Jahrbuch 2020 | 2021 Umdenken und Umsteuern. Kirche und Gesellschaft im Klimawandel - Hanns-Lilje-Stiftung
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Editorial Wieder ein heißer Sommer. Die Dürre in Norddeutschland hinsichtlich des Klimawandels freigesetzt werden könnte. lässt 2019 den Klimawandel erneut spürbar werden. Die Doch das erfordert Einsicht in notwendige Veränderungen Waldschäden im Harz und Solling sind offensichtlich. und Umsicht mit Blick auf die unterschiedlich betroffenen Viele geförderte und eigene Projekte befassen sich mit Menschen. Auf diese Weise widmen wir uns im vorliegen- dem Klimawandel und den Folgen. Dadurch bewegt, set- den Jahrbuch dem Klimawandel, stellen Gelungenes vor zen wir uns im Herbst an die Vorbereitungen für das vor- und beschreiben anzugehende Herausforderungen. liegende Jahrbuch. Doch im Dezember 2019 bricht in der chinesischen Millionenstadt Wuhan die bis dahin unbe- Den Fokus legen wir auf die Landwirtschaft, auf Klimaflucht kannte Erkrankung Covid 19 aus. Sie entwickelt sich zur und Asyl sowie auf den Denkmalschutz. Dabei orientieren Pandemie. Frankreich, 15. Februar 2020: der erste Todes- wir uns an den drei Förderschwerpunkten der Hanns-Lilje- fall in Europa. Deutschland, 22. März: Bund und Länder Stiftung im Dialog mit Kirche und Theologie: einigen sich auf Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen. – die Bedeutung von Wissenschaft, Technik Karfreitag, Ostern: Fernsehgottesdienste und Online- und Wirtschaft für das Leben, Andachten ersetzen die Gottesdienste vor Ort. – die Zukunft von Politik und Gesellschaft, – die bildende Kraft von Kunst und Kultur. Dranbleiben am Klima-Thema? Was für eine Frage! Die Pandemie führt drastisch die Endlichkeit menschlichen In den Reportagen, Interviews und Berichten kommen Lebens vor Augen, darum geht es vielerorts auch beim Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Forschung, Politik Klimawandel. Ebenso ist beiden gemeinsam, dass unse- und Gesellschaft, Kunst, Kultur und Kirche zu Wort. Darüber re menschlichen Grenzen erfahrbar werden. Uns ist nicht hinaus lenken wir den Blick auf die Verleihung des Hanns- alles möglich. Und doch gilt es den Rahmen dessen auszu- Lilje-Stiftungspreises, die Förderung der Kulturkirchen, das loten und auszuschöpfen, was wir tun können. Umdenken Hanns-Lilje-Forum, den Landeswettbewerb Evangelische und umsteuern. Nicht die Hoffnung aufgeben, zuversicht- Religion sowie auf ausgewählte Projekte aus 2018 und 2019. lich und kreativ für eine lebensfähige Welt handeln. Die Bekämpfung der Pandemie lässt erahnen, welche Energie Gute Anregungen wünschen Ihnen Dr. Thomas F. W. Schodder Prof. Dr. Christoph Dahling-Sander Kuratoriumsvorsitzender Sekretär der Hanns-Lilje-Stiftung der Hanns-Lilje-Stiftung 1
Inhalt 1 Editorial 4 Hanns-Lilje-Stiftungspreis Die Zukunft von Politik und Gesellschaft 6 Kulturkirchen Die Tänzerin von Auschwitz 8 Hanns-Lilje-Forum In die Verlegenheit kommen, an Gott zu glauben? 10 Landeswettbewerb Evangelische Religion Wie stellst du dir deine Zukunft vor? Und die Welt von morgen? 12 Reportagen, Interviews, Porträts Landwirtschaft und Klimawandel Die Bedeutung von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft für das Leben 12 Wenn der Acker Gottes blüht 14 Klimaschutz versus Landwirtschaft? Flucht und Klimawandel Die Zukunft von Politik und Gesellschaft 20 Klimawandel, Klimaflüchtlinge, Gerechtigkeit 21 Vertreibung durch Klimawandel 23 Kein Asyl für Klimaflüchtlinge? 24 Bleiberecht für Klimaflüchtlinge illusorisch Denkmalschutz und Klimawandel Die bildende Kraft von Kunst und Kultur 26 Kann Kirche Klima? 30 Die Sparbüchse auf dem Kirchendach 31 Energiesparend: Neues Slaphus in Loccum 31 Schön modern: Winterkirche in Flegessen 32 Ausgewählte Projekte 2018 | 2019 36 Spenden, stiften und im Freundeskreis eigene Ideen einbringen 38 Die Bilanz – Hanns-Lilje-Stiftung in Zahlen 40 Das Kuratorium Die Geschäftsstelle | Impressum 3
Hanns-Lilje-Stiftungspreis Über 200 Gäste folgen anlässlich der Verleihung des Hanns-Lilje-Stiftungspreises Anfang Mai 2019 der Diskussion zwischen dem ARD-Journalisten Arnd Henze und Landesbischof Ralf Meister in der hannoverschen Marktkirche. Rechts: Die Preisträgerinnen Prof. Dr. Rebekka Klein und Prof. Dr. Claudia Jahnel (v.l.) Die Zukunft von Politik und Gesellschaft Verleihung des Hanns-Lilje-Stiftungspreises Freiheit und Verantwortung »Kann Kirche Demokratie?« fragt der Konstruktionen für das gesellschaftli- dichotomisierende Erfindung dar. Den ARD-Journalist Arnd Henze provokant che Zusammenleben zu hinterfragen? Abwertungen und politischen Instru- zum Auftakt der Preisverleihung. Der Und wo erliegen Theologie und Kirche mentalisierungen des »Anderen« bzw. engagierte Protestant wirft seiner selbst antidemokratischen Strömun- »Fremden«, die sie auf die Kolonial- eigenen Kirche vor, die innerkirchliche gen? Ausgezeichnet wurden in dem zeit zurückführt, entzieht sie mit ihren NS-Vergangenheit nur halbherzig auf- festlichen Rahmen die Theologin Prof. Analysen den Boden. Stattdessen gelte gearbeitet zu haben. Anhand aktueller Dr. Claudia Jahnel und die Theologin es, in postkolonialen Debatten, inter- Studien führt er vor Augen, wie anfällig Prof. Dr. Rebekka Klein. Beide lehren kulturelle Lern- und Arbeitsprozesse zu sie für rechtspopulistische und natio- an der Ruhr-Universität Bochum. fördern, wie sie überraschenderweise nalistische Positionen ist. Landes in afrikanischen Theologien bereits bischof Ralf Meister räumt Versäumnis- Die Jury und das Kuratorium der Stif- selbst angelegt seien. se ein, zeigt allerdings auch, dass die tung würdigen, dass beide neue Kirche seit Jahrzehnten eine klare und Debatten angestoßen haben, indem Rebekka Klein reagiert in ihrer Habi überzeugende Haltung zur Demokratie sie Theologie und andere Wissenschaf- litation auf gegenwärtige Bedrohun- habe. Doch im Gespräch mit Aktivistin- ten exzellent zueinander in Beziehung gen demokratischer Ordnungen west- nen der Fridays for Future-Bewegung setzen und so das Zusammenleben licher Prägung: In Gestalt rechtspo- zeigt sich, welches Potenzial gerade in einer pluralen Gesellschaft fördern. pulistischer und nationalistischer in der Zusammenarbeit von Kirche und Verliehen wird der mit 20.000 Euro Bewegungen werde eine neue starke zivilgesellschaftlichem Engagement dotierte Preis in der Kategorie Wissen- staatliche Souveränität gefordert und noch zu heben ist. schaft für herausragende Promotionen damit eine freiheitlich-demokratische und Habilitationen. Ordnung quasi von innen autoritär Die Zukunft von Politik und Gesell- ausgehöhlt – und das nicht selten schaft. Zu diesem Themenfeld war der Im Diskurs von philosophischen und theologisch flankiert. Ihr Fazit lautet, Hanns-Lilje-Stiftungspreis 2019 ausge- theologischen Entwürfen aus afrika- dass nicht das Ideal einer vollkom- schrieben. Wie lassen sich Vorurteile nischen und europäischen Kontexten menen Ideologiefreiheit das erklärte in der Wahrnehmung anderer Kulturen deckt Claudia Jahnel in ihrer Habilita- Ziel ideologiekritischer Studien religi- aufbrechen? Worin gründet sich ein tion auf, wie sich diese wechselseitig onsphilosophischer Arbeit sein könne. demokratisches Selbstverständnis, beeinflusst haben. So stellt sich nach Vielmehr gehe es darum, das Problem das von rechtspopulistischen und Jahnel das Konstrukt »der afrikani- der Ideologisierbarkeit wachzuhalten nationalistischen Bewegungen in Frage schen Kultur« als vermeintlicher Kon- und dieses ständig neu zu bearbeiten. gestellt wird? Welchen Beitrag bieten text »afrikanischer Theologie« als eine Theologie und Kirche, um ideologische zutiefst europäische Verbindung und 5
Kulturkirchen Die Geschichte von Roosje, der Tänzerin von Auschwitz, in der Osnabrücker St. Katharinenkirche; professionell inszeniert und mit der Gegenwart verknüpft. Die Tänzerin von Auschwitz Kirchliche Kulturarbeit in Osnabrück entfaltet tiefe Wirkung in der Gesellschaft Am Anfang war die Idee von Pastor »Mit der Ausstellung und dem Begleit- kraftvoll und ermutigend für Erwach- Otto Weymann, die niederländische programm wollen wir uns auch der sene wie für Jugendliche in die Gesell- Ausstellung »Die Tänzerin von Ausch- Frage stellen, wie wir als ›Zweitzeu- schaft hineinwirkt. witz« in der Osnabrücker St. Kathari- gen‹ gegensteuern, wenn Antisemi- nenkirche erstmals in Deutschland tismus und Nationalismus in unserer Die Experten-Jury und das Kuratorium zu präsentieren. In Zusammenarbeit Gesellschaft wieder erschreckende der Hanns-Lilje-Stiftung beschlossen, mit der Hanns-Lilje-Stiftung wurde Ausmaße annehmen«, erläutert Pas- dieses herausragende Projekt kirch- daraus 2019 ein Großprojekt, das tor Otto Weymann. Darüber hinaus sei licher Kulturarbeit zu fördern. Der schließlich als Kulturkirche gefördert die Geschichte der Tänzerin Roosje »Fonds Kulturarbeit in Kirchen – Kul- wurde und mehr als 10.000 Men- ein Musterbeispiel dafür, wie man in turkirchen« unter dem Dach der Hanns- schen weit über Osnabrück hinaus in scheinbar ausweglosen Situationen Lilje-Stiftung dient dem strukturellen Bann gezogen hat. Kraftquellen für den Lebenswillen Ausbau der Kulturarbeit in Kirchen und mobilisieren kann. »Darin ist die Bio- dem Aufbau signifikanter Kulturkirchen. »Die Tänzerin von Ausschwitz«, das ist grafie dieser besonderen Frau auch für Insgesamt wurden seit 2013 fast 100 die Geschichte einer unbeugsamen uns hochaktuell,« so Weymann. Einzelprojekte kirchlicher Kulturarbeit Frau, die im Vernichtungslager Ausch- unterstützt. Als Leuchttürme wurden witz um ihr Leben tanzte. Beim Besuch In Zusammenarbeit mit dem Neffen seitdem fünf signifikante Kulturkirchen des Lagers stößt der Niederländer Paul der Tänzerin, Paul Glaser, der Osna- ausgezeichnet und substantiell, mehr- Glaser 2002 auf einen Koffer mit sei- brücker Literaturszene, professionel- jährig gefördert. nem Familiennamen. Damit beginnt len Tänzerinnen und Tänzern aus der »die Entdeckung der verdrängten jüdi- Tango-Szene sowie aus Tanzschulen, Inzwischen belegen zahlreiche Analy- schen Wurzeln seiner Familie und der dem Osnabrücker Felix-Nussbaum- sen die Ausstrahlung der geförderten unglaublichen Überlebensgeschichte Museum und der Jüdischen Gemeinde Projekte in unterschiedliche Milieus seiner Tante Roosje, einer tempera- Osnabrück sowie zahlreichen Schulen hinein und die wirkungsvolle Rück- mentvollen und emanzipierten Tanz- entstand ein umfangreiches Programm, bindung an christliche Deutungen bei lehrerin aus Amsterdam, die ihren das die Geschichte von Roosje leben- existentiellen und gesellschaftlichen Lebensmut gegen den nationalsozia- dig werden ließ. Themen. Nachzulesen sind sie u. a. listischen Terror verteidigt«, wie er sagt. in der 2019 im Kohlhammer-Verlag Sie leitete eine Tanzschule, bis sie von Darüber hinaus fragten Lesungen, erschienenen Publikation »Kultur- ihrem Mann verraten wurde, untertau- Vorträge, Diskussionen und Radio- kirchen«. Wie in der Osnabrücker chen musste und schließlich inhaf- Features nach der Relevanz für heute. St. Katharinenkirche zeigt sich, dass tiert und nach Auschwitz deportiert Woher bekommen wir Kraft, um uns Kulturkirchen einerseits als Kirche zu wurde. »Mich kriegen sie nicht klein«, etwa für Flüchtlinge zu engagieren und einem geistlichen Laboratorium und sagte sie sich im Lager – und überleb- um uns gegen Hass, Ausgrenzung und andererseits für die Künstler/innen zu te Auschwitz. Aus ihren Tagebüchern Verleumdung zu wehren? Damit gelang einem künstlerischen Laboratorium und Briefen hat Glaser ihre Biografie es, Roosjes Biografie und dem dun- im Kirchenraum werden. In den Kultur- zusammengefügt. Entstanden ist ein kelsten Kapitel deutscher Geschichte kirchen treffen somit das Wagnis des authentischer und emotionaler Überle- zu gedenken und dies zugleich mit Glaubens und das Wagnis zeitgenös- bensbericht, formuliert von einem, der zeitgenössischer Kunst und Tanzper- sischer Kunst aufeinander. so zum »Zweitzeugen« geworden ist. formances so zu aktualisieren, dass es 7
Hanns-Lilje-Forum Robert Seethaler zu Gast beim Hanns-Lilje-Forum im Mai 2019 in der voll besetzten Neustädter Hof- und Stadtkirche in Hannover. In die Verlegenheit kommen, an Gott zu glauben? Hanns-Lilje-Forum mit Robert Seethaler »Keine langen Vorgespräche, nein, das könnten, wovon würden sie erzählen? Das zweite Hanns-Lilje-Forum fand im mag ich nicht,« sagt er in der Sakristei Darum geht es in Seethalers Roman Kloster Mariensee bei Neustadt statt. vor Beginn der Abendveranstaltung, »Das Feld« – und um die letzten Dinge: Schon die Ortswahl zeugt davon, Frei- trinkt einen Schluck Wasser, zieht sein um das, was sich nicht fassen lässt. räume auch in architektonischer und Manuskript aus der Jackentasche und Der Roman erzählt von unterschied- geistlicher Hinsicht zu entdecken. Zu geht in das Kirchenschiff der Neustäd- lichen Menschenleben, die sich im Gast war der Wissenschaftsjournalist ter Hof- und Stadtkirche. Robert See Verlauf zu einem Ganzen zusammen- Ulrich Schnabel von der ZEIT. Er trug thaler ist zu Gast beim Hanns-Lilje- fügen. Holzschnittartig führt er mit aus seinem Buch »Zuversicht« vor. Im Forum 2019 in Hannover und präsen- kargen Worten in die Abschnitte seiner Gespräch mit dem Sekretär der Hanns- tiert sein Buch »Das Feld«. Seine Lesung ein. Er trägt vor, wie er schreibt. Lilje-Stiftung, Dr. Christoph Dahling- Romane »Der Trafikant« und »Ein gan- Gefühlvoll und doch unsentimental, Sander, warb er für schöpferische Pau- zes Leben« wurden bereits interna mal still, mal scharf, mal mit subtilem sen und dafür, dem Zwang zur perma- tionale Erfolge. Humor lässt Seethaler die Personen nenten Kommunikation zu entkommen. lebendig werden. Doch dann lässt er sich auf ein Landesbischof Ralf Meister und der Gespräch vor den rund 300 Gästen »Er war nie in die Verlegenheit gekom- katholische Bischof Heiner Wilmer ein und erzählt, wie er ins Schreiben men, an Gott zu glauben, und der forcierten zum Abschluss der Reihe kommt, was ihn inspiriert und was Tod macht ihm keine Angst«, schrieb in der hannoverschen Kreuzkirche die ihn ablenkt. Dr. Stephanie Springer, Seethaler in seinem vorhergehenden Bedeutung des Sonntags als heilsa- Präsidentin des Landeskirchenamtes, Roman »Ein ganzes Leben« über sei- men und zweckfreien Ruheraum der entlockt ihm einiges, was sonst nicht nen dortigen Protagonisten Andreas Woche. Unter dem heutigen Ansturm zu lesen ist. Etwa, dass einzelne Kir- Egger. An diesem Abend führt Seetha- von Reizen, Daten und Nachrichten chen für ihn besonderere Orte seien, ler mit seiner Lesung aus »Das Feld« seien freie Zeit und Stille innere Schlüs- nicht nur für Lesungen. Dabei weist er diesen Gedanken weiter und zieht die sel zur körperlichen Balance. auf das große, ganz in grün gehaltene Hörerinnen und Hörer in seinen Bann. Kreuzesbild an der Altarwand von Jac- Seit 1992 veranstaltet die Hanns- ques Gassmann hin. So etwas ziehe »Freiräume« ist das Hanns-Lilje-Forum Lilje-Stiftung gemeinsam mit der ihn in den Bann. Dies sagt er, ohne zu 2019 überschrieben. Wo gibt es in hannoverschen Landeskirche das wissen, dass sich Gassmann extra zu unserem Alltag »Zeit für Freiräume«? Hanns-Lilje-Forum. Mit wechselnden diesem Hanns-Lilje-Forum aus Berlin Wo ist der Raum, sich auf Wesentliches Formaten werden in dieser Vortrags- aufgemacht hat und sich zum Schluss zu besinnen, Lebens- und Tagesrhyth- und Debattenreihe Veränderungen von Seethaler ein Buch signieren lässt. men zu unterbrechen und Neues zu und Herausforderungen unserer wagen? Was kann das für uns persön- Gesellschaft diskutiert. Auch Friedhöfe berühren ihn, berich- lich und für unsere Gesellschaft bedeu- tet Seethaler etwas hölzern. Wenn ten? Darauf gibt Seethaler mit seiner die Toten auf ihr Leben zurückblicken Lesung berührende Antworten. 9
Landeswettbewerb Evangelische Religion Umwelt- und Klimaschutz ist für junge Menschen unter den Top-3-Themen, so die Studie des Umweltbundes amtes vom Januar 2020. Umwelt- und Klimaschutz ist für die Befragten eines der wichtigsten gesellschaftlichen Probleme: Für 45 Prozent ist es sehr wichtig und für weitere 33 Prozent eher wichtig. Als ähnlich wichtige Probleme rangieren der Zustand des Bildungswesens und Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Wie stellst du dir deine Zukunft vor? Und die Welt von morgen? 10. Landeswettbewerb Evangelische Religion Junge Talente entdecken, ihnen span- sondern auch ein genuin biblisch- Der Wettbewerb Evangelische Religi- nende Forschungsmöglichkeiten bie- theologisches. Christliche Vorstel- on ist fest in der niedersächsischen ten und damit das Fach Evangelische lungen von Zukunft gehen von der Schullandschaft etabliert und in der Religion attraktiv gestalten, darauf zielt Hoffnung auf das Reich Gottes aus Konföderation der Evangelischen Kir- der Landeswettbewerb Evangelische – einem Ort und einer Zeit, in der die chen in Niedersachsen verankert. Indi- Religion seit dem Schuljahr 2000/2001, Beziehungen von Gott und Mensch viduelle Wettbewerbsbeiträge können als er durch die Hanns-Lilje-Stiftung sowie Mensch und Mensch wieder heil seit einigen Jahren als »Besondere initiiert wurde. und unmittelbar sein sollen. Zugleich Lernleistung« in das Abitur einge- formuliert christliches Zukunftsden- bracht werden. Das Religionspädago- Die Ausschreibung für das Schuljahr ken die individuelle Hoffnung auf gische Institut Loccum organisiert die 2019/2020 steht unter dem Thema Auferstehung und das ewige Leben. Durchführung in Zusammenarbeit mit »Zukunft«. Stellt man Schülerinnen Doch verbleibt diese Hoffnung nicht der Hanns-Lilje-Stiftung, einschließ- und Schülern der Jahrgänge 10-13 die beim jenseitigen, zukünftigen Blick, lich themenbezogener Fortbildungen Frage nach der Zukunft, haben ihre sondern richtet sich gleichzeitig auf für die Lehrkräfte. Eine Fachjury wählt Antworten vielleicht zunächst einen das Hier und Jetzt, auf die Zukunft der aus den Portfolios der bis zu 500 betei- persönlichen Charakter und spiegeln Erde und der Schöpfung. Damit hat ligten Schülerinnen und Schüler die individuelle Hoffnungen und Visio- das Fragen nach Zukunft eine klare Preisträger aus. Der Wettbewerb findet nen wie auch Zukunftsängste wider. ethische Implikation. alle zwei Jahre zu einem theologisch, Gleichermaßen zeigen sie in der wei- pädagogisch und gesellschaftlich rele- teren Auseinandersetzung ein deutli- Es wird spannend, wie sich Jugendliche vanten Thema statt. »Rituale«, »Erin- ches Bewusstsein der ökologischen in ihren Portfolios damit auseinander- nerung«, »Geheiligte Räume«, »Anfang Gefährdung von Welt und Mensch setzen, sei es als Einzelperson oder und Ende des Lebens« sind nur einige sowie menschlicher Gemeinschaft und als Gruppe. Zum Portfolio gehören Beispiele. Inzwischen ist neben der Solidarität. Diese Aspekte werden bei- unterschiedliche Dokumente eigener Hanns-Lilje-Stiftung auch die Heinrich- spielhaft virulent angesichts von Kli- Wahl. Das können zum Beispiel Videos, Dammann-Stiftung als zweiter Förderer maveränderung, Armut und Unrecht in Interviews, Essays, Fotodokumentatio- dabei. Anlässlich des Jubiläums hat der Verteilung dessen, was diese Erde nen sein. In jedem Fall werden Selbst- Kultusminister Grant Hendrik Tonne zu bieten hat, Flucht und Vertreibung, ständigkeit und Kreativität, Kommu- die Schirmherrschaft des laufenden Terrorbedrohung, Naturkatastrophen nikations- und Kooperationsfähigkeit Wettbewerbs übernommen. Doch auf- nicht zuletzt auch angesichts der vorausgesetzt, und natürlich wissen- grund der Corona-Pandemie musste Corona-Pandemie. schaftliches Arbeiten, interdiszipli die Preisverleihung verschoben wer- näres Lernen und vor allem Neugierde den – auf die nahe Zukunft. »Zukunft« ist nicht nur ein Thema, das am selbst gewählten Gegenstand zum Jugendliche ganz persönlich angeht, Themenfeld »Zukunft«. 11
Landwirtschaft und Klimawandel Die Bedeutung von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft für das Leben Wenn der Acker Gottes blüht Die Kirchengemeinde von Pastor Dr. Wolfgang Runge in Berkenthin (Schleswig-Holstein) macht vor, wie mehr Naturschutz auf dem Kirchenacker gelingen kann. Sie hat mit konventionell wirtschaftenden Landwirten neue Pachtverträge für ihr Land ausgehandelt. Darin enthalten sind – als Auflage – gemeinsame ökologische Projekte. Ein Landwirt hat zwischen seinen Getreidefeldern einen mehrere Meter breiten Blühstreifen angelegt. Dort wächst jetzt eine mehrjährige Blühmischung aus regionalen Blumen und Sträuchern, die Insekten Nahrung bietet. Initiator des Projekts ist der langjährige Pastor der Gemeinde Berkenthin, Dr. Wolfgang Runge. Mit der Anlage dauerhafter, ungedüngter, blütenbunter Säume auf Acker- und Grünland flächen will die Gemeinde etwas für die Erhaltung der Artenvielfalt tun. Kirchengemeinden in Deutschland haben als Verpächter von landwirtschaftlichen Flächen viele Möglichkeiten, etwas für den Klimaschutz zu tun. Allein 35.000 Hektar Acker- und Grünland sind im Besitz von Kirchengemeinden der hannoverschen Landeskirche. Während die Gemeinden der Evangelisch-lutherischen Nordkirche, der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau oder in Westfalen relativ frei sind, die landeskirchlichen Musterpachtverträge zu ergänzen und weitere ökologische Auflagen hineinzuschreiben, ist das in der Landeskirche Hannovers derzeit nicht möglich. Ausgeschlossen wird dort standard- mäßig die Ausbringung von Klär- oder Fäkalschlamm, der Umbruch von Grünland sowie der Anbau genveränderter Pflanzen. 13
Landwirtschaft und Klimawandel Die Bedeutung von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft für das Leben Anne-Dörthe Neumann, Vorstand im 68.000 Mitglieder starken Landfrauen-Verband in Niedersachsen. Sie bewirtschaftet mit ihrem Mann und ihrer Tochter einen Milchviehbetrieb in der Nähe von Stade. Klimaschutz versus Landwirtschaft? Eine Landwirtin, ein Umweltschützer und ein Bischof im Gespräch über mehr Klimaschutz, weniger Fleischkonsum und eine enkeltaugliche Landwirtschaft Frau Neumann, Sie sind im Vorstand Und der Klimaschutz? der Landwirtschaft, sondern insgesamt der Landfrauen in Niedersachsen und Neumann: Für mich ist immer klar in allen gesellschaftlichen Bereichen betreiben mit Ihrem Mann und Ihrer gewesen, dass alle in der Gesellschaft zu wenig getan wird, damit unser Klima Tochter eine Milchviehwirtschaft mit am Klimaschutz arbeiten müssen. für die nächsten Generationen noch 175 Kühen. Die Europäische Union hat Laut Landwirtschaftsministerium trägt erträglich sein wird. Wir müssen die ein Programm vorgestellt, mit dem die die Landwirtschaft zu 7,4 Prozent an Schäden schnell begrenzen und das Landwirtschaft grüner werden soll. Der den klimaschädlichen Treibhausgas- Artensterben stoppen. Die Emissionen Deutsche Bauernverband spricht von emissionen in Deutschland bei. Viele müssen wir möglichst schnell in Rich- einem Generalangriff auf die Landwirte Landwirte erzeugen selbst Strom mit tung Netto-Null bringen und klimaneu- in Europa. Fühlen Sie sich angegriffen? Photovoltaik-Anlagen. Wir bewirtschaf- tral werden. Die Zeit drängt. Anne-Dörthe Neumann: Ich kann natür- ten Wald und forsten auf. Außerdem lich nicht für »die« Landwirte in Euro- pflegen wir seit jeher die Landschaft. Herr Meister, verstehen Sie die pa oder Deutschland sprechen. Aus Und allzu oft wird vergessen, dass wir Ungeduld von Herrn Held einerseits eigener Erfahrung weiß ich, dass viele als Landwirte selbst vom Klimawandel und die Sorgen von Frau Neumann Landwirte schon heute – ohne diese betroffen sind, und das mit Ernteaus- andererseits? geplanten neuen Regeln – Probleme fällen sofort merken. Auch wir haben Ralf Meister: Ich habe große Sympathi- haben. Als Milchviehhalter haben wir ein Interesse am Klimaschutz. en für alle, die im Rahmen von Fridays bereits schwer an dem aktuell niedri- for Future für ihre Anliegen auf die Stra- gen Milchpreis zu tragen. Aufgrund der Herr Held, Sie engagieren sich bei der ße gehen. Als Kirche haben wir schöp- neuen Düngemittelverordnung steigen BUND-Jugend und haben zusammen fungstheologisch die Verantwortung für unsere Betriebskosten weiter. Wegen mit Fridays for Future im Frühjahr 2019 die Erde, die Gott gehört. Dieser Ver- strengerer Umweltauflagen wird es bei einer Veranstaltung der Hanns- antwortung müssen wir Gestalt geben zudem Ernteeinbußen geben. Dazu Lilje-Stiftung in der Marktkirche einen und danach handeln. Insofern benö- kommt der gestiegene bürokratische Forderungskatalog an die Landes tigen wir eine konstruktive Ungeduld, Aufwand, weil wir mehr dokumentieren kirche überreicht, was treibt Sie um? um den Herausforderungen zu begeg- müssen und mehr kontrolliert wird. Ich Lukas Held: Für meine Generation wird nen. Wenn wir uns auf unseren Erfol- würde mich nicht beschweren, wenn die gegenwärtige Wirtschaftsweise gen, die es zweifellos in Deutschland wir für die Milch, die wir produzieren, zu einem Existenzproblem. Wir müs- gibt, ausruhen und nichts tun, wird anständig bezahlt würden. Aber das ist sen Angst vor unserer Zukunft haben. es bald keine Welt mehr geben, in der derzeit nicht der Fall. Daher ärgert es mich, dass nicht nur in Menschen leben können. Gleichzeitig 15
Ralf Meister, Landesbischof der Evangelisch- lutherischen Landeskirche Hannovers. Er ist Mitglied der Kammer für nachhaltige Entwick- lung der Evangelischen Kirche in Deutschland. erlebe ich eine große Enttäuschung müssen jeden Tag gefüttert und gemol- Inwiefern? auf Seiten der Landwirtschaft. Viele ken werden. Sie müssen tierärztlich Held: Auf einer Treckerdemo habe Landwirte protestieren, weil sie Exis- versorgt, ihre Klauen gepflegt werden. ich den Spruch gehört: Da wollen mir tenzängste haben. Aus Gesprächen mit Das machen wir jeden Tag – auch sonn- Nicht-Landwirte vorschreiben, was ich Landwirtinnen und -wirten weiß ich, und feiertags. als Landwirt zu tun habe. Natürlich ist dass sie keinen Strukturwandel, son- die Landwirtschaft ein emissionsin- dern einen regelrechten Strukturbruch Sind die Ansprüche der Gesellschaft tensiver Wirtschaftszweig. Wenn man erleben. Vielen kleinen und mittleren an die Landwirtschaft zu hoch? Umwelt da jedoch tiefer hineingeht, muss man Höfen droht in einem überschaubaren schonen, günstige Milch produzieren, sich dennoch fragen: Warum wirtschaf- Zeitraum das Aus. Und das macht mir auf das Tierwohl achten und für eine tet ein Landwirt oder eine Landwirtin so große Sorgen. Denn in Niedersachsen schöne Landschaft sorgen? wie er oder sie wirtschaftet? Mit diesen handelt es sich um viele Hundert, ja um Neumann: Oft wird so getan als täten Fragen müssen wir uns beschäftigen. Tausende Höfe. wir das nicht oder hätten es nicht getan. Das machen wir Landwirte ja Meister: Als Gesellschaft stellen wir Frau Neumann, haben Sie Zukunfts schon seit jeher. Und wir machen es einseitig Forderungen an eine über angst? gerne. Wenn wir zusätzlich all diese Jahrhunderte unsere Kultur prägende Neumann: Ja. Sehen Sie: In der Land- neuen Forderungen erfüllen und wei- und Ernährung sichernde Landwirt- wirtschaft leben häufig mehrere Gene- terhin unsere Leistung für die gesamte schaft. Dabei ist es eine Verantwor- rationen von einem Hof. Das sind zwei, Gesellschaft erbringen sollen, können tung, die jeden betrifft. Wir können manchmal drei Generationen. Bei wir das nicht zum Nulltarif tun. aber nicht über »die« Landwirtschaft einem Milchpreis von derzeit 27 Cent sprechen oder sagen »die« Landwir- und womöglich bald 25 Cent pro Liter Herr Held, haben die Umweltverbände te sollten dies oder das. Wir alle sind wird das für uns eng. Je weniger wir vor lauter Klimaschutz die Landwirte verantwortlich für die Nahrungsmittel, erlösen, umso enger müssen wir die vergessen? ihre Herstellung und ihren Preis. Wenn Schrauben bei uns anziehen. Am Tier Held: Vielleicht haben wir sie nicht ver- wir etwas verändern wollen, beginnt spart man nicht. Zumindest nicht bei gessen, aber viel zu oft haben wir es es nicht mit Forderungen, sondern mit den Bauern, die ich kenne. Milchkühe uns zu einfach gemacht. eigenem Handeln. 16
Landwirtschaft und Klimawandel Die Bedeutung von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft für das Leben Lukas Held, Landesvorstand des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), BUND- Jugend Niedersachsen. Der Klimaschützer überreichte zusammen mit Fridays for Future bei der Veranstaltung der Hanns-Lilje-Stiftung, »Kann Kirche Demokratie?«, einen Forderungs- katalog an die Landeskirche. Neumann: Was mich oft stört ist, dass Gleichzeitig ist der Fleischkonsum stark Deutschland teurer wird – die Ver- die Menschen mehr Umweltschutz gestiegen. Abgesehen von den billigen braucher zu günstigerem Fleisch aus oder mehr Tierwohl einfordern, an Lebensmitteln ist – aus Klimaschutz- Südamerika greifen. Die EU hat bereits der Ladentheke dennoch die billigen gründen – die Fleischproduktion ein ein Freihandelsabkommen mit den Lebensmittel auswählen, die keinen riesiges Problem aufgrund der Futter- Mercosur-Staaten in Lateinamerika hohen Standard haben. Klar, einige mittelproduktion im Amazonasgebiet, ausgehandelt, das uns den Autoex- kaufen Bio. Aber das Gros nimmt lieber wo Regenwald für Soja gerodet wird. port erleichtert und gleichzeitig den das günstigste Fleisch. Das ist für mich Meister: In der Tat. Wenn man sich den Import von Fleisch aus Brasilien oder ein Widerspruch. Fleischkonsum der Weltbevölkerung Argentinien vereinfacht. Das wollen wir anschaut und die Steigerung der ver- Landwirte nicht. Sind unsere Nahrungsmittel zu billig? gangenen Jahrzehnte, getrieben durch Held: Auf jeden Fall. Frau Neumann das Bevölkerungswachstum und den Meister: Das verstehe ich vollkom- hat das ja anhand der Milch anschau- steigenden Wohlstand, ist klar, dass men, Frau Neumann. Der Markt wird es lich beschrieben. Nahrungsmittel sind sich etwas ändern muss. Würde es nicht richten. Davon bin ich überzeugt. einfach zu billig. Sie sollten einfach genauso weitergehen, würde der Der Markt berücksichtigt weder die einen höheren Stellenwert genießen. Niedergang der Schöpfungsvielfalt in Umweltschäden der Fleischproduktion Wir brauchen ein anderes Bewusst- einer Geschwindigkeit erfolgen, die noch das Tierwohl. Seit 20 Jahren reden sein in der Gesellschaft für Lebens- auch das Überleben des Menschen wir darüber, dass Lebensmittel teurer mittel und mehr Wertschätzung für gefährden wird. Wir brauchen schnell werden sollten: damit Ihrer Arbeit, Frau die Landwirtschaft. einen Veränderungsprozess. Die Frage Neumann, und den Tieren, die uns als ist nur: Wie gestalten wir gemeinsam Nahrungsmittel dienen, wirkliche Ach- Neumann: Früher, in den 1960er diesen Prozess? tung entgegengebracht wird. Aber: Der Jahren, mussten die Menschen in Markt reguliert das nicht. Deutschland noch ein Drittel ihres Reichen Appelle und freiwilliges Han- Einkommens für Nahrungsmittel aus- deln? Was schlagen Sie vor, Herr Meister? gegeben. Heute sind es nur noch rund Neumann: Viele Landwirte haben Meister: In dieser Corona-Zeit erleben zehn Prozent. Angst, dass – wenn das Fleisch in wir beides: Die Notwendigkeit staat- 17
licher Interventionen und die hohe Gemeinsam einigten sie sich auf ein meiner enkeltauglichen Landwirtschaft Eigenverantwortung von uns Bürgerin- Eckpunktepapier, wonach Landwir- gäbe es viele kleine Landwirtschaftsbe- nen und Bürgern. Für eine Neuorientie- te, die Natur-, Arten- und Gewässer- triebe, die Kreislaufwirtschaft betrei- rung der Landwirtschaft benötigen wir schutz leisten, künftig dauerhaft ent- ben, in der Ackerbau und Viehzucht beides: Klare Vorgaben, Leitlinien und lohnt werden sollen. Sie bekommen nebeneinander stattfinden. Das Höfe- Verantwortungsbewusstsein bei uns beispielsweise einen Ausgleich, wenn sterben wäre gestoppt, Familienbe- Verbraucherinnen und Verbrauchern. sie aufgrund des Gewässerschutzes triebe könnten weiter existieren. Kein Wir benötigen Regeln, die das Tierwohl wirtschaftliche Nachteile erleiden. Landwirt stünde mehr vor der schwie- schützen, den Naturerhalt berücksich- Ist das prinzipiell ein Weg: Der Staat rigen Entscheidung, seinen Betrieb tigen und die Arbeitsleistung der Land- subventioniert den Wandel? massiv zu vergrößern, zulasten der wirtschaft honorieren. Manche Regeln Umwelt und des Tierwohls, um ökono- werden den Landwirten nicht gefallen, Meister: Was mich zunächst sehr freut, misch weiter wirtschaften zu können. andere nicht den Verbrauchern. Wenn ist, dass wir trotz massiver Proteste auf Voraussetzung wäre, dass wir uns alle sich etwas ändern soll, brauchen wir beiden Seiten – von Umweltverbänden anders und kreativer ernähren, weniger neue Regeln – und die Bereitschaft aller wie von Landwirten – den Gesprächs- Lebensmittel verschwenden, viel weni- Beteiligten, diesen Weg mitzugehen. faden in Niedersachsen nicht haben ger oder gar kein Fleisch essen. abreißen lassen. Wenn ich die Situ- Held: Ich finde gut, dass wir uns in der ation in der Landwirtschaft mit dem Neumann: Ich greife mal Ihren Vor- Runde einig sind, dass der Fleischkon- Ausstieg aus der Kohle vergleiche, wo schlag des kleinbäuerlichen Famili- sum global und vor allem in Deutsch- wir den Strukturwandel oder Struk- enbetriebs auf, Herr Held. Für meine land viel zu hoch ist. Wir benötigen turbruch über zehn, fünfzehn Jahre in Enkel würde ich mir wünschen, dass mehr Wertschätzung für tierische Pro- den betroffenen Regionen mit milliar- sie Angestellte und dadurch mehr dukte. Ob das jetzt die Politik machen denschweren Subventionen puffern Freiräume haben. Dass sie mehr als sollte oder wir als Verbraucher, das werden, frage ich mich, warum wir das vier oder sieben Tage Urlaub machen weiß ich nicht. Der Staat könnte ver- nicht bei der Landwirtschaft gleichfalls können im Jahr – und so am gesell- stärkt Anreize schaffen, dass sich tun sollten. Immerhin geht es hier nicht schaftlichen Leben teilhaben kön- künftig mehr Menschen vegetarisch allein um viele Tausende Höfe in Nie- nen. Das setzt jedoch eine gewisse oder vegan ernähren. Damit es schnel- dersachsen, sondern um unsere Natur, Betriebsgröße voraus, ohne die dies ler zu einer drastischen Reduktion des um unser aller Ernährung. und auch zukünftige Investitionen Fleischkonsums kommt und wir zu ein- nicht möglich wären. mal Fleisch pro Woche, dem Sonntags- Neumann: Ich hoffe sehr, dass es dabei braten, zurückkehren. bleibt und wir nicht immer gegeneinan- Meister: Meine große Hoffnung ist, der arbeiten, sondern miteinander. Als dass wir die Trennung zwischen der Was denken Sie, Frau Neumann? Landfrauenverband begrüßen wir den Landwirtschaft da und den Verbrauche- Neumann: In der Familie haben wir »Niedersächsischen Weg«. Wie die Kir- rinnen und Verbrauchern hier, die sich schon mal über einen Mindestlohn für che, sehen wir uns da als Mittlerinnen in den vergangenen Jahrzehnten ent- unsere Arbeit bzw. einen Mindestpreis zwischen den Fronten. Und das funkti- wickelt hat, wieder auflösen. Das setzt für Milch nachgedacht. Das ist jedoch oniert gerade ganz gut. voraus, dass wieder stärker regionale etwas, was wir eher in weiter Ferne Kreisläufe etabliert werden. Als Kirche sehen. Wenn wir mehr Umweltaufla- Held: Als BUND-Jugend werden wir auf können wir helfen, den Gesprächs- gen bekommen oder noch mehr für jeden Fall Werbung für diese Vereinba- faden nicht abreißen zu lassen. Für das Tierwohl sorgen sollen, erwarte ich, rung machen. Und wir werden genau meine Enkel wünsche ich mir, dass sie dass uns die Gesellschaft dafür etwas darauf achten, dass die Vereinbarun- an der Landwirtschaft lernen können, zurückgibt. Zumindest aber, dass wir gen, zu denen sich die Teilnehmer ver- wie ein verantwortungsvoller Umgang die Mehrausgaben oder die wirtschaft- pflichtet haben, zu allgemeingültigen mit der Natur aussieht, der zugleich lichen Nachteile, die wir dadurch Gesetzen werden. In Zukunft gemein- wirtschaftlich ertragreich ist, um Fami- haben, ausgleichen können. Sonst sam nach Lösungen zu suchen, das lienunternehmen in die Urenkelgene wird das für uns zu einer Existenzfrage. wäre auch unser Wunsch. ration zu führen. In Niedersachsen entstand auf Druck Wie sieht für Sie eine zukunftsfähige, eines angekündigten Volksbegeh- enkeltaugliche Landwirtschaft aus? rens für mehr Artenschutz ein runder Held: Eine zukunftsfähige Landwirt- Tisch mit Umweltminister, Landwirt- schaft sorgt für unsere Lebensgrundla- schaftsministerin, Vertretern des Nie ge. Sie produziert unsere Nahrungsmit- dersächsischen Landvolks und der tel und zwar mit der Verantwortung, die Umweltverbände NABU und BUND. Erde zu bebauen und zu bewahren. In 18
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Klimawandel, Klimaflüchtlinge, Gerechtigkeit Steigende Meeresspiegel, Dürren und Überschwemmungen lassen viele Menschen ihre Heimat verlassen. Um Klimaflucht vor- zubeugen, müsse massiv in die Entwicklung Afrikas und anderer Länder des globalen Südens investiert werden. Das forderte Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Franz Josef Radermacher bei einer Podiumsdiskussion der Hanns-Lilje-Stiftung und ihres Freundeskreises vor über 200 Gästen in Hannover. Radermacher streitet für eine gerechtere Weltordnung. Er ist Mitglied des renommierten Club of Rome und leitet das Forschungsinstitut für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung in Ulm. Durch systematische Aufforstung, Urbarmachung von Wüsten und Installation von Photovoltaikanlagen in Entwicklungsländern, so Radermacher, ließe sich Klimaschutz mit Wohlstandsvermehrung verknüpfen.
Flucht und Klimawandel Die Zukunft von Politik und Gesellschaft Vertreibung durch Klimawandel Obwohl in Afrika bereits 20 Millionen Menschen aufgrund des Klimawandels ihre Heimat verloren haben, ist der Begriff »Klimaflüchtling« umstritten Obwohl bereits 20 Millionen Menschen stellte jedoch fest, dass die Klimafra- in Deutschland und arbeitet für die allein in Afrika aufgrund des Klimawan- gen im Asylrecht grundsätzlich sehr Umweltschutzorganisation Green- dels ihre Heimat verloren haben, ist der wohl eine Rolle spielen könnten. Das peace. Dreiviertel der Afghanen hätten Begriff Klimaflüchtling in Politik und Menschenrechtsbüro der Vereinten wie er und seine Familie flüchten müs- Wissenschaft umstritten. Nationen bezeichnete die Entschei- sen, weil wegen Dürren und Trocken- dung als »historisch«. heit keine Landwirtschaft mehr mög- Menschen flüchten, weil in ihrer Hei- lich war oder Stürme und Überschwem- mat Krieg herrscht. Oder sie gehen Die Bundesregierung folgt dieser Emp- mungen ihren Lebensraum zerstört weg, weil sie aus politischen Gründen fehlung aber nicht. Wer wegen der Fol- hatten, erzählt Durrani. Klimawandel verfolgt werden, Hunger leiden oder gen des Klimawandels seine Heimat sei zwar nicht die einzige Fluchtursa- für sich selbst und ihre Familie schlicht verlässt, kann nach ihrer Auffassung che. »Aber er wirkt als Multiplikator in keine Perspektive mehr sehen. Immer weder Asyl noch Flüchtlingsschutz Regionen, in denen das Leben wegen häufiger flüchten Menschen aber auch einfordern. Zwischen Klimawandel, Krieg, Terror und Armut ohnehin schon wegen der Folgen von anhaltender Migration und Flucht bestehe zwar ein schwierig geworden ist.« Dürre, häufigen Überflutungen oder Zusammenhang, sagte ein Sprecher gewaltigen Stürmen. Diese Ereignis- des Innenministeriums. Dieser sei aber Dass Umweltkatastrophen, bedingt se haben in einigen Teilen der Welt in nur unzureichend untersucht. Und wei- durch den Klimawandel, mehr gewor- den vergangenen Jahren massiv zuge- ter: »Die meisten Studien deuten dar- den sind – das bestreitet die Bundesre- nommen. Grund für diese Zunahme: auf hin, dass Umweltveränderungen gierung gar nicht. Bundesentwicklungs- der Klimawandel. Auslöser, aber nicht alleinige Ursache minister Gerd Müller (CSU) hat erst von Migrationsentscheidungen sind.« Ende des vergangenen Jahres aufge- Anfang des Jahres hat erstmals der führt, dass es circa 20 Millionen Klima- Menschenrechtsausschuss der Ver- Bei Fawad Durrani war genau das die flüchtlinge allein in Afrika gebe. In frü- einten Nationen beschieden, dass Situation. Der 33-Jährige hat mehrfach heren Interviews hatte Müller von 200 Klimaflüchtlingen das Recht auf Asyl im Leben flüchten müssen. Durrani und Millionen drohenden Klimaflüchtlingen nicht verweigert werden dürfe, wenn seine Familie kommen aus Afghanis- weltweit gesprochen. Er beruft sich auf ihr Leben in Gefahr sei. Ein Mann aus tan. Als er fünf Jahre alt war, vertrieb Daten des Internal Displacement Moni- dem pazifischen Inselstaat Kiriba- der Bürgerkrieg ihn und seine Familie toring Centre (IDMC) in Genf, das seit ti hatte sich über seine Ausweisung ins Nachbarland Pakistan. Als er zehn 1998 Daten zu Flüchtlingen sammelt. und die seiner Familie aus Neusee- war, zerstörten Überschwemmungen Dem IDMC zufolge ist es heute sieben- land beklagt. Die konkrete Beschwer- das Haus, in dem er und seine Familie mal wahrscheinlicher, wegen Wirbel- de lehnte der Ausschuss zwar ab. lebten. Zum zweiten Mal hatte seine stürmen, Dürren, Überflutungen und Der UN-Menschenrechtsausschuss Familie alles verloren. Heute lebt er Waldbränden seine Heimat zu verlieren 21
Der Klimawandel schreitet langsam voran. Ansteigende Meeresspiegel und anhaltende Dürren setzen in vielen Regionen schon heute den Menschen zu. Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) schätzt, dass insbesondere in afrikanischen Staaten südlich der Sahara immer mehr Menschen ihre Heimat werden verlassen müssen. als durch Erdbeben und Vulkanausbrü- in zunehmenden Maße ihre Heimat verbessert, sondern verwässert wird«, che und auch dreimal wahrscheinlicher verlassen werden müssen«, sagt Ben- warnt Minninger. »Da lassen wir besser als vor einem bewaffneten Konflikt zu jamin Schraven, Sozialwissenschaftler die Finger von.« fliehen. Zwischen 2008 und 2018 hät- am Deutschen Institut für Entwicklungs- ten jedes Jahr fast fünf Prozent der politik (DIE) in Bonn. Untersuchungen Minninger plädiert stattdessen für ein weltweiten Bevölkerung vor Unwettern aktueller Forschungsprojekte aber hät- zusätzliches Abkommen, das – ori- zumindest zeitweise das Weite suchen ten ergeben, dass die Menschen oft entiert am Verursacher-Prinzip – die müssen. Die Weltbank warnt, dass in fliehen, weil sie generell unter fragilen Industriestaaten als Umweltverschmut- Afrika südlich der Sahara, in Südasien Lebensumständen lebten, etwa auf- zer stärker in die Pflicht nimmt. Ihrer und in Lateinamerika bis 2050 mehr grund von Gewaltkonflikten oder dem Ansicht nach müsste dieses Abkom- als 140 Millionen Menschen »infolge Fehlen staatlicher Strukturen. »Der men einen internationalen Schutzsta- des langsam einsetzenden Klimawan- Zusammenhang Klimawandel, Flucht tus für die Betroffenen des Klimawan- dels« ihre Heimat verlassen könnten, und Migration ist wesentlich komplexer dels beinhalten. Flankierende regiona- sollte es keine umfassenden globalen als man annimmt«, sagt Schraven. le und bilaterale Vereinbarungen sind Klimaschutzmaßnahmen geben. ebenso notwendig. Sabine Minninger, Referentin für Klima- Trotz dieser kaum zu bestreitenden politik beim evangelischen Hilfswerk Das würde bedeuten, dass die Indus- Entwicklung im Zuge des Klimawan- Brot für die Welt, rät davon ab, Klima- triestaaten für die Kosten, die den dels ist der Begriff »Klimaflüchtling« wandel als Fluchtursache in die Genfer (Nachbar-)Ländern durch die Geflüch- selbst unter Migrationsforschern und Flüchtlingskonvention aufzunehmen. teten entstehen, aufkommen müssten. entwicklungspolitischen Organisatio- »Wenn die Konvention neu verhan- »Die Verursacher der Klimakrise sind in nen umstritten. »Es gibt Regionen, wo delt werden würde, um neue Fluch- der Verantwortung, diesen Menschen Menschen wegen des steigenden Mee- tursachen aufzunehmen, bestünde zu helfen«, sagt Sabine Minninger von resspiegels oder anhaltender Dürren die Gefahr, dass die Konvention nicht Brot für die Welt. 22
Flucht und Klimawandel Die Zukunft von Politik und Gesellschaft Dorfvorsteher Sailosi Ramatu steht auf dem Grund sei- nes alten Dorfes Vunidogoloa auf den Fidschi-Inseln im Pazifik. Es war das erste Dorf auf Fidschi, das aufgrund des Meeresspiegelanstiegs umgesiedelt wurde. Kein Asyl für Klimaflüchtlinge? Die aktuelle juristische Situation erläutert Dr. Thomas Smollich, Präsident des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts. Die Bundesregierung ist sich sicher: des Niedersächsischen Oberverwal- der Regel nicht zu einer Anerkennung Wer wegen der Folgen des Klimawan- tungsgerichts, Dr. Thomas Smollich, als Flüchtling, erklärt der Richter. dels seine Heimat verlässt, kann in weist allerdings darauf hin, dass das »Denn nach der weitgehend überein- Deutschland weder Asyl noch Flücht- Recht auf Asyl sowohl im Grundgesetz stimmenden juristischen Fachliteratur lingsschutz einfordern. als auch im internationalen Recht fällt die klimabedingte Abwanderung garantiert ist. »Jeder Schutzsuchen- grundsätzlich nicht unter die Genfer Doch so ganz eindeutig ist das nicht. de in Deutschland kann einen Antrag Flüchtlingskonvention«, so Smollich In der Genfer Flüchtlingskonvention stellen und alle Fluchtgründe geltend weiter. Dementsprechend sind bisher ist Klimawandel zwar nicht explizit machen, die sein Leben gefährden«, auch keine Urteile bekannt, in denen als Flüchtlingsgrund aufgeführt. Und sagt Smollich. Dazu gehörten auch eine klimabedingte Abwanderung als juristisch gibt es den Begriff »Klima- klimabedingte Gründe. Jedoch führt Fluchtgrund anerkannt wurde. flüchtling« auch nicht. Der Präsident dieser Vortrag vor Gericht derzeit in 23
Antje Niewisch-Lennartz, 67, Ministerin a. D., ist Mitglied der 26. Landessynode, dem Kirchenparlament der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers. Von 2013 bis 2017 war die ehe malige Verwaltungsrichterin und Mediatorin niedersächsische Justizministerin in der rot- grünen Regierungskoalition. Bleiberecht für Klimaflüchtlinge illusorisch Interview mit Antje Niewisch-Lennartz, Synodale der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers und frühere niedersächsische Justizministerin Frau Niewisch-Lennartz, ein UN-Men der dafür geltenden Genfer Flüchtlings- lingskonvention ist ein Vertrag zwi- schenrechtsausschuss hat Anfang konvention werden nicht erfüllt. Wer schen Staaten. Es ist illusorisch dar- des Jahres gefordert, dass Klima aufgrund der Klimakrise in der Heimat auf zu setzen, dass sich die Vertrags- flüchtlingen das Recht auf Asyl nicht keine Lebensgrundlage mehr hat, wird staaten durch eine entsprechende verweigert werden dürfe, wenn ihr sich aber trotzdem aufmachen. Für die Änderung verpflichten, jedem einen Leben in Gefahr ist. Sollte Deutschland Betroffenen ist das ein genauso zwin- Anspruch auf Aufnahme bei sich zu dieser Forderung folgen? gender Fluchtgrund, wie die in der Kon- verschaffen, den die Folgen der Klima- Antje Niewisch-Lennartz: Das Recht vention genannten Gründe. krise aus der Heimat vertreiben. Ich auf Asyl besteht nur für den Fall einer halte das angesichts der Tragweite der politischen Verfolgung. Ein Klima- In der Genfer Flüchtlingskonvention vor uns liegenden dramatischen Ent- flüchtling kann sich auf diesen Schutz ist der Status eines Klimaflüchtlings wicklungen und der Zahl der Betroffe- nicht berufen. Auch den Status eines nicht definiert. nen für keine realistische Perspektive. Flüchtlings kann er gegenwärtig nicht Niewisch-Lennartz: Ja, und ich meine, Wenn ich sehe, wie viele Menschen in beanspruchen. Die Voraussetzungen das wird auch so bleiben. Die Flücht- Afrika, Südasien oder den Inselstaa- 24
Flucht und Klimawandel Die Zukunft von Politik und Gesellschaft Die Erderwärmung sorgt auf Tuvalu, einem Inselstaat im Südwesten des pazifischen Ozeans, für häufige Überschwemmungen. Dadurch wird das einst trinkbare Grundwasser versalzen und die Küsten erodieren. ten in ihrer sozialen Existenz schon ten und zu verhindern, dass ganze Für welche Lösung plädieren Sie, wenn jetzt von klimabedingten Naturkatast- Landstriche unbewohnbar werden. Menschen etwa wegen Dürre ihr Land rophen betroffen sind, wird es für alle Das wird ohne spürbare Veränderun- verlassen müssen? ein Bleiberecht hier nicht geben. Auch gen am Status Quo hier nicht möglich Tut mir leid, dass ich da so beharre. wenn mir das politisch, moralisch sein. Lebensweise und Industrien Aber wir müssen alles daransetzen, und emotional nahe ist: Es wird nicht müssen sich ändern. Nur so können dass sie wegen der Dürre das Land funktionieren. Rechte sollte man nur wir dafür sorgen, dass die Menschen nicht verlassen müssen. Das umfasst dann formulieren, wenn man zu deren in ihrer Heimat bleiben können. auch die Unterstützung etwa für kli- Umsetzung bereit ist. Angesichts der maangepasste Landwirtschaft vor Ort. gegenwärtigen Entwicklungen, weg von Halten Sie den Begriff Klimaflüchtling Daneben wird es meines Erachtens nur multilateralen Vereinbarungen hin zu für falsch? politische Entscheidungen für Katas Nationalegoismen, halte ich ein Anfas- Nein, gar nicht. Der Klimaflüchtling ist trophenfälle geben, wie zum Beispiel sen der Flüchtlingskonvention sogar für eine Form des »Wirtschaftsflüchtlings«. international ausgehandelte oder von gefährlich. Ein Kampf um den Flücht- Diese Bezeichnung wird als Sammel- einzelnen Ländern gewährte Quoten, lingsstatus wird keine Lösung bringen. bezeichnung verwendet für diejenigen, über die einige der Betroffenen, die die aus dem Raster der Genfer Flücht- als besonders schutzbedürftig gelten, Warum? lingskonvention fallen. Der Begriff hat aufgenommen werden. Da läuft dann Antje Niewisch-Lennartz: Weil man unausgesprochen die ungute Konnota- – wenn es gut geht – die Maschinerie ihn dann allen Betroffenen gewäh- tion erhalten, diese Flüchtlinge kämen an, es werden Geberkonferenzen orga- ren muss. Man kann ein globales ohne Not, um von unserem sozialen nisiert und finanzielle Mittel, die das Problem nicht durch einen individu- Sicherheitsnetz zu profitieren. Wel- Schlimmste verhindern sollen. Das ellen Schutzanspruch lösen, der nur che Gründe in der Heimat sogenannte wird nur ein Tropfen auf den heißen einigen Wenigen gewährt wird. Nach »Wirtschaftsflüchtlinge« zum Aufbruch Stein sein. Wenige werden es schaffen, welchen Kriterien sollte man da vor- treiben, bleibt aus dem Fokus. Mit der sich nach Europa durchzuschlagen gehen? Das wären reine Symbolent- Bezeichnung »Klimaflüchtling« kommt und hier versuchen, ein Bleiberecht scheidungen, die im schlimmsten man aus dieser Falle. Der Begriff stellt zu erreichen. Eine echte Perspektive Fall als Legitimation genutzt würden, klar: Diese Menschen kommen, weil daraus zu entwickeln, ist aber selbst beim CO2-Ausstoß auf konsequen- die blanke Not sie hertreibt. Und diese für die, die es hierher geschafft haben, te Veränderungen zu verzichten. Wir Not haben wir durch unsere Lebens- schwierig. Die besteht ausschließlich müssen stattdessen alles daranset- und Produktionsweise in den Industrie in einem konsequenten Kampf gegen zen, die Klimakatastrophe aufzuhal- ländern zu verantworten! die Erderwärmung. 25
Kann Kirche Klima? Ein Gespräch mit Werner Lemke, leitender Baudirektor der Evangelisch- lutherischen Landeskirche Hannovers, über graue Energie, körpernahe Heizungen und Neubauten aus Holz. Herr Lemke, die hannoversche Lan- bestand. Das ist – für sich genommen Wie will die Kirche trotz der vielen deskirche besitzt rund 8.000 Gebäude. – viel. In Relation zu den 66 Millionen alten Kirchengebäude das Klima Darunter sind rund 1.660 Kirchen und Tonnen Emissionen, die Niedersachsen schützen? Kapellen, die vermutlich keine gute insgesamt abgibt, ist der Kirchenanteil Lemke: Wir bemühen uns, die Emis- Energiebilanz aufweisen. Wissen Sie, gering. Dennoch können und wollen sionen, die Kirchen verursachen, zu wie viel CO2-Emissionen die Kirche wir einen wertvollen Beitrag zur Redu- verringern und mit gutem Beispiel vor- jährlich verursacht? zierung des CO2-Ausstoßes leisten. anzugehen. Auf diese Weise können Werner Lemke: Das sind rund hundert- Schnelles Handeln ist nötig, um mög- wir andere gesellschaftliche Akteu- tausend Tonnen CO2 im Jahr – allein liche »Kipp-Punkte« beim Erdklima hin re motivieren, ebenfalls zu handeln. 78.000 Tonnen aus unserem Gebäude- zu einem Heißklima zu verhindern. Jedoch sind unsere finanziellen Mittel 26
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