Forum Seelsorge in Bayern - Forum Seelsorge in Bayern
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2 FSiB-Info Liebe Leserin, lieber Leser, was Sie in Händen halten, ist – so könnte man sagen – das Produkt einer Konvergenz (zu spätlateinisch convergere „sich annähern“, „zusammenlaufen“). Das, was das Forum Seel- Christian Beck sorge in Bayern beim Seelsorgetag 2019 zum Thema hatte, wurde ein halbes Jahr später Re- alität. Da ist etwas „zusammengelaufen“, was im Herbst 2019 noch Zukunftsprognose war, und im Frühjahr 2020 schon Gegenwart und Wirklichkeit wurde. Davon können Sie auf den Seiten 3-10 in der Retrospektive (Rück- schau) und auf den Seiten 24-30 in der Pro- spektive (Vorausschau) lesen: Wovon Erik In dieser Ausgabe: Händeler 2019 als Zukunftsaufgabe (Digitale Revolution – Chance für das Evangelium) sprach, 03 Die digitale Revolution: Chance für das Evangelium betrachten Thilo Auers (Seelsorge in der Corona- 06 Etwas mehr Hirn bitte! Jesu Ethik als Chance Krise) und Christian Beck (Über den Verlauf von und den Umgang mit Krisen) 2020 als Heraus- 09 Gewaltfreie Kommunikation und Seelsorge forderung für Seelsorge und Gesellschaft von 10 Ein Hospiz-Team wird Wirklichkeit morgen. Dazwischen (S. 11-16) können Sie lesen, wel- 11 Gehörlosenseelsorge chen Themen sich das neue Format im „Fo- 12 Resonanz in der Seelsorge rum Seelsorge im Gespräch“ 2019 gewidmet hat: zum einen der Gehörlosenseelsorge und 17 Wanderausstellung „Himmelsleiter“ zum anderen dem Thema Resonanz (welche 18 Basiskurs Seelsorge Konvergenz auch hier!). 20 Literaturempfehlungen Außerdem erfahren Sie, was geschieht, wenn der Himmel sich öffnet (S. 17) und wie Seel- 21 Die Glosse sorge gelernt werden kann (S. 18f.). 22 Der Sprecherrat des FSiB Zwei Literaturempfehlungen (S. 20f.), eine Kurzvorstellung des Sprecherrats des FSiB (S. 24 Seelsorge in der Corona-Krise 22f.) und die – wie immer – mit spitzer Zunge 26 Krisenverarbeitung und heißer Nadel gewobene Glosse von Rai- 31 Ökumenisches Seelsorgetreffen ner Gollwitzer (S. 21) runden Ihre Lektüre ab. Ich wünsche Ihnen, dass Sie so manche Kon- vergenzen zwischen unserem FSiB-INFO und Ihrem Leben entdecken! Ihr Christian Beck
FSiB-Info 3 Die digitale Revolution: Eine ungeahnte Chance für das Evangelium schen ständig mit anderen über Einzelinteres- sen hinweg größere Projekte bearbeiten, gerät der Blick auf das Verhalten des Einzelnen in das Zentrum der wirtschaftlichen Entwicklung. Da- mit bekommt das Evangelium eine neue Chance, erzählt, bedacht und umgesetzt zu werden. Längst haben die elektronisch gesteuerten Ma- schinen die meiste materielle Arbeit übernom- men, und Computer leisten die strukturierte Wissensverarbeitung wie Gehaltsabrechnung oder Robotersteuerung. Was an Beschäftigung wächst, ist die Arbeit am Menschen und die Ar- beit mit Wissen: planen, organisieren, beraten, verstehen was der Kunde meint; unterschiedli- che Kompetenzen zusammenzufügen, um ein Erik Händeler ist Wirtschaftsjournalist Problem zu lösen. und Zukunftsforscher. Das hat andere Regeln für Produktivität als frü- Beim Seelsorgetag 2019 hielt der Zukunftsfor- her an der Stanzmaschine: Umgang mit Wissen scher und Wirtschaftsjournalist Erik Händeler ist Umgang mit anderen Menschen, die man das Hauptreferat zum Thema „Digitale Revolu- unterschiedlich gerne mag, unterschiedlich gut tion. Chance für das Evangelium“. Dankbarer- kennt und mit denen man unterschiedliche be- weise stellt uns Erik Händeler einen Artikel zu rechtigte Interessensgegensätze hat. Ihr Zusam- dieser Thematik zur Verfügung. menwirken – oder ihr destruktives Verhalten Die Digitalisierung verändert die Anfor- – bestimmen den Wohlstand: Weniger die derungen an den Menschen. Gefragt Eine Technik als vielmehr die Menschen hinter der Digitalisierung entschei- sind plötzlich offene Kommunika- tion, Kooperationsfähigkeit und neue Arbeits- den über das Maß an Ressourcen, eine effiziente Streitkultur. Da- die uns für Soziales, Bildung und raus ergeben sich unerwartete und Streitkultur Infrastruktur bleiben. Wenn Möglichkeiten für die Kirche. zwei Abteilungsleiter nicht Das Himmelreich können wir kann Impulse für mehr miteinander reden, hilft uns nicht verdienen. Aber wie keine Technologie. wir uns gegenüber anderen ver- die Kirche Genau hier ist eine neue Wachs- tumsgrenze entstanden: Mei- halten, das ist vor Gott wichtig: Ob liefern nungsverschiedenheiten arten zu jemand sein Eigeninteresse mit Ellen- bogen verfolgt, unabhängig von den Bedürf- Machtkämpfen aus, die bis zur Rente nicht nissen anderer, sie gar benutzt und ausbeutet; ob mehr versöhnt werden; Mobbing, Partisanen- jemand wahrhaftig ist oder den anderen täuscht; kämpfe, Lügen fressen die innerbetrieblichen ob jemand die Balance findet zwischen seinen Ressourcen. Überleben werden am Markt jene eigenen berechtigten Interessen und dem Allge- Firmen, in denen Wissensarbeit zu geringeren meinwohl. Das Leben ist der Zeitabschnitt, in Kosten geleistet wird. Das geht nur mit bestimm- dem wir uns in Freiheit für das Gute entscheiden ten Eigenschaften: offene und ehrliche Kom- können – was sich erst im Zusammenspiel mit munikation, flache Hierarchien, Kooperations- anderen zeigt. fähigkeit, Versöhnungsbereitschaft, sowie eine Die Bauern des Mittelalters folgten den vorgege- effiziente Streitkultur. Wissensarbeit benötigt benen Ackerfurchen und hatten kaum etwas zu ein Klima, in dem sich der einzelne nach seinen entscheiden. Die Arbeiter der Industrialisierung Gaben frei entfalten kann; aber nicht für sich, vegetierten neben der Maschine dahin. Doch seine Karriere und seine eigene Kostenstelle, jetzt in der Wissensgesellschaft, in der die Men- sondern für das Wohl des Ganzen.
4 FSiB-Info Vom Gruppendruck zum Individualismus ten. Böses zu tun gehört zur Freiheit, in die Gott Dass die dafür nötige Universalethik zu wenig uns stellt: Wir sind nicht die Haustiere vom lieben verbreitet ist, wundert nicht, wenn man sieht, wo Gott, die im Käfig „Männchen“ machen müssen, wir herkommen: Früher musste sich der Einzelne um Futter zu bekommen; das Himmelreich ist der Gruppe unterordnen, andere Gruppen wurden keine Zwangshochzeit. Denn Liebe ist nur echt, gemeinsam bekämpft – Beispiele sind Nationalso- wenn sie in Freiheit erwählt wird. Deswegen sitzt zialismus, Kommunismus, religiöse Gruppenethi- da auch kein Gott sichtbar auf der Wolke. Denn ken („Wir sind die Rechtgläubigen, die anderen dann würde kein Finanzhai mehr Schrottpapiere können vernichtet werden“). Als solch eine Grup- verkaufen, kein Internet-Troll würde mehr Hass- penethik aber wurde das Christentum in vielen kommentare schreiben. Ein Gott, der beweisbar Jahrhunderten gelehrt und politisch instrumenta- wäre, wäre nicht Gott, denn er hätte uns damit lisiert – so wie heute noch in den meisten Kulturen die Freiheit genommen, uns in Freiheit dafür zu entscheiden, das Wohl der anderen und der Allge- meinheit als mindestens ebenbürtig zu betrachten. Über den einzelnen hinaus: Universalethik Das ist auch der Sinn des Kreuzes: In Jesus begeg- net Gott den Menschen auf Augenhöhe. Keine En- gelarmee kommt, um Jesus vor der Kreuzigung zu schützen. Der Plan Gottes ist kein sinnloser Op- fertod, sondern dass sich die Menschen zu Gott be- kehren (was die an weltlicher Macht Hängenden nicht tun). Der Mensch bekommt die Freiheit, ihn ans Kreuz zu nageln – Jesus wehrt sich nicht, spielt Der digitale Fortschritt erfordert von den Menschen keine Macht aus, um eben diese Freiheit des Men- andere Fähigkeiten. schen nicht einzuschränken. Doch nicht Freiheit an sich ist das Ziel, sondern die Gemeinschaft mit auf diesem Planeten. Wertevermittlung glich eher Gott für jene, die über ihre Gruppe und sich selbst einer Dressur als eigener Reflexion. hinaus das Wohl aller suchen – das ist die Definiti- on von Universalethik. Auch Agnostiker, Atheisten Mit Auto, Computer und stark gewachsenem oder Andersgläubige können sich für Universal- Wohlstand war es nun möglich, die unberechtig- ethik entscheiden, ausgelöst durch die praktische ten Fesseln von Religion, Nationalismus und fa- Herausforderung des Alltags, aus eigener Einsicht miliärem Druck abzuschütteln. Wenn einem die – das entspricht einem anonymen Christentum. Predigten am Ort nicht gefielen, konnte man nun Denn nicht der, der „Herr, Herr“ sagt, kommt in mit dem VW-Käfer zwei Dörfer weiter fahren – das Himmelreich, sondern „wer den Willen des Technik und Wirtschaft sind der Grund, warum Vaters“ tut. Scheint doch auch das Gericht, von sich Kirche und Glauben so ausdifferenziert ha- dem Jesus immer wieder spricht, eher ein Richten ben. Je komplexer die Arbeitswelt wurde, umso des Tuns zu sein, das den inneren Bezugsrahmen mehr musste sich ein Fachmann auch gegen an- offenlegt, als der Gruppenzugehörigkeit. dere Meinungen im Team mit seinen Argumenten behaupten – Individualismus war eine Voraus- Vor Gott ist wichtig: Wofür hast Du Deine Freiheit setzung für eine produktivere Gesellschaft. Doch genutzt? Erst jetzt im Berufsalltag der Wissensge- Individualismus kann auch destruktiv sein: „Ich sellschaft hat der Mensch die Möglichkeit, jeden mache, was ich will, was mir guttut, und verfol- Tag sein Gewissen zu prüfen, ob er sich egoistisch ge meine Interessen“ – in der Spitze entsteht ein verhält oder auch das Allgemeinwohl verfolgt. In- Egoismus, der sich auch auf Kosten anderer berei- dividualismus reicht in der digitalen Wissensgesell- chert, dem das Allgemeinwohl egal ist, für den nur schaft nicht mehr aus für wirtschaftlichen Wohl- die eigene subjektive Wahrnehmung zählt. stand. Zur produktiven Zusammenarbeit gehört Respekt vor den berechtigten Interessen der an- Wenn konservative Kirchenleute meinen, der In- deren. Jetzt kann sich keiner mehr in sein eigenes dividualismus sei schuld, dass die Kirchen so leer Büro zurückziehen, weil sich alle der Frage stellen geworden sind, dann irren sie: Er ist ein nötiger müssen: Bauen wir die Maschine – ja oder nein? Entwicklungsschritt auf dem Weg zur Gottes- und Und wenn ja, mit welchem Argument? Schon das Nächstenliebe. Denn nur wer eigenständig reflek- Entwickeln gemeinsamer Regeln birgt jede Menge tiert, hat auch belastbare Werte für sein Verhal- Konfliktstoff, noch bevor überhaupt geschäftliche
FSiB-Info 5 Entscheidungen getroffen wurden. Die Menschen rer Vision für die ganze Kirche zu stehen. Die in- bringen ihre Wertvorstellungen mit in die Firma; dividuelle Ausdifferenzierung in der Gesellschaft nach ihren Maßstäben gehen sie ihre Konflikte an ist an einem maximalen Punkt angekommen, so – aus wirtschaftlichen Gründen kommen religiö- dass längst wieder überindividuelle Ziele und ko- se oder weltanschauliche Reibungen in die Mitte operative Verhaltensweisen zunehmen werden, der Gesellschaft. Menschen können stinkfreund- um den Alltag besser bewältigen zu können. Die lich sein – aber erst, wenn man mit ihnen streitet, nächste Generation ist unideologisch und pragma- offenbart sich ihr wahrer Charakter. Der nächste tisch. Eine Vision von Kirche über alle Richtungen Entwicklungsschritt ist ein kooperativer Individu- hinweg zu schaffen, das bekommt durch die wirt- alismus, wo der einzelne sich nach seinen Gaben schaftlichen Verluste schlechter Zusammenarbeit entfaltet, sie aber zum Wohl aller einbringt. Die im digitalen Zeitalter eine neue Chance – wenn Herausforderung im Berufsalltag heißt „Liebe Dei- die Streitkultur auf dem Weg dorthin stimmt. In nen Nächsten wie Dich selbst“. Ist das nicht das, den künftigen Gemeinden werden Laien ihre un- wo Gott uns haben wollte? Kaum sind gerade mal terschiedlichen Begabungen einbringen, bekommt 2.000 Jahre Kirchengeschichte vorbei, gerät das, das Zusammenwirken in den größeren Pastoral- was das Evangelium ausmacht, in das Zentrum der teams und mit den vielen Ehrenamtlichen eine sozioökonomischen Entwicklung. neue Qualität. Jede Diskussion verändert, lässt Das gilt auch für die Institution: Eine neue inner- uns gegenseitig besser kennenlernen und zusam- kirchliche Streitkultur wird zum entscheidenden menwachsen. Wir brauchen eine Theologie des Prüfstein für die christliche Botschaft. Sie kann Streitens als Weg zu Gott: Nicht Nicht-Streiten ist ausstrahlen in den Alltag der Firmen und danach Frieden, sondern Spannungen offenzulegen und in die Konfliktkultur von Familien (was den Anteil sie einvernehmlich auszutragen: Sich auseinan- an Scheidungen wieder senken, die Familienqua- derzusetzen ist der Weg zum Frieden. Streiten ist lität steigern und die Geburtenrate auf ein ausge- besser, als gar nicht miteinander zu reden – wenn glichenes Niveau erhöhen könnte). Und genau das der Streit die Gemeinschaft festigt. Mit einer in- scheint das Ziel Gottes zu sein: Jesus kam nicht, um nerkirchlichen Streitkultur, die das gegenseitige „den Frieden zu bringen“, sondern das „Schwert“ Absprechen konstruktiv angeht, gelingt ein neuer (Mt 10,34). Auf jeder Seite des Evangeliums knallt Aufbruch für das Evangelium in die Gesellschaft und knistert es. Ob in Kirchengemeinde, Beruf hinein. oder als ganze Gesellschaft: Wir müssen lernen, Erik Händeler uns mit offenem Visier auseinanderzusetzen, und zwar nach redlichen Methoden und dabei über die Buchtipp eigenen, berechtigten Interessen hinaus das Allge- Erik Händeler: Himmel 4.0. Wie die digitale Revo- meinwohl verfolgen. lution zur Chance für das Evangelium wird, Verlag Die Streitkultur ist der Schlüssel für die meisten Brendow 2018 (2. Auflage), 112 Seiten, ISBN: 978- innerkirchlichen Probleme: Keiner theologischen 3-96140-022-5, 10 Euro. oder spirituellen Richtung ist es gelungen, mit ih- Eine neue innerkirchliche Streitkultur wird zum entscheidenden Prüfstein für die christliche Botschaft, schreibt Erik Händeler (Symbolbild).
6 FSiB-Info Etwas mehr Hirn bitte! Workshop beim Seelsorgetag 2019 Wie das Evangelium zur Chance einer neuen Kultur des Miteinanders wird Mit folgenden Worten war der Workshop in der Einladung zum Seelsorgetag beschrieben worden: Wenn die Hirnforschung und gar die Wirt- schaftswissenschaften Jesus von Nazareth als Vordenker „ihrer“ Sache entdecken, dann spä- testens müssen Seelsorger*innen aufwachen und diesen Jesus neu entdecken und „seine“ Sa- che zur gemeinsamen Sache aller Querdenker machen. Der Workshop griff direkt die Anliegen des vo- rausgehenden Vortrags „Digitale Revolution. Chance für das Evangelium“ von Erik Händeler auf, in dem er eine Universalethik forderte, die Welt? Welche Übereinstimmungen seiner sich an dem ausrichtet, was im Evangelium steht. Ethik sehen Sie zur heutigen Welt? Nach einer Hinführung zum Thema durch das Auswahl der Ergebnisse zu Arbeitsauftrag 2: eingespielte Lied „Wer Jesus folgt, führt kein bequemes Leben“ kam es zu einem ersten Aus- Mk 4,38 („Er … schlief.“); 6,31 („Kommt mit an tausch anhand von folgenden Fragen: Nehmen einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht wir heute Jesus und das, was er wollte, überhaupt ein wenig aus.“); 6,10 („Bleibt in dem Haus, in ernst? Halten wir Jesu Ethik für nicht zu ver- dem ihr einkehrt, bis ihr den Ort wieder ver- wirklichen? Was aus Jesu Ethik erkennen wir in lasst.“): Ruhe unserer heutigen Gesellschaft wieder? Jesus, der Mk 5,17 („Darauf baten die Leute Jesus, ihr Vordenker der Moderne? Jesus, der große Visio- Gebiet zu verlassen.“); 5,24 („Da ging Jesus mit när einer glanzvollen Zukunft der Menschheit? ihm.“); 5,41 („Er fasste das Kind an der Hand …“); Der Leiter des Workshops, Christian Beck, hatte 7,33 („Er nahm ihn beiseite, von der Menge weg dann für eine vertiefte Beschäftigung mit dem …“): Distanz und Nähe Thema Textfragmente aus dem Markus-Evan- Mk 5,34 („… dein Glaube hat dir geholfen.“); 6,50 gelium ausgesucht (einzelne Wörter, Phrasen, „Habt Vertrauen …“): Was hilft? Sätze, Passagen …). Die Workshop-Teilnehmer Mk 5,43 („… dann sagte er, man solle dem Mäd- waren aufgefordert, in Kleingruppen ihre spon- chen etwas zu essen geben.“); 6,37 („Gebt ihr ih- tanen Assoziationen zu einzelnen dieser Text- nen zu essen!“); 6,41 („… sprach den Lobpreis, stellen in Bezug auf ihre Arbeit in der Seelsorge brach die Brote und gab sie den Jüngern …“): festzuhalten. Hier die Arbeitsaufträge: Leib-Sorge 1. Lesen Sie gemeinsam die Zitate durch. Wenn Mk 6,3 („Und sie nahmen Anstoß an ihm und Ihnen der Zusammenhang fehlt, schauen Sie lehnten ihn ab.“); 6,4-5 („Da sagte Jesus zu ihnen: im Markus-Evangelium nach. Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie 2. Leiten Sie aus jedem Zitat einen ethischen in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in Grundsatz für heute ab! Suchen Sie dabei seiner Familie. Und er konnte dort keine Wun- nach kreativen Lösungen. Schreiben Sie diese der tun …“); 7,27 („Lasst zuerst die Kinder satt plakativ auf. werden; denn es ist nicht recht, das Brot den Kin- 3. Formulieren Sie, ausgehend von Ihren krea- dern wegzunehmen und den Hunden vorzuwer- tiven Lösungen, fünf (oder mehr) Grundhal- fen.“): Provokation tungen eines Seelsorgers/einer Seelsorgerin! Mk 6,13 („Sie trieben viele Dämonen aus und Schreiben Sie jede Grundhaltung auf ein salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie.“); 7,34 eigenes Blatt. („… danach blickte er zum Himmel auf, seufzte 4. Wie würden Sie eine Ethik Jesu für unsere und sagte zu dem Taubstummen: Effata!, das heutige Zeit charakterisieren? Welche Ak- heißt: Öffne dich!“): Aufruf zum Heil-Handeln zente setzt Jesus im Unterschied zur heutigen Mk 7,8 („Ihr gebt Gottes Gebot preis und hal-
FSiB-Info 7 tet euch an die Überlieferung der Menschen.“); begeben uns auf die selbe Höhe wie der Hilfe Su- 8,15 („Gebt Acht, hütet euch vor dem Sauerteig chende. der Pharisäer und dem Sauerteig des Herodes!“): Mk 10,21 („Geh, verkaufe, was du hast, gib das Gottes Wort kontra Menschen-Wort Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Mk 7,15 („Nichts, was von außen in den Men- Schatz im Himmel haben; dann komm und folge schen hineinkommt, kann ihn unrein machen, mir nach!“); 23 („Wie schwer ist es für Menschen sondern was aus dem Menschen herauskommt, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kom- das macht ihn unrein.“); 7,21-23 („Denn von men!“); 25 („Eher geht ein Kamel durch ein Na- innen, aus dem Herzen der Menschen, kom- delöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes men die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, gelangt.“): Ermutigen, Ballast abzuwerfen. Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Mk 10,27 („… für Gott ist alles möglich.“); 10,52 Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut („Geh! Dein Glaube hat dir geholfen.“): Urver- und Unvernunft. All dieses Böse kommt von trauen bestärken. innen und macht den Menschen unrein.“); 6,13 Mk 10,51 („… Jesus fragte ihn: Was soll ich dir („Sie trieben viele Dämonen aus und salbten vie- tun?“): Vertrauen aufbauen um zur Auftragsklä- le Kranke mit Öl und heilten sie.“): Angewiesen rung vorzustoßen. sein auf Rettung. Voten zum Arbeitsauftrag 3: Mk 8,23 („Er nahm den Blinden bei der Hand, führte ihn vor das Dorf hinaus, bestrich seine - Seelsorge muss reflektiert werden Augen mit Speichel, legte ihm die Hände auf und - Ein Seelsorger reflektiert sein eigenes Sein fragte ihn: Siehst du etwas?“): Überprüfe dein - Empathie Handeln (Qualitätskontrolle); Gib dem Men- - Distanz und Nähe (Grundhaltung) schen seine Würde zurück, indem du ihn an- - Ruhe nimmst (vom Objekt zum Subjekt). - Gefestigt sein Mk 8,25 („Da legte er ihm nochmals die Hände auf die Augen …“): Schließe den Qualitätskreis. Mk 8,27 („Für wen halten mich die Menschen?“) + 8,31 („Dann begann er, sie darüber zu beleh- ren, der Menschensohn müsse vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er wer- de getötet, aber nach drei Tagen werde er aufer- stehen.“): Wahrhaftig sein über das eigene Sein (mehr Schein als Sein). Mk 8,37 („Um welchen Preis könnte ein Mensch sein Leben zurück-kaufen?“): Lüge dir die Welt nicht zurecht (was befähigt mich dazu). Spannend war dann der Austausch darüber, was Mk 8,34 („Wer mein Jünger sein will, der ver- hinter diesen Voten an ethischen Grundauffas- leugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und sungen stand. Alle waren sich einig, dass das gro- folge mir nach.“): Sei wer du bist und trage für ße Thema einer Ethik Jesu für unsere Gesellschaft dich Verantwortung (Kreuz). von heute nur angerissen werden konnte. Eine Mk 8,38 („Denn wer sich vor dieser treulosen und weiterführende Vertiefung lohnt sich aber, um sündigen Generation meiner und meiner Worte das Profil von Seelsorge und Seelsorger*innen schämt, dessen wird sich auch der Menschen- für die Zukunft zu schärfen. sohn schämen …“): Zu sich selbst und zu seinem Abschließend als Zusammenfassung ein Zi- Glauben stehen (Scham wieder zulassen). tat aus Christian Beck, Eucharistie, aber wie? Mk 9,7 („Das ist mein geliebter Sohn; auf ihn Abendmahl heute feiern, Fromm Verlag, Beau sollt ihr hören.“): Wenn du Christus als meinen Bassin (Mauritius) 2018, S. 83f.: Sohn anerkennst, dann wirst du auf ihn hören. Jesu Ethik begründet sich nicht im direkten Hin- Mk 10,43-44 („… wer bei euch groß sein will, der weis auf die Gottesherrschaft. Jesus lehrt keine soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste »Interimsethik«. Aber seine Forderungen kön- sein will, soll der Sklave aller sein.“): Demut. Wir nen von der Ankündigung des nahen Gottes- reichs her verstanden werden.
8 FSiB-Info Angesichts der Nähe Gottes ist der Mensch ge- Dazu gehört in der Perspektive Jesu auch der fordert, alle bisherigen Maßstäbe seines Han- Verzicht auf das eigene Recht (Lk 6,37f.), das Er- delns zu überprüfen bzw. aufzugeben. Die bis- tragen von Benachteiligung (Lk 6,29) bis hin zu lang geltenden Normen werden durch die Nähe einem innovatorischen Handeln, das im Verlas- der Basileia (= Königsherrschaft Gottes; Anmer- sen der normalen Verhaltensweisen neue Wege kung der Redaktion) aufgehoben und selbst die wagt, damit Brüche, Feindschaften und Un- Weisungen der Tora ihr unterworfen. In die Ba- gerechtigkeiten überwunden werden können. sileia gelangt man nach anderen Kriterien: vgl. Mt 5,23: „Wenn du deine Opfergabe zum Altar die Maßstäbe, die Jesu Gebot der Feindesliebe Q bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder 6,27-36, die Schalksknechtsparabel Mt 18,23ff. etwas gegen dich hat, so lasse deine Gabe dort oder die Erzählung vom barmherzigen Samari- vor dem Altar; geh und versöhne dich zuerst mit ter Lk 10,30-37 setzen. deinem Bruder, dann komm und opfere deine Aus dem Bekenntnis zur Gottesherrschaft muss Gabe.“ Wohlgemerkt heißt es nicht „wenn du et- die Tat erwachsen (Q 6,46). Jesu Handeln, seine was gegen deinen Bruder hast“, sondern „wenn Solidarität mit den Randständigen der Gesell- dein Bruder etwas gegen dich hat“. schaft, ist mehr als symbolisches Basileia-Han- Auch bei eigener Schuldlosigkeit ist innovato- deln, es ist die Basileia selbst, weil darin die von risches Handeln geboten, denn nur das Opfer Gott initiierte neue Praxis (einander vergeben, kann dem Täter für seine Verfehlung verzeihen, Überwindung der Verstrickungen in Feind- der Täter kann sich nur entschuldigen. Mt 3,43- schaft, Zuwendung zu den Asozialen und den 47: Die Feindesliebe ist die konsequent letzte Verbrechern, Herrschaftsverzicht) zur Norm Folge der Überwindung des Gegensatzdenkens und Grundoption allen Denkens und Handelns Hierarchisierung: oben – unten; Polarisierung: wird. Denn: Basileia ist Begriff des sich im Men- Freund – Feind; Denunzierung: Erfolg – Miss- schen offenbarenden Willens Gottes. erfolg etc. Was daraus an Praxis folgt, nennen wir prakti- Christian Beck sche christliche Ethik. Diese erschöpft sich nicht im üblichen humanen Umgang miteinander, Kath. Theologe, Klinikseelsorger, sondern verlangt nach einer neuen Art von Be- Therapeutischer Krisenseelsorger ziehung untereinander.
FSiB-Info 9 Anstöße aus der gewaltfreien Kommunikation für die Seelsorge Beim Seelsorgetag 2019 leitete Markus Merz den aufmunternden Zuspruchs am Krankenbett, ei- Workshop „Anstöße aus der gewaltfreien Kom- ner dargebotenen Hilfestellung, dem ungebete- munikation für die Seelsorge“. Markus Merz ist nen Erzählen der eigenen Geschichte oder dem evangelischer Gemeindepfarrer in Bad Aibling, Durchleben von Sympathie am Krankenbett Supervisor DGfP und zugleich Trainer für Ge- konkret verstehen. Damit steht dem Ansatz der waltfreie Kommunikation (cnvc). Im Workshop Gewaltfreien Kommunikation ein spielerischer ging es im Besonderen um das Empathisches Werkzeugkoffer zur Verfügung, der die Seelsor- Hören am Krankenbett. ge im kirchlichen Raum nur bereichern kann. Die besondere Stärke der Gewaltfreien Kom- In ihrer Grundhaltung unterscheidet sich diese munikation ist das Verständnis der Bedürfnisse. durch Marshall Rosenberg begründete Kommu- Äußerungen des Gesprächsgegenübers werden nikation ausdrücklich nicht von dem Klinischen als Strategien verstanden, die auf die dahinter Seelsorgeansatz. Im Gegenteil: Das Verbindende liegenden Bedürfnisse hin zu verstehen oder ist das Verständnis von Empathie als ein wech- auch anzusprechen sind. Das zutreffende Nen- selseitiges Geschehen, das in seiner Konsequenz nen des Bedürfnisses kann zum Schlüssel dazu kein Subjekt und kein Objekt kennt, sondern al- werden, dass das Gespräch an Tiefe gewinnt. lein den Raum der Präsenz. Mit der Brille der Gewaltfreien Kommunika- Kontakt Markus Merz: tion lassen sich die irritierenden Grenzen eines markus.merz@elkb.de
10 FSiB-Info Wenn Visionen wahr werden – Ein Team entsteht Zum Seelsorgetag am 13.11.2019 in Nürnberg durfte ich im Rahmen eines Workshops über die Entwicklung eines neuen Teams im Caritas Hospiz Lebensraum, Coburg berichten. Die Idee war, die Teilnehmer mit auf eine Reise Keiner hatte Erfahrungen aus einem stationä- zu nehmen, die im Hospiz gerade unternommen ren Hospiz, alle sind mit gleichen Vorausset- wurde. zungen gestartet. Die Vision „Ein Hospiz für Das Interesse war groß zu erfahren, wie man ein Coburg“ hat sich bewahrheitet und die Idee, ein neues Team zusammenstellt, welche Ideen und stabiles Team zu installieren, war erfolgreich. Visionen zum Tragen kamen und wie der Weg Im November 2019 bestand das Caritas Hospiz gestaltet wurde. Denn letztlich hat jeder Mitar- Lebensraum bereits ein Jahr und allen Befürch- beitende einen neuen Pfad betreten. tungen zum Trotz, hat bis dahin noch kein Mit- Die Kernaufgabe im Hospiz ist, den schwer arbeitender für sich festgestellt, dass die Aufgabe kranken und sterbenden Menschen auf dem zu groß, die Belastung zu hoch oder die Vorstel- lungen zu unterschiedlich waren. Warum konnte das so gut gelingen? Ich glaube, neben der Auswahl an geeigneten Mitarbeitenden, war die gemeinsame Gestal- tung der Organisation und Entwicklung von Abläufen der Schlüssel zum Erfolg. Jeder Ein- zelne hat sich eingebracht und aktiv mitgestaltet, was zum Ergebnis hat, dass das Hospiz in der Gesellschaft bekannt und akzeptiert ist und dass die Kernaufgabe, schwer kranke Menschen und ihre Angehörigen zu begleiten und zu unterstüt- zen, mit Erfolg wahrgenommen wird. Nur weil alle offen sind, weil alle bewusst die Aufgabe übernommen haben, weil alle mit- letzten Weg zur Seite zu stehen, Unterstützung gestalten konnten und weil alle trotz häufiger anzubieten und dabei auch deren Angehöri- Traurigkeit das Wichtige sehen, ist das Caritas ge nicht zu vergessen. Eine Aufgabe, wie man Hospiz Lebensraum heute das, was es sein sollte, meinen darf, die von den Mitarbeitenden eine nämlich ein „Lebensraum“. gewisse Bodenständigkeit und Wahrhaftigkeit abverlangt. Im Hospiz werden in sehr kurzen Simone Lahl Zeitabständen schwer kranke Menschen und Leiterin des Caritas Hospiz Lebensraum, deren Angehörige willkommen geheißen, aber Coburg ebenso schnell müssen die Mitarbeitenden auch wieder Abschied nehmen. Wie Menschen sich freiwillig einer solchen Herausforderung stel- len und warum sich die Mitarbeitenden für eine Tätigkeit im Hospiz entschieden haben, wurde ebenso thematisiert, wie die Fragestellungen und Befürchtungen, die alle Mitarbeitenden mit sich getragen haben. Menschen aus der Pflege, der Verwaltung, der Sozialen Arbeit sowie der Hauswirtschaft haben sich auf den Weg gemacht, ein im Jahr 2018 fer- tig gestelltes neues Gebäude mit Leben zu füllen.
FSiB-Info 11 Trotzdem in Kontakt Gehörlosenseelsorge in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Kirchenrätin Cornelia Wolf, die Landeskirch- Wir bieten an liche Beauftragte der Evang.-Luth. Kirche in • Gebärdensprach-Schnupperkurse für hörende Bayern für Gehörlosenseelsorge, war zu Gast Gemeinden bei Forum Seelsorge im Gespräch am Dienstag, • Intensiv-Gebärdensprachkurse für haupt- 28.1.2020. Das Thema: Trotzdem in Kontakt. Vom amtliche Mitarbeitende in Gemeinden, Umgang mit Barrieren bei hörgeschädigten Men- Kindergärten, Krankenhäusern schen. • Das Umsetzen einer barrierearmen Home- Die Gehörlosenseelsorge in der ELKB hat ihre page Geschäftsstelle in Nürnberg und beschäftigt gehörlose und hörende Mitarbeitende. Unsere • Unterstützung bei Gottesdiensten und Kasua- vorrangige Aufgabe ist, gehörlosen Menschen in lien mit gehörlosen Menschen der Deutschen Gebärdensprache eine barriere- • Vermitteln von Gebärdensprachdolmetschern freie Teilhabe am kirchlichen Leben zu ermög- • Vermittlung von gebärdensprachlich kom- lichen. petenten Menschen, die Sozialberatung oder Die Gebärdensprachliche Kirchengemeinde ist Besuchsdienst oder Hospizbegleitung oder seit 2017 bayernweite Kirchengemeinde. Ge- Seelsorge anbieten können meinsam mit dem Kirchenvorstand sorgen Cornelia Wolf zwölf gehörlose und hörende hauptamtliche und Evang. Pfarrerin viele ehrenamtliche Mitarbeitende für ein leben- diges Gemeindeleben in den 17 Gemeindeteilen. Kontakt: Evang-Luth. Gehörlosenseelsorge | Egidienplatz 33 | 90403 Nürnberg Tel.: 0911 / 2141301 | E-Mail: buero@egg-bayern.de | Homepage: www.egg-bayern.de Gehörlose bei einer Gemeindefreizeit 2019
12 FSiB-Info Resonanz in der Seelsorge Hartmut Rosas „Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung“ und ihre Bedeutung für die Seelsorge Pfarrerin Barbara Hauck, die Leiterin von „Of- ständig wachsen, sich optimieren, beschleunigen, fene Tür“ – Cityseelsorge an St. Jakob, Nürnberg, damit sie so bleiben kann, wie sie ist. Daraus war zu Gast bei Forum Seelsorge im Gespräch am resultiert Frustration: egal, wie ich mich in die- Dienstag, 16.7.19. Das Thema: Wenn Beschleuni- sem Jahr steigere, nächstens Jahr muss ich mich gung das Problem ist, ist dann Resonanz die Lösung? noch mehr steigern. Antriebsmoment dafür ist Impulse für eine Seelsorge in Beziehung zur Welt. die Angst. Wir können nie sagen „es ist genug“, Resonanz als Weltbeziehung weil „genug“ Zurückrutschen bedeutet. Dazu kommt das Versprechen der „Weltreichweiten- Resonanz ist eine musikalische Metapher. Sie er- vergrößerung“. Sie ist nach Rosa das treibende eignet sich auf vielen Ebenen: Im Klang-Körper Motiv der Moderne überhaupt: es steckt hinter selbst, zwischen zwei Instrumenten, zwischen Kolumbus‘ Aufbruch, Kopernikus‘ Ausgreifen Spielenden, zwischen Raum und Musizierenden, ins Weltall und Freuds Erforschung des Unbe- als Sinn und innere Bilder, die mit dem Gehörten wussten. Wir erleben es aber heute auch als ganz verbunden werden. Rosa fragt als Soziologe: Er selbstverständliche Möglichkeiten: Wohlstand versucht, Beschreibungen und Deutungen dafür und Transporttechnik erhöhen die touristische zu finden, wie wir in der Welt leben, wie wir in Reichweite, Digitalisierung und Medialisierung Beziehung sind zu dem, was uns umgibt. die kommunikative Reichweite … (521)1. Wir nehmen die Welt um uns herum auf vielen Rosa ist der Überzeugung, dass die Qualität des Ebenen wahr: leiblich, psychisch, räumlich, zeit- menschlichen Lebens und der sozialen Verhält- lich, sozial … Aus diesen vielfältigen Resonanz- nisse nicht einfach an den Möglichkeiten und beziehung geht das Subjekt („Ich“) erst hervor Ressourcen gemessen werden kann, die zur Ver- (vgl. vorgeburtliche Erfahrungen; die frühen fügung stehen. Ob Weltbeziehung als gelingend Bindungserfahrungen; das sich in den Augen der oder misslingend erlebt wird, hängt am Grad der Mutter spiegelnde Kleinkind ...). Das bedeutet: Verbundenheit mit und der Offenheit für andere Die Welt, auf die wir bezogen sind, ist immer Menschen und Dinge. schon Ergebnis von Wechselwirkungen. „Bera- Die Kehrseite dieser Weltbeziehung: Ent- tung“ z.B. ist gemeinsame Arbeit an der Welt- fremdung beziehung, „Seelsorge“ ist, so könnte man sagen, gemeinsame Arbeit an der Welt-, Gottes- und Diese Weltbeziehung, die geprägt ist durch im- Selbstbeziehung. mer weiteres Zugreifen auf Welt, ist aber auch begleitet von einer Grundangst, dass genau diese Wodurch ist unsere Weltbeziehung ge- Art der Beziehung zu einer immer stärkeren Be- prägt? „Was treibt uns?“ Die westliche Gesellschaft kann sich nach Rosas 1 Alle Seitenzahlen in Klammern beziehen sich auf Hart- Auffassung nur dynamisch stabilisieren, sie muss mut Rosa, Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung, 2018
FSiB-Info 13 ziehungslosigkeit führt und „ein beziehungslo- Resonanz als Gegenentwurf ses, unverbundenes Atom in einer schweigenden, Für Hartmut Rosa ist Resonanz der Gegenbe- stummen oder feindlichen Welt zu sein“ (522). griff zur Entfremdung: In Beziehung treten mit Diese Entfremdung ist für Rosa „eine Form der einem als lebendig erfahrenen Gegenüber. Zu- Welterfahrung, in der das Subjekt den eigenen gleich besteht er aber auf der Dialektik zwischen Körper, die eigenen Gefühle, die dingliche und Resonanz und Entfremdung … natürliche Umwelt oder aber die sozialen Inter- aktionskontexte als äußerlich, unverbunden und nichtresponsiv beziehungsweise als stumm er- fährt.“ (306) Die Welt, die wir erreichbar machen wollen, wird unlesbar, weicht zurück. Der Zustand der Depression / des Burnout ist eine radikale Form der Entfremdung. „Depres- sive und Burnoutkranke machen die Erfahrung, dass die Welt ihnen flach, stumm, kalt und leer erscheint … – zugleich aber verlieren sie die Fähigkeit, sich emotional auf die Welt, auf die Dinge und Menschen und auf die Zukunft zuzu- Denn es geht nicht darum, Entfremdung durch bewegen, so dass ihnen die Zeit als eingefroren Resonanz zu ersetzen, sondern inmitten aller erscheint. Auch zwischen Vergangenheit, Ge- Entfremdungserfahrungen immer wieder zu genwart und Zukunft existiert keine Beziehung spüren, dass auch Resonanzbeziehungen mög- mehr. Weil sie darüber hinaus auch die Reso- lich sind. nanzbeziehung zu ihrem eigenen Körper und zu Resonanz ist ein Beziehungsmodus, welcher die ihren Gefühlen einbüßen, empfinden sie auch Welt / ein bestimmtes Weltsegment als „antwor- sich selbst als bleich, tot, kalt und leer. (308) tend“ erfährt. (Vgl. Buber: die Welt ist nur erfahr- bar / existent in Beziehung: der Mensch wird erst am Du zum Ich.). Dass wirklich etwas ins Schwingen kommt, lässt sich nicht produzieren oder „herstellen“. Resonanz ist nach Rosa nur möglich in Bezug auf einen Weltausschnitt, der mit eigener Stimme spricht, der also auch etwas Unverfügbares und Widersprüchliches hat. Resonanzfähigkeit setzt die Erfahrung mit etwas Fremdem, Nichtverfügbarem voraus, mit dem sich ein dialogischer Prozess entwickeln kann. „Resonanz ist das (momenthafte) Aufscheinen, das Aufleuchten einer Verbindung zu einer Quelle starker Wertungen in einer überwiegend schweigenden oder auch repulsiven Welt.“ (317) Deshalb sind Momente intensiver Resonanzer- fahrung (der Sonnenuntergang, die betörende Musik, das Verliebtsein) stets auch erfüllt von einem starken Moment der Sehnsucht: Sie ber- gen das Versprechen auf eine andere Form der Weltbeziehung … Sie vermitteln die Ahnung von einer tiefen Verbundenheit; aber sie beseiti- gen nicht die dazwischen liegenden Formen der Fremdheit und der Unverfügbarkeit. (317) Resonanz bedeutet, dass ich von etwas berührt werde und die Erfahrung mache, dass ich die- ses andere erreichen kann. Diese Erfahrung bezeichnet Rosa als „Selbstwirksamkeit“. Es ist möglich, die Dinge oder ein Gegenüber durch
14 FSiB-Info das Einsetzen von Zeit, Aufmerksamkeit, Libi- Resonanzdrähte: Freunde bringen uns als Zeu- do oder Energie zu bewegen, zu gestalten und zu gen unseres Lebens in Verbindung mit unserer verändern. Ich erlebe mich als handlungsfähig eigenen Biographie. Wo Berührung ist, ist aber (Selbstwirksamkeit), z.B. beim Chorsingen. Be- auch Verletzung möglich. Dann wird der Reso- rühren und berührt werden ergibt einen Wech- nanzdraht durch Verhärtung am Vibrieren ge- selwirkungsprozess, der beide verändert. Es gibt hindert (360). keine Resonanzbeziehung oder -erfahrung, aus c. Politik: „Die neuzeitliche Demokratie beruht der man nicht ein kleines bisschen verändert … fundamental auf der Vorstellung, dass ihre hervorgeht. Form der Politik jedem einzelnen eine Stimme Drei Dimensionen der Resonanzbeziehung gibt und sie hörbar macht, so dass die politisch gestaltete Welt zum Ausdruck ihrer produktiv Damit Leben gelingen kann, brauchen wir die gestalteten Vielstimmigkeit wird.“ (366) Die Le- drei / vier Resonanzachsen: Zu Menschen, zu benszufriedenheit der Menschen korreliert un- Dingen, zum Umgreifenden. mittelbar mit demokratischer Mitsprache und Horizontale Resonanzbeziehungen: Eltern, Kin- politischer Teilhabe. Demokratische Politik – als der, Freunde, Politik … Es geht um Hören und vitale Resonanzsphäre der Moderne – ist nicht Antworten mit der Bereitschaft, sich verändern Aufhebung der Vielfalt, denn Resonanz ist nicht zu lassen. Einklang und Konsonanz, sondern prozesshaf- tes Antworten, Bewegung und Berührung und „tönendes Widersprechen“ … (369). Diagonale Resonanzbeziehungen: Es gibt in der kindlichen Entwicklung „Übergangsobjekte“, die zum tröstlichen und haltgebenden Gegenüber werden. Resonanz findet sich aber auch in All- tagserfahrungen. So bilden sich nach Rosa zwi- schen „Pflanzen und Gärtner, zwischen Büchern und Gelehrten, zwischen Brettern und Schreiner, Teig und Bäcker, Geige und Geiger“ Antwortbe- ziehungen in dem für resonante Weltbeziehun- gen charakteristischen Sinn heraus, wobei auch für dieses „Material!“ gilt: es kann widerspenstig sein, seinen eigenen Willen haben, sich niemals vollkommen beherrschen und vorhersehen las- sen … (396) Aus meiner Sicht als Seelsorgerin ist es wichtig, diese Beziehungen genauso ernst zu nehmen wie a. Familie als Ort, an dem idealerweise solche Beziehungen zu Menschen: „Das gibt mir was Resonanzbeziehungen garantiert sind: zwischen …“ sagen Menschen oft. Aber die „Resonanz der Liebenden und zwischen Eltern und Kindern. Dinge“ kann auch bedrohlich sein und in psy- Aber: Familie kann das auf sie gerichtete Reso- chotisches Erleben umschlagen – und das ist ein nanzverlangen strukturell nicht erfüllen, weil sie Aspekt, der bei Rosa eher zu kurz kommt. auch der Ort ist, an dem sich gesellschaftliche Zwänge und Phänomene spiegeln (Wettbewerb, Resonanzbeziehungen gibt es auch im berufli- Kampf um Zeit und Aufmerksamkeit, Konflikt, chen Umfeld: „Heilen ist ebenso wie Erziehen Optimierungszwänge). Es ist in der Familie ein Resonanzgeschehen.“ Schüler und Kranke strukturell unmöglich, individuelle Resonanzin- haben hohe Resonanzerwartungen. „Sind die seln in einer Umwelt zu bewahren, die eher zu- Arbeitsbedingungen dann so beschaffen, dass rückweisend und entfremdet ist. diese Resonanzerwartungen ebenso wie die ei- genen Ansprüche der Arbeitenden nicht erfüllt b. Freundschaftsbeziehungen: Sie sind „Fens- werden“ (400), drohen Burnout, Zynismus, lieb- ter zwischen Familie und Sozialwelt“ (358), die lose Pflege. Besonders dann, wenn der innere wichtig werden, wenn innerfamiliäre Resonanz- Kontakt zu dem, was ich tue, verloren geht auf achsen blockiert sind. Je unsicherer Familien- Grund von Wettbewerbs- und Optimierungs- beziehungen werden, desto wichtiger werden zwängen, wenn keine Zeit mehr bleibt für die Freundschaften. Sie vermitteln biographische
FSiB-Info 15 Erholung nach oder das Genießen von Erfolgen, Seele, unserem Leib nach Rosa im Modus der gerade dort, wo es in hohem Maß auf Resonanz- Verdinglichung. Wir nehmen sie nur als Störfak- beziehungen ankommt. (398) tor wahr. Es ist wichtig, aufmerksam zu sein auf Vertikale Resonanzbeziehungen: Die dritte Re- das, was in der eigenen Seele vorgeht, sich sich sonanzachse berührt den Sinn für die umfassen- selbst mit Interesse und Neugier zuzuwenden ... de Wirklichkeit, das Umgreifende. (Auch das ist in dem Konzept von Übertragung und Gegenübertragung bewusster ausgearbeitet Religion ist nach Karl Rahner eine Beziehung, als bei Rosa.2). Wir begegnen uns als voneinander die „in den Kategorien der Liebe und des Sinns“ unterschiedene Andere in einem Raum, der Re- die Gewähr dafür zu geben verspricht, dass die sonanz zulässt und sichtbar machen kann. Ur- und Grundform des Daseins eine Resonanz- und keine Entfremdungsbeziehung ist.“ (435) Auch Martin Buber sieht den Menschen als ein auf ein Du hin geschaffenes Wesen und Gott als das ewige Du (vgl. 440). Rosa deutet auch die biblische Überlieferung resonanztheoretisch: „Vom Flehen Salomons bis zum Schrei Jesu am Kreuz erscheint sie als ein einziges Dokument des menschlichen Flehens, Bittens und Betens, Wartens und Harrens, Flüsterns und Rufens um Antwort.“ Und es gibt „auf dieses Flehen … ein einziges großes Gegenversprechen, … welches da lautet: Da ist einer, der Dich hört, der Dich versteht, und der Mittel und Wege finden kann, Dich zu erreichen und Dir zu antworten.“ (441) In Gottesdiensten und anderen religiösen Riten werden horizontale (Gemeinschaft), vertikale (Gott) und diagonale (Brot, Wein, Kelch, Kreuz) Seelsorge als Resonanzdraht zum Leben Beziehungsachsen belebt. (443) Auch Paul Ger- hardt-Lieder sind durchdrungen von Resonan- Hartmut Rosa sagt in einem Vortrag vor Tele- zerfahrungen (446): „Ich steh an deiner Krippen fonseelsorgern: „Da begegnet mir eine andere hier, o Jesu, Du mein Leben, ich komme, bring Stimme, ein anderer Mensch, der / die hört mich und schenke Dir, was du mir hast gegeben …“ // und spricht zu mir als ‚anderes‘. Das, was der „Ich selber kann und mag nicht ruhn, des großen Seelsorger als Reaktion auf sein Gegenüber bei Gottes großes Tun, erweckt mir alle Sinne …“ sich selbst wahrnimmt („Gegenübertragung“) ist eine Resonanzerfahrung“3. Aber auch der Seel- Sünde ist als Zustand der Resonanzlosigkeit sorger löst in dem Ratsuchenden Resonanz aus. oder vielmehr der Resonanzunwilligkeit zu ver- In beiden kommt etwas zum Klingen. Beide be- stehen, in dem ein Subjekt keine Stimme außer finden sich gemeinsam in einem Klangraum. der eigenen zu hören bereit, willens und fähig ist. Eben hierin liegt auch für Martin Luther der 2 Weitere kritische Anfragen könnten sein: Verliert Rosa Kern der Sünde: „Der ausschließlich auf sich be- sich zu sehr im metaphorischen Gebrauch …? Nimmt er zogene Mensch, der infolge der Unfähigkeit, sich wirklich ernst, dass Resonanzbeziehungen nicht machbar für andere oder anderes zu öffnen, nur um sich sind, dass wir sie haben nicht in der Hand haben, es nicht selbst kreist und sich von allem als abgetrennt noch eine weitere Möglichkeit ist, sich die Welt verfügbar erfährt.“ (447) zu machen? Resonanzbeziehungen sind nicht nur positiv und schön und gut; nicht nur im Gelingen wirkt Resonanz, Aber letztlich kommt es nicht darauf an, die sondern auch im Misslingen. So gesehen ist gegen eine Stimme zu hören, sondern nach ihr zu verlangen „Resonanzeuphorie“ einzuwenden, dass Resonanzbe- … „Religion erscheint dann als das Versprechen, ziehungen eine Zumutung bleiben. Sie können scheitern oder ins Negative kippen … Rosa: Kompetitiv und resonant dass die Welt oder das Universum oder Gott sind Widersprüche …; Aber kann „kompetitiv“ nicht auch auch dann zu uns spricht (oder singt), wenn wir ein Resonanzphänomen sein? Konzepte von Übertragung sie nicht zu hören vermögen, wenn uns alle Re- / Gegenübertragung erlauben eine differenziertere Dar- sonanzachsen verstummt sind.“ (447) stellung der Resonanzphänomene in Beziehungen. 3 „Die Gegenübertragung, die der Analytiker an und in Ist die Beziehung zu mir selbst nicht auch eine sich spürt, ist sozusagen die Resonanz auf den Analysan- Resonanzachse? Wir begegnen auch unserer den.“
16 FSiB-Info Mein Auftrag als Seelsorgerin ist es, die Über- Zugleich hat diese Kränkung zu „Schutzmecha- tragungen aufzunehmen, mitzuschwingen, ih- nismen“ geführt, die bewusst und unbewusst nen in mir Raum zu geben – und das wird mein auch im Gespräch mit dem Seelsorger aufrecht- Gegenüber spüren. Biblisch könnte man das so erhalten werden. ausdrücken: Ich soll das, was im Gespräch ge- Welche Haltung hilft da (neben der Bereitschaft, schieht, „im Herzen bewegen“. sich als Seelsorger/in immer wieder mit den ei- Vielleicht sind wir Seelsorgerinnen und Seel- genen verletzlichen Anteilen in Selbsterfahrung sorger im Resonanz- und Übertragungsspiel und Supervision auseinanderzusetzen)? Ge- manchmal eben auch so „Mutter“, wie Maria es duld, Respekt vor dem Mut des Klienten, sich in war: sie versteht eigentlich gar nichts, aber sie so eine Beziehung zu begeben. Und das Wissen lässt sich zu vielem bewegen und bewegt viel in darum, dass beide bedürftige, verletzbare Men- sich. schen sind, für die so ein Resonanzverhältnis ein Es geht darum, in sich einen inneren Raum of- „Berührungsrisiko“ darstellt, aber auch lebens- fen zu halten für all das, was passiert in einem notwendig ist. Dann kann Vertrauen wachsen Seelsorgegespräch, das Schöne und Schreckli- und der Resonanzdraht zwischen Seelsorger che, das Verwirrende und das, was man meint, und Klienten stabiler werden. verstanden zu haben – und darauf zu vertrau- Im Rahmen der Wiederbelebung der Resonanz- en, dass alleine diese Bereitschaft schon etwas drähte (exemplarisch erlebbar in der Seelsorge- bewirkt: denn der Ratsuchende sucht nicht Rat, beziehung, aber auch durch die Überprüfung / sondern vor allem Raum, in dem sein Suchen Erinnerung an andere resonante Weltbeziehun- gesehen und gewürdigt wird.4 gen) geht es aber auch darum, den Menschen Hartmut Rosa formuliert das so: Es geht dar- Selbstwirksamkeitserfahrungen zu geben: Die um, irgendeine Form von Resonanzsinn wie- Ermöglichung einer Selbstwirksamkeitserfah- der zu erzeugen, in irgendeiner dieser drei/vier rung liegt ja bereits darin, dass ich dem Gegen- Dimensionen Resonanzachsen wiederzufinden, über vermittele: Du kannst mich erreichen; Du die verschüttet gegangen sind und sie wieder kannst etwas in mir bewirken, eine Reaktion zu aktivieren. Exemplarisch dafür ist der ho- auslösen. Ich bin als Seelsorger nicht einfach rizontale „Resonanzdraht“, der im Gespräch nur die weiße Wand, auf die der Patient etwas zwischen Seelsorger / Ratsuchendem aktiviert projiziert. Ich bin aber auch nicht der, der dann wird. Es geht ja nicht in erster Linie darum, mit sofort tut, was der andere von mir erwartet. dem Ratsuchenden etwas zu erarbeiten, was er Erreicht werden, sich berührbar machen heißt irgendwo anders dann machen soll – sondern nicht, die eigene Stimme aufzugeben. wahrzunehmen und zu würdigen, was jetzt – Rosa benutzt hier noch mal den Vergleich mit exemplarisch – gerade zwischen den beiden Ge- den Instrumenten: Damit es eine Resonanz gibt, genübern geschieht. einen Klang, der sich zwischen den beiden In- Aber man lässt sich nur auf Resonanz ein, wenn strumenten ausbreitet, müssen die beiden Ins- man bereit ist, sich „verletzbar“ zu machen, be- trumente hinreichend geschlossen sein, damit tont Hartmut Rosa. Für ausgebildete Seelsor- sie eine eigene Klangfarbe behalten, aber offen ger und Seelsorgerinnen bedeutet das: ich öffne genug sein, um sich erreichen und berühren zu mich und lasse mich bewusst berühren. können. Ich weiß, dass in solchen Begegnungen auch Re- Als Seelsorgerin muss ich um den Rahmen, die sonanzdrähte berührt werden, die mich selber Grenzen und die Aufgabe wissen, die ich in der an „wunden Stellen“ treffen. Im Blick auf den Beziehung zum Klienten habe. Ich muss wis- Ratsuchenden ist diese Verletzbarkeit vorder- sen oder mir immer wieder vergegenwärtigen, gründig meist deutlicher: er/sie kommt ja, weil in welcher Rolle (oder als welches Instrument) er/sie gekränkt ist und sich Hilfe oder Klärung ich hier neben ihm sitze. Ich muss mir meiner erhofft. eigenen Stimme im Unterschied zum Patienten bewusst sein, ohne den Kontakt mit ihm zu ver- 4 Das bedeutet für mich übrigens auch, dass Seelsor- lieren. gende sich selber solche Räume suchen müssen um zu verstehen und zu verdauen: eigene Seelsorge, kollegiale Barbara Hauck Beratung, Supervision – denn das, was seinen inneren Evang. Klinikseelsorgerin, Nürnberg Raum immer wieder anfüllt, muss auch wieder raus …
FSiB-Info 17 Wenn der Himmel sich öffnet Eine Wanderausstellung zum Ausleihen Menschen und Geschichten aus Nürnberger Se- Die Ausstellung mit ihren 20 Bildtafeln (50 x 70 nioreneinrichtungen cm) und 21 Texttafeln (30 x 70 cm) will anregen, Kennen Sie das, „wenn der Himmel sich öffnet“? selbst nach dem geöffneten Himmel Ausschau zu Gibt es eine Erfahrung in Ihrem Leben, von der halten. Sie sagen: Da bin ich von etwas Göttlichem be- Texte und Projektdurchführung: rührt worden? Pfarrerinnen Julia Arnold, Sonja Dietel und Für die Ausstellung „Wenn der Himmel sich Annette Lechner-Schmidt, Evangelische Alten- öffnet“ wurden Bewohnerinnen und Bewohner heimseelsorge im Dekanat Nürnberg verschiedener Senioreneinrichtungen in Nürn- Fotos und Layout: berg interviewt und fotografiert. Vertrauensvoll Wolfgang Noack und Katja Pelzner und offen erzählen die Befragten von Not und Errettung, und auch von bewusster Deutung und Kontakt: Sinngebung in der eigenen Biographie. julia.arnold@elkb.de und sonja.dietel@elkb.de Woher nimmt ein Mensch die Kraft, eine Kata- www.himmel-offen.de strophe wie die des Zweiten Weltkriegs voller Todesangst, Trauer, Verlust von Heimat und liebsten Menschen zu überstehen? Woher bekommt ein Mensch die Kraft, ein Schicksal wie körperliche Versehrtheit, Krank- heit oder Einsamkeit anzunehmen? Und was erleben Menschen als Geschenk und Gnade, Führung, Bewahrung und Berufung? Die Befragten schildern im Rückblick Situatio- nen, in denen sich für sie der Himmel geöffnet hat und sie Gottes Nähe erlebt haben. Diese Er- lebnisse verändern ihre Sicht auf ihr Leben. Ei- nige deuten ihre Vergangenheit als Gottes Füh- rung und blicken zuversichtlicher in die Zukunft. Auf allen Fotografien der Ausstellung ist eine Leiter zu sehen. Sie erinnert an die biblische Geschichte von Jakob (1. Mose 28,10-19a). Dort wird berichtet, wie dem schlafenden Jakob eine Leiter erscheint, die vom Himmel zur Erde reicht. Auf ihr schweben Engel auf und nieder. Und Jakob, der als Flüchtiger, Betrüger und Hei- matloser keine besonderen Qualitätsmerkmale aufweisen kann, erkennt im Nachhinein: Genau an dem Ort, an dem er die Nacht verbracht hat, begegnet ihm Gott.
18 FSiB-Info Basiskurs Seelsorge Erfahrungen mit einem neuen Kurs für Ehrenamtliche in Nürnberg Mit großem Erfolg ist in Nürnberg im vergange- Zielsetzung des Basiskurses Seelsorge ist es: nen Jahr zweimal ein neuer, niedrigschwelliger • Grundkenntnisse der Kommunikation und Basiskurs Seelsorge angeboten worden. An drei Seelsorge zu vermitteln, auf die bei weiteren Abenden à 3,5 Stunden im 14-tägigen Rhythmus Fortbildungen und Spezialisierungen aufge- wurden interessierte Ehrenamtliche an Grund- baut werden kann. haltungen und -themen der Seelsorge herange- • Interessierten Klärungshilfe anzubieten, ob führt. ein seelsorgerliches Engagement überhaupt Das Besondere an der Nürnberger Konzeption für sie in Frage kommt. ist, dass sich verschiedene Anbieter von Aus-, • Orientierung zu geben, in welchen Seelsor- Fort- und Weiterbildungen im Bereich Seelsorge gefeldern Mitarbeit möglich ist und wie diese zusammengetan haben, um miteinander diese aussehen kann. orientierende Basisqualifikation zu entwickeln. Hier geschieht Kooperation im Raum – ganz im Bei einem vorbereitenden Fachtag Seelsorge ha- Sinne von Profil und Konzentration (PuK) und ben die beteiligten Akteure Grundthemen iden- den anstehenden Prozessen im Rahmen des neu- tifiziert, die in ihren jeweiligen Curricula vor- en Landesstellenplans. Konkret waren in Nürn- kommen. Drei unterschiedliche Schwerpunkte berg beteiligt: das Pastoralpsychologische Cen- wurden dann den Abenden zugeordnet: trum (PPC), die Altenheimseelsorge (AHS), die • Rollenklärung und Klärung der Frage „Was ist Notfallseelsorge (NFS) und das Forum Erwach- Seelsorge?“ senenbildung (FEB bzw. EBW). Die Akteure ent- • Kommunikation und Kontakt an Hand unter- schieden, ihre eigenen Fortbildungsprogramme schiedlicher Kommunikationsmodelle von der Vermittlung dieser Grundkenntnisse zu • Wahrnehmung und Wahrung von Grenzen entlasten. Somit bringt diese Basisqualifikation (eigener und fremder) sowie die Standort- spürbare Synergieeffekte. bestimmung: „Wo stehe ich am Ende dieses Der Basiskurs Seelsorge trägt zum einen der Tat- Kurses und wie geht es jetzt konkret für mich sache Rechnung, dass Hauptamtliche immer we- weiter?“ niger werden, was in den Seelsorgefeldern (ge- Wahrnehmungsübungen am Anfang von jedem meindlicher Besuchsdienst, Altenheimseelsorge, Abend und ein spiritueller Impuls zum Abschluss Besuchsdienst in Krankenhäusern, Notfallseel- ließen bei aller methodischer Vielfalt erkennen, sorge etc.) einen steigenden Bedarf nach gut aus- dass es um eine grundsätzliche Haltung geht, die gebildeten Ehrenamtlichen entstehen lässt. Zum Körper, Seele und Geist einbezieht. anderen reagiert dieses Fortbildungsangebot auf Der Seelsorgeausschuss im Dekanatsbezirk die Beobachtung, dass Menschen sich dafür ge- Nürnberg hat den Anstoß zur Entwicklung des winnen lassen, etwas Sinnvolles für andere (und Basiskurses und den Auftrag zur Durchführung sich selbst) zu tun, wenn sie darin gut ausgebildet gegeben. Als Träger des Basiskurses übernimmt und begleitet werden. das Dekanat auch einen Teil der Kosten.
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