 2 Automobilkaufleute 1998 3 Kaufleute für audiovisuelle Medien 1998 Beginn Vorverfahren: 4 Kaufleute im Gesundheitswesen 2001 Antragsgespräch Festlegung Eckwerte Zustimmung Ko-Ausschuss 5 Veranstaltungskaufleute 2001/2007 6 Sport- und Fitnesskaufleute 2003 7 Investmentfondskaufleute 2005 Zeitspanne ca. 12 Monate Erarbeitungs- und Abstimmungsphase 8 Kaufleute für Tourismus und Freizeit 2006 Bund Länder 9 Fachangestellte für Markt- und Sozialforschung 2006 parallel 10 Kaufleute für Dialogmarketing 2006 Entwurf (Betrieb) Entwurf (Schule) 11 Servicefachkräfte für Dialogmarketing 2006 12 Personaldienstleistungskaufleute 2008 In Kraft treten Erlassphase und Veröffentlichung Abb. 1-3: Neue Kaufmännische Ausbildungsberufe 1997 – 2008 (Kaiser, 2012c, S. 225) Abb. 1-2: Ablauf eines Neuordnungsverfahrens (Kaiser, 2012b, S. 5) 1 „Es zeigte sich, dass die Berufsausbildung in Deutschland vorrangig nicht ein sozialpolitisch motiviertes Auffangbecken für lernschwache Jugendliche ist, sondern Bestandteil des Innovationssystems einer modernen Wirtschaft ist. Die Reform der Berufsausbildung in Verbindung mit flexibleren Formen der Arbeitsorganisation ist einer der Gründe für die Wiedererstarkung der deutschen Wirtschaft seit Mitte der 1990er Jahre. Diese Innovationsorientierung, die enge Anbindung der Ausbildung an den Arbeitsmarkt und die Aufstiegsmöglichkeiten über Fortbildung oder – neuerdings auch – über ein Studium machen das System weiterhin für Jugendliche sehr attraktiv.“ (Bosch, Gerhard: Qualifikationsanforderungen an Arbeitnehmer -flexibel und zukunftsgerichtet. In: Wirtschaftsdienst, Sonderheft Arbeitsmarkt 2011, S. 33). 10 11
Der Anspruch demokratischer Berufs- Was ist der Unterschied der kaufmännischen Dienstlei- von Warenkunde verstehen. Was kann ich wie lagern, auf was Zusammenfassung und Trends bildung als Grundlage der Professionali- stungsarbeit zur Industriearbeit? muss ich wie aufpassen, wie bekomme ich Qualität, sodass sierung ich es verkaufen kann? Sie mussten eine Menge wissen über In der Professionalisierung von Dienstleistungsarbeit konzen- Entscheidend ist die Denkart, die Handlungsart des Ak- Kommunikation, Sprache und Schrift bis hin zu Geheimschrif- trieren wir uns auf: Professionalisierung von Dienstleistungen: Wesensmerk- teurs. Der kaufmännische Dienstleister übernimmt unter- ten, die sie angewendet haben, über Rechnungswesen und mal „Interaktion“ nehmerische Funktionen. Sie werden an ihn delegiert. Darin Finanzierung und natürlich über die Kultur und Gebräuche, • Die Vermittlerrolle, die Interaktion mit dem Dienstlei- unterscheidet er sich stark vom Industriearbeiter, dem Pro- damit sie auf dem Markt angemessen agieren konnten. stungspartner, 1980 bestand noch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen duzenten, der sich an seinem Arbeitsobjekt, dem Produkt • die Gestaltung der Interaktionsbeziehung, Produktions- und Dienstleistungsberufen (50:50). Heute lie- ausrichtet und der sich der Qualität seines Produktes ver- Vermittlerfunktion als dominantes Merkmal • den Aufbau von Interaktionskompetenz, gen die Dienstleistungsberufe bei über 60%. Es gibt noch pflichtet fühlt. Hier gibt es ganz andere Denkarten, andere • die ökonomische Bewertung der Interaktion (Effizienz, eine zweite Entwicklung: Das duale Ausbildungssystem bleibt Motivatoren, andere Einstellungen. Sie ähneln denen der In der Mehrzahl der Dienstleistungsberufe nehmen die Ver- Qualität, Nutzen). nicht starr industrieorientiert, sondern die Bildungsinstituti- klassischen Kaufleute, denn auch sie waren immer die Ver- mittlertätigkeiten eine dominante Stellung ein. onen entwickeln neue dienstleistungsorientierte Berufe. Al- mittler von Produktion und Konsumption, von Unternehmen Zusammenfassend kann festgehalten werden: Dienstlei- lein in den letzten 15 Jahren wurden 12 neue kaufmännische und Märkten (vgl. Haipeter, Th., 2011) Kundenberatung, Kundenorientierung, Kundenbindung, Mar stungsarbeit ist Interaktionsarbeit. Mit diesem Thema befasst Ausbildungsberufe entwickelt (vgl. Abbildung 1-3). keting, Mediation, Betreuung, Begleitung, Steuerung und sich das 2. Kapitel. Was sind die Anforderungen für neue Dienstleistungsberufe? Wertschöpfung im Leistungsaustausch mit dem Kunden – Neue Berufe entstehen in neuen Dienstleistungsbranchen, das sind die Kennzeichen neuer Dienstleistungsberufe. Wir Ein Professionality Guide der Dienstleistungsarbeit muss sich die ihre eigenen Berufe brauchen oder entwickeln: In einer soziologischen Studie haben wir in Briefwechseln, in sprechen vom Kunden als dem Co-Produzenten und in neuen dabei an der Zukunft der Dienstleistungsberufe ausrichten. Testamenten, in alten Lehrbüchern nachgesehen, was Kauf- Dienstleistungsbranchen von „interaktiver Wertschöpfung“. Hierbei sind Trends zu beachten: • Veranstaltungskaufleute mannsherren eigentlich geglaubt haben, was ihre neuen Ange- Information und Kommunikation dominieren in vielen moder- • Sport und Fitness stellten lernen müssen. Und da finden sich jede Menge Dinge nen Dienstleistungsbranchen. In diesen Branchen verändern • Neue Formen der Arbeitsteilung (Kunden als Co-Produ- • Dialogmarketing über Kultur, über Handelsgebräuche, über Sprachkenntnisse. sich die Berufsanforderungen erheblich oder es entstehen zenten), • Personaldienstleistungen Und genau das sind im Grunde die zentralen Qualifikations- ganz neue Berufe. Unsere Beiträge aus der Praxis stehen bei- • Neue Formen der Interaktion in Unternehmen und • Pflegeberufe kataloge. Sie mussten etwas von Transport und Logistik sowie spielhaft für Professionalisierungsmodelle: Märkten, • Informatisierung, die Transparenz erzeugt, • Veränderungen der Anforderungen des/der • Neue Geschäftsmodelle (z.B.in der IT-Welt), Hotelkaufmanns/-kauffrau (siehe das Interview mit • Sinken der Transaktionskosten durch Informatisierung, Kathrin Wickenhäuser in dieser Broschüre) • Subjektivierung der Arbeit, • Veränderungen der Anforderungen des Gründungsbe- • Zunehmende Dominanz des betriebswirtschaftlichen k Re raters (siehe das Interview mit Helmut Schönenberger Denkens. ti in dieser Broschüre) Planung • Professionalisierung durch Dienstleistungsketten (siehe Steuerung ch das Interview mit Margarethe Schmidt Sonntag und li Marketing Albert Sonntag in dieser Broschüre) Po t Markt Produktion Vermittlung Konsumtion r Einkauf/ u Verkauf kt Dr. Franz Kaiser Prof. Dr. Ralf Reichwald W e ru Dr. Franz Kaiser hat in Heidesheim (Rheinhes- Ralf Reichwald ist Professor für Betriebs- Finanzierung r te sen) eine duale Berufsausbildung zum Schrei- wirtschaftslehre an der HHL Leipzig Graduate s t Geldwirtschaft ner absolviert, bevor er an der Technischen School of Management. Schwerpunkte seiner a Universität Darmstadt (TUD) seinen Magister wissenschaftlichen Arbeit liegen in den Be- r in Pädagogik sowie ein Studium für das Lehr- reichen Organisation, Technologie und Ma- Inf amt an beruflichen Schulen, (Baugewerbe und nagement sowie in der Zukunftsentwicklung kath. Theologie) absolvierte. Seit 2000 ist er von Dienstleistungsarbeit. Seine Publikations- Berufsbildungsforscher am Bundesinstitut für liste verzeichnet mehr als 20 Bücher sowie ca. Berufsbildung in Bonn. 200 Aufsätze und Beiträge in Sammelwerken. Abb. 1-4: Vermittlertätigkeit als Kennzeichen von Dienstleistungsberufen (Kaiser, 2012d, S. 5) 12 13
02 Dienstleistungsarbeit als Interaktionsarbeit – Überblick Was ist Interaktionsarbeit? Darüber hinaus ist Interaktionsarbeit ein Kommunikations- prozess, in welchem die Akteure Absichten oder Situationen Ausgangspunkt ist der in Kapitel 1 erwähnte Schwerpunkt verändern. Darauf wird an späterer Stelle eingegangen. „Professionalisierung von Dienstleistungen“ und insbesondere Interaktionsarbeit im Fokus das Wesensmerkmal von Dienstleistungen – die „Interaktion“. Anknüpfend an die angeführten Merkmale ist Interaktions- Dabei interessiert vor allem die Frage, welche Bedeutung In- arbeit nach Böhle (2011) ein Bestandteil unmittelbar perso- teraktion für die Dienstleistungsarbeit hat und welche Kon- nenbezogener Dienstleistungen (Gesundheit, Bildung usw.) sequenzen sich daraus für die Professionalisierung ergeben. und auch sachbezogener Dienstleistungen an der Schnitt- In diesem Zusammenhang ist zunächst zu fragen, wodurch stelle zu Kunden. Hier sind Kunden Gegenstand der Arbeit der Professionalisierung von Dienstleistungsarbeit geprägt ist. So sind Dienstleistungen und die soziale Interaktion deren eigentlicher Inhalt. Ihr Erfolg nicht lager- oder transportfähig, sie müssen in dem Moment hängt von der Kooperation zwischen Dienstleistungsanbieter konsumiert werden, in welchem sie produziert werden. Auf- und Dienstleistungsempfänger ab (Bsp.: Beratung, Pflege, grund dessen müssen Dienstleistungen immer wieder neu Bildung, aber auch Handel, Transport u.a.). Aber auch die Dienstleistungsarbeit und individuell erbracht werden (vgl. Reichwald/Schipanski/ Arbeit am Menschen kann als Interaktionsarbeit gelten. Pößl, 2012, S. 24). Dies hat Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Eine betriebswirtschaftliche und sozialwissenschaftliche Zu- sammenfassung zur „Interaktionsarbeit“ (vgl. Böhle/Glaser, Merkmale von Interaktionsarbeit 2006, S. 11ff.) zeigt das nachfolgende Merkmalsprofil (vgl. Reichwald/Schipanski/Pößl, 2012, S. 26): Nach Böhle (2011) hat Interaktionsarbeit vier Komponenten, durch die sie sich von sonstiger Arbeit unterscheidet (Abbil- Fritz Böhle und Agnes Schipanski „Interaktionsarbeit… dung 2-1): • ist Arbeit in Wertschöpfungspartnerschaften, • Abstimmung unterschiedlicher Interessen = • ist Austausch von Wissen, Kooperation • bedarf eigener Marktformen, • Umgang mit eigenen Emotionen = Emotionsarbeit • verlangt andere Kompetenzen im Wissenstransfer als • Einfluss auf die Gefühle des Kunden/Klienten = Industriearbeit, Gefühlsarbeit • hat eine andere Qualitätsdefinition als Industriearbeit, • Berücksichtigung von Unwägbarkeiten/Grenzen in der • hat eine andere Produktivitätsdefinition als Industriear- Planung = subjektivierendes Arbeitshandeln beit, • schafft neue Formen der gesellschaftlichen Arbeitstei- Im Rahmen der Dienstleistungsarbeit als Interaktionsarbeit lung, müssen diese besonderen Merkmale von Interaktionsarbeit • verlangt neue Merkmale in herkömmlichen und neuen und die hierfür erforderlichen Kompetenzen anerkannt und Berufen.“ professionalisiert werden. Abgleich unterschiedlicher Interessen „Kooperation“ Umgang mit Einfluss auf Gefühle des eigenen Emotionen Interaktionsarbeit Kunden/Klienten „Emotionsarbeit“ „Gefühlsarbeit“ Berücksichtigung von Unwägbarkeiten/Grenzen der Planung „subjektivierendes Arbeitshandeln“ Service Professionality Guide Abb. 2-1: Komponenten von Interaktionsarbeit (Böhle, 2012, S. 23) 14 15
Berufsübergreifende Kompetenzen Die Beziehung zwischen Dienstleister und ihren vier Komponenten der Kooperation, Emotionsarbeit, Fähigkeit zu methodischem Arbeiten Kunden als Kern der Dienstleistungsarbeit Gefühlsarbeit und des subjektivierenden Arbeitshandeln im und Selbstorganisation Vordergrund der Aktivitäten. In der Dienstleistungsarbeit steht die Beziehung zwischen dem Dienstleister und dem Kunden im Mittelpunkt des Tä- Interaktionskompetenz Teamfähigkeit Kooperationskompetenz tigkeitsfelds. Neue Formen des Wissensaustauschs als Innovationstreiber Verständnis von Dabei lassen sich drei unterschiedliche Formen von Bezie- Organisationen und Arbeitsmärkten hungen unterscheiden, welche auch für bestimmte Berufs- Die Dienstleistungsarbeit als Interaktionsarbeit ist durch den zweige typisch und wichtig sind – die Tauschbeziehung, die Austausch von Wissen geprägt. Dieser Wissensaustausch ist Selbstwirksamkeits- Dispositionsbeziehung sowie die Bearbeitungsbeziehung. Bei die zentrale Ressource von Innovationen sowie die Ressource Kompetenz der überzeugungen ersterer wird die Dienstleistung als Transfer von „Waren“ be- für eine optimale Organisation von Wertschöpfungsprozessen. Kompetenz der Kompetenz der Initiierung des Erfassung und Herstellung einer griffen. Ein Anwendungsfeld ist der Handel/Verkauf. Bei einer Dabei steht der Wissensaustausch mit Wertschöpfungspart- Kommunikations- Anwendung von gemeinsamen prozesses und Kommunikations- Dispositionsbeziehung ist die Dienstleistung die Bearbeitung nern (u.a. Kunden, Partnern aus Unternehmensnetzwerken Lauten, Gesten Kommunikations- der Ausübung fähigkeit von Aufgaben beim oder für den Kunden. Beispiele wären der etc.) im Zentrum. Denn durch sie wird stets neues Wissen und Inhalten praxis von Einfluss technische Service oder die ambulante Pflege. Der Dienst- in die Organisation eingebracht, welches die Innovationsfä- Berufliche leister kann aber auch als „Experte“ aktiv werden, wie es im higkeit von Organisationen stärkt. Dieses Vorgehen wird als Identitätsbildung Hotelgewerbe oder in Gaststätten der Fall ist. interaktive Wertschöpfung bezeichnet und findet verstärkt in der Unternehmenspraxis Anwendung. Im Rahmen der Bearbeitungsbeziehung wird der Kunde so- Abb. 2-2: Interaktionskompetenz als berufsübergreifende Kompetenz (Reichwald/Schipanski/Pößl, 2012, S. 31) wohl als Subjekt als auch als Objekt in den Mittelpunkt ge- „Interaktive Wertschöpfung heißt, die Kunden als strate- stellt. Der Kunde als Subjekt wird vom Friseur beraten und gischen Faktor in die Aktivitäten eines Herstellers zu integrie- unterhalten. Der Kunde als Objekt bekommt die Haare ge- ren, die in einem erweiterten Wertschöpfungsnetzwerk Wert Interaktionskompetenz Je höher die Interaktionskompetenz ausgeprägt ist, desto schnitten und gewaschen, d.h. auch die „Bearbeitung“ am schaffen. (…) Ziel ist vor allem die gemeinsame Schaffung höher gestaltet sich die Wertschätzung der Wertschöpfungs- Kunden ist Interaktionsarbeit (vgl. Böhle, 2012). von Innovationen auf der Produkt- und Prozessebene.“ (Pil- Eine wichtige Voraussetzung für Interaktionsarbeit ist die partner. Wird daher eine hohe Wertschätzung angestrebt, ist ler/Reichwald, 2009, S. 108f.) Interaktionskompetenz. Sie ist nach Reichwald/Schipanski/ die Kompetenzentwicklung ein entscheidender Ansatzpunkt. Egal um welche Art von Beziehung es sich handelt, immer Pößl (2012, S. 30) durch eine zweifache Ausprägung cha- Eng mit der Interaktionskompetenz ist die Kooperationskom- erfolgt Interaktion zwischen verschiedenen Partnern. Dies Interaktive Wertschöpfung bildet den Kern vieler Dienstlei- rakterisiert: petenz verbunden – man kann sagen, die Kooperationskom- setzt Kooperation, Emotionsarbeit, Gefühlsarbeit und subjek- stungsberufe, wobei die Vermittlerrolle des Dienstleisters im petenz ist die Voraussetzung dafür, dass Interaktion entsteht. tivierendes Arbeitshandeln voraus. Dabei erfolgt ein reflexives Mittelpunkt steht. Es handelt sich beispielsweise um Vermitt- • Interaktionskompetenz ist (1) die Kompetenz der Inter- Denn die Kooperationskompetenz setzt die Bereitschaft zur Wahrnehmen, Erwarten und Handeln der Akteure. Unterstüt- lung zwischen: aktionspartner, Laute, Gesten und inhaltliche Aspekte Kommunikation voraus und umfasst das Eingehen auf den zend können Kommunikationsmittel zum Einsatz kommen der Aussagen korrekt zu erfassen und anzuwenden. Interaktionspartner sowie dessen Sprachhorizont auf der (vgl. Reichwald/Schipanski/Pößl, 2012, S. 30). • Produktion und Konsumption (Kaufmännische Dienst- • Interaktionskompetenz ist (2) die Kompetenz, einen si- einen und die bewusste Rückkopplung (massen)medialer leistung) tuationsgerechten Kommunikationsprozess zu initiieren Kommunikationsprozesse an persönliche Interaktionen auf Zukünftige Weiterbildungskonzepte müssen Maßnahmen, • Hotel und Gaststätten und Einfluss auszuüben. der anderen Seite (vgl. Reichwald/Schipanski/Pößl, 2012, S. Methoden und Werkzeuge für die erfolgreiche Beziehungs- • Patient und Pflege 30 in Anlehnung an Zerfaß, 2010, S. 191). Somit bilden die arbeit (Tauschbeziehung, Dispositionsbeziehung und Be- • Rechtsstreit und Rechtsanwalt Interaktionskompetenz und die Kooperationskompetenz die arbeitungsbeziehung) aufnehmen und in die Breite tragen. Grundpfeiler der Dienstleistungsarbeit. Dabei steht die Vermittlung der Interaktionskompetenz mit Un Interaktionsarbeit Open Innovation te r ne Modell hm en Neuer Markt sg re nz e Tausch- Dispositions- Bearbeitungs- oder oder beziehung beziehung beziehung Ideen Markt ze g re n m en s er neh Verkauf technischer Service Pflege Unt Abb. 2-3: Unterschiedliche Formen der Interaktionsarbeit (Böhle, 2012, S. 20) Abb. 2-4: Interaktive Wertschöpfung in der Innovation: Open Innovation (Reichwald/Piller, 2009, S. 148 in Anlehnung an Chesbrough 2003) 16 17
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Pongratz (2012) nennt diesen Kern der Dienstleistungsar- − Kompetenzentwicklung für die interaktive Gestal- Automobilkaufmann/-frau 20 26 11 7 6 3 22 5 7 11 beit die Transaktionslogik. Eine Tätigkeit ist umso mehr eine tung des Arbeitsumfeldes, vorwiegend die Interak- Bankkaufmann/-frau 21 29 5 7 4 5 21 9 17 Dienstleistung, je mehr sie sich mit dieser Transaktionslogik tion mit dem Kunden (Gestaltung der Transaktion) Buchhändler/-in 12 23 7 3 7 5 22 7 22 11 beschäftigt, also mit der soeben erläuterten Vermittlungstä- und Bürokaufmann/-frau 23 7 23 4 8 2 4 7 3 2 17 tigkeit. − die Reflexion der Inhalte und des Kontextes von Drogist/-in 9 12 10 9 5 7 12 24 10 10 Dienstleistungsarbeit als Antrieb für Innovationen. Fachangestellte/r für Arbeitsförderung 5 11 12 5 8 10 2 23 24 Die Vermittlerfunktion, insbesondere bei den personenbe- Fachangestellte für Bäderbetriebe 4 12 9 6 5 12 26 35 Fachangestellte/r für Bürokommunikation 8 4 26 3 6 1 5 12 23 20 zogenen Dienstleistungsberufen und die Dominanz von In- Durch die ablaufenden Interaktionsprozesse findet darüber Fachangestellte/r für Markt- und Sozialforschung 5 4 22 4 18 4 1 18 22 teraktionen mit dem Kunden, dem Dienstleistungsempfän- hinaus organisationales Lernen statt. Es wird individuelles mit Fachangestellte/r für Medien und Informationsdienste 8 14 15 4 7 21 5 21 18 3 ger oder auch mit anderen Marktpartnern sind die Ursache institutionellem Wissen zu neuem Organisationswissen ver- Fachkraft für Hafenlogistik 3 4 9 8 7 22 1 12 22 13 dafür, dass die Dienstleistungsbranchen von einer hohen knüpft (vgl. von der Oelsnitz/Hahmann, 2003, S. 28). Dabei Fachkraft für Kurier-, Express- und Postdienstleistung 9 10 13 4 9 15 2 11 21 5 Innovationsdynamik geprägt sind. Die Informations- und sollte der Lernprozess auf drei Ebenen ansetzen: Auf der Fachkraft für Lagerlogistik 9 2 8 5 6 27 3 14 15 11 Kommunikationstechnologien, die Integration von Branchen Fachlagerist/-in 4 3 11 4 5 26 14 17 16 und Märkten und der Wandel im Verhalten und in den An- • individuellen Ebene (Person/Mitarbeiter), Fotomedienfachmann/-frau 11 25 12 5 5 2 112 6 16 14 sprüchen der Kunden (Trend zur Individualisierung). • mikrosozialen Ebene (Gruppe/Team) und auf der Hotelfachmann/-frau 10 25 15 5 3 3 222 18 12 Das Anforderungsprofil an die Dienstleistungsberufe unter- • makrosozialen Ebene (Gesamtsystem/Organisation). Hotelkaufmann/-frau 17 21 11 4 3 4 6 4 2 18 10 scheidet sich von Branche zu Branche, von Tätigkeitsfeld zu Immobilienkaufmann/-frau 21 12 10 8 6 2 11 25 13 Tätigkeitsfeld in der Ausprägung der Merkmale. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Industriekaufmann/-frau 22 14 12 3 12 4 3 4 4 1 22 Abbildung 2-6 macht diesen Sachverhalt deutlich. „Anerkennung und Professionalisierung personenbezogener A 1 Kaufmännische Steuerung und Kontrolle A 5 Unternehmensorganisation A 9 Einkauf Die Abbildung 2-6 zeigt die sogenannte Spektralanalyse, die Dienstleistungen erfordert Anerkennung und Professionali- A 2 Absatzwirtschaft A 6 Logistik B Kaufmännische Vertiefungen und Besonderheiten aus einer Breitenerhebung des BIBB hervorgegangen ist. sierung der besonderen Kompetenzen für Interaktionsarbeit.“ A 3 Information und Kommunikation A 7 Volkswirtschaftliche Rahmenbedingungen C Übergreifende Qualifikationen Aus dieser Analyse geht hervor, dass für bestimmte Dienst- Die nachfolgenden Interviews greifen die Kernergebnisse A 4 Recht und Vertrag A 8 Personalwesen/Personalwirtschaft D Nicht kaufmännische Bereiche leistungsberufe unterschiedliche Tätigkeitsprofile erforderlich der Ausführungen auf und befassen sich mit den Fragestel- sind. Dies hat Auswirkungen auf die Anforderungen für Qua- lungen: Abb. 2-6: Bedeutungszuwachs von Dienstleistungen (Kaiser, 2012b, S. 12) lifikation und für die Kompetenzen und somit auch für die betriebliche Weiterbildung. • Welche Bedeutung hat Interaktion für die Dienstlei- Anhand der Beispiele kann verdeutlicht werden, in welche stungsarbeit? (u.a. in Pflegeberufen, im öffentlichen Zielrichtung die Professionalisierung von Dienstleistungsbe- Sektor, im Reisevertrieb) rufen geht. Professionalisierung der Dienstleistungsarbeit • Inwiefern spiegeln sich Interaktionskompetenzen im be- bedeutet: ruflichen Bildungs- und Ausbildungssystem wider oder sollten dies tun? • Qualifizierung im Sinne des Merkmalskatalogs für die • Mit welchen Maßnahmen sollte und kann die Interakti- Berufsfelder. Dies beinhaltet on verbessert werden? Tausch der Leistung: Unter welchen Bedingungen erfolgt die Transaktion? Prof. Dr. Fritz Böhle Dr. Agnes Schipanski Prof. Dr. Fritz Böhle ist Leiter der Forschungs- Dr. Agnes Schipanski studierte Angewandte Transaktionslogik einheit Sozioökonomie der Arbeits- und Medienwissenschaft an der Technischen Berufswelt an der Universität Augsburg und Universität Ilmenau. Studienbegleitend und Vorstandsvorsitzender des Instituts für Sozial- darüber hinaus arbeitete sie als freie Auf- wissenschaftliche Forschung e.V. (ISF Mün- nahmeleiterin in der Außenproduktion des Bedienungs- Pre-Sales After-Sales chen). Nach seinem Studium der Soziologie in Südwestrundfunks (SWR) in Stuttgart. Berufs- modus Verbindung mit Volkswirtschaft und Psycho- begleitend promovierte sie über integrierte logie an der LMU München, promovierte er Unternehmenskommunikation in international an der Universität Bremen (Dr. rer. pol.) und tätigen Unternehmen am Institut für Medien Herstellungs- Nutzungs- habilitierte in Soziologie an der Universität und Kommunikationswissenschaft der Tech- bezug bezug Bielefeld. Prof. Böhle forscht in den Gebieten nischen Universität Ilmenau. Seit 2011 ist sie Entwicklungen von Arbeit, Verwissenschaft- als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Center lichung von Arbeit und Erfahrungswissen, for Leading Innovation & Cooperation (CLIC) an Produktionslogik Konsumtionslogik Grenzen der Planung und Umgang mit Unge- der HHL Leipzig Graduate School of Manage- wissheit. Darüber hinaus ist er an mehreren ment tätig. Sonderforschungsbereichen beteiligt, u.a. SFB Erstellung der Leistung: Wie stark wird Konsumtionslogik berücksichtigt? 536 Reflexive Modernisierung (1999-2009). Abb. 2-5: Gestaltung der Transaktion (Pongratz, 2012, S. 29) 18 19
Empfehlungen zur Interaktions- Wie kann man diese Schwierigkeiten lösen? Sie haben interaktive Kompetenzen angesprochen – was ist arbeit im Dialog Ein Beispiel: In Hotels gibt es seit einiger Zeit die Praxis der das Besondere daran? Vorkasse. Gäste bezahlen schon beim Einchecken, also bevor Bei den interaktiven Kompetenzen handelt es sich um Kom- sie die Leistung in Anspruch genommen haben. Hier wird der petenzen eigener Art, die das Sachliche mit dem Sozialen Dr. Margit Weihrich unvollständige Vertrag für das Unternehmen vervollständigt; verbinden und ‚mit Leib und Seele‘ zu tun haben, gleich- für den Kunden aber bleibt er weiter offen. Ich habe oben zeitig aber in der Dienstleistungsbeziehung strategisch ein- Dr. Margit Weihrich ist seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin der davon gesprochen, dass das Problem des unvollständigen gesetzt werden – schließlich geht es ja darum, wie sich die Forschungseinheit für Sozioökonomie der Arbeits- und Berufswelt an Vertrags mit der Investition von Vertrauen bearbeitet werden anfallenden Abstimmungsprobleme lösen lassen. Zu den kann. Im Fall der Vorkasse wird es durch eine Kontrollakti- interaktiven Kompetenzen gehören eine spezifische kom- der Universität Augsburg. Sie studierte Soziologie an der Ludwig-Ma- on bearbeitet, die allerdings ein Misstrauensbeweis gegen- munikative Kompetenz, das Beherrschen und der adäqua- ximilians-Universität München, schloss ihr Studium 1986 als Diplom- über dem Kunden ist. So geht es natürlich auch, aber das te situative Einsatz sozialer Konventionen und die Fähigkeit Soziologin ab und promovierte im Jahr 1997 an der pädagogischen Dienstleistungsunternehmen wirft durch diese Maßnahme zur Übernahme der Perspektive des Interaktionspartners; Fakultät der Universität der Bundeswehr München. Seit 1987 arbeitet neue Probleme auf, die wiederum interaktiv behandelt wer- dazu gehört die Fähigkeit zum Aufbau von Vertrauen sowie sie in verschiedenen Positionen in Forschung und Lehre und ist in den müssen. Das gilt nicht nur für die Praxis der Vorkasse, Verhandlungsgeschick, um Konflikte konstruktiv zu lösen; mehreren soziologischen Vereinigungen aktiv, u.a. in der Deutschen die die Rezeptionistin gegenüber dem Gast am Tresen wie- und dazu gehört die Regulation der eigenen Gefühle, das Gesellschaft für Soziologie und im Vorstand des Instituts für sozial- der entschärfen muss. Das gilt auch für die anderen Abstim- Bearbeiten der Gefühle des Interaktionspartners, leibliches wissenschaftliche Information und Forschung e.V. (ISIFO) München. mungsprobleme, etwa dann, wenn Koordinationsprobleme Gespür und körperliche Performance. Diese Kompetenzen Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören Handlungstheorien, Dienst- durch Standardisierungen bearbeitet werden, die kundenun- brauchen bestimmte Voraussetzungen, um sich entwickeln leistungssoziologie und interaktive Arbeit, Soziologie alltäglicher freundlich sind. Stellen Sie sich folgende Situation vor: Ein zu können, und sie betreffen nicht nur die Beschäftigten, Lebensführung sowie Qualitative Sozialforschung. Hotelgast weiß nicht, dass er am Ende seiner Internetnutzung sondern auch die Kunden: Auch auf der anderen Seite des im Hotelzimmer den Stecker ziehen muss. Beim Auschecken Tresens ist Perspektivenübernahme, Vertrauensaufbau und werden ihm Kosten in Rechnung gestellt, die er seines Er- Verhandlungsgeschick gefragt. Dahinter steht auch eine ge- achtens nicht verursacht hat. Dann schlägt eine technische sellschaftliche Entwicklung: Kunden werden immer mehr zu Interview mit Dr. Margit Weihrich: Maßnahme von Seiten des Unternehmens als Konflikt am Experten und müssen es auch werden. Deshalb ist die Zeit Tresen auf. Beschäftigte sind, wie wir zeigen konnten, virtuos vorbei, in der man sich als Laie der Expertise des Dienstlei- Die Professionalisierung darin, solche Interessengegensätze in „einfachere“ Konstel- lationen überzuleiten. Um die Misstrauenssituation abzumil- sters unterworfen hat. Aber der Kunde ist auch kein König mehr, der eine Dienstleistung nur anzuweisen braucht. Er ist interaktiver Arbeit dern und nicht den Anschein zu erwecken, sie würden dem von seinem Thron gestiegen und mischt sich in die Arbeit der Gast entweder Betrugsabsichten oder Unfähigkeit unterstel- Dienstleister ein. Er wird zum Kollegen, und hierfür braucht er len, braucht die Rezeptionistin Kompetenzen, die großes mehr denn je selbst interaktive Kompetenzen, um kompetent Fachwissen und soziales Geschick verlangen. Denn der Gast mitarbeiten zu können. muss ja mitspielen, damit die Dienstleistung gelingt. Frau Weihrich, Sie haben im Projekt Professionalisierung in- Warum müssen Kunden und Dienstleister zusammenarbeiten teraktiver Arbeit (PiA) ein Konzept interaktiver Arbeit entwi- und warum ist dies so anspruchsvoll? ckelt. Was ist der Inhalt dieses Konzepts und welche Bedeu- tung hat Interaktion für die Dienstleistungsarbeit? Das liegt an den oben erwähnten Abstimmungsproblemen: Erstens stehen der Gegenstand der Dienstleistung und das Dienstleistungsbeziehungen sind dadurch gekennzeichnet, Prozedere seiner Erstellung nicht von vornherein fest, son- dass Kunden und Dienstleister zusammenarbeiten müs- dern müssen definiert werden, was nicht immer gelingt. Es sen, damit die Dienstleistung erbracht werden kann. Diese handelt sich hierbei um ein Koordinationsproblem: Dienst- interaktive Arbeit ist eine anspruchsvolle Arbeit eigener Art. leister und Kunde haben zwar beide ein Interesse an einer Sie ist in die sachbezogenen Arbeitsprozesse eingelassen Dienstleistung, müssen sich aber darüber verständigen, wie und notwendig dafür, dass die Dienstleistung gelingt – also das Ergebnis aussehen und auf welche Weise es erbracht kein Sahnehäubchen, sondern konstitutiv für die Erstellung werden soll. Zweitens können immer nur unvollständige Ver- einer Dienstleistung. Das ist so, weil in Dienstleistungsbe- träge über Verlauf und Ergebnis der Dienstleistungsbezie- ziehungen ganz systematisch bestimmte Abstimmungspro- hung geschlossen werden. Dienstleistungen sind immer nur bleme anfallen, die von Kunden und Dienstleistern bearbeitet Dienstleistungsversprechen: Das Ergebnis kann nicht vorab werden müssen: gemeinsam, in der Situation selbst und im begutachtet werden, und so wissen Kunden und Dienstlei- Angesicht des anderen. Deshalb betrachten wir den Kunden ster nicht, ob ihre Erwartungen erfüllt werden. Hierin steckt als eigenständig handelnden und unverzichtbaren Partner in ein Kooperationsproblem, das bearbeitet werden muss: Da- der Dienstleistungsbeziehung. Der Dienstleister kann so gut mit Kunden und Dienstleister bereit sind, die notwendigen sein wie er will – ohne die Mitarbeit des Kunden lässt sich Beiträge zu leisten, müssen sie Vorkehrungen treffen. Eine die Dienstleistung nicht realisieren. Und auch das Dienstleis- Möglichkeit ist der Aufbau von Vertrauen. Drittens sind immer tungsunternehmen spielt hier eine wichtige Rolle, indem es auch Interessengegensätze im Spiel. Man wird davon ausge- die Rahmenbedingungen für interaktive Arbeit schafft – Rah- hen dürfen, dass Kunden für möglichst wenig Geld möglichst menbedingungen, die förderlich, aber auch hinderlich sein viel Leistung erhalten möchten, beim Dienstleister ist das können. umgekehrt. Abb. 2-7: Das Dienstleistungsdreieck (eigene Darstellung) 20 21
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