Friedrich Kasy und die Vartian-Sammlung - Ein wissenschaftliches Schweinebegräbnis

Die Seite wird erstellt Vanessa-Hortensia Hentschel
 
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Friedrich Kasy und die Vartian-Sammlung - Ein wissenschaftliches Schweinebegräbnis
SOMMER 2021

                                          Friedrich Kasy und die
                                          Vartian-Sammlung
                                          TITELSTORY

Ein wissenschaftliches
Schweinebegräbnis
FORSCHUNG

                         »Forscher-Selfies«
                         des 19. Jahrhunderts
                         EINST & JETZT
Friedrich Kasy und die Vartian-Sammlung - Ein wissenschaftliches Schweinebegräbnis
Livin Farms entwickelt innovative
     Techno­logien für die Zucht von Insekten.
     Lebensmittel­reste können mithilfe von Insekten
     verwertet und wieder zu wertvollen Proteinen
     umgewandelt werden. Auf diese Weise können
     Kreis­läufe geschlossen und Ernährungssysteme
     nachhaltiger gestaltet werden.
     Ein weiterer Schwerpunkt ist die Wissens­
     vermittlung. Im Rahmen des Explorer                                                         www.livinfarms.com
     Challenge Schulprojektes bringt Livin
     Farms die Themen Nachhaltigkeit, Kreislauf­                                                contact@livinfarms.com
     wirtschaft und Insekten an Wiener Schulen.                                                                   @livinfarms

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     Öffentliche Mittelschulen in Wien können
     kostenlos am Explorer Challenge Schul­
     projekt teilnehmen und sich schon jetzt
     für das Schuljahr 2021/22 voranmelden.
     Mehr Informationen zum Projekt auf
     thehiveexplorer.com
     Kontakt Explorer Challenge Schulprojekt:
     mariela@livinfarms.com

     Livin Farms und die Explore Challenge
     werden sich im Rahmen des Wiener Ferien­
     spieles von 25. bis 28. August 2021 in
     der Ausstellung Ablaufdatum. Wenn aus
     Lebens­mitteln Müll wird, die noch bis
     5. September 2021 im NHM Wien zu
     sehen ist, präsentieren.

                                                                 B E Z A H LT E A N Z E I G E

    Medieninhaber: Naturhistorisches ­Museum Wien, w. A. ö. R., Burgring 7, 1010 Wien |            Gedruckt nach der Richtlinie »Druckerzeugnisse«
    Konzept: ­Capitale Wien | Produktion: Druckerei Walla GmbH, 1050 Wien |                        des Österreichischen Umweltzeichens, Riedeldruck
    Herausgeber: Andreas Kroh & Andrea Krapf | Technische Unterstützung:                           GmbH, Auersthal UW-Nr. 966
    Josef Muhsil-Schamall | Redaktion: Stefan Eichert, ­Andreas Hantschk,
    Christoph Hörweg, Stefanie Jovanovic-Kruspel, Irina Kubadinow                                  Bitte sammeln Sie Altpapier für das Recycling.
                                                                                                   The print version of this magazine is awarded
    Link zur Offenlegung gem. §25 MedienG: www.nhm-wien.ac.at/impressum                            the EU Ecolabel licence number:
                                                                                                   EU Ecolabel: AT/028/049
    Titelbild: Roter Apollo (Parnassius apollo), Foto: Alice Schumacher.
Friedrich Kasy und die Vartian-Sammlung - Ein wissenschaftliches Schweinebegräbnis
Liebe Leserin,
                                                               I N H A LT

lieber Leser,
                                                                   4
die Zeit der Selbstisolation endet, Sie kön-                 TITELSTORY

nen wieder durchs Haus streifen und da-             Wie der Forscher Friedrich Kasy
                                                         die Natur freikaufte
rüber bei einer Erfrischung im wunder-
schönen Café ins Gespräch kommen. Es                               8
summt und brummt nicht nur im Haus                            PORTRAIT
                                                          In der Dinowerkstatt
und auf dem Dach, sondern auch drau-
ßen: In der Außenstelle Petronell werden                          11
wieder Bootsfahrten angeboten; die Fos-                    ZAHLENSPIELE
silfinder-App motiviert zum Durchstreifen                   Schmetterlinge
des Wienerwaldes. Dort wird man auch
auf Schmetterlinge stoßen. Diese Grup-
                                                                  12
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pe und speziell die Vartian-Schmetter-                   Ein wissenschaftliches
lings-Sammlung sind ein Schwerpunkt                       Schweinebegräbnis

des Heftes: Warum werden Schmetterlin-
                                                                  14
ge überhaupt in endlosen Kästen aufbe-                    CITIZEN SCIENCE
wahrt? Welche Erkenntnisse werden dar-               Fossilien finden leicht gemacht
aus gezogen, und wie können diese dann
auch so umgesetzt werden, dass langfris-                          16
                                                            EINST & JETZT
tig der Lebensraum für die Schmetterlin-                   »Forscher-Selfies«
ge, Wanzen, Käfer oder Feldhamster                        des 19. Jahrhunderts
erhalten bleibt?
                                                                  18
                                                           FREUNDE NHM
                                                     Naturverbundener Steirer trifft
                                                    zierliche Venus und dynamischen
Spannende Erkenntnisse und vor allem                           Homo sapiens
viel Spaß beim Lesen wünschen Ihnen
                                                                  20
                                                             FORSCHUNG
Katrin Vohland (Generaldirektorin)                        Naturschutzforensik:
Markus Roboch (wirtschaftlicher ­Geschäftsführer)        dem illegalen Tier- und
                                                      Pflanzenhandel auf der Spur

                                                                  23
                                                            KIDS’ CORNER
                                                    Der Feenstaub der Schmetterlinge

                                                             IMPRESSUM
                                                        gegenüberliegende Seite
Friedrich Kasy und die Vartian-Sammlung - Ein wissenschaftliches Schweinebegräbnis
TITELSTORY

    Wie der Forscher
    Friedrich Kasy die
4
     Natur freikaufte                Text: Andreas Hantschk, Martin Lödl & Sabine Gaal-Haszler

                                              Fotos: Alice Schumacher & Martin Lödl

    Schon lange bevor »Natur               auf der rechten                                ker gefürchtet, seine Genauigkeit
                                           Seite: Ein winziger                            bei wissenschaftlichen Arbeiten
    freikaufen« zur Initialzün-            Teil der umfang­
                                                                                          wurde in Fachkreisen geachtet.
     dung von Naturschutzge-               reichen Sammlung
                                           von Eva Vartian,                                   Ganz im Sinne des Museums
     bieten und Nationalparks              die heute im NHM                               war ein wesentlicher Teil von Ka-
      wurde, setzte Friedrich              aufbewahrt wird                                sys Forschungsarbeit mit Reisen
     Kasy, ein Mitarbeiter des                                                            verbunden: Zehn Reisen nach Ma-
      nhm Wien, ein Zeichen.                                                              zedonien, Fahrten nach Marokko,
                                                                                          Armenien und in den Iran sowie
    Von seinem Gehalt kaufte
                                                                                          die Teilnahme an der Expedition
       er wertvolle Flächen,                                                              nach Nubien in Ägypten zeugen
     um sie vor der Zerstörung                                                            von Abenteuerlust und Ausdauer.
           zu bewahren.                                                                   Drei von insgesamt sechs großen
                                                                                          Expeditionen in den Nahen und
                                                                                          Mittleren Osten führte der For-
    Friedrich Kasy wurde 1920 in Wien                                                     scher gemeinsam mit dem Ehe-
    geboren. Seine Reifeprüfung leg-                                                      paar Eva und Asad Vartian durch.
    te er 1940 an der Bundeslehr- und                                                     So steht sein Name auch in direk-
    Versuchsanstalt für chemische In-                                                     ter Verbindung mit einer wahren
    dustrie ab. Erst nach dem Krieg                                                       Perle unter den insektenkundli-
    konnte er sich seinen Traum erfül-                                                    chen Sammlungen unseres Mu-
    len: Er studierte Zoologie und Bo-                                                    seums: der Vartian-Sammlung, die
    tanik an der Universität Wien. Der                                                    heute in einem eigenen Raum im
    Insektenforscher und Naturschüt-                                                      Dachgeschoß untergebracht ist.
    zer wurde 1956 in den wissen-
    schaftlichen Dienst des NHM Wien
    aufgenommen. Von 1970 bis 1985                               »Allein in die Rettung der
    leitete er dort die Schmetterlings-
    sammlung. Als Wissenschaftler
                                                                  bekannten Zitzmanns­
    hat sich Kasy mit der Erforschung                             dorfer Wiesen im Burgen-
    einiger Familien der Kleinschmet-
    terlinge einen Namen gemacht.
                                                                  land steckte er zehn
    Unter Kolleg*innen war er als Kriti-                          Monatsgehälter.«
Friedrich Kasy und die Vartian-Sammlung - Ein wissenschaftliches Schweinebegräbnis
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Friedrich Kasy und die Vartian-Sammlung - Ein wissenschaftliches Schweinebegräbnis
TITELSTORY

        Eva Vartian (1925–2017) beglei-
    tete über Jahrzehnte ihren Mann,                        »Die von Friedrich Kasy
    einen bekannten Wiener Teppich-
    händler, auf seinen Einkaufsrei-
                                                             begründeten Natur­
    sen in den Orient. Die Künstlerin                        schutzgebiete stellen bis
    und Entomologin nutzte die Zeit,
    um Schmetterlinge zu sammeln
                                                             zum heutigen Tag wert­
    und zu dokumentieren. »Var­tian,                         volle Inseln der Bio­
    The Carpet Company« existiert
    noch heute, das Stammhaus be-
                                                             diversität in der Um­
    findet sich in der Wipplinger-                           gebung von Wien dar.«
    straße in Wien. 1995 erwarb das
    NHM Wien die überaus wertvol-
6   le Sammlung von Eva Vartian, was                                      schaft die letzten, vergleichsweise
    dem Einfühlungsvermögen und                                           winzigen Biodiverstitäts-Hotspots
    Fingerspitzengefühl von Kasys                                         buchstäblich am Rande der Ver-
    Nachfolger als Leiter der Schmet-                                     nichtung standen.
    terlingssammlung, Martin Lödl, zu                                          Kasy investierte nicht nur Zeit
    verdanken ist. Er leitet heute die                                    und Mühe, sondern auch beträcht-
    zweite Zoologische Abteilung. Der                                     liche Summen an Geld für zunächst
    Ankauf wird als Meilenstein in der                                    private Ankäufe von Grundstü-
    entomologischen Geschichte Ös-                                        cken. Einer Festschrift zu seinem
    terreichs gewertet.                                                   65. Geburtstag in den Annalen
        Wenn Friedrich Kasy nicht ge-                                     des NHM Wien ist zu entnehmen,
    rade mit dem Ehepaar Vartian un-                                      dass er allein in die Rettung der
    terwegs war oder, wie in seinen                                       bekannten Zitzmannsdorfer Wie-
    späten Jahren, Nationalparks in                                       sen im Burgenland zehn Monats-
    Afrika und anderen Erdteilen be-                                      gehälter eines A-Beamten steckte
    suchte, widmete er sich mit großer                                    – und dies, wie es heißt, ohne über
    Leidenschaft dem Schutz von Na-                                       Nebeneinkünfte zu verfügen!
    turlandschaften im Osten Öster-                                            In einem 1967 erschienenen
    reichs. Schnell erkannte er, dass in   Friedrich Kasy bei             Artikel beschreibt Kasy die Be-
    der intensiv genutzten Agrarland-      der Freilandarbeit.            mühungen um den Schutz der Pi-
                                                                          schelsdorfer Fischawiesen im Sü-
                                                                          den von Wien. Das von den Flüssen
                                                                          Fischa und Leitha durchflossene
                                                                          Gebiet ist der Rest einstmals aus-
                                                                          gedehnter Wiesenlandschaften
                                                                          der feuchten Ebene. Nasse sowie
                                                                          trockene Standorte finden sich in
                                                                          engster Verzahnung, sodass die
                                                                          außergewöhnliche Landschaft zu
                                                                          den artenreichsten heimischen
                                                                          Biotopkomplexen gehört. Die Un-
                                                                          terschutzstellung des Gebietes ist
                                                                          zu einem guten Teil der Hartnä-
                                                                          ckigkeit von Friedrich Kasy zu ver-
                                                                          danken. Er konnte die Landespo-
                                                                          litik sogar dazu motivieren, zehn
                                                                          Hektar der wertvollsten Flächen
                                                                          anzukaufen. In seiner Argumen-
                                                                          tation bleibt er trotz aller Begeis-
Friedrich Kasy und die Vartian-Sammlung - Ein wissenschaftliches Schweinebegräbnis
befinden. Neben botanischen und
                                                            entomologischen Raritäten emp-
                                                            fiehlt sich diese Gegend auch al-
                                                            len Freund*innen von Wirbeltie-
                                                            ren. Das Schutzgebiet beherbergt
                                                            ein wichtiges Brutvorkommen der
                                                            Heidelerche sowie eine der größ-
                                                            ten Populationen der Smaragdei-
                                                            dechse in Österreich.
                                                                In pionierhafter Weise begann
                                                            Friedrich Kasy Anfang der 1970er–
                                                            Jahre, aufgelassene Weingarten-
terung Realist: Die Belassung eini-   Originalzeichnung     flächen entlang der Thermenlinie
ger natürlicher Restflächen könne     einer Ziermotte       anzukaufen. Noch heute wird eine
                                      von Eva Vartian,
dazu beitragen, die chemischen,                             am Waldrand befindliche Hüt-
                                      die Friedrich Kasy
physikalischen und biologischen       nach der Künstlerin   te, die dem großen Entomologen         7
Veränderungen des Bodens durch        benannte.             und Naturschützer als Unterstand
intensive Bewirtschaftung zu stu-                           diente, respektvoll als Kasy-Hütte
dieren. Denn am Rande des pro-                              bezeichnet.
jektierten Schutzgebietes hatten                                Die von Friedrich Kasy begrün-
Landwirte damals bereits begon-                             deten Naturschutzgebiete stel-
nen, den Boden umzuackern. Der                              len bis zum heutigen Tag wertvol-
enthusiastische Titel des Artikels                          le Inseln der Biodiversität inmitten
(»Ein Stück Wiesenherrlichkeit                              einer von Flächenverbrauch, Bo-
vor den Toren Wiens gerettet«)                              denversiegelung und Intensivland-
ist aus dieser Vorgeschichte her-                           wirtschaft zerstörten Landschaft in
aus durchaus verständlich. Heu-                             der näheren und weiteren Umge-
te umfasst das Naturschutzgebiet                            bung von Wien dar. Nicht nur für
Pischelsdorfer Fischawiesen 17,5                            die Forschung sind sie von interna-
Hektar in Eigentum und Pacht.                               tionaler Bedeutung. Die geschütz-
    Schon früh beschäftigte sich                            ten Gebiete sind auch Orte der
Kasy mit der Lichtfangtechnik, bei                          Umweltpädagogik und Wissens-
der nachtaktive Schmetterlinge                              vermittlung. Bei Wanderungen
mithilfe heller Lichtquellen ange-                          oder Exkursionen sieht man hier,
lockt werden. Dabei entdeckte er                            was naturnahe Landschaften im
in langen Leuchtnächten die Na-                             Osten Österreichs sind und »kön-
tur zumeist allein. Seine zahlrei-                          nen«. Und vielleicht sind sie dar-
chen Abenteuer im In- und Aus-                              über hinaus auch ein Beispiel für
land waren Gegenstand launiger                              eine gute Investition eines öster-
Erzählungen am Leuchttuch,                                  reichischen (Beamten-)Gehaltes!
wenn er doch einmal Kolleg*innen
einlud, ihn zu begleiten.                                   Aktion »Natur freikaufen«
    Wer sich auf einen Spazier-                             vom Naturschutzbund
gang entlang der Thermenlinie                               Niederösterreich:

zwischen Gumpoldskirchen und
Pfaffstätten begibt, fühlt sich in-                         Die Pischelsdorfer Fischa­wiesen
mitten von Trockenrasen und                                 sind ein besonders schmetter-
Flaumeichenwäldern schon bald                               lingsreicher Lebensraum:
wie in einer anderen, mediterra-
nen Welt! Das Schutzgebiet Glas-
lauterriegel-Heferlberg-Fluxberg                            Der Künstlerin und Schmetter-
                                                            lingssammlerin Eva Vartian ist
umfasst heute mehr als 24 Hekt-
                                                            in der Ausstellung »Sehnsucht
ar, die sich überwiegend im Eigen-                          Ferne« ein Bereich gewidmet
tum des Naturschutzbundes NÖ                                (siehe Heftrückseite):
Friedrich Kasy und die Vartian-Sammlung - Ein wissenschaftliches Schweinebegräbnis
PORTRAIT

    In der Dino-
     Werkstatt
8
Friedrich Kasy und die Vartian-Sammlung - Ein wissenschaftliches Schweinebegräbnis
Ihre Sammlung ist mit 3,5 Millio-
nen Fossilien ohnehin ein außer-
gewöhnliches Archiv über die
Erdgeschichte. Aber was momen-
tan vorbereitet wird, toppt alles:
Ein Trio aus der geologisch-palä­
on­to­logischen Abteilung präpa-
riert den ersten europäischen Di-
nosaurier des Naturhistorischen
Mu­seums Wien.
                                                                                                                                9
   Interview: Redaktionsteam »Naturhistorisches«
      Fotos: Alice Schumacher & Thomas Filek

»Ich wollte jedes Wochenende ins Muse-             l­ inks: Iris Feichtinger   Fundstelle von frühen Dinosauriern aus der
um«, erinnert sich Anton Fürst. Dinos ha-           beim Vermessen             Trias-Zeit. In einer Tongrube fand man in
                                                    eines Oberschenkel­
ben ihn schon als Kind interessiert. Auch                                      den 1970er Jahren erstmals Fossilien. Rasch
                                                    knochens des
seine Diplomarbeit verfasste der Paläon-            Plateosaurus.              zeigte sich, dass ganze Skelette von mehre-
tologe über Stegosaurier. Seit zwölf Jahren                                    ren Tieren erhalten waren.
arbeitet er im Naturhistorischen Museum            auf dieser ­Seite:              Die Knochen von »Plateo« waren in
Wien. Das aktuelle Projekt ist definitiv ein       3D-gedruckte                Kartons einzeln verpackt und beschriftet,
                                                   »Ersatzteile«
Highlight in seiner Karriere: Das Haus be-                                     in der Hoffnung, dass die Zollbeamten sie
                                                   werden mit Pig-
kommt das Skelett eines Plateosaurus als           menten eingefärbt.          nicht öffnen und durcheinanderbringen
Dauerleihgabe. Fürst knüpfte dafür den                                         würden. Heil in Wien angekommen, muss-
Kontakt in die Schweiz.                                                        ten die rund 300 Einzelteile vom Sediment
    In Österreich gibt es nur wenige Fund-                                     befreit und mit Kunstharz gehärtet werden.
stellen. Durch ein paar Zufallsfunde kennt                                         Jetzt liegen sie feinsäuberlich beschrif-
man einzelne Saurierknochen, gesamte                                           tet in stapelbaren Kisten in der Werkstatt
Skelette entdeckte man hierzulande noch                                        der geologisch-paläontologischen Abtei-
nie. Und Originalskelette von Dinosauri-                                       lung. Anton Englert bastelt sie Stück für
ern sind für Museen eigentlich kaum leist-                                     Stück mit viel Geschick und Feingefühl auf
bar. Umso erfreulicher ist der Neuzugang.                                      ein Gerüst. Dass er gelernter Mechaniker
    Begeistert schildert Anton Fürst den Ro-                                   und Anlagenmonteur ist, kommt ihm da-
adtrip mit dem hauseigenen Bus. Das For-                                       bei zugute. Das Gestell schneidert er dem
scherteam holte das Objekt aus Frick. Die                                      Skelett quasi auf den Leib. Genauer gesagt:
kleine Gemeinde im Kanton Aargau gilt un-                                      er schmiedet, schweißt, dreht und bohrt
ter Fans als die bedeutendste europäische                                      es. Beachten muss Englert, ein Tüftler und
                                                                               schon seit 29 Jahren am Naturhistorischen
                                                                               Museum, dabei vieles: Die Körperhaltung

      »Ich wollte jedes
                                                                               sollte dem letzten Stand der Wissenschaft
                                                                               entsprechen und dynamisch wirken, aber

       Wochenende
                                                                               dennoch stabil sein. Der Pflanzenfresser
                                                                               lief vorwiegend auf den Hinterbeinen. Au-

       ins Museum.«
                                                                               ßerdem müssen die fossilen Teile im Metall-
                                                                               gerüst gut fixiert sein, sie dürfen aber nicht
                                                                               unter Spannung stehen.
         Mag. Anton Fürst, Präparator
Friedrich Kasy und die Vartian-Sammlung - Ein wissenschaftliches Schweinebegräbnis
PORTRAIT

         Plateosaurier lebten wahrscheinlich in                                   Bevor Anton Englert die Knochen aber
     kleinen Gruppen in einer steppenartigen                                  montieren kann, gehen sie durch die Hän-
     Landschaft. Im trockenheißen Klima der                                   de von Iris Feichtinger. Sie ist die dritte im
     Trias-Zeit waren Wasserlöcher überlebens-                                Präparationsteam. Vor ihr am Arbeitsplatz
     wichtig für sie. Auf der Suche nach Wasser                               zwischen Schwämmchen, Bürsten, Pinsel,
     blieben immer wieder Saurier im weichen                                  Klebstofftuben und Farbpigmentdöschen
     Schlamm rund um die Quellen stecken und                                  liegt ein Schulterblatt auf Schaumstoff ge-
     konnten sich nicht mehr befreien. So kam                                 bettet. »Ich war überrascht, dass es so gut
     es zu der einzigartigen Ansammlung an                                    erhalten war«, sagt sie über das fragile
     Skeletten. Die verwesenden Kadaver wur-                                  Stück. Das Alter des Neo-Wieners wird von
     den häufig von kleinen Raubsauriern, von                                 den Wissenschaftler*innen übrigens auf 210
     denen ebenfalls Teile gefunden wurden, an-                               bis 220 Millionen Jahre geschätzt.
     gefressen. Einzelne Knochen verschleppten                                    Apropos: Zur Zeit der Entdeckung von
10   sie. Daher sind die Skelette kaum vollstän-         unten: Anton Fürst   Plateosaurus gab es den Begriff Dinosaurier
                                                         (links) und Anton
     dig. Auch unser »Plateo« ist nur zu 60 Pro-                              noch gar nicht! Dieser Terminus wurde
                                                         Englert (rechts)
     zent erhalten, ein zweites Exemplar dient           bei der Montage      erst 1841 durch den englischen Anatomen
     als »Ersatzteillager«.                              des Skelettes.       Richard Owen eingeführt. Plateosaurus war
                                                                              somit einer der ersten Dinosaurier, die mit
                                                                              einem eigenen Namen bedacht wurden.
                                                                              Den ersten Fund eines Knochens der Rie-

            »Ich war überrascht,
                                                                              senechse machte 1834 der Chemielehrer
                                                                              Johann Friedrich Engelhardt in einer Ton-

             dass es so gut
                                                                              grube bei Nürnberg. Deswegen steht auf den
                                                                              Skizzen in der Werkstatt als Bezeichnung

             erhalten war.«
                                                                              der Spezies »Plateosaurus engelhardti«.
                                                                              Benannt wurde die Art 1913 durch den deut-
                                                                              schen Paläontologen Eberhard Fraas, der
              Iris Feichtinger BSc. MSc., Präparatorin
                                                                              ihr den Namen Plaetosaurus trossingensis
                                                                              gab. Die Forscher*innen nennen ihn »Pla-
                                                                              teo«. Noch. Vielleicht bekommt er ja einen
                                                                              eigenen Namen, wenn er für Ausstellung im
                                                                              Herbst fertig herausgeputzt ist.
ZAHLENSPIELE

           Text: Sabine Gaal-Haszler
         Grafik: Josef Muhsil-Schamall
                                                                     Bis zu    28   cm
                                                             beträgt die Flügelspann­
Die schnellsten
Flieger sind die Schwärmer mit     50       km/h
                                                               weite des größten Tag-
                                                              falters, des Königin-Ale-
auf Langstrecken.
Die Windenschwärmer fliegen
auf Kurzstrecken.
                                 100        km/h
                                                                   xandra-Vogelfalters
                                                                         (Ornithoptera
                                                                           alexandrae).

                                                                              Bis zu         cm
                                                                     Flügelspannweite kann die
                                                                                               31                    11

                                                                Weiße Hexe (Thysania agrippina)
                                                                    aus Südamerika, der größte

                                Bis zu       16
                                              cm
               Flügelspannweite kann der größte
                                                                         Nachtfalter, erreichen.

           Schmetterling Österreichs – das Große
       Wiener Nachtpfauenauge (Saturnia pyri) –
     aus der Familie der Pfauenspinner erreichen.             Mehr als     3.000         km legen
                                                              die Monarchfalter (Danaus plexippus)
                                                               auf ihrer Wanderung über den nord­
                                                                amerikanischen Kontinent zurück.

   Nur 4    mm Flügelspannweite
   haben die kleinsten Schmetterlinge
                                                                                USA
   der Welt. Sie gehören zur Familie der
   Zwergminiermotten (Nepticulidae).

                                                        25       cm lang (und damit länger
                                                        als sein Körper) ist der Rüssel des
                                                        Schwärmers Xanthopan morganii

                   400 cm
                                                        praedicta. Er bestäubt die Orchidee
                                         2              Angraecum sesquipedale auf Madagaskar.
                   Flügelfläche, und damit              Charles Darwin sah die Blüte dieser Orchidee und
                                                        sagte voraus, dass es einen Falter mit einem solch langen
                   mehr als jede andere Art,
                                                        Rüssel geben müsse, um den Nektar sammeln zu können.
                   erreicht der südostasiatische        Das Tier selbst wurde erst viele Jahre später entdeckt und
                   Atlasspinner (Attacus atlas).        erhielt den Beinamen »praedicta«, die Vorausgesagte.
FORSCHUNG

     Ein wissenschaft-
     liches Schweine­
         begräbnis
12
Experimentelle Archäologie kann
wertvolle Erkenntnisse rund um
prähistorische Grabriten bringen.
In Asparn an der Zaya wur­den für
ein Forschungsprojekt bronze-
und eisenzeitliche Bestattungen
nachgestellt. Mit Schweinen statt
menschlicher Körper.

              Text: Karina Grömer
       Fotos: Peter Grömer & Andrea Krapf

                                                                                                                   13

Im Sommer 2018 und 2019 rückte die Frei-      l­ inks: In den            Nach der Verbrennung dokumentier-
willige Feuerwehr des niederösterreichi-       Flammen vergeht       ten die Wissenschaftler*innen die übrig
                                               nicht nur brenn­
schen Ortes Asparn an der Zaya aus. Der                              gebliebenen Reste – Knochen, verschmor-
                                               bares Material –
ungewöhnliche Einsatz: Sie assistierten        auch Grabbeigaben     te Metall- und Keramikobjekte und sogar
im archäologischen Freilichtmuseum MA-         aus Ton oder Metall   Textilreste – wissenschaftlich mit einer
MUZ bei einer Brandbestattung. Ein bunt-       verformen sich.       »Ausgrabung«. Alles sollte dann – wie das
gemischtes Team aus Wissenschaftler*in-                              auch in prähistorischen Zeiten der Fall ge-
nen verschiedener Disziplinen errichtete      oben: Bei beiden       wesen sein dürfte – in Urnen oder als Lei-
den Scheiterhaufen. Darauf wurde ein to-      Experimenten           chenbrandschüttung endgültig in einem
                                              wurden ähnliche
tes Schwein verbrannt. Ausgestattet wur-                             Grab deponiert werden. Der mittelbronze-
                                              Beigaben ver­
de das Tier mit Bronzeobjekten, wie man       wendet.                zeitliche Grabhügel wurde im November
sie in Inzersdorf ob der Traisen gefunden                            2020 nach dem Vorbild und mit den Origi-
hatte. Eine Doktorarbeit an der Universi-                            nalsteinen des Gräberfeldes Pitten im Frei-
tät Wien befasste sich mit dem 3.000 Jah-                            lichtmuseum nachgebaut. Dieser Grabhügel
re alten, spätbronzezeitlichen Gräberfeld                            hatte zwei Kammern, was dem Forschungs-
im Traisental. Mit einer experimentellen      unten: Neben           team die Möglichkeit gab, neben der Brand-
                                              Gegenständen
Brandbestattung wollte die Jungforscherin                            auch eine Körperbestattung anzulegen.
                                              wurden oft auch
das Rätsel um Bronzeartefakte, die auf un-    Speisen als Bei­       Bei letzterer beerdigte man ebenfalls ein
terschiedliche Art verschmort waren, lösen.   gaben bestattet.       Schwein, ausgestattet mit denselben Bei-
                                                                     gaben wie bei den Verbrennungen, um die
                                                                     Vergleichbarkeit zu gewährleisten.
                                                                         Die Grabbeigaben sowie die textile Aus-
                                                                     stattung des Schweines stellte man nach
                                                                     2.800 Jahre alten Mustern her. Auch Haar-
                                                                     spiralen aus Bronze werden immer wie-
                                                                     der gefunden. Sie wurden an meinen blon-
                                                                     den Zöpfen befestigt, die ich extra für die
                                                                     Schweinekremation abgeschnitten habe.
                                                                         Das Experiment ist als Langzeitstudie
                                                                     angelegt: nach 20 Jahren soll der Grabhügel
                                                                     geöffnet und die noch erhaltenen Überreste
                                                                     wissenschaftlich untersucht werden.

                                                                         Podcast mit Karina Grömer über
                                                                         blonde Zöpfe und tote Schweine:
CITIZEN SCIENCE

14

        Fossilien
                                                                                 Seit mehr als 50 Jahren sammelt Dr. Peter
                                                                                 Skoumal Fossilien. Schon in seiner Jugend
                                                                                 begeisterte er sich für die Formen der Fossi­

         ­finden
                                                                                 lien, die er in der Umgebung von Gmunden
                                                                                 fand. Das Gebiet im Inneren Salzkammer­
                                                                                 gut ist bekannt für seinen außerordentli­

           leicht
                                                                                 chen Fossilreichtum und wird vom NHM
                                                                                 Wien seit Jahrzehnten beforscht. So konn-
                                                                                 te der Geo­loge Dr. Herbert Summesberger

       ­gemacht
                                                                                 beim Bau einer Forststraße in den 1970er
                                                                                 Jahren den Gosauer Riesenammoniten fin-
                                                                                 den, der im Saal 8 ausgestellt ist.
                                                                                     Ging es Skoumal anfangs um die Schön­
                                                                                 heit der Objekte, wollte er bald mehr erfah­
                   Text: Irina Kubadinow                                         ren. Summesberger weckte in ihm das In­
      Fotos: Alexander Lukeneder & www.mockuptree.com                            teresse an den Geschichten, die Fossilien
                                                                                 erzählen. Gemeinsam publizierten Sum­
                                                                                 mesberger und Skoumal drei wissenschaft­
     Unter dem Begriff »Citizen Sci­                       Frisch aus dem Ge-
                                                           stein: ein fossiler
     ence« versteht man die Teilhabe                       Kopffüßer (ausge-
     an Forschung durch Bürgerinnen                        storbener Verwand-

     und Bürger. Durch die Zusammen­                       ter der heutigen            »Es ist ein Geben
     arbeit von Wissenschaftler*innen
                                                          ­Tintenfische).
                                                                                        und Nehmen.«
     und interessierten Laien profitie­                                                   Dr. Alexander Lukeneder, Paläontologe

     ren beide Seiten.
liche Arbeiten. Noch heute – beide sind        Eine Fundmeldung   funde eingegeben werden, deren Bestim­
mittlerweile in Pension – verbindet sie eine   auf der »Fossil­   mung noch nicht ganz geklärt ist. Gleich­
                                               finder« Webseite
Freundschaft, die im Verein der Freunde des                       zeitig bietet die Applikation die Möglichkeit
                                               mit Foto und
NHM gepflegt wird.                             Fund­ortangabe.    zum Austausch: Es gibt eine Kommentar­
    Hammer und Meißel haben Peter Skou­                           funktion, einen News Feed und einen Like-
mal noch immer nicht losgelassen. Er un­                          Button.
terstützt das aktuelle Projekt des NHM-Pa­                             Lukeneder rät: »Besonders viele Fos-
läontologen Dr. Alexander Lukeneder, das                          silien lassen sich im Lainzer Tiergarten, in
sich mit der Verbreitung von Fossilien be­                        Sievering und entlang des Wiener Stadt-
schäftigt.                                                        wanderweges Nr. 6 finden.«. Und betont:
    Das Projekt »Fossilfinder« bietet inter­                      »Mit dem Eintragen in die App erfahren wir
essierten Citizen Scientists, Schüler*innen                       alle etwas. Ich helfe gerne beim Bestimmen
und Hobbysammler*innen eine Plattform,                            und gebe Tipps. Gleichzeitig lernen wir For-
um ihre Funde zu teilen und von Wissen­                           scher*innen neue Fundgegenden kennen.
schaftler*innen bestimmen zu lassen. Die                          Es ist ein Ge­ben und Nehmen«.
dabei entstehende Datenbank bietet In­                                 Das Projekt ist für den Citizen Science    15
formationen über Fundmöglichkeiten und                            Award 2021 nominiert, der am 30. November
die Biodiversität vergangener Zeiten. Foto­                       2021 im NHM Wien vergeben werden soll.
dokumentationen sind dabei genauso will­
kommen wie aktives Sammeln.
    Zusammen mit der Plattform »Spott­
                                                                      Infos zum Projekt Fossilfinder:
eron« hat Lukeneder die interaktive App
»Fossilfinder« entwickelt. Sie ermöglicht
einen einfachen Einstieg in die Forschung:
Citizen Scientists können ihre Funde und                              Zur neuen Karten-App:
relevante Orte direkt in eine digitale Karte
eintragen und in verschiedenen Kategorien
klassifizieren. Es können aber auch Fossil­
EINST & JETZT

                     »Forscher-Selfies«
                    des 19. Jahrhunderts
     »Visitkarten-Porträts wa-
     ren nicht weniger als der
     analoge Vorläufer heuti-
     ger sozialer Netzwerke.
16   Sie waren das Facebook
     des 19. Jahrhunderts.« so
     die Kunstwissenschaftlerin
     Martina Baleva. Ähnlich un-
     seren heutigen Selfies dien-
     ten sie dem »Networking«.

         Text: Stefanie Jovanovic-Kruspel
               Fotos: Archiv NHM

     Ende des 18. Jahrhunderts wur-         Josef Mann
     de das Sammeln von Naturalien          vor künstlicher
                                            Berglandschaft,
     immer mehr zur wissenschaftli-
                                            als Freilandforscher
     chen Praxis. Die Ausbeute wis-         inszeniert.
     senschaftlicher Expeditionen
     präsentierte man in den großen
     Museen. Die Menschen, die das
     Material gesammelt hatten und
     auswerteten, rückten damit eben-
     falls in den Fokus der Öffentlich-
     keit. Neue Mittel fotografischer
     Selbst-Inszenierung erlaubten es
     den bürgerlichen Forschern – da-
     mals fast ausschließlich Männer –                                die damalige wissenschaftliche
     erstmals aus ihrer bisherigen An-                                Community Europas.
     onymität herauszutreten. Die in                                      Unter »Visitkartenporträts«
     vielen Abteilungen des NHM Wien                                  versteht man ein 1854 vom franzö-
     verwahrten historischen Porträt-                                 sischen Fotografen André Adol-
     sammlungen legen beredtes Zeug-                                  phe-Eugène Disdéri (1819–1890)
     nis davon ab.                                                    entwickeltes Verfahren, das es er-
         So umfasst beispielsweise die                                möglichte, schnell und preiswert
     Porträtsammlung der Schmetter-                                   ganze Serien kleiner Porträts her-
     lingsabteilung mehr als 100 »Vi-                                 zustellen. Als sich 1859 sogar Kai-
     sitkartenporträts«, die zwischen                                 ser Napoleon III mithilfe dieser
     1850 und 1920 entstanden sind.                                   Technik ablichten ließ, wurden
     Die Dargestellten repräsentieren                                 diese Porträts zu einem »gesell-
     einen bunten Querschnitt durch                                   schaftlichen Muss«. In Wien wur-
Warum ließen sich gerade die-
                                                           se zwei Herren so erzählfreudig

         »Es kam zu einer
                                                           darstellen? – Vielleicht, weil sie
                                                           beide neben der Entomologie auch

          wahrhaften Visit-
                                                           künstlerisch tätig waren. Mann
                                                           war Naturalienmaler und Guille-

          kartenepidemie.«
                                                           mot selbst Fotograf. Offenbar wa-
                                                           ren sie sich der Wirkung von Bil-
                                                           dern besonders bewusst.
                                                               Zu einer Zeit, als es noch kein
de sie von dem Fotografen Ludwig                           Biologiestudium gab und entomo-
Angerer 1857 eingeführt. Es kam                            logische Forschung vor allem von
zu einer wahrhaften »Visitkarten-                          Personen mit medizinischem oder
epidemie«. Dank moderater Preise                           pharmazeutischem Hintergrund
war es nun auch dem Bürgertum                              als Liebhaberei betrieben wurde,
möglich, Bildnisse von sich anfer-                         hatte die bildliche Selbstdarstel-    17
tigen zu lassen.                                           lung entscheidenden Einfluss auf
    Oft wurden diese Bilder gesam-                         die Etablierung dieser Disziplin.
melt und in ledergebundenen Fo-                            Die Bilder sind damit der Spiegel
toalben zur Ansicht ausgelegt. In                          eines neu aufkeimenden Selbstbe-
der Schmetterlingssammlung ist                             wusstseins.
zwar kein Album erhalten geblie-
ben, dennoch dienten die Bilder
                                                           Podcast »Im Museum« mit
eindeutig repräsentativen Zwe-                             Stefanie Jovanovic-Kruspel
cken. Man versuchte, möglichst                             zum Thema der »Forscher-
viele Porträts zu erhalten und ver-                        Selfies«:

sah sie mit genauen Lebensdaten.
    Der Großteil der Porträts in der
Schmetterlingssammlung ist ein-
heitlich und wenig individualisiert
gestaltet. Einige Bilder stechen je-
doch hervor, da sich die Darge-
stellten klar als Entomologen in-
szenierten. Beispiel dafür sind
die Bildnisse des Wiener Samm-
lers und Präparators Josef Mann
(1804–1889). Er ließ sich mehrfach
als Schmetterlingsforscher porträ-
tieren: einmal in künstlicher Berg-
landschaft mit Netz und Sammel-
tasche, ein anderes Mal ebenfalls
im »Freiland« mit Fliegenklatsche
und Sammeldose unterm Arm, läs-
sig an einen Baum gelehnt und zu-
letzt am Schreibtisch sitzend mit
Insektenladen beim Präparieren.
    Ebenfalls eindeutig als Ento-
mologe auszumachen, ist der fran-
zösische Schmetterlings- und Hei-
matforscher Antoine Guillemot
(1822–1902). Er posiert in Expedi-     Bereit zum Auf-
                                       bruch ins Feld:
tionsbekleidung mit Hut, Kescher
                                       Antoine Guillemot
und Sammeltasche, bereit seiner        in Expeditions­
Forschungsarbeit nachzugehen.          kleidung.
FREUNDE NHM

       Naturverbundener
      Steirer trifft zierliche
     Venus und dynamischen
         Homo sapiens
18
Das Haus muss noch ge­                                       schaftlich konzentriert, in die Tie-
 schlossen bleiben und so                                     fe gehend. Das fasziniert mich: Die
                                                              Menschen, die hinter den Kulissen
 fühlt sich Harald Pflanzl
                                                              eines Museums wirken, aber auch
  wie im Film »Nachts im                                      die Themen, mit denen sie sich so
   Museum«, als er zum                                        intensiv beschäftigen.
  Interview durch die ver-
lassenen und dunklen Säle                                     Wer sind die Freunde des NHM?
                                                              Pflanzl: An der Natur Interessier-
  geht. Seit fünf Jahren ist
                                                              te mit Bezug zum Museum, aber
 er Präsident der Freunde                                     auch zu dessen Themenschwer-
   des Naturhistorischen                                      punkten. Wir sind mit rund 3.000
         Museums.                                             Mitgliedern einer der mitglieds-
                                                              stärksten Vereine in Österreich.
       Interview: Redaktionsteam                              2023 feiern wir unser 100-jähriges
           »Naturhistorisches«                                Bestandsjubiläum.                                19
     Foto: Christina Rittmannsperger
                                                              Gibt es Überschneidungspunkte
                                                              zu Bürgerforschungsprojekten?
Sie stehen seit 2016 dem Verein         Die dynamische Re-    Pflanzl: Viele Mitglieder engagie-
vor. Wie sehen Sie Ihre Rolle?          konstruktion eines    ren sich in diesem Bereich und die
                                        jungpaläolithischen
Pflanzl: Unser Auftrag ist es, die                            neue Generaldirektorin treibt Citi-
                                        Homo sapiens mit
wissenschaftliche Arbeit zu unter-      Speer wurde vom       zen Science voran. Das ist eine tol-
stützen – bei Ankäufen, bei Projek-     Verein »Freunde des   le Sache, um die Wissenschaft auf
ten wie den Ausgrabungen in Hall-       Naturhistorischen     eine breitere Basis zu stellen.
                                        Museums« finan-
statt, bei Publikationen und bei der
                                        ziert.
Weiterbildung junger Menschen,                                Was ist Ihr persönliches Lieb-
zum Beispiel durch den Carl von                               lingsobjekt?
Schreibers-Preis.                                             Pflanzl: Aus der Schule ist mir die
                                                              Venus von Willendorf in Erinne-
Was ist Ihr persönlicher Bezug                                rung gewesen. Als Erwachsener
zum Haus?                                                     war ich überrascht und doch ein
Pflanzl: Als Kind war ich leider                              bisschen enttäuscht, dass die Ve-
nie hier, denn ich bin in der Steier-                         nus gar nicht so opulent ist, son-
mark, in der Gegend um Turnau im                              dern eine zierliche Sandsteinfi-
Hochschwabgebiet aufgewach-                                   gur. Das war eindrucksvoll und
sen. Aber ich hatte schon immer                               die Faszination hat sich bis heute
einen starken Bezug zur Natur. Als                            erhalten.
Volksschüler war ich dauernd im
Wald unterwegs, etwa wenn die
                                                              Dipl.-Ing. Harald Pflanzl leitet die Geschäfte
Vermessungsingenieure dort zu
                                                              des weltweit größten Chemiekonzerns BASF
tun hatten. Das hat mich geprägt.                             in Nord-West- und Zentraleuropa und ist
                                                              Geschäftsführer in Österreich. Er hat an der
Kommt daher Ihre Motivation                                   Montanuniversität Leoben sein Studium ab-
                                                              solviert und ist Präsident des Vereins der
sich zu engagieren?
                                                              Freunde des NHM.
Pflanzl: Ja, einerseits ist es diese
Naturverbundenheit, andererseits
ist es auch interessant, mit Men-
schen zu tun zu haben, die sich mit
etwas komplett anderem beschäf-                                                             Mitglied werden:
tigen, als ich es in meinem Beruf
tue. Mein Aufgabenbereich liegt
im General Management, hier
hingegen arbeitet man wissen-
FORSCHUNG

     Naturschutzforensik:
      dem illegalen Tier-
     und Pflanzenhandel
         auf der Spur
20
Der illegale Handel mit Tie-
ren und Pflanzen boomt und
ist wesentlicher Treiber des
globalen Biodiversitätsver-
lustes. Mit taxonomischer
Expertise, genetischen
Analysen und Grundlagen-
forschung engagiert sich
das NHM im Kampf gegen
diese Bedrohung.

   Text: Stefan Prost & Elisabeth Haring
 Fotos: James Morgan / WWF, BMF / ZA &
     Paul Hilton / Earth Tree Images                                                                    21

Noch vor einem Jahr wusste kaum            auf dieser S­ eite:     tigen Verkehrsknotenpunkten wie
jemand, was ein Schuppentier ist,          Exotische Vögel         dem Flughafen in Schwechat im-
                                           werden teils lebend,
und doch hält es seit vielen Jah-                                  mer wieder zu Beschlagnahmun-
                                           teils als Präparate
ren einen traurigen Rekord: Das            geschmuggelt            gen. Um Tiere, Pflanzen oder aus
Schuppentier (englisch Pangolin)           und an Sammler          ihnen hergestellte Produkte zu
ist das am meisten illegal gehan-          verkauft.               beschlagnahmen und Schmugg-
delte Säugetier der Welt.                                          ler gerichtlich zur Rechenschaft
    Der Handel mit geschützten                                     zu ziehen, muss allerdings eine
Tier- und Pflanzenarten boomt.                                     Straftat eindeutig nachgewiesen
Daran hat auch die derzeit anhal-                                  werden. Hier kommt die Natur-
tende COVID-19 Pandemie nichts                                     schutzforensik ins Spiel.
geändert. Schon vor etwa zehn                                          Auch Mitarbeiter*innen des
Jahren war der Handel mit ge-                                      NHM helfen, geschützte Arten zu
schützten Arten die viertgrößte il-                                bestimmen. Ihre taxonomische
legale Industrie der Welt – hinter                                 Fachkenntnis reicht in vielen Fäl-
Drogenhandel, dem Handel mit                                       len aus, um diese aufgrund äußer-
gefälschten Waren und dem Men-                                     licher Merkmale zu bestimmen.
schenhandel. Und in den letzten                                    In manchen Fällen allerdings,
Jahren erhöhte sich das Ausmaß                                     wenn es sich zum Beispiel um Tei-
massiv. Lebewesen werden aus                                       le oder verarbeitete Produkte han-
den verschiedensten Gründen il-                                    delt, können nur Laborverfahren
legal gehandelt: zum Beispiel als                                  weiterhelfen. Mittels genetischer
Jagdtrophäen, Souvenirs, Haus-                                     Analysen kann man bestimmen,
tiere, Nahrungsmittel oder als                                     um welche Arten es sich handelt
traditionelle Heilmittel. Auch in                                  und so geschützte Arten identifi-
Österreich werden Arten illegal            l­ inks: Der illegale   zieren. Das Labor für Molekula-
                                            Handel mit Elfen-
gehandelt. International dient Ös-                                 re Systematik am NHM führt sol-
                                            bein ist für den Tod
terreich vor allem als Zwischen-            vieler Elefanten       che forensischen Aufträge mittels
station, und so kommt es an wich-           verantwortlich.        DNA-Analyse durch.
FORSCHUNG

         Schwieriger als die Identifi-                              tätsverlust in den artenreichsten
     zierung der Art ist meist der Her-                             Gebieten unserer Erde, den Bio-
     kunftsnachweis. Diese Infor-                                   diversitäts-Hotspots, etwa in den
     mation ist wichtig, um gezielt                                 Regenwäldern Brasiliens oder im
     Schutzprogramme in den Her-                                    Meereslebensraum des Korallen-
     kunftsländern zu entwickeln.                                   dreiecks zwischen Pazifischem
     Neben taxonomischer Experti-                                   und Indischem Ozean. Diese Hot-
     se ist auch hier die Genetik ge-                               spots zeichnen sich durch einen
     fragt, denn ein DNA-Vergleich er-                              großen Anteil endemischer Arten
     laubt nicht nur die Artzuordnung,                              aus, also solchen, die nur in diesen
     sondern kann mitunter auch Aus-                                Gebieten vorkommen. Gerade die-
     kunft über die geografische Her-                               se Regionen müssen oft mit wenig
     kunft geben. Nicht selten werden                               wissenschaftlicher Infrastruk-
22   wildgefangene Lebewesen fälsch-                                tur und Forschungsförderung
     lich als Zuchten ausgewiesen, um                               auskommen. Für Analysen wer-
     Gesetze und Exportverbote zu                                   den Proben oft international ver-
     umgehen. In solchen Fällen kön-                                schickt, wodurch kriminaltechni-
     nen DNA-Analysen helfen, etwa in                               sche Untersuchungen verzögert
     Form von Elternschaftstests, bei                               werden können. Eine Möglich-
     denen geprüft wird, ob die Eltern-                             keit, forensische DNA-Analysen
     tiere als Zuchttiere registriert sind.                         in Zukunft in den betroffenen
         Die illegale Ausbeutung der                                Ländern durchführen zu können,
     Natur, wozu auch der illegale                                  sind neuentwickelte, kostengüns-
     Tier- und Pflanzenhandel zählt,          Die Schuppen von      tige Miniatur-Laborgeräte. Sie
                                              Schuppentieren
     ist mittlerweile der stärkste Trei-                            sind widerstandsfähig, was für
                                              gelten als tradi­
     ber des rasanten Artensterbens.          tionelle Medizin.     den Einsatz in entlegenen Orten
     Arten verschwinden heute schnel-         Sie werde neben       wichtig ist. Das NHM hilft mit, die-
     ler als sie entdeckt, beschrieben        lebenden Tieren       se Geräte ausgiebig zu testen und
                                              und konserviertem
     und geschützt werden können.                                   robuste Protokolle für forensische
                                              Fleisch bei
     Besonders schwerwiegend ist der          Zoll­kontrollen       Analysen zu erarbeiten.
     rasant fortschreitende Biodiversi-       beschlagnahmt.            Schuppentiere – prominente
                                                                    Opfer menschlicher Naturausbeu-
                                                                    tung – stehen für unzählige ande-
                                                                    re Arten. Die Naturschutzforen-
                                                                    sik ist nur ein Puzzleteil im Kampf
                                                                    gegen den illegalen Handel von
                                                                    Lebewesen. Wir alle können die-
                                                                    sen Kampf unterstützen, vor al-
                                                                    lem durch Bewusstmachen und
                                                                    Thematisierung. Denken Sie dar-
                                                                    an beim nächsten Souvenierkauf!

                                                                        Wildlife-Crime-Report
                                                                        der UNO:
Schmetterlinge sind faszinierend: sie flattern lustig                            STECKBRIEF
umher, leuchten in allen Farben oder schillern. Die                              —   Körper dreigliedrig: Kopf, Brust, Hinterleib
                                                                                 —   Facettenaugen aus tausenden Linsen
Versuchung, eines der kleinen Wesen einzufangen,                                 —   eingerollter Saugrüssel
um damit zu spielen, ist groß. Doch Vorsicht! Da-                                —   3 Beinpaare
                                                                                 —   2 Flügelpaare, die oft bunt gefärbt sind
bei verlieren diese kleinen Feenwesen den Staub                                  —   entwickeln sich aus Raupen
ihrer Flügel und können nicht mehr fliegen, heißt                                —   Nahrung der Raupen: Blätter, Blüten
                                                                                 —   Nahrung der Schmetterlinge: Nektar
es. Stimmt das wirklich? Und was genau ist dieser                                —   Lebensdauer: ca. 1 Jahr
Staub?

                                Kids’
                               Corner
                                                                                                                                    23

                                       Der Feenstaub der
                                        Schmetterlinge
                                                  Text: Andrea Krapf
                                          Fotos: Andrea Krapf & Andreas Kroh

Der vermeintliche »Feenstaub«                                                    Ihr solltet also sehr vorsichtig sein,
der Schmetterlinge besteht aus                                                   wenn ihr Schmetterlinge fangen
unzähligen, winzigen Schüpp-                                                     wollt! Auch Verletzungen an den
chen. Sie sind der Grund für die                                                 Augen oder den Fühlern sind für
feenhafte Erscheinung dieser Tie-                                                die zarten Tiere gefährlich. Be-
re. Denn jede Schuppe hat eine                                                   rührt sie daher so wenig wie mög-
eigene Farbe oder spiegelt einen                                                 lich, verwendet ein feines Netz
Teil des Lichts zurück. Das funktio­                                             und schaut euch den Schmetter-
niert, weil kleine, nebeneinander                                         ×2,5   ling in einer Becherlupe an!
liegende Rillen auf den Schüpp-
chen Licht einer bestimmten Far-
be zurückwerfen.
                                       Die Schuppen sind meist hohl, lie-
                                       gen wie Dachziegel am Flügel und
                                       dienen auch dem Auftrieb beim
                                       Fliegen. Sie sind mit einem klei-
                                       nen Stiel befestigt, wie Federn an
                                       einem Vogelflügel. Weil sie nicht
                                       festgewachsen sind, können sie
                                       ganz leicht verloren gehen. Das
                                       passiert dem Schmetterling auch                                                      ×190
                                       im Laufe seines Lebens. Fliegen
                                       kann der Schmetterling dann im-
                                       mer noch, es ist aber etwas müh-
                               ×10     samer für das kleine Tier.
24

                                   AUFBRUCH IN
                                   NEUE WELTEN
                                   20.03. –
                                   07.11.2021
                                   SCHALLABURG

                                                                                       IM EWIG
                                                                                    EN
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                                                                                                    EIS
                                                                                                     M

                                                                                N
                                                                                                 OO

                                                                                    EU               R
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