Friedens t Spuren des - Katholische Militärseelsorge
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Die Zeitschrift des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr Soldat in Welt und Kirche 01I20 Spuren © KS / Friederike Frücht des Friedens ISSN 1865-5149
INHALT Titelthema Spuren des Friedens 16 4 Weltfriedenstage 1968–2019 Roter Sand bedeckt innerhalb von Sekun- 5 Zur Entstehung der den alles: Schuhe, Weltfriedenstage Hose, Koffer, Hände. von Bischof Heiner Wilmer Er kriecht überall hin und begleitet einen bis nach Deutschland 7 Termine zur Feier des zurück. Mali lässt Weltfriedenstags 2020 also nicht los, in ver- schiedener Hinsicht 8 Friedenslicht und ... Weltfriedenstag Interview mit Stefan Dengel Aus der Militärseelsorge Rubriken 10 Sich die Hand reichen ... von Heinz-Gerhard Justenhoven 14 „Seien Sie mutig!“ 9 zum LKU: Friede von Militärgeneralvikar Msgr. Reinhold Bartmann 21 Kolumne des Wehrbeauftragten 15 Neujahrsgruß 24 Auf ein Wort von Andreas Quirin, GKS-Bundesvorsitzender 26 Soldatenheilige: St. Sebastian 16 Lebkuchen in Mali 28 Aktion Dreikönigssingen 2020 Reportage vor Ort 29 Filmtipp: 20 Jüdische Militärseelsorge Ein verborgenes Leben 22 7 Tage Armenien – Wiege des 30 Damals vor 35 Jahren Christentums 30 VORSCHAU: 20 25 Lourdes für einen gelernten Protestanten Unser Titelthema im Februar 31 Rätsel Impressum Herausgeber Hinweis KOMPASS. Soldat in Welt und Kirche Der Katholische Militärbischof Die mit Namen oder Initialen gekennzeich- ISSN 1865-5149 für die Deutsche Bundeswehr neten Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für das Redaktionsanschrift Verlag und Druck unverlangte Einsenden von Manuskripten und KOMPASS. Soldat in Welt und Kirche Verlag Haus Altenberg Bildern kann keine Gewähr und für Verweise Am Weidendamm 2 Carl-Mosterts-Platz 1 in das Internet keine Haftung übernommen 10117 Berlin 40477 Düsseldorf werden. Bei allen Verlosungen und Preisaus- schreiben in KOMPASS. Soldat in Welt und Telefon: +49 (0)30 20617-421 Leserbriefe Kirche ist der Rechtsweg ausgeschlossen. E-Mail: kompass@katholische- Bei Veröffentlichung von Leserbriefen soldatenseelsorge.de behält sich die Redaktion das Recht Internet auf Kürzung vor. www.katholische-militaerseelsorge.de Chefredakteurin Friederike Frücht (FF) Redakteur Jörg Volpers (JV) Social Media Bildredakteurin, Layout Doreen Bierdel Lektorat Schwester Irenäa Bauer OSF
EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, alle reden vom Frieden – wir auch. Jedoch verhält es sich hier genau umgekehrt wie mit dem Wetter: Irgendein Wetter, über das man reden kann, gibt es jederzeit und überall auf der Welt. Und jedes Jahr finden verschiedene „Tage des Friedens“ statt, aber wohl nie in der Geschichte der Menschheit gab es einen Tag, an dem tatsächlich weltweit Frieden geherrscht hätte. Jährlich am 1. September erinnern in Deutschland unter an- derem die Gewerkschaften mit einem „Antikriegstag“ an den Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1.9.1939, und in Resoluti- onen von 1981 und 2001 haben die Vereinten Nationen den „Internationalen Tag des Friedens“ für den 21. September ausgerufen. Dieser wird seit 2004 durch den Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) als „Internationaler Tag des Gebets für den Frieden“ unterstützt. Auch wir haben als Zeitschrift des Katholischen Militärbischofs zu Beginn der vergangenen Jahre – im jeweiligen Januar-Heft – © KS / Doreen Bierdel sowohl an den ersten „Weltfriedenstag“ der katholischen Kirche am 1.1.1968 erinnert als auch die Erklärungen der jeweiligen Päpste dazu thematisiert. Das Motto für 2020 von Papst Fran- ziskus lautet: „Der Friede als Weg der Hoffnung: Dialog, Ver- söhnung und ökologische Umkehr“. In dieser Ausgabe schauen wir aber zurück auf die Entstehung dieser besonderen Tradition am ersten Tag des Jahres und am „Hochfest der Gottesmutter Maria“ sowie auf die Themen der vergangenen gut fünfzig Jahre. Die katholischen Hilfswerke haben das gemeinsame Jahres- Lourdes-Motto 2020: thema „Frieden leben“ gewählt, das gerade für Soldatinnen und Soldaten große Bedeutung hat. Adveniat formulierte im „Meinen Dezember: „FRIEDE! MIT DIR!“, die Sternsinger rufen uns jetzt im Januar zu: „Frieden! Im Libanon und weltweit“ und sowohl „Meinen Misereor als auch die BDKJ-Jugendaktion werden uns in der Frieden Friedengebe gebe Fastenzeit auffordern: „Gib Frieden!“ Und schließlich geht die Internationale Soldatenwallfahrt in diesem Jahr mit dem Motto nach Lourdes: „Meinen Frieden gebe ich euch!“ ichich euch!“ euch!“ Auch die Kompass-Redaktion wünscht Ihnen ein friedvolles Jahr 2020! Jörg Volpers, Redakteur Kompass 01I20 3
TITELTHEMA „... dass sich die Nationen gegenseitig achten, dass die Völker untereinander Brüder werden und alle Menschen für ihren gemeinsamen Fortschritt zusammenarbeiten.“ Papst Paul VI. 4 Kompass 01I20
TITELTHEMA Zur Entstehung der Weltfriedenstage „Man muss immer vom Frieden sprechen“ (Paul VI.) D ie 1960er waren eine bewegte Zeit. Die Erinne- rungen an den II. Weltkrieg waren noch präsent und dennoch wähnte sich die Welt schon wieder am Rande eines neuen globalen Krieges mit dem unvor- stellbaren Zerstörungspotenzial der Atommächte. Auch theologisch und kirchenpolitisch war diese Dekade alles andere als ruhig. Das II. Vatikanische Konzil (1962–65) führte die katholische Kirche zu einer grundlegenden Neubesinnung über ihr Wesen, ihr Verhältnis zu den anderen Religionen und allge- mein über ihren Auftrag in der Welt. In dieser Zeit stand Papst Paul VI. an der Spitze der Kirche. Er trat 1963 das Erbe Johannes‘ XXIII. an, der nicht nur die Einberufung des Konzils gegen viele Widerstände vorangetrieben, sondern auch mit seiner Enzyklika „Pacem in terris“ der Kirche den Menschenrechtsge- danken ins Stammbuch geschrieben hatte. Paul VI. stellte sich explizit in diese Tradition: Angesichts der Bedrohungen seiner Zeit thematisierte er im- mer wieder die Notwendigkeit des Friedens und die Friedensbotschaft des Evangeliums, entwickelte die kirchliche Friedenslehre weiter und richtete schließ- lich den Tag des Friedens am 1. Januar 1968 ein, der seit diesem Zeitpunkt jährlich von der Kirche begangen wird. In der Chronologie der Entstehung der Weltfriedens- tage durch Paul VI. müssen wenigstens vier wichtige Wegmarken erwähnt werden: 1. Am Beginn steht das schon erwähnte Konzil, das von der Kirche eine verstärkte Hinwendung zu den Problemen der Welt einforderte. Diese Zuwendung zu den Ängsten und Sorgen aller Menschen beginnt unter dem Pontifikat Pauls VI. konkrete Gestalt an- zunehmen. 2. Die zweite Etappe verdeutlicht dieses neue Paradigma kirchlichen Handelns. Am 4. Oktober 1965 spricht Paul VI. vor der Vollversammlung der UNO. In seiner Ansprache nimmt er die vielfältigen Leiderfahrungen der Menschen zum Anlass, um zu verdeutlichen, dass die UNO eine Friedensorgani- sation sein soll: „There is no need for a long talk to proclaim the main purpose of your Institution. >> Kompass 01I20 5
TITELTHEMA >> It is enough to recall that the blood of Paul VI. im Jahr 1967 mit seinem Rund- werden mit dem Ziel einer von Gott ge- millions, countless unheard-of sufferings, schreiben „Populorum progressio“. Diese wollten Ordnung, die eine vollkommenere useless massacres and frightening ru- Sozialenzyklika ist das Gründungsdoku- Gerechtigkeit unter den Menschen her- ins have sanctioned the agreement that ment der Päpstlichen Kommission „Justi- beiführt.“ Die neu eingerichtete päpstli- unites you with an oath that ought to tia et Pax“, die mittlerweile „Dikasterium che Kommission und das breit angeleg- change the future history of the world: für den Dienst zugunsten der ganzheitli- te Verständnis von Frieden sollten dafür never again war, never again war!” chen Entwicklung des Menschen“ heißt. sorgen, dass die Weltfriedenstage immer Diese Initiative rückte den Einsatz für Ge- wieder unterschiedliche thematische As- 3. Im September 1966 bringt Paul VI. rechtigkeit und Frieden nicht allein in das pekte aufgriffen. das Thema des Friedens schließlich auch Zentrum der Kirche, in den Vatikan, son- innerkirchlich stärker zur Geltung – und dern fand weltweit Widerhall. So wurde Diese einzelnen Etappen mündeten zwar auf ungewöhnliche Weise. Im Zent- im selben Jahr die Deutsche Kommission schließlich am 8. Dezember 1967 in die rum seiner Enzyklika „Christi matri“ aus Justitia et Pax gegründet und zahlreiche Einrichtung der Weltfriedenstage durch diesem Jahr steht eigentlich das mari- nationale Kommissionen folgten. „Popu- die päpstliche Botschaft zur Feier des anische Rosenkranzgebet. Doch Papst lorum progressio“ institutionalisierte so Tages des Friedens jeweils am 1. Janu- Paul VI. verbindet dieses mit dem Frie- die kirchliche Friedensarbeit und bildet ar. Dieser jährliche Gedenktag ermahnt densanliegen der Kirche: „Nichts scheint damit den Schlussstein für die Einrich- die gesamte Kirche immer wieder zum Uns zeitgemäßer, nichts besser, als tung der Weltfriedenstage. unermüdlichen Einsatz für den Frieden dass sich die ganze Christenheit im Ge- in der Welt und die dazu gehörigen Bot- bet an die Mutter Gottes wende, an die Doch kann diese Enzyklika natürlich schaften bieten substanzielle Beiträge ‚Königin des Friedens‘, damit sie in die- nicht hierauf reduziert werden. Denn zur Weiterentwicklung der kirchlichen ser übergroßen Not und Bedrängnis ihre Paul VI. löst mit ihr auch die kirchlichen Friedenslehre. Gaben gnädig und reich uns schenke.“ Friedensreflexionen aus ihrer Engführung Er verdeutlicht hier, dass die kirchliche auf Krieg und Kriegsführung, indem sie Die Krisen der bewegten 60er Jahre tru- Friedensarbeit nicht nur konkretes En- diese in den Kontext von Entwicklungsfra- gen also für die Friedenslehre der Kirche gagement bedeutet, sondern eine tiefe gen einbettet. Programmatisch ist dabei reiche Früchte. Ohne sie sähe ihr Antlitz religiöse Dimension umfasst; hier lassen das Schlagwort „Entwicklung, der neue heute sicherlich anders aus. sich die spirituellen Wurzeln des kirch- Name für Friede“, das verdeutlicht, dass lichen Weltfriedenstags finden. „Friede […] nicht einfach im Schweigen Heiner Wilmer, der Waffen [besteht], nicht einfach im Bischof von Hildesheim und 4. Den letzten großen Schritt auf dem immer schwankenden Gleichgewicht der Vorsitzender der Deutschen Kommission Weg zu den Weltfriedenstagen macht Kräfte. Er muss Tag für Tag aufgebaut „Justitia et Pax“ „Dieser jährliche Gedenktag ermahnt die gesamte Kirche immer wieder zum unermüdlichen Einsatz für den Frieden © Gossmann / bph in der Welt, ...“ Bischof Willmer 6 Kompass 01I20
TITELTHEMA © Bundeswehr / Langner Termine zur Feier des Weltfriedenstags 2020 16.1.2020 um 9.00 Uhr in Köln Pontifikalamt mit Rainer Maria Kardinal Woelki im Hohen Dom zu Köln 30.1.2020 um 10.30 Uhr in Würzburg Weltfriedenstag im Dom zu Würzburg 6.2.2020 um 9.30 Uhr in Hildesheim Pontifikalamt mit Bischof Heiner Wilmer im Mariendom 13.2.2020 um 10.00 Uhr in Wilhelmshaven Weltfriedenstag in Wilhelmshaven mit Weihbischof Wilfried Theising in der Sankt-Willehad-Kirche 10.3.2020 um 10.00 Uhr in Münster Internationaler Soldatengottesdienst mit Bischof Felix Genn in Münster 30.4.2020 um 10.00 Uhr in Trier Internationaler Soldatengottesdienst in Trier 9.6.2020 um 10.00 Uhr in Aachen Internationaler Soldatengottesdienst mit Bischof Helmut Dieser im Dom zu Aachen 10.6.2020 um 10.30 Uhr in Berlin Weltfriedenstag mit Erzbischof Heiner Koch in der Sankt-Johannes-Basilika 12.11.2020 um 10.00 Uhr in München Weltfriedenstag in München anlässlich des 75. Todestages von Pater Rupert Mayer SJ in der Bürgersaalkirche, mit Militärbischof Franz-Josef Overbeck Kompass 01I20 7
TITELTHEMA Friedenslicht und Weltfriedenstag Interview mit Stefan Dengel Kompass: Welche Rolle spielt der Welt- Kompass: Wie setzen sich der BDKJ und friedenstag bei der aktion kaserne? die aktion kaserne für Soldatinnen und Stefan Dengel: Generell hat das Engage- Soldaten ein? ment für den Frieden eine große Bedeu- Stefan Dengel: Die Anliegen und Pers- tung im BDKJ. So übergibt beispielsweise pektiven der Soldatinnen und Soldaten die aktion kaserne gemeinsam mit den werden grundsätzlich immer mitgedacht. Pfadfinder- und Pfadfinderinnenverbän- Wir versuchen Kontakte herzustellen den jedes Jahr das Friedenslicht an die und zu vermitteln. Als Teil der Zivilge- Militärseelsorge. Dies geschieht sowohl sellschaft gehen wir zu den Soldatinnen an einzelnen Standorten, als auch zen- und Soldaten, und bieten beispielsweise tral in Köln/Wahn, wo es mit Hilfe der Seminare zur politischen Bildung und zu Luftwaffe an Auslandsstandorte der Bun- Partizipationsmöglichkeiten an. deswehr gebracht wird. Kompass: Seit wann beteiligt sich der © KS / Doreen Bierdel Außerdem versuchen wir, die Friedens- BDKJ am Weltfriedenstag? politik und Friedensethik in die Verbände Stefan Dengel: Der BDKJ bringt gemein- und in den politischen und gesellschaftli- sam mit der kfd (Katholische Frauenge- chen Diskurs zu bringen. Dies erfolgt mit meinschaft Deutschlands) seit 40 Jahren Hilfe von Beschlüssen auf Bundes- und eine Arbeitshilfe zum Weltfriedenstag he- Diözesanebenen. Die Umsetzung erfolgt raus, um das Anliegen des Heiligen Va- auch durch Arbeitshilfen und anlassbe- ters auch in die Katholischen Verbände Stefan Dengel ist Referent für zogene Veranstaltungen, wie beispiels- zu bringen. Damit ermutigen wir die Ver- Soldatenfragen beim Bundes- weise das hochkarätig besetzte Groß- bände zusätzlich zu den großen Gottes- vorstand des BDKJ (Bund der podium auf dem letzten Katholikentag diensten zum Weltfriedenstag, auch auf Deutschen Katholischen Jugend) und Geschäftsführer der zum Thema „In Frieden investieren, statt der kleinen Ebene in ihren Ortschaften aktion kaserne, der Initiative der in Waffen. Politik zwischen notwendiger in ihren Verbänden eine kleine Gebets- Jugendverbände im BDKJ für Sicherheit und neuer Aufrüstung“. stunde zum Weltfriedenstag zu gestalten junge Soldatinnen und Soldaten. und das Jahr unter das entsprechende Motto zu stellen. Kompass: Wird es auch für 2020 wie- der eine solche Arbeitshilfe zum Welt- friedenstag geben? Stefan Dengel: Ja, wir planen in diesem Jahr wieder eine Arbeitshilfe für die Ver- bände. Allerdings stellen wir jetzt auf ein Onlineangebot um, das zur Zeit erstellt © Christian Schnaubelt / rpd NRW wird (www.weltfriedensgebetstag.de). Wir werden dort neben dem Download der Arbeitshilfe weitere Hintergrundinforma- tionen anbieten, sowie über Angebote der Verbände informieren. An der Arbeitshilfe sind neben dem BDKJ und der kfd (als Trägerverbände) noch zahlreiche andere Verbände beteiligt, die bisher auch an der Arbeitshilfe mitgewirkt haben, z. B. Pax Christi oder die KjG (Ka- Auch im Dezember 2019 wurde das Friedenslicht aus Betlehem mit Hilfe der Luftwaffe den Soldatinnen und Soldaten in einem Bundeswehr-Einsatz tholische junge Gemeinde). übergeben. Generalmajor Bernhardt Schlaak (l.) und Oberstleutnant Dirk Junker empfingen das Friedenslicht von Benedikt Kestner, Sprecher der aktion kaserne. Die Fragen stellte Friederike Frücht. 8
ZUM LKU Mensch und Ordnung Frie·de [der] O D en Erzählungen um den großen russi- schen Schriftsteller Lew Tolstoi wird eine Geschichte zugeordnet, die gerade Rede des Philosophen Immanuel Kant vom „Ewigen Frieden“ und vieler anderer plausibler Worte aufgeklärter Friedens- Auf dem langen Weg der Menschheit zum „Ewigen Frieden“ – oder für die Christen- heit ins „Reich Gottes“ – begann auch in Zeiten zunehmenden Unfriedens und ethiker, um endlich ein grundlegendes die Katholische Kirche sich in den 60er der Gewalt zum Nachdenken einlädt. Umdenken bezüglich (staatlicher) Ge- Jahren wirkmächtig für den Frieden als Sie erzählt von einem Mann, der auf walt, Ordnung und Macht herbeizuführen. Werk der Gerechtigkeit einzusetzen. eine Gruppe Kinder zugeht, die gerade Seitdem füllen sich ganze Bibliotheken Krieg spielen. Eindringlich bittet er die Man begann, kritischer über die Moral mit Büchern zum Thema „Friedensethik“ Spielenden: „Spielt nicht Krieg, Kinder! vom „Gerechten Krieg“ nachzudenken und beide Kirchen machen sich für einen Spielt doch Frieden!“ Die irritierten Kinder und verließ schließlich den bisherigen „gerechten Frieden“ stark. Umso mehr halten inne, sprechen miteinander und Denkrahmen vom „Gewalt-Frieden“ oder verwundert es, dass sich gerade im Zuge schließlich fragt eines aus der Gruppe nationalistischen „Sieg-Frieden“. Gera- von Digitalisierung und Globalisierung den am Rande stehenden Mann: „Und de angesichts des unvorstellbaren Leids anscheinend wieder die alte Schützen- wie spielt man Frieden?“ der Frontsoldaten in den Schützengräben grabenpolitik nun Bahn bricht. Verteidi- und der nicht enden wollenden „Stahl- gungspolitik, Sicherheitspolitik und gar Mit ihrem Spiel spiegeln Kinder die gewitter“ während des I. Weltkriegs Militärpolitik verdrängen und überformen (Denk-)Welt der Erwachsenen. Noch machten sich immer mehr Menschen zusehends die erforderliche Friedenspo- lange nach dem II. Weltkrieg hatte die weitreichende Gedanken über einen litik. Erwachsenenwelt in Deutschland weit „Verständigungs-Frieden“ und plädierten mehr vom Krieg zu erzählen als vom schon vor Kriegsende unter dem Leit- Wahrhaftige Friedenspolitik hingegen Frieden. gedanken „si vis pacem, para pacem“ bedarf aber einer entsprechenden „Frie- (Wenn du den Frieden willst, bereite den denspädagogik“, mit der zielstrebig das Die christliche Friedensbotschaft hat Frieden vor.) für eine zukünftige „Frie- „Werk der Gerechtigkeit“ gesamtgesell- zwar seit jeher die unstillbare Sehnsucht denspolitik“. Leider war die Zeit zu wah- schaftlich gefördert wird. Solche umfas- nach „Friede auf Erden“ kultiviert, wohl rer Völkerverständigung noch nicht reif, sende Erziehungs- und Bildungsarbeit aber bedurfte es noch der vernünftigen so dass die damals praktizierte „Schüt- geht von der „Pazifizierung des Individu- zengrabenpolitik“ im gesellschaftlichen ums“ aus, führt über die „Pazifizierung Denken Deutschlands letztlich Oberhand von Gesellschaften“ und bereitet damit behielt. Schließlich führte die Quintes- die „Pazifizierung der Menschheit“ vor. senz dieser gefährlichen „Macht- und Einen ersten Denkanstoß zum notwen- Schwertpolitik“ – nämlich in Form nati- digen Prozess der Selbst- und Volksbe- onalsozialistischer Weltanschauung – in friedigung lieferte schon vor 100 Jahren den II. Weltkrieg. der Friedenspädagoge Friedrich Wilhelm Foerster, der davon überzeugt war, dass das erste Lebensgebot des Staates nicht darin besteht, „für die Erhaltung und Mehrung seiner Macht zu sorgen“, sondern darin, die „innere Einheit seiner Glieder zu stärken und die Übermacht des Gewissens und des Rechtsgefühls über die rücksichtslose Selbstsucht zu Eine Anregung für fördern.“ Hätte man also in Deutsch- Militärseelsorger*innen: land den letzten Generationen nicht F. Ein sehr beliebtes Gesellschafts- Eine systematische Textvorlage zum W. Foerster als Nestor der Pädagogik spiel zur Zeit des I. Weltkriegs war Thema „Friede“ im LKU finden Sie von und Politischen Bildung vorenthalten, so „Ringo“. Dieses ermöglichte den Matthias Gillner im Ethik-Kompass. würden vermutlich heute nicht nur unse- Spielern, gegen die ausländischen Feinde ins Feld beziehungsweise Weiterführende und aufschlussreiche re Kinder, sondern auch wir Erwachsene aufs Brett zu ziehen. Textbeiträge zum Themenfeld „Ethik“ eher „Frieden“ statt „Krieg“ spielen. und „LKU“ finden Sie in der E-Journal- Ausgabe 02/19. Franz J. Eisend, www.zebis.eu/didaktik-portal Wissenschaftlicher Referent, KMBA Kompass 01I20 9
TITELTHEMA © KS / Doreen Bierdel Sich die Hand reichen oder „Ich zuerst“? von Heinz-Gerhard Justenhoven D er Wunsch, in Frieden zu leben, dauerhaft Frieden zu haben, ist ein Menschheitstraum; alljährlich feiern wir Israeliten die endzeitliche Herrschaft Got- tes als Herrschaft von Frieden, Gerech- tigkeit und Sicherheit. Seine Prophetie Was ist nun zu tun? Der Einsatz für eine friedlichere und ge- rechtere Welt muss auf verschiedenen unter dieser Überschrift die Weihnachts- gipfelt in der Zusage: „Man zieht nicht Ebenen stattfinden: Das Handeln Einzel- zeit. Dagegen droht unsere Welt sich am mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und ner gegenüber konkretem Leid ist genau- Beginn des 21. Jahrhunderts immer tiefer übt nicht mehr für den Krieg.“ (Jes 2,4). so gefragt wie die Arbeit an politischen in gewaltsamen Konflikten zu verstricken. In Tod und Auferstehung Jesu Christi Strukturen, Institutionen und Mechanis- werden diese Verheißungen angesichts men zur Überwindung von Unfriede, Ge- Krieg in Syrien und der Ukraine, Flücht- des Handelns Gottes geglaubte Gewiss- walt und Ungerechtigkeit. Die Konzepte lingsdramen in der halben Welt, unge- heiten, die mit Jesus Christus angefan- hierfür liegen auf der Hand, es mangelt zügelte Gewalt gegen die Schwächsten gen haben. Daher setzt eine realistische an der Umsetzung. Zuerst ist jede(r) Ein- und Ärmsten in fragilen und zerfallenen christliche (Friedens-)Ethik auf die Glau- zelne an seinem/ihrem Platz gerufen, im Staaten, Drohgebaren der großen Mäch- benszusage, dass das Reich Gottes als anderen Menschen Christus zu sehen. te, atomare Aufrüstung und Rüstungs- Friedensreich im Hier und Jetzt beginnt, Dort wo die (Menschen-)Würde und die Proliferation (Weiterverbreitung von und rechnet angesichts der menschli- (Menschen-)Rechte missachtet oder ver- Massenvernichtungswaffen) bis hin zur chen Fehlbarkeit und Sündhaftigkeit zu- letzt werden, sind wir zum Handeln geru- Zerstörung natürlicher Lebensgrundla- gleich mit der Gegenwart von Unfrieden, fen. Als Bürger eines der reichsten Län- gen, die vielen Menschen die Existenz- Ungerechtigkeit und Gefährdung der der der Erde, das tief verzahnt ist in die grundlagen entziehen und weitere Flucht (menschlichen) Sicherheit. globalisierten (nicht nur ökonomischen) und Gewalt hervorbringen, kennzeichnen Strukturen, tangieren z. B. unsere Kauf- die Gegenwart. Die politisch-ethische Herausforderung entscheidungen die Arbeits- und Lebens- besteht dann angesichts der Realität un- bedingungen von Menschen ökonomisch Realität und Prophetie serer Welt, in der Menschen unter Krieg, und/oder politisch abhängiger Länder. Ist eine Welt vorstellbar, in der es keine Gewalt und Ungerechtigkeit leiden, zu- Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit Konflikte gibt, wo Konflikte zwischen Völ- erst einmal darin, die Hoffnung nicht zu sollte diese Verhältnisse aufdecken, kern und Staaten ohne Gewalt ausgetra- verlieren: Die Aussage Jesu, „Ich bin bei publizieren und in der Erziehungs- und gen werden? Die Sehnsucht danach ist euch alle Tage bis ans Ende der Welt“, Bildungsarbeit wie auch dem politischen so alt wie die Menschheit. So verheißt steht. Dieser Glaube gibt Mut zur „Hoff- Lobbying thematisieren. der Prophet Jesaja angesichts eines he- nung wider alle Hoffnung“ und er gibt raufziehenden kriegerischen Unheils den Kraft zum Handeln. 10 Kompass 01I20
TITELTHEMA Da wir aber auch im Zusammenleben in- che haben (z. B. in Pacem in Terris von noch sehr vom Naturrechtsdenken und nerhalb eines Staates nicht ausschließ- Johannes XXIII. 1963) im 20. Jahrhundert einem etatistischen Ansatz geprägt sind: lich auf die Tugendhaftigkeit der Bürger im Kern eine Friedensethik entwickelt, Recht – auch das internationale – wird vertrauen, sondern auf funktionierende die eine politische Friedensordnung aus der Natur des Menschen begründet. Regeln, die an Gerechtigkeit orientiert zwischen Völkern und Staaten auf der Widerstrebende Interessen sollen mittels sind – das Recht – und auf funktionie- Basis von Menschenrechten, dem Völ- (staatlicher) Institutionen auf der Basis rende Institutionen, sollten wir es im kerrecht, funktionierenden internationa- des Rechts auf das allgemeine Wohl hin Verhältnis der Völker und Staaten auch len Institutionen sowie einer effektiven geordnet werden. Diese Grundidee des nicht anders halten. Hier stellt sich aller- internationalen Gerichtsbarkeit fordert. „Friedens durch Recht“ innerhalb funkti- dings sowohl ein praktisches als auch Die Entwicklung des Völkerrechts (inter- onierender Staaten überträgt Pacem in ein systematisches Problem: Das Zuei- nationalen Rechts) seit dem Ende des Terris (und alle weiteren päpstlichen Tex- nander der Staaten auf der transnationa- 19. Jahrhunderts und der internationalen te) auf die internationalen Verhältnisse len Ebene ist aufgrund des Völkerrechts, Institutionen – erst Völkerbund, dann die und fordert in Analogie zur staatlichen bestehender Verträge, Regime und Insti- Vereinten Nationen – sind von den Päps- Ordnung funktionierende internationale tutionen heute zwar nicht völlig ungere- ten seit Leo XIII. und in vielen weiteren Institutionen und ein entsprechendes, gelt, aber es ist offenkundig auch kein kirchlichen Dokumenten unterstützend verbindliches internationales Recht mit Verhältnis, in dem Konflikte ohne Gewalt und kritisch begleitet worden. Durchsetzungsgewalt einschließlich einer nach gerechtigkeitsbasierten Regeln aus- verpflichtenden Gerichtsbarkeit. Über die getragen werden – im Gegenteil! Das sys- Katholische Kirche und internationale politisch-praktischen Schritte eines sol- tematische Problem besteht darin, dass Friedensordnung chen Prozesses hüllt sich die kirchliche es Praktiker der Politik wie Theoretiker Warum unterstützt die katholische Kirche Friedenslehre meist in Schweigen. Auch gibt, die bestreiten, dass ein solches eine internationale Friedensordnung auf wird eine in der Theorie der internatio- Verhältnis zwischen Staaten überhaupt der Basis des internationalen Rechts und nalen Beziehungen wie der praktischen möglich ist oder sein sollte! Ihre Argu- der Vereinten Nationen – und fordert zu- Politik dominante Überlegung kaum zur mente reichen von der unaufgebbaren gleich eine Reform beider hin zu größerer Kenntnis genommen: durch Verträge Souveränität (als Selbstbestimmung) Effektivität und Durchsetzungsfähigkeit? Akteure aus Eigeninteresse freiwillig an der Staaten bis hin zum Gespenst ei- Ein Blick in die Enzyklika Pacem in Terris regelkonformes Verhalten mit geringen nes Weltstaates. Die Friedenslehren der zeigt, dass die friedensethischen Posi- bis fehlenden Sanktionsmöglichkeiten zu katholischen wie der evangelischen Kir- tionen insbesondere päpstlicher Texte binden. Dabei wird auf Erfahrungen aus >> Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen Zentrale Prinzipien der UN-Charta © Bundeszentrale für politische Bildung, 2010 / www.bpb.de / cc by-nc-nd/3.0/de Kompass 01I20 11
TITELTHEMA >> dem Konferenz über Sicherheit und Zu- früher eine Latenz, das Geschehen als Hunger und Verelendung tritt der Kampf sammenarbeit in Europa (KSZE)-Prozess überwunden zu betrachten („Es muss um die verbliebenen Ressourcen, Flucht rekurriert, der u. a. durch vertrauensbil- nun auch mal genug sein“). Außerdem und Migration – eine Eskalationsspirale dende Maßnahmen in der Überwindung verschwimmen z. B. in lang andauern- tritt in Gang. (Kirchliche) Entwicklungszu- des Ost-West-Konflikts eine große Rolle den Bürgerkriegen die klaren Konturen sammenarbeit und Friedensethik verzah- gespielt hat. zwischen Opfern und Tätern. Bei aller nen sich hier. Die Forderung nach Über- Schwierigkeit besteht jedoch Konsens windung struktureller Ungerechtigkeit um Zu der „Frieden durch Recht“-Position ist darüber, dass es ohne „Heilung der Erin- der betroffenen Menschen willen steht gerade durch Impulse von Christen und nerung“ keinen Frieden geben kann und zunehmend im Fokus auch friedensethi- aus den Kirchen das Thema Versöhnung Christen und Kirchen hier einen beson- scher Forderungen. hinzugetreten. Ohne eine Aufarbeitung deren Auftrag haben. auch weit zurückliegenden historischen Am Ende stehen in der gegenwärtigen po- Unrechts können Konflikte weiter schwe- Konflikte: Vermeidung und Nachsorge litischen Debatte zwei Prototypen einan- len und jederzeit wieder aufbrechen. Seit den 1990er Jahren werden ver- der gegenüber, die in unterschiedlichen Häufig werden individuelle und kollektive mehrt Anstrengungen unternommen, Welt- und Menschenbildern verortet sind: Versöhnung dabei nicht unterschieden, die gewaltsame Eskalation von Konflikten Auf der einen Seite Papst Franziskus und obwohl es sich um verschiedene Vorgän- möglichst zu vermeiden oder nach dem alle diejenigen, die in jedem Menschen – ge handelt. Die Schwierigkeit kollektiver Ende eines Gewaltkonfliktes das Wieder- gerade den Armen und Leidenden – den Versöhnung liegt im stellvertretenden ausbrechen zu verhindern. Dies hat bis Bruder und die Schwester sehen und ihr/ Handeln: Es bittet ein Vertreter einer hin zu dem Versuch des externen Staats- ihm die Hand reichen. Auf der anderen Gruppe, einer Gemeinschaft, eines Volks aufbaus (Peacebuilding / Statebuilding) Seite die Vertreter des „Ich zuerst“ mit für Unrecht um Vergebung, das er selbst z. B. in Bosnien geführt. Allerdings ist ihrem (nationalen) Egoismus, rücksichts- meist nicht zu verantworten hat. Seine angesichts der Erfahrungen sowohl der loser Interessenpolitik, Handelsverträgen Vergebungsbitte muss dann von der Ge- Konfliktvermeidung wie der Konfliktnach- zum eigenen Vorteil, Grenzschließung meinschaft mitgetragen und nachvollzo- sorge der letzten zwanzig Jahre eine gro- etc. Im Kern geht es um die Frage, gen werden, um einen Prozess der Aus- ße Ernüchterung eingekehrt: Kurzfristige wer wir sind und wem was „gehört“: söhnung in Gang zu bringen. Während Erfolge sind nicht zu erwarten, vielmehr Verstehen wir uns als Geschöpfe des das erlittene Unrecht auf der Opferseite bedarf die „Bearbeitung“ politisch- einen Gottes und als Glieder der einen noch über Generationen sehr präsent sozialer oder kultureller Grundkonflikte Menschheitsfamilie oder als Teil einer ist, besteht auf der Täterseite deutlich eines langen Atems. Als zentral haben privilegierten Partikulargemeinschaft, die sich Bildungsarbeit erwiesen wie eine das Recht des Stärkeren ausübt? Ist der an Gerechtigkeit orientierte, vom Prinzip Planet Erde als Teil der Schöpfung dem „ownership“ geleitete Politik. Externe Ak- Menschengeschlecht anvertraut, um da- teure können Hebammendienste leisten rauf zu leben – eine Leihgabe –, oder – nicht mehr, aber auch nicht weniger. „gehört“ das Territorium, auf dem sich © KS / Doreen Bierdel ein Volk, eine Nation, ein Staat befindet, Zunehmend treten die Konfliktprävention diesem und keinem anderen? Nimmt und damit die Verknüpfung von Frieden sich der Starke von den Ressourcen der und Gerechtigkeit in den Blick. Politische Erde, was er will – die Übrigen müssen wie ökonomische Ungerechtigkeit inner- sehen, wo sie bleiben? Ist die internati- halb von Staaten wie in der internationa- onale Anarchie der Normalzustand oder len Staatengemeinschaft sind Ursache eine politisch-ethische Herausforderung, von Konflikten: Menschen werden ele- die es zu überwinden gilt? mentarste (Menschen-)Rechte vorenthal- ten, zu den bekannten Folgen wie Armut, Wir danken dem Portal weltkirche.de für die Abdruckgenehmigung. Prof. Dr. Heinz-Gerhard Justenhoven ist Direktor des Instituts für Theologie und Frieden (ithf) in Hamburg. Er ist Mitglied der Deutschen Kommission „Justitia et Pax” sowie der Arbeitsgruppe „Politische und gesellschaftliche Grundfragen” des Zentralkomitees der deut- schen Katholiken (ZdK). Des Weiteren gehört er zur katholischen Delegation für das theologische Gespräch zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und dem Moskauer Patriarchat. 12 Kompass 01I20
TITELTHEMA Wege des Friedens im Kleinen E lisabeth Kanini, eine Kenianerin aus dem Süden des Landes, war 2009 als Studentin der Friedenswissenschaft eigentlich nur gekommen, um empirische Studien über den latent gewalt- samen Konflikt zwischen den Stämmen der Rendille und Burana durchzuführen – und ist geblieben, um Frieden zu bringen. In den neun Jahren hat sie diesen nach überkommenen, archa- © ithf isch anmutenden Regeln lebenden Stammesgesellschaften einen Weg aus der Gewalt aufgezeigt. Aber der Weg dahin war weit und steinig. Bevor ihr die – in den traditionellen Regeln nicht vorgesehene – Ehre zuteilwurde, im Kreis der Ältesten zu sprechen und ihnen einen neuen Weg aufzuzeigen, musste sie eine der ihren werden: mit den Ren- dille in ihren armseligen Lehmhütten leben, mit ihnen auf dem Boden auf einer Kuhhaut oder einfachen Decke schlafen, sich mit einer kleinen Tagesration Maismehl-Grütze begnügen und Flöhe und Zecken ertragen, die das enge Zusammenleben mit den Ziegen mit sich bringt. „Erziehung ist der Schlüssel“, hat Elisabeth mir berichtet und die Kinder der Rendille unterrichtet. Als die staatlichen Lehr- kräfte vor der Gewalt geflohen waren, hat Elisabeth die Kinder weiter unterrichtet und sich über die Jahre einen Kreis junger Menschen herangezogen, die gemeinsam mit ihr der traditio- nellen Gewaltspirale die Stirn zu bieten suchten. Heute reden die Ältesten der Burana und Rendille miteinander, wenn Vieh gestohlen wurde oder von außen Gewalt droht. Ge- © ithf meinsam haben sie sich den Versuchen der „Politiker“ vor der letzten Parlamentswahl verweigert, einen neuen Konflikt anzu- heizen. Elisabeth hat Freundschaften zwischen jungen Rendille und jungen Burana gestiftet, die sich nun gegenseitig warnen, wenn aus dem Umkreis Gewaltaktionen bekannt werden. Nicht ohne Stolz und mit sichtlicher Freude führt Elisabeth mir auf dem Spaziergang durch das Dorf eine Gruppe junger Männer vor, denen sie aus dem Teufelskreis archaischer Tradition he- raushelfen konnte. Die Jungen lächeln verlegen, als Elisabeth ihnen anerkennend auf die Schultern klopft, aber sie sind es, die die alternative Konfliktregelung internalisiert haben, weil sie die Jungen des anderen Stammes als Freunde gewonnen haben. Sehr bewusst reflektiert Elisabeth auf dem weiteren © KS / Doreen Bierdel (2) Gang durch das Dorf ihre Arbeit theologisch: Sie bringt diesen traditionell sehr religiösen Menschen bei, dass die anderen auch Geschöpfe Gottes seien wie sie selbst und bricht damit partikularistische Denktraditionen auf. Heinz-Gerhard Justenhoven Kompass 01I20 13
NEUJAHRSGRUSS Liebe Soldatinnen und Soldaten! Liebe Leserinnen und Leser! „Was wäre das Leben, hätten wir nicht den Mut, etwas zu riskieren?“ Vincent van Gogh Und wieder ist ein Jahr vorüber. Wir haben uns gefreut und geärgert, gear- beitet und geruht, neue Menschen kennengelernt, aber auch Menschen verloren. 2020 sind wir nicht mehr die, die wir letztes Jahr waren. Jede Erfahrung, die wir machen, hat Einfluss auf uns – im Positiven wie auch im Negativen. Aus manchen Situationen gehen wir gestärkt heraus, aus anderen verunsichert oder sogar frustriert. Manche Situationen verlangen auch Mut. Mut neue Wege zu gehen. Mut neue Dinge auszuprobieren. Mut dem Chef unter die Augen zu treten und seine eigenen Ideen vorzustellen. Mut sich gegen ein „Isso“ zu stellen. Mut sich mit neuen Verordnungen auseinanderzusetzen. Solche Herausforderungen kommen immer auf uns zu. Manchmal häufiger, manchmal seltener. Gerade in festen Strukturen, wie wir sie auch in der Kirche kennen, braucht es Mut, neue und unbekannte Wege zu gehen. Manchmal braucht es eine Krise, um Strukturen neu zu bedenken. Ende letzten Jahres haben wir uns als Teil der Katholischen Kirche auf den gemeinsam Synodalen Weg gemacht, um über die Zukunft kirchlichen Lebens in Deutschland zu be- raten. Daran beteiligen sich nicht nur die Bischöfe, sondern ebenfalls das Zentralkomitee der deutschen Katholiken. © KS / Doreen Bierdel Auch wir als Militärseelsorge nehmen teil an diesem ge- meinsamen Weg. Die erste Synodalversammlung wird Ende Januar in Frankfurt zusammenkommen. Dort werden mehr als 200 Mitglieder ehrlich, offen und selbstkritisch über verschiedene Themen diskutieren und über die Bedeutung von Glaube und Kirche in der heutigen Zeit nachdenken. Neben solchen neuen Wegen ist es aber auch wichtig zu unterscheiden, was sich bewährt hat, was gut läuft. Veränderung ist kein Selbstzweck und sollte nicht zur Ideologie werden. So planen wir in Berlin, aber auch in vielen Standorten der Katholischen Militärseelsorge, wieder Wallfahrten inner- und außerhalb Deutschlands. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es für viele Menschen ein Bedürfnis ist, sich gemeinsam auf den Weg zu machen, gemeinsam zu pilgern und sich von Gott ansprechen zu lassen. In Berlin planen wir schon die nächste Internationale Soldatenwallfahrt nach Lourdes, in Bayern geschieht dies sicherlich schon für Amberg. Ich würde mich freuen, Sie im neuen Jahr auf einer dieser Wallfahrten zu treffen. Ihnen, Ihren Familien und allen, die zu Ihnen gehören, wünsche ich ein gesegnetes, gesundes, friedliches und ehrliches Neues Jahr 2020! Seien Sie mutig! Militärgeneralvikar Msgr. Reinhold Bartmann 14 Kompass 01I20
NEUJAHRSGRUSS S ehr häufig kommt man in Gesprächen rund um den Jahreswechsel auf die Frage nach den „guten Vorsätzen“ für das neue Jahr. „Mehr Sport treiben“, „Weniger Alkohol trinken“ oder „Mehr Zeit mit der Familie verbringen“ stehen dabei auf der Hitliste der guten Vorsätze ganz oben. Viele dieser Vorsätze sind in den letzten Jahren gleichgeblieben, wäh- renddessen sich die Welt um uns herum in einem stetigen Wandel befindet. © BMVg / Uwe Grauwinkel Dachten wir nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, dass nun die Zeit dauerhaf- ten Friedens in ganz Europa angebrochen sei, mussten wir uns mit der Annexion der Krim durch Russland eingestehen, dass dies eine Fehleinschätzung war. Nun hieß es gerade auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik, viele Entwicklungen in Frage zu stellen und Entscheidungen zu revidieren. Die Landes- und Bündnisver- Eskalation, der Gewalt und der Vernich- litärbischof Overbeck sie einfordert. Wir teidigung rückte wieder in den Vorder- tung liegt, sondern auch die Chance zur brauchen Vorstellungen und Regeln, wie grund und damit die Fragen der Erhöhung Weiterentwicklung und zum Besseren. In wir mit Konflikten umgehen, wie wir ihre der Personalumfänge und des Materials. der Auseinandersetzung mit den anderen Risiken eindämmen, Frieden bewahren All dies immer mit dem Ziel, den Frieden stelle ich meine eigenen Vorstellungen, und trotzdem um den richtigen und guten und die Sicherheit im eigenen Land, in Ziele, Werturteile und Wünsche auf den Weg streiten und ringen können. Europa, im Bündnisgebiet und in der Welt Prüfstand, ich messe sie nicht nur an zu sichern und zu stärken. der Realität, sondern auch an den Vor- Für das anbrechende Jahr 2020 wünsche stellungen, Wünschen, Werturteilen und ich uns allen Kraft, Mut und Weisheit, Vielfach im Hintergrund und von der Zielen der anderen. So bin ich gezwun- konstruktiv mit den Konflikten in unse- Öffentlichkeit unbemerkt wird auf vielen gen, die eigene Auffassung immer wieder rem Leben und unserer Umgebung um- Ebenen unermüdlich darum gerungen, zu hinterfragen. Konflikte in der Familie zugehen, ganz privat, im Dienst und in bestehende Konflikte zu lösen oder we- und im Freundeskreis, im Arbeitsleben unserem Engagement als Christinnen nigstens einzudämmen und das Aufbre- und in der Kirche, sind so nicht nur ein und Christen in unserer Kirche. Und als chen neuer gewaltsamer Konflikte zu nach der Alltagserfahrung „notwendiges tragendes Element dazu die Gewissheit, verhindern. Der Einsatz militärischer Ge- Übel“, dem zu entrinnen kaum möglich dass Gott auf diesem Weg mit uns un- walt kann und darf dabei immer nur das ist, sondern sie haben das Potenzial zur terwegs ist! letzte Mittel, die „ultima ratio“ sein. Es Erreichung von Verbesserung und Fort- bedarf eines konstruktiven Umgangs mit schritt. Damit ein Konflikt sein positives Stabshauptmann Andreas Quirin, Konflikten auf der Basis der Erkenntnis, Potenzial entfalten kann, brauchen wir Bundesvorsitzender der GKS dass im Konflikt nicht nur das Risiko der eine konstruktive Konfliktkultur, wie Mi- (Gemeinschaft Katholischer Soldaten) Kompass 01I20 15
AUS DER MILITÄRSEELSORGE 16 Kompass 01I20
AUS DER MILITÄRSEELSORGE Wie war das noch im letzten Jahr mit Lebkuchen in Mali? R oter Sand bedeckt innerhalb von Se- kunden alles: Schuhe, Hose, Koffer, Hände. Er kriecht überall hin und beglei- tet einen bis nach Deutschland zurück. Mali lässt also nicht los, in verschiedener Hinsicht. So geht es jetzt auch Pfarrer Heß. Seit Oktober ist er in Gao bei den deutschen Soldatinnen und Soldaten im Camp Castor. Nachdem er 23 Jah- re in Bayern als Priester gelebt hatte, verschlug es ihn in den Norden nach Leer in die Evenburg-Kaserne. „Es war Zeit für einen Wechsel. Ich wollte einmal etwas ganz Neues ausprobieren.“ Das war 2017. Jetzt ist er Militärseelsorger, macht seine erste Einsatzbegleitung in Mali und bleibt direkt über Weihnachten. Auch für ihn als Seelsorger ist das eine Herausforderung. Welche Rolle spielt die Adventszeit im Einsatz? Kommt Ad- ventsstimmung im Einsatz auf, braucht es sie überhaupt? Ist es eine Be- oder Entlastung über Weihnachten im Einsatz zu sein? Ein Spaziergang durch das Camp zeigt, Weihnachtsbäume können auch bei 36 Grad aufgestellt und geschmückt wer- den. Und ein Blick in die verschiedenen Zelte verrät, dass Adventskalender und Schokonikoläuse die lange Reise von Deutschland ebenfalls überstehen. Viele Soldaten haben von ihren Angehörigen Päckchen mit kleinen Überraschungen erhalten. „Es tut so gut, Post von zu Hause zu bekommen. Über den selbst befüllten Adventskalender meiner besten © KS / Friederike Frücht Freundin habe ich mich super gefreut“, schwärmt eine Soldatin mit breitem Grin- sen. >> Kompass 01I20 17
AUS DER MILITÄRSEELSORGE >> Aus Deutschland hat Pfarrer Heß ganze jetzt im Einsatz zu sein. Keine Familien, che Sorgen und Wünsche Soldaten im Kartons von selbstgebackenen Plätzchen die man abklappern muss, kein Stress Einsatz haben. Neben Messen und öku- empfangen. Mit Lebkuchen, Spekulati- beim Einkaufen von Geschenken.“ Für menischen Gottesdiensten bietet die us, Makronen und Spritzgebäck macht beide Aussagen hat Heß Verständnis, Katholische Militärseelsorge auch jeden er sich auf den Weg durchs Camp. Viele spiegeln sie doch die persönliche Situa- Freitag den „SaMali-Treff“ an. Dafür greifen gerne zu, denn so etwas gibt es tion der Soldatinnen und Soldaten. Er ist backen Grote und Heß selber Brot und hier nicht zu kaufen. Einige denken lieber für alle ein Ansprechpartner. Es ist zwar reichen das zusammen mit Salami, die an ihre Sporteinheit am Nachmittag. seine erste Einsatzbegleitung, aber er extra aus Deutschland kommt, dar. Dem wird unterstützt von seinem Unterstüt- Eingangsimpuls folgen die unterschied- Lebkuchen in Mali. „Lecker, aber es zungssoldat Stabsfeldwebel Grote. Für lichsten Gespräche über Gott und die fehlt etwas.“ Beim Verteilen kommt der ihn ist es schon der vierte Einsatz. Zu- Welt. Für diejenigen, die es plastischer Pfarrer mit Soldatinnen und Soldaten letzt war er als Spieß in Masar-e-Scharif mögen, wird jeden Dienstag ein Film im ins Gespräch. Zwei Aussagen hört er in Afghanistan. Beide kennen sich aus Kirchenzelt gezeigt. Auch danach sitzen dabei immer wieder: „Es ist schon sehr der Heimat. Grote ist gerade in Nordhorn die Soldaten noch zusammen, sprechen schwer, über Weihnachten nicht bei der im Emsland stationiert. Seine Erfahrung über den Film. Aber auch über alles An- Familie zu sein. Ich vermisse sie mehr hilft auch, um passende Angebote für dere, was sie gerade bewegt. Ein Ober- als sonst.“ Und: „Ich bin richtig froh, die Soldaten zu gestalten. Er weiß, wel- feldwebel spricht über seine Frau, die © KS / Friederike Frücht 18 Kompass 01I20
AUS DER MILITÄRSEELSORGE „Als guter Hirte im Tarnfleck gehe und radle ich mit unserem ‚Dienstfahrzeug‘ durch © KS / Friederike Frücht (2) das Camp und suche den Kontakt.“ an Krebs erkrankt ist. „Es macht schon einem der Aussichtsposten hat ein Sol- ckenschutz sitzt er hier gerne und trinkt viel aus, dass wir jeden Tag miteinander dat eine Plakette vom Heiligen Michael einen alkoholfreien Cocktail. Er freut sich sprechen können. Das erleichtert die Ent- angebracht. Michael gilt als Patron aller auf die kommenden Wochen. Die Ent- fernung ein wenig.“ Und dennoch: „Ich Soldaten und wird in vielen Ländern ver- scheidung, etwas ganz Neues auszupro- liebe Weihnachten. An den Tagen werde ehrt. bieren, bereut er nicht. Er ist glücklich in ich mich hier wahrscheinlich verkriechen Mali bei den Soldatinnen und Soldaten. und hoffen, dass es schnell vorbeigeht.“ An Tagen, an denen es kein eigenes An- Zu Nikolaus hat sich Pfarrer Heß verklei- gebot der Militärseelsorge gibt, ist Heß Friederike Frücht det und verteilt Geschenke, die er aus auch abends noch unterwegs im Camp z. Deutschland extra für Soldaten erhal- B. in der Castorbar. Mit ausreichend Mü- ten hat. Von selbstgebackenen Keksen über gebastelte Weihnachtssterne bis hin zu ausgefallenen Teesorten. Viele Soldaten bleiben auch noch nach dem Gottesdienst im Zelt der Militärseelsor- ge und freuen sich über die gelungene Ablenkung. „Es tut gut, mal abseits im geschützten Raum ins Gespräch zu kom- men. Hier kann ich frei über meine Ge- danken und Gefühle sprechen.“ Vor dem 7-monatigen Einsatz hat Stabsunteroffi- zier Tobias H. seine Freundin geheiratet. Von ihr hat er auch seinen Glücksbringer geschenkt bekommen. Der hängt jetzt mit zwei weiteren Begleitern, darunter ein Christophorusanhänger an seinem Schlüsselbund. Solche Anhänger findet man im Camp Castor häufiger. Auch in Kompass 01I20 19
AUS DER MILITÄRSEELSORGE Jüdische Militärseelsorge geht los D er Staatsvertrag für die Einführung einer Jüdischen Militärseelsorge ist unterschrieben. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, setzten ihre Unterschriften unter das Dokument und strahlten, als sie diese dem Pub- likum zeigten. Mit „Das ist ein histori- scher Moment“, hatte Schuster die be- sondere Bedeutung der Unterzeichnung in seiner Eröffnungsrede herausgestellt. Fast genau 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs würden in Kürze Rabbiner den Dienst in der Deutschen Bundeswehr aufnehmen. Die Ministerin ergänzte, dass „Neuland betreten und Hürden überwunden wurden“. Neben zahlreichen Politikern waren die Vertreter der beiden christlichen Militär- seelsorgen für die Bundeswehr, Bischof Sigurd Rink für die evangelische und Monsignore Reinhold Bartmann für die katholische Einrichtung, Zeugen der Ver- tragsunterzeichnung. Dass die Jüdische Militärseelsorge vor einer arbeitsreichen Aufbauarbeit stehe, verdeutlichte Kramp-Karrenbauer: „Das öffentliche Recht macht es nicht immer © KS / Norbert Stäblein (2) einfach“. Strukturen müssten geschaffen und Prozesse aufgesetzt werden. Aber schon bei der Beratung des Vertrags hät- ten die beiden christlichen Militärseelsor- georganisationen ihre Erfahrungen geteilt und würden mit Sicherheit auch weiterhin zur Unterstützung beitragen. Norbert Stäblein • Am 20. Juli 1933 wurde das Reichs- konkordat zwischen dem Apostolischen Stuhl und der Reichsregierung unter- • 1957 wurde zwischen der Bundesre- publik und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) der Militärseelsorge- zeichnet. Damit erhielt die deutsche vertrag geschlossen. Dies ist die Grund- Katholische Militärseelsorge (im Art. 27) lage für die Evangelische Militärseelsorge eine staatskirchenrechtliche Grundlage. in der Bundeswehr. 20 Kompass 01I20
KOLUMNE © Thomas Trutschel / photothek.net /Deutscher Bundestag Innere Reformen sind notwendig Z um Ende des Jahres hat der Bundestag noch einmal die Lage der Bundeswehr diskutiert. Es war die zweite Lesung zu meinem Jahresbericht 2018. In der Debatte habe ich erneut erfordert innere Reformen im Bereich Führung und Verantwor- tung jetzt! Unsere Soldatinnen und Soldaten warten darauf. Lassen wir sie nicht zu lange warten! die Notwendigkeit innerer Reformen begründet: Damit wäre ich bei der materiellen Einsatzbereitschaft, über die „Verantwortung, Kompetenzen und Ressourcen müssen zu- schon im Verteidigungsausschuss diskutiert wurde. Auch bei sammengeführt werden. Und zwar so weit unten in der Hi- der Beschaffung lautet das Gebot der Stunde: Verbesserung erarchie wie möglich. Die Überzentralisierung der heutigen des Managements! Zu viele hochqualifizierte Leute arbeiten Bundeswehrstruktur ist der Tod der Einsatzbereitschaft! Über- zu kleinteilig an der gleichen Sache, zum Teil gegeneinander. organisation lähmt alles. Differenzierung und Integration befinden sich nicht in der rich- tigen Balance. Ministerin von der Leyen hatte 2017 aus gegebenem Anlass ein Projekt ‚Innere Führung heute‘ gestartet, in dem es unter Die Truppe wartet auf die Vollausstattung – oder manchmal anderem um diese Fragen von Verantwortung und Führungsfä- auch nur auf eine Viertelausstattung, um mit dem Ausbilden higkeit in unseren Streitkräften ging. Soldatinnen und Soldaten und Üben schon mal anfangen zu können. Vom Nachtsichtgerät aller Org-Bereiche und Dienstgradgruppen kamen in Workshops über den Schützenpanzer bis zum U-Boot: keine Entwarnung! zusammen und erarbeiteten Verbesserungsvorschläge. Damit war dieses Projekt selbst ein Superbeispiel für gute Innere In meinen jährlichen Workshops gemeinsam mit der Evan- Führung in der Bundeswehr. Auch die Ergebnisse sind prima. gelischen und der Katholischen Militärseelsorge zum Thema Sie decken sich mit vielen Befunden in meinem Jahresbericht. ‚Vereinbarkeit von Dienst und Familie‘ haben wir dieses Jahr ein Problem diskutiert, das insbesondere Soldatinnen und Die Ergebnisse der Workshop-Serie ‚Innere Führung heute‘ Soldaten des Heeres betrifft. Das ist die Verlängerung der liegen im Ministerium vor und warten auf Billigung. Der Beirat Stehzeiten in den Auslandseinsätzen von 4 auf 6 Monate. Ein Innere Führung hat sich mit den Empfehlungen schon beschäf- halbes Jahr ist wirklich sehr lange und belastet die Familien tigt und weitergehende gute Anmerkungen dazu formuliert. überproportional stärker als 3 oder 4 Monate. Die Begründung des Heeres lautet: Kapazitätsprobleme. Das ist im Augenblick Ich empfehle, Schluss zu machen mit der Flickschusterei an wohl zu akzeptieren. einem System, das der Wirklichkeit nicht mehr gerecht wird, weil die Wirklichkeit für die Bundeswehr seit 2014 eine andere Aber ich stelle die Frage: Kann die Flexibilität, wie es sie etwa ist als die Wirklichkeit in dem Vierteljahrhundert davor. im Sanitätsdienst oder in der Luftwaffe gibt oder bei unseren Marinespezialkräften in Niger mit der regelmäßigen Abwechs- Die heutige doppelte Hauptaufgabe der Bundeswehr besteht lung mehrerer ausgebildeter Soldaten auf dem Posten im Ein- in ‚Out-of-area‘ -Missionen mit überschaubaren Kontingenten satz, alle 4 oder 8 oder 12 Wochen, kann solche Flexibilität weltweit, wie bisher, und gleichzeitig der Fähigkeit zur Teilnah- nicht auch im Heer stärker zur Anwendung kommen? Ich bitte, me an der kollektiven Verteidigung in Europa mit der ganzen das zu prüfen.“ Bundeswehr. ‚Out-of-area‘ und kollektive Verteidigung – das Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages Kompass 01I20 21
AUS DER MILITÄRSEELSORGE 7 Tage Armenien – Wiege des Christentums Eine Rundreise durch das älteste christliche Land der Welt „Armenien … wo liegt das überhaupt?“ So besuchten die Studierenden das Mu- Über den Selim-Pass ging es nach Sevan. Diese Frage stellten sich wohl auch die seum und die Gedenkstätte, die dem Unterwegs wurde die Selimer Karawan- Studierenden der Universität der Bundes- Andenken der Opfer des Massakers wäh- serei besichtigt, die im Jahre 1332 vom wehr in München, als die Katholische rend des Ersten Weltkriegs gewidmet ist. Fürsten Tschesar Orbeljan errichtet wur- Militärseelsorge zu der Studienreise in Hier gab es die außergewöhnliche Chan- de. Die Karawanserei liegt 2.410 Meter das unbekannte Land einlud. ce zum Austausch mit einem Historiker hoch. In Sevan angekommen, wurde das des Genozid-Instituts, Aram Mirzoyan. Sevankloster besichtigt. Ein armenisch- Die gesamte Studienreise nach Arme- orthodoxer Priester führte die Studenten nien wurde vom katholischen Militärde- In Jerewan besuchten die Studierenden durch die Klosteranlage und berichtete kan der Universität der Bundeswehr in das Kloster Edschmiadsin der Sakral- über die Ausbildung und den Werdegang München, Michael Gmelch, und dem ka- stadt Armeniens. Diese bildet das reli- eines Priesters in Armenien. Der Sevan- tholischen Pfarrhelfer, Manfred Kuska, giöse Zentrum des armenischen Volkes see ist einer der höchstgelegenen Seen initiiert und geleitet. und ist Sitz des armenischen Katholikos. der Welt und misst den zweifachen Um- Das kleine Land im Kaukasus hat eine Hier besichtigte die Reisegruppe die Ka- fang des Bodensees. sehr lange und wechselhafte Geschichte thedrale, welche im Jahr 303 von Gregor und eine Bandbreite an Landschaftsfor- dem Erleuchter gebaut wurde. Der ar- Zwei absolute Highlights der Reise wa- men zu bieten und machte viele Studie- menische Patron soll die Vision gehabt ren für die Studierenden als Angehöri- rende neugierig. haben, in der Jesus selbst ihm die Stelle ge der Bundeswehr die Gespräche mit für den Bau der Kathedrale gezeigt hat. dem Deutschen Botschafter in Arme- Nicht nur die religiösen und kulturellen Heute ist diese sogar UNESCO-Weltkul- nien, Herrn Michael Banzhaf, und dem Aspekte wurden beleuchtet, sondern turerbe. zuständigen Militärattaché aus Moskau, auch die geschichtliche Seite Armeniens. Kapitän zur See Lutz-Michael Lorentzen. 22 Kompass 01I20
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