LÄNGSSEITS 4| 2020 - Seenotretter
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2|3 Spende und werde ein Teil von uns. seenotretter.de Foto: Jörg Sarbach Liebe Leserinnen, liebe Leser, „wir können nur gemeinsam erfolgreich sein“, sagt unser freiwilliger Postkarten mit eigenen Fotomotiven zu unseren Gunsten. Es sind Vormann Horst Egerland aus Eckernförde (Seite 26). Er gehört seit wunderbare Ideen wie diese, die uns tragen – auch durch die fast vier Jahrzehnten zum #TeamSeenotretter und weiß, wovon er Coronavirus-Pandemie. spricht. An Bord ist jeder Einzelne wichtig. Ein gelungener Einsatz für schiffbrüchige Fischer, havarierte Segler oder plötzlich erkrankte Das zurückliegende Jahr hat uns auf manche Weise einiges Seeleute basiert immer auf dem reibungslosen Zusammenspiel abverlangt. Wir konnten viele Dinge nicht so umsetzen, wie wir es unserer Rettungsleute. Sie können sich im Ernstfall aufeinander ursprünglich geplant hatten. Wir haben Veranstaltungen abgesagt, verlassen, genauso wie sich die in Not geratenen Menschen auf sie Besichtigungen ausgesetzt und Open-Ship-Termine gestrichen. verlassen können. Doch manchmal sind auch unsere Besatzungen Doch als #TeamSeenotretter haben wir in dieser für alle schwie- machtlos – weil die unbändige See stärker ist, als es der Mensch rigen Zeit bewiesen, wie einfallsreich wir sind. Ein besonders je sein kann. Das zeigt sehr eindrücklich der Untergang des eindrucksvolles Beispiel ist unser virtueller Tag der Seenotretter, Frachtschiffes „Adelheid“ vor 60 Jahren auf der Nordsee (Seite 16). den wir nur gemeinsam umsetzen und derart erfolgreich gestalten konnten. Und das Wichtigste: Den Rettungsdienst konnten wir auf- An Land ist die Seenotretter-Familie ebenfalls eine starke grund der getroffenen Maßnahmen bisher ohne Einschränkungen Gemeinschaft aus Freunden, Förderern und Ehrenamtlichen. Fast aufrechterhalten. 650 Menschen engagieren sich in ihrer Freizeit an Land mit großer Leidenschaft in der Öffentlichkeitsarbeit für die DGzRS. Sie spenden Ihnen allen im #TeamSeenotretter danke ich – auch im Namen wertvolle Minuten, Stunden und Tage für die gute Sache (Seite 24). meiner Vorstandskollegen Ingo Kramer und Matthias Claussen – Sie sind es, die beständig im ganzen Land von der hochprofessio- für Ihren unermüdlichen Einsatz im Jahr 2020. Wir wünschen Ihnen nellen Arbeit unserer Besatzungen erzählen. Sie begeistern andere allen frohe Weihnachten und einen guten Start ins neue Jahr – Menschen, bewegen sie dazu, ebenfalls im #TeamSeenotretter passen Sie auf sich und Ihre Lieben auf, bleiben Sie gesund! mitzumachen. Einer von ihnen ist Björn Rösing aus Bremerhaven, der sich bereits als Jugendlicher ehrenamtlich für die Seenotretter eingesetzt hat und 40 Jahre später immer noch dabei ist (Seite 23). Ihr Felix Röben aus Bremen-Vegesack gehört dagegen erst seit einigen Monaten fest zum #TeamSeenotretter (Seite 36). Der Elfjährige unterstützt die DGzRS seit September mit einer Gerhard Harder Einsatzberichte, Fotos, Videos und ungewöhnlichen Spendenaktion: Er verkauft selbst gestaltete Vorsitzer der Seenotretter Geschichten von der rauen See erleben: #teamseenotretter Spendenfinanziert
INHALT 4 |5 RETTUNGSDIENST Taufe in Bremen: Freiwillige Seenotretter aus 11 MENSCHEN & MEER 16 Untergang der „Adelheid“: Vier Menschen sterben, Norddeich fahren mit der OTTO DIERSCH in den Einsatz nur die Frau des Kapitäns überlebt das Unglück EHRENAMT In ganz Deutschland aktiv: 650 Menschen 24 engagieren sich an Land für das #TeamSeenotretter IMPRESSUM RETTUNGSDIENST UNSERE EHRENAMTLICHEN KLÖNSCHNACK Herausgeber: Deutsche Gesellschaft 6 3.400 Menschen Hilfe gebracht 23 Reise in die eigene Vergangenheit 31 Nicht unterzukriegen zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) Einsatzzwischenbilanz Januar bis Oktober Seit Jugendtagen ehrenamtlich dabei: Björn Rösing Folkeboot „Saga“ dank der Seenotretter wieder seetüchtig Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Werderstraße 2 7 Aus Lebensgefahr gerettet 33 Familiensache Modellbau 28199 Bremen Angler in sprichwörtlich letzter Minute geborgen UNSERE SEENOTRETTER Paul Stasch erbt Leidenschaft von seinem Vater Telefon: 0421 53 707 - 610 8 Neue NIS RANDERS 26 Drei Generationen, eine Leidenschaft JEDER EURO ZÄHLT E-Mail: info@seenotretter.de seenotretter.de Traditionsname lebt auf dem Darß wieder auf Horst, Carsten und Luca Egerland sind freiwillige Seenotretter in Eckernförde Redaktion / Text: 36 Ship-Spotter mit Spenden-Mission Ralf Baur, Antke Reemts, Christian Stipeldey Schüler verkauft eigene Postkarten mit Schiffsmotiven und Patrick Testa-Kreitz MENSCHEN & MEER UNSERE BOTSCHAFTER 41 Nachbarschaftshilfe Korrektorat: 14 Freiheit eines Fischers 30 Starke Stimmen Seglerverein Norderney ist langjähriger Förderer Kerstin Radtke Sven Okken liebt die See Moderatorin Anke Harnack und Cartoonist Wolf-Rüdiger Marunde Titelbild: 20 Heiligabend an Bord Carsten Baucke Unvergessliches Erlebnis für Thomas Plehn Gestaltung: 22 Mehr Menschen begeistern Monika Grimme Neu im #TeamSeenotretter: Tobias Stückroth Herstellung: teamdruck, Stuhr Spendenkonto bei der Sparkasse Bremen: IBAN DE36 2905 0101 0001 0720 16, BIC SBREDE22
RETTUNGSDIENST 6 |7 Seenotretter für 3.400 Menschen im Einsatz Rettung in sprichwörtlich letzter Minute Auf Nord- und Ostsee sind unsere Teams in den ersten zehn Monaten des Jahres 2020 bereits 1.605 Die freiwilligen Seenotretter von Travemünde haben in der langen Geschichte ihrer Station schon viele (2019: 1.979) Mal im Einsatz gewesen. Die Besatzungen der DGzRS haben dabei rund 3.366 (3.200) Menschen besondere Einsätze erlebt. Doch eine Rettung, die ihnen Anfang November gelingt, wird sicher noch eine geholfen. Allein rund 350 von ihnen wurden aus Seenot gerettet oder aus Gefahr befreit. Seit Gründung der ganze Weile in den Köpfen bleiben. DGzRS vor mehr als 155 Jahren zählt die Statistik der Seenotretter damit insgesamt 85.580 Gerettete. Aufgrund der Coronavirus-Pandemie waren in den vergangenen Monaten weniger Schiffe auf Nord- und Ostsee unterwegs. Auch die diesjährige Wassersportsaison begann verspätet. Beides macht sich zum Teil in der jüngsten Einsatzstatistik der Seenotretter bemerkbar. Erkrankte oder Schiffe und Boote Menschen Menschen aus Verletzte von vor dem Hilfeleistungen für Einsatzanläufe, aus Seenot drohender Schiffen und Inseln Totalverlust Wasserfahrzeuge Such- und gerettet Gefahr befreit zum Festland bewahrt aller Art Sicherungsfahrten transportiert Januar bis Oktober 2020 37 309 200 46 885 474 Januar bis Oktober 2019 73 259 292 51 864 561 Am Anleger der Norderfähre in Travemünde übergeben die Seenotretter die drei Schiffbrüchigen an den Landrettungsdienst. Niedersächsische Schleswig-holsteinische Schleswig-holsteinische Mecklenburg-vorpom- E s ist Sonntagabend. Bootsführer Patrick Morgenroth sitzt entspannt auf der Couch, Hilfe benötigt und wo genau, das sind die entscheidenden offenen Fragen. rettungsdienst. Alle drei Angler kommen in ein Krankenhaus, wo sie zur weiteren Nordseeküste Nordseeküste Ostseeküste merische Ostseeküste als er von der SEENOTLEITUNG BREMEN Betreuung stationär aufgenommen werden. alarmiert wird. Er und vier weitere Seenot- „Panik in den Augen“ ◉ 476 (555) Einsätze ◉ 124 (193) Einsätze ◉ 566 (731) Einsätze ◉ 439 (500) Einsätze retter machen sich sofort auf dem Weg zur Die Besatzung der HANS INGWERSEN ◉ 968 (795) Menschen geholfen ◉ 297 (289) Menschen geholfen ◉ 1.055 (1.106) Menschen geholfen ◉ 1.046 (1.010) Menschen geholfen HANS INGWERSEN. Bereits nach wenigen Da melden die Seenotretter der HANS macht danach das Seenotrettungsboot ◉ 3 (21) Menschen ◉ 9 (3) Menschen ◉ 24 (27) Menschen ◉ 1 (22) Menschen Minuten laufen sie aus – Kurs Travemünder INGWERSEN Sichtkontakt. „Das werden wieder klar für den nächsten Einsatz. „Wir aus Seenot gerettet aus Seenot gerettet aus Seenot gerettet aus Seenot gerettet Kurstrand. wir sicher nie vergessen“, sagt Patrick sind vieles gewohnt“, fasst Bootsführer ◉ 125 (68) aus Gefahren- ◉ 19 (33) aus Gefahren- ◉ 103 (59) aus Gefahren- ◉ 62 (99) aus Gefahren- Morgenroth später dazu. „Alles war finster Morgenroth den Abend zusammen. „Doch situationen befreit situationen befreit situationen befreit situationen befreit „Es hieß, dass jemand von Land aus und auf einmal schauen uns drei Menschen so eine lebensgefährliche Situation erleben Hilferufe auf See gehört hat“, berichtet aus dem Wasser an, mit Panik in den Augen.“ auch wir glücklicherweise nicht oft.“ Patrick Morgenroth. „Wir sind mit Höchstge- Über die Bergungspforte holen die See- schwindigkeit in die Richtung gelaufen, notretter behutsam drei Männer an Bord, aus der die Rufe vermutet wurden.“ Wäh- alle um die 30 Jahre alt. Sie sind stark rend er die HANS INGWERSEN durch die unterkühlt und können sich kaum bewegen. Dunkelheit steuert, suchen seine Kollegen Sofort werden sie medizinisch versorgt. die Ostsee ab. Ihre Suchscheinwerfer schwenken koordiniert in alle Richtungen, so Die Männer berichten, dass ihr Angelboot wie sie es oft trainieren. nur wenige hundert Meter vor dem Strand Weitere Einsatzberichte finden Sie gekentert und gesunken ist. Etwa eine auf unserer Website: In der SEENOTLEITUNG BREMEN ist die halbe Stunde seien sie im Wasser gewe- Lage trotz aller Professionalität und Routine sen. Das misst zum Unglückszeitpunkt seenotretter.de/aktuelles/ angespannt. Ein Anrufer hatte über die gerade einmal 13 Grad Celsius. Warum das seenotfaelle mutmaßliche Notlage vor Travemünde infor- Boot trotz ruhiger See kenterte, ist unklar. miert. Inzwischen bestätigt auch ein Streifen- Am Anleger der Norderfähre übergeben die wagen der Polizei die Rufe – doch wer Seenotretter die Geretteten an den Land-
KAPITELBEZEICHNUNG RETTUNGSDIENST 8 |9 Nis Randers Teil der neuen NIS RANDERS sein! Krachen und Heulen und berstende Nacht, Dunkel und Flammen in rasender Jagd – Ein Schrei durch die Brandung! Selbstlose Hilfsbereitschaft, Respekt vor den Eingang in Schullesebücher. Viele Generationen lernten die Zeilen Urgewalten der See, entschlossenes Handeln – auswendig, die in modernen Unterrichtswerken ebenfalls zu Und brennt der Himmel, so sieht man’s gut: die gleichnamige Figur Nis Randers aus Otto finden sind – sicher auch, weil sie für Werte stehen, die für die Ein Wrack auf der Sandbank! Noch wiegt es die Flut; Seenotretter seit Gründung der DGzRS vor 155 Jahren gleichfalls Gleich holt sich’s der Abgrund. Ernsts (1863 bis 1926) Ballade steht wie kaum eine andere für den aufopferungsvollen Einsatz Bestand haben. Nis Randers lugt – und ohne Hast der Seenotretter. Nach dem literarischen Spricht er: „Da hängt noch ein Mann im Mast; Traditionell geben die Seenotretter den Namen einer neuen Inbegriff des Seenotretters wird die DGzRS nun Wir müssen ihn holen.“ Einheit erst bei der Taufe bekannt. In wenigen Fällen machen sie zum zweiten Mal einen Seenotrettungskreuzer bewusst eine Ausnahme – wie jetzt beim Neubau für den Darß. Da fasst ihn die Mutter: „Du steigst mir nicht ein: benennen – und jeder kann mit seiner Spende „Der Name NIS RANDERS steht wie kaum ein zweiter für die frei- Dich will ich behalten, du bliebst mir allein, ein Teil der neuen NIS RANDERS sein. Stationiert willige Bereitschaft der Seenotretter zum gemeinschaftlichen, oft Ich will’s, deine Mutter! wird der Neubau mit dem Traditionsnamen auf gefahrvollen Einsatz auf Nord- und Ostsee. Wir wünschen Dein Vater ging unter und Momme, mein Sohn; dem Darß. uns sehr, dass sich möglichst viele Menschen für diesen ganz Drei Jahre verschollen ist Uwe schon, besonderen Seenotrettungskreuzer engagieren“, begründet Mein Uwe, mein Uwe!“ V ormann Frank Weinhold freut sich, ab Herbst 2021 mit einem besonderen Schiff in den Einsatz zu gehen: „Als wir davon erfahren DGzRS-Vorsitzer Gerhard Harder die frühzeitige Bekanntgabe. Genauso wie bei den Schwesterschiffen HAMBURG und Nis tritt auf die Brücke. Die Mutter ihm nach! Er weist nach dem Wrack und spricht gemach: haben, haben wir uns alle angeschaut, genickt und gesagt: ‚Das BERLIN werden die Seenotretter die neue NIS RANDERS der „Und seine Mutter?“ passt!‘“ Zwar gehe es in allererster Linie darum, was technisch Öffentlichkeit auf eine außergewöhnliche, dem Namen entspre- Nun springt er ins Boot und mit ihm noch sechs: mit einem Einsatzmittel alles möglich ist – dennoch sei der Name chende Art und Weise präsentieren. Schon jetzt kann sich jeder Hohes, hartes Friesengewächs; keineswegs egal. „Es gibt schon einige ikonische Namen bei der für diesen sechsten Seenotrettungskreuzer der 28-Meter-Klasse Schon sausen die Ruder. DGzRS wie eben NIS RANDERS oder auch VORMANN JANTZEN, die finanziell engagieren – jeder Euro zählt! Wer mindestens 5.000 wir früher auf unserer Station Darßer Ort hatten. Wir freuen uns Euro spendet, ist mit einer Danktafel an Bord immer dabei, Boot oben, Boot unten, ein Höllentanz! sehr und sind auch ein bisschen stolz.“ wenn die Besatzung um Vormann Frank Weinhold mit der neuen Nun muß es zerschmettern ...! Nein, es blieb ganz! ... NIS RANDERS in den Einsatz fährt. Wie lange? Wie lange? Frank Weinhold ist in Warnemünde aufgewachsen, die Mit feurigen Geißeln peitscht das Meer Geschichte von Nis Randers ist ihm vertraut: „Die Ballade kennt Die menschenfressenden Rosse daher; eigentlich jeder. Im Osten Deutschlands ist sie vielleicht nicht Sie schnauben und schäumen. ganz so verbreitet. Aber wer sich ein bisschen für Seenotrettung interessiert, dem sagt das was.“ Kein Wunder – früh fand das Werk Wie hechelnde Hast sie zusammenzwingt! Eins auf den Nacken des andern springt Mit stampfenden Hufen! Drei Wetter zusammen! Nun brennt die Welt! Was da? – Ein Boot, das landwärts hält – Fotos: Carsten Baucke Mehr Informationen zum Bau Sie sind es! Sie kommen! – der neuen NIS RANDERS Bis Ende Oktober arbeiteten die Schiffbauer am Standort Bardenfleth der gibt es im Internet: Und Auge und Ohr ins Dunkel gespannt ... Fassmer Werft an dem neuen Seenotrettungskreuzer für den Darß. Seitdem Still – ruft da nicht einer? – Er schreit’s durch die Hand: geschieht das im Haupthaus in Berne-Motzen. Dorthin ging es auf dem „Sagt Mutter, ’s ist Uwe!“ Wasserweg: Mangels eigener Motoren zog ein Schlepper den Neubau nis-randers.de t das kurze Stück über die Weser stromabwärts. Otto Ernst, 1901
RETTUNGSDIENST 10 | 11 OTTO DIERSCH rettet vor Norddeich Mit einem hellen Knall zerschellt die Sektflasche am Bug des neuen Seenotrettungsbootes OTTO DIERSCH der Freiwilligen-Station Norddeich. Die jüngste Rettungseinheit der DGzRS erhält am 5. Oktober am Anleger der DGzRS-Zentrale in Bremen ihren Namen. Benannt ist das moderne Spezialschiff nach dem Begründer der Bremer Firmengruppe Diersch & Schröder. Das Unternehmen blickt exakt am Tag der Taufe auf sein 100-jähriges Bestehen zurück. Fähre „Lisco Gloria“ in Flammen Vor zehn Jahren brennt die Ro-Ro-Fähre „Lisco Gloria“ auf der Ostsee. Mit der geballten Löschkraft mehrerer Seenotrettungskreuzer und Spezialeinheiten wird versucht, den Brand zu löschen. Am Morgen danach setzte ein Hubschrauber ein Boardingteam auf der brennenden Fähre ab; im Vordergrund die Tochterboote von zwei Seenotrettungskreuzern. Fotos: Jörg Sarbach Auf der litauischen Fähre „Lisco Gloria“ brach am 8. Oktober 2010 kurz vor Mitternacht ein Feuer aus. Sie befand sich zu diesem Zeitpunkt etwa sieben Seemeilen, also rund 13,5 Kilometer, nordwestlich von Fehmarn auf dem Weg von Kiel nach Klaipėda (Litauen). An Bord waren 114 Passagiere und 89 Lkw-Fahrer sowie 32 Besatzungsmitglieder. Sieben Minuten nach Mitternacht alarmierte der Kapitän die Aus SRB 78 wird OTTO DIERSCH SEENOTLEITUNG BREMEN der DGzRS. D as Feuer an Bord der „Lisco Gloria“ breitete sich in wenigen Minuten über das gesamte Oberdeck aus. Nur elf Minuten nach gasvergiftung ins Krankenhaus geflogen werden, weitere trugen leichte Verletzungen davon und mussten behandelt werden. Brandausbruch ordnete der Kapitän die vollständige Evakuierung der Fähre an. Was folgte, war eine beispiellose Rettungsaktion: Die Das Havariekommando übernahm von der SEENOTLEITUNG SEENOTLEITUNG BREMEN alarmierte die umliegende Schifffahrt. BREMEN der DGzRS aufgabengemäß die weitere Koordinierung. Wer helfen konnte, machte sich auf den Weg zum Unfallort. Von Das Feuer wütete indes auf nahezu der gesamten Fähre. Die Kurzporträt Otto Diersch der DGzRS gingen die Seenotrettungskreuzer JOHN T. ESSBERGER Einsatzkräfte konnten es erst nach Tagen unter Kontrolle (Station Großenbrode), BREMEN (Station Grömitz), BERLIN (Station bringen und vierzehn Tage später im dänischen Munkebo an der Otto Diersch (1902 bis 1981) legt im Alter von Laboe) und die VORMANN JANTZEN (damals Vertretung auf der Pier vollständig löschen. 18 Jahren mit der Gründung seines Mineralölhandels Station Maasholm) in den Einsatz. am 5. Oktober 1920 den Grundstein für die heutige Die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung ermittelte später Unternehmensgruppe. Unweit der stadtbremischen Zuerst erreichte das Bundespolizeiboot „Neustrelitz“ den in Zusammenarbeit mit litauischen Behörden die Brandursache: Häfen aufgewachsen, faszinierte ihn die Schifffahrt brennenden Havaristen. Die „Lisco Gloria“ ließ Rettungsboote zu Mutmaßlich war das Feuer an einem Lkw mit Kühlaggregaten auf zeitlebens. Begeistert von Motoren und Maschinen, Wasser, von denen die „Neustrelitz“ die Menschen übernahm. Als dem Oberdeck ausgebrochen. Die exakte Ursache ließ sich jedoch verdiente er sein erstes Geld mit dem Verkauf von die Fähre „Deutschland“ vor Ort eintraf, setzte die „Neustrelitz“ nicht mehr feststellen. Alle Beteiligten waren sich einig, dass die Schmieröl an die im Hafen liegenden Schiffe. die Geretteten auf das größere Schiff über. Ein 16-jähriger, der moderaten Wetterverhältnisse ganz wesentlich zur gelungenen Mit Handkarre und Ölkanne begann er seinen sich nicht rechtzeitig in ein Rettungsboot hatte retten können, Rettungsaktion der 235 Menschen beigetragen hatten. Import- und Exporthandel von Mineralölprodukten wurde von einem SAR-Hubschrauber der Deutschen Marine von für Reedereien und Industrie. der Fähre aufgewinscht. Die Schiffbrüchigen blieben weitest- Die „Lisco Gloria“ konnte nicht gerettet werden. Das Schiff Ingeborg Karstedt (93) hat gerade den Neubau auf den Namen ihres Vaters getauft. gehend unverletzt: Lediglich zwei Personen mussten wegen Rauch- wurde abgewrackt.
MENSCHEN UND MEER RETTUNGSDIENST 12 | 13 NORDSEE Norddeich Fotos: Jörg Sarbach Hochzufrieden mit ihrem neuen Seenotrettungsboot: Die Norddeicher Mannschaft (im Bild neun von 18 Freiwilligen) hat mit dem Neubau bereits vor der Taufe mehrere Einsätze gefahren. Tradition und Moderne Auf der Nordseestation Norddeich verbindet sich die Geschichte der Seenotretter hinter dem Deich auf besondere Weise mit der modernen Technik vor dem Deich. Auf der einen Seite ist der alte Rettungsschuppen erhalten und zu besichtigen, auf der anderen liegt im Westhafen das neue Seenotrettungsboot OTTO DIERSCH, dessen Freiwilligen-Besatzung jederzeit zum Einsatz auf der Nordsee bereit ist. Bernd Karstedt, Enkel des Namengebers, findet DGzRS-Vorsitzer Gerhard Harder betont die Bedeutung Nur mit Maske: Bei der Taufe tragen alle Gäste und Wie so oft bei den Seenotrettern folgt eine Generation auf die nächste: Norddeich zählt zu den ältesten Stationen der Seenotretter. bewegende Worte: „Die Haltung der Seenotretter der allseitigen Freiwilligkeit: die des Einsatzes auf See die Besatzung in Zeiten der Coronavirus-Pandemie Vormann Marcus Baar (r.) und sein Vater Dieter sind beide freiwillige Bereits 1886 errichtete die DGzRS in der Nähe des Fährhauses stimmt mit den Werten unserer Familie überein.“ und die der Finanzierung an Land. selbstverständlich einen Mund-Nasen-Schutz. Rettungsleute der Station Norddeich. einen Rettungsschuppen für ein Ruderrettungsboot. Dort lag er in früheren Zeiten taktisch günstig. Seit seinem Bau im 19. Jahrhundert wurde die Deichkrone mehrfach erhöht und der Norddeicher Hafen ist stark gewachsen. Deshalb wurde der Betrtieb in dem massiven Gebäude hinter dem Deich 1930 einge- stellt. Es ist jedoch bis heute erhalten. Mittlerweile beherbergt es seit mehr als 35 Jahren eine Ausstellung über die bewegte – und bewegende – Geschichte der Seenotretter auf Nord- und Ostsee. Ehrenamtliche Mitarbeiter der DGzRS öffnen regelmäßig seine Die OTTO DIERSCH in Zahlen Türen, zeigen Filme über die Arbeit der Besatzungen sowie eine kleine Ausstellung historischer Rettungsgeräte und Modelle von Das neue 10,1-Meter-Seenotrettungsboot Rettungseinheiten. OTTO DIERSCH hat auf der Freiwilligen-Station Norddeich die 1999 gebaute WILMA SIKORSKI Seit der Wiedereinrichtung der Station 1990 sind in Norddeich abgelöst. Diese 9,5 Meter lange Einheit kommt seit moderne Seenotrettungsboote stationiert. Die OTTO DIERSCH dem ohne feste Station immer dort zum Einsatz, ist nach der NORDDEICH, der CASSEN KNIGGE und der WILMA wo andere Rettungseinheiten zum Beispiel aufgrund SIKORSKI die vierte Einheit. 18 freiwillige Seenotretter um einer Werftzeit vertreten werden müssen. Vormann Marcus Baar sind dort im Einsatz. Ihr Revier ist das Wattenmeer zwischen dem ostfriesischen Festland und den • Länge über Alles: 10,1 Meter vorgelagerten Inseln Juist, Norderney und Baltrum, das stark von • Breite über Alles: 3,61 Meter den Gezeiten geprägt ist. Der Schiffsverkehr wird bestimmt durch • Tiefgang: 0,96 Meter Inselfähren und zahlreiche Kutter sowie im Sommerhalbjahr • Verdrängung: 8 Tonnen durch einige Segel- und Motorboote. Die Norddeicher Seenotretter • Geschwindigkeit: 18 Knoten (ca. 33 km/h) arbeiten eng mit ihren Kollegen von den Inseln zusammen. • Besatzung: Freiwillige • Antrieb: ein Propeller, 380 PS Ein Blick auf den Hof der Seenotretter-Zentrale am Oberländer Hafen in der Bremer Neustadt seenotretter.de/norddeich
MENSCHEN UND MEER 14 | 15 Freiheit eines Fischers Sven Okken ist seit mehr als 20 Jahren beruflich auf der Nordsee unterwegs: Er ist Krabbenfischer. Der Heimathafen seiner „Pirola“ ist Norddeich. Der Kutter liegt unweit des Seenotrettungsbootes OTTO DIERSCH der DGzRS an der Pier. Zu dessen Besatzung gehört der 40-Jährige seit einigen Monaten. N ebel liegt wie Watte auf dem Wasser. Es ist nasskalt, unge- mütlich. Eine leichte Brise weht über der Nordsee. Sven Okken erhöhte sich die Ausbeute mit jedem Tag, den er auf See war. Der Jungunternehmer lernte dazu – und das Revier immer besser sitzt im warmen Ruderhaus seines Kutters, gut geschützt vor der kennen. Mittlerweile können er und seine Familie von seiner Hände feuchten Luft da draußen. Er ist hochkonzentriert: Aufmerksam Arbeit „ganz gut leben“, wie er sagt. Dennoch: Ein gewisser, in verfolgt er die Echos anderer Schiffe und der Tonnen auf dem seinen Augen gesunder Druck ist geblieben. „Als Fischer bin ich Radar. Ständig kontrolliert er auf dem Echolot die Wassertiefe. Bei eigentlich ständig beschäftigt, es gibt immer etwas zu tun. Ich dem Grau in Grau an diesem Tag ist eine Fahrt auf Sicht unmöglich, schalte nie ganz ab. Und wenn ich am Wochenende nur überlege, er kann nicht mal ein Kabel weit sehen, das sind gut 185 Meter. wo ich in der kommenden Woche am meisten Granat fischen Doch auch an diesen kühlen Novembertagen liebt er es, auf See zu kann“, sagt er. sein: „Mir gefällt die Ruhe, die Weite. Ich bin gerne an der frischen Luft und genieße die Freiheit hier draußen.“ Und das ist schon Fischer aus Leidenschaft immer so gewesen. Heute hat Sven Okken den richtigen Riecher gehabt. Als er mit Als Kind der ostfriesischen Küste ist der heute 40-Jährige in seinem Decksmann nach etwa zwei Stunden die Schleppnetze Westermarsch unweit des Städtchens Norden aufgewachsen. Mit wieder einholt, sind deren Steerte ordentlich mit Krabben gefüllt. Möwengeschrei im Ohr, Wattschlick unter den Füßen und Pinne in Sie hieven den Fang an Deck. An Bord rattert schon dröhnend eine der Hand ist Sven Okken groß geworden. Dennoch war es anfangs Sortiertrommel, die das Verwertbare vom Rest trennt, auf den sich keineswegs vorherzusehen, dass der Junge als Erwachsener die Möwen hinter dem Kutter bereits lauthals kreischend freuen. einmal im Steuerstand eines Krabbenkutters stehen würde. Denn Die gefangenen Krabben kochen sie in einem mit Seewasser ge- er stammt aus keiner Fischer- oder Seemannsfamilie, er ist Quer- füllten Kessel ab – in der kalten Luft steigt ordentlich Dampf auf. einsteiger. Mit seinem Faible für die See und seiner Leidenschaft Anschließend spülen die beiden Fischer den Fang auf einem fürs Angeln verfing er sich als Jugendlicher im Netz des Fischer- großen Metallsieb noch einmal mit frischem Seewasser gründ- berufes. 1998 heuerte er als 18-Jähriger auf einem Krabbenkutter lich ab und sortieren per Hand kleine Krebse und Algenreste aus. an, lernte das Handwerk von einem erfahrenen Seemann und In Kisten geschüttet, schleppen sie die Nordseegarnelen in den machte als 23-Jähriger selbst das Kapitänspatent. Seit 2013 fährt Kühlraum. er mit seinem eigenen Kutter „Pirola“ auf Fangreise. Bei ruhigem Wetter wie an diesem Novembertag geht ihnen Während Sven Okken in die Vergangenheit blickt, steht Kevin die Arbeit leicht von der Hand – es gibt anstrengendere Tage. Schöpe dick eingemummelt in seinem Ölzeug an Deck und hat die Wenn der Kutter bei Schietwetter ordentlich schaukelt und sie Baumkurren an den Auslegern fest im Blick. Die beiden Fischer seine schwankenden Bewegungen ständig ausgleichen müssen. sind in ihrem Fanggebiet nördlich der ostfriesischen Insel Juist Für Sven Okken gehören solche Tage dazu, er liebt seinen Job unterwegs. Gleich wollen sie erneut ihre Kurren ausbringen, wie ohne Wenn und Aber: „Ich bin Fischer mit viel Herzblut und großer die speziellen Grundschleppnetze der Krabbenkutter heißen. Im Leidenschaft – es ist ein sehr schöner Beruf“, betont er. Es gibt Steuerstand startet der Kapitän die Winde. Der daran befestigte jedoch immer weniger Menschen, denen es so geht wie ihm. Die Draht spult sich Meter für Meter ab, und die Netze sinken langsam heimische Kutterflotte auf der Nordsee schrumpft: „Der Beruf immer tiefer ins Wasser. Das erfordert Fingerspitzengefühl. Sven stirbt langsam aus, das finde ich sehr schade“, sagt er. Für ihn Okken und Kevin Schöpe müssen aufpassen, dass sich das Fang- gehören die Kutter genauso zu den kleinen Fischerorten an der geschirr nicht im Schiffspropeller verheddert. Am Nordseegrund Nordseeküste wie die auffälligen Spezialschiffe der Seenotretter. angekommen, gleiten die Kurren auf Rollen über den Boden und schrecken die Krabben auf, die dann möglichst zahlreich ins Netz Deshalb engagiert sich Sven Okken seit einigen Monaten in hüpfen sollen. seiner Freizeit auch bei den Freiwilligen der DGzRS-Station Norddeich. „Es macht viel Spaß“, sagt er und ergänzt: „Ich weiß, Bei der ersten Fahrt fast nichts im Netz wie gefährlich es auf See werden kann. Gerade für uns Fischer sind die Seenotretter eine Art Lebensversicherung.“ Als erfahrener Als die Baumkurren perfekt im Wasser liegen, tuckert die „Pirola“ Seemann kennt der 40-Jährige die Grenzen seines Kutters und die Foto: Gerold Conradi gemächlich mit etwa drei Knoten, rund sechs Stundenkilometern, eigenen sehr genau. Er ist ein besonnener Mensch, der nur so lange vorwärts. Sven Okken und sein Decksmann hoffen auf einen rausfährt, wie es Wind und Wellen zulassen. „Ich bin kein guten Fang. „Als ich das erste Mal mit meinem Kutter draußen war, Haudegen. Bei fünf bis sechs Windstärken aus Nordwest ist für hatte ich fast nichts im Netz. Da dachte ich: ‚Damit soll ich mei- mich Schluss, auch um das Material zu schonen“, sagt er. Doch ne Familie ernähren?‘“, erinnert sich der Kapitän an den anfäng- heute ist die See ruhig, und die blau-weiße „Priola“ tuckert weiter lichen Schreckmoment seiner Selbstständigkeit. Glücklicherweise gemächlich durch den Nebel.
MENSCHEN & MEER 16 | 17 Wie aus einer Schiffstragödie ein Buch wird Im späten September 1960 ereignet sich auf der Außenjade nördlich von Wilhelmshaven ein tragischer Seeunfall. Nach einem Ruderschaden läuft das Frachtschiff „Adelheid“ auf Grund. Wasser dringt ein, die Lage spitzt sich zu, und die See greift nach der Besatzung. Vier Menschen lassen ihr Leben. Nur die Frau des Kapitäns überlebt unter dramatischen Umständen. Mit ihrem acht Monate alten Baby auf dem Bauch und dem ertrunkenen Ehemann an ihrer Seite treibt Klara Meiners 14 Stunden lang in der eisigen Nordsee, bevor sie von den Seenotrettern geborgen wird. Rolf Zeh erinnert sich an seinen bewegendsten Einsatz. D as Buch „Der Untergang der Adelheid“ rekonstruiert die realen Geschehnisse von damals so genau wie möglich und greift als literarische Reportage zudem auf die Mittel der Fiktion zurück. Der Autor Marc Bielefeld hat dafür mit den beiden wichtigsten Zeit- zeugen gesprochen: den freiwilligen Seenotretter Rolf Zeh und die Gerettete Klara Meiners. Das sprichwörtliche Schiff in Fahrt gebracht hat der freiwillige Seenotretter Carsten Ihnken. Er hatte von Klara Meiners’ Besuch bei Rolf Zeh im Jahr 2018 erfahren. Fast 60 Jahre nach der Schiffs- tragödie hatten sich die beiden erstmals wieder getroffen. Drei Fragen an … CARSTEN IHNKEN, freiwilliger Seenotretter der Station Horumersiel und Foto: Steven Keller Wachleiter in der SEENOTLEITUNG BREMEN Wann haben Sie das erste Mal von der Schiffstragödie im September 1960 gehört? Die damaligen Ereignisse sind seit einiger Zeit in einem Buch Als ich 1996 mit 14 Jahren als freiwilliger Seenotretter auf der nachzulesen. Wie kam es dazu? Station Horumersiel einstieg, war dieser dramatische Einsatz immer wieder Thema bei unseren gemeinsamen Abenden. Unser 2018 ist Klara Meiners mit ihrer Tochter nach Horumersiel damaliger Vormann Rolf Zeh erzählte hin und wieder von dem gekommen. Sie wollte aus einem spontanen Impuls heraus mit Unglück, das sich fest in seinem Gedächtnis verankert und ihn einem Rettungsmann des damaligen Einsatzes sprechen und als jungen Menschen geprägt hatte. Es hat ihn sehr beschäftigt, fragte sich durch den Ort. Schließlich klingelte sie bei Rolf Zeh das war ihm deutlich anzumerken. Vielleicht hat es ihm geholfen, und unterhielt sich mit ihm. Ich wohnte damals in der Nach- darüber zu sprechen und auf diese Weise das furchtbare Erlebnis barschaft und hörte von dem Besuch. Sofort ist mir klar gewesen, zu verarbeiten. dass das Treffen der beiden und die dahinterstehende dramatische Geschichte für die Nachwelt erhalten bleiben muss. Also habe Wie haben Sie auf die Erzählungen reagiert? ich meinen Kolleginnen und Kollegen der Presse- und Öffentlich- keitsarbeit in Bremen davon berichtet. Sie haben sich der Sache Mich haben sie betroffen gemacht. Direkt vor meinem Heimatort angenommen. Das Ergebnis: Es gibt jetzt über das Unglück sogar Seekarte der Weser- und Jademündung von 1960. Rekonstruktion von ist ein derart schlimmes Unglück passiert. Zwar mit einem ein Buch. Das macht mich noch immer sprachlos, aber auch ein Schiffsroute und Fundorten glücklichen Ausgang für Klara Meiners, denn sie hat die Havarie wenig stolz, weil ich den Stein ins Rollen gebracht habe. Ich bin überlebt, aber gleichzeitig hat sie ihre Familie verloren. Was für davon überzeugt, dass es auf anderen Stationen ebenfalls sehr Route der »Adelheid« eine unglaubliche Tragödie. Diese hat auch mich immer wieder besondere Einsätze gibt, von denen ältere Besatzungsmitglieder beschäftigt: Wie würde ich als Rettungsmann mit einem solchen noch wissen, die aber außerhalb der Küstenorte wenig bekannt Wrackstelle Erlebnis umgehen? Im Einsatz auf See machen wir unseren Job. Wir und es wert sind, einer breiten Öffentlichkeit erzählt zu werden. funktionieren. Wir spulen das ab, was wir in ungezählten Übungen Vielleicht nehmen andere Rettungsleute das Buch über den Fundort von Frau Meiners gelernt haben, und helfen einfach den Menschen, die da drau- Untergang der „Adelheid“ zum Anlass, um ebenfalls nach ßen in Not geraten sind. Mir hilft es auf jeden Fall, nach einem solchen besonderen Einsätzen zu suchen. Ich finde, sie dürfen nicht Horumersiel, Station der Seenotretter emotional aufwühlenden Einsatz mit meinen Kolleginnen und verloren gehen, da jeder einzelne Fall die Geschichte der DGzRS Kollegen zu reden, zu wissen, dass wir einander mit dem Erlebten bereichert und unseren Freunden sowie Förderern unsere Arbeit nicht allein lassen. näherbringt.
MENSCHEN & MEER 18 | 19 Außenjade. Am 26. September 1960, es ist ein Montag mit tiefen treiben. Eine Obstkiste, ein Kanister. Zeh hat auf seinen vielen Einsätzen schon Ölfässer im Meer vagabun- Wolken und dünnem Regen, fahren die Seenotretter dieren sehen, abgerissene Fender, Baumstämme, Gummistiefel, Mützen. Der Wind drischt in die Gesichter Arnold Gruben, Otto Weihusen und Rolf Zeh mit der Retter. Umso heftiger, wenn Arnold Gruben das Boot einige Grad mehr nach West dreht, um den ihrem Boot auf einem nordöstlichen Kurs weiter Blick immer wieder auch mal nach Süden richten zu können. hinaus aufs Meer, in Richtung der Schillig-Reede. Vormann Gruben schickt einen zerknitterten Blick gen Wieder steckt ein Seehund seine Schnauze aus den Wogen. Diesmal so nahe, dass die drei seine Barthaare Himmel. Der Wind pflückt ihm die Worte prompt von sehen können. Zwei Glasaugen, die sie eine Weile neugierig anstarren, dann rutscht das Tier wieder in den Lippen, nur so viel dringt durch das Gebrause in die undurchsichtige Tiefe. die Ohren der beiden anderen: „Tonne elf ist gleich querab“, sagt Gruben. „ … Mistwetter!“ „Schillig an backbord auf meiner Seite.“ „Das Wasser läuft noch auf, aber der Strom wird schon Die Tiefdruckgebiete sind in diesem Monat schon weniger.“ früh vom Atlantik herübergzogen, die Ernte auf den „Die Tonnen neigen sich noch.“ Feldern steht noch immer auf dem Halm, und die „Vielleicht sind die Wrackteile schon südlicher Wolken scheinen sich dieser Tage in dichten Reihen vertrieben, rein in die Jade.“ gegenseitig durch den Himmel zu jagen. Nun naht ein „Sie können sonst wo sein.“ weiteres Tief, und womöglich stammt es von einem „Von einer Besatzung war ja nicht die Rede.“ Ausläufer des Hurrikans „Donna“, der gerade erst im Die junge Familie Meiners an Bord der »Adelheid« „Nein, kein Wort.“ Osten der Vereinigten Staaten getobt hat, New York „Vielleicht ist alles nur ein Haufen Treibgut gewesen.“ unter Wasser setzte und 137 Menschen in den Tod trieb. „Wie müssen nach allem Ausschau halten.“ „Der russische Dampfer meldete die Teile weiter Im Norden Frieslands aber macht das Wetter, was es meistens macht, und die Männer sehen, was sie nördlich.“ so oft hier draußen sehen. Eine Windstärke vier bis fünf bläst aus Nordwest, das Wasser eine blaugrau „Das war vor über eine Stunde.“ zerstobene Fläche, der Himmel ohne scharfe Konturen. Fast monochrom marschieren die Wolken „Wer weiß, wie schnell sie gemeldet haben.“ dahin, hier und da brechen Schaumkronen, der Horizont sieht aus wie eine zerfranste Schnur. Stoisch „Wir fahren noch ein Stück weiter nach Norden, arbeitet sich das kleine Rettungsboot durch die See nach Nordost. Gruben am Steuer, Zeh neben ihm im dann wieder nach Süden zu den inneren Sänden.“ Steuerstand. „Keine neue Meldung aus Bremen?“ Die »Adelheid« auf der Fahrt hinaus auf See „Nichts weiter, keine weiteren Sichtungen.“ Noch läuft das Wasser auf. In drei Stunden erst wird der Strom kentern und das Meer sich nach „Sind ja auch kaum Boote draußen.“ Stauwasser wieder zurückziehen. Überall sehen sie Wasser um sich herum. Die Sände der Mellum liegen „Die Fischer haben nichts gesehen.“ bereits versunken im Meer, dem Wattfahrwasser der Minsener Oog stehen die Fluten fast bis zu den oberen Prielkanten. Weiter im Westen ducken sich die Dünen Wangerooges unter dem grauen Himmel, Vor den Seenotrettern schaukelt die See. Eine Welt, gewoben aus Wasser und Himmel, Wolken eine hellbraun zerrupfte Kante, die sie von ihrer Position aus deutlich erkennen können. und Wellen. So tief hängt der Regen, dass sich der Horizont schon auflösen will. Eine See wie ein basaltgrauer Ölschinken. Wonach sollen sie suchen? Ihre Augen kleben auf dem Wasser, und immer wieder schnappen sich Rolf Zeh und der noch junge Otto Weihusen die Ferngläser. Mit breiten Beinen stehen Doch ist dies nur das sichtbare Antlitz des Wattenmeers, das Offenkundige seines Wesens. Ein sie da, wiegen in den Bewegungen des Boots, versuchen die Gläser vor den Augen zur Ruhe gleichgültiges Gesicht, das die Abgründe seiner Seele im Verborgenen hält. Denn erst unterhalb der zu bringen. Ab und zu stützt sich Rolf Zeh auf dem Süll ab, stiert in die Quadranten der Himmelsrichtungen. sichtbaren Oberfläche fließen die wahren Kräfte der Unterwelt. Dort jagen sich die Ströme durch ein Überall See. verwinkeltes System, welches die eigentliche Natur dieses Meeresraums ausmacht. Durch das Glas betrachtet, erscheint das Meer Einige Wattströme folgen diesen unterseeischen Gräben bis weit hinaus in die tiefe Nordsee, andere viel näher und reicher an Schraffuren. Zeh sieht rasen noch immer wutentbrannt an den flachen Sänden vorbei, gehen mit der Ebbe, kommen mit der Flut. die einzelnen Wellen, die in Dreiecken und Wie ein tobsüchtiger Sisyphos, der seit ewigen Zeiten alle sechs Stunden hin und her galoppiert. zerwühlten Formationen durchs Bild rollen, durch das Visier vergrößert zu einer brodelnden Und was maßt sich nun ein menschengemachtes Boot an, Masse. Hier und da tauchen dunkle Punkte darin sich diesem Getriebenen auszusetzen? Bewehrt nur mit einem auf wie auf dem Meer liegengebliebene Kanonen- Ruder, einem Motor oder einem Segel – ohne diese Krücken kugeln. Seehunde, denkt Zeh. Sie verschwinden jedoch ausgeliefert wie ein Fisch ohne Flossen, wie ein Krebs kurz, tauchen im Nu an anderer Stelle wieder ohne Beine. auf, als würden sie sich vor dem nahenden Boot verstecken und immer mal wieder schauen, was So wird jede Fahrt hinaus auf dieses zutiefst unstete Reich für ein Wesen da auf sie zuhält. immer und zu allererst zu einem archaischen Wagnis. Und welch fürchterlicher Ignorant muss sein, der neben seinem Treibende Menschen würden anders aussehen, Seesack und seinem gut geschmierten Diesel nicht noch dies denkt Zeh. Sie würden nicht so oft abtauchen, nicht mit hinaus aufs Wasser nimmt. so schnell an anderer Stelle wieder zum Vorschein Dies ist ein Ausschnitt aus dem 156-seitigen Buch „Der Unter- gang der Adelheid“, das im Verlag „Let’s sea“ erschienen ist Kapitän Ewald Meiners mit seinem Sohn Bernhard kommen. Doch es könnte ja sonstwas in der See Demut. und von Rike Sattler gestaltet wurde. Es ist im Seenotretter- Shop erhältlich: seenotretter-shop.de. Von jedem verkauften Exemplar gehen zwei Euro als Spende an die DGzRS.
KAPITELBEZEICHNUNG MENSCHEN UND MEER 20 21 | 21 Heiligabend bei den Seenotrettern Ein kleines Büchlein ist gefüllt mit Geschichten über Heike und Thomas – den Anstoß dazu gaben die Jüngsten der Familie. „Vor einiger Zeit haben mich meine Enkel gebeten, all das aufzuschreiben, was wir mit unseren Kindern Heike und Thomas erlebt haben, als sie klein waren“, sagt Gert Plehn. In einem Kapitel erzählt der Oldenburger von den Erlebnissen seines Sohnes Thomas mit den Seenotrettern. wortkarg. Dann setzten wir uns in den unteren Fahrstand, und ich überreichte die Flasche Rum. ‚Nu dringt wi erst'n Buddel Beer, Schluck dürt wi nich‘, meinte Hein Leiß. Bald danach kam noch ein weiterer Rettungsmann dazu. Hermann Brandt verbindet Holzkunst aus dem Erzgebirge mit maritimem Flair. Maritime Leidenschaft Während der ganzen Zeit blieb das Funk- gerät eingeschaltet. Es waren mehrere Stimmen für Erzgebirge-Kunst zu hören. Vorbeifahrende Schiffe wünschten den Rettungsmännern ,Frohe Weihnachten‘. Einen Kapitän kannte Hein Leiß offensichtlich besonders gut. Zu ihm sagte er: ‚Hier will di een In der Vorweihnachtszeit sind sie oft zu sehen: kleine Figuren, sich snacken.‘ Er gab Thomas den Hörer und forderte drehende Pyramiden und Lichterbögen aus Holz. Diese traditionelle ihn auf, dem Kapitän etwas zu erzählen. Kunst aus dem sächsischen Erzgebirge verbinden viele mit dem Fest Thomas war zu überrascht und konnte nur der Feste. Ein Bremer verleiht dem alten Handwerk ein maritimes einige wenige Worte herausbringen. Zu Hause Gewand – und bastelt Seenotretter im Miniaturformat. angekommen, berichtete Thomas seiner Mama Beim Gang über die LANGEOOG darf Thomas Plehn den oberen Fahrstand besichtigen. und seiner Schwester Heike voller Begeisterung von unserem Besuch auf dem Seenotrettungs- boot. Er war Thomas' schönstes Weihnachts- H ermann Brandt (81) ist ein echtes Kind der Küste: aufgewachsen in Schleswig- Besonders historische Ruderrettungs- boote passen gut zur traditionellen Holz- geschenk in diesem Jahr. Holstein, sieben Jahre zur See gefahren kunst. Was im Erzgebirge fortan hergestellt Um die Ecke gedacht – 1976 , während unseres Weihnachts- urlaubs auf Langeoog, überlegten Theda und gehen. Thomas war hellauf begeistert und frag- te: ‚Ob das wohl geht?‘ Ich: ‚Wir versuchen das.‘ Noch viele Jahre lang wünschte Thomas den Rettungsmännern an jedem Heiligabend und durch die Liebe nach Bremen gelangt. Darüber hinaus hat ihn die Arbeit mit Holz schon immer begeistert. Dass der Seemann wurde, verkauften Brandt und seine Frau auf Fachmärkten, Messen und zeitweise sogar in einem eigenen Laden im Bremer finde diesen maritimen ich uns eine besondere Überraschung für telefonisch ‚Frohe Weihnachten‘. aber ausgerechnet ein Faible für Kunst aus Schnoor-Viertel. Hermann Brandt reparierte Begriff: Thomas. Wir dachten dabei an einen Besuch An Bord war aber niemand zu entdecken dem Erzgebirge entwickelte, ist einer Begeg- lädierte Boote und Schiffe, legte vor allem auf dem Seenotrettungsboot LANGEOOG. Auf und ich wusste nicht, wie ich mich bemerkbar nung nach der Wende zu verdanken: „Da- bei den Figuren selbst Hand an. Er fertig- dem Weg zu einem Einkauf erkannte ich den machen konnte. Mir fiel ein, dass in einem mals wurden Übernachtungsmöglichkeiten te kleine Seenotretter mit Südwester, aber Man kann hindurch – Vormann des Rettungsbootes, Hein Leiß. Er war, solchem Fall der Name des Schiffes gerufen für Gäste aus den neuen Ländern gesucht“, auch moderne Versionen in roter Seenot- wie die meisten seiner ‚Gattung‘ sehr wortkarg. wurde. Ich rief also „Hallo LANGEOOG, dürfen berichtet Brandt. Er und seine Frau stellten retter-Schutzausrüstung. aber nicht mit ihm Ich sprach ihn an und fragte ihn, ob ein Besuch wir an Bord?“ Keine Antwort. Ich wiederholte ein Zimmer zur Verfügung – und die Besu- sehen. an Bord möglich sei. Er antwortete: „Jau, dat das Ganze. Wieder nichts. Was nun? Jetzt ging cher brachten zum Dank einen traditionel- Inzwischen haben sich die Brandts nach geiht woll.‘ Nun fragte ich meinerseits auf Platt: ich einfach an Bord und klopfte an die Tür len Lichterbogen mit. „Da war die Neugier gut drei Jahrzehnten aus dem Geschäft mit ‚Wenner passt dat denn?‘ Er: ‚Mörgen, so Klock des unteren Fahrstandes. Nach mehrmaligem geweckt.“ der Holzkunst zurückgezogen. Ganz lö- tein.‘ Mörgen, das war Heiligabend. Klopfen öffnete uns ein verschlafener Hein Leiß, sen kann sich der passionierte Bastler aber Das nautische Rätsel hat sich Hans-Joachim der in Unterhose vor uns stand. Der arme Kerl Bei einem Gegenbesuch entstand Kontakt nicht davon. Für den Verein „Historische Schlehufer aus Hohenpeißenberg bei Ich war ganz verdutzt. In unserer Ferien- hatte einen Nachteinsatz gehabt und noch zu Handwerkern vor Ort. Diese suchten neue Seenotrettung Horumersiel“ hat Hermann München ausgedacht. wohnung angekommen, berichtete ich Theda nicht viel geschlafen. Er war aber sehr freund- Ideen, Hermann Brandt lieferte sie. Es entstan- Brandt den Seenotbeobachtungsturm davon. Am nächsten Morgen packte ich eine lich und begrüßte uns mit: ‚Sü, doar sünd ji joa.‘ den Boote und kleine Hafenarbeiter aus Holz „Hoher Stuhl“ nachgebaut. Vermutlich ist Flasche Rum in eine Plastiktüte, rief Thomas – bald sogar Seenotretter und ihre Schiffe. dies nicht die letzte DGzRS-Rarität, die die zu mir und sagte ihm, dass wir beide einen Hein Leiß zug sich schnell an und zeigte „Andere Modelle veralteten schnell, aber Werkstatt des fleißigen Rentners verlassen Spaziergang zum Hafen machen wollten. Dort Thomas das ganze Schiff: vom Maschinen- die DGzRS ist etwas Beständiges“, erklärt wird: „Ich bin eigentlich jeden Tag im Keller, angekommen meinte ich, dass wir ja einmal raum bis zum oberen Fahrstand. Er erklärte Sprachlos am Funkgerät: Thomas Plehn Brandt. „Außerdem habe ich als Seemann um zu werkeln. Irgendwas fällt mir immer versuchen könnten, auf das Rettungsboot zu Thomas alles und war nun gar nicht mehr am 24. Dezember 1976 an Bord der LANGEOOG alle Achtung vor der Arbeit der Gesellschaft.“ ein.“ Lösung: Bullauge
MENSCHEN UND MEER / UNSERE EHRENAMTLICHEN 22 | 23 Foto: Kurverein Neuharlingersiel e. V., Neu im #TeamSeenotretter: Tobias Stückroth Seit dem 1. September engagiert sich Tobias Stückroth (39) im #TeamSeenotretter. Der ausgebildete Fundraising-Manager mit einem zusätzlichen Master in Fundraising-Management und Philanthropie verfügt über langjährige Erfahrung darin, Menschen für eine gute Sache zu begeistern. Er verantwortet Martin Stöver bei der DGzRS die Abteilung Direktansprache und Ehrenamt. Ab dem Jahreswechsel leitet er auch den Spenderdialog. Damals (l.) und heute (r.): Bei einem Schuljubiläum verkaufte Björn Worauf kommt es staltungen stattfinden, konnte ich nicht mit Rösing (2. v. r.) 1979 als Zwölfjähriger gemeinsam mit drei dabei besonders an? ihnen vor Ort ins Gespräch kommen und Klassenkameraden Postkarten, Poster und andere kleine etwas über ihre Motivation erfahren. Es fehlt Seenotretter-Artikel zugunsten der DGzRS. 38 Jahre später steht er Nicht auf die bloße Anzahl mir das unmittelbare Erlebnis, wie bisher (2. v. l.) im Jahr 2017 als ehrenamtlicher Mitarbeiter bei der 50. Kutterregatta in Neuharlingersiel vor dem DGzRS-Infowagen. neuer Förderer, sondern neue Förderer gewonnen werden. Ich habe Reise in die eigene Vergangenheit darauf, Verbundenheit zu allerdings bisher schon viele nette schaffen. Ältere Menschen Menschen kennengelernt, die mir den Start bleiben einer Organisation sehr angenehm gemacht haben. in der Regel länger treu als jüngere. Ich muss also Was sind Ihre vorrangigen Aufgaben Es ist, als blickte Björn Rösing in seine Kindheit zurück, wenn mal wieder ein wissbegieriger Junge jedem passende Informatio- in den nächsten Monaten? am Infostand der Seenotretter steht und ihn mit Fragen löchert. Es fühlt sich dann an, als ob die Zeit nen vermitteln und authen- zurückgespult wird. tisch sein. Die Seenotretter Ich möchte das Ehrenamt bei der DGzRS haben einen großen Vorteil: Wir gewinnen Förderer fast ausschließlich im direkten weiter stärken und deshalb den Ehren- amtlichen weitere Hilfsmittel wie neue Informations- und Messestände an die E s ist schon drollig, wie sich in den Kindern mein eigenes Verhalten von vor mehr als 40 Stunde hielt er sich tief versunken in einer anderen, für ihn fremden Welt auf. Zwar lag Wartungsarbeiten hatte dieser sich die Hand so stark gequetscht, dass er dringend von Foto: Steven Keller Gespräch mit Ehrenamt- Hand geben. Ich möchte die Digitalisierung Jahren widerspiegelt“, sagt der inzwischen die See mit der nahen Nordsee für ihn als Bord in ein Krankenhaus gebracht werden lichen, die sich in hohem vorantreiben sowie Schulungen und Webi- 54-Jährige und schmunzelt. Er hält für einen gebürtigen Bremerhavener Jung’ vor der musste.“ Rösing alarmierte umgehend die Maß mit der Arbeit der Be- nare anbieten. Im Moment ist allerdings die kurzen Moment inne, schaut gedanken- Haustür, aber von den Seenotrettern hatte SEENOTLEIUNG BREMEN der DGzRS. Sofort satzungen identifizieren. Pandemie die größte Herausforderung. Sie voll in die Ferne. Es scheint, als ob Bilder er bis dahin noch nie gehört. schickten die Wachleiter einen Hubschrauber Mit ihrer eigenen Leiden- macht vieles schlicht unmöglich. Ich möchte von Früher vor seinem inneren zum Containerschiff, das vor Wangerooge Tobias Stückroth engagiert sich im #TeamSeenotretter. schaft und Passion für die derzeit vor allem Kontakt halten, nieman- Auge ablaufen. Als sein Vater ihm schließlich von dem auf Tiefwasser-Reede lag, um den Seemann Seenotretter können sie den allein lassen. Denn bald werden wir in der Hafenstadt stationierten Seenot- abzubergen. Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen? einfach mehr Menschen begeistern. Als wieder auf das großartige Engagement Seit 2014 engagiert sich Björn Rösing als rettungskreuzer H. H. MEIER erzählte, wurde Rettungsdienst, der ständige laufende aller in vollem Umfang angewiesen sein. ehrenamtlicher Mitarbeiter bei den See- aus der Fiktion greifbare Realität. Bei einem „Es hat mich fasziniert und begeistert, wie Mit Mitte 20 habe ich mich entschlossen, Kosten hat, benötigen wir Planungs- Ich hoffe daher, dass uns bis dahin alle treu notrettern – offiziell. Denn eigentlich ist er Besuch im Tonnenhafen lernte Björn Rösing bei diesem erfolgreichen Einsatz alles naht- nicht mehr in meinem Beruf als Hotelfach- sicherheit. Deshalb müssen wir uns breiter bleiben. Ab Januar übernehme ich zusätz- schon viel länger dabei: Bereits als Zwölf- waschechte Seenotretter kennen. Von da an los und vor allem sehr schnell ineinander- mann zu arbeiten und etwas Neues auszu- aufstellen und neue Förderer gewinnen, die lich die Verantwortung für den Spender- jähriger betreute er seinen ersten DGzRS- „gab es kein Halten mehr“ – auch nicht in der gegriffen hat“, erinnert sich Björn Rösing. probieren. Für einige Monate habe ich in sich regelmäßig und langfristig im Seenot- dialog. Ich möchte den Zusammenhalt des Infostand, beim „Tag der offenen Tür“ Schule. Als sie 1979 ihr Jubiläum mit einem „Ich dachte spontan: ‚Das möchte ich mit verschiedene andere Jobs reingeschnuppert. retter-Team finanziell engagieren. Teams weiter stärken. In Kooperationen anlässlich des 75-jährigen Bestehens seiner „Tag der offenen Tür“ feierte, saß Björn mehr als Geld unterstützen – das lohnt sich!‘“ Dann bin ich auf eine österreichische Fund- mit Unternehmen und Stiftungen sehe ich Schule im Mai 1979. „Ich war damals ein Rösing gemeinsam mit drei Mitschülern Seitdem steht er in seiner Freizeit auf raising-Agentur gestoßen, die in Deutschland Wie ist Ihre Verbindung großes Potenzial, genauso wie im Kontakt mit riesengroßer Fan der Seenotretter – und an einem selbst gebauten Infostand und maritimen Veranstaltungen am Seenot- Fuß fassen wollte. Das war für mich zwar zu den Seenotrettern entstanden? Kindern. Die drei Bereiche Direktansprache, auch schon Förderer“, erinnert er sich. Die verkaufte mit großem Erfolg Poster, Post- retter-Infostand, erzählt den Besuchern von Neuland, aber sprach mich auch wegen Ehrenamt und Spenderdialog möchte ich Wände seines Zimmers waren mit Postern karten und andere kleine Seenotretter- der Arbeit der Rettungsleute auf See. Und der Kunden wie Greenpeace und Amnesty Ich kenne sie schon ewig, meine Mutter ist noch stärker vernetzen, gemeinsam mit den der Seenotrettungskreuzer tapeziert, in einer Artikel: 374,50 Mark spendeten die Schüler manchmal wird er von einem wissbegierigen International an. Ich habe mich bewor- in Travemünde aufgewachsen. Die Sammel- Ehren- und Hauptamtlichen neue Ideen Box lagerte er die wertvollen DGzRS- an die DGzRS. Jungen an seine eigene Kindheit erinnert. ben und es klappte. Heute bin ich sehr froh schiffchen habe ich bereits als kleiner Junge entwickeln, wie wir noch besser und noch Postkarten, die er mit viel Fleiß sammelte, darüber, dass ich damals in die Fundraising- wahrgenommen und auch mal beladen. An mehr Menschen für unser einmaliges, und sein Wissen über die Arbeit der Nahtlos und schnell Welt hineingerutscht bin. Es macht mir ein- der See war ich immer gerne, da fallen die hochemotionales Thema begeistern Besatzungen wuchs mit jeder gelesenen fach sehr viel Spaß, mit Menschen und für Seenotretter einfach auf. Es war aber eine können. Jahrbuchseite. In der Pubertät schwand bei Björn Rösing gemeinnützige Organisationen zu arbeiten. eher lockere Verbindung, zumal ich zwar in das Interesse an den Rettungsleuten und Lübeck geboren und in Bad Segeberg auf- Wenn Sie abends das Büro verlassen, Angefangen hatte alles 1977 mit der ihren Spezialschiffen. Andere Dinge rückten Was reizt Sie an Ihrer Tätigkeit besonders? gewachsen bin, aber die prägende Zeit als womit verbringen Sie dann Ihre Zeit? ZDF-Vorabendserie „Aus dem Logbuch der in den Vordergrund, wurden für sein Leben Von der Waterkant bis zum Jugendlicher in Berlin erlebt habe. Peter Petersen“, in der Geschichten rund um wichtiger. Als Erwachsener blieb er zwar Alpenrand engagieren sich knapp Fundraising ist Kommunikation auf Augen- So oft es geht mit meinem vierjährigen den fiktiven, in Wyk auf Föhr stationierten Förderer, aber erst 2013 wurde er wieder mit 650 Menschen als ehrenamtliche höhe mit interessierten Menschen und Wie ist Ihr bisheriger Eindruck Sohn Moritz. Daneben pflege ich meine gleichnamigen Seenotrettungskreuzer voller Wucht auf die Seenotretter aufmerk- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im natürlich Beziehungspflege – beides reizt von der Arbeit bei den Seenotrettern? langjährigen Freundschaften in Berlin, erzählt wurden. „Ich habe die Serie geliebt“, sam. Inzwischen Klarierungsagent bei einer #TeamSeenotretter – Björn Rösing ist mich. Daneben finde ich es sehr spannend, treffe mich regelmäßig mit meinen erinnert sich Björn Rösing. Pünktlich um Schiffsmaklerei in seiner Heimatstadt, sollte einer von ihnen. Für diesen unermüd- neue Wege zu finden, wie ich Menschen Bisher konnte ich coronavirusbedingt leider Freunden in meiner alten Heimat. Und dann 18.20 Uhr saß er bei jeder Folge im heimi- er die Rettung eines schwer verletzten See- lichen Landeinsatz und die kostbare erreichen und für eine Sache begeistern nicht so viele Ehrenamtliche treffen, wie ich bin ich ein Kind der 1990er Jahre mit einem schen Wohnzimmer vor dem Fernseher, um manns auf einem Containerriesen organi- Zeitspende möchten wir uns bei allen kann. es mir gewünscht habe. Weil keine Veran- Faible für die Musik und Serien dieser Zeit. keine Minute zu verpassen. Für eine halbe sieren, für dessen Reederei er tätig war: „Bei ganz herzlich bedanken!
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