FESTIVAL PERSPECTIVES - Deutsch-französisches Festival der Bühnenkunst 6. bis 15. Juni - Das Wochenmagazin
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36 S eiten 31.05.2019 | www.magazin-forum.de | Beilage zu FORUM-Ausgabe 23 S on derb eilag e DAS WOCHENMAGA ZIN THEATER | ZIRKUS | TANZ | MUSIK FESTIVAL PERSPECTIVES Deutsch-französisches Festival der Bühnenkunst 6. bis 15. Juni
SimSAAR labim Z AU B E R HA F T E S S A A R L A N D 66 Premiumwanderwege – Spitzenwert in Deutschland. Sieben große Radwege mit 640 Gesamtkilometern. Rund 4.500 Restaurants, Bars und Cafés. Unzählige Feste, Sehenswürdigkeiten und Shoppingadressen. Und das alles auf 2.570 Quadratkilometern – mit magischer Anziehungs- kraft. Freuen Sie sich auf: • eine Übernachtung mit reichhaltigem Frühstücksbuffet • ein Abendessen als 3-Gang-Menü (auf Schloss Berg: ein Abendessen als 4-Gang-Menü) • den Reiseführer Saarland, ein Lunchpaket für unterwegs sowie ein Präsent aus Victor’s Welt • eine Flasche Saarwein aus der Victor’s Edition ab € 79 pro Person im Doppelzimmer ab € 107 im Einzelzimmer (ab € 135/195 pro Person im Doppel-/Einzelzimmer im Victor’s Residenz-Hotel Schloss Berg, Kategorie 5 Sterne Superior) Die Saarland Card bietet Ihnen freien Eintritt zu mehr als 85 Attraktionen und die kostenlose Nutzung von Bus und Bahn. www.card.saarland Victor’s Seehotel Weingärtner · Victor’s Residenz-Hotel Schloss Berg · Victor’s Residenz-Hotel Saarbrücken Victor’s Residenz-Hotel Rodenhof · Victor’s Residenz-Hotel Saarlouis · www.victors.de/saarland · Telefon +49 681 93613-0 Unternehmen der Victor’s Residenz-Hotels GmbH · Kürfürstendamm 100 · D-10709 Berlin
INHALT 26 Eröffnung im Zelt mit „Les Dodos“ Festivalmacher und SILKE SCHLACHTER-REIM, SIMON MAYER TRITT IM QUARTETT Unterstützer ANDREA MÜLLER UND PATRIK „SONS OF SISSY“ AUF 24 SYLVIE HAMARD, SCHMITT, FREUNDESKREIS 10 KÜNSTLERISCHE LEITERIN 4 Bilderbogen Zirkus DORIS PACK, VORSTAND DER IMPRESSIONEN AUS DEN COMPAGNIE LE P’TIT CIRK BRINGT STIFTUNG FÜR DIE DEUTSCH- ANFÄNGEN VON PERSPECTIVES 12 FREUDE MIT „LES DODOS“ 26 FRANZÖSISCHE KULTURELLE VORSCHAU AUF DIE GASTSPIELE 14 ARIANE&ROXANA JONGLIEREN ZUSAMMENARBEIT 8 IM DUETT IN „PLAY NICE“ 28 Theater THEATERKOLLEKTIV COLLECTIF TITELBILD: FESTIVAL PERSPECTIVES / CHARLOTTE AUDUREAU — FOTO: OLIVER DIETZE Musik MXM, SCHAUSPIELER MATHIAS LABELLE ÜBER „FESTEN“ 16 CHANSONSÄNGERIN LÉOPOLDINE HH KOMMT AUS DEM ELSASS THEATERKOLLEKTIV UND SINGT AUF DEM HALBERG 30 MARKUS&MARKUS SPIELT Verlag: „ZWISCHEN DEN SÄULEN“ 18 FORUM Agentur für Verlagswesen, Werbung, Marketing und PR GmbH, Infos Deutschmühlental, THEATERKOLLEKTIV „HOTEL SPIELORTE IN DEUTSCHLAND Am Deutsch-Französischen Garten, MODERN“ SPIELT DAS OBJEKT- 66117 Saarbrücken, UND FRANKREICH: Telefon 0681-93613-2 THEATERSTÜCK „KAMP“ 20 DER KOMPASS ZU DEN Geschäftsführung: Susanne Kleehaas (V.i.S.d.P.) Tanz SPIELSTÄTTEN 32 Verlagsleitung: Dr. Bernd Coen CHOREOGRAF ANGELIN EINTRITTSPREISE, Redaktionelle Umsetzung: Michaela Auinger Layout: Krystin Schmitt PRELJOCAJ ZEIGT ZWEI KARTENVERKAUF, FORUM erscheint wöchentlich freitags. TANZSTÜCKE IN „SOIRÉE RESERVIERUNGEN UND Der Einzelverkaufspreis beträgt 3,30 Euro. PRELJOCAJ“ 22 ONLINE-VERKAUF 34 31. Mai 2019 | FORUM 3
FESTIVALMACHER „SEHR VIEL ENERGIE!“ Sylvie Hamard leitet das Festival Perspectives seit mehr als zehn Jahren. Sie lebt mit ihrer Familie nahe bei Versailles. Aufgewachsen ist sie in einem französischen Dorf. Entdeckte sie dort ihr Interesse an Deutschland und den Künsten? Eine Spurensuche. Von Michaela Auinger ch fand das großartig. Der war ge- beherrschung, die sie an Simon Mayer rade in Paris mit einem Solostück. beeindruckte. Ich bin über ihren Mik- Der Mann…“, Sylvie Hamard ro-Tanz nicht wirklich überrascht. Ein spricht von Simon Mayer, dem öster- Tanz sagt mehr als tausend Worte. Als reichischen Tänzer und Choreografen, Festivalleiterin muss man eine Mache- und springt auf. Sie streckt die Arme rin sein. Das ist sie. Man muss Leiden- waagrecht vom Körper und wirbelt schaft für die Sache mitbringen. Das um die eigene Achse. In der Drehung tut sie. „Das gibt mir sehr viel Energie! ruft sie: „…hat nackt getanzt!“ Mitten Super!“, beschreibt sie ihren Eindruck im Besprechungsraum illustriert die nach der Vorstellung und findet sich Perspectives-Festivalleiterin ein zeitge- wieder sitzend am Stuhl ein. Sie nippt nössisches Tanzstück und die Körper- kurz am Wasserglas und erläutert das 31. Mai 2019 | FORUM 5
FESTIVALMACHER Ecole Primaire. Madame Oligos Metho- Das Festival Perspectives erhielt den Prix de l’Académie de de, eine Radiosendung über klassische Berlin 2018. Von links: Ulrich Wickert, stellvertretender Musik in den Unterricht einzubeziehen, Vorsitzender der Académie de Berlin, Sylvie Hamard und kommt bei dieser Schülerin sehr gut an. Prof. Dr. Gesine Schwan, Vorsitzende der Académie de Berlin. Sylvie Hamard hält einen Moment inne: „Damals war mir nicht bewusst, wie es mich prägen würde.“ Die Dorfschulleh- rerin fährt mit ihren Schülern ins Grand Théâtre de Tours zu Vorstellungen des Musiktheaters. An welches Stück erin- nert sie sich? Sylvie Hamard murmelt einen französischen Titel und tippt ins Smartphone. „Ah, es ist sogar deutsch!“ ruft sie überrascht, „Operette allemande, Ralf Benatzky, Im weißen Rössel.“ Nicht ganz. Benatzky war ein österreichischer Komponist. Aber, wie im Fall von Si- mon Mayer, oder auch dem Schauspie- ler Philipp Hochmair, der des Öfteren beim Festival Perspectives gastierte, lässt sich Sylvie Hamard auch vom Talent deutschsprachiger Nachbarn begeistern. Und wer weckte die Lust an der deut- schen Sprache? Frau Jocelyne Duval. Die kommende Mayer-Gastspiel in der Al- Künsten haben diese Erfahrungen mit Deutschlehrerin am College in Cormery ten Feuerwache. „Die vier Tänzer gehen dem Tanz jedoch nicht bei ihr ausgelöst. hatte eine höchst unkonventionelle Me- vom Volkstanz aus.“ Es fallen die Worte Deshalb: weiterfragen, Spuren suchen. thode, den Unterricht zu halten. Ihre Feri- „Ironie, Humor, Provokation.“ en verbrachte Frau Duval in Deutschland. Pirouetten drehte Sylvie Hamard Drehte dort Urlaubs-Filme und zeigte sie bereits als Kind im weißen Tutu. Das „Das war alles sehr in ihrer Klasse. So tauchten Schleswig- hatte sie zuvor verraten. Auch in Hose Holstein und der Rhein vor Sylvie Ha- und Sweatshirt ist ihr das spontan mög- lebendig“ mard auf: „Das war alles sehr lebendig. lich. „Ich war nicht begabt“, bekennt Sie hatte so viel Leidenschaft in dem, was sie jedoch lachend. Bis sie 13 Jahre alt Madame Oligo taucht auf. Sie war sie gemacht hat, das hat mich interessiert“. war, hatte sie Tanzunterricht. Auf einer Direktorin und Musiklehrerin in Tauxi- Als 13-Jährige fährt Sylvie Ha- Bühne im Schulhof fanden für die El- gny. Sylvie Hamard war Schülerin in der mard mit dem Zug. Alleine. Sie steigt tern Galas, „Auftritte im weißen Tutu“, statt. In einem Dorf namens Tauxigny ist sie aufgewachsen. Dort besuchte sie die Ecole Maternelle und die Ecole Pri- maire. In dem Dorf spielten die Kinder im Feld und am Bach und genossen ihre Freiheit. Die Eltern waren locker, die Kinder organisierten sich selbst. In der Ecole Maternelle jedoch setzte man die Dreijährige zum Buchstabenlernen be- reits an den Tisch, was mich nachfragen lässt: „Was, mit drei?“ „Das ist verrückt, hm? Ich weiß nicht, wie es sich inzwi- schen entwickelt hat, aber in meiner Zeit, ja.“ erwidert Sylvie Hamard. Nicht wenig verblüffend, dass sich Dorfkinder dem klassischen Ballett widmeten und dass es dieses Angebot in der französischen Provinz gab. Fußball, Tanz und Musik – viele Angebote habe Festivalteam Perspectives 2019: Hilke Wesner, Isabel Schmidt, Feryal es nicht gegeben. „Im Saal der Schule, Yosofy, Martha Kaiser, Laura Pröfrock (Reihe oben, von links). Marion einmal in der Woche, freiwillig, auch die Touze, Klaus Schön, Markus Knecht, Sylvie Hamard, Lisa Heckert, Jungs haben mitgemacht“, erinnert sich Julia von Knebel, Elise Chavant, Giovanni D’Arcangelo (Mittlere Sylvie Hamard an die Ballettstunden. Reihe, von links). Célia Galiny, Adèle Teutsch (Reihe unten, von links). Den Drang zur Beschäftigung mit den 6 FORUM | 31. Mai 2019
FESTIVALMACHER in Tours um. In Paris. In Köln. Sie Kultur, diesseits, jenseits, abseits nimmt am Schüleraustauschprogramm teil und will zu ihrer deutschen Brief- freundin in der Nähe von Köln. Bevor sie in Köln umsteigt, marschiert sie zu Saturn und kauft die Platte „99 Luft- Ein Kommentar vor der 42. Festivalausgabe ballons“. „Darauf war ich sehr stolz, als von Perspectives von Michaela Auinger ich nach Frankreich zurückkam!“, ruft sie übermütig lachend. Auf das Gymnasium in Loches folg- Noch nie amtierte eine nahezu. Nicht nur, weil ten zwei Jahre Studium der Biologie in Leitung des Festivals der Löwenanteil des Etats Tours. Aber Deutschland lässt sie nicht Perspectives so lange aus Deutschland kommt, los, dort will sie wieder hin, vor allem, wie Sylvie Hamard. Seit erscheint es befragens- um die Sprache zu lernen. Geradezu 2008 verantwortet sie wert, warum Gruppen aus folgerichtig auf den Schüleraustausch das deutsch-französische Deutschland weniger die verbringt sie ein Jahr als Au-pair in Festival der Bühnenkunst. Möglichkeit erhalten bei Hildesheim. Bei der Familie mit zwei Das hat einen Grund. uns oder in Frankreich Kindern versteht sie „kein Wort“ und Sie macht es gut. Wer sich an die gastieren zu dürfen, sondern auch, besucht an der VHS Deutschkurse. Zu- glücklose Michèle Paradon oder weil ich es schlicht der Festivalleite- rückgekehrt nach Tours stand für die an manch gockelhaft Eingebildeten rin nicht glaube, dass deutsche Pro- Studentin fest, dass sie zur Germanistik früheren Leiter erinnern mag, wird duktionen zu teuer seien. Ich glaube wechselt. Bald langweilt sie sich, findet das bestätigen. Man mag sich aber eher, dass Sylvie Hamard mehr in das Niveau nicht gut und ebenso wenig, nicht mehr derer erinnern, sondern Frankreich als in Deutschland un- dass deutsche Schriftsteller auf Franzö- an der erfreuen, mit der das Festi- terwegs ist und, dass man Entde- sisch gelesen werden. Sie beschließt, in val gut läuft. Das Filmfestival Max ckungen nicht nur in der Großstadt Deutschland weiterzustudieren. Saar- Ophüls Preis und das Festival Per- machen kann und sich auch nicht brücken und Freiburg erkennen die be- spectives sind kulturelle Fixpunkte an dem ausrichten muss, was das und unverzichtbar für unsere Re- überregionale Feuilleton hochhebt. gion. Wobei Region passender auf Kulturproduzenten sind Marktteil- Nach Deutschland, um das Festival Perspectives zutrifft – nehmer. Aufsehen erregen ist in der die Sprache zu lernen diesseits und jenseits der Grenze Theaterszene für Karrieristen unab- finden Künstler und Publikum zu- dingbar. Ob abseitige Themen oder einander. In diesem Jahr nicht wie sinnentstellende Inszenierungen, reits geleisteten Prüfungen an. Sie ent- sonst im Mai, sondern Anfang Juni. eleganter als formal und inhaltlich scheidet sich für Saarbrücken und jobbt Die Ausgewogenheit der Sparten bemerkenswert bezeichnet – Kriti- nebenher, unter anderem beim Festival ist gegeben, wer sich mit dem Pro- ker und Juroren suchen beständig Perspectives während Peter Theiler, Pi- gramm beschäftigt, sieht, dass die danach. Wie in jeder Branche sind erre-Jean Valentin, Christian Caimacan Mischung stimmt. Die im letzten Scharlatane unterwegs. Ein Festi- aufeinanderfolgend Leiter waren. Jahr aufgefallene Unwucht, dass nur valverantwortlicher kann, aber muss Als Mitte der 90er Jahre Laurent zwei Produktionen aus Deutschland sie nicht entlarven – das bleibt Auf- Brunner Mitarbeiter für das Le Carre- eingeladen waren, wiederholt sich gabe jedes einzelnen Zuschauers. au in Forbach sucht, wird er auf Syl- vie Hamard aufmerksam. Irgendwann funkt’s. Es wird geheiratet. Laurent Brunner bekommt für zwei Jahre die reagiert spontan: „Ich schaff das nicht! schen werden für Künstler und Helfer künstlerische Leitung der Perspectives, Es ist kompliziert.“ Die Kinder seien alljährlich von Perspectives gekauft. Sylvie Hamard ist für die Organisation daran gewöhnt, dass die Eltern bis- Jede Menge Plastikmüll wird auf diese zuständig. In dieser Konstellation ar- weilen auch am Wochenende arbeiten, Weise produziert, damit sollte Schluss beitet das Paar heute auch für Château aber die Ferienzeiten, und garantiert die sein. Eine Crowdfunding-Kampagne de Versailles Spectacles. Seit 2008 ist sechs bis sieben Wochen Sommerferien, wurde initiiert. Die funktionierte. Erst- die einstige studentische Mitarbeite- verbringe man zusammen. mals werden Glasflaschen mit Festival- rin Sylvie Hamard alleinige Direktorin An die Familien denkt sie auch als Fes- logo bestellt und ausgegeben. Das ge- des deutsch-französischen Festivals der tivalleiterin. Die Perspectives-Eröffnung fällt auch der bald 14-Jährigen Isaure, Bühnenkunst. Sie lebt mit Mann und findet im Zirkuszelt am Tbilisser Platz die ihre Mutter beim Klamottenkauf FOTOS: JÜRGEN KEIPER — RAINER HARTZ den zwei Kindern Isaure und Gauthier statt, dreimal gastiert die Compagnie Le bremst: „Wir haben genug, das muss nahe bei Versailles. P’tit Cirk, und erstmals an zwei Tagen nicht sein.“ Sylvie Hamard scheint über- Die berühmte Frage nach der Verein- wird der Garten des Pingusson-Gebäudes rascht und kommentiert anerkennend: barkeit von Familie und Beruf, die rät- geöffnet, um bei freiem Eintritt mehrere „Die sind bewusster als wir. Das hat sich selhafterweise Frauen immerzu gestellt Vorstellungen besuchen zu können. geändert, das macht mich optimistisch.“ wird, lautet: Wie schaffen Sie den Aus- Auch an die Umwelt denkt die Fes- Optimistisch lässt sich auch der 42. Fes- gleich zwischen Familie und Beruf? Sie tivalleiterin. Unmengen an Wasserfla- tivalausgabe entgegenblicken … • 31. Mai 2019 | FORUM 7
FESTIVALMACHER „Interessante und hochwertige Stücke“ Doris Pack war 25 Jahre lang Mitglied im Europäischen Parlament und hat sich für Bildung und Kultur – vor ihrer politischen Karriere war sie als Lehrerin tätig – immer stark gemacht, so auch für die Stiftung für die deutsch-französische kulturelle Zusammenarbeit, deren Vorstand sie ist. Interview: Michaela Auinger rau Pack, welche Ziele weiteres Vorstandsmitglied und küm- Ich habe das Gefühl, dass es sehr verfolgt die Stiftung für mert sich besonders auch zukünftig um viel Hochachtung gibt in den Augen die deutsch-französische die musikalischen Aktivitäten. der Franzosen gegenüber dem, was kulturelle Zusammenarbeit? Deutschland erreicht hat. Das finde ich Ihre Aufgabe als Vorstandsmitglied … bei Menschen, die 50 Jahre und älter Anfangs war die Stiftung dazu da, um dem von Mitterand und Kohl 1988 …ich bin diejenige, die Sorge trägt, dass sind. Bei jüngeren kann ich das so nicht gegründeten deutsch-französischen die Kasse jedes Jahr wieder stimmt. Wir feststellen – für die ist alles selbstver- Kulturrat einen Sitz zu bieten. Als ich brauchen auch Sponsoren. Da muss ich ständlich. Ich fühle mich in Frankreich Stiftungsvorsitzende wurde habe ich auch als Vorstand mit meinem Netz- immer daheim, ich habe nicht das Ge- werk versuchen, diese zu finden. fühl, dass ich bei Fremden bin – sicher gesagt: „Ich kann doch nicht alle An- auch, weil ich die Sprache spreche. fragen ablehnen, weil ich kein Geld Wir können die 42. Ausgabe des habe.“ Dann haben wir ein bisschen Festivals Perspectives erleben. Sind die Bemühungen, in Deutsch- Geld bekommen, um Anfragen im Wie sehen Sie die Entwicklung land die französische Sprache Bereich grenzüberschreitender Zusam- des Festivals? zu erlernen gleichauf mit den menarbeit von Bildung und Kultur un- Bestrebungen in Frankreich Als eine sehr schöne. Ich bin froh, dass terstützen zu können. Deutsch zu erlernen? es auch in diesem Jahr gelingt, interes- Erst dadurch wurden Sie überhaupt sante und hochwertige Stücke zu brin- Nein, das ist nicht der Fall, aber auch in die Lage versetzt Aufgaben wahr- gen. Das ist das einzige deutsch-fran- in Deutschland ist das ja nicht anders. nehmen zu können. zösische Festival, das von beiden Seiten Was wir im Saarland mit der Frank- finanziert wird… reichstrategie versuchen, das ist ein- Ja. In dieser Zeit entstand „Extra“ eine malig – es muss uns auch gelingen. Ich Jugendzeitschrift in Deutsch und Fran- … ja, aber die deutsche Seite en- habe auch den lothringischen Freun- zösisch, die vier Mal im Jahr den Tages- gagiert sich finanziell mehr als die den schon oft gesagt, dass es gut wäre, zeitungen beigelegt wird. Dann haben französische. Halten Sie es für wün- dass ihre Kinder die deutsche Sprache wir Buchpublikationen oder Musikfes- schenswert, dass sich das ändert? wieder lernten, denn die Arbeitsplätze, tivals unterstützt. Vor 12 Jahren kamen Ich glaube nicht, dass wir das so genau die sie brauchen, die haben wir. die damalige Staatssekretärin Monika auf Heller und Pfennig achten müssen – Beck und die Oberbürgermeisterin Britz Sie haben sicherlich schon das wir sollten froh sein, dass das so läuft. auf mich zu, ob wir nicht Perspectives Programm genauer betrachtet. Ich bin dankbar, dass sich jetzt auch in die Stiftung hineinnehmen können – Worauf freuen Sie sich besonders? Grande Est einbringt, das war vorher Sylvie Hamard war da schon die Leite- nicht der Fall – wir haben nur mit dem Wir werden in diesem Jahr eine Eröff- rin. Das war der Start, auch in anderem Departement gearbeitet. Es finden ja nung im Zirkus erleben – darauf freue aktiv werden zu können. LOOSTIK hat auch mehr Vorstellungen auf unserer ich mich. Worauf ich schon ganz ge- sich daraus entwickelt, auch der deutsch- Seite statt. Also: Wir sollten nicht beck- spannt bin, das ist das Stück Kamp und französische Literaturpreis. Wir haben auch Festen, den Film „Das Fest“ (Die FOTO: JENNIFER WEYL AND messerisch sein. einen Stiftungsrat, dessen Vorsitzender Vorführung fand am 21. Mai im Kino ist Kultusminister Commerçon. Colors Sie waren und sind viel in Frankreich Achteinhalb statt. Anm. d. Red.) werde oft Pop war 2017 auch bei der Stiftung unterwegs. Welches Deutschland- ich mir vorher noch anschauen, um ver- angesiedelt – Karl Richard Antes wurde bild finden Sie bei Franzosen vor? gleichen zu können. • 8 FORUM | 31. Mai 2019
FESTIVALUNTERSTÜTZER Silke Schlachter-Reim (links), Andrea Müller und Patrik Schmitt haben sich durch den Freundeskreis Perspectives kennengelernt. 10 FORUM | 31. Mai 2019
FESTIVALUNTERSTÜTZER „TAGE, DIE GLÜCKLICH MACHEN“ Wenn es Perspectives nicht gäbe, würde etwas fehlen. Darin stimmen Silke Schlachter-Reim, Andrea Müller und Patrik Schmitt vom Freundeskreis des Festivals Perspectives hundertprozentig überein. n ihren Berufen sind ganz andere, Von Michaela Auinger Künste, Einladungen in die französische aber keine künstlerischen Talente Botschaft als auch die saarländische Lan- gefragt. Die drei vom Freundeskreis val blieb sie treu, auch als sich die Pro- desvertretung und eine Vorstellung im des Festivals, Silke Schlachter-Reim, An- grammatik wandelte und Karten käuf- Deutschen Theater. Andrea Müller fragt drea Müller und Patrik Schmitt kommen lich zu erwerben waren. „Das nimmst erstaunt: „Wann erlebt man sowas schon aus ganz unterschiedlichen Berufen. Sil- du noch mit“, lachend erinnert sie sich, mal?“ Silke Schlachter-Reim ruft dazwi- ke Schlachter-Reim kennt sich mit den wie sie das Lockangebot einer Freikarte, schen: „Und: Kaffee trinken beim Ad- Elementen Luft und Wasser bestens aus dem Freundeskreis beizutreten im Pro- lon!“ Gelächter. Den Freundeskreis darf und kümmert sich als Chemisch-techni- grammheft entdeckte, und sich diese man sich als fröhliche Runde vorstellen. sche Assistentin bei einer Landesbehör- sichern wollte. Bereut hat sie die Ent- Andrea Müller bringt für ihre Ent- de um deren Schadstoffreinheit. Andrea scheidung keine Sekunde, im Gegenteil: scheidung, dem Freundeskreis beizutre- Müller ist als Selbstständige mit einem „Ich fühle mich da so gut aufgehoben.“ ten, eine ganz eigene Sicht, die aus ihrer Büroservice am Starterzentrum aktiv Für die Mitglieder des Förderkrei- Lebenserfahrung im Berufsleben her und der gelernte Bankkaufmann Patrik ses werden Plätze reserviert, sie werden rührt, ein. „Mir ist diese Frau aufgefallen, Schmitt ist in der Immobilienverwal- zu Pressekonferenzen und zu einem wie sie sich engagiert.“, und meint die Fes- tung tätig. Französisch lernten alle drei tivalleiterin Sylvie Hamard, „ich bin auch bereits in der Schule. selbstständig, ich habe auch Mitarbeiter. Patrik Schmitt ist durch seinen Vater, Nette Menschen Ich weiß, wie schwierig es ist, ein super der Franzose und Dolmetscher war, dem Team zu haben. Ich weiß auch, dass das Nachbarland in besonderer Weise ver- kennenlernen auch Arbeit ist, die Interaktion unter den bunden. Eine Freundin hatte ihn irgend- Leuten, das muss passen. Man braucht wann zu Perspectives mitgenommen, Brunch mit Künstlern und Mitarbei- Leute, die mit Herzblut dabei sind, da auf diese Weise hatte er das Festival ent- tern eingeladen und treffen die Festival- braucht man ein Händchen dafür.“ Dass deckt. Die Möglichkeit, einem Freundes- leiterin Sylvie Hamard zum Gespräch ein kleines Team so ein Festival auf die kreis beizutreten, entdeckte er auf dem in kleiner Runde, wie auch am Abend Beine stellt, sei unglaublich. „Das muss Webangebot selbst. Seine Anmeldung nach dem FORUM-Gespräch. man auch honorieren“ meint sie und be- sei eine „spontane Entscheidung“ gewe- „Ich fühle mich da so als VIP, ich greift ihren Beitrag als moralische Unter- sen. Die Möglichkeit, etwas zurückzuge- habe meinen Förderbeitrag aufgestockt“, stützung. Auf welches Gastspiel freut sie ben und tiefer einzutauchen, die wollte erzählt Silke Schlachter-Reim, außerdem sich besonders? „Ich liebe Tanz“, erzählt er wahrnehmen. „Zehn Tage, die einen „lernst du so nette Menschen kennen“. die Quierschiederin. „La Stravaganza“ glücklich machen“, bedeuten das Festival Als Einzelperson ist man mit 40 Euro hat sie im Staatstheater schon gesehen, Perspectives für ihn. Sein Feedback an schon beim Freundeskreis dabei. Sil- „Still Life“ schaut sie auf jeden Fall an. die Festivalleiterin Sylvie Hamard findet ke Schlachter-Reim wohnt, wie Andrea Auch Silke Schlachter-Reim möchte den Gehör, das schätzt er und, dass die Reihe Müller, in St. Arnual. Durch ihre Kinder Ballettabend von Angelin Preljocaj nicht „Das Festival zu Gast im Kino“, im Mai sind sie sich zwar im Stadtteil begegnet, versäumen. „Ich bin nicht der Tanzfan“, bereits beginnend, eine Einstimmung, als aber erst im letzten Jahr bei der Preisver- gibt Patrik Schmitt preis. Er beabsichtigt auch gute Ergänzung zum Programman- leihung in Berlin seien sie einander nä- alle Gastspiele zu besuchen. „Du schaust gebot, darstellt. „Das Fest“ sowohl im hergekommen. Das Festival Perspectives alles?“ fragt Andrea Müller verblüfft. Pa- Kino als auch als Bühnenadaption sehen ist Preisträger des Prix de l’Académie de trik Schmitt freut sich vor allem auf die zu können, darauf ist er neugierig. Berlin 2018. Einige Freundeskreismit- Zirkusvorstellungen, er beabsichtigt, sei- FOTO: BECKER&BREDEL Silke Schlachter-Reim kennt das Fes- glieder ließen es sich nicht nehmen zur ne Patenkinder mitzunehmen. Die Vor- tival noch von seinen Anfängen her, aus Auszeichnung in die Hauptstadt zu rei- freude auf das gemeinsame Erlebnis ist Zeiten der Straßentheatertage, wenn sen. Auf dem Programm standen, neben ihm anzusehen. Ein Lächeln huscht über am „Markt High Live war“. Dem Festi- der Preisverleihung in der Akademie der sein Gesicht. • 31. Mai 2019 | FORUM 11
FOTOS: L ANDESARCHIV, COPYRIGHT: STEFAN ANDREAS SCHMIDT, FOTOGRAF: JULIUS C. SCHMIDT (7) STADTARCHIV SA ARBRÜCKEN NL HJH 193-3, FOTOGRAF HANS-JÜRGEN HARTMANN STADTARCHIV SA ARBRÜCKEN NL M P 139/FOTO: FRITZ MITTELSTAEDT 12 FORUM | 31. Mai 2019 BILDERSTRECKE
BILDERSTRECKE Impressionen aus den Anfängen der Perspectives – 70er- und 80er-Jahre Perspectives 1978 – Dr. Diether Breitenbach, Jochen Zoerner- Erb (Festivalleiter und -gründer), Oskar Lafontaine und Angelika Welter (Reihe unten, von links). Ernst Küntzer und Hans-Jürgen Koebnick (Reihe oben, von links). 31. Mai 2019 | FORUM 13
VORSCHAU FESTIVAL PERSPECTIVES 2019 in Bildern und Zahlen 42. FESTIVALAUSGABE VOM 6. BIS 15. JUNI – DEUTSCH-FRANZÖSISCHES FESTIVAL DER BÜHNENKUNST DRU LA JUNE COMPAGNIE NÄSS FOUAD BOUSSOUF / COMPAGNIE MASSALA Neuer Zirkus Tanz 8. Juni | 20 Uhr und 9. Juni | 18 Uhr 13. Juni | 20 Uhr Alte Feuerwache, Saarbrücken Theater am Ring, Saarlouis Ohne Worte | Deutschlandpremiere Ohne Worte PASSAGEN IN PORTBOU DEKANAT SOLL MIR LIEBER GOYA DEN SCHLAF RAUBEN SAARBRÜCKEN / HEINER BUCHEN, ALS IRGENDEIN ARSCHLOCH / RODRIGO GARCÍA / DANIELA RODRIGUEZ SCHAUBÜHNE AM LEHNINER PLATZ Tanz, Theater | 5. Juni | 19.30 Uhr + 7. Juni | 10 Uhr Theater, Performance | 7. Juni | 20 Uhr | E-Werk Saarbrücken Hauteurs de Spicheren (Sportplatz Stade), Spichern In deutscher Sprache mit französischer Übertitelung 14 FORUM | 31. Mai 2019
VORSCHAU 19 GASTSPIELE | 1 DEUTSCH-FRANZÖSISCHER AKROBATIK-WORKSHOP | 16 SPIELORTE BUDGET 2019 Landeshauptstadt Saarbrücken: 205.000 Euro | Saarland: 205.000 Euro Französische Partner: 135.000 Euro (davon Conseil Départemental de la Moselle: 80.000 Euro) Sponsoring und Spenden: circa 110.000 Euro Ticketeinnahmen, sonstige Kostenbeteiligungen und Zuschüsse: circa 210.000 Euro Vorläufiges Budget vom Festival Perspectives 2019: 865.000 Euro FRANITO PATRICE THIBAUD 3D CIE H.M.G. Pantomime, Flamenco Neuer Zirkus 13. Juni + 14. Juni jeweils 20.30 Uhr 9. Juni + 10. Juni jeweils 12 Uhr und 16.30 Uhr Scène de l’Hôtel de Ville, Sarreguemines Pingusson-Gebäude, Saarbrücken (Garten) Keine Sprachkenntnisse erforderlich Ohne Worte | Deutschlandpremiere FOTOS: FESTIVAL PERSPECTIVES / F. RODOR — FESTIVAL PERSPECTIVES / CHARLOTTE AUDUREAU — FESTIVAL PERSPECTIVES / JEAN-LOUIS DUZERT FESTIVAL PERSPECTIVES / DAVID KONECNY — FESTIVAL PERSPECTIVES / CARSTEN THIELE SERIFE ZOR HEIKO SCHÄFER — ALEX YOCU — FESTIVAL PERSPECTIVES / LUCILE NABONNAND NIRVANA DELGADO FUCHS L’HOMME-ORCHESTRE CIE LA MUE/TTE Tanz, Performance Musik 8. Juni | 18.30 + 9. Juni | 20.00 + 10. Juni | 20.30 9. Juni + 10. Juni jeweils 13 Uhr, 14.30 Uhr, 17.30 Uhr Kettenfabrik, Saarbrücken Pingusson-Gebäude, Saarbrücken (Garten) Ohne Worte | Deutschlandpremiere Ohne Worte 31. Mai 2019 | FORUM 15
THE ATER „Familie: Der erste Kontakt zur Welt“ Schauspieler Mathias Labelle spricht im Interview über die unverrückbare Konstante Familie, über das Theaterkollektiv Collectif MxM und die Erarbeitung des Stückes „Festen“, das beim Festival Perspectives Deutschlandpremiere feiert. Fragen: Julia Indenbaum und Michaela Auinger / Übersetzung: Pascale Mayer err Labelle, der Film in die wir hineingeboren werden. Um schaftlichen Verhältnissen? „Festen“ von Thomas Vin- ein Trauma auszulösen, braucht es nicht Wie sehen Sie das? terberg kam vor rund 20 unbedingt ein dunkles Geheimnis oder Familie ist eine Konstante in dem Sinn, Jahren auf die Leinwand, er wurde zerrüttete Familienverhältnisse. In Fes- dass eine Familie eine Familie ist und es in Cannes ausgezeichnet und als ten geht es um das Thema Familienerbe, auch immer bleiben wird. Diese Kon- „Meilenstein der Filmgeschichte“ Werte, und wie sie weitergegeben wer- stante ist unveränderlich. Tatsächlich betitelt. Man kann sagen: Das The- den. Wie erzählt man seine eigene Ge- aber führen die gesellschaftlichen Ver- ma Familie geht uns alle an, auch schichte den anderen Familienmitglie- änderungen dazu, dass neu definiert dann, wenn keine schrecklichen dern, die ja eigentlich das gleiche erlebt wird, was genau eine Familie eigentlich Geheimnisse verborgen bleiben haben sollen? Wie schafft man es, dass ausmacht. Das ist eine latente Erzählung oder ans Licht kommen, oder? die eigene Geschichte als eine Wahrheit in Festen. Man kann beobachten, wie akzeptiert wird? Und dabei reicht es Ja, es ist tatsächlich ein sehr universel- der familiäre Würgegriff sich löst, wie nicht, dass die Wahrheit von den ande- les Thema. Familie, das sind Menschen, die Dynamik der zwischenmenschlichen ren nur gehört wird, sie muss von ihnen die man sich nicht ausgesucht hat. Man auch verstanden werden. Strukturen erstarrt. Vor allem Christian, muss lernen, mit ihnen zu leben, sich der weit entfernt von seiner Familie ge- miteinander weiterentwickeln. Unsere Ist Familie nach wie vor eine un- lebt hat, lässt durch seine Rückkehr alles Familienmitglieder sind die Menschen, verrückbare Konstante im Leben zerplatzen, was unveränderlich schien. mit denen wir als erstes interagieren. Sie jedes Einzelnen oder unterliegt sie Wir können in jedem Fall unseren Platz sind unser erster Kontakt zu der Welt, einem Wandel je nach den gesell- innerhalb unserer Familie neu definieren. 16 FORUM | 31. Mai 2019
THE ATER Manchmal können wir auch versuchen, ßerhalb des Bildes liegt. In diesem Stück alte Bräuche, Rituale, die Geisteshaltung gibt es nicht den einen richtigen Punkt unserer Familie zu verändern, aber dabei auf der Bühne, auf den man schauen sollten wir besser auf eine lange, harte muss. Nein, der Zuschauer muss das für Arbeit gefasst sein. Es kann bedeuten, sich selbst herausfinden, er muss selber dass man reinen Tisch machen und end- entscheiden, wohin er schaut. gültig abschließen muss mit seinen Wur- zeln, mit all dem, was einen erschaffen Können Sie uns etwas über das hat, und worauf die Familie beruht, aus Collectif MxM erzählen? Angst vor einem Verlust der Geborgen- Das Collectif MxM ist ein Kollektiv von heit und aus Bequemlichkeit. Technikern. Das sind Ton-, Video-, und Lichtkünstler, die verschiedene Hand- Welche Rolle spielte Familie in werke miteinander vereinen. Cyril Teste Bezug auf ihre Karriere? Wurde Sie ist der künstlerische Leiter. Und sie laden von ihren Familienmitgliedern bei Schauspieler dazu ein, mit ihnen zusam- ihrer Berufswahl unterstützt? menzuarbeiten. Während der Proben ar- Ich habe das Glück, dass meine Eltern beiten alle zusammen, die Technik wird mich bei allem, was ich tun wollte, im- Schauspieler Mathias Labelle. in den kreativen Schaffensprozess von mer unterstützt haben. Anfang an miteinbezogen. Schauspieler und Techniker müssen eins sein, sonst Die Inszenierung „Festen“ ist ein nieren. Ich weiß nicht, ob das ein Trend funktioniert das nicht. Sie sind Spielpart- Mix aus Film und Theater. Der ist, der sich durchsetzen wird, ich glaube ner, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Trend, dem Zuschauer Bewegtbild nicht, dass es nur eine Modeerscheinung Kameraoperateure und die Bühnentech- im Theater zu zeigen, hält ungebro- ist. Es ist schon wahr, man sieht momen- niker kommunizieren ständig mit der In- chen an. Wieso wollten Sie nicht tan sehr viel davon, immer mehr, weil spizienz. Während der Aufführung sind auf die Macht und die Möglichkeiten es einfach möglich ist, es zu tun, sich in sie die Schaltstelle. Und genau darauf des Theaters vertrauen? dieses Abenteuer hineinzustürzen. Und müssen wir uns von Anfang an verlassen Wir vertrauen voll und ganz auf die wenn man genau hinsieht, dann erkennt können: auf das gegenseitige Vertrauen, Macht und die Möglichkeiten des Thea- man, dass es jeder anders macht, jeder ters. Das Bewegtbild ist eine dieser Mög- auf seine eigene Art. Es ist ein Instru- das Wohlwollen und die Sicherheit, dass lichkeiten. Das Collectif MxM setzt nun ment zum Geschichtenerzählen, das sich jeder genau weiß, was er tut. bereits seit fast fünfzehn Jahren Video in voller Entfaltung befindet. Was war bei der Erarbeitung die als Instrument im Theater ein. Festen größte Herausforderung für Sie als ist nichts weiter als das in Kunst umge- Sie zoomen in Großaufnahme auf Details, die der Zuschauer mittels Schauspieler? setzte Arbeitsverfahren, das auf den Er- fahrungen und Forschungsergebnissen technischem Aufwand auf der Lein- Für mich als Schauspieler war es bei des Kollektivs beruht. Es ist ein Studi- wand, die über der Bühne schwebt, der perspektivischen Darstellung, der engegenstand. Das Theater definiert sich wahrnimmt. Gerät der Zuschauer Bühnengestaltung eine der größten He- ja auch durch die Tatsache, dass es sich in Konflikt mit sich selbst, wohin er rausforderungen, einen reibungslosen in Echtzeit abspielt. Für mich ist gerade denn nun blicken soll? Ablauf in der Zusammenarbeit mit den das eine seiner größten Stärken. Die Ein- Ja, na klar. Die Suche findet gemeinsam Kameraoperateuren hinzubekommen. stellungen werden fast alle live gedreht, mit dem Zuschauer statt. In unserem Ich musste meinem Körper antrainieren, was an sich ein theatralischer Vorgang Leben sind wir doch permanent, jeden fließende Bewegungen mit einer gewis- ist und bleibt – trotz des Einsatzes filmi- Tag, ohne, dass wir es merken, hin- und sen Leichtigkeit auszuführen, mit meiner scher Mittel werden die Zuschauer nie hergerissen von Lichtern und Bildschir- Choreografie genauestens vertraut sein, zweimal dieselbe Vorstellung sehen. Das men. Echten und virtuellen. Das Coll- um nicht mehr über einzelne Schritte Stück entwickelt sich weiter, und wir ar- ectif MxM versucht, dem Theater die nachdenken zu müssen und zu einhun- beiten daran bis zur letzten Aufführung. Möglichkeit zu geben, mit dem „hors dert Prozent aufmerksam sein, um zu FOTOS: FESTIVAL PERSPECTIVES/SIMON GOSSELIN — FL AVIEN PRIOREAU Ich glaube, dass wir dazu verpflichtet champs“ zu spielen, also allem, was au- wissen, was um mich herum geschieht. sind, dem Theater zu vertrauen, seiner Und schließlich war es ganz schön an- „Jetztzeit“, seiner Technik, die gerade für spruchsvoll, ein Festen zu erzählen, das diese Art der Arbeit hochspezialisiert ist. INFO nicht genau dem Film von Thomas Vin- Das Bewegtbild ist nur ein Werkzeug, ein terberg entsprach, um sich davon eman- Mittel zum Zweck, nicht das angestrebte Filmische Performance zipieren zu können. Das war etwas, wor- Resultat. Festen wurde für das Theater Festen / Collectif MxM auf wir sehr achten mussten. geschaffen. Die Video- und szenischen In französischer Sprache Elemente sind die Grundlagen dafür. Was erwarten die saarländischen mit deutscher Übertitelung Das Spiel auf der Bühne funktioniert Zuschauer von Festen? Freitag, 14., und ohne die filmischen Elemente nicht. Ge- Samstag, 15. Juni, jeweils 20 Uhr Eine ziemlich große Truppe, um eine nauso wie die filmischen Elemente ohne E-Werk Saarbrücken tolle Vorstellung abzuliefern. Wir freuen das Spiel auf der Bühne nicht funktio- uns riesig, im Saarland zu spielen! • 31. Mai 2019 | FORUM 17
THE ATER Gesucht: Schnittmengen zweier Kulturen Zwei Jahre war das Theaterkollektiv Markus&Markus unterwegs – auf einer Reise in den Islam. Das Theaterstück, das daraus entstand, heißt „Zwischen den Säulen“. Von Monika Jungfleisch S-Terror, Auspeitschungen, Enthaup- Die Zuschauer erleben die Reise zu tungen, Scharia, Bombenattentate, den fünf Säulen des Islams als Wechsel Heiliger Krieg, Zwangsverheiratung, zwischen Videoprojektionen und ge- Vollverschleierung – einige Beispiele, die spielten Szenen, zwischen Schattenspiel einem spontan einfallen, wenn die Rede und Windmaschine. Was ist Realität, auf den Islam kommt. Begriffe, die täg- und was ist Fiktion? Was ist Märchen, lich durch die Medien schwirren und was Reportage? Das dokumentarisch das Bild vieler „Abendländer“ über die erscheinende Stück lässt die Zuschauer Muslime und Musliminnen prägen, vor über vieles rätseln. allem seit dem größten je dagewesenen Auf der Bühne zu sehen sind hierbei Terroranschlag von Islamisten gegen die Markus Schäfer und Markus Wenzel. „westliche Welt“ am 11. September 2001 Die beiden 36- und 31-jährigen Per- in New York und Washington. Begriffe, former suchen nach dem Verbindenden die vor allem Angst schüren, die das Ge- und Gemeinsamen der christlichen und gensätzliche aufzeigen zwischen Abend- islamischen Religion und östlicher und und Morgenland, westlicher Kultur. zwischen westlicher Sie dokumentieren Fortschrittlichkeit Ein dokumentarisch ihre Recherchen und chem vermeintli- östlichem erscheinendes Stück zu den fünf Säu- len des Islam in Hinterwäldlertum. fantastischen Bil- Doch wie sieht es mit Gemeinsam- dern und wortgewaltigen Texten. Vom keiten aus? Wo liegen die Schnittmen- Fasten und vom Fastenbrechen, über gen beider Kulturen? Wie wäre es, wenn Almosengeben, zum Gebet und zum man nicht nur nebeneinanderher lebt, Glaubensbekenntnis bis hin zur Pilger- sondern miteinander, sich einander an- fahrt nach Mekka. Die Fäden des Theaterstücks und des nähert, sich auf zwischenmenschlicher Mal sieht man sie als mutige Reisen- gesamten Theaterkollektivs im Hinter- Ebene begegnet? Mit offenen Armen, de auf Tigern in die Ferne reiten, mal grund hat die 30-jährige Konzeptionistin, mit ehrlichem Interesse? durchqueren sie unerschrocken aufge- Texterin, Übersetzerin, Produktionsleite- Das innovative vierköpfige Theaterkol- wühlte Gewässer, mal landen sie auf rin Lara-Joy Hamann zusammengehalten. lektiv „Markus&Markus“ hat diese Annä- den Schwingen eines Kranichs in einem „Ziel unserer Theaterarbeit ist es, herung gewagt. Katarina Eckold, Lara-Joy niedersächsischen Garten, wo sie 2017 das Leben derer, die an einer Inszenie- Hamann, Markus Schäfer und Markus ihre Reise zum Islam begonnen haben. rung arbeiten, zu verändern“, erzählt Wenzel haben sich in einer Zeit voller Sie zitieren aus ihren Tagebüchern, Rei- Markus Schäfer. „Das heißt für uns Hass und Menschenfeindlichkeit auf eine sebeschreibungen, Dokumenten, eigenen Theaterschaffende, dass wir nicht nur FOTO: FESTIVAL PERSPECTIVES / K ATJA RENNER Reise zum Islam gemacht. Ein Experi- Texten und Gedanken im Hinblick auf an Oberflächen kratzen, nicht nur auf ment. Eine Abenteuerreise! Sie führte die eine freundliche Annäherung an die Kul- einen Themenkomplex draufschauen, Truppe kreuz und quer durch Deutsch- tur- und Religionsgeschichte des Islams. sondern aus ihm hervor. Das heißt ganz land, bis nach Jordanien und Sarajevo. Ihre Erzählungen werden untermalt konkret, dass wir uns durch das Projekt Das Ergebnis ihrer rund zweijährigen durch Filmprojektionen, die die 43-jäh- verändern wollen.“ Gleiches gilt auch intensiven Recherchetour zeigen sie in rige Kamerafrau, Cutterin, Animations-, für das Publikum: „Wir hoffen, dass alle dem Theaterstück „Zwischen den Säu- Sound- und Videodesignerin Katarina den Theaterraum als andere Menschen len“ beim Perspectives-Festival 2019. Eckold gedreht und gestaltet hat. verlassen, als sie ihn betreten haben.“ 18 FORUM | 31. Mai 2019
THE ATER Ein hoher Anspruch. Auch ein realis- die Vorführung verlassen haben. „Vie- neuen, anderen Bildern überspielt wer- tischer? „Aber ja doch“, meint Markus le Zuschauer beschreiben, dass sie mit den konnte. Es ist die Beschreibung ei- Schäfer. „Wir haben zum Beispiel – das großteils festgefügten Bildern zum Is- ner Perspektiv-Erweiterung.“ war für uns neu – auch in den Proben zu lam in das Theaterstück gekommen Ein Effekt, den sich Markus&Markus den Gebetszeiten gebetet. War für uns sind. Das Stück habe nun dazu beige- auch gerade für die Perspectives 2019 in eine interessante Entwicklung: Durch das tragen, dass die eigene Festplatte mit Saarbrücken erhoffen. „Dieses Theaterfes- ritualisierte Herauslösen aus dem Probe- tival trägt für uns zu Recht den Namen alltag kamen wir für eine kurze Zeit zur ‚Perspectives‘. 2016 haben wir mit unserer Ruhe. Selbst wenn wir uns vorher unter- Inszenierung der „Gespenster“ von Ibsen INFO einander gezofft hatten, haben wir uns erstmals an dem Saarbrücker Festival teil- zum Gebet gesammelt, dieser Moment Dokumentartheater, Performance genommen. Durch seine deutsch-franzö- der Unterbrechung aller Tätigkeit tat uns Zwischen den Säulen sische Ausrichtung haben wir das Festi- gut. Ich habe noch keine Situation erlebt, Markus&Markus val als ganz neue Perspektive für unser in der unsere Stimmung nach dem Gebet In deutscher Sprache eigenes Schaffen wahrgenommen. Es hat schlechter war als davor.“ mit französischer Übertitelung uns beeinflusst. Genauso wie unser Stück Auch seitens des Publikums hat das Dienstag, 11. Juni, 20 Uhr dieses Jahr auch die Zuschauer in ihrer Ensemble erfahren, dass viele mit einer Sichtweise – sprich ihrer Perspektive – • Alte Feuerwache, Saarbrücken veränderten Perspektive auf den Islam hoffentlich verändern wird.“ 31. Mai 2019 | FORUM 19
THE ATER Todesmaschinerie – Theater ohne Worte Das Rotterdamer Theaterkollektiv Hotel Modern zeigt in einer filmischen Live-Performance die Massenvernichtung von Auschwitz in dem Objekttheaterstück „Kamp“. er Frankfurter Philosoph Von Dr. Elke Schwarz tig in der Kameraaufnahme. Sie wirken Theodor W. Adorno formu- wie eine Mahnung an das stumme Pub- lierte 1949 den späterhin viel Die drei Performer von „Hotel Mo- likum, das aus überhöhter Sicht auf den zitierten Satz, dass es barbarisch sei, nach dern“, Pauline Kalker, Herman Helle fabrikmäßigen Massenmord blickt. Auschwitz ein Gedicht zu schreiben. Un- und Arlène Hoornweg, bewegen die Die Idee zu „Kamp“ stammt von wissend, dass der jüdische Dichter Paul Puppen und setzen sie in Szene, um Pauline Kalker, deren Großvater, Josef Celan bereits 1944/45 mit seinem Ge- einzelne Geschichten und Schicksa- Emanuel Kalker, in Auschwitz ermordet dicht „Todesfuge“ die nationalsozialisti- le des Lagerlebens zu erzählen, filmen wurde. Die heute 50-jährige Schauspie- sche Judenvernichtung in Konzentrati- gleichzeitig mit Mini-Kameras und lerin hat ihren Großvater nie kennenge- onslagern – aus der Sicht der Opfer und projizieren das Geschehen auf eine lernt. Der jüdische Arzt wurde im Ge- Täter – beschrieben hatte. Im Mai 1947 Leinwand. Ein Soundkonzept aus Ge- fängnis gefoltert, war für kurze Zeit im erschien die rumänische Übersetzung räuschen und Musik von Ruud van der Durchgangslager Westerbork und wurde des Gedichts – damals noch als „To- Pluijm begleitet die Performance. schließlich in Auschwitz ermordet. Das destango“ betitelt – und war Celans erste Buch eines Auschwitz-Überlebenden, Veröffentlichung überhaupt. Celan um- der mit ihrem Großvater in einer Ba- schreibt mit seinem in der „Todesfuge“ Geschichten und racke war, beantwortete einige Fragen, enthaltenen Vers „Der Tod ist ein Meis- Schicksale aus warf aber auch neue auf. Gemeinsam ter aus Deutschland“ die perfide Perfek- mit ihrem Ehemann, dem Bühnenbild- tion des Massenmordes von Auschwitz. dem Lagerleben ner Herman Helle, und ihrer Schau- Das gelingt auch dem Rotterdamer The- spielkollegin Arlène Hoornweg macht sie aterkollektiv „Hotel Modern“ mit seinem Das Publikum sieht sowohl die Ak- sich 2004 auf den Weg nach Auschwitz, Stück „Kamp“ – ganz ohne Worte. teure, die die Puppen lenken, als auch um vor Ort der Frage nachzugehen: Wie In ihrem Objekttheater mit einer das filmische Ergebnis auf der Leinwand. sind die Menschen in Auschwitz gestor- Mischung aus Live-Performance und Die Puppen mit kahlen Köpfen und ge- ben? Mit dabei war auch der Sound- Videofilm in Echtzeit bringen sie das streifter Häftlingskleidung wirken durch designer Ruud van der Pluijm, der vor Grauen auf die Bühne. Aus Pappe und die geöffneten Münder mit stillem Schrei Ort Geräusche und Vogelstimmen – vor Blei ist das Konzentrationslager Ausch- wie eine permanente Anklage, die unge- allem Schwalben – aufnahm, die auch witz im Miniaturmodell mit Baracken, hört verhallt. Die Wärter unterscheiden heute im Stück Verwendung finden. Gaskammern, Wachtürmen, Stachel- sich von den Häftlingen nur durch ihre Wie kann man das Leid der Men- draht und der berüchtigten Selektions- Kleidung, die aus ausgeschnittenen Fo- schen auf die Bühne bringen? In Worte rampe nachgebaut. tografien besteht, die Köpfe mit den ist es nicht zu fassen, das wird schnell In Auschwitz, dem größten deutschen geöffneten Mündern und hohlen Augen klar. Die Truppe sucht nach einer au- Vernichtungslager des Zweiten Weltkrie- gleichen denen der Häftlinge. ßergewöhnlichen Umsetzung wie sie be- ges, das aus drei Lagerkomplexen bestand, Zuweilen erscheinen auch die Hände reits mit dem Stück „Der große Krieg“, starben mehr als eine Million Menschen, der Performer riesenhaft und übermäch- einer Collage aus Briefen und Tage- vornehmlich Juden, politische Häftlinge, bucheinträgen von Soldaten des Ersten FOTO: FESTIVAL PERSPECTIVES / LEO VAN VELZEN aber auch Sinti und Roma. Entweder in Weltkrieges gelungen war, und dem Gaskammern oder an den katastrophalen Theaterkollektiv im Jahr 2001 auch den INFO Lebens- und Arbeitsbedingungen. Das internationalen Durchbruch bescherte. Figurenpersonal von „Kamp“ – 3.000 Objekttheater Herman Helle, der Mitte der 1980er fingergroße Puppen aus Draht und Knet- Kamp / Hotel Modern Jahre Modelle für den niederländischen masse – steht stellvertretend für das Leid Sonntag, 9. Juni, 20 Uhr und Architekten Rem Koolhaas baute, wurde und die fabrikmäßige Ermordung in den Montag, 10. Juni, 20.30 Uhr in Deutschland 2017 mit seinem künst- Konzentrationslagern während des Zwei- E-Werk Saarbrücken lerischen Modell der Stadt Frankfurt ten Weltkrieges. bekannt, das heute im dortigen Histori- 20 FORUM | 31. Mai 2019
THE ATER schen Museum zu den Publikumsmagne- in diesem Augenblick. Wir übertragen Wohlfühlens stellt sich für das Publikum ten zählt. Für „Kamp“ entwarf er das La- unsere Emotionen auf die Figuren, auch bei „Kamp“ aber sicher nicht ein. Seit der ger-Modell aus Pappe mit Baracken und wenn unsere eigene Physiognomie nicht Premiere von „Kamp“ im Jahr 2005 wur- Gebäuden, und zwar Teile von Auschwitz sichtbar ist“, erläutert Kalker den schwie- de das Stück weltweit mehr als 200 Mal als auch Birkenau beinhaltend. Die insge- rigen Prozess der Umsetzung. aufgeführt. Vor allem bei Aufführungen samt 3.000 Figuren aus Draht und Plas- in Deutschland bemerkt Pauline Kalker, tillin haben zehn bildende Künstler nach dass „die Deutschen nach einer Vorstel- Entwürfen von Herman Helle gestaltet. „Wir übertragen lung oft sehr bedrückt sind. Der Applaus Kalker, Hoornweg und Helle agieren unsere Emotionen kommt zunächst nur zögerlich. Ich den- bei „Kamp“ als Schauspieler, Performer ke, das hängt damit zusammen, dass die und Puppenspieler zugleich. Sie kreieren auf die Figuren“ Deutschen sehr oft mit Auschwitz kon- das Leben im Lager. Wenn Pauline Kal- frontiert werden. Das Thema „kollektive ker während der Aufführung eine Figur Den Namen „Hotel Modern“ ersann Schuld“ ist immer in den Köpfen.“ bewegt, dann ist sie auf diese Situation das Kollektiv als Umschreibung für einen Das Publikum bleibt nach einer Auf- konzentriert. So als agiere sie als Schau- Ort, der nicht das Zuhause ist, an dem führung jedoch nicht allein mit seinen spielerin der Szene. „Wenn ich eine Puppe der Gast aber eine Zeitlang verweilt. Üb- Gedanken. Das Theaterkollektiv steht bewege, die von einem Aufseher geschla- licherweise sollte sich der Gast in einem nach der Performance für ein Publi- gen wird, dann hasse ich den Aufseher Hotel auch wohlfühlen. Das Gefühl des kumsgespräch zur Verfügung. • Pauline Kalker positioniert die Figuren auf der Szenerie. 31. Mai 2019 | FORUM 21
TANZ de la Danse. Da hatte Angelin Preljocaj Amüsantes Konkurrieren bereits eines seiner Themen gefunden: die Auseinandersetzung mit der künst- lerischen Hinterlassenschaft der Ballets und aufrüttelndes Sinnieren russes, jener Avantgarde-Truppe Anfang des 20. Jahrhunderts, die ihren sensati- onellen Aufstieg in Paris begonnen hat- te. Immer wieder wird Preljocaj deren Die Soirée Preljocaj zeigt zwei Stücke des Werke neu, durchaus ungewohnt inter- französischen Choreografen Angelin Preljocaj. pretieren, ob „Les Noces“, „Parade“, „Le Spectre de la rose“ oder, später, „Le Sacre du printemps“, gewidmet seiner Lehrerin Von Volkmar Draeger Karin Waehner. Eines dieser Tribut-Pro- gramme lief auch in der Pariser Opéra – r wage sich vor „wie ein Maler, zu: bei Karin Waehner, einer Schülerin und trug ihm 1994 die Einladung zu ei- der seine Vorstellung eines phan- von Mary Wigman. 1980 studierte er ner Kreation für die berühmte Compag- tastischen Orients zum Aus- dann zusätzlich bei Merce Cunningham nie ein. So entstand „Le Parc“, das zarte druck bringt: wie eine Art Kalligraphie in New York, schloss sich der Gruppe Erwachen eines Mädchens im Flirt mit von Affekten und Stimmungen“. Was von Dominique Bagouet an, dem damals vier Gärtnern als Liebes-Katalysatoren 2014 Angelin Preljocaj zu seinem Stück wichtigsten französischen Choreografen und Lebens-Souffleuren, in einem baro- „The Nights“ sagt, einem Kaleidoskop im zeitgenössischen Tanz. Schon erste cken Garten und zu Musik Mozarts. so umdüsterter wie farbiger Bilder nach eigene Arbeiten erregten Aufsehen und „Le Parc“ begründete Preljocajs in- der Märchensamm- führten Ende 1984, ternationalen Ruhm und bescherte ihm den als Ballett-Oscar gehandelten, in lung „1001 Nacht“, könnte über seinem „Alles Üble kann nur ein mutiger Schritt, zur Gründung des Moskau vergebenen „Prix Benois de la Schaffen stehen: geschehen, wenn die Ballet Preljocaj, danse“. Compagnien von Berlin bis Mai- hinter menschli- ansässig zunächst land übernahmen das Stück. Sein Zent- che Beziehungen Liebe fehlt“ in Champigny-sur- rum ist ein Duett, in dem das Mädchen blicken, sie über Marne, einer Klein- einem der Burschen im Kuss verbunden zeitgenössischen Tanz in beredte Form stadt südöstlich von Paris. bleibt und in fliegender Endlosdrehung schlagen. Und immer wieder geht es dem Es begann eine selbst im tanzaffinen zu entschweben scheint. Dieser Pas de 1957 nahe Paris als Sohn albanischer Frankreich beispiellose Karriere. Ein deux hat sich zum Galastück gemausert Einwanderer geborenen Choreografen Preis ermöglichte ihm Studien des No- und weist in der atemlosen Innigkeit und um Liebe. „Alles Üble kann nur gesche- Theaters in Japan; daheim beteiligte er der differenzierten Erfindungskraft eine hen, wenn sie fehlt“, äußerte er in einem sich an nationalen Festivals, in Montpel- der Stärken des Choreografen aus. Interview. Die Liebe zum Tanz zeigte lier, Avignon, Lyon, gewann seine ersten Seit 1996 residiert das Ballet Preljocaj sich bei ihm früh. Nach der Ballettausbil- Preise, so 1992 den vom Kulturministe- in Aix-en-Provence, verfügt seit 2006 dung wandte er sich dem modernen Tanz rium verliehenen Grand Prix National über eine speziell für seine Belange gebaute Heimstatt, den Pavillon Noir. Dort kann ihr künstlerischer Leiter sei- ne Ambitionen umsetzen, gemeinsam FOTOS: FESTIVAL PERSPECTIVES / BETTINA STOESS — FESTIVAL PERSPECTIVES / JEAN-CL AUDE CARBONNE mit Vertretern anderer Genres neue Werke zu schaffen, getreu seinem Vor- bild, den Ballets russes. Die Zahl jener Werke ist inzwischen schier unüberseh- bar und reicht von Kurzbeiträgen bis zu Abendfüllern wie „Snow White“ nach dem Märchen vom Schneewittchen, zu Musik von Gustav Mahler und in Kos- tümen von Jean Paul Gaultier. Wie hier die sieben Zwerge aus Grubenarbeitern zu unerschrockenen Fassadenkletterern werden, entzückte die Zuschauer und errang dem Choreografen als weite- Angelin re Auszeichnung 2009 den „Globe de Preljocajs „La Cristal“. Folgenreich war schon früher, Stravaganza“ – 1997, ein Gastspiel in New York. Dort getanzt vom erhielt Angelin Preljocaj für „Annocia- Saarländischen tion“, ein Frauenduett um die Marien- Staatsballett. verkündigung, den Bessie Award für die beste Tanzkreation – und das Angebot, 22 FORUM | 31. Mai 2019
TANZ Angelin Preljocajs „Still Life“ – getanzt vom Ballet Preljocaj. im New York City Ballet ein neues Stück spannungsgeladenes amüsantes Wechsel- geln, Hämmern und Ticken ein faszinie- zu entwickeln. Das Ergebnis heißt „La spiel. Flink und wendig bewegen sich die rend skulpturaler Fries bald wälzender, Stravaganza“ und ist nach Preljocajs ei- in helle Trikots gewandeten sechs „Heuti- bald gesichtslos taumelnder Wesen. Mit gener Aussage von der Lebendigkeit je- gen“, vor flammender Röte erscheint das Requisiten wie Globus und Stundenglas ner Metropole inspiriert, in die er Jahre historisch kostümierte Konkurrenzsex- hantieren sie, setzen einem Schädel die zuvor als Lernender gekommen war. tett. Befeuert Vivaldis musikalischer Elan Krone auf, erinnern an die Vergänglich- „La Stravaganza“, im Repertoire nam- die Heutigen zu immer neuen Formatio- keit von Macht und Potentaten. Wieder hafter Compagnien, übernimmt den nen, bewegen sich die „Alten“ kontrastie- gelingt Preljocaj zwischendrin eines der Titel von zwölf Konzerten für Violine rend zu elektronischem Fauchen, Pfeifen Schwebeduette, wieder bestechen Be- von Antonio Vivaldi und steht seit 2019 und Knattern wie in wegungsfluss und auch auf der Agenda des Saarländischen Gang gesetzte Auto- Musikalität. Am Staatsballetts. Gemeinsam mit einem maten, werden Ali- Schwebeduette Ende des 50-mi- Gastspiel des Ballet Preljocaj wird das ens gleich bestaunt. in bestechendem nütigen Sinnierens gut halbstündige Stück nun das Festival Dann wendet sich über den Zustand Perspectives bereichern. das Blatt: Die Grup- Bewegungsfluss unserer Welt kann Zwei Gruppen zu je drei Paaren setzt pen mischen sich, es die schwertschwin- der Choreograf für „La Stravaganza“ in ein kommt zu Begegnungen, gar Liebe, die gend den Tod bringende Frau, Symbol jedoch nicht von Dauer ist. Die Vermeer- des Krieges, entwaffnet werden. Gestalten, wie Preljocaj die „Alten“ nennt, Nach 1990, 2004, 2006 und 2016 entschwinden wieder in ihre Welt. Was sie ist das Ballett Preljocaj nun zum fünf- INFO der jungen Generation mitgeteilt haben, ten Mal Gast des Festivals Perspectives. Tanz bleibt deren Gewinn. Er sei stets auf der Suche nach neuen Soirée Preljocaj Im zweiten Beitrag der „Soirée Prel- Konzepten und deshalb froh, relativ re- Deutschlandpremiere jocaj“ präsentiert dessen eigene Com- gelmäßig in Saarbrücken seine persönli- Dienstag, 11. Juni, 20 Uhr pagnie eine Arbeit von 2017. „Still Life“ che Entwicklung zeigen zu können, sagt Saarländisches Staatstheater beginnt mit dem Stillleben aus fünf Lie- Angelin Preljocaj im Telefongespräch. genden und einer Stehenden. In Zeitlupe Wenn das kein Kompliment für die Stadt • Saarbrücken entwickelt sich daraus zu Klicken, Klin- an der Saar und ihr Festival ist! 31. Mai 2019 | FORUM 23
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