FORUM Das offizielle Magazin der Deutschen Krebsgesellschaft e.V - Deutsche Krebsgesellschaft
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Dezember 2018 | Jg. 33 | Nr. 06 FORUM Das offizielle Magazin der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. Ethik der Ressourcenverteilung Ökonomie in der Gerechte Verteilung und Ökonomie Onkologie II Ökonomischer Druck im Gesundheitswesen Widerspruch zur Wie belastet ist das Arzt-Patienten-Verhältnis Medizinethik? Über- und Untertherapie Eine pharmakoökonomische Betrachtung Molekulares Tumorboard Magenkarzinom – Prädiktoren der Immuntherapie www.krebsgesellschaft.de/forum
Editorial FORUM 2018 · 33:393 F. Lordick https://doi.org/10.1007/s12312-018-0524-y Universitäres Krebszentrum Leipzig (UCCL), Medizinische Klinik I, Universitätsklinikum, Leipzig, Deutschland © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 Krebs ist teuer – gerechte Ressourcenverteilung ist gefragt Haben wir in unserem ersten Heft zur strebens auf den ärztlichen Beruf stellen lich. Lassen Sie mich den Jahreswechsel Ökonomisierung der Onkologie vor al- Zomorodbakhsch et al. dar. nutzen, Ihnen alles Gute zu wünschen lem Strukturfragen behandelt, stehen Die Ausgaben für die medikamentöse und mich für Ihre Aufmerksamkeit beim im vorliegenden Heft die Auswirkungen Behandlung in der Onkologie steigen. Lesen und viele positive Rückmeldun- ökonomischer Prinzipien auf Patienten Thomas Müller-Bohn spricht von einer gen für das FORUM zu bedanken. Ganz und Ärzte im Vordergrund. „Ethik und Verdopplung der Kosten für Onkologika besonders danke ich den Mitgliedern Ökonomie sind keine Antipoden. Im Ge- in den USA von 2012 bis heute, wobei des wissenschaftlichen Beirats, die ganz genteil gehört das ökonomische Denken zwei Drittel des Wachstums auf Neuzu- wesentlich zu spannenden Themen und zu einer ethisch vertretbaren Medizin lassungen der letzten 5 Jahre entfallen. Artikeln beitragen. Und am allermeisten unabdingbar dazu, da ansonsten wert- Dabei werden immer mehr Onkolo- danke ich Frau Gabriele Staab, unserer volle Ressourcen verschwendet würden“, gika für nur kleine Patientengruppen Managing Editorin, für ihren unermüd- so Giovanni Maio, Freiburg, in seinem entwickelt. Dies ist im Sinne der Präzi- lichen und hoch kompetenten Einsatz höchst lesenswerten Beitrag in diesem sionsmedizin auch ein sinnvoller Weg, für unser FORUM. FORUM. Die ethischen Herausforde- insbesondere dann, wenn er zu mehr rungen sind vielfältig. Es sollte Konsens Wirksamkeit bei den behandelten Pa- Ihr darüber bestehen, mit begrenzten öko- tienten und einem sinnvollen Verzicht nomischen Ressourcen so umzugehen, auf Therapie bei wenig aussichtsreichen dass eine gerechte Verteilung und eine Behandlungen führt. In diesem Sinne dem Bedarf entsprechende Versorgung ist Präzisionsmedizin auch ökonomisch sichergestellt sind. In dem Moment, in sehr attraktiv. Tatsache ist aber, dass dem der Arzt Behandler ist, fühlt er sich die Entwicklungskosten und Rendite- in der Regel jedoch der sachgerechten Erwartungen in der personalisierten Florian Lordick Behandlung des Einzelnen noch mehr Krebstherapie zu einer erheblichen Ver- verpflichtet als dem Allgemeinwohl. Auf teuerung der Einzelbehandlung führen. Korrespondenzadresse diese ambivalente Anforderung sind Ärz- Voraussetzung für die personalisierte te oft unzureichend vorbereitet. Auch die und im Idealfall kosteneffizientere Be- Prof. Dr. F. Lordick Universitäres Krebszentrum Leipzig (UCCL), manchmal latente, zuweilen jedoch sehr handlung ist die Verfügbarkeit einer Medizinische Klinik I, Universitätsklinikum offenkundige Anforderung, eine renta- molekularen onkologischen Diagnostik. Liebigstraße 20, 04103 Leipzig, Deutschland ble Medizin zu betreiben, stellt Ärzte Das Feld ist so dynamisch und Auswir- Florian.Lordick@medizin.uni-leipzig.de vor Herausforderungen und kann zur kungen neuer Tests auf die Auswahl neu Belastung der Arzt-Patient-Beziehung verfügbarer Medikamente oft so schwer Interessenkonflikt. F. Lordick gibt an, dass kein führen. Weitere Auswirkungen knapper vorhersagbar, dass ständige Anpassun- Interessenkonflikt besteht. Ressourcen und überhöhten Gewinn- gen, auch der Verfügbarmachung von molekularen Testsystemen und deren Vergütung bestehen. Peter Schirmacher Z Autor aus Heidelberg stellt den aktuellen Stand der Entwicklung dar. Prof. Dr. F. Lordick Nun neigt sich das Jahr 2018 seinem Universitätsklinikum, Leipzig Ende entgegen. Ich hoffe, dass die Öko- nomisierung des Weihnachtsfests Ihnen, liebe Leser, nicht die Freude an den Feiertagen nimmt. Gehen Sie es ruhig und innerlich gelassen an, wenn mög- FORUM 6 · 2018 393
I n h alt FORUM · Band 33 · Heft 6 · Dezember 2018 Editorial F. Lordick 393 Krebs ist teuer – gerechte Ressourcenverteilung ist gefragt Präsident O. Ortmann 398 Digitale Onkologie – Hype oder Hoffnung? DKG – aktuell N. Nürnberg 399 Weihnachtskarten 2018 der Deutschen Krebsgesellschaft e. V U. Helbig 400 Finanzierung von Krebsberatungsstellen Aktuelles Pre-ESMO-Symposium 402 Zehn Jahre Nationaler Krebsplan. Resümee und Ausblick Molekulares Tumorboard F. Lordick · C. Röcken 405 Molekulares Tumorboard – Magenkarzinom. Prädiktoren der Immuntherapie Interview 411 „Ich wünsche mir mehr Enthusiasmus und weniger Untergangsszenarien“. Prof. Dr. Christof von Kalle zur Zukunft der Krebsmedizin www.krebsgesellschaft.de/onko P. Nitz 413 Studiendaten vom World Congress on Lung Cancer verändern Standards Fokus: Ökonomie in der Onkologie II G. Maio 416 Ethik der Ressourcenverteilung J. Büntzel · B. Zomorodbakhsch · O. Micke · J. Hübner 421 Wie belastet der ökonomische Druck im Gesundheitswesen das Arzt-Patienten-Verhältnis? T. Müller-Bohn 428 Über- und Untertherapie in der Onkologie – eine pharmakoökonomische Betrachtung P. Schirmacher 432 Überwindung der Zugangsbarrieren in der molekularen onkologischen Diagnostik © M] Wisaad / Getty Images / iStock +++ Online -Archiv finden Sie unter w w w.k rebsgesellschaf t.de/forum +++ FORUM 395
I n h alt FORUM · Band 33 · Heft 6 · Dezember 2018 Sektion B D. Schadendorf für Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Onkologie (ADO) 437 Weitere Diagnose- und Therapiefortschritte beim Hautkrebs – Neue Behandlungsoptionen in der Adjuvanten Melanomtherapie. Kongressbericht zum 28. Deutschen Hautkrebskongress der ADO Sektion B – Klinische Studien S. Krause · T. W. P. Friedl · T. Romashova · F. Meier-Stiegen · P. A. Fasching · A. Schneeweiss · V. Müller · F.-A. Taran · A. Polasik · M. Tzschaschel · A. De Gregorio · J. Huober · W. Janni · T. Fehm 440 DETECT III und IV Studien. Individualisierte CTC-basierte Therapie des metastasierten Mammakarzinoms M. Deniz · L. Wiesmüller 442 Spezifische DNA-Reparatur-Defizite als Biomarker für Ovarialkarzinomrisiko H. Rexer · C. Doehn · C. Grüllich 444 Adjuvante Therapie des Nierenzellkarzinoms mit hohem Rezidivrisiko nach Nephrektomie. Eine randomisierte, multizentrische, placebokontrollierte, doppelblinde Phase-III-Studie zu Atezolizumab (Anti-PD-L1-Antikörper) als adjuvante Therapie für Patienten mit Nierenzellkarzinom und einem hohen Rezidivrisiko nach Nephrektomie (IMmotion010) – AN 42/16 der AUO C. Ostheimer · jDEGRO Trial Group 446 Prognostischer Wert des Tumorvolumens in der Radiochemotherapie des lokal fortgeschrittenen nichtkleinzelligen Bronchialkarzinoms. Pilotstudie der AG Junge DEGRO der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) Sektion A Präventionsausschuss der Landeskrebsgesellschaften 448 „SunPass – Gesunder Sonnenspaß für Kinder“. Deutschlandweite Auszeichnung von Kindertagesstätten Berliner Krebsgesellschaft e. V. 450 Forschungspreis der Berliner Krebsgesellschaft 2019: „Curt Meyer-Gedächtnispreis“. Ausschreibung Krebsgesellschaft Rheinland-Pfalz e. V. 451 Dem Leben eine neue Perspektive geben. 40 Jahre ambulante psychoonkologische Versorgung in Rheinland-Pfalz Niedersächsische Krebsgesellschaft e. V. 452 10. Tagung der nieder-sächsischen Krebsselbsthilfe-gruppenleiter*innen in Hannover Sektion C C. Minartz · A. S. Neubauer 454 Keine „Kostenlawine“: Onkologika bleiben bezahlbar. Was sollen und müssen Krebsmedikamente kosten, damit innovative Pharmaforschung auch in Zukunft gesichert ist? Verschiedenes Adressen Termine Impressum, Wissenschaftlicher Beirat 396 FORUM
Präsident FORUM 2018 · 33:398 O. Ortmann https://doi.org/10.1007/s12312-018-0522-0 Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Caritas-Krankenhaus St. Josef, Universität Regensburg, Regensburg, Deutschland © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 Digitale Onkologie – Hype oder Hoffnung? Die Digitalisierung im Gesundheitswe- men und gutartigen Muttermalen stell- Dritte, zum Beispiel für Forschungszwe- sen gehört derzeit zu den Lieblingsthe- te ein Computerprogramm, das vorher cke, weitergeben wollen. men der Medien: Deutschland hinke an 100.000 Aufnahmen trainiert worden Umfragen zufolge würden 60 % der hinterher – im Gegensatz zum interna- war, im Durchschnitthäufigerdie richtige Deutschen eine elektronische Patienten- tionalen Ausland. Dort gebe es längst Diagnose als 58 Hautärzte aus verschie- akte (ePA) nutzen, 34 % lehnen dies ab. mächtige Allianzen zwischen den großen denen Ländern. Das berichtet kürzlich Kein Zweifel, in der Möglichkeit, die IT-Unternehmen und renommierten eine Forschergruppe der Universität Hei- Daten für Forschungszwecke weiterzu- Kliniken sowie Forschungseinrichtun- delberg in der Fachzeitschrift „Annals of geben, liegt eine große Chance – das wird gen zur Erforschung der künstlichen Oncology“. auch von Patientenvertretern so gesehen. Intelligenz (KI) im Gesundheitswesen. Keine Frage, es gibt also auch hier- Entscheidend ist die Freiwilligkeit der Wie aber steht es tatsächlich um die zulande gute Leuchtturmprojekte. Doch Weitergabe sowie die Datensicherheit. digitale Onkologie in Deutschland? während die Öffentlichkeit auf rasche Sicherheitslücken, die illegale Geschäf- Krebs in Zukunft mit Hilfe der perso- Fortschritte drängt, zeigt die Erfahrung: te mit Patientendaten, wie jüngst in nalisierten Medizin heilen zu können ist Der Weg von der digitalen Idee bis den USA, zulassen, müssen verhindert eine ehrgeizige Vision. Dankeinerzuneh- zum wissenschaftlichen Nachweis, dass werden. Denn wenn das Vertrauen der mend präziseren Diagnostik mangelt es sich dadurch klinische Endpunkte ver- Patientinnen und Patienten durch einen nicht an individuellen Daten als Grundla- bessern, dass Menschen dadurch zum solchen Vorfall erst einmal erschüttert ge: Von Labordaten, Studiendaten, Daten Beispiel länger leben, dauert dann doch ist, lässt es sich nur schwer wieder zu- aus der digitalen Bildgebung bis hin zu einige Jahre. Und Evidenz ist eine der rückgewinnen. Genprofilen steigt sowohl die Menge als Grundvoraussetzung dafür, dass eine di- auch die Zahl der Quellen rasant an. Ein- gitale Innovation in die Regelversorgung Ihr zelne Forschungseinrichtungen, z. B. das im deutschen Gesundheitssystem über- NCT in Heidelberg arbeiten mit Data- führt werden kann. Auf diese Evidenz Warehouses, die solche diagnostischen können und sollten wir nicht verzichten. Daten mit den klinischen Daten ihrer on- Eine weitere wichtige Voraussetzung kologischen Patienten sowie Forschungs- ist eine gut funktionierende Telematik- daten verknüpfen. Von der Analyse dieser Infrastruktur. Noch immer kommuni- Daten erhofft man sich bessere Vorhersa- zieren viele Arztpraxen und Kranken- Olaf Ortmann gen zur Wirksamkeit der Therapie oder häuser untereinander per Fax oder Brief. Präsident der Deutschen Nebenwirkungen im individuellen Pati- Ein elektronischer Datenaustausch wird Krebsgesellschaft e. V. enten. Vor allem der Einsatz von KI und dringend gebraucht, nicht nur zwischen Machine Learning ist in diesem Zusam- stationärer und ambulanter Versorgung, Korrespondenzadresse menhang attraktiv. Bei einem Versuch sondern auch im Hinblick auf die For- mit 100 Bildern von bösartigen Melano- schung. Die Bundesregierung will die nö- Prof. Dr. med. O. Ortmann Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, tigen Anpassungen aktiv vorantreiben, Caritas-Krankenhaus St. Josef, Universität Z Autor mit der verpflichtenden Einführung ei- Regensburg ner elektronischen Patientenakte (ePA) Landshuter Str. 65, 93053 Regensburg, Prof. Dr. med. O. Ortmann ab 2021 und Maßnahmen zur Verbesse- Deutschland Universität Regensburg, rung der Interoperabilität der verschie- oortmann@caritasstjosef.de Regensburg denen Aktenlösungen. Patienten sollen dann auch entscheiden können, ob sie Interessenkonflikt. O. Ortmann gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. ihre Daten, quasi als Datenspende, an 398 FORUM 6 · 2018
DKG – aktuell Forum 2018 · 33:399 https://doi.org/10.1007/s12312-018-0514-0 © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Weihnachtskarten 2018 der Springer Nature 2018 Deutschen Krebsgesellschaft e. V. Die Deutsche Krebsgesellschaft bietet auch in diesem Jahr wieder Weihnachts- karten an. Es stehen über 40 Motive zur Auswahl: von feierlich bis besinnlich, von winterlich bis magisch. Die Kartenrückseite trägt den Text „Mit dieser Karte unterstützen wir die Ziele der Deutschen Krebsgesellschaft e. V.“ mit der Angabe unseres Spenden- kontos. Alle Weihnachtskarten können auch mit einem individuellen Firmenein- druck (Text und/oder Logo) bestellt wer- den. Wenn Sie an unseren Weihnachtskar- ten Interesse haben, wenden Sie sich bit- te an die Geschäftsstelle der Deutschen Krebsgesellschaft. Wir senden Ihnen ger- ne den Online-Katalog sowie auch die ent- sprechenden Modellkarten (max. 3 Moti- ve) zu. Korrespondenzadresse Nora Nürnberg Veranstaltungsorganisation Deutsche Krebsgesellschaft e.V. Kuno-Fischer Str. 8, 14057 Berlin, Deutschland nuernberg@krebsgesellschaft.de Weitere Informationen finden Sie auch unter www.krebsgsellschaft.de Forum 6 · 2018 399
DKG – aktuell Forum 2018 · 33:400–401 U. Helbig https://doi.org/10.1007/s12312-018-0506-0 Deutsche Krebsgesellschaft e. V., Berlin, Deutschland Online publiziert: 2. Oktober 2018 © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 Finanzierung von Krebsberatungsstellen Die Steuerungsgruppe des Nationa- 5 eine Konstanz, die auf Dauerhaftig- durch Spendenmittelmittelanwerbung. len Krebsplans hat eine Arbeitsgrup- keit ausgerichtet ist, gewährleisten Auch durch Beantragung von Projekt- pe eingerichtet, die sich auf Basis der müssen. mitteln (Renten- und Krankenversiche- Inhalte im Nationalen Krebsplan mit rer, Kommunen und Länder sowie Stif- der Erarbeitung von Empfehlungen Über die durch das Bundesministerium tungen) und Fördermitteln (Renten- und zur Qualitätssicherung und einer Fi- für Gesundheit (BMG) initiierte Erhe- Krankenversicherer, Kommunen und nanzierung von ambulanten psycho- bung „Psychoonkologische Versorgung“ Länder sowie Stiftungen) werden Finanz- sozialen Krebsberatungsstellen be- wird derzeit evaluiert, inwieweit eine Flä- mittel mit limitiertem Umfang akquiriert. fasst. Neben einer Beschreibung von chendeckung des psychosozialen Bera- Allein die Landeskrebsgesellschaften wen- zu gewährleistenden Qualitätskriteri- tungsangebots in den verschiedenen Re- den pro Jahr ca. 7 Millionen Euro für die en sollen Finanzierungsmodelle ent- gionen Deutschlands aktuell gegeben ist. psychosoziale Beratung Krebskranker wickelt werden, auf die Regelungen Die Komplexität der psychosozialen und ihrer Angehörigen auf. für eine nachhaltige Finanzierung in Beratungsleistung basiert auf den ver- Die in einem Eigenverständnis entwi- Deutschland implementiert werden schiedenen Bereichen in der psycho- ckelten und vorgehaltenen Qualitätsmerk- können. sozialen Krebsberatung (Informations- male können auf Basis dieses Finanzkon- vermittlung, Beratung bei sozialen und strukts je nach Region kaum oder nicht Hintergrund dieser Entwicklung sind psychischen Belangen, Bereitstellung von dauerhaft vorgehalten werden. Daher ist empfohlenen Maßnahmen aus den Zie- Hilfsangeboten, Vermittlung zu weiterfüh- es hilfreich, dass, unterstützt durch das len 9 (angemessene und bedarfsgerechte renden Angeboten), die bei einer psycho- BMG, sowohl die für die ambulante psy- psychoonkologische Versorgung), Hand- sozialen Beratung mit Patienten und An- chosoziale Krebsberatung notwendigen lungsfeld 2 des Nationalen Krebsplans [1], gehörigen berücksichtigt werden müssen Qualitätsmerkmale formuliert als auch und 11 b (qualitätsgesicherte Beratungs- und für die Qualität gedacht werden muss. Modelle für eine Regelfinanzierung für und Hilfsangebote), Handlungsfeld 4 des Entsprechend des breiten Spektrums, das eine hoffentlich baldige Umsetzung ent- Nationalen Krebsplans [2]. in der psychosozialen Krebsberatung ab- wickelt werden. Zur Stärkung der Patientenorientie- gedeckt wird, ist langfristig von einer rung ist es das Ziel, den Patienten durch präventiven Wirkung bei der Protektion Korrespondenzadresse Information mit bedarfsgerechtem Wis- psychischer, körperlicher und sozialer Fol- sen und durch Beratung mit persönlicher geschäden, von einer kurativen Wirkung Dr. med. Ulrike Helbig MBA Kompetenz zu bestücken. Durch ange- durch Linderung der psychischen und so- Deutsche Krebsgesellschaft messene Kommunikation der Beteiligten, zialen Belastung und damit dem Errei- e. V. Kuno-Fischer-Str. 8 Fachkräfte und Patienten, wird ihm die chen einer besseren Compliance in der 14057 Berlin Souveränität in den Entscheidungspro- therapeutischen Versorgung sowie von ei- helbig@krebsgesellschaft.de zessen gegeben. Dabei gilt für die Bereit- ner rehabilitativen Wirkung bei der Unter- stellung von ambulanter psychosozialer stützung zur Wiedereingliederung in das Beratung, dass die Angebote berufliche und soziale Leben auszugehen. 5 festgelegte Qualitätsanforderungen Bislang gibt es dennoch keine bundes- Literatur erfüllen müssen; weit einheitliche Lösung für die Finanzie- 5 den Zugang und die Nutzung/Ver- rung dieser teilweise bereits seit Dekaden 1. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ fileadmin/Dateien/3_Downloads/N/Nationa- netzung bestehender Beratungs- und bestehenden psychosozialen Beratungs- ler_Krebsplan/Ziel_9_Psychoonkologische_Ver- Hilfsangebote optimieren müssen; angebote. Die anbietenden gemeinnützi- sorgung.pdf. Zugegriffen: 3. Sept. 2018 5 auf eine Flächendeckung ausgeweitet gen Institutionen erbringen diese für den 2. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ themen/praevention/nationaler-krebsplan/ werden müssen; Patienten bzw. die Angehörigen kosten- was-haben-wir-bisher-erreicht/ziel-11b.html. freien psychosozialen Beratungsangebote Zugegriffen: 3. Sept. 2018 mit erheblichem Aufwand überwiegend 400 Forum 6 · 2018
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Aktuelles Forum 2018 · 33:402–404 https://doi.org/10.1007/s12312-018-0523-z Online publiziert: 31. Oktober 2018 Zehn Jahre Nationaler Krebsplan © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 Resümee und Ausblick Am Nachmittag des 18. Oktober, ein besserten, leitliniengerechten Versorgung Onkologie Universitätsklinikum Ham- Tag bevor mit dem ESMO-Kongress an? Hinsichtlich der Vernetzung und burg-Eppendorf, ausführte. Eine Erhe- der größte europäische Krebskon- Qualitätssicherung konnten Dr. Antonius bung dieser Mehrleistungen ergab einen gress am 19. Oktober in München Helou, Referatsleiter und Organisator des durchschnittlichen Mehraufwand pro startete, trafen sich die führenden Nationalen Krebsplans im BMG, Prof. Jahr in Höhe von zehn Millionen Euro. Zu Experten der Onkologie im CCC Mün- Olaf Ortmann, Präsident der Deutschen den ermittelten Mehrleistungen gehören chen zum Symposium „10 Jahre Nati- Krebsgesellschaft e. V., und Dr. Franz u. a. das Management der zentrumsspezi- onaler Krebsplan“. In fünf Vorträgen Kohlhuber, Vorstandsmitglied Deutsche fischen Aufgaben, inklusive leitlinienge- und insbesondere in der Round-Ta- Krebshilfe, viel Positives berichten. rechter Koordination aller Aktivitäten in ble-Diskussion richteten sie ihren Eine große Anzahl an Initiativen und Versorgung und Forschung, der gesicher- Blick nicht nur auf das, was in den Konzepten auch in der Forschung und in ten Versorgungsqualität für die Region so- vergangenen zehn Jahren erreicht der Ausbildung kommunikativer Kom- wie Outreach-Aktivitäten und mehr. Die wurde, sondern auch auf bestehende petenz für Ärzte wurden in den letzten Untersuchung wurde vom Wirtschafts- Problemfelder und Herausforderun- Jahren angestoßen und umgesetzt. Der forschungsunternehmen Prognos AG bei gen, eine mögliche neue Fokussie- Nationale Krebsplan hat mit den zertifi- Mitgliedern des CCC Netzwerks im Rah- rung der Förderung und die Integra- zierten Spitzen-, Krebs- und Organzent- men eines zweijährigen Prozesses durch- tion der deutschen Onkologie in den ren die Grundlage für ein Behandlungs- geführt und Anfang 2018 fertiggestellt. europäischen Gesamtkontext. netzwerk geschaffen, um die Innovationen in Krebsforschung und -behandlung in Der Nationale Krebsplan war im Jahr 2008 die Region und an alle Patienten heran- gestartet mit dem Ziel, „allen Krebspa- zubringen. Das Bewusstsein für die Krebs- tienten in Deutschland eine qualitativ behandlung als Gesamtaufgabe und auch hochwertige Versorgung zu bieten“. So der Wille zur Zusammenarbeit über die lautete damals die Formulierung der Ini- Fachgrenzen hinaus ist in den onkologi- tiatoren, Bundesministerium für Gesund- schen Zentren spürbar gewachsen. Das heit (BMG), Deutsche Krebsgesellschaft, gleiche gilt für die Kommunikation un- Deutsche Krebshilfe und Arbeitsgemein- ter allen Akteuren, die mit Krebsmedizin schaft Deutscher Tumorzentren. Vier befasst sind. Schließlich wurden auch mit Schwerpunkte wurden definiert: die Wei- der Integration von Psycho-Onkologie, terentwicklung der Krebsfrüherkennung, Palliativmedizin und Supportivtherapie die Weiterentwicklung der onkologischen substanzielle Schritte in Richtung einer Versorgungsstrukturen und Qualitätssi- patientenzentrierten Versorgung unter- cherung, die Sicherstellung einer effizien- nommen. ten onkologischen Behandlung und eine gestärkte Patientenorientierung. Finanzierung von Spitzenzentren, Krebs- und Das Netzwerk als Basis für die Organzentren integrierte Krebsversorgung Zu den aktuellen Herausforderungen ge- Was haben die seither installierten Instru- hört die ausreichende Finanzierung der mente für die Qualitätssicherung durch Zentren. Hier erweist sich, dass etliche Leitlinien und die Zertifizierung bewirkt? Aufwände aus den vielfältigen Aufgaben Wie gut funktionieren die entstande- zertifizierter Organzentren, Krebszentren nen Behandlungsnetzwerke? Und kom- und Spitzenzentren nicht regelfinanziert men die Qualitätsfortschritte tatsächlich sind, wie Prof. Carsten Bokemeyer, Kli- bei den Betroffenen im Sinne einer ver- nikdirektor und Leiter des Zentrums für 402 Forum 6 · 2018
Zentren bzw. Spitzenzentren wissen und längst nicht alle eine leitliniengerechte Versorgung erhalten, war für alle Podi- umsteilnehmer ein besonders drängen- des Problem. Vielfältige Gründe wurden genannt: eine ungenügende Sichtbarkeit der Spitzenzentren, aber auch das Feh- len hochwertiger Informationsmateri- alien oder einer zentralen Anlaufstelle. Daran schloss sich die Forderung nach einer konzentrierten Bewerbung und Be- setzung des Themas in der Öffentlichkeit an, um dem Wildwuchs aus ungesicher- ten Informationsangeboten insbesonde- re im Internet wirksam entgegenzutre- ten. Gesundheitskompetenz und Patientenorientierung 8 Prof. Dr. med. Volker Heinemann, Direktor CCC München, Klinikum der Universität München LMU, hatte gemeinsam mit Herrn Prof. Dr. rer. soc. Peter Herschbach, stellvertretender Direktor CCC München die wissenschaftliche Leitung dieses Symposiums übernommen. Bild: mit freundlicher Wissen bringt für den Patienten ein Stück Genehmigung. (© Klinikum der Universität München) Kontrolle zurück. Mit dieser Erfahrung aus vielen, intensiven Gesprächen mit Patienten regte Dr. Ryll an, die Patien- tenaufklärung noch stärker als Teil der ärztlichen Profession und Behandlungs- strategie sowie als Schritt für ein besseres Behandlungsergebnis zu sehen. Ob ein Patient Orientierung, Kompetenz und Wissen über die Krankheit und Behand- lung erlangt, liegt nicht nur an der indivi- duellen Motivation, sondern auch an der ärztlichen Fähigkeit, die Bedürfnisse des Patienten zu erkennen und die Kommu- nikation darauf auszurichten. Diese Patientenorientierung nimmt im Nationalen Krebsplan einen großen Raum ein, doch die Umsetzung entspre- chender wissenschaftlich evaluierter Kon- zepte und Projekte hinsichtlich ärztlicher Gesprächsführung, Gesundheitskompe- tenz und Patientenorientierung in der 8 Prof. Dr. Olaf Ortmann, Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft sprach über die Qualitätssi- Versorgung gestaltet sich noch schwierig. cherung durch Leitlinien und Zertifizierung in der onkologischen Versorgung. Bild: mit freundlicher Genehmigung. (© Klinikum der Universität München) Dr. Helou sprach in diesem Zusammen- hang von einem starken Beharrungsver- mögen bzw. Widerstand im Versorgungs- Die an die Vorträge anschließende Dis- tätsklinikum Heidelberg, Prof. Florian system. kussionsrunde richtete ihren Blick insbe- Lordick, Direktor Universitäres Krebs- Zur Aufklärung der Patienten gehört sondere auf Problemfelder und Heraus- zentrum Leipzig sowie Prof. Dirk Arnold, auch, das Thema Krebserkrankung zu forderungen für die kommenden Jahre. ESMO Executive Board, teil. enttabuisieren und die von Angst gepräg- Neben den bereits genannten Experten te Wahrnehmung von Krebs in der Gesell- nahmen auch Dr. med. Bettina Ryll, Cur- Spitzenversorgung gelangt noch schaft zu verändern, wie Prof. Arnold be- rent Chair of the ESMO Patient Advoca- nicht ausreichend in die Fläche tonte. Bis heute sei es nicht gelungen, diese tes Working Group, Prof. Karin Jordan, Ängste durch Information über die mo- leitende Oberärztin Innere, Hämatologie Dass viele Patienten nichts von Leitlinien dernen, verbesserten Behandlungsmög- und Internistische Onkologie Universi- und der Behandlung an onkologischen lichkeiten zu vermindern. Entsprechend Forum 6 · 2018 403
Aktuelles 9 Die Teilnehmer der Round Table Diskussion thematisierten Erreichtes sowie zukünftige Herausforderungen im Nationalen Krebsplan: V. li. n. re.: Dr. J. Bruns (Moderator), Prof. Dr. F. Lordick, Dr. B. Ryll, Dr. A. Helou, Dr. F. Kohlhuber, Prof. Dr. D. Arnold, Prof. Dr. C. Bokemeyer, Prof. Dr. O. Ortmann, Prof. Dr. K. Jordan. Bild: mit freundlicher Genehmi- gung. (© Klinikum der Universität München) intensiv ist die Psycho-Onkologie mit die- und Dossiers zwischen allen beteiligten Krebsplan im Gange. Im Bereich Qualität sen Themen beschäftigt, bei Krebspatien- Ärzten ein. und Zertifizierung wurden bereits zwei ten ebenso wie bei Angehörigen. Initiativen im Bereich Brustkrebs und Mehr Fokussierung und Darmkrebs gestartet. Allerdings werden Integration im nationale Strukturen hier deutliche Diskrepanzen zwischen Behandlungsnetzwerk muss dem Deutschen Krebsplan und dem eu- weitergehen Mit Blick auf den sehr breit formulierten ropäischen Modell sichtbar, wie Dr. He- Krebsplan plädierte Prof. Olaf Ortmann lou berichtete. Das europäische Zertifi- Eine noch stärkere Vernetzung der Fach- für eine stärkere Fokussierung und er- zierungs- und Akkreditierungsmodell sei bereiche wünschte sich Prof. Karin Jordan höhte Konzentration auf die Funktions- deutlich weniger integriert als das Zertifi- für Palliativmedizin, Supportivtherapie fähigkeit der im Rahmen des Krebsplans zierungskonzept der Deutschen Krebshil- und Psycho-Onkologie. Deren Integra- erarbeiteten Komponenten. Prof. Carsten fe und der Deutschen Krebsgesellschaft. tion in die Versorgungsstrukturen be- Bokemeyer regte eine nationale Initiative Er äußerte die Befürchtung, dass der hohe deutet einen wichtigen Fortschritt. Aller- für eine homogenere Versorgung an. Zum Standard in Deutschland im Bereich Leit- dings müsse die Vernetzung noch besser einen, um die durch die föderalen Struk- linien und Zertifizierung durch ein stär- werden, ebenso wie die Einbindung aller turen hervorgerufenen, regionalen Un- ker fragmentiertes, europäisches Modell beteiligten Berufsgruppen in die Entschei- terschiede in Deutschland auszugleichen. unterschritten werden könne und mahn- dungsprozesse und für eine patientenzen- Zum anderen, um mit einer fokussierten te in diesem Zusammenhang eine ausrei- trierte Versorgung. Krebsversorgung und Zentrumskonzep- chende Beachtung nationaler Besonder- Wie gelingt eine patientenzentrier- ten die Finanzierung der Spitzenzentren heiten an. te Versorgung im Netzwerk, gerade für gemeinsam mit den Versorgungsträgern Patienten, die fernab der Spitzenzentren zu regeln. Regine Kramer, München leben? Dr. Bettina Ryll mahnte eine in- tegrierte Behandlungsstrategie an, die Auf dem Weg zu einem Korrespondenzadresse regionale Versorgung und Spitzenzent- europäischen Krebsplan ren derart miteinander verbindet, dass F. Lordick Patienten so nah wie möglich von zu- Die Heterogenität der Versorgung im fö- Universitäres Krebszentrum Leipzig (UCCL), hause betreut werden, bei Bedarf ins deralen Deutschland setzt sich in Europa Medizinische Klinik I (Hämatologie & Zellthera- pie, Internistische Onkologie, Hämostaseologie), Zentrum gehen und dann wieder zu- fort, mit deutlich größeren Unterschie- Universitätsklinikum Leipzig AöR rückkehren zum behandelnden Arzt vor den. Wie Prof. Dirk Arnold berichte- Liebigstraße 20, 04103 Leipzig, Deutschland Ort. Dies schließe auch einen automa- te, sind die Planungen zu einer europäi- Florian.lordick@medizin.uni-leipzig.de tischen Austausch von Informationen schen Initiative bzw. einem europäischen 404 Forum 6 · 2018
Molekulares Tumorboard FORUM 2018 · 33:405–410 Florian Lordick1 · Christoph Röcken2 https://doi.org/10.1007/s12312-018-0501-5 1 Universitäres Krebszentrum Leipzig (UCCL), Medizinische Klinik I (Hämatologie und Onkologie), Online publiziert: 18. Oktober 2018 Universitätsmedizin Leipzig, Leipzig, Deutschland © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von 2 Institut für Pathologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Christian-Albrechts- Springer Nature 2018 Universität zu Kiel, Kiel, Deutschland Molekulares Tumorboard – Magenkarzinom Prädiktoren der Immuntherapie Klinische Einführung lymphonodal metastasierten Adenokar- Magenkarzinoms (u. a. HER2) sowie zinom des Magenkorpus in erster Linie Gene, die zuvor beim Magenkarzinom Fortgeschrittene inkurable Magenkar- mit Oxaliplatin plus Capecitabin; der nicht als amplifiziert dargestellt wor- zinome werden mit Chemotherapie HER2(„human epidermal growth fac- den waren (KLF5, GATA6). Gene mit behandelt. Damit lassen sich eine Ver- tor receptor 2“)-immunhistochemische Bezug zur RTK(„receptor tyrosine kina- längerung der Überlebenszeit und eine Score war 1+. Damit bestand keine Indi- se“)/RAS(„Rat sarcoma“)-Signaltrans- bessere Symptomkontrolle erreichen. kation für Trastuzumab. Nach initialem duktion, insbesondere FGFR2, KRAS, Etabliert sind Platin-Fluoropyrimidin- Ansprechen traten nach 7 Monaten The- HER2, EGFR und MET waren in einem Kombinationen (z. B. Cis-/Oxaliplatin rapie neue Lebermetastasen auf. Dann signifikanten Anteil der untersuchten plus 5-FU[Fluorouracil]/Capecitabin) in Wechsel auf Paclitaxel plus Ramuciru- Fälle amplifiziert [2]. der ersten Behandlungslinie, Paclitaxel mab (Anti-VEGF[„vascular endothelial Auch wenn – jenseits einer HER2- plus Ramucirumab in der zweiten Be- growth factor“]-Rezeptor-2-Antikörper) Überexpression – bislang keine positi- handlungslinie und evtl. (ohne Vorliegen mit erneutem Ansprechen. Bei zuneh- ven randomisierten und kontrollierten einer formalen Zulassung, aber in Leitli- mender sensorischer Neuropathie nach Studien zu molekular zielgerichteter nien empfohlen) Irinotecan. Die einzige 4 Monaten erfolgten der Verzicht auf Pa- RTK-Behandlung vorliegen, ergeben zugelassene molekular stratifizierte The- clitaxel und die Fortführung der Therapie sich klinische Wirksamkeitshinweise aus rapie des Magenkarzinoms ist derzeit mit Ramucirumab mono; damit insge- kleineren Fallserien: In der genannten die Kombination von Trastuzumab plus samt 8 Monate stabile Erkrankung, dann Publikation aus Singapore wurde bei Platin-Fluoropyrimidin-Chemotherapie Progression lymphonodal und hepatisch. Behandlung FGFR2-amplifizierter Zell- in der ersten Behandlungslinie [1]. Umstellung der Therapie auf Irinotecan linien eine erhöhte Sensitivität gegenüber Wir behandelten einen 63-jährigen mono, darunter Progression bereits im dem FGFR-Inhibitor Dovitinib beobach- Mann mit einem primär hepatisch und ersten Re-Staging nach 8 Wochen, bei tet. Klinisch ergab sich allerdings aus weiterhin gutem Allgemeinzustand und der prospektiven SHINE-Studie keine moderater Symptomlast. An dieser Stel- konsistente Wirksamkeit für den FGFR- Z Autor le standen keine weiteren zugelassenen 1,2,3-Inhibitor AZD4547 bei FGFR2- Prof. Dr. Florian Lordick oder in nationalen Leitlinien empfoh- Polysomie oder Amplifikation, was u. a. Universitätsmedizin Leipzig, lenen Therapieoptionen zur Verfügung. mit der intratumoral sehr heterogenen Leipzig Welche molekularen Untersuchungen Ausprägung der FGFR-Amplifikation könnten weiterhelfen? erklärt wurde [3]. Molekulare Diagnostik »sichDievonExpression von HER2 kann der ersten zur zweiten Z Autor Therapeutisch adressierbare Rezeptortyrosinkinasen Behandlungslinie ändern Prof. Dr. Christoph Röcken Christian-Albrechts- Untersuchungen des Singapore Cancer Während randomisierte Studien an mo- Universität zu Kiel, Kiel and Stem Cell Biology Program iden- lekular unselektierten Kollektiven nega- tifizierten 22 genomische Alterationen tive Ergebnisse für die EGFR-Inhibito- bei Magenkarzinomen. Dazu zählen ren Cetuximab und Panitumumab und bekannte therapeutische Targets des die MET-Inhibitoren Onartuzumab und FORUM 6 · 2018 405
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Molekulares Tumorboard Abb. 1 9 Der Primärtu- mor des Patienten zeigte 2 unterschiedliche Wachs- tumsmuster, die Ausdruck der häufig bei Magenkar- zinomen gefundenen in- tratumoralen Heterogeni- tät sind. Neben einem eher solide medullär wachsen- den Tumoranteil (a) fand sich auch ein tubulär wach- sender Tumoranteil (b). Beide wiesen immunhis- tochemisch einen Verlust der Expression von MLH1 auf (c,d). Die braunen Kern- färbungen von Stroma- und Entzündungszellen dienen als interne Posi- tivkontrolle und zeigen, dass die Immunreaktion positiv verlaufen ist (Hä- matoxylin- und Eosinfär- bung [a,b]; Immunfärbung mit einem Antikörper ge- gen MLH1 [c,d]; Original- vergrößerung 400-fach) Rilotumumab ergaben [1], zeigen kleine- ne Zweitbestimmung an ausreichend ge- tende Biomarkeranalyse erwies eine PD- re Fallserien eine mögliche Wirksamkeit wonnenem Tumormaterial sinnvoll er- L1(„programmed death ligand-1“)-Ex- spezifischer Inhibitoren bei entsprechen- scheinen [7, 8]. Ob aus einer positiven Re- pression auf Tumorzellen als nicht ge- der Target-Gen-Amplifikationen in Tu- testung bei negativer Initialtestung sinn- eigneten Prädiktor für die Wirksamkeit moren des oberen Verdauungstrakts [4, volle HER2-gerichtete Behandlungsop- von Nivolumab. 5]. tionen abzuleiten sind, bleibt – insbeson- Die Expression von HER2 kann sich von der ersten zur zweiten Behandlungs- dere in fortgeschrittenen Therapielinien – aktuell spekulativ. »Mikrosatelliteninstabilität dMMR ist mit einer eng linie ändern; allerdings ist bislang in sys- tematischem Umfang ausschließlich der Prädiktoren für Immuncheckpoint- assoziiert Verlust von HER2 während einer HER2- Inhibition gerichteten Therapie beschrieben [6]. Es Allerdings scheint die kombinierte Mes- ist nicht bekannt, ob aus einem HER2- Eine kürzlich publizierte Studie belegte sung von PD-L1-Expression auf Tumor- negativen Tumor unter Chemotherapie die Wirksamkeit von Nivolumab, einem zellen und/oder Tumorstroma („com- ein HER2-positiver Tumor hervorgehen gegen PD(„programmed cell death prote- bined positivity score“, CPS) nach ak- kann. Alle bisherigen klinischen Daten in“)-1 gerichteten humanen monoklona- tuellen Daten aus der Keynote-061- zur HER2-gerichteten Therapie jenseits len Antikörper der Klasse IgG4κ, im Ver- Studie mit einem Ansprechen auf den der ersten Behandlungslinie sind darü- gleich zu Placebo bei ostasiatischen Pa- Immuncheckpoint-Inhibitor Pembro- ber hinaus negativ. Die hohe intratumo- tienten mit fortgeschrittenen Magenkar- lizumab (humanisierter monoklonaler rale Heterogenität der HER2-Expressi- zinomen und Vorbehandlung mit min- PD-1-Antikörper der Klasse IgG4) asso- on lässt in bestimmten Fällen jedoch ei- destens 2 Therapielinien [9]. Die beglei- ziiert zu sein: Bei einem CPS-Score von 408 FORUM 6 · 2018
10 % oder mehr war Pembolizumab in ist ein humanpathogenes, behülltes, Patienten mit fortgeschrittenen Ma- einer explorativen Analyse in der zwei- doppelsträngiges DNA-Virus aus der genkarzinomen nicht zugelassen. Die ten Behandlungslinie besser wirksam Familie der Herpesviridae. EBV-kodier- Datenlage ändert und erweitert sich je- als Chemotherapie; bei negativem CPS- te RNA (EBER) kann mittels In-situ- doch derzeit in rascher Taktung. Das Score scheint Pembrolizumab hingegen Hybridisierung in formalinfixierten Tu- Vorliegen eines defizienten DNA-Mis- weitgehend unwirksam zu sein [10]. morproben nachgewiesen werden [13, match-Repair-Systems (dMMR) mit Bei einer Vielzahl solider Tumoren 14]. EBV-infizierte Karzinome weisen der Folge der Mikrosatelliteninstabilität erwies sich eine PD-1/PD-L1-Inhibition eine hohe intra- oder peritumorale Im- (MSI) sowie der Nachweis von EBV- bei Vorliegen eines defizienten DNA- munzellinfiltrationsdichte auf und zeigen DNA im Tumor und möglicherweise Mismatch-Repair-Systems (dMMR) als vermehrte genomische Amplifikationen auch einer starken PD-L1-Expression im wirksam. dMMR ist mit einer Mikro- des Chromosom-9-Lokus. Dieser enthält „combined positivity score“ sind Prä- satelliteninstabilität (MSI) eng assoziiert die Gene, welche für PD-L1 und PD- diktoren der Wirksamkeit von PD-1- [11]. In den USA wurde daraufhin L2 kodieren [12]. Eine jüngste Analyse gerichteten Immuncheckpoint-Inhibito- Pembrolizumab für die Behandlung zeigte für 6 Magenkarzinompatienten ren. Diese Marker können ggf. die weitere fortgeschrittener dMMR/MSI-Tumo- aus Korea eine sehr hohe Response-Rate zielgerichtete Therapie von Patienten mit ren unabhängig vom Ursprung des (100 %) auf Pembrolizumab mit einer chemotherapierefraktären fortgeschrit- Tumors zugelassen. Die europäische medianen Dauer des Ansprechens von tenen Magenkarzinomen steuern. Die Arzneimittelzulassungsbehörde (Euro- 8,5 Monaten [14]. Der EBV-assoziier- Autoren betonen, dass es sich hier um pean Medicine Agency, EMA) ist dieser te Subtyp zählt zu den 4 molekularen die Anwendung bislang in Europa nicht Empfehlung bislang nicht gefolgt. Nach Subtypen des Magenkarzinoms nach zugelassener Therapieansätze handelt der aktuell verwendeten molekularen TCGA [12]. dMMR und EBV-Asso- und eine vorherige Abklärung mit den Subklassifikation des Magenkarzinoms ziation schließen sich nach aktuellem Kostenträgern und die Berücksichti- in The Cancer Genome Atlas (TCGA) ist Kenntnisstand gegenseitig aus [13]. gung aller rechtlichen Aspekte des „off- das MSI-Magenkarzinom einer von 4 label use“ dringend empfohlen werden molekularen Subtypen. Man findet es Fallauflösung müssen. sehr selten im Bereich des ösophagogas- tralen Übergangs und etwas häufiger in Im vorliegenden Fall wurde an archi- Korrespondenzadresse weiter distalen Magenabschnitten. Ins- viertem Tumormaterial aus dem Pri- Prof. Dr. Florian Lordick gesamt handelt es sich um weniger als märtumor (siehe . Abb. 1) bzw. aus Universitäres Krebszentrum Leipzig (UCCL), 10 % aller Magenkarzinome, jedoch mit Lebermetastasen eine Untersuchung Medizinische Klinik I (Hämatologie und noch seltenerem Vorkommen im Stadi- auf genomische Amplifikationen von Onkologie), Universitätsmedizin Leipzig um IV [12, 13]. Die Diagnosestellung EGFR, MET und FGFR2 vorgenom- Leipzig, Deutschland kann durch immunhistochemische Be- men mit jeweils negativem Ergebnis. florian.lordick@medizin.uni-leipzig.de stimmung der DNA-Mismatch-Repair- Ebenso wenig konnte mittels In-situ- Enzyme MLH1, PMS2, MSH2 und MSH6 Hybridisierung das Vorliegen von EBV- sowie durch molekularbiologische Ana- kodierter RNA im Tumor nachgewie- Einhaltung ethischer Richtlinien lyse der Mononukleotid-Repeat-Marker sen werden. Hingegen fand sich in der BAT-25, BAT-26, NR-21, NR-24 und immunhistochemischen Untersuchung Interessenkonflikt. F. Lordick erhält Honorar von NR-27 erfolgen [13]. Aktuelle Daten ein Ausfall der DNA-Mismatch-Repair- Astellas, Astrazeneca, BionTech, BristolMyersSquibb, legen eine hohe Wahrscheinlichkeit des Gene MLH1 und PMS2. In der mo- Eli Lilly, Elsevier, Infomedica, Merck DarmstadtMerchS- harpDohme, Roche, Servier. Er ist Berater bei Astellas, Ansprechens auf PD-1/PD-L1-Immun- lekularbiologischen Analyse fand sich BristolMyersSquibb, Eli Lilly, MerckSharpDohme, und checkpoint-Blockade bei Vorliegen von Instabilität in 5 von 5 Mononukleotid- er erhält eine Forschungförderung von BristolMyersS- dMMR/MSI nahe [6, 10–14]. Repeat-Markern. quibb. C. Röcken gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Wir beantragten bei der zuständigen »Ansprechen Ein Prädiktor für das auf Immuncheck- Krankenkasse die Behandlung mit einem Immuncheckpoint-Inhibitor und erhiel- Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren. ten eine Genehmigung für eine Therapie point-Inhibitoren scheint die mit Nivolumab für zunächst 3 Mona- Literatur Assoziation mit EBV zu sein te. Der Patient erhält derzeit Nivolumab 3 mg/kg Körpergewicht alle 2 Wochen 1. Lordick F, Janjigian YY (2016) Clinical impact of tumour biology in the management of i. v. gastroesophageal cancer. Nat Rev Clin Oncol Ein weiterer Prädiktor für das Anspre- 13(6):348–360 chen auf Immuncheckpoint-Inhibitoren 2. Deng N, Goh LK, Wang H et al (2012) A Folgerung comprehensive survey of genomic alterations scheint die Assoziation mit Epstein- in gastric cancer reveals systematic patterns of Barr-Virus (EBV) zu sein. Das EBV, Immuncheckpoint-Inhibitoren sind bis- molecular exclusivity and co-occurrence among auch humanes Herpesvirus 4 (HHV 4), lang in Europa für die Behandlung von distinct therapeutic targets. Gut 61(5):673–684 FORUM 6 · 2018 409
In eigener Sache 3. Van Cutsem E, Bang YJ, Mansoor W, al Pet (2017) A randomized, open-label study of the efficacy and safety of AZD4547 monotherapy versus paclitaxel for the treatment of advanced gastric adenocarcinoma with FGFR2 polysomy or gene amplification. Ann Oncol 28(6):1316–1324 4. Petty RD, Dahle-Smith A, Stevenson DAJ et al (2017) Gefitinib and EGFR gene copy number aberrations in esophageal cancer. J Clin Oncol 35(20):2279–2287 Innovationspreis 2019 5. Lennerz JK, Kwak EL, Ackerman A et al (2011) MET amplification identifies a small and aggressive Interprofessionelle Projekte im Gesundheitswesen subgroup of esophagogastric adenocarcinoma with evidence of responsiveness to crizotinib. J Clin Springer Medizin und Springer Pflege vergeben Preis für zukunftsweisende Oncol 29(36):4803–4810 Projekte in der deutschen Gesundheitsversorgung | Schirmherrschaft übernimmt 6. Janjigian YY, Sanchez-Vega F, Jonsson P et al Sächsische Ministerin für Soziales und Verbraucherschutz Barbara Klepsch | (2018) Genetic predictors of response to systemic therapy in esophagogastric cancer. Cancer Discov Bewerbungsschluss ist der 31. Januar 2019 8(1):49–58 Der Schlüssel einer zukunftssicheren Gesund- Die Preisverleihung 7. Warneke VS, Behrens HM, Böger C et al (2013) Her2/neu testing in gastric cancer: evaluating the heitsversorgung in Deutschland liegt im be- risk of sampling errors. Ann Oncol 24(3):725–733 rufsübergreifenden Denken und Handeln al- Der Preisträger erhält einen Geldpreis, ein 8. Lordick F, Al-Batran SE, Dietel M et al (2017) HER2 ler Beteiligten. Eine erfolgreiche interprofes- Medienpaket (print und online) des Springer testing in gastric cancer: results of a German expert meeting. J Cancer Res Clin Oncol 143(5):835–841 sionelle Zusammenarbeit wird dabei immer Medizin Verlags, sowie die Möglichkeit, ein 9. Kang YK, Boku N, Satoh T et al (2017) Nivolumab wichtiger. Nur wenn das Fachwissen von den Jahr lang im Fachbeirat des Interprofessio- in patients with advanced gastric or gastro-oeso- verschiedenen Gesundheitsberufen zum Tra- nellen Gesundheitskongresses mitzuwirken. phageal junction cancer refractory to, or intolerant of, at least two previous chemotherapy regimens gen kommt, ist eine erfolgreiche Versorgung Der Preis wird im Rahmen des 7. Interprofes- (ONO-4538-12, ATTRACTION-2): a randomised, zum Wohle des Patienten gewährleistet. Um sionellen Gesundheitskongresses in Dresden double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. die interprofessionelle Zusammenarbeit und verliehen. Der Kongress, der vom Springer Lancet 390(10111):2461–2471 10. Shitara K, Özgüroğlu M, Bang YJ et al (2018) innovative Ansätze zu fördern und zu würdi- Medizin Verlag mit seinen beiden Dachmar- Pembrolizumab versus paclitaxel for previously gen, verleiht der Springer Medizin Verlag mit ken Springer Medizin und Springer Pflege treated, advanced gastric or gastro-oesophageal seinem Fachbereich Springer Pflege erstmals veranstaltet wird, findet am 5. und 6. April junction cancer (KEYNOTE-061): a randomised, open-label, controlled, phase 3 trial. Lancet den Innovationspreis für Interprofessionelle 2019 im Internationalen Congress Center in 392(10142):123–133 Projekte im Gesundheitswesen. Schirmherrin Dresden statt. 11. Le DT, Durham JN, Smith KN et al (2017) Mismatch ist die Ministerin für Soziales und Verbrau- repair deficiency predicts response of solid tumors to PD-1 blockade. Science 357(6349):409–413 cherschutz, Barbara Klepsch. 12. Cancer Genome Atlas Research Network (2014) Kongressorganisation und Anmeldung: Comprehensive molecular characterization of ga- Es können Projekte eingereicht werden, die Andrea Tauchert | Springer Medizin stric adenocarcinoma. Nature 513(7517):202–209 13. Mathiak M, Warneke VS, Behrens HM et al (2017) interprofessionell geplant und umgesetzt Verlag GmbH | tel +49 30 82787-5510 Clinicopathologic characteristics of microsatellite werden. Ein deutlicher Nutzen für die Zusam- instable gastric carcinomas revisited: urgent need menarbeit der verschiedenen Berufsgruppen for standardization. Appl Immunohistochem Mol Morphol 25(1):12–24 im Sinne einer optimierten Patientenver- 14. Kim ST, Cristescu R, Bass AJ et al (2018) Com- sorgung soll hierbei aufgezeigt werden. Die prehensive molecular characterization of clinical Projekte sollten sich entweder in der Umset- responses to PD-1 inhibition in metastatic gastric cancer. Nat Med. https://doi.org/10.1038/s41591- zung befinden oder kurz vor der Umsetzung 018-0101-z stehen. Eine vom Springer Medizin Verlag benannte unabhängige Fachjury bewertet alle Einrei- chungen nach fachlichen Gesichtspunkten anhand der o.g. Projektkriterien. Der Jury gehören Experten aus Politik, Wissenschaft, Forschung und Fachinformation aus Medizin und Pflege an. Ausführliche Informationen zu Bewerbungskriterien und zum Verfahren hier 410 FORUM 6 · 2018
Interview Forum 2018 · 33:411–412 https://doi.org/10.1007/s12312-018-0513-1 Online publiziert: 25. Oktober 2018 „Ich wünsche mir mehr © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 Enthusiasmus und weniger Untergangsszenarien“ Interview mit Prof. Dr. Christof von Kalle zur Zukunft der Krebsmedizin Die Krebsmedizin hat in den vergan- als auch aus zielgerichteten Therapien in Es besteht aus ihrer Sicht also kein Grund, genen Jahren große Fortschritte ge- Kombination mit Immuntherapien. Im sich aufgrund von neuen Krebsmedikamen- macht: Neue Medikamente wirken Moment laufen sehr viele präklinische ten Sorgen um die Finanzierbarkeit des gezielter oder bringen das Immun- Studien und es sind etliche Medikamente deutschen Gesundheitssystems zu machen? system dazu, Tumorzellen anzugrei- in den Pipelines. Insofern gibt es bei mir fen. Wo stehen wir, worin liegen die auch eine gewisse Vorfreude darauf, dass Prof. Dr. Christof von Kalle: Im Moment Hoffnungen für die Zukunft, ist der noch einige Medikamente hinzukommen sehe ich keinen Grund dafür. Selbst wenn Fortschritt finanzierbar und was muss werden und wir auch ganz neue Substanz- sich unsere Aufwände für die Krebsthe- sich ändern, damit neue Chancen ge- gruppen sehen werden, die bisher nur in rapie insgesamt verdoppeln, sind wir im- nutzt werden können? Ein Gespräch der Theorie funktionieren. mer noch bei einer Größenordnung von mit Prof. Dr. Christof von Kalle, Leiter zehn bis zwölf Prozent unserer gesamten der Abteilung „Translationale Onkolo- Die Vorfreude auf zukünftige Möglichkei- Gesundheitsausgaben. gie“ am Deutschen Krebsforschungs- ten wird leider nicht von allen geteilt … zentrum (DKFZ) und am Nationalen Die Ausgaben sind also vertretbar? Centrum für Tumorerkrankungen Prof. Dr. Christof von Kalle: Genau, wenn (NCT) in Heidelberg. ein neues Medikament auf den Markt Prof. Dr. Christof von Kalle: Ja, das ist ver- kommt, diskutiert die Öffentlichkeit nicht tretbar. Wobei das nicht überhöhte Ge- Herr Professor von Kalle, das NCT Heidel- voller Enthusiasmus, dass es das neue Me- winnerwartungen rechtfertigen soll. Na- berg ist ein onkologisches Spitzenzentrum. dikament gibt, sondern es entsteht eine türlich hat es viele Vorarbeiten für die Hier werden Patienten individuell versorgt Diskussion darüber, dass demnächst das Entwicklung neuer Medikamente in aka- und neueste wissenschaftliche Erkenntnisse Gesundheitssystem unbezahlbar wird, demischen Instituten mit öffentlichen für die gezielte Diagnose und Therapie von weil die Behandlung von Krebspatienten Mitteln gegeben – speziell in der Immun- Krebs genutzt. Wo stehen wir derzeit mit so teuer ist. Und daraufhin habe ich mir onkologie ist der Erkenntnisgewinn Blick auf die Behandlungsoptionen? einfach mal die Zahlen angeschaut, was durchaus auch von staatlichen Institutio- wir für die Behandlung von Krebspatien- nen weltweit vorangebracht worden. Prof. Dr. Christof von Kalle: Insgesamt hat ten in Deutschland ausgeben. Ungefähr sich die Krebsmedizin positiver entwi- die Hälfte aller Bürger ist irgendwann im Was würden sie fordern? ckelt, als ich das zu Beginn meines Stu- Leben von einer Krebserkrankung betrof- diums Anfang der 1980er-Jahre erwartet fen, ein Viertel stirbt daran. Im Vergleich Prof. Dr. Christof von Kalle: Ich glaube, hätte. Gerade durch die neuen Medika- dazu geben wir gerade mal ein Fünfzehn- dass wir eine Verbesserung der klinischen mente können wir bei einigen Krebsarten tel unserer Aufwendungen für die Be- Forschung brauchen. Und zwar dahinge- erheblich mehr für die Patienten tun, als handlung von Krebs aus. Diese Rate ist hend, dass wir die Ergebnisse der Thera- das noch vor fünf Jahren der Fall war. über die vergangenen zehn Jahre sehr pien in der ganzen Breite der Versorgung konstant geblieben, wie auch der Anteil erfassen. Dass wir also nicht nur die Da- Worin liegen denn die größten Hoffnungen der Krebsmedikamente an den gesam- ten der Studienpatienten, sondern aller für die Zukunft? Auf den zielgerichteten ten Medikamentenausgaben. Wenn man Patienten dokumentieren. Denn wir ha- Therapien, der Immuntherapie oder einer das noch weiter herunterbricht auf die pa- ben mittlerweile über die individualisier- Kombination aus beidem? tentgeschützten Krebsmedikamente, also ten Therapien ein sehr großes Spektrum ‚die teuren neuen‘, dann ist es sogar nur an durchgeführten Maßnahmen bei einer Prof. Dr. Christof von Kalle: Ich glaube, ein Prozent oder noch weniger unserer sehr großen Zahl von Patienten, und wir es werden Kombinationen sein, sowohl gesamten Gesundheitsaufwendungen in wissen oft nicht, was im Endeffekt dabei aus unterschiedlichen Immuntherapien Deutschland. rauskommt. Am NCT Heidelberg versu- Forum 6 · 2018 411
Interview chen wir zum Beispiel gerade, Patienten- Das NCT Heidelberg ist eine gemein- Korrespondenzadresse daten aus unterschiedlichen Quellen in same Einrichtung des Deutschen Krebs- einem ‚Data Warehouse‘ zu verbinden – forschungszentrums (DKFZ) und des Dr. H.-U. Jelitto alle Datenpunkte zu einem Patienten lie- Universitätsklinikums Heidelberg. Roche Pharma AG gen zeitgleich vor, können durchsucht und h-u.jelitto@roche.de mit den Daten anderer Patienten vergli- Der Beitrag wurde uns freundlicherweise Dr. H.-U. Jelitto ist Presseverantwortlicher der chen werden. Der Vergleich kann dabei von Pfizer Deutschland GmbH, Mitglied Sektion C helfen herauszufinden, welche Therapie in der Sektion C der DKG, zur Verfügung für einen bestimmten Patienten geeignet gestellt. Das Interview führte Frau Dr. Ste- ist. fanie Seltmann, Berlin 412 Forum 6 · 2018
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