Forum Seelsorge in Bayern - Forum Seelsorge in Bayern

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                                 Seelsorge
    Forum Seelsorge in Bayern
                                in Bayern
FSiB-Info 2020
Forum Seelsorge in Bayern - Forum Seelsorge in Bayern
2   FSiB-Info

                                                          Liebe Leserin, lieber Leser,
                                                          was Sie in Händen halten, ist – so könnte
                                                          man sagen – das Produkt einer Konvergenz
                                                          (zu spätlateinisch convergere „sich annähern“,
                                                          „zusammenlaufen“). Das, was das Forum Seel-
                                 Christian Beck           sorge in Bayern beim Seelsorgetag 2019 zum
                                                          Thema hatte, wurde ein halbes Jahr später Re-
                                                          alität.
                                                          Da ist etwas „zusammengelaufen“, was im
                                                          Herbst 2019 noch Zukunftsprognose war,
                                                          und im Frühjahr 2020 schon Gegenwart und
                                                          Wirklichkeit wurde. Davon können Sie auf
                                                          den Seiten 3-10 in der Retrospektive (Rück-
                                                          schau) und auf den Seiten 24-30 in der Pro-
                                                          spektive (Vorausschau) lesen: Wovon Erik
In dieser Ausgabe:                                        Händeler 2019 als Zukunftsaufgabe (Digitale
                                                          Revolution – Chance für das Evangelium) sprach,
03   Die digitale Revolution: Chance für das Evangelium   betrachten Thilo Auers (Seelsorge in der Corona-
06   Etwas mehr Hirn bitte! Jesu Ethik als Chance         Krise) und Christian Beck (Über den Verlauf von
                                                          und den Umgang mit Krisen) 2020 als Heraus-
09   Gewaltfreie Kommunikation und Seelsorge              forderung für Seelsorge und Gesellschaft von
10   Ein Hospiz-Team wird Wirklichkeit                    morgen.
                                                          Dazwischen (S. 11-16) können Sie lesen, wel-
11   Gehörlosenseelsorge
                                                          chen Themen sich das neue Format im „Fo-
12   Resonanz in der Seelsorge                            rum Seelsorge im Gespräch“ 2019 gewidmet
                                                          hat: zum einen der Gehörlosenseelsorge und
17   Wanderausstellung „Himmelsleiter“
                                                          zum anderen dem Thema Resonanz (welche
18   Basiskurs Seelsorge                                  Konvergenz auch hier!).
20   Literaturempfehlungen                                Außerdem erfahren Sie, was geschieht, wenn
                                                          der Himmel sich öffnet (S. 17) und wie Seel-
21   Die Glosse                                           sorge gelernt werden kann (S. 18f.).
22   Der Sprecherrat des FSiB                             Zwei Literaturempfehlungen (S. 20f.), eine
                                                          Kurzvorstellung des Sprecherrats des FSiB (S.
24   Seelsorge in der Corona-Krise
                                                          22f.) und die – wie immer – mit spitzer Zunge
26   Krisenverarbeitung                                   und heißer Nadel gewobene Glosse von Rai-
31   Ökumenisches Seelsorgetreffen                        ner Gollwitzer (S. 21) runden Ihre Lektüre ab.
                                                          Ich wünsche Ihnen, dass Sie so manche Kon-
                                                          vergenzen zwischen unserem FSiB-INFO und
                                                          Ihrem Leben entdecken!
                                                          Ihr Christian Beck
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FSiB-Info   3

Die digitale Revolution:
Eine ungeahnte Chance für das Evangelium
                                                    schen ständig mit anderen über Einzelinteres-
                                                    sen hinweg größere Projekte bearbeiten, gerät
                                                    der Blick auf das Verhalten des Einzelnen in das
                                                    Zentrum der wirtschaftlichen Entwicklung. Da-
                                                    mit bekommt das Evangelium eine neue Chance,
                                                    erzählt, bedacht und umgesetzt zu werden.
                                                    Längst haben die elektronisch gesteuerten Ma-
                                                    schinen die meiste materielle Arbeit übernom-
                                                    men, und Computer leisten die strukturierte
                                                    Wissensverarbeitung wie Gehaltsabrechnung
                                                    oder Robotersteuerung. Was an Beschäftigung
                                                    wächst, ist die Arbeit am Menschen und die Ar-
                                                    beit mit Wissen: planen, organisieren, beraten,
                                                    verstehen was der Kunde meint; unterschiedli-
                                                    che Kompetenzen zusammenzufügen, um ein
Erik Händeler ist Wirtschaftsjournalist             Problem zu lösen.
und Zukunftsforscher.
                                                    Das hat andere Regeln für Produktivität als frü-
Beim Seelsorgetag 2019 hielt der Zukunftsfor-       her an der Stanzmaschine: Umgang mit Wissen
scher und Wirtschaftsjournalist Erik Händeler       ist Umgang mit anderen Menschen, die man
das Hauptreferat zum Thema „Digitale Revolu-        unterschiedlich gerne mag, unterschiedlich gut
tion. Chance für das Evangelium“. Dankbarer-        kennt und mit denen man unterschiedliche be-
weise stellt uns Erik Händeler einen Artikel zu     rechtigte Interessensgegensätze hat. Ihr Zusam-
dieser Thematik zur Verfügung.                      menwirken – oder ihr destruktives Verhalten
Die Digitalisierung verändert die Anfor-                  – bestimmen den Wohlstand: Weniger die
derungen an den Menschen. Gefragt               Eine           Technik als vielmehr die Menschen
                                                                  hinter der Digitalisierung entschei-
sind plötzlich offene Kommunika-
tion, Kooperationsfähigkeit und             neue Arbeits-           den über das Maß an Ressourcen,
eine effiziente Streitkultur. Da-                                    die uns für Soziales, Bildung und
raus ergeben sich unerwartete             und Streitkultur            Infrastruktur bleiben. Wenn
Möglichkeiten für die Kirche.                                         zwei Abteilungsleiter nicht
Das Himmelreich können wir
                                          kann Impulse für            mehr miteinander reden, hilft
uns nicht verdienen. Aber wie                                        keine Technologie.
wir uns gegenüber anderen ver-
                                             die Kirche             Genau hier ist eine neue Wachs-
                                                                  tumsgrenze entstanden: Mei-
halten, das ist vor Gott wichtig: Ob           liefern         nungsverschiedenheiten arten zu
jemand sein Eigeninteresse mit Ellen-
bogen verfolgt, unabhängig von den Bedürf-                Machtkämpfen aus, die bis zur Rente nicht
nissen anderer, sie gar benutzt und ausbeutet; ob   mehr versöhnt werden; Mobbing, Partisanen-
jemand wahrhaftig ist oder den anderen täuscht;     kämpfe, Lügen fressen die innerbetrieblichen
ob jemand die Balance findet zwischen seinen        Ressourcen. Überleben werden am Markt jene
eigenen berechtigten Interessen und dem Allge-      Firmen, in denen Wissensarbeit zu geringeren
meinwohl. Das Leben ist der Zeitabschnitt, in       Kosten geleistet wird. Das geht nur mit bestimm-
dem wir uns in Freiheit für das Gute entscheiden    ten Eigenschaften: offene und ehrliche Kom-
können – was sich erst im Zusammenspiel mit         munikation, flache Hierarchien, Kooperations-
anderen zeigt.                                      fähigkeit, Versöhnungsbereitschaft, sowie eine
Die Bauern des Mittelalters folgten den vorgege-    effiziente Streitkultur. Wissensarbeit benötigt
benen Ackerfurchen und hatten kaum etwas zu         ein Klima, in dem sich der einzelne nach seinen
entscheiden. Die Arbeiter der Industrialisierung    Gaben frei entfalten kann; aber nicht für sich,
vegetierten neben der Maschine dahin. Doch          seine Karriere und seine eigene Kostenstelle,
jetzt in der Wissensgesellschaft, in der die Men-   sondern für das Wohl des Ganzen.
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4   FSiB-Info

           Vom Gruppendruck zum Individualismus                        ten. Böses zu tun gehört zur Freiheit, in die Gott
           Dass die dafür nötige Universalethik zu wenig               uns stellt: Wir sind nicht die Haustiere vom lieben
           verbreitet ist, wundert nicht, wenn man sieht, wo           Gott, die im Käfig „Männchen“ machen müssen,
           wir herkommen: Früher musste sich der Einzelne              um Futter zu bekommen; das Himmelreich ist
           der Gruppe unterordnen, andere Gruppen wurden               keine Zwangshochzeit. Denn Liebe ist nur echt,
           gemeinsam bekämpft – Beispiele sind Nationalso-             wenn sie in Freiheit erwählt wird. Deswegen sitzt
           zialismus, Kommunismus, religiöse Gruppenethi-              da auch kein Gott sichtbar auf der Wolke. Denn
           ken („Wir sind die Rechtgläubigen, die anderen              dann würde kein Finanzhai mehr Schrottpapiere
           können vernichtet werden“). Als solch eine Grup-            verkaufen, kein Internet-Troll würde mehr Hass-
           penethik aber wurde das Christentum in vielen               kommentare schreiben. Ein Gott, der beweisbar
           Jahrhunderten gelehrt und politisch instrumenta-            wäre, wäre nicht Gott, denn er hätte uns damit
           lisiert – so wie heute noch in den meisten Kulturen         die Freiheit genommen, uns in Freiheit dafür zu
                                                                       entscheiden, das Wohl der anderen und der Allge-
                                                                       meinheit als mindestens ebenbürtig zu betrachten.
                                                                       Über den einzelnen hinaus: Universalethik
                                                                       Das ist auch der Sinn des Kreuzes: In Jesus begeg-
                                                                       net Gott den Menschen auf Augenhöhe. Keine En-
                                                                       gelarmee kommt, um Jesus vor der Kreuzigung zu
                                                                       schützen. Der Plan Gottes ist kein sinnloser Op-
                                                                       fertod, sondern dass sich die Menschen zu Gott be-
                                                                       kehren (was die an weltlicher Macht Hängenden
                                                                       nicht tun). Der Mensch bekommt die Freiheit, ihn
                                                                       ans Kreuz zu nageln – Jesus wehrt sich nicht, spielt
                Der digitale Fortschritt erfordert von den Menschen    keine Macht aus, um eben diese Freiheit des Men-
                                                 andere Fähigkeiten.   schen nicht einzuschränken. Doch nicht Freiheit
                                                                       an sich ist das Ziel, sondern die Gemeinschaft mit
           auf diesem Planeten. Wertevermittlung glich eher            Gott für jene, die über ihre Gruppe und sich selbst
           einer Dressur als eigener Reflexion.                        hinaus das Wohl aller suchen – das ist die Definiti-
                                                                       on von Universalethik. Auch Agnostiker, Atheisten
           Mit Auto, Computer und stark gewachsenem
                                                                       oder Andersgläubige können sich für Universal-
           Wohlstand war es nun möglich, die unberechtig-
                                                                       ethik entscheiden, ausgelöst durch die praktische
           ten Fesseln von Religion, Nationalismus und fa-
                                                                       Herausforderung des Alltags, aus eigener Einsicht
           miliärem Druck abzuschütteln. Wenn einem die
                                                                       – das entspricht einem anonymen Christentum.
           Predigten am Ort nicht gefielen, konnte man nun
                                                                       Denn nicht der, der „Herr, Herr“ sagt, kommt in
           mit dem VW-Käfer zwei Dörfer weiter fahren –
                                                                       das Himmelreich, sondern „wer den Willen des
           Technik und Wirtschaft sind der Grund, warum
                                                                       Vaters“ tut. Scheint doch auch das Gericht, von
           sich Kirche und Glauben so ausdifferenziert ha-
                                                                       dem Jesus immer wieder spricht, eher ein Richten
           ben. Je komplexer die Arbeitswelt wurde, umso
                                                                       des Tuns zu sein, das den inneren Bezugsrahmen
           mehr musste sich ein Fachmann auch gegen an-
                                                                       offenlegt, als der Gruppenzugehörigkeit.
           dere Meinungen im Team mit seinen Argumenten
           behaupten – Individualismus war eine Voraus-                Vor Gott ist wichtig: Wofür hast Du Deine Freiheit
           setzung für eine produktivere Gesellschaft. Doch            genutzt? Erst jetzt im Berufsalltag der Wissensge-
           Individualismus kann auch destruktiv sein: „Ich             sellschaft hat der Mensch die Möglichkeit, jeden
           mache, was ich will, was mir guttut, und verfol-            Tag sein Gewissen zu prüfen, ob er sich egoistisch
           ge meine Interessen“ – in der Spitze entsteht ein           verhält oder auch das Allgemeinwohl verfolgt. In-
           Egoismus, der sich auch auf Kosten anderer berei-           dividualismus reicht in der digitalen Wissensgesell-
           chert, dem das Allgemeinwohl egal ist, für den nur          schaft nicht mehr aus für wirtschaftlichen Wohl-
           die eigene subjektive Wahrnehmung zählt.                    stand. Zur produktiven Zusammenarbeit gehört
                                                                       Respekt vor den berechtigten Interessen der an-
           Wenn konservative Kirchenleute meinen, der In-
                                                                       deren. Jetzt kann sich keiner mehr in sein eigenes
           dividualismus sei schuld, dass die Kirchen so leer
                                                                       Büro zurückziehen, weil sich alle der Frage stellen
           geworden sind, dann irren sie: Er ist ein nötiger
                                                                       müssen: Bauen wir die Maschine – ja oder nein?
           Entwicklungsschritt auf dem Weg zur Gottes- und
                                                                       Und wenn ja, mit welchem Argument? Schon das
           Nächstenliebe. Denn nur wer eigenständig reflek-
                                                                       Entwickeln gemeinsamer Regeln birgt jede Menge
           tiert, hat auch belastbare Werte für sein Verhal-
                                                                       Konfliktstoff, noch bevor überhaupt geschäftliche
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Entscheidungen getroffen wurden. Die Menschen             rer Vision für die ganze Kirche zu stehen. Die in-
bringen ihre Wertvorstellungen mit in die Firma;          dividuelle Ausdifferenzierung in der Gesellschaft
nach ihren Maßstäben gehen sie ihre Konflikte an          ist an einem maximalen Punkt angekommen, so
– aus wirtschaftlichen Gründen kommen religiö-            dass längst wieder überindividuelle Ziele und ko-
se oder weltanschauliche Reibungen in die Mitte           operative Verhaltensweisen zunehmen werden,
der Gesellschaft. Menschen können stinkfreund-            um den Alltag besser bewältigen zu können. Die
lich sein – aber erst, wenn man mit ihnen streitet,       nächste Generation ist unideologisch und pragma-
offenbart sich ihr wahrer Charakter. Der nächste          tisch. Eine Vision von Kirche über alle Richtungen
Entwicklungsschritt ist ein kooperativer Individu-        hinweg zu schaffen, das bekommt durch die wirt-
alismus, wo der einzelne sich nach seinen Gaben           schaftlichen Verluste schlechter Zusammenarbeit
entfaltet, sie aber zum Wohl aller einbringt. Die         im digitalen Zeitalter eine neue Chance – wenn
Herausforderung im Berufsalltag heißt „Liebe Dei-         die Streitkultur auf dem Weg dorthin stimmt. In
nen Nächsten wie Dich selbst“. Ist das nicht das,         den künftigen Gemeinden werden Laien ihre un-
wo Gott uns haben wollte? Kaum sind gerade mal            terschiedlichen Begabungen einbringen, bekommt
2.000 Jahre Kirchengeschichte vorbei, gerät das,          das Zusammenwirken in den größeren Pastoral-
was das Evangelium ausmacht, in das Zentrum der           teams und mit den vielen Ehrenamtlichen eine
sozioökonomischen Entwicklung.                            neue Qualität. Jede Diskussion verändert, lässt
Das gilt auch für die Institution: Eine neue inner-       uns gegenseitig besser kennenlernen und zusam-
kirchliche Streitkultur wird zum entscheidenden           menwachsen. Wir brauchen eine Theologie des
Prüfstein für die christliche Botschaft. Sie kann         Streitens als Weg zu Gott: Nicht Nicht-Streiten ist
ausstrahlen in den Alltag der Firmen und danach           Frieden, sondern Spannungen offenzulegen und
in die Konfliktkultur von Familien (was den Anteil        sie einvernehmlich auszutragen: Sich auseinan-
an Scheidungen wieder senken, die Familienqua-            derzusetzen ist der Weg zum Frieden. Streiten ist
lität steigern und die Geburtenrate auf ein ausge-        besser, als gar nicht miteinander zu reden – wenn
glichenes Niveau erhöhen könnte). Und genau das           der Streit die Gemeinschaft festigt. Mit einer in-
scheint das Ziel Gottes zu sein: Jesus kam nicht, um      nerkirchlichen Streitkultur, die das gegenseitige
„den Frieden zu bringen“, sondern das „Schwert“           Absprechen konstruktiv angeht, gelingt ein neuer
(Mt 10,34). Auf jeder Seite des Evangeliums knallt        Aufbruch für das Evangelium in die Gesellschaft
und knistert es. Ob in Kirchengemeinde, Beruf             hinein.
oder als ganze Gesellschaft: Wir müssen lernen,           Erik Händeler
uns mit offenem Visier auseinanderzusetzen, und
zwar nach redlichen Methoden und dabei über die           Buchtipp
eigenen, berechtigten Interessen hinaus das Allge-        Erik Händeler: Himmel 4.0. Wie die digitale Revo-
meinwohl verfolgen.                                       lution zur Chance für das Evangelium wird, Verlag
Die Streitkultur ist der Schlüssel für die meisten        Brendow 2018 (2. Auflage), 112 Seiten, ISBN: 978-
innerkirchlichen Probleme: Keiner theologischen           3-96140-022-5, 10 Euro.
oder spirituellen Richtung ist es gelungen, mit ih-

Eine neue innerkirchliche Streitkultur wird zum entscheidenden Prüfstein für die christliche Botschaft,
schreibt Erik Händeler (Symbolbild).
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6   FSiB-Info

                Etwas mehr Hirn bitte!
                Workshop beim Seelsorgetag 2019
                Wie das Evangelium zur Chance einer neuen Kultur des Miteinanders wird
                Mit folgenden Worten war der Workshop in der
                Einladung zum Seelsorgetag beschrieben worden:
                Wenn die Hirnforschung und gar die Wirt-
                schaftswissenschaften Jesus von Nazareth als
                Vordenker „ihrer“ Sache entdecken, dann spä-
                testens müssen Seelsorger*innen aufwachen
                und diesen Jesus neu entdecken und „seine“ Sa-
                che zur gemeinsamen Sache aller Querdenker
                machen.
                Der Workshop griff direkt die Anliegen des vo-
                rausgehenden Vortrags „Digitale Revolution.
                Chance für das Evangelium“ von Erik Händeler
                auf, in dem er eine Universalethik forderte, die       Welt? Welche Übereinstimmungen seiner
                sich an dem ausrichtet, was im Evangelium steht.       Ethik sehen Sie zur heutigen Welt?
                Nach einer Hinführung zum Thema durch das           Auswahl der Ergebnisse zu Arbeitsauftrag 2:
                eingespielte Lied „Wer Jesus folgt, führt kein
                bequemes Leben“ kam es zu einem ersten Aus-         Mk 4,38 („Er … schlief.“); 6,31 („Kommt mit an
                tausch anhand von folgenden Fragen: Nehmen          einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht
                wir heute Jesus und das, was er wollte, überhaupt   ein wenig aus.“); 6,10 („Bleibt in dem Haus, in
                ernst? Halten wir Jesu Ethik für nicht zu ver-      dem ihr einkehrt, bis ihr den Ort wieder ver-
                wirklichen? Was aus Jesu Ethik erkennen wir in      lasst.“): Ruhe
                unserer heutigen Gesellschaft wieder? Jesus, der    Mk 5,17 („Darauf baten die Leute Jesus, ihr
                Vordenker der Moderne? Jesus, der große Visio-      Gebiet zu verlassen.“); 5,24 („Da ging Jesus mit
                när einer glanzvollen Zukunft der Menschheit?       ihm.“); 5,41 („Er fasste das Kind an der Hand …“);
                Der Leiter des Workshops, Christian Beck, hatte     7,33 („Er nahm ihn beiseite, von der Menge weg
                dann für eine vertiefte Beschäftigung mit dem       …“): Distanz und Nähe
                Thema Textfragmente aus dem Markus-Evan-            Mk 5,34 („… dein Glaube hat dir geholfen.“); 6,50
                gelium ausgesucht (einzelne Wörter, Phrasen,        „Habt Vertrauen …“): Was hilft?
                Sätze, Passagen …). Die Workshop-Teilnehmer         Mk 5,43 („… dann sagte er, man solle dem Mäd-
                waren aufgefordert, in Kleingruppen ihre spon-      chen etwas zu essen geben.“); 6,37 („Gebt ihr ih-
                tanen Assoziationen zu einzelnen dieser Text-       nen zu essen!“); 6,41 („… sprach den Lobpreis,
                stellen in Bezug auf ihre Arbeit in der Seelsorge   brach die Brote und gab sie den Jüngern …“):
                festzuhalten. Hier die Arbeitsaufträge:             Leib-Sorge
                1. Lesen Sie gemeinsam die Zitate durch. Wenn       Mk 6,3 („Und sie nahmen Anstoß an ihm und
                   Ihnen der Zusammenhang fehlt, schauen Sie        lehnten ihn ab.“); 6,4-5 („Da sagte Jesus zu ihnen:
                   im Markus-Evangelium nach.                       Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie
                2. Leiten Sie aus jedem Zitat einen ethischen       in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in
                   Grundsatz für heute ab! Suchen Sie dabei         seiner Familie. Und er konnte dort keine Wun-
                   nach kreativen Lösungen. Schreiben Sie diese     der tun …“); 7,27 („Lasst zuerst die Kinder satt
                   plakativ auf.                                    werden; denn es ist nicht recht, das Brot den Kin-
                3. Formulieren Sie, ausgehend von Ihren krea-       dern wegzunehmen und den Hunden vorzuwer-
                   tiven Lösungen, fünf (oder mehr) Grundhal-       fen.“): Provokation
                   tungen eines Seelsorgers/einer Seelsorgerin!     Mk 6,13 („Sie trieben viele Dämonen aus und
                   Schreiben Sie jede Grundhaltung auf ein          salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie.“); 7,34
                   eigenes Blatt.                                   („… danach blickte er zum Himmel auf, seufzte
                4. Wie würden Sie eine Ethik Jesu für unsere        und sagte zu dem Taubstummen: Effata!, das
                   heutige Zeit charakterisieren? Welche Ak-        heißt: Öffne dich!“): Aufruf zum Heil-Handeln
                   zente setzt Jesus im Unterschied zur heutigen    Mk 7,8 („Ihr gebt Gottes Gebot preis und hal-
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tet euch an die Überlieferung der Menschen.“);         begeben uns auf die selbe Höhe wie der Hilfe Su-
8,15 („Gebt Acht, hütet euch vor dem Sauerteig         chende.
der Pharisäer und dem Sauerteig des Herodes!“):        Mk 10,21 („Geh, verkaufe, was du hast, gib das
Gottes Wort kontra Menschen-Wort                       Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden
Mk 7,15 („Nichts, was von außen in den Men-            Schatz im Himmel haben; dann komm und folge
schen hineinkommt, kann ihn unrein machen,             mir nach!“); 23 („Wie schwer ist es für Menschen
sondern was aus dem Menschen herauskommt,              die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kom-
das macht ihn unrein.“); 7,21-23 („Denn von            men!“); 25 („Eher geht ein Kamel durch ein Na-
innen, aus dem Herzen der Menschen, kom-               delöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes
men die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl,            gelangt.“): Ermutigen, Ballast abzuwerfen.
Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist,          Mk 10,27 („… für Gott ist alles möglich.“); 10,52
Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut              („Geh! Dein Glaube hat dir geholfen.“): Urver-
und Unvernunft. All dieses Böse kommt von              trauen bestärken.
innen und macht den Menschen unrein.“); 6,13           Mk 10,51 („… Jesus fragte ihn: Was soll ich dir
(„Sie trieben viele Dämonen aus und salbten vie-       tun?“): Vertrauen aufbauen um zur Auftragsklä-
le Kranke mit Öl und heilten sie.“): Angewiesen        rung vorzustoßen.
sein auf Rettung.
                                                       Voten zum Arbeitsauftrag 3:
Mk 8,23 („Er nahm den Blinden bei der Hand,
führte ihn vor das Dorf hinaus, bestrich seine         - Seelsorge muss reflektiert werden
Augen mit Speichel, legte ihm die Hände auf und        - Ein Seelsorger reflektiert sein eigenes Sein
fragte ihn: Siehst du etwas?“): Überprüfe dein         - Empathie
Handeln (Qualitätskontrolle); Gib dem Men-             - Distanz und Nähe (Grundhaltung)
schen seine Würde zurück, indem du ihn an-             - Ruhe
nimmst (vom Objekt zum Subjekt).                       - Gefestigt sein
Mk 8,25 („Da legte er ihm nochmals die Hände
auf die Augen …“): Schließe den Qualitätskreis.
Mk 8,27 („Für wen halten mich die Menschen?“)
+ 8,31 („Dann begann er, sie darüber zu beleh-
ren, der Menschensohn müsse vieles erleiden
und von den Ältesten, den Hohenpriestern und
den Schriftgelehrten verworfen werden; er wer-
de getötet, aber nach drei Tagen werde er aufer-
stehen.“): Wahrhaftig sein über das eigene Sein
(mehr Schein als Sein).
Mk 8,37 („Um welchen Preis könnte ein Mensch
sein Leben zurück-kaufen?“): Lüge dir die Welt
nicht zurecht (was befähigt mich dazu).                Spannend war dann der Austausch darüber, was
Mk 8,34 („Wer mein Jünger sein will, der ver-          hinter diesen Voten an ethischen Grundauffas-
leugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und      sungen stand. Alle waren sich einig, dass das gro-
folge mir nach.“): Sei wer du bist und trage für       ße Thema einer Ethik Jesu für unsere Gesellschaft
dich Verantwortung (Kreuz).                            von heute nur angerissen werden konnte. Eine
Mk 8,38 („Denn wer sich vor dieser treulosen und       weiterführende Vertiefung lohnt sich aber, um
sündigen Generation meiner und meiner Worte            das Profil von Seelsorge und Seelsorger*innen
schämt, dessen wird sich auch der Menschen-            für die Zukunft zu schärfen.
sohn schämen …“): Zu sich selbst und zu seinem         Abschließend als Zusammenfassung ein Zi-
Glauben stehen (Scham wieder zulassen).                tat aus Christian Beck, Eucharistie, aber wie?
Mk 9,7 („Das ist mein geliebter Sohn; auf ihn          Abendmahl heute feiern, Fromm Verlag, Beau
sollt ihr hören.“): Wenn du Christus als meinen        Bassin (Mauritius) 2018, S. 83f.:
Sohn anerkennst, dann wirst du auf ihn hören.          Jesu Ethik begründet sich nicht im direkten Hin-
Mk 10,43-44 („… wer bei euch groß sein will, der       weis auf die Gottesherrschaft. Jesus lehrt keine
soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste      »Interimsethik«. Aber seine Forderungen kön-
sein will, soll der Sklave aller sein.“): Demut. Wir   nen von der Ankündigung des nahen Gottes-
                                                       reichs her verstanden werden.
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8   FSiB-Info

                Angesichts der Nähe Gottes ist der Mensch ge-          Dazu gehört in der Perspektive Jesu auch der
                fordert, alle bisherigen Maßstäbe seines Han-          Verzicht auf das eigene Recht (Lk 6,37f.), das Er-
                delns zu überprüfen bzw. aufzugeben. Die bis-          tragen von Benachteiligung (Lk 6,29) bis hin zu
                lang geltenden Normen werden durch die Nähe            einem innovatorischen Handeln, das im Verlas-
                der Basileia (= Königsherrschaft Gottes; Anmer-        sen der normalen Verhaltensweisen neue Wege
                kung der Redaktion) aufgehoben und selbst die          wagt, damit Brüche, Feindschaften und Un-
                Weisungen der Tora ihr unterworfen. In die Ba-         gerechtigkeiten überwunden werden können.
                sileia gelangt man nach anderen Kriterien: vgl.        Mt 5,23: „Wenn du deine Opfergabe zum Altar
                die Maßstäbe, die Jesu Gebot der Feindesliebe Q        bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder
                6,27-36, die Schalksknechtsparabel Mt 18,23ff.         etwas gegen dich hat, so lasse deine Gabe dort
                oder die Erzählung vom barmherzigen Samari-            vor dem Altar; geh und versöhne dich zuerst mit
                ter Lk 10,30-37 setzen.                                deinem Bruder, dann komm und opfere deine
                Aus dem Bekenntnis zur Gottesherrschaft muss           Gabe.“ Wohlgemerkt heißt es nicht „wenn du et-
                die Tat erwachsen (Q 6,46). Jesu Handeln, seine        was gegen deinen Bruder hast“, sondern „wenn
                Solidarität mit den Randständigen der Gesell-          dein Bruder etwas gegen dich hat“.
                schaft, ist mehr als symbolisches Basileia-Han-        Auch bei eigener Schuldlosigkeit ist innovato-
                deln, es ist die Basileia selbst, weil darin die von   risches Handeln geboten, denn nur das Opfer
                Gott initiierte neue Praxis (einander vergeben,        kann dem Täter für seine Verfehlung verzeihen,
                Überwindung der Verstrickungen in Feind-               der Täter kann sich nur entschuldigen. Mt 3,43-
                schaft, Zuwendung zu den Asozialen und den             47: Die Feindesliebe ist die konsequent letzte
                Verbrechern, Herrschaftsverzicht) zur Norm             Folge der Überwindung des Gegensatzdenkens
                und Grundoption allen Denkens und Handelns             Hierarchisierung: oben – unten; Polarisierung:
                wird. Denn: Basileia ist Begriff des sich im Men-      Freund – Feind; Denunzierung: Erfolg – Miss-
                schen offenbarenden Willens Gottes.                    erfolg etc.
                Was daraus an Praxis folgt, nennen wir prakti-         Christian Beck
                sche christliche Ethik. Diese erschöpft sich nicht
                im üblichen humanen Umgang miteinander,                Kath. Theologe, Klinikseelsorger,
                sondern verlangt nach einer neuen Art von Be-          Therapeutischer Krisenseelsorger
                ziehung untereinander.
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Anstöße aus der gewaltfreien
Kommunikation für die Seelsorge
Beim Seelsorgetag 2019 leitete Markus Merz den     aufmunternden Zuspruchs am Krankenbett, ei-
Workshop „Anstöße aus der gewaltfreien Kom-        ner dargebotenen Hilfestellung, dem ungebete-
munikation für die Seelsorge“. Markus Merz ist     nen Erzählen der eigenen Geschichte oder dem
evangelischer Gemeindepfarrer in Bad Aibling,      Durchleben von Sympathie am Krankenbett
Supervisor DGfP und zugleich Trainer für Ge-       konkret verstehen. Damit steht dem Ansatz der
waltfreie Kommunikation (cnvc). Im Workshop        Gewaltfreien Kommunikation ein spielerischer
ging es im Besonderen um das Empathisches          Werkzeugkoffer zur Verfügung, der die Seelsor-
Hören am Krankenbett.                              ge im kirchlichen Raum nur bereichern kann.
Die besondere Stärke der Gewaltfreien Kom-         In ihrer Grundhaltung unterscheidet sich diese
munikation ist das Verständnis der Bedürfnisse.    durch Marshall Rosenberg begründete Kommu-
Äußerungen des Gesprächsgegenübers werden          nikation ausdrücklich nicht von dem Klinischen
als Strategien verstanden, die auf die dahinter    Seelsorgeansatz. Im Gegenteil: Das Verbindende
liegenden Bedürfnisse hin zu verstehen oder        ist das Verständnis von Empathie als ein wech-
auch anzusprechen sind. Das zutreffende Nen-       selseitiges Geschehen, das in seiner Konsequenz
nen des Bedürfnisses kann zum Schlüssel dazu       kein Subjekt und kein Objekt kennt, sondern al-
werden, dass das Gespräch an Tiefe gewinnt.        lein den Raum der Präsenz.
Mit der Brille der Gewaltfreien Kommunika-         Kontakt Markus Merz:
tion lassen sich die irritierenden Grenzen eines   markus.merz@elkb.de
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10   FSiB-Info

                            Wenn Visionen
                            wahr werden –
                         Ein Team entsteht
             Zum Seelsorgetag am 13.11.2019 in Nürnberg
             durfte ich im Rahmen eines Workshops über
             die Entwicklung eines neuen Teams im Caritas
             Hospiz Lebensraum, Coburg berichten.
             Die Idee war, die Teilnehmer mit auf eine Reise     Keiner hatte Erfahrungen aus einem stationä-
             zu nehmen, die im Hospiz gerade unternommen         ren Hospiz, alle sind mit gleichen Vorausset-
             wurde.                                              zungen gestartet. Die Vision „Ein Hospiz für
             Das Interesse war groß zu erfahren, wie man ein     Coburg“ hat sich bewahrheitet und die Idee, ein
             neues Team zusammenstellt, welche Ideen und         stabiles Team zu installieren, war erfolgreich.
             Visionen zum Tragen kamen und wie der Weg           Im November 2019 bestand das Caritas Hospiz
             gestaltet wurde. Denn letztlich hat jeder Mitar-    Lebensraum bereits ein Jahr und allen Befürch-
             beitende einen neuen Pfad betreten.                 tungen zum Trotz, hat bis dahin noch kein Mit-
             Die Kernaufgabe im Hospiz ist, den schwer           arbeitender für sich festgestellt, dass die Aufgabe
             kranken und sterbenden Menschen auf dem             zu groß, die Belastung zu hoch oder die Vorstel-
                                                                 lungen zu unterschiedlich waren.
                                                                 Warum konnte das so gut gelingen?
                                                                 Ich glaube, neben der Auswahl an geeigneten
                                                                 Mitarbeitenden, war die gemeinsame Gestal-
                                                                 tung der Organisation und Entwicklung von
                                                                 Abläufen der Schlüssel zum Erfolg. Jeder Ein-
                                                                 zelne hat sich eingebracht und aktiv mitgestaltet,
                                                                 was zum Ergebnis hat, dass das Hospiz in der
                                                                 Gesellschaft bekannt und akzeptiert ist und dass
                                                                 die Kernaufgabe, schwer kranke Menschen und
                                                                 ihre Angehörigen zu begleiten und zu unterstüt-
                                                                 zen, mit Erfolg wahrgenommen wird.
                                                                 Nur weil alle offen sind, weil alle bewusst die
                                                                 Aufgabe übernommen haben, weil alle mit-
             letzten Weg zur Seite zu stehen, Unterstützung      gestalten konnten und weil alle trotz häufiger
             anzubieten und dabei auch deren Angehöri-           Traurigkeit das Wichtige sehen, ist das Caritas
             ge nicht zu vergessen. Eine Aufgabe, wie man        Hospiz Lebensraum heute das, was es sein sollte,
             meinen darf, die von den Mitarbeitenden eine        nämlich ein „Lebensraum“.
             gewisse Bodenständigkeit und Wahrhaftigkeit
             abverlangt. Im Hospiz werden in sehr kurzen         Simone Lahl
             Zeitabständen schwer kranke Menschen und            Leiterin des Caritas Hospiz Lebensraum,
             deren Angehörige willkommen geheißen, aber          Coburg
             ebenso schnell müssen die Mitarbeitenden auch
             wieder Abschied nehmen. Wie Menschen sich
             freiwillig einer solchen Herausforderung stel-
             len und warum sich die Mitarbeitenden für eine
             Tätigkeit im Hospiz entschieden haben, wurde
             ebenso thematisiert, wie die Fragestellungen und
             Befürchtungen, die alle Mitarbeitenden mit sich
             getragen haben.
             Menschen aus der Pflege, der Verwaltung, der
             Sozialen Arbeit sowie der Hauswirtschaft haben
             sich auf den Weg gemacht, ein im Jahr 2018 fer-
             tig gestelltes neues Gebäude mit Leben zu füllen.
FSiB-Info   11

Trotzdem in Kontakt
Gehörlosenseelsorge in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern

Kirchenrätin Cornelia Wolf, die Landeskirch-       Wir bieten an
liche Beauftragte der Evang.-Luth. Kirche in       • Gebärdensprach-Schnupperkurse für hörende
Bayern für Gehörlosenseelsorge, war zu Gast          Gemeinden
bei Forum Seelsorge im Gespräch am Dienstag,
                                                   • Intensiv-Gebärdensprachkurse für haupt-
28.1.2020. Das Thema: Trotzdem in Kontakt. Vom
                                                     amtliche Mitarbeitende in Gemeinden,
Umgang mit Barrieren bei hörgeschädigten Men-
                                                     Kindergärten, Krankenhäusern
schen.
                                                   • Das Umsetzen einer barrierearmen Home-
Die Gehörlosenseelsorge in der ELKB hat ihre
                                                     page
Geschäftsstelle in Nürnberg und beschäftigt
gehörlose und hörende Mitarbeitende. Unsere        • Unterstützung bei Gottesdiensten und Kasua-
vorrangige Aufgabe ist, gehörlosen Menschen in       lien mit gehörlosen Menschen
der Deutschen Gebärdensprache eine barriere-       • Vermitteln von Gebärdensprachdolmetschern
freie Teilhabe am kirchlichen Leben zu ermög-      • Vermittlung von gebärdensprachlich kom-
lichen.                                              petenten Menschen, die Sozialberatung oder
Die Gebärdensprachliche Kirchengemeinde ist          Besuchsdienst oder Hospizbegleitung oder
seit 2017 bayernweite Kirchengemeinde. Ge-           Seelsorge anbieten können
meinsam mit dem Kirchenvorstand sorgen             Cornelia Wolf
zwölf gehörlose und hörende hauptamtliche und
                                                   Evang. Pfarrerin
viele ehrenamtliche Mitarbeitende für ein leben-
diges Gemeindeleben in den 17 Gemeindeteilen.

Kontakt: Evang-Luth. Gehörlosenseelsorge | Egidienplatz 33 | 90403 Nürnberg
Tel.: 0911 / 2141301 | E-Mail: buero@egg-bayern.de | Homepage: www.egg-bayern.de

      Gehörlose bei einer Gemeindefreizeit 2019
12   FSiB-Info

             Resonanz in der Seelsorge
             Hartmut Rosas „Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung“
             und ihre Bedeutung für die Seelsorge
             Pfarrerin Barbara Hauck, die Leiterin von „Of-        ständig wachsen, sich optimieren, beschleunigen,
             fene Tür“ – Cityseelsorge an St. Jakob, Nürnberg,     damit sie so bleiben kann, wie sie ist. Daraus
             war zu Gast bei Forum Seelsorge im Gespräch am        resultiert Frustration: egal, wie ich mich in die-
             Dienstag, 16.7.19. Das Thema: Wenn Beschleuni-        sem Jahr steigere, nächstens Jahr muss ich mich
             gung das Problem ist, ist dann Resonanz die Lösung?   noch mehr steigern. Antriebsmoment dafür ist
             Impulse für eine Seelsorge in Beziehung zur Welt.     die Angst. Wir können nie sagen „es ist genug“,
             Resonanz als Weltbeziehung                            weil „genug“ Zurückrutschen bedeutet. Dazu
                                                                   kommt das Versprechen der „Weltreichweiten-
             Resonanz ist eine musikalische Metapher. Sie er-      vergrößerung“. Sie ist nach Rosa das treibende
             eignet sich auf vielen Ebenen: Im Klang-Körper        Motiv der Moderne überhaupt: es steckt hinter
             selbst, zwischen zwei Instrumenten, zwischen          Kolumbus‘ Aufbruch, Kopernikus‘ Ausgreifen
             Spielenden, zwischen Raum und Musizierenden,          ins Weltall und Freuds Erforschung des Unbe-
             als Sinn und innere Bilder, die mit dem Gehörten      wussten. Wir erleben es aber heute auch als ganz
             verbunden werden. Rosa fragt als Soziologe: Er        selbstverständliche Möglichkeiten: Wohlstand
             versucht, Beschreibungen und Deutungen dafür          und Transporttechnik erhöhen die touristische
             zu finden, wie wir in der Welt leben, wie wir in      Reichweite, Digitalisierung und Medialisierung
             Beziehung sind zu dem, was uns umgibt.                die kommunikative Reichweite … (521)1.

             Wir nehmen die Welt um uns herum auf vielen           Rosa ist der Überzeugung, dass die Qualität des
             Ebenen wahr: leiblich, psychisch, räumlich, zeit-     menschlichen Lebens und der sozialen Verhält-
             lich, sozial … Aus diesen vielfältigen Resonanz-      nisse nicht einfach an den Möglichkeiten und
             beziehung geht das Subjekt („Ich“) erst hervor        Ressourcen gemessen werden kann, die zur Ver-
             (vgl. vorgeburtliche Erfahrungen; die frühen          fügung stehen. Ob Weltbeziehung als gelingend
             Bindungserfahrungen; das sich in den Augen der        oder misslingend erlebt wird, hängt am Grad der
             Mutter spiegelnde Kleinkind ...). Das bedeutet:       Verbundenheit mit und der Offenheit für andere
             Die Welt, auf die wir bezogen sind, ist immer         Menschen und Dinge.
             schon Ergebnis von Wechselwirkungen. „Bera-
                                                                   Die Kehrseite dieser Weltbeziehung: Ent-
             tung“ z.B. ist gemeinsame Arbeit an der Welt-
                                                                   fremdung
             beziehung, „Seelsorge“ ist, so könnte man sagen,
             gemeinsame Arbeit an der Welt-, Gottes- und           Diese Weltbeziehung, die geprägt ist durch im-
             Selbstbeziehung.                                      mer weiteres Zugreifen auf Welt, ist aber auch
                                                                   begleitet von einer Grundangst, dass genau diese
             Wodurch ist unsere Weltbeziehung ge-                  Art der Beziehung zu einer immer stärkeren Be-
             prägt? „Was treibt uns?“
             Die westliche Gesellschaft kann sich nach Rosas       1 Alle Seitenzahlen in Klammern beziehen sich auf Hart-
             Auffassung nur dynamisch stabilisieren, sie muss      mut Rosa, Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung,
                                                                   2018
FSiB-Info   13

ziehungslosigkeit führt und „ein beziehungslo-      Resonanz als Gegenentwurf
ses, unverbundenes Atom in einer schweigenden,      Für Hartmut Rosa ist Resonanz der Gegenbe-
stummen oder feindlichen Welt zu sein“ (522).       griff zur Entfremdung: In Beziehung treten mit
Diese Entfremdung ist für Rosa „eine Form der       einem als lebendig erfahrenen Gegenüber. Zu-
Welterfahrung, in der das Subjekt den eigenen       gleich besteht er aber auf der Dialektik zwischen
Körper, die eigenen Gefühle, die dingliche und      Resonanz und Entfremdung …
natürliche Umwelt oder aber die sozialen Inter-
aktionskontexte als äußerlich, unverbunden und
nichtresponsiv beziehungsweise als stumm er-
fährt.“ (306) Die Welt, die wir erreichbar machen
wollen, wird unlesbar, weicht zurück.
Der Zustand der Depression / des Burnout ist
eine radikale Form der Entfremdung. „Depres-
sive und Burnoutkranke machen die Erfahrung,
dass die Welt ihnen flach, stumm, kalt und leer
erscheint … – zugleich aber verlieren sie die
Fähigkeit, sich emotional auf die Welt, auf die
Dinge und Menschen und auf die Zukunft zuzu-        Denn es geht nicht darum, Entfremdung durch
bewegen, so dass ihnen die Zeit als eingefroren     Resonanz zu ersetzen, sondern inmitten aller
erscheint. Auch zwischen Vergangenheit, Ge-         Entfremdungserfahrungen immer wieder zu
genwart und Zukunft existiert keine Beziehung       spüren, dass auch Resonanzbeziehungen mög-
mehr. Weil sie darüber hinaus auch die Reso-        lich sind.
nanzbeziehung zu ihrem eigenen Körper und zu
                                                    Resonanz ist ein Beziehungsmodus, welcher die
ihren Gefühlen einbüßen, empfinden sie auch
                                                    Welt / ein bestimmtes Weltsegment als „antwor-
sich selbst als bleich, tot, kalt und leer. (308)
                                                    tend“ erfährt. (Vgl. Buber: die Welt ist nur erfahr-
                                                    bar / existent in Beziehung: der Mensch wird
                                                    erst am Du zum Ich.). Dass wirklich etwas ins
                                                    Schwingen kommt, lässt sich nicht produzieren
                                                    oder „herstellen“. Resonanz ist nach Rosa nur
                                                    möglich in Bezug auf einen Weltausschnitt, der
                                                    mit eigener Stimme spricht, der also auch etwas
                                                    Unverfügbares und Widersprüchliches hat.
                                                    Resonanzfähigkeit setzt die Erfahrung mit etwas
                                                    Fremdem, Nichtverfügbarem voraus, mit dem
                                                    sich ein dialogischer Prozess entwickeln kann.
                                                    „Resonanz ist das (momenthafte) Aufscheinen,
                                                    das Aufleuchten einer Verbindung zu einer
                                                    Quelle starker Wertungen in einer überwiegend
                                                    schweigenden oder auch repulsiven Welt.“ (317)
                                                    Deshalb sind Momente intensiver Resonanzer-
                                                    fahrung (der Sonnenuntergang, die betörende
                                                    Musik, das Verliebtsein) stets auch erfüllt von
                                                    einem starken Moment der Sehnsucht: Sie ber-
                                                    gen das Versprechen auf eine andere Form der
                                                    Weltbeziehung … Sie vermitteln die Ahnung
                                                    von einer tiefen Verbundenheit; aber sie beseiti-
                                                    gen nicht die dazwischen liegenden Formen der
                                                    Fremdheit und der Unverfügbarkeit. (317)
                                                    Resonanz bedeutet, dass ich von etwas berührt
                                                    werde und die Erfahrung mache, dass ich die-
                                                    ses andere erreichen kann. Diese Erfahrung
                                                    bezeichnet Rosa als „Selbstwirksamkeit“. Es ist
                                                    möglich, die Dinge oder ein Gegenüber durch
14   FSiB-Info

             das Einsetzen von Zeit, Aufmerksamkeit, Libi-        Resonanzdrähte: Freunde bringen uns als Zeu-
             do oder Energie zu bewegen, zu gestalten und zu      gen unseres Lebens in Verbindung mit unserer
             verändern. Ich erlebe mich als handlungsfähig        eigenen Biographie. Wo Berührung ist, ist aber
             (Selbstwirksamkeit), z.B. beim Chorsingen. Be-       auch Verletzung möglich. Dann wird der Reso-
             rühren und berührt werden ergibt einen Wech-         nanzdraht durch Verhärtung am Vibrieren ge-
             selwirkungsprozess, der beide verändert. Es gibt     hindert (360).
             keine Resonanzbeziehung oder -erfahrung, aus         c. Politik: „Die neuzeitliche Demokratie beruht
             der man nicht ein kleines bisschen verändert         … fundamental auf der Vorstellung, dass ihre
             hervorgeht.                                          Form der Politik jedem einzelnen eine Stimme
             Drei Dimensionen der Resonanzbeziehung               gibt und sie hörbar macht, so dass die politisch
                                                                  gestaltete Welt zum Ausdruck ihrer produktiv
             Damit Leben gelingen kann, brauchen wir die
                                                                  gestalteten Vielstimmigkeit wird.“ (366) Die Le-
             drei / vier Resonanzachsen: Zu Menschen, zu
                                                                  benszufriedenheit der Menschen korreliert un-
             Dingen, zum Umgreifenden.
                                                                  mittelbar mit demokratischer Mitsprache und
             Horizontale Resonanzbeziehungen: Eltern, Kin-        politischer Teilhabe. Demokratische Politik – als
             der, Freunde, Politik … Es geht um Hören und         vitale Resonanzsphäre der Moderne – ist nicht
             Antworten mit der Bereitschaft, sich verändern       Aufhebung der Vielfalt, denn Resonanz ist nicht
             zu lassen.                                           Einklang und Konsonanz, sondern prozesshaf-
                                                                  tes Antworten, Bewegung und Berührung und
                                                                  „tönendes Widersprechen“ … (369).
                                                                  Diagonale Resonanzbeziehungen: Es gibt in der
                                                                  kindlichen Entwicklung „Übergangsobjekte“, die
                                                                  zum tröstlichen und haltgebenden Gegenüber
                                                                  werden. Resonanz findet sich aber auch in All-
                                                                  tagserfahrungen. So bilden sich nach Rosa zwi-
                                                                  schen „Pflanzen und Gärtner, zwischen Büchern
                                                                  und Gelehrten, zwischen Brettern und Schreiner,
                                                                  Teig und Bäcker, Geige und Geiger“ Antwortbe-
                                                                  ziehungen in dem für resonante Weltbeziehun-
                                                                  gen charakteristischen Sinn heraus, wobei auch
                                                                  für dieses „Material!“ gilt: es kann widerspenstig
                                                                  sein, seinen eigenen Willen haben, sich niemals
                                                                  vollkommen beherrschen und vorhersehen las-
                                                                  sen … (396)
                                                                  Aus meiner Sicht als Seelsorgerin ist es wichtig,
                                                                  diese Beziehungen genauso ernst zu nehmen wie
             a. Familie als Ort, an dem idealerweise solche
                                                                  Beziehungen zu Menschen: „Das gibt mir was
             Resonanzbeziehungen garantiert sind: zwischen
                                                                  …“ sagen Menschen oft. Aber die „Resonanz der
             Liebenden und zwischen Eltern und Kindern.
                                                                  Dinge“ kann auch bedrohlich sein und in psy-
             Aber: Familie kann das auf sie gerichtete Reso-
                                                                  chotisches Erleben umschlagen – und das ist ein
             nanzverlangen strukturell nicht erfüllen, weil sie
                                                                  Aspekt, der bei Rosa eher zu kurz kommt.
             auch der Ort ist, an dem sich gesellschaftliche
             Zwänge und Phänomene spiegeln (Wettbewerb,           Resonanzbeziehungen gibt es auch im berufli-
             Kampf um Zeit und Aufmerksamkeit, Konflikt,          chen Umfeld: „Heilen ist ebenso wie Erziehen
             Optimierungszwänge). Es ist in der Familie           ein Resonanzgeschehen.“ Schüler und Kranke
             strukturell unmöglich, individuelle Resonanzin-      haben hohe Resonanzerwartungen. „Sind die
             seln in einer Umwelt zu bewahren, die eher zu-       Arbeitsbedingungen dann so beschaffen, dass
             rückweisend und entfremdet ist.                      diese Resonanzerwartungen ebenso wie die ei-
                                                                  genen Ansprüche der Arbeitenden nicht erfüllt
             b. Freundschaftsbeziehungen: Sie sind „Fens-
                                                                  werden“ (400), drohen Burnout, Zynismus, lieb-
             ter zwischen Familie und Sozialwelt“ (358), die
                                                                  lose Pflege. Besonders dann, wenn der innere
             wichtig werden, wenn innerfamiliäre Resonanz-
                                                                  Kontakt zu dem, was ich tue, verloren geht auf
             achsen blockiert sind. Je unsicherer Familien-
                                                                  Grund von Wettbewerbs- und Optimierungs-
             beziehungen werden, desto wichtiger werden
                                                                  zwängen, wenn keine Zeit mehr bleibt für die
             Freundschaften. Sie vermitteln biographische
FSiB-Info   15

Erholung nach oder das Genießen von Erfolgen,       Seele, unserem Leib nach Rosa im Modus der
gerade dort, wo es in hohem Maß auf Resonanz-       Verdinglichung. Wir nehmen sie nur als Störfak-
beziehungen ankommt. (398)                          tor wahr. Es ist wichtig, aufmerksam zu sein auf
Vertikale Resonanzbeziehungen: Die dritte Re-       das, was in der eigenen Seele vorgeht, sich sich
sonanzachse berührt den Sinn für die umfassen-      selbst mit Interesse und Neugier zuzuwenden ...
de Wirklichkeit, das Umgreifende.                   (Auch das ist in dem Konzept von Übertragung
                                                    und Gegenübertragung bewusster ausgearbeitet
Religion ist nach Karl Rahner eine Beziehung,
                                                    als bei Rosa.2). Wir begegnen uns als voneinander
die „in den Kategorien der Liebe und des Sinns“
                                                    unterschiedene Andere in einem Raum, der Re-
die Gewähr dafür zu geben verspricht, dass die
                                                    sonanz zulässt und sichtbar machen kann.
Ur- und Grundform des Daseins eine Resonanz-
und keine Entfremdungsbeziehung ist.“ (435)
Auch Martin Buber sieht den Menschen als ein
auf ein Du hin geschaffenes Wesen und Gott als
das ewige Du (vgl. 440). Rosa deutet auch die
biblische Überlieferung resonanztheoretisch:
„Vom Flehen Salomons bis zum Schrei Jesu am
Kreuz erscheint sie als ein einziges Dokument
des menschlichen Flehens, Bittens und Betens,
Wartens und Harrens, Flüsterns und Rufens um
Antwort.“ Und es gibt „auf dieses Flehen … ein
einziges großes Gegenversprechen, … welches
da lautet: Da ist einer, der Dich hört, der Dich
versteht, und der Mittel und Wege finden kann,
Dich zu erreichen und Dir zu antworten.“ (441)
In Gottesdiensten und anderen religiösen Riten
werden horizontale (Gemeinschaft), vertikale
(Gott) und diagonale (Brot, Wein, Kelch, Kreuz)
                                                    Seelsorge als Resonanzdraht zum Leben
Beziehungsachsen belebt. (443) Auch Paul Ger-
hardt-Lieder sind durchdrungen von Resonan-         Hartmut Rosa sagt in einem Vortrag vor Tele-
zerfahrungen (446): „Ich steh an deiner Krippen     fonseelsorgern: „Da begegnet mir eine andere
hier, o Jesu, Du mein Leben, ich komme, bring       Stimme, ein anderer Mensch, der / die hört mich
und schenke Dir, was du mir hast gegeben …“ //      und spricht zu mir als ‚anderes‘. Das, was der
„Ich selber kann und mag nicht ruhn, des großen     Seelsorger als Reaktion auf sein Gegenüber bei
Gottes großes Tun, erweckt mir alle Sinne …“        sich selbst wahrnimmt („Gegenübertragung“) ist
                                                    eine Resonanzerfahrung“3. Aber auch der Seel-
Sünde ist als Zustand der Resonanzlosigkeit
                                                    sorger löst in dem Ratsuchenden Resonanz aus.
oder vielmehr der Resonanzunwilligkeit zu ver-
                                                    In beiden kommt etwas zum Klingen. Beide be-
stehen, in dem ein Subjekt keine Stimme außer
                                                    finden sich gemeinsam in einem Klangraum.
der eigenen zu hören bereit, willens und fähig
ist. Eben hierin liegt auch für Martin Luther der
                                                    2 Weitere kritische Anfragen könnten sein: Verliert Rosa
Kern der Sünde: „Der ausschließlich auf sich be-
                                                    sich zu sehr im metaphorischen Gebrauch …? Nimmt er
zogene Mensch, der infolge der Unfähigkeit, sich    wirklich ernst, dass Resonanzbeziehungen nicht machbar
für andere oder anderes zu öffnen, nur um sich      sind, dass wir sie haben nicht in der Hand haben, es nicht
selbst kreist und sich von allem als abgetrennt     noch eine weitere Möglichkeit ist, sich die Welt verfügbar
erfährt.“ (447)                                     zu machen? Resonanzbeziehungen sind nicht nur positiv
                                                    und schön und gut; nicht nur im Gelingen wirkt Resonanz,
Aber letztlich kommt es nicht darauf an, die        sondern auch im Misslingen. So gesehen ist gegen eine
Stimme zu hören, sondern nach ihr zu verlangen      „Resonanzeuphorie“ einzuwenden, dass Resonanzbe-
… „Religion erscheint dann als das Versprechen,     ziehungen eine Zumutung bleiben. Sie können scheitern
                                                    oder ins Negative kippen … Rosa: Kompetitiv und resonant
dass die Welt oder das Universum oder Gott          sind Widersprüche …; Aber kann „kompetitiv“ nicht auch
auch dann zu uns spricht (oder singt), wenn wir     ein Resonanzphänomen sein? Konzepte von Übertragung
sie nicht zu hören vermögen, wenn uns alle Re-      / Gegenübertragung erlauben eine differenziertere Dar-
sonanzachsen verstummt sind.“ (447)                 stellung der Resonanzphänomene in Beziehungen.
                                                    3 „Die Gegenübertragung, die der Analytiker an und in
Ist die Beziehung zu mir selbst nicht auch eine     sich spürt, ist sozusagen die Resonanz auf den Analysan-
Resonanzachse? Wir begegnen auch unserer            den.“
16   FSiB-Info

                 Mein Auftrag als Seelsorgerin ist es, die Über-           Zugleich hat diese Kränkung zu „Schutzmecha-
                 tragungen aufzunehmen, mitzuschwingen, ih-                nismen“ geführt, die bewusst und unbewusst
                 nen in mir Raum zu geben – und das wird mein              auch im Gespräch mit dem Seelsorger aufrecht-
                 Gegenüber spüren. Biblisch könnte man das so              erhalten werden.
                 ausdrücken: Ich soll das, was im Gespräch ge-             Welche Haltung hilft da (neben der Bereitschaft,
                 schieht, „im Herzen bewegen“.                             sich als Seelsorger/in immer wieder mit den ei-
                 Vielleicht sind wir Seelsorgerinnen und Seel-             genen verletzlichen Anteilen in Selbsterfahrung
                 sorger im Resonanz- und Übertragungsspiel                 und Supervision auseinanderzusetzen)? Ge-
                 manchmal eben auch so „Mutter“, wie Maria es              duld, Respekt vor dem Mut des Klienten, sich in
                 war: sie versteht eigentlich gar nichts, aber sie         so eine Beziehung zu begeben. Und das Wissen
                 lässt sich zu vielem bewegen und bewegt viel in           darum, dass beide bedürftige, verletzbare Men-
                 sich.                                                     schen sind, für die so ein Resonanzverhältnis ein
                 Es geht darum, in sich einen inneren Raum of-             „Berührungsrisiko“ darstellt, aber auch lebens-
                 fen zu halten für all das, was passiert in einem          notwendig ist. Dann kann Vertrauen wachsen
                 Seelsorgegespräch, das Schöne und Schreckli-              und der Resonanzdraht zwischen Seelsorger
                 che, das Verwirrende und das, was man meint,              und Klienten stabiler werden.
                 verstanden zu haben – und darauf zu vertrau-              Im Rahmen der Wiederbelebung der Resonanz-
                 en, dass alleine diese Bereitschaft schon etwas           drähte (exemplarisch erlebbar in der Seelsorge-
                 bewirkt: denn der Ratsuchende sucht nicht Rat,            beziehung, aber auch durch die Überprüfung /
                 sondern vor allem Raum, in dem sein Suchen                Erinnerung an andere resonante Weltbeziehun-
                 gesehen und gewürdigt wird.4                              gen) geht es aber auch darum, den Menschen
                 Hartmut Rosa formuliert das so: Es geht dar-              Selbstwirksamkeitserfahrungen zu geben: Die
                 um, irgendeine Form von Resonanzsinn wie-                 Ermöglichung einer Selbstwirksamkeitserfah-
                 der zu erzeugen, in irgendeiner dieser drei/vier          rung liegt ja bereits darin, dass ich dem Gegen-
                 Dimensionen Resonanzachsen wiederzufinden,                über vermittele: Du kannst mich erreichen; Du
                 die verschüttet gegangen sind und sie wieder              kannst etwas in mir bewirken, eine Reaktion
                 zu aktivieren. Exemplarisch dafür ist der ho-             auslösen. Ich bin als Seelsorger nicht einfach
                 rizontale „Resonanzdraht“, der im Gespräch                nur die weiße Wand, auf die der Patient etwas
                 zwischen Seelsorger / Ratsuchendem aktiviert              projiziert. Ich bin aber auch nicht der, der dann
                 wird. Es geht ja nicht in erster Linie darum, mit         sofort tut, was der andere von mir erwartet.
                 dem Ratsuchenden etwas zu erarbeiten, was er              Erreicht werden, sich berührbar machen heißt
                 irgendwo anders dann machen soll – sondern                nicht, die eigene Stimme aufzugeben.
                 wahrzunehmen und zu würdigen, was jetzt –                 Rosa benutzt hier noch mal den Vergleich mit
                 exemplarisch – gerade zwischen den beiden Ge-             den Instrumenten: Damit es eine Resonanz gibt,
                 genübern geschieht.                                       einen Klang, der sich zwischen den beiden In-
                 Aber man lässt sich nur auf Resonanz ein, wenn            strumenten ausbreitet, müssen die beiden Ins-
                 man bereit ist, sich „verletzbar“ zu machen, be-          trumente hinreichend geschlossen sein, damit
                 tont Hartmut Rosa. Für ausgebildete Seelsor-              sie eine eigene Klangfarbe behalten, aber offen
                 ger und Seelsorgerinnen bedeutet das: ich öffne           genug sein, um sich erreichen und berühren zu
                 mich und lasse mich bewusst berühren.                     können.
                 Ich weiß, dass in solchen Begegnungen auch Re-            Als Seelsorgerin muss ich um den Rahmen, die
                 sonanzdrähte berührt werden, die mich selber              Grenzen und die Aufgabe wissen, die ich in der
                 an „wunden Stellen“ treffen. Im Blick auf den             Beziehung zum Klienten habe. Ich muss wis-
                 Ratsuchenden ist diese Verletzbarkeit vorder-             sen oder mir immer wieder vergegenwärtigen,
                 gründig meist deutlicher: er/sie kommt ja, weil           in welcher Rolle (oder als welches Instrument)
                 er/sie gekränkt ist und sich Hilfe oder Klärung           ich hier neben ihm sitze. Ich muss mir meiner
                 erhofft.                                                  eigenen Stimme im Unterschied zum Patienten
                                                                           bewusst sein, ohne den Kontakt mit ihm zu ver-
                 4 Das bedeutet für mich übrigens auch, dass Seelsor-      lieren.
                 gende sich selber solche Räume suchen müssen um zu
                 verstehen und zu verdauen: eigene Seelsorge, kollegiale   Barbara Hauck
                 Beratung, Supervision – denn das, was seinen inneren      Evang. Klinikseelsorgerin, Nürnberg
                 Raum immer wieder anfüllt, muss auch wieder raus …
FSiB-Info   17

Wenn der Himmel sich öffnet
Eine Wanderausstellung zum Ausleihen

Menschen und Geschichten aus Nürnberger Se-         Die Ausstellung mit ihren 20 Bildtafeln (50 x 70
nioreneinrichtungen                                 cm) und 21 Texttafeln (30 x 70 cm) will anregen,
Kennen Sie das, „wenn der Himmel sich öffnet“?      selbst nach dem geöffneten Himmel Ausschau zu
Gibt es eine Erfahrung in Ihrem Leben, von der      halten.
Sie sagen: Da bin ich von etwas Göttlichem be-      Texte und Projektdurchführung:
rührt worden?                                       Pfarrerinnen Julia Arnold, Sonja Dietel und
Für die Ausstellung „Wenn der Himmel sich           Annette Lechner-Schmidt, Evangelische Alten-
öffnet“ wurden Bewohnerinnen und Bewohner           heimseelsorge im Dekanat Nürnberg
verschiedener Senioreneinrichtungen in Nürn-        Fotos und Layout:
berg interviewt und fotografiert. Vertrauensvoll
                                                    Wolfgang Noack und Katja Pelzner
und offen erzählen die Befragten von Not und
Errettung, und auch von bewusster Deutung und       Kontakt:
Sinngebung in der eigenen Biographie.               julia.arnold@elkb.de und sonja.dietel@elkb.de
Woher nimmt ein Mensch die Kraft, eine Kata-        www.himmel-offen.de
strophe wie die des Zweiten Weltkriegs voller
Todesangst, Trauer, Verlust von Heimat und
liebsten Menschen zu überstehen?
Woher bekommt ein Mensch die Kraft, ein
Schicksal wie körperliche Versehrtheit, Krank-
heit oder Einsamkeit anzunehmen?
Und was erleben Menschen als Geschenk und
Gnade, Führung, Bewahrung und Berufung?
Die Befragten schildern im Rückblick Situatio-
nen, in denen sich für sie der Himmel geöffnet
hat und sie Gottes Nähe erlebt haben. Diese Er-
lebnisse verändern ihre Sicht auf ihr Leben. Ei-
nige deuten ihre Vergangenheit als Gottes Füh-
rung und blicken zuversichtlicher in die Zukunft.
Auf allen Fotografien der Ausstellung ist eine
Leiter zu sehen. Sie erinnert an die biblische
Geschichte von Jakob (1. Mose 28,10-19a). Dort
wird berichtet, wie dem schlafenden Jakob eine
Leiter erscheint, die vom Himmel zur Erde
reicht. Auf ihr schweben Engel auf und nieder.
Und Jakob, der als Flüchtiger, Betrüger und Hei-
matloser keine besonderen Qualitätsmerkmale
aufweisen kann, erkennt im Nachhinein: Genau
an dem Ort, an dem er die Nacht verbracht hat,
begegnet ihm Gott.
18   FSiB-Info

             Basiskurs Seelsorge
             Erfahrungen mit einem neuen Kurs für Ehrenamtliche in Nürnberg
             Mit großem Erfolg ist in Nürnberg im vergange-        Zielsetzung des Basiskurses Seelsorge ist es:
             nen Jahr zweimal ein neuer, niedrigschwelliger        • Grundkenntnisse der Kommunikation und
             Basiskurs Seelsorge angeboten worden. An drei            Seelsorge zu vermitteln, auf die bei weiteren
             Abenden à 3,5 Stunden im 14-tägigen Rhythmus             Fortbildungen und Spezialisierungen aufge-
             wurden interessierte Ehrenamtliche an Grund-             baut werden kann.
             haltungen und -themen der Seelsorge herange-
                                                                   • Interessierten Klärungshilfe anzubieten, ob
             führt.
                                                                      ein seelsorgerliches Engagement überhaupt
             Das Besondere an der Nürnberger Konzeption               für sie in Frage kommt.
             ist, dass sich verschiedene Anbieter von Aus-,
                                                                   • Orientierung zu geben, in welchen Seelsor-
             Fort- und Weiterbildungen im Bereich Seelsorge
                                                                      gefeldern Mitarbeit möglich ist und wie diese
             zusammengetan haben, um miteinander diese
                                                                      aussehen kann.
             orientierende Basisqualifikation zu entwickeln.
             Hier geschieht Kooperation im Raum – ganz im          Bei einem vorbereitenden Fachtag Seelsorge ha-
             Sinne von Profil und Konzentration (PuK) und          ben die beteiligten Akteure Grundthemen iden-
             den anstehenden Prozessen im Rahmen des neu-          tifiziert, die in ihren jeweiligen Curricula vor-
             en Landesstellenplans. Konkret waren in Nürn-         kommen. Drei unterschiedliche Schwerpunkte
             berg beteiligt: das Pastoralpsychologische Cen-       wurden dann den Abenden zugeordnet:
             trum (PPC), die Altenheimseelsorge (AHS), die         • Rollenklärung und Klärung der Frage „Was ist
             Notfallseelsorge (NFS) und das Forum Erwach-             Seelsorge?“
             senenbildung (FEB bzw. EBW). Die Akteure ent-         • Kommunikation und Kontakt an Hand unter-
             schieden, ihre eigenen Fortbildungsprogramme             schiedlicher Kommunikationsmodelle
             von der Vermittlung dieser Grundkenntnisse zu         • Wahrnehmung und Wahrung von Grenzen
             entlasten. Somit bringt diese Basisqualifikation         (eigener und fremder) sowie die Standort-
             spürbare Synergieeffekte.                                bestimmung: „Wo stehe ich am Ende dieses
             Der Basiskurs Seelsorge trägt zum einen der Tat-         Kurses und wie geht es jetzt konkret für mich
             sache Rechnung, dass Hauptamtliche immer we-             weiter?“
             niger werden, was in den Seelsorgefeldern (ge-        Wahrnehmungsübungen am Anfang von jedem
             meindlicher Besuchsdienst, Altenheimseelsorge,        Abend und ein spiritueller Impuls zum Abschluss
             Besuchsdienst in Krankenhäusern, Notfallseel-         ließen bei aller methodischer Vielfalt erkennen,
             sorge etc.) einen steigenden Bedarf nach gut aus-     dass es um eine grundsätzliche Haltung geht, die
             gebildeten Ehrenamtlichen entstehen lässt. Zum        Körper, Seele und Geist einbezieht.
             anderen reagiert dieses Fortbildungsangebot auf
                                                                   Der Seelsorgeausschuss im Dekanatsbezirk
             die Beobachtung, dass Menschen sich dafür ge-
                                                                   Nürnberg hat den Anstoß zur Entwicklung des
             winnen lassen, etwas Sinnvolles für andere (und
                                                                   Basiskurses und den Auftrag zur Durchführung
             sich selbst) zu tun, wenn sie darin gut ausgebildet
                                                                   gegeben. Als Träger des Basiskurses übernimmt
             und begleitet werden.
                                                                   das Dekanat auch einen Teil der Kosten.
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