BULLETIN - "FÜR EINE SCHWEIZ OHNE FREIER" - Stopp Prostitution
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BULLETIN NR. 1/2018 DAS MITGLIEDERMAGAZIN DER FRAUENZENTRALE ZÜRICH THEMA PROSTITUTION «FÜR EINE SCHWEIZ OHNE FREIER»
INHALT GV 2018 Ein stimmungs- voller Anlass 20 Kampagne «Für eine Schweiz ohne Freier» 8–9 Vorschau 2018 Höhepunkt Frauentagung 23 4 –5 NEWS 14 – 17 ROUND-TABLE Neuigkeiten, die uns aufgefallen sind Drei Expertinnen und ein Experte sprechen über Prostitution 6–7 SEXBUSINESS IN ZAHLEN 18 – 19 MEINUNGEN ZU PROSTITUTION Studien und Fakten rund um Wir haben bei 20 Frauen und Männern das Geschäft mit Sex nachgefragt 8–9 STOPP-PROSTITUTION.CH 20 – 22 INTERNES Die Kampagne «Für eine Schweiz Das hat die Frauenzentrale ohne Freier» der Frauenzentrale intern beschäftigt 10 EIN FREIER SPRICHT 23 VORSCHAU Über Bordellbesuche und sein Bild Am Samstag, 10. November – von Prostituierten Frauentagung 2018 11 SANDRA KONRAD 24 – 27 ANLÄSSE RÜCKSCHAU Prostitution: Ein Beruf wie jeder Rückblick auf spannende Anlässe im andere? ersten Halbjahr 2018 12– 13 VERGLEICH EUROPA 28 – 29 KOLLEKTIVMITGLIEDER Die Gesetzgebungen im Überblick Vier neue Mitglieder stellen sich vor HERAUSGEBERIN REDAKTION UND PRODUKTION LAYOUT – Alexandra Eggenberger IMPRESSUM Frauenzentrale Zürich Sandra Plaza KORREKTORIN – Brigitte Müller Am Schanzengraben 29, 8002 Zürich REDAKTIONSKOMMISSION FOTOS – Susanne Oberli, fotolia.com Tel. 044 206 30 24 Andrea Gisler, Susanna Häberlin, Sarah Müller DRUCK – Brändle Druck AG zh@frauenzentrale.ch TITELBILD – fotolia.com MITGLIEDER-MAGAZIN DER FRAUENZENTRALE frauenzentrale-zh.ch SPENDENKONTO – IBAN: CH49 0900 0000 8000 4343 0 2 BULLETIN 1/2018
EDITORIAL Editorial Frauen in der Prostitution haben kein Glamour-Leben. Die meisten stammen aus Armutsländern, haben schon als Kind Gewalt erlebt und können den Alltag nur mit Al- kohol oder unter Drogeneinfluss bewältigen. Sie leiden häufig an Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen, ihre Lebenserwartung liegt international gesehen bei 33 Jahren. Da gibt es nichts schönzureden. Klar ist, dass es für diese Frauen Schutz, Beratungs- und Unterstützungsangebote braucht, unabhängig davon, wie die Prostitution gesetzlich geregelt ist. Neben dieser individuellen Ebene gibt es eine gesamtgesellschaftliche Dimension. Nirgends zeigt sich das Machtungleichgewicht zwischen den Geschlechtern so deut- lich wie in der Prostitution. Es wird hier ein rückständiges Frauenbild genährt, nämlich dass man Frauen wie ein Konsumgut benutzen und kaufen kann – mittlerweile sogar ANDREA GISLER zu Dumpingpreisen. Die sexuelle Befriedigung wird als Grundbedürfnis von Männern Präsidentin verstanden, für dessen Erfüllung Frauen zur Verfügung zu stehen haben. Das sind pa- triarchale Geschlechterbilder, die in einer modernen, gleichberechtigten Gesellschaft im 21. Jahrhundert nichts verloren haben. Wird Prostitution als Verstoss gegen die Menschenwürde verstanden – wie dies einige europäische Länder mittlerweile tun –, erübrigt sich die Diskussion, ob die Prostitution freiwillig oder unter Zwang erfolgt. Die Unterscheidung ist ohnehin höchst problematisch. Eine strikte Grenze lässt sich nicht ziehen, die Übergänge sind fliessend. Vor allem aber schützt sie die Freier davor, ihre Handlungen als das wahrzunehmen, was sie sind, nämlich sexualisierte Gewalt. Ohne Nachfrage gäbe es keine Prostitution. Der Fokus ist deshalb vermehrt auf die Freier zu richten. Sie – nicht die Prostitu- ierten - sind es, die in diesem ganzen kriminogenen System frei sind. Ob diese Freiheit weiterhin gesellschaftlich unterstützt und akzeptiert werden soll, ist mehr als fraglich. Geradezu unerträglich ist es, wie Zuhälter, Menschenhändler und Bordell- betreiber sich nahezu unbehelligt auf Kosten der Prostituierten bereichern. Und kaum jemand empört sich. Es ist Zeit, hinzuschauen statt wegzusehen. Es ist Zeit zum Umdenken und zum Handeln. Die Kampagne der Frauenzentrale soll dazu beitragen, dass auch in der Schweiz endlich die gesellschaftspolitische Debatte über Prostitution und deren Auswüchse ge- führt wird. Ich erhoffe mir, dass die kritischen Stimmen, die viel häufiger sind als man meinen könnte, uns tatkräftig unterstützen. HEUTE BESTIMMEN, WAS MORGEN WICHTIG IST LEGATE-MAGAZIN Die Frauenzentrale Zürich setzt sich seit über 100 Jahren sozial und gesellschaftspolitisch für Frauen ein. Sind auch Ihnen die Rechte von Frauen seit jeher ein Anliegen? Setzen Sie sich für Frauenfragen ein oder helfen Sie mit, Frauen in Notsituationen zu unterstützen? In unserer Broschüre erfah- ren Sie, wie man Menschen und Organisationen auch aus- serhalb der Familie begünstigen kann. IBAN CH49 0900 0000 8000 4343 0 Für Weitere Informationen oder Bestellung: 3 frauenzentrale-zh.ch BULLETIN 1/2018 BERATEN • BEWEGEN • BEWIRKEN – SEIT ÜBER 100 JAHREN
ZÜRICH - FRAUEN - NEWS JETZT TEIL DES BUNDESRÄTINNEN- Mindeststrafe für TEAMS WERDEN! Vergewaltigung verdoppeln In der Schweiz sollen Vergewaltiger härter bestraft und Opfer häuslicher Gewalt besser geschützt werden. Der Bundesrat schlägt im Rahmen seiner Lage zur Harmonisierung der Strafmasse dem Parlament vor, die Mindeststrafe für Vergewaltigung von einem auf zwei Jahre Haft zu erhöhen. Eine bedingte Strafe soll neu nur noch teilweise möglich sein: Ein Vergewaltiger soll mindestens sechs Monate ins Gefängnis Unter bundesraetinnen.ch ein Trikot bestellen – und wie die Frauenzentrale müssen. Die Regierung will zudem den Zürich Teil des Bundesrätinnen-Teams werden. Gemeinsam soll das Parlament Tatbestand der Vergewaltigung ge- aufgefordert werden, eine ausgeglichene Vertretung von Frauen und Männern im schlechtsneutral und breiter definieren. Bundesrat umzusetzen. Ziel ist, dass die Bundesverfassung entsprechend Neu soll er auch für «beischlafähnliche ergänzt und die Konkordanz auch auf das Geschlecht angewendet wird. Handlungen» gelten. Zurzeit gelten erzwungener Oral- und Analverkehr als sexuelle Nötigung, die milder bestraft Ehrungen für zwei Pionierinnen wird als Vergewaltigung. Ursula Keller, die 2012 von der Frauenzentrale zur «Zürcherin des Quartals» gewählt wurde, ist eine der meist beachtetsten Phsysikerinnen Europas. Das zeigt die letzte Ehrung: Das Europäische Patentamt hat die ETH-Profes- NEU: Online-Beratun- sorin als Finalistin für den Europäischen Erfinderpreis 2018 in der Kategorie gen für Gewaltopfer Lebenswerk nominiert. Ursula Keller ist eine Pionierin der Lasertechnologie. 1993 wurde sie mit 33 Jahren die erste Professorin auf einem naturwissen- Seit dem 1. März 2018 bietet die BIF nebst schaftlichen Lehrstuhl der ETH Zürich. Ursula Keller war vier Jahre lang telefonischen und persönlichen Beratun- Präsidentin des 2012 gegründeten «ETH Women Professors Forum». gen auch Online-Beratungen für Frauen an, die von Partnerschaftsgewalt betroffen sind. Unabhängig von Ort und Zeit können Eine wichtige Ehrung erhielt auch eine andere Pionierin. Die Rechtswissen- sich gewaltbetroffene Frauen, aber auch schaftliche Fakultät der Universität Zürich verlieh Vera Rottenberg die Fachpersonen und Angehörige auf einer Ehrendoktorwürde. Geboren im von den Nationalsozialisten besetzten sicheren Plattform beraten und informie- Budapest wuchs Vera Rottenburg als staatenloses jüdisches Mädchen in ren lassen, kostenlos und vertraulich. Die St. Gallen auf. Sie studierte Recht und wurde in Zürich als SP-Mitglied erst Userinnen werden von einer eigens auf Bezirks- und dann Oberrichterin. 1994 wählte sie das Parlament als erste Online-Beratung geschulten Fachperson jüdische Frau zur Bundesrichterin. persönlich beraten. bif-frauenberatung.ch Frauen sichtbar machen! Das Projekt «100 aussergewöhnliche Frauen in der Schweiz» will Frauen sichtbarer machen. Geplant sind 100 Kurzporträts und Interviews von bemerkenswerten Frauen, die in der Schweiz leben oder einen starken Bezug zum Land haben. Vorgestellt werden Frauen mit besonderen Lebensläufen und in all ihrer Vielfalt. Mit dem Projekt soll anderen Frauen Mut gemacht werden, den eigenen Weg konsequent zu gehen. Projektleiterin ist Fatima Vidal, Autorin, Texterin und Journalistin. 100frauen.ch 4 BULLETIN 1/2018
ZÜRICH - FRAUEN - NEWS Forderung nach Ärztin zu Unrecht entlassen Lohngleichheit Ende 2017 entschied das Regionalgericht Bern-Mittelland, dass das Berner Inselspital bei der Kündigung einer Schweizer Ärztin das Für gleichwertige Arbeit verdienen Frauen 7,4 Prozent oder Gleichstellungsgesetz verletzt hat. Das Gericht kam zum Schluss, dass es CHF 585 pro Monat weniger als Männer. Jährlich macht dies sich um eine «Rachekündigung» handelt und hob die Kündigung deshalb einen nicht erklärbaren Lohnunterschied von rund CHF 7000 auf. Natalie Urwyler hatte über zehn Jahre am Inselspital gearbeitet. Sie aus. Trotzdem schickte der Ständerat im Februar eine Vorlage warf ihren Vorgesetzten vor, sie bei der akademischen Karriere anders des Bundesrates, die Unternehmen ab 50 Mitarbeitenden zu als Männer behandelt und ihr Vorankommen gezielt behindert zu haben. Lohnanalysen verpflichten wollte, an die Kommission für Zudem kritisierte sie auch im Namen anderer Frauen, dass die Klinik Wissenschaft, Bildung und Kultur zurück und forderte Mutterschutzbestimmungen missachte. Nach einer jahrelangen Alternativen. Dieser Entscheid sorgte nicht nur bei vielen Kontroverse kündigte ihr die Klinik mit der Begründung, das Vertrauens- Frauenorganisationen und Politikerinnen für heftige Kritik. verhältnis sei schwer zerrüttet. Dagegen klagte Urwyler aufgrund des Mitte Mai folgte dann die Kehrtwende: In einem zweiten Gleichstellungsgesetzes. Das Urteil des Regionalgerichtes bedeute ihr Anlauf entschied der Ständerat, dass sowohl private als auch sehr viel, sagte Natalie Urwyler gegenüber der «Neuen Zürcher Zeitung» öffentliche Unternehmen ab 100 Mitarbeitenden künftig eine (NZZ). Nun sei gerichtlich bestätigt, dass das Spital sie als Frau Lohngleichheitskontrolle durchführen und diese überprüfen diskriminiert habe. «Ich habe mich als Oberärztin immer wieder für lassen müssen. Immerhin, ein kleiner Schritt in die richtige Frauenanliegen eingesetzt, das kam nicht gut an.» Es sei frustrierend, Richtung, auch wenn der Vorschlag der Kommission weniger dass es Frauen viel schwerer haben, Karriere zu machen: «Viele weit geht als jener des Bundesrates. Kolleginnen sind hochqualifiziert und kommen nirgends hin.» Die meisten Chefposten seien nach wie vor männlich besetzt. Sie sei immer gegen Quoten gewesen, aber für Führungspositionen brauche es eine Frauenquote von 20 bis 30 Prozent. «Dann wäre das Problem deutlich entschärft.» Zu viele gut ausgebildete und engagierte Frauen kämen nicht vorwärts. Quelle: frauensicht.ch Herzliche Gratulation an unsere Kollektivmitglieder Die Schweizer Kader Organisation SKO feiert 2018 ihr Istanbul-Konvention 125-jähriges Jubiläum. 1893 gegründet, hat sich die SKO vom Werkmeisterverband zu einem branchenübergreifen- Nulltoleranz bei Gewalt gegen den Wirtschaftsverband entwickelt, der die Interessen aller Führungskräfte in der Schweiz vertritt. Mit der Jubiläums- Frauen und Mädchen kampagne «Leadership – The Swiss Way» wird anhand einer Ausstellung mit Portraits von 24 bekannten und Die polizeiliche Kriminalstatistik 2016 hat gezeigt, dass Anzeigen im unbekannten Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik, Zusammenhang mit häuslicher Gewalt in den letzten Jahren gestiegen Gesellschaft, Kultur und Sport aufgezeigt, was Schweizer sind: Alle zwei Wochen stirbt in der Schweiz eine Frau infolge Führung ausmacht. Mehr Informationen gibt es auf der häuslicher Gewalt, jede Woche erfolgt ein Tötungsversuch, meist durch Jubiläums-Webseite: www.swissleaders.org den (Ex-)Partner. Seit dem 1. April 2018 ist in der Schweiz die Istanbul- Konvention des Europarates in Kraft. Das Übereinkommen verpflichtet die Schweiz, Massnahmen für die Gleichstellung der Geschlechter sowie gegen geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen zu ergreifen. Insbesondere die Rechte, der Schutz und die Unterstützung von Opfern sollen gestärkt werden. Die Lösungen sind unter anderem, genügend und einfach zu erreichende Zufluchtsorte (Frauen- und Genau fünf Jahre jünger als die SKO ist der Reformierte Mädchenhäuser) zur Verfügung zu stellen, telefonische Helplines Frauenverein Zürich 5, seit über 40 Jahren Kollektivmitglied einzurichten und Kinder zu unterstützen, die Zeugen von häuslicher der Frauenzentrale. 1888 hatten sich die lokalen Frauenver- Gewalt geworden sind. Am eine zum ersten schweizerischen gemeinnützigen Frauen- 13. November 2018 findet eine verein zusammengeschlossen. Der Frauenvrein Zürich 5 vom Eidgenössischen Büro für bezweckt die Förderung der allgemeinen Gemeinnützigkeit Gleichstellung organisierte im Quartier, die freiwillige gegenseitigen Hilfe sowie die nationale Konferenz zur Unter-stützung von Familien und Einzelpersonen. Istanbul-Konvention in Bern statt. istanbulkonvention.ch BULLETIN 1/2018 5
PROSTITUTION Das Milliardengeschäft Wie hoch der Jahresumsatz im Schweizer Sexbusiness ist, weiss niemand genau. Wer die grössten Profiteure sind, ist hingegen klar. TEXT SANDRA PLAZA Fast nirgendwo in Europa ist es einfacher, ein Bordell zu betreiben als in der Schweiz und in Deutschland. Polizeilich registriert sind schweizweit rund 1900 Etablisse- ments. Am meisten Bordelle gibt es in den Kantonen Basel-Stadt und Zürich. Den grössten Gewinn machen die Sau- naclubs, in denen Dutzende von Frauen anschaffen. Freier zahlen einen Eintritt von durchschnittlich etwas über 100 Franken. Dazu kommt der Umsatz im Gastronomiebereich — vor allem mit al- koholischen Getränken. Für den gesam- ten Schweizer Markt wird von einem Um- satz von 3,5 Milliarden Franken ausgegangen. Auch wenn die Zahlen nur Foto: b auf groben Schätzungen beruhen: die Dimensionen sind gewaltig, die Tendenz steigend. LANGSTRASSE AUSBEUTUNG IN DER IMMOBILIENBRANCHE.. In der Stadt Zürich sind laut der Stadtpo- Die Profiteure sind männlich lizei Zürich rund 200 Bordellbetriebe be- Als Folge von Krieg, Vertreibung und den kannt. Wollten Freier früher in die gros- neuen Mitteln der digitalen Vermarktung sen Saunaclubs, mussten sie in die ist Prostitution eine globalisierte Wachs- Agglomeration fahren. Das Milieu galt als tumsbranche, die floriert. Ein Riesenge- «schmuddelig». Mittlerweile sind «Well- schäft mit Profiten von rund 98 Milliarden ness-Oasen» auch für die Städte chic ge- Franken pro Jahr weltweit. Damit erwirt- nug. Im Februar 2018 eröffnete mitten im schaftet das Sexgewerbe fast zehnmal so Herzen von Zürich der grösste Sexclub viel Umsatz wie die Musikindustrie. Das der Stadt. Das Bordell liegt in unmittelba- grosse Geld machen nicht die Prostituier- rer Nähe des Opernhauses im obersten ten. Die wirklichen Profiteure sind in der Stock eines Bürogebäudes, erstreckt Regel männlich. Es sind einerseits die Bor- sich über 750 Quadratmeter und verfügt dellbetreiber, die in den Medien gerne ge- über einen Wellnessbereich, ein Fumoir, zeigt und in der Musikindustrie besungen eine Bar sowie 14 Zimmer. Der bekann- werden. Von der Sexindustrie leben aber teste Saunaclub im Kanton Zürich ist der nicht nur Geschäftsinhaber und Investo- «Club Dream» in Dübendorf. Das Bordell ren, sondern auch Barkeeper, Sicherheits- wirbt mit dem Angebot «Bis 60 Girls täg- personal, Taxifahrer, Anwälte, das Gesund- lich – Pauschal 160 Franken inkl. Essen». heitswesen, Agenturen und Heirats- Die Freier erfahren von solchen Angebo- vermittlungen, wie die Fachstelle für Frau- te über Internetwerbung und Inserate. enhandel und Frauenmigration (FIZ) auf Insgesamt können in der Schweiz in den ihrer Webseite bestätigt. Schweizer Städte rund 900 «Indoor»-Betrieben alljährlich wie Zürich sind wegen des grossen Ero- bis zu 16 000 Prostituierte anschaffen, da tikangebots auch als Kongress-Destinatio- sich im Durchschnitt vier Frauen einen nen europaweit bekannt. Trifft sich die Arbeitsplatz teilen. Wirtschaftselite am World Economic Fo- 6 BULLETIN 1/2018
PROSTITUTION ft mit dem Sexbusiness rum WEF in Davos, blüht dort das Geschäft normal darzustellen und zu legalisieren. der Schweiz geht das Bundesamt für Poli- mit der Prostitution. «Unsere Models sind Sie verherrlicht die Prostitution als libera- zei (fedpol) von 1500 bis 3000 Betroffenen darauf spezialisiert, den WEF-Gästen aus len, freien Beruf, als Befreiung gar vom pro Jahr aus. Im vergangenen Jahr haben Politik und Wirtschaft ein wenig den Tag zu Patriarchat, ausgeübt von angeblich auto- die Fälle im Bereich von Menschenhandel versüssen», heisst es auf der Website von nom agierenden «SexarbeiterInnen». Zu erneut zugenommen. Vor allem der Anteil High Class Escorts. Eine andere Agentur diesem Glamour-Bild passen auch Filme von Opfern aus dem Asylbereich verdrei- wirbt gezielt mit Namen von Davoser Ho- von «Irma La Douce» bis «Pretty Woman», fachte sich innerhalb eines Jahres. Dass tels. Es erstaunt deshalb nicht, dass die die den Sexkauf als ökonomische Bezie- neuerdings häufiger Asylantinnen von meisten Hotelführer in der Schweiz bis zu hung zwischen verantwortungsvollen Er- Menschenhandel betroffen sind, ist auch einem Drittel aus Inseraten aus der Erotik- wachsenen und im Zeichen einer moder- für das fedpol ein ernstzunehmendes Pro- branche bestehen. Am gewinnbringenden nen Sexualität darstellen. blem. Im Jahr 2016 hat das Staatssekreta- Geschäft nehmen auch die Print- und On- riat für Migration dem fedpol 73 Fälle po- linemedien teil. Eine grosse Schweizer Die Realität in den Massagesalons und tentieller Opfer von Menschenhandel im Mediengruppe betreibt über eine Tochter- «Liebestempeln» sieht aber oft ganz an- Asylbereich gemeldet. Im Vorjahr waren gesellschaft die Plattform sexup.ch, eine ders aus. Aus internationalen Studien es 32 Fälle. Sprecherin Musliu sagt: «Auf- Westschweizer Buchungsseite für Escort- weiss man, dass die Mehrheit der Prostitu- grund der grossen Migrationsbewegun- girls. Das Erotikbusiness, das schon früher ierten Angehörige ethnischer Minderhei- gen gehen wir aufgrund von Analysen da- ganze Zeitungsseiten füllte, spült jetzt di- ten sind, Flüchtlingsfrauen und Opfer von von aus, dass diese Fälle in den nächsten gital Geld in die Kassen, völlig abgekop- sexueller Gewalt. Viele Prostituierte haben Jahren zunehmen werden.» pelt vom Journalismus. Das zeigt sich bei schon in der Kindheit Gewalt erlebt. Sie Foto: blick.ch den unzähligen Onlineplattformen mit ein- leiden überdurchschnittlich an Angststö- Zwangsprostituierte geniessen in der schlägigen Angeboten von Sexdienstleis- rungen und Depressionen und können Schweiz zwar Opferschutz. Dies allerdings tungen, die in den grossen Tageszeitun- den Alltag oft nur mit Alkohol oder unter nur, wenn sie bereit sind, mit den Behör- gen wie «Blick» oder «20 Minuten» Drogeneinfluss bewältigen. Eine Forscher- den zusammenzuarbeiten und gegen die inserieren. Die Prostituierten selbst wer- gruppe der Universität Zürich um Wulf Menschenhändler auszusagen. Zwar wur- den heute nicht nur von klassischen Zuhäl- Rössler, langjähriger Direktor der Psychia- de in den letzten Jahren einiges unter- tern ausgebeutet, sondern auch von Sa- trischen Universitätsklinik Zürich, hat zur nommen, um Menschenhandel in der lon-, Klub- und Saunabesitzern – und von psychischen Gesundheit von Prostituier- Schweiz mithilfe eines Nationalen Aktions- Immobilienhändlern. Die Vermieter verlan- ten geforscht. Die befragten 200 Frauen plans besser zu bekämpfen. Trotzdem gen überrissene Mietzinsen für Kleinstzim- waren zwischen 18 und 63 Jahre alt, mehr- schützt das Schweizer Asylwesen mögli- mer in schlechtem, manchmal sogar in heitlich in der Schweiz geboren, zwei Drit- che Opfer von Menschenhandel zu wenig menschenunwürdigem Zustand. Auf der tel besassen einen Schweizer Pass. Die – das kritisieren sowohl Hilfsorganisatio- Erotik-Kontaktplattform cherry.ch wird in Resultate: 30 Prozent der befragten Pros- nen als auch die UNO und der Europarat. Dübendorf ein Zimmer zur Miete angebo- tituierten leiden an Depressionen, 34 Pro- So haben beispielsweise Opfer, die nicht ten – für 780 Franken in der Woche, also zent an Angststörungen. Besonders ge- in der Schweiz ausgebeutet wurden, kein mehr als 3000 Franken im Monat. Ein Stu- fährdet für psychische Störungen sind Anrecht auf Opferschutz. Doch Menschen- dio «zur erotischen Nutzung» mit drei Zim- Schweizer Frauen, die ihre Dienste auf der handel ist ein internationales Geschäft – mern in «Oberengstringen-Zürich» ist für Strasse anbieten, und Frauen aus Asien viele betroffene Frauen gelangen auf der 7500 Franken inseriert. In Zürich-Seebach oder Südamerika, die in Bars oder Studios Flucht in die Schweiz. gibt es drei Zimmer für 5000 Franken. arbeiten. Von diesen Frauen wiesen bis zu 90 Prozent psychische Störungen auf. Die Lobby verkauft Glamour-Welt QUELLE Das Sexbusiness ist ein sehr lukrativer Menschenhandel Markt, der von Angebot und Nachfrage Hinter dem Geschäft mit der Prostitution - «Prostitution: Exploitations, Persecutions, bestimmt wird. Und die Nachfrage scheint steht auch immer der Menschenhandel Repressions», Economica, Paris: 2016. unersättlich. Die Sexindustrie ist einer der mit Millionen Menschen, die entwürdigt fondationscelles.org am schnellsten wachsenden Wirtschafts- und mit brutaler Gewalt eingeschüchtert - Erotikbetriebe als Einfallstor für Menschen- zweige der Welt. Wie jede lukrative Bran- werden. Jährlich werden weltweit rund handel? Studie von Lorenz Biberstein, che hat auch die Sexindustrie ihre Lobby. zweieinhalb Millionen Menschen Opfer Martin Killias, 2015 Zu ihrer Marketing-Strategie gehört es, al- von Menschenhandel, 80 Prozent davon le Aktivitäten rund um die Prostitution als sind Frauen, 40 bis 50 Prozent Kinder. In - fiz-info.ch BULLETIN 1/2018 7
PROSTITUTION «Für eine Schweiz die neue Kampagne Mit ihrer neuen Kampagne «Für eine Schweiz ohne Freier» macht sich die Frauenzentrale für einen Wandel in unseren Köpfen stark. Der Lösungsansatz ist einfach und effektiv: Je weniger Freier, desto weniger Prostitution. TEXT SANDRA PLAZA Am 1. Juli 1998 ist es genau 20 Jahre her, Männer haben immer die Wahl dass in Schweden das Gesetzespaket Prostitution ist keine normale Arbeit und «Frauenfrieden» (schwedisch «Kvinnof- wird es auch nie sein. In den Debatten rid») zum Schutz von Frauen in Kraft trat. werden Prostituierte oft in zwangsprosti- Im Rahmen dieser Gesetzesreform wurde tuierte Frauen und solche, die es «freiwil- im Bereich Prostitution der Sexkauf krimi- lig» tun, aufgeteilt. Dabei wird aber über- nalisiert: Die Kunden werden für den Kauf sehen, dass der «Freiheitsgrad» der von sexuellen Dienstleistungen bestraft, Prostituierten für die Freier nie eine Rolle die Prostituierten bleiben straffrei. Zuvor spielt. Der Freier kauft sich – unabhängig war in Schweden Prostitution als Gewalt von der Situation der Frau – eine sexuelle gegen Frauen definiert worden. Handlung, die ohne materielle Entschädi- gung zu 99,9 Prozent nicht stattfinden Alles ist käuflich – auch Frauen würde. Wieso müssen wir uns in diese In der Schweiz sind wir weit davon ent- Debatte über Freiwilligkeit oder Zwang fernt, Prostitution als Gewalt gegen Frau- überhaupt einlassen? Wieso weisen wir en zu betrachten. Befassen sich Medien, nicht stattdessen darauf hin, dass für 100 Nichtregierungs-Organisationen oder die Prozent der Freier der Gang zu Prostitu- Politik mit Prostitution, geht es meist dar- ierten eine Wahl ist? um, die Rechte von Prostituierten zu stär- ken oder Prostitution zu einem normalen Der Frauenzentrale ist überzeugt: Es Beruf zu verklären. Sexualität wird als braucht dringend einen Wandel in unse- männliches Grundbedürfnis verstanden, ren Köpfen. Die strukturelle, wirtschaftli- und der Staat stellt bereitwillig die Rah- che, psychologische und physische Ge- menbedingungen zur Verfügung. Dies ist walt in der Prostitution muss erkannt und Ausdruck einer Konsumgesellschaft, in benannt werden, denn sie verunmöglicht der alles käuflich ist, auch Frauen. Dieses eine geschlechtergerechte Gesellschaft Bild macht sich in den Köpfen breit und ist und ist ein Verstoss gegen die Menschen- vom Ideal einer gleichberechtigten Ge- würde. Freier, Zuhälter, Menschenhändler sellschaft weit entfernt. und Bordellbetreiber müssen zur Verant- wortung gezogen und geächtet werden Dabei zeigen sich nirgends das Ge- – also jene, die im System der Prostitution schlechterverhältnis und die patriarcha- tatsächlich die Wahl und den Profit haben. len Gesellschaftsstrukturen so deutlich wie bei der Prostitution. Prostitution ver- Verstoss gegen Menschenwürde stärkt eine bestehende «Rape Culture» In vielen Ländern ist Prostitution verboten gegenüber Frauen, die darin besteht, se- und Freier werden bestraft, weil diese xuelle Übergriffe auf Frauen zu verharm- Länder erkannt haben, dass Prostitution losen und ihnen oft eine Teil- oder Ge- keine Privatsache ist, sondern dass die samtschuld zuzuschreiben, wenn sie staatliche Legalisierung gesamtgesell- Opfer sexueller Gewalt werden. schaftliche Wirkungen hat und Frauen 8 BULLETIN 1/2018
PROSTITUTION ohne Freier» – Das Engagement der Frauenzentrale der Frauenzentrale Die Frauenzentrale hat sich seit ihrer Gründung wiederholt mit der Prostitution und deren Auswirkungen auf die Gesell- schaft befasst. Bereits 1917 rief sie – dem entwürdigt werden. Länder wie Schweden, das Recht haben, über Frauen zu verfügen Zeitgeist entsprechend – ihre Kollektiv- Norwegen, Finnland, Island, Irland und und ihre sexuellen Bedürfnisse jederzeit mitglieder auf, gegen die Prostitution Frankreich halten Prostitution für nicht mit zu befriedigen, dürfte die Zahl der gewalt- und «Sittenverluderung» in Zürichs Stras- der Menschenwürde vereinbar und haben samen Übergriffe tendenziell steigen. sen ein Zeichen zu setzen. Die Frauen- deshalb die Nachfrage nach käuflichem Sex ÄLTESTES GEWERBE Argument: Prostitu- zentrale verfasste eine Eingabe an den unter Strafe gestellt. Sie folgen damit der tion ist das «älteste Gewerbe der Welt». Stadtrat und forderte ein «festes Ein- Empfehlung des Europarates, der 2014 Pro- FALSCH: Die Prostitution entstand im drit- schreiten» gegen die «Volksseuche der stitution als Verstoss gegen die Menschen- ten vorchristlichen Jahrtausend im Zusam- Prostitution». Mitte der 1950er-Jahre un- würde einstufte und den Mitgliedstaaten menhang mit Krieg und Sklaverei. Die ers- ternahm die Frauenzentrale einen neuen empfahl, das «schwedische Modell» zu prü- ten Sklaven (und Prostituierte) waren Versuch, eine Allianz zu schmieden, um in der Stadt gegen die neuen Massage- fen, also die Freierbestrafung. Der Lösungs- Frauen. Salons, Appartement-Häuser und den ansatz ist einfach und effektiv: Je weniger SPASSFAKTOR Argument: Vielen Frauen zunehmenden Autoverkehr durch die Freier, desto weniger Prostitution. macht es Spass. FALSCH: Laut einer UN- Freier vorzugehen. Drei Jahrzehnte spä- Studie wurden zwei Drittel aller Pros- ter bat Regierungsrat Peter Wiederkehr Die Europäische Frauenlobby, die Dach- tituierten von Freiern vergewaltigt. Drei die Frauenzentrale um eine Stellungnah- organisation von Frauenorganisationen von vier konsumieren Drogen oder Alko- me. Im Kantonsrat war 1986 nämlich ein aus 30 europäischen Ländern, hat bereits hol. Die Mehrheit der Frauen ist schon als Postulat hängig, das sich nach Hilfsange- 2011 die Kampagne «Gemeinsam für ein Kind sexuell missbraucht worden. Weitere boten für Prostituierte erkundigte, die Europa ohne Prostitution» lanciert. Die Studien zeigen: 80 – 90 Prozent würden aus dem Milieu aussteigen wollten. Die Frauenzentrale will unter dem Slogan sofort aus der Prostitution aussteigen – Frauenzentrale übernahm die Leaderrol- «Für eine Schweiz ohne Freier. Stopp Pro- wenn sie könnten. le und brachte Politikerinnen sowie Ver- stitution» die Debatte in der Schweiz an- treterinnen der konfessionellen und ge- stossen – und ein Umdenken in der Ge- Quelle: Rotlichtaus.de meinnützigen Frauenorganisationen an sellschaft bewirken. einen Tisch. Gemeinsam erarbeiteten sie NICHT VERPASSEN – ein Konzept für eine «Beratungsstelle für ZUR KAMPAGNE GEHÖRT Prostituierte». Diese sollte Prostituierte MYTHEN ÜBER PROSTITUTION AUCH EIN CLIP unterstützen und die Öffentlichkeit für FREIWILLIGKEIT Argument: Prostituierte die rechtlichen Schwierigkeiten der Pro- machen ihre Arbeit freiwillig. FALSCH: 90 Am 28. Juni lancierte die Frauenzentra- stituierten sensibilisieren. Konzept, Sta- Prozent ist Zwangs- und Armutsprostituti- le im Kino Houdini ihre Kampagne tuten und Betriebsreglement standen on. Es muss nicht immer der Zuhälter «Für eine Schweiz ohne Freier. Stopp nach vier Jahren ehrenamtlicher Arbeit sein, der Gewalt anwendet. Manchmal Prostitution». Die eingeladenen Medien fest, nur das Geld fehlte noch. Stadträtin werden Frauen auch von ihren eigenen bekamen zum ersten Mal die neue Emilie Lieberherr versprach Hilfe, doch Webseite und einen eindrücklichen Clip dann verschwand das Konzept in den Familien in die Prostitution geschickt. zur Prostitutionskampagne zu sehen. Schubladen. 2013, als der Zürcher Stadt- KRIMINALISIERUNG Argument: Wenn rat in seinem Massnahmenpaket zur Pro- man die Prostitution kriminalisiert, rut- Der Film wurde von der Werbeagentur stitution den Strassenstrich am Sihlquai schen die Frauen in die Illegalität, und al- Publicis produziert und in Stockholm aufheben und einen betreuten Strich- les wird schlimmer. FALSCH: «Kriminali- mit schwedischen Schauspielerinnen platz mit Boxen in Zürich-Altstetten ein- siert», also verfolgt, werden nur die, die und Schauspielern gedreht. richten wollte, fasste die Frauenzentrale mit der Ware Frau handeln – Freier, Frau- stopp-prostitution.ch die «Nein-Parole». Es ist nicht Aufgabe enhändler, Zuhälter, Bordellbetreiber – des Staates, teure Infrastruktur für nicht die Frauen selbst. Prostituierte er- schnellen, käuflichen Sex zur Verfügung halten Schutz und Beratung. zu stellen. Bereits zwei Jahre zuvor hatte MEHR VERGEWALTIGUNGEN Argument: die Frauenzentrale dem Thema Prostitu- Wenn es keine Prostitution gibt, steigt die tion ein Bulletin gewidmet mit dem Ziel, Zahl der Vergewaltigungen. FALSCH: die gesellschaftspolitische Debatte zu Wenn eine Gesellschaft mit der Akzeptanz lancieren. von Prostitution signalisiert, dass Männer BULLETIN 1/2018 9
PROSTITUTION Fragen an einen Freier Was geht in einem Mann vor, der regelmässig zu Prostitutierten geht? Martin Bachmann, seit 17 Jahren Berater beim «männebüro züri», hat mit einem anonymen Freier gesprochen. Wie oft gehen Sie zu Prostituierten? dann um Sex. Ich will von den Frauen Das ist doch Quatsch. Puffs gab es schon Das ist jeweils nicht geplant. Ich sonst ja nichts. Wenn ich Zeit habe, wenn immer. Wenn die Frauen das machen wol- nehme mir das nicht bewusst vor. es mal krachen soll, dann kommt das vor. len, ist das einfach ein Business. Ich gehe Das ergibt sich einfach. Aber ja nicht auf den Strassenstrich, zu denen, wenn ich zurückschaue, kom- Was wissen Sie von den Frauen, mit de- die das machen müssen. Das ist wider- me ich auf ca. einmal im nen Sie Sex für Geld haben? lich. Die Frauen müssen das schon auch Monat. Es ist nicht so, Eigentlich nichts. Die sind mir weitgehend etwas wollen. Sonst macht es auch kei- dass ich immer bezah- egal. Ich will einen schönen Moment und nen Spass. Ich glaube nicht, dass es we- le, manchmal treffe Sex haben. Ich behandle die Frauen an- niger Prostituierte geben würde, wenn es ich auch Frauen, die ständig, respektvoll, ich mache auch keine verboten wäre. Es würde mehr im Gehei- ich auf Tinder ken- verrückten Sachen, ganz normalen Sex men laufen, wie ich auf meinen Reisen ja nenlerne, da be- mit ein bisschen küssen, oral und gewöhn- auch sehe. Aber wahrscheinlich würde zahle ich nichts. Es lichen Geschlechtsverkehr, nichts Perver- ich schon weniger gehen, wenn es für ist halt auch so, dass ses. Woher die Frauen kommen, warum mich gefährlicher werden würde. Ich will ich das schon seit je- sie diesen Job machen, frage ich nicht ja meine Ehe nicht gefährden. her kenne, mein ers- nach. Anders wird es, wenn ich mehrmals tes Mal war auch in bei der gleichen war. Dann gibt es schon Wann ist so ein Bordell-Besuch gut in einem Bordell. Es so eine Art Beziehung, man kennt sich ir- Ihren Augen? gab immer wieder gendwie. Dann redet man mehr und weiss Wenn es sauber war, wenn die Frau nett lange Lücken, wo ich auch ein paar Sachen voneinander. war, wenn es einfach ein stimmiger Service nicht zu Prostituierten war. Wenn es keinen Stress gab und wenn ging. Aber seit ich Fa- Wie läuft so ein Besuch ab? es ihr auch gefallen hat. Die kommen ehrlich milie habe, hat sich Das geht eigentlich recht unkompliziert, gesagt auch oft beim Sex mit mir. das verselbständigt. es sind ja alle im Internet. Ich rufe an oder gehe im Club vorbei. Danach wähle B.G., 46 Jahre, verheiratet, 2 Kinder Wo und wie treffen Sie ich aus, entscheide, was ich will und be- die Frauen? zahle meine gekaufte Zeit. Anschlies- Das ist unterschiedlich. Es send duschen, mit der Frau etwas reden FREIER IM FOKUS passiert fast immer auf und dann eben ganz normalen Sex. Wie- Laut Angaben der Aids-Hilfe Schweiz Geschäftsreisen, wenn der duschen und raus. Das ist einfach so ich unterwegs bin. Ich eine Zeit-Insel, das hat wie mit mir sonst gehen rund 350'000 Männer mindes- schaue aber auch sonst nichts zu tun. Ich kann das gut trennen, tens einmal im Jahr zu einer Prostituier- immer mal wieder, wo in sonst ginge es ja nicht. ten. Das ist jeder fünfte Mann zwischen welchem Club etwas 20 und 65 Jahren. Durch Charakteristi- los ist, wo welche Frau- Haben Sie kein schlechtes Gewissen? ka wie Alter, Ausbildung oder soziale en auf den Online-Por- Doch schon, aber ich kann und muss das Schicht lassen sich die Männer nicht talen zu finden sind. vergessen können. Meine Frau würde eingrenzen. Auch die Gründe für den Meistens sind es neue Kontakte. Ich treffe das überhaupt nicht wollen. Ich schäme Besuch bei einer Prostituierten aber auch gelegentlich Frauen, die ich mich manchmal sehr, vor allem wenn ich variieren. Was alle Freier verbindet, ist schon länger kenne, das ist wie eine Sex- meine Frau wieder sehe. Und es weiss es der Wunsch nach Anonymität. Und ganz Beziehung nebenher. ja auch sonst niemand, das erzähle ich oft: Mangelndes Verantwortungs- nicht herum. Ausser wenn ich mit Ge- bewusstsein als Konsument der Dienst- Warum gehen Sie zu Prostituierten? schäftspartnern unterwegs in Clubs war, Keine Ahnung, das ergibt sich einfach. dann wissen es einige, aber die waren ja leistung Sex. Fünf Jahre nach Einfüh- Nach langen Arbeitstagen, wenn ich un- auch mit dabei und halten dicht. rung der neuen Prostitutionsverord- terwegs bin, mir Nähe fehlt, dann kommt nung in der Stadt Zürich wurden rund mir manchmal diese Idee und dann pas- Was halten Sie vom nordischen Modell, 270 Freier verzeigt, die gegen den siert es auch gelegentlich. Es geht mir das gekauften Sex für Freier verbietet? Strichplan verstossen haben. 10 BULLETIN 1/2018
PROSTITUTION Prostitution – ein Beruf wie jeder andere? Die Psychologin Sandra Konrad analysiert in ihrem neuen Buch ‹Das beherrschte Geschlecht. Warum sie will, was er will› anhand der Geschichte weiblicher Sexualität die bis heute wirksamen Geschlechter- klischees. Die Hamburgerin widmet auch den Themen Pornografie und Prostitution ein eigenes Kapitel. fast ausschliesslich männliche Nachfrage gegenüber. Wir sprechen TEXT SANDRA KONRAD von Gleichberechtigung, aber während der männliche Freier unbe- Prostitution ist ein Job wie jeder andere auch. Schliesslich ist es schadet zwischen Rotlicht-Milieu und seinem bürgerlichen Leben das älteste Gewerbe der Welt, das Frauen die Möglichkeit gibt, mit hin- und herspaziert, ist die Prostituierte für alle Zeiten gebrand- ihrem Hobby viel Geld zu verdienen. Prostituierte arbeiten total markt. Aus Scham und Angst vor Stigmatisierung verschweigen selbstbestimmt und freiwillig. Ohne Prostitution würde es mehr viele ihre Tätigkeit. Und obwohl Studien zeigen, dass 80 bis 90 Vergewaltigungen geben. Solche und ähnliche Behauptungen fal- Prozent der Frauen sofort aus der Prostitution aussteigen würden, len in wohl jeder Diskussion über das Thema. Doch einzelne dieser wenn sie könnten, ist eine Rückkehr in den normalen Arbeitsmarkt Aussagen bagatellisieren und normalisieren die Tatsache, dass wir schwierig. in einer Gesellschaft leben, in der Männer Frauen kaufen können und in der Sexualität bis zur Unkenntlichkeit verdinglicht werden Prostitution ist kein Beruf wie jeder andere, denn weder Frauen, kann. Die Realität hinter der Glamour-Kulisse der käuflichen Sexu- die sich prostituieren, noch Männer, die Prostituierte aufsuchen, alität sieht alles andere als rosig aus: Armut und Zwang sind die würden sich diese Karriere für ihre Töchter wünschen. Es gibt kei- Hauptfaktoren für den Einstieg in die Prostitution. ne Ausbildung, keine Zulassungstests, keine Standards, keine Mindestlöhne, die eingehalten werden müssen. Für wenig Geld Ein Detail wird auch bei den wenigen «freiwilligen» Prostituierten gibt die Frau ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht auf und wird oft übersehen, verschwiegen oder verleugnet: Für viele von ihnen vorübergehend zum Eigentum des Mannes. ist der Einstieg ins Rotlicht-Milieu eine tragisch-logische Fortset- zung ihres Lebens, in dem sie Gewalt, Missbrauch und Vernachläs- Prostitution lehrt uns als Gesellschaft: Die Frau ist eine Ware, der sigung erfahren haben. Jede Frau, die sich prostituiert, hat eine weibliche Körper ist käuflich, der Mann hat die Macht. Nun ist Sexu- Vorgeschichte – selbst die Bundesregierung in Deutschland er- alität auch in intimen Liebesbeziehungen kein machtfreier Ort, aber kannte 2007 an, dass es «eine soziale Realität (ist), dass viele Pro- in der Prostitution werden Machtverhältnisse einseitig festge- stituierte sich in einer sozialen und psychischen Situation befin- schrieben: Mann ist mächtiges Subjekt, Frau unterworfenes Objekt. den, in der es fraglich ist, ob sie sich wirklich frei und autonom für Nirgends zeigt sich das patriarchalische Geschlechterverhältnis oder gegen diese Tätigkeit entscheiden können.» deutlicher als in der Welt des käuflichen Sex, in der zudem struktu- relle Gewalt und Ausbeutung herrschen. Und nirgends wird genau «Sexarbeit», wie Prostitution neutralisierend genannt wird, ist kein das so konsequent verleugnet, verdrängt und sogar legalisiert. Beruf wie jeder andere. Prostituierte erfahren täglich Stigmatisie- rung, Objektifizierung und diverse Formen von Gewalt. Zwei Drit- Es ist an der Zeit, uralte, längst widerlegte Argumente zu hinterfra- tel aller Prostituierten wurden gen, die liberal klingen, aber an Ignoranz und Empathielosigkeit schon von einem oder mehreren grenzen und die noch dazu sexistisch sind – auch Männern gegen- Freiern vergewaltigt. Drei von vier über, die als tumbe Triebtäter dargestellt werden, die ohne Zugriff auf Prostituierten konsumieren Drogen Prostituierte zu Vergewaltigern werden würden. Auch das Argument oder Alkohol, um ihre Tätigkeit zu «Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt» ist nichts weiter als die ertragen. älteste Entschuldigung der Welt, patriarchalische Gesellschaftsstruk- turen und die ausbeuterische Beziehung zwischen Männern und Prostitution ist kein Beruf wie jeder Frauen nicht hinterfragen, kritisieren oder verändern zu wollen. Eine andere, denn einem fast ausschliess- ehemalige Prostituierte bringt die Absurdität auf den Punkt: «Prosta- lich weiblichen Angebot steht eine ta-Krebs gab es auch schon immer und man tut etwas dagegen.» QUELLE - Gugel, Rahel: Das Spannungsverhältnis zwischen Prostitutionsgesetz und Art.3 III Grundgesetz – eine rechtspolitische Untersuchung. Bremen 2010. - Kraus, Ingeborg: Trauma as a Pre-condition and Consequence of Prostitution. 2016. - Müller, U. & Schröttle, M.: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen. Phoenix, Johanna: Prostitute Identities – Men, Money and Violence. British Journal of Criminology, 2000. - Raymond, G. Janice: Prostitution on Demand. Legalizing the Buyers as Sexual Consumers. In: Violence Against Women, 10 (10) 2004. - Zumbeck, Sybille: Die Prävalenz traumatischer Erfahrungen, Posttraumatische Belastungsstörung und Dissoziation bei Prostituierten. Hamburg 2011. - Sexuelle Realitäten älterer Frauen: Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung. Informationsdienst Forum Online.BULLETIN 1, 2003.11 Ausgabe2/2017
PROSTITUTION Prostitution in Europa – ein Ländervergleich Während in Schweden und Norwegen der Kauf sexueller Dienstleistungen strafbar ist, gelten in der Schweiz und Deutschland andere Gesetze: Prostitution ist legal und reguliert. Ein Überblick über die einzelnen Gesetzgebungen in Europa. SCHWEDISCHES MODELL LEGAL 1. Andorra Island Schweden Prostitution wird als Gewalt gegen Deutschland Seit 2002 legal und eine Reykjavík 2. Monaco 3. Luxemburg Frauen verstanden und als nicht vereinbar mit Dienstleistung mit Anspruch auf einklagba- 4. Liechtenstein 5. San Marino Schweden Finnland der Würde einer Frau. Seit 1998 machen sich ren Lohn sowie Zugang zur Kranken- und 6. Vatikanstadt Kunden strafbar, nicht aber die Prostituierten. Sozialversicherung. Seit 2017 u.a. Anmelde- Norwegen Frankreich 2013 wurde ein Gesetz beschlossen, pflicht und Kondompflicht. Schweiz Kuppe- Oslo Tallinn Helsinki das die Freier bestraft. Seit Inkrafttreten des Ge- lei und passive Zuhälterei stehen seit 1992 Stockholm Estland setzes im April 2016 ist Prostitution in Frankreich nicht mehr unter Strafe. Bis 2013 war Prosti- Riga Lettland verboten. Norwegen Seit 2009 werden Freier tution mit Jugendlichen über 16 Jahren Litauen nach schwedischem Vorbild bestraft. Island straffrei. Ausländische Prostituierte brau- Kopenhagen Dänemark Wilna Minsk Nach langem Hin und Her folgen die Isländer chen für die Ausübung ein Arbeitsvisum. Irland Dublin Niederlande Weissrussland dem schwedischen Modell: Freier werden seit Österreich Prostituierte sind selbständig Groß- britannien Berlin Warschau Kiew 2009 mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft Erwerbstätige und steuerpflichtig. Sie kön- London Amsterdam Polen Brüssel Deutschland Ukraine Nordirland verbietet im Herbst 2014 als erstes nen nicht in einem Anstellungsverhältnis Belgien Prag 3. Tschechische Land der UK den Kauf sexueller Dienstleistun- stehen. Asylbewerberinnen dürfen sich le- Paris Rep. Slowakei Bratislava Moldawien Chișinău Wien gen. Über zehn Jahre lang hatte eine Rotlicht- gal prostituieren. Griechenland Laut einer Budapest Österreich aus-Kampagne beharrlich für das Sexkaufverbot Studie des National Centre for Social Re- Bern 4. Ungarn Rumänien Frankreich Schweiz Ljubljana Zagrep Bukarest gekämpft. Irland Seit 2017 gilt auch in Irland das search (EKKE) nahm Prostitution von 2013 Slowenien Kroatien Italien Bosnien & Belgrad schwedische Modell. Mit überwältigender Mehr- bis 2015 aufgrund der Wirtschaftskrise 5. Herzegowina Sarajevo Serbien Bulgarien 2. Monte- Pristina Sofia heit beschloss das Parlament, Freier künftig zu um 150 Prozent zu. Prostituierte müs- 1. Podgorica negro Kosovo Skopje bestrafen. Zuvor stand Prostitution für Prostituier- sen sich registrieren und regelmässig Mazedonien Portugal 6. Madrid Rom Tirana Lissabon Albanien te und Freier unter Strafe. ärztlich untersuchen lassen. Ungarn Spanien Prostitution ist legal, darf aber nur in Athen wenigen genehmigten Zonen ausge- Griechenland LEGAL, WENIG REGULIERT übt werden. Seit 2006 müssen Einnah- men aus Prostitution versteuert werden. Italien Seit 1958 sind Bordelle verboten. Prostituti- Lettland Prostituierte zahlen Steuern und on findet vor allem auf der Strasse statt. Es sind zum müssen zu Gesundheits-Checks. Vor allem in grössten Teil Migrantinnen. Feministische Gruppie- Riga florierte der Sextourismus, bis der Staat «SCHWEDISCHES MODELL» – Konsum sexuel- ler Dienstleistungen verboten, Freier werden rungen und einige katholische Bischöfe fordern die Massnahmen ergriff. Heute werden junge bestraft. Freierbestrafung. Spanien und Portugal Legal Frauen – wie in Ungarn – für das Ausland und stark verbreitet, der Strassenstrich floriert. Ins- rekrutiert. Dänemark Prostitution ist legal, LEGAL – Zuhälterei verboten, Kondompflicht, besondere Spanien hat in jüngster Zeit einen Prostituierte bezahlen Steuern. Bordelle sind Pflicht zu medizinischen Untersuchungen und enormen Anstieg an Migrantinnen zu verzeichnen, nicht erlaubt. Durch die Nähe zu Schweden zur Registrierung. Prostituierte sind steuer- die als Prostituierte arbeiten. Polen und Tsche- ist insbesondere Kopenhagen Destination pflichtig. chien Prostitution legal, Bordelle verboten. Ausge- für schwedische Freier. Grosser Strassen- LEGAL, WENIG REGULIERT – mit Ausnahme von übt auf Strassen, Bahnhöfen und Hotels sowie in strich. Holland Das Bordellverbot wurde im Mindestalter und Menschenhandel. offiziell als Agenturen angemeldeten Sexclubs. Jahr 2000 aufgehoben und Prostitution als Finnland Die Regierung plante 2006 ein Totalver- Gewerbe anerkannt. Prostituierte zahlen PROSTITUTIONSVERBOT – Anbieten und Kon- bot der Prostitution mit Strafen für Freier. Schluss- Steuern. Man erhoffte sich von der Legali- sum verboten. Freier wie Prostituierte werden endlich wurde ein modifiziertes Gesetz erlassen. sierung eine bessere Bekämpfung von Men- bestraft. Öffentliche Kontaktanbahnung ist verboten. Online- schenhandel. Die Ergebnisse sind ernüch- Werbung blüht. Bulgarien Prostitution ist rechtlich ternd. Erst kürzlich hat Amsterdam im nicht klar geregelt. Sie ist – anders als Zuhälterei – Rotlichtmilieu über 200 Fenster geschlos- weder strafbar noch legal. Grossbritannien sen und zu Sozialwohnungen umbauen las- Strassenprostitution und aktives Anwerben von sen. Weitere Massnahmen folgen. Türkei Freiern sind untersagt. Freier werden bestraft, Der Staat betreibt konzessionierte Bordelle. PROSTITUTIONSVERBOT wenn sie Frauen zur Prostitution in der Öffentlich- Ausserhalb ist Prostitution verboten. Der keit auffordern. Nur in Wohnungen und Häusern ist Schwarzmarkt blüht. Luxemburg Seit 2018 Albanien, Rumänien, Bosnien und Herzegowi- das Ausüben von Prostitution erlaubt, grössere Eta- neues Prostitutionsgesetz, um Menschen- na, Kroatien, Serbien Prostitution ist in diesen blissements sind verboten. Belgien Die Gesetzge- handel besser zu ahnden. Prostitution bleibt Ländern verboten, jedoch sehr verbreitet. Her- bung ist ziemlich liberal, unkontrolliert und Prostitu- legal – aber mit Einschränkungen: Bei Pros- kunftsländer für Opfer von Menschenhandel. tion weit verbreitet. Gewisse Kontrollen finden auf tituierten mit psychischen Leiden oder ohne Litauen Die Ausübung, Inanspruchnahme und För- lokaler Ebene statt.. gültige Papiere machen sich Freier strafbar. derung von Prostitution strafbar.
PROSTITUTION Prostitution: Beruf oder Ausbeutung? In Schweden werden Freier seit 1998 bestraft. Für das nordische Land ist Prostitution Gewalt gegen Frauen und eine Verletzung der Menschenwürde. Deutschland hingegen versucht mit einer liberalen Gesetzgebung, die Situation von Prostituierten zu verbessern, das Ausüben von Prostitution gilt als Beruf. Minsk TEXT BRIGITTE MÜLLER srussland Kiew Ukraine DAS DEUTSCHE MODELL DAS SCHWEDISCHE MODELL Moldawien Chișinău mänien Bukarest Bis zur Einführung des Prostitutionsgesetzes im Jahr 2002 Schweden ist in Sachen Gleichberechtigung von Frau und war Prostitution in Deutschland geduldet, galt jedoch als Mann den anderen europäischen Staaten weit voraus. Dass Bulgarien Sofia sittenwidrig. Mit dem neuen Gesetz verbunden war die Mann und Frau den gleichen Stellenwert haben, ist in den Erwartung, dass die Diskriminierung von Frauen und Köpfen der Schweden und Schwedinnen tief verankert. Männern, die der Prostitution nachgehen, abgebaut würde Dies zeigt sich beim Thema Prostitution. Bereits in den Athen und dass sie bessere Arbeitsbedingungen und mehr Rechte 1970er Jahren wurde hinterfragt, was das für eine erhalten würden. Vor allem das Recht, die Bezahlung ein- Gesellschaft sei, die Bordelle betreibt oder gutheisst. Denn Griechenland zuklagen, und der Zugang zur Sozialversicherung wurden damit trage sie aktiv dazu bei, dass Menschen für eine als erstrebenswerter Fortschritt angesehen. Es ist auch nicht Tätigkeit ausgenützt werden, die erfahrungsgemäss oft zu mehr strafbar, Räume einzurichten und Arbeitsplätze für ernsthaften psychischen Schäden und lebenslangen Prostituierte zu schaffen im Sinne eines Beitrags zur Förde- sozialen Anpassungsschwierigkeiten führt. rung der Prostitution. Fazit des neuen Gesetzes: Statt die gewünschten Verhältnisse zu schaffen und die Situation der Am 1. Juli 1998 trat das Gesetzespaket «Frauenfrieden» Frauen zu verbessern, löste das Prostitutionsgesetz einen zum Schutz von Frauen in Kraft. Prostitution wird in Boom aus: Von Flatrate- hin zu Gangbang-Bordellen – für Schweden als Gewalt gegen Frauen definiert. Seitens Freier ist Deutschland zum Paradies geworden. Und zur der Regierung hiess es: «Die schwedische Regierung und Drehscheibe für Zwangsprostitution und Menschenhandel. das Parlament haben durch die Einführung des Gesetzes Kritiker monieren, Deutschland sei zum Bordell Europas bezüglich des Schutzes von Frauen Prostitution als Männer- verkommen. gewalt gegen Frauen und Kinder definiert.» Im Rahmen der Gesetzesreform wurde im Bereich der Prostitution der Kauf Im Jahr 2017 folgte ein neues Prostituiertenschutzgesetz. von Sex kriminalisiert. Kunden werden seither für den Erstmals wurden umfassende Regeln für legale Prostitution Kauf sexueller Dienstleistungen bestraft – mit einer aufgestellt: Mit einer Kondompflicht für Freier, Standards für Busse oder Gefängnisstrafe. Die Prostituierten bleiben Bordelle und mehr Beratung sollen Prostituierte in Deutsch- straffrei. land künftig vor Ausbeutung und Gesundheitsrisiken ge- schützt werden. Jeder Betreiber muss ein Betriebskonzept Nicht alle sehen im schwedischen Modell eine Verbesse- vorlegen und sich einer Zuverlässigkeitsprüfung unterzie- rung der Situation. Die Szene sei härter und gewaltbereiter hen. Menschenunwürdige oder ausbeuterische Formen wie geworden, sagen kritische Stimmen. Doch Länder wie Flatrate-Bordelle sollen so unterbunden werden. Verstösse Norwegen, Frankreich, Irland und Island sind dem Beispiel werden mit Bussgeldern bis zu 50 000 Euro je nach Schwe- Schwedens gefolgt. Der Grundgedanke, nicht in einer re des Verstosses und Einkommensverhältnissen sanktio- Gesellschaft leben zu wollen, in der Männer als Opfer ihrer niert. Viele Kritiker glauben nicht, dass sich durch das neue Triebe angesehen werden und Frauen als käufliche Ware, Gesetz die Situation der Prostituierten verbessern wird. müsste doch für jeden Staat erstrebenswert sein. BULLETIN 2/2017 13
ROUND–TABLE «Im Kern geht es um unser Was ist Prostitution? Eine Verletzung der Menschenwürde? Ein Verstoss gegen die guten Sitten? Oder ist es ein Beruf wie jeder andere? Wollen wir Prostitution in unserer Gesellschaft akzeptieren oder ächten? Die Frauenzentrale diskutiert in der Expertinnenrunde kritisch über Prostitution und ihre Hintergründe. INTERVIEW ANDREA GISLER ject 1012 das Rotlicht säubern. Auch UND SANDRA PLAZA Schweden regelte die Prostitution vor der Einige nordische Länder wie Schweden Einführung der Freierbestrafung vor 20 vertreten die Haltung, Prostitution sei Jahren liberal. Dasselbe gilt auch für ein Verstoss gegen die Menschenwür- Frankreich, Kanada und Finnland. Dort hat de. Länder, in denen Freier bestraft man eingesehen, dass man mit dieser Po- werden, gehören in Sachen Gleichbe- litik weder Menschenhandel noch sexuel- rechtigung zu den Fortschrittlichsten. le Ausbeutung bekämpfen kann. Ist das schwedische Modell erstrebens- wert für die Schweiz? Elisabeth Keller: Es ist ein Trugschluss zu Martin Bachmann: Als ich das erste Mal glauben, dass durch Liberalisierung ein vom schwedischen Modell hörte, war das grösserer Teil der Prostitution sichtbar wird IRENE HIRZEL GESCHÄFTSFÜHRERIN VON «ACT 212», NATIONALE MELDE- für mich eine Überraschung. Ich vertrete und die Prostituierten besser geschützt STELLE GEGEN MENSCHENHANDEL grundsätzlich einen liberalen Ansatz und werden. Die Entwicklung in den vergange- UND SEXUELLE AUSBEUTUNG. dachte, dass man für das Wohl der Prosti- nen Jahren ist deutlich und zeigt immer tuierten schauen muss, damit sie nicht stärker den unsichtbaren Teil der Prostitu- Zustand der Frau, z.B. in einem Bordell in ausgebeutet werden und sich vor Gewalt Zürich. Die Frau sagt, sie verdiene mit dieser schützen können. Das schwedische Mo- «Die Liberalisierung löst Arbeit ihr Geld, sie mache alles freiwillig. Die- dell finde ich einen durchaus interessan- ser Ist-Zustand stimmt. Doch dabei blenden ten Ansatz. Aber ich bin nicht an dem keine Probleme.» wir die Geschichte dieser Frau komplett aus. Punkt, an dem ich sagen kann, dass ich Etwa die Tatsache, dass sie eigentlich schon das schwedische Modell für die Schweiz als Kind für den späteren Beruf konditioniert ELISABETH KELLER als ideale Lösung betrachte. Gesell- wurde, weil sie vielleicht als Kind miss- schaftspolitisch ist das «mannebüro züri» tion: die organisierte Kriminalität und den braucht worden ist, aus einer dysfunktiona- gegen jede Form der Gewaltanwendung. Menschenhandel mit modernen Formen len Familien stammt etc.. Der zuständige Und: Alle Menschen sollen unabhängig von Sklaverei. Prostituierte werden immer Polizeikommissar für Menschenhandel in von ihrer Herkunft, Geschlechterorientie- schneller von Ort zu Ort verschoben, und Bukarest hat einmal ganz klar gesagt, dass rung oder ihrer Geschlechtlichkeit ent- immer öfter werden auch Kinder zu sexu- keine einzige Rumänin in der Schweiz frei- scheiden können, was sie machen wollen ellen Handlungen gezwungen. Die Legali- willig als Prostituierte angefangen hat. oder auch nicht machen wollen. sierung der Prostitution löst keines dieser Probleme. Die Beratungsstellen für Frauen Ferah Dost: Der Umgang mit Prostitution Irene Hirzel: Mit der Ratifizierung der Eu- und – was ich auch sehr wichtig finde – die ist ein komplexes Thema. Es gibt dafür kei- roparatskonvention 2013 zum Schutz von Arbeit mit Männern, wie es das «mannebü- ne Patentlösung. Für mich ist ein positiver Minderjährigen und sexueller Ausbeutung ro» macht, sind wichtig. Damit hat man Aspekt der Legalisierung, dass Regulation haben wir in der Schweiz das nordische aber noch nichts erreicht von dem, was wir im gewissen Masse möglich ist. Man kann Modell für Kinder und Jugendliche bis 18 alle gerne hätten: dass die Ausbeutung bestimmte Menschengruppen durch Geset- Jahre schon integriert. Freier werden nicht so gross ist und die Menschen nicht ze schützen. Auffallend ist, dass in der Öf- heute schon bestraft, wenn sie Sex mit so schutzlos sind. fentlichkeit und gerade auch in der Politik Minderjährigen haben. Der liberale An- nicht vermehrt über Prostitution diskutiert satz war früher für viele Länder der richti- Welche Einstellung haben die anderen Ex- wird. ge Weg, doch mit der Zeit krebsten immer pertinnen zum Thema Prostitution? mehr zurück. Aktuelles Beispiel ist Hol- Hirzel: Der Einstieg in die Prostitution ist nie Deutschland führte 2002 ein neues Pros- land, bekannt für seine liberale Haltung freiwillig. Das muss man einfach wissen. titutionsgesetz mit den liberalsten Rege- mit der berühmten Schaufensterprostitu- Was die freiwillige, selbstbestimmte Ideolo- lungen in Europa ein. Das Ziel war, die tion. Heute will Amsterdam mit dem Pro- gie macht, ist Folgendes: Sie nimmt den Ist- Rechte von Prostituierten zu stärken, 14 BULLETIN 1/2018
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