Förderung von Lebenskompetenzen bei älteren Menschen - Arbeitspapier 49 Grundlagenpapier
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Gesundheitsförderung Schweiz ist eine Stiftung, die von Kantonen und Versicherern getragen wird. Mit gesetzlichem Auftrag initiiert, koordiniert und evaluiert sie Massnahmen zur Förderung der Gesundheit (Krankenversicherungsgesetz, Art. 19). Die Stiftung unterliegt der Kontrolle des Bundes. Oberstes Entscheidungsorgan ist der Stiftungsrat. Die Geschäftsstelle besteht aus Büros in Bern und Lausanne. Jede Person in der Schweiz leistet einen jährlichen Beitrag von CHF 4.80 zugunsten von Gesundheitsförderung Schweiz, der von den Krankenversicherern eingezogen wird. Weitere Informationen: www.gesundheitsfoerderung.ch In der Reihe «Gesundheitsförderung Schweiz Arbeitspapier» erscheinen von Gesundheitsförderung Schweiz erstellte oder in Auftrag gegebene Grundlagen, welche Fachleuten in der Umsetzung in Gesundheitsförderung und Prävention dienen. Der Inhalt der Arbeitspapiere unterliegt der redaktio- nellen Verantwortung der Autorinnen und Autoren. Gesundheitsförderung Schweiz Arbeitspapiere liegen in der Regel in elektronischer Form (PDF) vor. Das Arbeitspapier 49 dient als Grundlagenpapier. Die Broschüre «Lebenskompetenzen und psychische Gesundheit im Alter» basiert auf diesem Arbeitspapier und bietet eine praxisnahe Orientierungshilfe für Projekt- und Programmleitende der kantonalen Aktionsprogramme. Impressum Herausgeberin Gesundheitsförderung Schweiz Autorinnen – Dr. phil. Anne Eschen, Fachbereich Gerontopsychologie von GERONTOLOGIE CH – Dr. phil. Franzisca Zehnder, Fachbereich Gerontopsychologie von GERONTOLOGIE CH Mit bestem Dank für die wertvollen Hinweise im Prozess an die Leitung des Fachbereichs Gerontopsychologie von GERONTOLOGIE CH Projektleitung Gesundheitsförderung Schweiz Cornelia Waser Reihe und Nummer Gesundheitsförderung Schweiz, Arbeitspapier 49 Zitierweise Eschen, A. & Zehnder, F. (2019). Förderung von Lebenskompetenzen bei älteren Menschen. Grundlagenpapier. Arbeitspapier 49. Bern und Lausanne: Gesundheitsförderung Schweiz. Redaktionelle Bearbeitung Nina Jacobshagen Fotonachweis Titelbild © iStock Auskünfte/Informationen Gesundheitsförderung Schweiz, Wankdorfallee 5, CH-3014 Bern, Tel. +41 31 350 04 04, office.bern@promotionsante.ch, www.gesundheitsfoerderung.ch Originaltext Deutsch Bestellnummer 02.0305.DE 01.2020 Diese Publikation ist auch in französischer und in italienischer Sprache verfügbar (Bestellnummern 02.0305.FR 01.2020 und 02.0305.IT 01.2020). Download PDF www.gesundheitsfoerderung.ch/publikationen © Gesundheitsförderung Schweiz, Januar 2020
Förderung von Lebenskompetenzen bei älteren Menschen 3 Inhaltsverzeichnis Management Summary 4 1 Einleitung 5 1.1 Lebenskompetenzen als Zielfelder für die Förderung der psychischen Gesundheit 5 1.2 Die Bedeutung von Lebenskompetenzen im Alter 6 2 Interventionsmöglichkeiten zur Förderung von Lebenskompetenzen bei älteren Menschen 8 2.1 Kommunikationsfähigkeiten 9 2.1.1 Kommunikationsfähigkeiten und psychische Gesundheit im Alter 9 2.1.2 Interventionen 10 2.2 Emotionsregulation 11 2.2.1 Emotionsregulation und psychische Gesundheit im Alter 11 2.2.2 Interventionen 14 2.3 Selbstreflexion 15 2.3.1 Selbstreflexion und psychische Gesundheit im Alter 15 2.3.2 Interventionen 16 2.4 Soziale Kompetenzen 17 2.4.1 Soziale Kompetenzen und psychische Gesundheit im Alter 17 2.4.2 Interventionen 18 2.5 Stressbewältigung 19 2.5.1 Stressbewältigung und psychische Gesundheit im Alter 19 2.5.2 Interventionen 21 2.6 Entscheidungen treffen 23 2.6.1 Entscheidungen treffen und psychische Gesundheit im Alter 23 2.6.2 Interventionen 24 3 Durchführungsempfehlungen 25 4 Weiterführende Hinweise 27 5 Literaturverzeichnis 28
4 Förderung von Lebenskompetenzen bei älteren Menschen Management Summary Das Arbeitspapier 49 beschreibt die Bedeutsamkeit tionsfähigkeiten, Emotionsregulation, Selbstrefle- von Lebenskompetenzen für die psychische Gesund- xion, soziale Kompetenzen, Stressbewältigung und heit von Menschen im dritten (65 bis 80 Jahre) und die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen. In jedem im vierten (+80 Jahre) Lebensalter. Es stellt Inter- Kapitel definieren wir zunächst die behandelte ventionsmöglichkeiten für die Stärkung von Lebens- Lebenskompetenz. Anschliessend beschreiben wir, kompetenzen bei dieser Bevölkerungsgruppe im wie sie sich im dritten und vierten Lebensalter kommunalen Rahmen vor. In der Einleitung werden verändert und wie sich dies auf die psychische Lebenskompetenzen definiert und ihre Wechsel- Gesundheit auswirkt. In Boxen werden wichtige wirkung mit anderen Faktoren, die ebenfalls die Entwicklungstheorien, Fachbegriffe oder empiri- psychische Gesundheit beeinflussen, erläutert, wie sche Befunde genauer erklärt. Schliesslich stellen Selbstwirksamkeit, soziale Unterstützung, Lebens- wir Interventionsmöglichkeiten vor, mit denen jede umfelder und soziodemografische Personeneigen- Lebenskompetenz im dritten und vierten Lebens schaften. Daneben stellt das Arbeitspapier dar, alter gestärkt werden kann. Wir führen konkrete welche besonderen Herausforderungen und Belas- Umsetzungsbeispiele für die Interventionsmöglich- tungen im dritten und vierten Lebensalter durch keiten aus der Praxis auf. Zuletzt werden Empfeh- Lebenskompetenzen bewältigt werden müssen. lungen für die Durchführung (z. B. bezüglich Zeit, Dabei weisen wir auf die grosse Unterschiedlichkeit Räume und Gestaltung der Kursmaterialien) so - von Alterungsprozessen und -umständen sowie das wie für die Werbung von Teilnehmenden (Kanäle hohe Anpassungspotenzial älterer Menschen hin. und Inhalte) für die beschriebenen Interventionen Die nächsten Kapitel widmen sich jeweils einer der zur Förderung von Lebenskompetenzen bei älteren folgenden sechs Lebenskompetenzen: Kommunika- Menschen gegeben.
Förderung von Lebenskompetenzen bei älteren Menschen 5 1 Einleitung Gesundheitsförderung Schweiz zeigt in ihrem Grund- Die Entwicklung von Lebenskompetenzen über die lagenbericht «Psychische Gesundheit über die Le- Lebensspanne wird laut Grundlagenbericht «Psychi- bensspanne» auf, wie wichtig es für den Erhalt der sche Gesundheit über die Lebensspanne» (Blaser & psychischen Gesundheit in jedem Lebensalter ist, Amstad 2016) beeinflusst durch die Lebensum Lebenskompetenzen von Personen zu stärken felder, in denen sich Personen bewegen. Soziale, (Amstad & Blaser 2016). Lebenskompetenzen sind strukturelle und gesellschaftliche Eigenschaften Fähigkeiten und Fertigkeiten, die es Menschen er- des Umfeldes spielen dabei eine wichtige Rolle. An- möglichen, Herausforderungen und Belastungen in dererseits können Personen dank ihrer Lebens- ihrem Alltag effektiv zu bewältigen (WHO 1997). Die- kompetenzen auch die Eigenschaften ihres Umfel- ses Arbeitspapier sensibilisiert für die Bedeutsam- des mitgestalten. Interventionen zur Förderung von keit von Lebenskompetenzen für die psychische Lebenskompetenzen sollten daher nicht nur auf die Gesundheit im dritten und vierten Lebensalter Stärkung der Lebenskompetenzen an sich abzielen (65 bis 80 Jahre bzw. 80+ Jahre). Es stellt Interven- (Verhaltensmassnahmen), sondern auch auf die Ge- tionsmöglichkeiten zur Stärkung von Lebenskom- staltung von Lebenswelten, die diese Kompetenzen petenzen bei älteren Menschen im kommunalen fördern (Verhältnismassnahmen). Rahmen vor. Umsetzungsbeispiele veranschaulichen Die Entwicklung der Lebenskompetenzen über die die Interventionsmöglichkeiten. Lebensspanne wird auch von soziodemografischen Personeneigenschaften beeinflusst. Personen mit niedrigem sozioökonomischem Status, geringer Bil- 1.1 Lebenskompetenzen als Zielfelder für dung oder Migrationshintergrund sowie Frauen ha- die Förderung der psychischen Gesundheit ben über ihr ganzes Leben hinweg weniger Zugang zu Lebenskompetenzen fördernden Umfeldern. So- Zu den Lebenskompetenzen zählen laut der Welt zial benachteiligte Gruppen können ihre Umfelder gesundheitsorganisation (WHO 1997) Kommunika- auch weniger in diese Richtung beeinflussen. Inter- tionsfähigkeiten, Emotionsregulation, Selbstrefle ventionen zur Stärkung von Lebenskompetenzen xion, soziale Kompetenzen, Stressbewältigung und sollten daher gerade die Ressourcen sozial benach- die Fähigkeit, gute Entscheidungen treffen zu kön- teiligter Gruppen fördern (Amstad & Blaser 2016; nen. Weber et al. 2016). Diese Lebenskompetenzen sind sehr wichtig, um Die Wechselwirkung von Lebenskompetenzen mit zwei Ressourcen zu entwickeln und zu erhalten, anderen Faktoren, welche die psychische Gesund- die für die psychische Gesundheit eine besonde- heit beeinflussen, ist in Abbildung 1 dargestellt. re Rolle spielen: Selbstwirksamkeit als zentrale Darin sind besonders altersrelevante Eigenschaften innere Ressource (Abderhalden et al. 2019) und von Lebensumfeldern berücksichtigt. soziale Unterstützung als zentrale äussere Res- source (Bachmann 2019). So stärkt beispielsweise eine hohe Emotionsregulations- und Stressbewälti- gungskompetenz das Erleben von Selbstwirksam- keit in schwierigen Lebenssituationen. Effektive Kommunikationsfähigkeiten und gut ausgebildete soziale Kompetenzen machen den Erhalt sozialer Unterstützung wahrscheinlicher.
6 Förderung von Lebenskompetenzen bei älteren Menschen ABBILDUNG 1 Lebenskompetenzen als Zielfelder für die Förderung der psychischen Gesundheit im Alter (basierend auf Amstad & Blaser 2016, 119) Interaktion Person/Umfeld Interne/externe Ressourcen Person Lebensumfeld Soziodemographische Personeneigenschaften Lebenskompetenzen Verlässliche Bezugspersonen Selbstwirksamkeit z. B. sozioökonomischer Status, Bildung, z. B. z. B. (interne Ressource) • Kommunikations • Partner, Kinder, weitere Geschlecht, Migrationsstatus fähigkeiten Familienangehörige • Selbstreflexion • Freunde, Bekannte • Emotionsregulation • Nachbarn Psychische • Soziale Kompetenzen Gesundheit • Stressbewältigung Förderliches Umfeld • Entscheidungen treffen z. B. altersspezifische/alters gerechte Soziale Unterstützung • Freizeit- und Bildungs (externe Ressource) angebote • Beratungs-, Unterstützungs- und Entlastungsangebote • Wohnformen • Infrastruktur • Sozialversicherungen (AHV) • Gesetze (Pensionsalter) • Positive Altersbilder 1.2 Die Bedeutung von Lebenskompetenzen Jedoch lassen mit zunehmendem Alter nicht zwangs- im Alter läufig alle Fähigkeiten nach. Einige bleiben stabil, andere können sich sogar verbessern. Ausserdem Die Stärkung von Lebenskompetenzen ist für den gibt es gerade im höheren Lebensalter grosse Un- Erhalt der psychischen Gesundheit im Alter aus fol- terschiede hinsichtlich des Niveaus verschiedener genden Gründen wichtig (Boss 2016): Die kognitiven, Fähigkeiten zwischen Menschen gleichen Alters. sensorischen und motorischen Fähigkeiten lassen Grund dafür ist, dass sich die Einflüsse der bisheri- nach, körperliche Erkrankungen und Gebrechlich- gen Lebensbedingungen und des vormaligen Lebens keit nehmen zu und das Risiko abnehmender sozia- stils mit steigender Lebensdauer akkumulieren (Bal- ler Unterstützung steigt durch Krankheit oder Tod tes 1990). Deshalb gibt es im Alter ebenfalls eine enger Bezugspersonen. Darüber hinaus müssen sich grössere Heterogenität zwischen Gleichaltrigen als ältere Menschen in neuen Lebensumfeldern zurecht- in allen früheren Lebensphasen hinsichtlich körper- finden, z. B. nach der Pensionierung oder wenn sie in licher Gesundheit, sozialer Beziehungen und Le- eine Altersinstitution umziehen. Ebenso sollen ge- bensumfeldern. mäss WHO (2015) für ein möglichst gesundes Altern Hierbei kommen besonders soziodemografische bei älteren Menschen Kompetenzen gefördert wer- Unterschiede zum Tragen. Beispielsweise lebt die den, welche Lernen, persönliches Wachstum, das aktuelle Generation älterer Frauen wegen ihres Treffen von Entscheidungen sowie den Aufbau und gesünderen Lebensstils durchschnittlich länger den Erhalt von sozialen Beziehungen ermöglichen. als gleichaltrige Männer. Gegenwärtig sind Frauen
Förderung von Lebenskompetenzen bei älteren Menschen 7 im dritten und vierten Lebensalter auch eher allein Ebenso setzen Menschen im dritten Lebensalter stehend als ihre männlichen Altersgenossen. Sie erfolgreich innere Ressourcen ein (d. h. Lebenser- überleben ihre Partner häufig nicht nur aufgrund fahrung und Anpassung eigener Ziele oder Erwar- ihrer höheren Lebenserwartung, sondern auch, weil tungen an die aktuellen Kompetenzen und Lebens- sie im jüngeren Erwachsenenalter einen älteren umstände). Dies erklärt auch das sogenannte Partner gewählt haben. Ältere Frauen verfügen in Paradoxon des Wohlbefindens: gemeint ist die Sta- der heutigen Zeit über deutlich niedrigere Renten- bilität oder sogar die Zunahme des psychischen einkommen und Vermögen als gleichaltrige Männer Wohlbefindens in dieser Lebensphase trotz abneh- – zum einen aufgrund ihrer geringeren Bildungs- mender Fähigkeiten, weniger werdenden engen so- chancen, zum anderen, weil sie ihre Berufstätigkeit zialen Beziehungen und der besonderen Lebens- für die Kinderbetreuung unterbrochen oder aufge- herausforderungen des Alters (Baltes 1990, 1997; geben haben (Trilling 2013; Weber et al. 2016). Ältere Boss 2016). Die Prävalenz der meisten psychischen Frauen sind heute durch ihre Geschlechtszuge Störungen ist im Alter ebenfalls geringer im Ver- hörigkeit auch stärker von Altersdiskriminierung gleich zu früheren Lebensphasen. Ausnahmen sind betroffen als ältere Männer (Hellmich 2013). Die ak- Demenzen, Schlafstörungen und Suizide, die sich tuelle Generation älterer Menschen mit Migra im Alter häufen, letztere insbesondere bei Männern tionshintergrund weist wegen ihrer oft körperlich (Mühlig et al. 2015; Weber et al. 2016). anstrengenderen und gesundheitsschädigenderen Im vierten Lebensalter (80+ Jahre) kommt es in der ehemaligen Berufstätigkeit eine schlechtere körper- Regel zu grösseren, mehrere Kompetenzen betref- liche Gesundheit auf. Sie verfügt aufgrund ihrer ge- fenden Fähigkeitsverlusten. Auch treten Mehrfach- ringeren Bildungschancen über tiefere Renten und erkrankungen häufiger auf. Zudem sterben immer Vermögen und hat in ihrem bisherigen Leben häufi- mehr nahestehende Personen. Diese Entwicklun- ger gesellschaftliche Ausgrenzung und Diskriminie- gen können durch äussere und innere Ressourcen rung erfahren (www.alter-migration.ch). Aufgrund immer weniger aufgefangen werden (Baltes 1990, der Erhöhung des Anteils von Menschen mit Migra- 1997; Boss 2016). Das durchschnittliche psychische tionshintergrund sowie der wachsenden gesell- Wohlbefinden nimmt daher im vierten Lebensalter schaftlichen Akzeptanz von verschiedenen Lebens- ab. Daneben wächst in der Altersgruppe 80+ der An- formen und -stilen wird in der Schweiz künftig sogar teil hilfs- und pflegebedürftiger Menschen (Weber eine Zunahme von Heterogenität zwischen älteren et al. 2016) und der Anteil von Personen, die in Menschen gleichen Alters erwartet (Weber et al. Alters- und Pflegezentren leben (Kaeser 2012), 2016). erheblich. Tendenziell können Menschen im dritten Lebens- Trotz der beschriebenen Fähigkeitseinbussen im alter (65 bis 80 Jahre) die bis dahin im Durchschnitt dritten und vierten Lebensalter kann man zur För- eher kleinen Fähigkeitseinbussen, wenigen körper- derung von Lebenskompetenzen bei Menschen in lichen Erkrankungen sowie seltenen Verluste von diesen Lebensphasen nicht nur Verhältnismass- wichtigen Bezugspersonen gut ausgleichen. Dies nahmen, sondern auch Verhaltensmassnahmen ein- gelingt ihnen durch den Zugriff auf äussere Res- setzen. Für das Lernen gibt es keine Altersgrenze, sourcen wie soziale Unterstützung, Hilfsmittel (z. B. wenn sich auch Ausmass und Bedingungen effek Hörgeräte, Brillen, Haltegriffe im Bad) oder die im tiven Lernens im Alter verändern (Martin & Kliegel Pensionsalter mehr zur Verfügung stehende Zeit. 2005).
8 Förderung von Lebenskompetenzen bei älteren Menschen 2 Interventionsmöglichkeiten zur Förderung von Lebenskompetenzen bei älteren Menschen Jedes der sechs folgenden Unterkapitel widmet sich Es werden einige psychotherapeutische Interven einer der im Alter wichtigen Lebenskompetenzen: tionen genannt. Psychotherapie dient nicht nur der • Kommunikationsfähigkeiten Behandlung psychischer Erkrankungen. Sie fördert • Emotionsregulation auch Kompetenzen, Verhalten, Gedanken und Ge- • Selbstreflexion fühle bei psychisch gesunden Personen, welche • Soziale Kompetenzen deren psychische Gesundheit stärken und aufrecht- • Stressbewältigung erhalten. Für viele psychotherapeutische und psy • Entscheidungen treffen chologische Interventionen gibt es Umsetzungs anleitungen (Manuale), für die Literaturangaben auf- Die jeweilige Lebenskompetenz wird zunächst defi- geführt werden. niert, dann wird beschrieben, wie sie sich im Alter Interventionen, welche mit einem Stern * gekenn- verändert und wie sie die psychische Gesundheit zeichnet sind, sollten von Psychologinnen oder von älteren Menschen beeinflusst. Schliesslich wer- Psychologen geleitet werden, weil für deren Durch- den Interventionen vorgestellt, mit denen die Le- führung spezifische psychologische Kompetenzen benskompetenz bei älteren Menschen gefördert nötig sind. Psychotherapeutische Interventionen werden kann. Ausgewählte, weniger bekannte In- sind mit zwei Sternen ** gekennzeichnet und sollten terventionen werden im Anhang der Broschüre von Psychotherapeutinnen oder Psychotherapeuten «Lebenskompetenzen und psychische Gesundheit durchgeführt werden, die in der jeweiligen Psycho- im Alter» ausführlicher vorgestellt. therapieform ausgebildet sind. Für beide Arten von Da Lebenskompetenzen Personeneigenschaften Interventionen empfiehlt sich die Leitung durch sind, werden vor allem Verhaltensmassnahmen Gerontopsychologinnen oder Gerontopsychologen. vorgestellt. Verhältnismassnahmen sind natürlich Sie verfügen über spezifisches Wissen zu Interven- gleichsam von Bedeutung und werden ebenfalls tionen bei älteren Menschen und bringen Erfahrung thematisiert. in der Umsetzung mit. Adressen von Fachpersonen Der Fokus wird besonders auf Gruppeninterven mit anerkannter Qualifikation sind auf folgenden tionen gelegt, da sie viele Lebenskompetenzen im Websites aufgeführt: Alter auf besondere Weise stärken und gleichzeitig • w ww.gerontologie.ch: Fachbereich Geronto- soziale Kontakte fördern (Boss 2016). Dennoch wer- psychologie von GERONTOLOGIE CH den auch internetbasierte Interventionen erwähnt, • w ww.psychologie.ch: Föderation der Schweizer weil sie weniger mobile ältere Personen in abgele- Psychologinnen und Psychologen genen Orten erreichen können. Ausserdem steigt die • https://sbap.ch: Schweizerischer Berufsverband Kompetenz älterer Menschen im Umgang mit den für Angewandte Psychologie neuen digitalen Medien stetig (Seifert & Schelling 2015). Ebenso werden einige Beratungsangebote Die Interventionen berücksichtigen, wann immer beschrieben, die sich an einzelne Personen richten. möglich, auch besonders benachteiligte Gruppen Diese haben den Vorteil, dass individuelle Bedürf- älterer Menschen. Es wird kein Anspruch auf Voll- nisse, Fähigkeiten und Lebensumfelder stärker be- ständigkeit erhoben. rücksichtigt werden können.
Förderung von Lebenskompetenzen bei älteren Menschen 9 2.1 Kommunikationsfähigkeiten Einzelne sensorische Einschränkungen können meist kompensiert werden. Es lohnt sich, dennoch 2.1.1 Kommunikationsfähigkeiten und beispielsweise bereits bei einer geringen Hör psychische Gesundheit im Alter minderung zu handeln, damit Gehör und Gehirn im Kommunikationsfähigkeiten beinhalten Sprachver- Alltag im selben Masse angeregt und trainiert blei- ständnis (sensorische und kognitive Prozesse), ben. Zahlreiche Fachstellen bieten hierfür Beratun- mündliche und schriftliche Sprachproduktion (Spre- gen und Hilfsmittel an. Liegen eine oder mehrere chen, Lesen, Schreiben) sowie Mimik und Gestik. Sinneseinschränkungen gleichzeitig vor, sollte be- Dazu gehört auch die Fähigkeit zur Nutzung von achtet werden, dass dies psychische Belastungen elektronischen Kommunikationsmitteln und -kanä- und sozialen Rückzug nach sich ziehen kann (Wahl len. Im Zuge der Digitalisierung nimmt ihre Bedeu- & Heyl 2015). tung auch im Alter zu. Verminderte Seh- und Hörfähigkeit kann einerseits Die Kommunikationsfähigkeiten bleiben im Alter die Nutzung von Technik einschränken oder ver grundsätzlich stabil, da sie aufgrund ihrer lebens- unmöglichen. Hilfsmittel – auch technologische – langen Nutzung eine hochtrainierte Fähigkeit sind. können bei Seh- und Höreinschränkungen ande Kommunikative Stärken im Alter sind ein umfassen- rerseits Abhilfe schaffen. Darüber hinaus können des Vokabular und sogenanntes Weltwissen (Kennt- diese auch als Trainingsgeräte zur Förderung des nisse und Erfahrungen über Umwelt und Gesell- Sprachverständnisses genutzt werden. So können schaft). neue Informations- und Kommunikationstechnolo- Einschränkungen in den sprachlich-kommunikativen gien Kompensationsmöglichkeiten schaffen, indem Fähigkeiten im Alter basieren meist auf sie Informationen darbieten, die gleichzeitig meh • dem Nachlassen sensorischer Fähigkeiten bzw. rere Sinne (Sehen, Hören, Fühlen) ansprechen. Die altersbedingten Hör- oder Sehverlusten (siehe neuen digitalen Technologien eröffnen zudem viel- Box 1), fältige Möglichkeiten, ungewollte soziale Isolation • geringerer Kompetenz in der Nutzung von neuen zu vermeiden. Auch über grosse räumliche Distan- Kommunikationsmitteln und -kanälen, zen und bei eingeschränkter Mobilität lassen sich • dem Nachlassen kognitiver Fähigkeiten beispiels mit ihnen die Kommunikation mit Angehörigen und weise aufgrund einer sinkenden Geschwindig- anderen Personen aufrechterhalten, neue Kontakte keit von Informationsverarbeitung oder Aufmerk- knüpfen oder Informationen einholen. Diese Tech- samkeitsleistungen (Ryan & Kwong See 2004), nologien (z. B. Internet und Smartphones) werden • sozialen Einflüssen: z. B. altersstereotypes von der älteren Bevölkerung zunehmend genutzt. Sprachverhalten (vereinfachende Sprechweisen Zugleich nimmt die Zahl der Schulungsangebote gegenüber älteren Menschen u. a.; «elderspeak», und Generationenprojekte zu, welche die digitale siehe unten) oder mangelnde Möglichkeiten zur Inklusion fördern (E-Inklusion), also die Teilhabe Kommunikation mit anderen Menschen. älterer Menschen an der Informationsgesellschaft (Seifert & Schelling 2015). Box 1: Hör- und Sehverluste im höheren Kognitive Einschränkungen können hinsichtlich Lebensalter Sprachwahrnehmung und -verarbeitung dazu füh- Bedeutsame Hörverluste zeigen sich bei ca. 30 % ren, dass es älteren Personen schwerer fällt, Irre- der über 65-Jährigen und bei ca. 60 % der über levantes zu ignorieren, komplexe Texte zu ver 80-Jährigen, vor allem in Form von Alters- stehen, ähnliche Laute zu unterscheiden oder Dis schwerhörigkeit (Presbyakusis). Bedeutsame kussionen mit Hintergrundgeräuschen zu folgen. Sehverluste finden sich bei ca. 20 % der über Weitere im Alter häufiger auftretende Phänomene 65-Jährigen und bei ca. 30 % der über 80-Jähri- sind gesteigerte Verbosität (ein ungebremster Rede gen, vor allem bedingt durch altersabhängige fluss mit Mangel an Fokussierung) oder das Zungen Erkrankungen der Netzhaut. Etwa 15 % der spitzenphänomen (ein Wort «liegt auf der Zunge», über 80-Jährigen weisen bedeutsame gleich kann aber momentan nicht abgerufen werden) (Ab- zeitige Einschränkungen des Hörens und rams & Farrell 2011). Mit den kognitiven Einschrän- des Sehens auf (Wahl & Heyl 2015). kungen einhergehende Schwierigkeiten können sich auf die Alltagskompetenzen und das subjektive Wohlbefinden negativ auswirken.
10 Förderung von Lebenskompetenzen bei älteren Menschen Neben biologischen Faktoren können soziale Fak Interventionen zur Anpassung an Seh- und toren wie negative Altersbilder die intergeneratio- Höreinschränkungen nelle Kommunikation beeinflussen. Diese führen oft Beratungen durch Fachorganisationen (Beispiele): zu altersstereotypem Sprechen oder «elderspeak»: • Seh- und Hörhilfenberatung sowie Beratung ältere Menschen werden zu laut oder zu langsam zu Hilfsmitteln im Alltag: z. B. Nutzung von Hör angesprochen; Gesprächspartnerinnen oder Ge- geräten, angepasste Telefontechnik und Hör sprächspartner vereinfachen Vokabular, verwenden taktiken zur Verbesserung der Kommunikation Telegrammstil-Grammatik, sprechen ältere Men- mit anderen Personen, Einbezug von Ange schen distanzlos an («Wie geht es uns heute?»), mit hörigen, Telefonapparate mit optischem Klingel- altersanzeigenden Benennungen («Grosi») oder be- signal, Verwendung von kontrastierten Schneide- schränken sich auf vermeintlich ältere Menschen in- brettchen teressierende Gesprächsthemen. Dies kann zur Ver- • Low-Vision-Beratungen umfassen sämtliche stärkung altersstereotyper Verhaltensweisen führen Massnahmen, die der maximalen Nutzung des (Rückzug, Einfordern von mehr Hilfe als nötig), was vorhandenen Sehpotenzials dienen. Dies bein wiederum soziale Interaktionen (z. B. mit Pflegeper- haltet die Messung des Sehpotenzials, die Erfas- sonen) negativ beeinflussen und das Selbstbewusst- sung der Sehgewohnheiten sowie die Abklärung sein und die Selbstständigkeit bei älteren Personen der Sehbedürfnisse, Beratung zu und Training vermindern kann (Nussbaum & Coupland 2004). der Verwendung von optischen Hilfsmitteln wie Kommunikationsfähigkeiten können auch deshalb Lupenbrillen oder Bildschirmlesegeräten sowie nachlassen, weil sie mangels Gelegenheiten zu we- Beratung zu Einrichtung und Beleuchtung nig angewendet werden. Soziale Kontakte und Inter- • Sozialberatung über Rechte und Pflichten von aktionen schaffen Kommunikationsmöglichkeiten Menschen mit Seh-/Hörbehinderung durch Fach- und tragen dazu bei, diese Fähigkeiten im Alter auf- organisationen wie den Schweizerischen Zentral rechtzuerhalten. Daneben ermöglichen sie soziale verein für das Blindenwesen (SZB), den Schwei- Teilhabe und haben so einen besonders positiven zerischen Blinden- und Sehbehindertenverband Einfluss auf das psychische Wohlbefinden im Alter (SBV) oder pro audito Schweiz (Selbsthilfeorgani (Keller-Cohen et al. 2006). sation von und für Schwerhörige/Hörbehinderte) 2.1.2 Interventionen Trainings Da die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Seh- • Verständigungstrainings: Sie üben das Ablesen oder Hörbehinderung mit zunehmendem Alter steigt, der Sprechbewegungen von den Lippen, beinhal- ist es sinnvoll, im kommunalen Rahmen Massnah- ten Hör- und Kommunikationsstrategien, betreffen men anzubieten, die der Anpassung an reduzierte Artikulation, Modulation und Ausdrucksweise, Seh- und Hörfähigkeiten dienen. Dabei sind auch erweitern den Wortschatz, trainieren das Verste- Interventionen wichtig, die psychosoziale Faktoren hen von gesprochener Sprache, beziehen Bezugs berücksichtigen, z. B. zur Unterstützung bei der Be- personen/Angehörige ein (pro audito Schweiz) wältigung des Sehverlusts. Sinnvoll sind auch Bewe- • Gehörtherapie (auch vorbeugend): am Computer gungs- und Low-Vision-Programme, die auf Lebens- wird das Sprachverständnis in schwierigen qualität und Alltagskompetenz fokussieren (Wahl & Situationen trainiert, z. B. das Verstehen in einer Heyl 2015). Weitere wichtige Interventionsfelder sind lebhaften Gesprächsrunde, bei hohem Umge- die Förderung der Nutzung von Informations- und bungslärm oder bei undeutlicher Aussprache Kommunikationstechnologien bei älteren Menschen (KOJ-Gehörtherapie) (E-Inklusion) wie auch die Nutzung von technischen • *Psychoedukative Trainings: «Neun Themen bei Hilfsmitteln (Internet, Smartphone usw.) zur Anpas- Sehverlust» für ältere sehbehinderte Menschen sung an die verminderten Kommunikationsfähig (Diesmann & Schacht 2015): Information über keiten und zur Ermöglichung von sozialer Teilhabe. psychische Belastungen und Erkrankungen, die Auch bei der Sensibilisierung für altersstereotypfreie bei einem Sehverlust auftreten können, z. B. Kommunikation sollte angesetzt werden. Zudem gilt akute Belastungs- und Stressreaktion, depressive es, allgemein den Zugang zu sozialen Interaktionen Symptome oder Angst und deren Behandlungs- zu fördern: Soziale Interaktionen sind Trainingsset- möglichkeiten, Förderung von Konflikt-/Selbstma- tings für Kommunikationsfähigkeiten. nagement.
Förderung von Lebenskompetenzen bei älteren Menschen 11 Im Zusammenhang mit Einschränkungen eben 2.2 Emotionsregulation falls hilfreich • Sehbehinderten- und blindengerechte Bewe- 2.2.1 Emotionsregulation und psychische gungsprogramme: Tai-Chi-Programme z. B. för- Gesundheit im Alter dern Gleichgewicht, Kondition und Befindlichkeit Unter Emotionsregulation versteht man Strategien, • Orientierungs- und Mobilitätstrainings: z. B. mit denen Menschen beeinflussen, welche Gefühle Gehen mit oder ohne Langstock, Üben von ÖV- sie erleben, wann und wie sie diese erleben und wie Nutzung sie diese ausdrücken (Gross 1999). Es werden zwei • Trainings von lebenspraktischen Fähigkeiten: Arten von Emotionsregulationsstrategien unter- Tipps für und Training von Alltagsaktivitäten wie schieden: antizipatorische (vorwegnehmende) und Kochen, Körper- und Kleiderpflege, Kommunika- reaktive (siehe Box 2). Emotionsregulationsdefizite tion, Freizeitaktivitäten wie Üben der Bedienung spielen bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Abspielgeräten für Hörbücher usw. der meisten psychischen Störungen eine zentrale Rolle (Berking 2015). Interventionen zur Förderung der E-Inklusion • Kursangebote von Pro Senectute: Tablet-Kurse, Box 2: Emotionsregulationsstrategien Handy-Kurse, E-Banking-Kurse usw. (Gross 1999) • Computerias: sind Lern-, Support- und Begeg- Antizipatorische Strategien richten sich darauf nungsorte, in denen ältere Menschen ermutigt aus, das Auftreten und die Stärke von Gefühlen werden, sich mit den neuen Informationstechno- zu beeinflussen, bevor sie sich im vollen Umfang logien und sozialen Netzwerken aktiv zu befas- ausbilden können. Reaktive Emotionsregulations sen. Es wird die Anwendung von Hard- und Soft- strategien zielen auf eine Beeinflussung von ware, Internet und sozialen Netzwerken bereits entstandenen Gefühlen ab. Beispiele: ausprobiert, gelernt und geübt. Die Nutzerinnen und Nutzer leisten gegenseitige Selbsthilfe Antizipatorisch (www.computerias.ch). • Man begibt sich bewusst in bestimmte Situa • CompiSternli: Kinder und Jugendliche unterstüt- tionen oder vermeidet sie absichtlich (man zen ältere Personen auf dem Weg in die digitale sieht sich z. B. eine Komödie im Fernsehen an, Welt (www.compisternli.ch). weil sie Freude auslöst, oder man schaut keine Nachrichten, weil sie einem Angst machen). Interventionen zur Reduktion von alters • Man lenkt gezielt den Verlauf einer Situation stereotyper Kommunikation («elderspeak») (indem man sich z. B. so verhält, dass ein Kon- • *CHAT-Training: das Changing-Talk-Training ist flikt sich entspannen kann). ein Sensibilisierungstraining für Pflegepersonal • Man richtet die Aufmerksamkeit bewusst auf mittels Perspektivenwechsel, Audio-Sequenzen, bestimmte Aspekte einer Situation (indem Reflexion eigener Altersstereotype und eigener man z. B. bewusst auf Zeichen von Zustimmung nonverbaler Verhaltensweisen (Williams 2017). beim Gegenüber achtet). • Man verändert seine Deutung bestimmter Interventionen zur Förderung von Kommunikation Situationen oder Situationsaspekte (z. B.: • Mittagstische (Table d’hôtes, Tavolata), Spiel- «Ein Bekannter hat mich nicht gegrüsst, weil nachmittage, Seniorentreffpunkte er in Eile war, nicht weil er mich nicht mag»). • Telefonketten: ermöglichen Kommunikation und Sozialkontakte und basieren auf dem aus der Reaktiv Schulzeit bekannten Klassentelefon. Einmal • Man verstärkt oder schwächt physiologische in der Woche rufen sich die Teilnehmerinnen und Reaktionen (z. B. Veränderungen von Herz- Teilnehmer einer Telefonkette reihum an. Sie schlag, Blutdruck, Atemfrequenz und Muskel- erkundigen sich nach dem gegenseitigen Wohl spannung) oder Verhaltensreaktionen auf befinden und tauschen Neuigkeiten aus (Tele- Emotionen (z. B. indem man sich bewusst ent- fonketten von Pro Senectute). spannt oder seine Mimik und Gestik bewusst steuert).
12 Förderung von Lebenskompetenzen bei älteren Menschen Vom jungen Erwachsenenalter bis zum dritten Le- Box 3: Sozioemotionale Selektivitätstheorie bensalter nimmt das Erleben von positiven Gefüh- (SST, Carstensen 2006) len zu und das Erleben von negativen Gefühlen ab. Der stärkere Einsatz von antizipatorischen Emo Schwankungen zwischen positiven und negativen tionsregulationsstrategien von älteren Menschen Gefühlen werden ausserdem kleiner und seltener. wird von der SST mit motivationalen Verände Im vierten Lebensalter gibt es wieder einen leichten rungen erklärt, die mit der subjektiv noch ver Trend in Richtung weniger positive und mehr nega bleibenden Zeit bis zum Tod zusammenhängen. tive Gefühle, wobei selbst dann im Durchschnitt Wenn diese Zeit als noch sehr lang eingeschätzt immer noch mehr positive und weniger negative wird, werden Aktivitäten bevorzugt, welche einen Gefühle erlebt werden als zwischen dem 20. und langfristigen Nutzen für das psychische Wohl dem 30. Lebensjahr (Charles 2010; Charles & Cars- befinden haben, aber durchaus von negativen Ge- tensen 2009). fühlen begleitet sein können. Dazu gehören Akti- vitäten, die der Informationssammlung, dem Die Zunahme von positivem Gefühlserleben von der Kompetenzerwerb, dem Erleben von Neuem und Jugend bis zum dritten Lebensalter wird auf eine dem Ausbau des eigenen sozialen Netzwerks mit dem Lebensalter steigende Anwendung von an- dienen. Wird hingegen die verbleibende Lebens- tizipatorischen Emotionsregulationsstrategien zu- zeit als gering empfunden, werden eher Aktivitä- rückgeführt. So vermeiden ältere Menschen eher ten bevorzugt, die dem kurzfristigen Erleben emotional anstrengende oder neue Situationen und von positiven Gefühlen dienen, d. h. Emotionsre- konzentrieren sich auf wenige, aber nahe und posi gulationsstrategien. Für die SST spricht, dass tive Beziehungen (Carstensen 2006; Charles 2010; man ähnliche motivationale und emotionale Ver- Charles & Carstensen 2009). Ebenso beeinflussen änderungen wie bei älteren Menschen auch sie Situationen eher so, dass sie weniger negative bei jüngeren Menschen findet, wenn sie nur noch Gefühle auslösen. Beispielsweise vermeiden ältere eine kurze Zeit zu leben haben. Ausserdem Personen häufiger als jüngere Streit in angespann- konnten Altersunterschiede in der Aufmerksam- ten Situationen. Folglich sind sie weniger emotional keitsausrichtung und im Gedächtnis aufgehoben belastet als jüngere Menschen (Charles et al. 2009). werden durch experimentelle Manipulation Ausserdem richten ältere Menschen ihre Aufmerk- der subjektiv noch verbleibenden Lebenszeit. samkeit eher auf positive als auf negative Aspekte einer Situation und erinnern sich eher daran. Bei Jüngeren verhält es sich umgekehrt: Sie schenken Die Abnahme von positivem Gefühlserleben im vier- negativen Aspekten mehr Aufmerksamkeit als posi- ten Lebensalter wird mit Veränderungen in den Emo- tiven und erinnern sich besser an negative Informa- tionsregulationsstrategien erklärt (Charles 2010). tionen, weil negative Reize evolutionär einen höhe- Reaktive Emotionsregulationsstrategien funktionie- ren Informationsgehalt haben als positive. Diese ren im hohen Alter häufig weniger gut, da mit nega Aufmerksamkeits- und Gedächtnisveränderungen tiven Gefühlen einhergehende physiologische Reak im Alter sind als Positivitätseffekt bekannt gewor- tionen langsamer abklingen als in jüngeren Jahren. den (Carstensen 2006). Darüber hinaus bewerten Ausserdem können antizipatorische Strategien wie ältere Menschen Erlebnisse oder auch das Verhal- Aufmerksamkeitslenkung oder Bewertungsverän- ten von wichtigen Bezugspersonen im Nachhinein derung von hochaltrigen Menschen in der Regel oft positiver, als sie von Fachexpertinnen oder Fach- nicht mehr so gut eingesetzt werden. Grund dafür experten objektiv eingestuft wurden (Charles 2010). ist das Nachlassen von bestimmten höheren kogni- tiven Fähigkeiten im vierten Lebensalter. Ausser- dem treten vermehrt länger andauernde emotional belastende Situationen auf, die nicht vermieden werden können. Beispiele sind der Verlust nahe stehender Menschen, die Betreuung hilfsbedürf tiger Angehöriger, Gebrechlichkeit oder chronische Krankheiten.
Förderung von Lebenskompetenzen bei älteren Menschen 13 Folgende Interventionen empfehlen sich daher be- Gebrechlichkeit löst bei älteren Menschen oft Sturz sonders bei älteren Menschen: angst aus oder die Angst, Opfer eines Verbrechens • Interventionen, die sie befähigen, physiologische zu werden. Sturzangst entsteht dabei häufig aus ei- Reaktionen auf negative Gefühle schneller ab ner Unterschätzung der eigenen körperlichen Leis- klingen zu lassen, tungsfähigkeit und einer Überschätzung des eige- • Interventionen, die ihnen helfen, altersspezifische, nen Sturzrisikos oder der Schwere von Sturzfolgen. länger anhaltende emotional belastende Situatio- Dies führt oft zu einer Reduktion von körperlichen nen zu bewältigen. Aktivitäten, was das Schwinden von Muskelkraft und das Nachlassen des Gleichgewichtssinns zur Zu letzteren zählen Interventionen, die Strategien Folge hat. Dies wiederum lässt die tatsächliche zum gezielten Hervorrufen von positiven Gefühlen Sturzgefahr steigen. Interventionen, welche die oben vermitteln und trainieren, wie auch Interventionen, genannten Fehleinschätzungen entkräften und zu die ältere Menschen im Trauerprozess unterstützen körperlichen Aktivitäten motivieren, haben sich als und es ihnen ermöglichen, durch Gebrechlichkeit wirksam für die Reduktion von Sturzangst und auch ausgelöste Ängste zu reduzieren. Interventionen zur für die Steigerung des Gleichgewichts erwiesen (Liu Stärkung des psychischen Wohlbefindens von be- et al. 2018). Auch die Angst älterer Menschen, Opfer treuenden Angehörigen hilfsbedürftiger Menschen eines Verbrechens zu werden, ist zum grossen Teil sind in Kessler und Boss (2019) ausführlich be- unbegründet. Tatsächlich werden ältere Personen schrieben. seltener Opfer von Straftaten wie Raub, Körperver- Trauer sollte man nicht pathologisieren, auch wenn letzung, Diebstahl oder Einbruch. Ausnahmen sind über längere Zeit Traurigkeit, Wut, Schuldgefühle, Betrugsdelikte, welche direkt auf ältere Menschen emotionale Taubheit, schnellere Erschöpfbarkeit, abzielen, wie z. B. der sogenannte Enkeltrick. Auf- Schlafprobleme oder sozialer Rückzug auftreten. klärung, Beratung und Üben von Vorsichtsmass- Nur ein geringer Teil der Trauernden entwickelt eine nahmen können helfen, weniger Angst vor Krimi- sogenannte anhaltende oder komplizierte Trauer- nalität und mehr Sicherheit zu empfinden (Greve & störung. Diese sollte psychotherapeutisch behan- Görgen 2012). delt werden (siehe Box 4). Für Menschen im norma- Ausserdem sollten Emotionsregulationsinterventio len Trauerprozess haben sich psychotherapeutische nen ältere Menschen darin bestärken, negative Ge- Interventionen als effektlos herausgestellt. Sie hat- fühle besser aushalten und akzeptieren zu können. ten teilweise sogar negative Auswirkungen. Selbst- Ein zu starker Fokus auf positive Erfahrungen und hilfegruppen haben sich hingegen als hilfreich er- Informationen kann nämlich auch Probleme nach wiesen (Wagner 2013). sich ziehen. Dazu gehören eine massive Einengung des Lebensradius, die den Erhalt und das Neulernen Box 4: Eine anhaltende oder komplizierte von kognitiven, sozialen und körperlichen Fähigkei- Trauerstörung ist dadurch gekennzeichnet, dass ten einschränkt, das Vermeiden von notwendigen die Betroffenen sehr lange unter einem starken Konfliktgesprächen, Veränderungen des Lebens- Trennungsschmerz leiden, Orte oder Personen stils oder des Lebensumfelds (z. B. altersgerechte vermeiden, die sie an die verstorbene Person Einrichtung der Wohnung, Umzug ins Altersheim) erinnern, sowie Schwierigkeiten haben, ihr Leben und eine Anfälligkeit für emotionale Manipulationen ohne die verstorbene Person fortzuführen (Flüe- oder Betrugsversuche (z. B. mit dem Enkeltrick). ler & Forstmeier 2013). Hier helfen spezifische kognitiv-verhaltenstherapeutische Psychothera- pieverfahren (Wagner 2013), auch in Online- Versionen (Wagner et al. 2006; noch in Evaluation: Brodbeck et al. 2017: www.online-therapy.ch/ livia).
14 Förderung von Lebenskompetenzen bei älteren Menschen 2.2.2 Interventionen nell begleitetes Trauercafé am Universitätsspital Zürich: www.dermatologie.usz.ch/unser-angebot/ Interventionen zur Reduktion von physiologischen Documents/USZ-Dermatologie_Trauercafe.pdf Gefühlreaktionen: Entspannungsverfahren • Atementspannung (z. B. Höfler 2015) Interventionen zur Reduktion von gebrechlich • Progressive Muskelentspannung keitsassoziierten Ängsten (z. B. Hofmann 2012) • **Sturzangst: Veränderung von angstauslösen- • Autogenes Training (spezifisch für ältere den Überzeugungen und Motivation zu körper Menschen: Hirsch & Hespos 2000) lichen Aktivitäten (Liu et al. 2018) • Angst, Opfer eines Verbrechens zu werden: Auf- Interventionen zum gezielten Hervorrufen von klärung, Beratung und Üben von Vorsichtsmass- positiven Gefühlen nahmen; z. B. kostenloser Kurs der Stadtpolizei • **Genusstraining (Koppenhöfer 2004): Steigern Zürich für Erwachsene ab 60 Jahren u. a. über des Erlebens von Genuss durch das Üben einer Schutzmassnahmen gegen Taschen- und Trick- bewussten, konzentrierten Wahrnehmung diebstahl, Diebstahl beim Abheben von Geld am über alle Sinne sowie das gezielte Suchen nach Geldautomaten und Betrug im Internet: angenehmen Reizen im Alltag www.parcours60plus.ch • **Imaginative Verfahren: Training des Erzeugens von angenehmen inneren Vorstellungsbildern Interventionen zur Förderung des Aushaltens oder Erinnerungen (spezifisch für ältere Men- und Akzeptierens von negativen Gefühlen schen: Erlanger 1997; Reddemann et al. 2013) • Mindful Self-Compassion (MSC)-Programm • *Interventionen aus der Positiven Psychologie (Neff & Germer 2018): Förderung von drei Ele- (Seligman 2002): z. B. Charakterstärken kennen- menten des Selbstmitgefühls: freundlicher Um- lernen und bewusst im Alltag einsetzen, abends gang mit sich selbst bei Fehlern und Versagen drei lustige Erlebnisse aufschreiben, wichtigen sowie in schwierigen Situationen, Menschlichkeit Personen einen Dankesbrief schreiben (Esch (Anerkennen, dass niemand perfekt ist und dass 2017), kostenloses, für ältere Menschen wirk Schwierigkeiten und Leid zum Leben gehören) sames (Proyer et al. 2014) Online-Training: und Achtsamkeit (negative Gedanken und Gefühle www.staerkentraining.ch ohne Bewertung wahrnehmen und nicht sofort • Humortrainings: 7-Humor-Habits-Trainings unterdrücken oder vermeiden); Durchführung programm* (McGhee 2016; deutsches Manual: durch speziell ausgebildete Trainer; Anbieter in Falkenberg et al. 2013; Trainer in der Schweiz: der Schweiz: www.mindfulselfcompassion.ch, www.psychologie.uzh.ch/de/bereiche/sob/pers www.ibp-institut.ch/angebot-details/achtsames- psy/trainings/humortraining; Wirksamkeit am selbstmitgefühl, www.centerformindfulness.ch/ besten durch Studien belegt, auch für ältere Men- kursangebote schen), Humorgruppen für Bewohnerinnen und • **Training emotionaler Kompetenzen (TEK) Bewohner von Alterszentren (Hänni 2016) bzw. (Berking 2015): Förderung von 7 Emotionsregu psychisch kranke ältere Erwachsene** (Hirsch lationsstrategien: 1) bewertungsfreies Wahr 2016; Hirsch et al. 2010; Hirsch & Kranzhoff 2004) nehmen, Erkennen und Benennen von Gefühlen, 2) Akzeptanz und Aushalten von unangenehmen Interventionen zur Unterstützung von älteren Gefühlen, 3) die Fähigkeit, sich selbst in emo Menschen im Trauerprozess tional belastenden Situationen innerlich anteil- • Selbsthilfegruppen: professionell begleitete nehmend und unterstützend zur Seite zu stehen, Selbsthilfegruppen für trauernde ältere Men- aber auch Reduktion von physiologischen Gefühls- schen allgemein und speziell für trauernde reaktionen durch 4) Atementspannung und 5) Pro- Grosseltern (Schroeter-Rupieper 2013); Gruppen gressive Muskelentspannung, 6) aktive Analyse in der Schweiz: www.selbsthilfeschweiz.ch, der Ursachen für das aktuelle Gefühlserleben und professionell begleiteter Trauerstammtisch am darauf basierend 7) eine aktive Veränderung der Friedhofsforum Zürich: www.stadt-zuerich.ch/ gefühlsauslösenden oder -aufrechterhaltenden prd/de/index/bevoelkerungsamt/FriedhofForum/ Faktoren; Liste mit ausgebildeten TEK-Trainern: veranstaltungen/trauer-stammtisch, professio- www.tekonline.info
Förderung von Lebenskompetenzen bei älteren Menschen 15 2.3 Selbstreflexion Box 5: Theorien zur Selbstreflexion im Alter 2.3.1 Selbstreflexion und psychische Erikson (1998): Theorie zur Entwicklung Gesundheit im Alter der Selbstidentität über die Lebensspanne Unter der Lebenskompetenz Selbstreflexion wird Laut Erikson ist die lebenslange Identitäts die Fähigkeit verstanden, sich selbst zu kennen und entwicklung durch acht psychosoziale Krisen zu mögen (WHO 1997). Theorien zur Entwicklung der gekennzeichnet, die in bestimmten Lebens- Selbstidentität über die Lebensspanne (Erikson 1998; altern auftreten. Die Lebenszufriedenheit in Tornstam 1989; siehe Box 5) betonen, dass diese einem bestimmten Lebensalter hängt mit Kompetenz besonders im Alter gefordert wird, weil der erfolgreichen Bewältigung der Krisen in dann identitätsstiftende Rollen durch Pensionierung früheren Lebensphasen zusammen. Für das oder Verwitwung wegfallen. Ausserdem können das Alter postuliert Erikson die Krise Ich-Integrität Nachlassen kognitiver und körperlicher Fähigkeiten versus Verzweiflung. Sie kann durch Selbst und die Nähe des eigenen Todes das Selbstbild ins reflexion im Sinne von Auseinandersetzung mit Wanken bringen. Aufgrund dieser Entwicklungen der eigenen Lebensgeschichte, Akzeptanz von sind ältere Menschen meist besonders motiviert, Gelebtem und Nicht-Gelebtem und von Endlich- sich selbst zu reflektieren. Dieses erhöhte Engage- keit sowie Entwicklung von Kontinuitäts- und ment in Selbstreflexion führt schliesslich oft zu Zugehörigkeitserleben bewältigt werden. einem Kompetenzzuwachs in dieser Fähigkeit. Es kann zu einer Beeinträchtigung des psychischen Tornstam (1989): Theorie der Gerotranszendenz Wohlbefindens bis hin zur Verzweiflung kommen, Tornstam nimmt an, dass die im Alter zuneh- wenn eigene Überzeugungen und Einstellungen mende Selbstreflexion nicht nur auf die Ebene oder diejenigen von Bezugspersonen das vermehrte des Selbst (Beschäftigung mit der eigenen Engagement in Selbstreflexion behindern. Hierbei Lebensgeschichte und persönlichen Eigenschaf- können Altersbilder eine Rolle spielen, welche ein- ten) beschränkt ist, sondern sich auch auf eine seitig die Vermeidung von körperlichen Alterungs- kosmische und soziale Ebene richtet. Auf kosmi prozessen und Tod durch eine hohe Beteiligung älte- scher Ebene kommt es zu einer stärkeren In- rer Menschen an sozialen, sportlichen oder geistigen tegration von Vergangenheit, Gegenwart und Zu- Aktivitäten fordern (Höpflinger 2002; Kruse 2014). kunft (beispielsweise indem das eigene Leben Dadurch kann die gedankliche Auseinandersetzung mit dem Leben vorhergehender und nachfolgen- mit der zunehmenden körperlichen Verletzlich- der Generationen in Beziehung gesetzt wird). keit und dem nahenden Tod verdrängt werden. Nach Des Weiteren vollzieht sich eine Abwendung von Erikson (1998) und Tornstam (1989) aber gibt diese einer rein materialistischen und rationalistischen Auseinandersetzung erst den Impuls zur vermehr- Weltsicht hin zu einer stärkeren Auseinander ten Selbstreflexion im Alter. Daneben kann die Be- setzung mit mystischen und spirituellen Dimen- schäftigung mit der eigenen Lebensgeschichte von sionen des Lebens. Dies kann die Todesfurcht anderen als übertriebene Selbstbezogenheit und verringern. Auf sozialer Ebene vollzieht sich eine Vergangenheitsorientierung ausgelegt werden. Auch stärkere Reflexion der Passung von eigenen kann der mit vermehrter Selbstreflexion einherge- Werten, Eigenschaften und Vorlieben mit eigenen hende soziale Rückzug negativ bewertet werden. sozialen Rollen, Beziehungen und allgemeinen Für ältere Menschen sind daher Interventionen be- sozialen Normen. Damit geht einher, dass ober- sonders relevant, welche die Reflexion der eigenen flächliche Beziehungen aufgegeben, bedeutsame Lebensgeschichte, der eher schmerzlichen Aspekte Beziehungen dagegen intensiviert werden. Es des Alters sowie der persönlichen Altersbilder för- kommt zu einem stärkeren sozialen Rückzug, dern. aber auch zu reiferen Urteilen in sozialen Lebens fragen und mehr selbst- statt normenkonfor- mem Verhalten.
16 Förderung von Lebenskompetenzen bei älteren Menschen 2.3.2 Interventionen Interventionen zur Reflexion von schmerzlichen Aspekten des Alters Lebensrückblickinterventionen (Maercker 2013, • Integration bedrohlicher Erfahrungen ins Selbst- Wirksamkeit der ersten drei Formen sehr gut bild: **Personzentrierte Psychotherapie nach belegt, siehe Metaanalyse Pinquart & Forstmeier Carl R. Rogers (spezifisch für ältere Menschen: 2012 und 2013) Elfner 2008) • Reminiszieren: Sammeln von Erinnerungen zu • Reflexion von Sinnfragen: **Logotherapie oder bestimmten Themen wie Feste, erster Schultag Existenzanalyse nach Viktor Frankl (1987) oder Jahreszeiten in der Gruppe, z. B. in «Erzähl- • Auseinandersetzung mit zentralen, existenziellen cafés»: www.netzwerk-erzählcafé.ch Themen des Menschseins wie Leid und Tod: • Biografiearbeit: gezieltes Durchsprechen aller **Existenzielle Psychotherapie nach Irvin Yalom Lebensphasen von der Kindheit bis in die Gegen- (1989) wart • Auseinandersetzung mit und evtl. Änderung von • Lebensrückblicktherapie: gezieltes Durchspre- eigenen Werten, Einstellungen zu sich selbst und chen aller Lebensphasen von der Kindheit bis persönlichen Gewohnheiten sowie Akzeptieren in die Gegenwart und die Förderung des gezielten von leidvollen Erfahrungen und unveränderlichen Reflektierens der eigenen Biografie (z. B. Fragen Lebenssituationen: **Akzeptanz- und Commit- nach Gefühlen, Einfluss der Lebensumstände ment-Therapie (ACT, Hayes et al. 2014), Anwen- auf die Selbstentwicklung und gezielte Erfassung dung bei älteren Menschen siehe Wilz et al. (2017); von positiven und negativen Ereignissen), z. B. Anbieter in der Schweiz: Gruppe für Erwachsene **Gruppentherapie «Auf der Suche nach Sinn»: mit chronischen Schmerzen in Winterthur Versionen für selbstständig wohnende ältere (www.zumbeherztenleben.ch) Menschen sowie für Bewohnerinnen und Bewoh- • Gesprächsrunden über Leben und Sterben: Cafés ner von Alterszentren (Pot & van Asch 2013); in mortels (www.sterben.ch/index.php?id=373) dividuelle Würdezentrierte Therapie am Lebens ende (Reflexion der eigenen Lebensgeschichte Interventionen zur Förderung der Reflexion mit Erstellen eines Nachlassdokuments mit der von eigenen Altersbildern Biografie und Wünschen, Hoffnungen und Rat- • Offene Gesprächsgruppe zu philosophischen schlägen für die Zukunft der Angehörigen [Spang Theorien zum Älterwerden: Café Dialogue vom & Züger 2017; Manual: Chochinov 2017]; Anbieter Gesundheitsdepartement Basel Stadt: in der Schweiz: www.andreasweberstiftung.ch/ www.gesundheit.bs.ch/gesundheitsfoerderung/ wirkungsfelder-film, www.kssg.ch/palliativzent- psychische-gesundheit/seniorinnen-senioren/ rum/leistungsangebot/wuerdezentrierte-thera- cafe-dialogue.html pie, www.palliativzentrum.insel.ch/fileadmin/ • Künstlerische Beschäftigung mit eigenen und zentrumpalliativ/pdf/Dignity_Therapy.pdf) gesellschaftlichen Altersbildern: Tessiner Projekt • Zeitzeugeninterviews: Online-Plattform des «TeatroBenessereAnziani»; Tanztheater Dritter Instituts für Sozialanthropologie und Empirische Frühling: www.dritter-fruehling.ch Kulturwissenschaften (ISEK) der Universität Zürich für schriftliche Zeitzeugendokumente mit jährlicher Preisverleihung für besonders gelun- gene Berichte (www.meet-my-life.com); liesse sich künftig in Projekte zur Gemeindegeschichte oder Ausstellungen an Museen einbetten; z. B. Projekte zu den Lebenserfahrungen von spezi fischen älteren Bevölkerungsgruppen (z. B. ältere Menschen mit Migrationshintergrund oder homo- sexueller Orientierung)
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