Studie zum Vergleich der Parteiprogramme von PDS und WASG - Horst Dietzel, Jana Hoffmann, Gerry Woop

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Horst Dietzel, Jana Hoffmann, Gerry Woop

     Studie zum Vergleich
     der Parteiprogramme
       von PDS und WASG
Horst Dietzel, Jana Hoffmann, Gerry Woop

             Studie zum
Vergleich der Parteiprogramme
      von PDS und WASG

im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung

              Oktober 2005
© Rosa-Luxemburg-Stiftung

              2005

2
Inhaltsverzeichnis

I. Vorbemerkungen...................................................................................................................5

II. Das Selbstverständnis der Parteien .....................................................................................7
   1. Ziel- und Wertorientierungen ................................................................................................................ 7
   2. Bestimmung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse und neuer
       Herausforderungen ................................................................................................................................ 8
   3. Parteicharakter........................................................................................................................................ 11

III. Komparative Analyse einzelner Politikfelder .....................................................................13
   1. Wirtschafts-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik ................................................................................ 13
   2. Ostdeutschland und andere strukturschwache Gebiete ............................................................ 17
   3. Soziale Sicherungssysteme................................................................................................................ 18
   4. Ökologischer Umbau ............................................................................................................................ 20
   5. Bildung, Wissenschaft und Hochschulen ....................................................................................... 21
   6. Lebensweise, Individualität und Kultur ............................................................................................ 23
   7. Demokratie und Staatsverständnis .................................................................................................. 24
   8. Ausländerinnen- und Migrantinnenpolitik ....................................................................................... 27
   9. Gleichstellung und Feminismus......................................................................................................... 27
   10. Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik ..................................................................................... 28
   11. Europapolitik ......................................................................................................................................... 31

IV. Zusammenfassende Wertung...........................................................................................33
   1. Grundsätzliche Aussagen, Selbstverständnis............................................................................... 33
   2. Zu einzelnen Politikfeldern .................................................................................................................. 34

Quellen ...................................................................................................................................37

Angaben zu den Autoren........................................................................................................37
I. Vorbemerkungen
Mit der Bundestagswahl 2005 ist ein erster        Anlage. Ursache hierfür ist deren Entste-
Abschnitt der Kooperation zwischen PDS            hungsgeschichte. Die PDS verabschiedete
und WASG erfolgreich abgeschlossen, der           ihr Parteiprogramm nach jahrelangen De-
von beiden Seiten mit politischer Vernunft        batten im Jahre 2003, in der es neben den
gestaltet worden ist. Die PDS hat ihren           konkreten Politikangeboten sehr stark um
Namen in Linkspartei.PDS verändert, um            identitätsstiftende Fragen zu gesellschaft-
der WASG gegenüber ein Signal zu set-             lichen Weg- und Zielvorstellungen und
zen, dass die Kooperation im Vorfeld der          zum Selbstverständnis des Demokrati-
Wahlen auf Dauer angelegt ist. Im Gegen-          schen Sozialismus ging. Es löste das Pro-
zug hat die WASG sich bereit erklärt, unter       gramm von 1994 ab. Bei der WASG han-
den gegebenen Wahlrechtsbedingungen               delt es sich um das Gründungsprogramm
eigene Mitglieder auf PDS-Listen kandidie-        einer Protest- und Abspaltungsbewegung
ren zu lassen. Eine Fraktion mit dem neu-         mit stark sozialdemokratischer und ge-
en Namen „Die Linke“ ist mit 54 Abgeord-          werkschaftlicher Prägung. Die Partei ent-
neten die erste parlamentarische Vertre-          stand vor allem aus Protest gegenüber der
tung einer gesamtdeutsch verankerten              Politik der SPD unter Kanzler Gerhard
Linken links der Sozialdemokratie seit            Schröder. Es sollten möglichst viele Men-
1949 im Deutschen Bundestag. Neben                schen angesprochen werden, ohne ideo-
dem parlamentarischen Arbeitszusam-               logische oder weltanschauliche Hürden
menhang stehen als Kern dieser Koopera-           aufzubauen. Der Name „Wahlalternati-
tion die Parteien WASG und Linkspar-              ve…“ sagt schon aus, worauf sich diese
tei.PDS vor der Herausforderung, inner-           Partei von Anfang an konzentrierte.
halb der kommenden zwei Jahre zu fusio-
nieren.
                                                  Vor diesem Hintergrund erschließen sich
                                                  sehr unterschiedliche konstitutive und
Dabei dient ein Programmvergleich dazu,           Gliederungselemente:         Das       PDS-
die Gemeinsamkeiten und Unterschiede              Programm ist wesentlich umfangreicher.
zwischen der Linkspartei.PDS und der              Es enthält neben den konkreten Politikfel-
WASG herauszuarbeiten. 1 Er soll Auf-             dern umfangreiche Abschnitte über den
schluss darüber geben, wie nah oder fern          Sozialismus als Ziel, Weg und Wert, über
sich beide Parteien programmatisch sind.          die gegenwärtige Welt und über den Cha-
Schwerpunkte des Vergleichs sind das              rakter der PDS selbst. Dem gegenüber
allgemeine Selbstverständnis beider Par-          konzentriert sich das WASG-Programm
teien (gesellschaftliche Weg- und Zielvor-        auf die Politikfelder und zeitnahe Alternati-
stellungen, Werteorientierungen, Analyse          ven.
der gesellschaftlichen Verhältnisse, neue
Herausforderungen, Parteicharakter) und
eine Analyse der hauptsächlichen Politik-         In die Analyse werden auch die Parteipro-
felder. Bezüge zur politischen Praxis sind        gramme von SPD und Bündnis 90/Die
nicht Gegenstand der Betrachtung.                 Grünen mit einbezogen, um eine mögliche
                                                  programmatische Nähe oder auch eine
                                                  Distanz zu diesen Parteien auszuloten und
Die Parteiprogramme von PDS und WASG              damit den Platz der neuen Linksformation
unterscheiden sich recht deutlich in ihrer        im breiteren linken Spektrum komparativ
                                                  zu verorten. 2 Dies steht jedoch nicht im
                                                  Mittelpunkt der Studie. Es geht hier zu-
1
 Wir verwenden den Namen PDS, wenn es             nächst nicht darum, ein mögliches Mitte-
um das Parteiprogramm geht, das im Jahre
2003 verabschiedet wurde. Wenn es um all-
                                                  2
gemeine Aussagen und um das Wahlpro-               Bei der SPD beziehen wir uns sowohl auf das
gramm dieser Partei geht, verwenden wir in        Berliner Programm von 1989 als auch auf die
der Regel den Begriff Linkspartei.PDS.            neuere programmatische Debatte 2004/2005.

                                              5
Links-Bündnis inhaltlich abzuwägen. Um
bei den konkreten politischen Projekten
genauer Gemeinsamkeiten und Unter-
schiede herauszufinden, beziehen wir an
einigen Stellen auch Wahlprogramme
(insbesondere das der Linkspartei.PDS)
mit in die Betrachtung ein.3 Bei den Quel-
lenangaben verwenden wir Kurzbegriffe,
die im Anhang ausführlich gekennzeichnet
sind.

3
  Das Wahlmanifest der WASG ist im Grunde
eine Kurzform des Gründungsprogramms.
Positionen werden nicht weiter entfaltet. Im
Gründungsprogramm selbst sind die politi-
schen Auffassungen bereits konkret entwickelt.
Außerdem stand das Wahlmanifest nicht im
Mittelpunkt des Wahlkampfes der WASG, weil
ihre Kandidaten auf den Listen der Linkspar-
tei.PDS kandidierten.

                                                 6
II. Das Selbstverständnis der Parteien
                                                  den können.“ 6 Dieser Grundwertekanon
1. Ziel- und Wertorientierungen                   wird im Folgenden mit den realen politi-
                                                  schen Prozessen und Forderungen ver-
Schlüsselbegriff im PDS-Programm ist der          bunden: Eine solche Politik erfordere eine
„Demokratische Sozialismus“, ähnlich dem          andere Regulation von Wirtschaft, und die
Berliner Programm der SPD. Er wird als            gesellschaftliche Dominanz der Profilogik
Ziel, Weg und Wertesystem definiert.              sei mit der durch das Grundgesetz gebo-
Deutlicher aber als noch im Programm von          tenen Sozialpflichtigkeit des Eigentums
1994 wird er als Transformationsprojekt           unvereinbar.
ausgearbeitet: „Sozialismus entsteht nach         Im WASG-Programm gibt es weder den
unserem Verständnis nicht in der Folge            Begriff des „Demokratischen Sozialis-
eines abstrakten Geschichtsfahrplans,             mus“ noch wird ein Wertekanon aufgestellt.
sondern geht von den gesellschaftlichen           Die Programmatik orientiert sich an der
Realitäten, den wirklichen Bedürfnissen           „Leitidee der sozialen Gerechtigkeit“. Län-
und Interessen der Menschen aus… Sozi-            gerfristige Betrachtungen über gesell-
alismus entsteht in demokratischen Kämp-          schaftliche Weg- und Zielvorstellungen
fen, die geführt werden, um die strukturel-       werden nicht angestellt. Es heißt hier le-
len Bedingungen für Unfreiheit, Ungleich-         diglich, dass politische Entscheidungen
heit und Ausbeutung sowie jene Macht-             nicht die Zukunftsfähigkeit der Welt und
und Eigentumsverhältnisse, auf denen              des Menschen gefährden dürften. Darum
diese beruhen, zurückzudrängen und zu             sei eine Politik nötig, die Alternativen er-
überwinden.“ 4 Kern des Sozialismusver-           öffnet. Die WASG gibt ein klares Bekennt-
ständnisses sind grundlegende Freiheits-          nis zur Demokratie ab. Sie sei „grundle-
güter: „Menschen müssen ihre Fähigkeiten          gende Voraussetzung für eine gerechte,
und Bedürfnisse, produktiven Kräfte und           menschenwürdige und friedliche Gesell-
sittlichen Maßstäbe entwickeln können.            schaft… Die WASG setzt sich für eine
Die Verfügung über diese Güter entschei-          solidarische Umgestaltung der Gesell-
det, ob Menschen frei oder unfrei sind. Es        schaft ein“. Obwohl mit teilweise anderer
sind grundlegende Freiheitsgüter. Der An-         Begrifflichkeit versehen, deckt sich das im
spruch auf gleiche Teilhabe an ihnen ist          Kern mit den Ausführungen der PDS. Al-
zugleich Anspruch auf Wahrnehmung fun-            lerdings beschränkt sich die Leitidee der
damentaler Menschenrechte.“5                      sozialen Gerechtigkeit bei der WASG nur
Freiheit wird als „der Bezugspunkt sozialis-      auf eine von mehreren Dimensionen der
tischer Politik“ definiert. „Gleichheit ist für   Gerechtigkeit. Ohne den Bezugspunkt
diese Politik das Maß der Teilhabe an             Freiheit ist eine zeitgemäße Programmatik
grundlegenden Freiheitsgütern. Freiheit ist       jedoch schwer vorstellbar.
für uns die Möglichkeit, das eigene Leben         Der grundlegende Teil des PDS-
und die Gesellschaft – selbst und gemein-         Programms liegt teilweise näher am Berli-
sam mit anderen – zu gestalten. Gleichheit        ner Programm der SPD von 1989. 7 Dort
ohne Freiheit ist Unterdrückung. Freiheit,        heißt es, die Arbeiterbewegung habe die
Gleichheit und Solidarität bilden den Inhalt      Ideale der bürgerlichen Revolutionen der
von Gerechtigkeit. Gerechtigkeit verlangt,        Neuzeit eingeklagt: „Eine solidarische Ge-
dass die grundlegenden Freiheiten, die            sellschaft mit gleicher Freiheit für alle
soziale Gruppen für sich in Anspruch              Menschen. Es ist eine historische Grund-
nehmen, zu Freiheiten aller anderen wer-          erfahrung, dass Reparaturen am Kapita-
                                                  lismus nicht genügen. Eine neue Ordnung

4                                                 6
    PDS-Programm, S.3.                                Ebenda.
5                                                 7
    Ebenda.                                           SPD-Programm, S.8.
von Wirtschaft und Gesellschaft ist nö-                 nengerechtigkeit, Geschlechtergerechtig-
tig.“ Dieses Programm enthält auch einen                keit, internationale Gerechtigkeit, Solidari-
eigenen Abschnitt über die Grundwerte,                  tät und Demokratie. Ausdrücklich betonen
die ausführlich definiert werden.8 „Die So-             die Grünen die verschiedenen Dimensio-
zialdemokratie erstrebt eine Gesellschaft,              nen von Gerechtigkeit, die über die traditi-
in der jeder Mensch seine Persönlichkeit in             onelle Verteilungsgerechtigkeit hinausge-
Freiheit entfalten und verantwortlich am                hen.12 Vor allem hier wird der Gegensatz
politischen, wirtschaftlichen und kulturellen           zur WASG deutlich, die sich auf soziale
Leben mitwirken kann.“ Abschließend                     Gerechtigkeit beschränkt.
heißt es in diesem Kapitel: „Freiheit, Ge-
                                                        Nachhaltigkeit ist ein Begriff und eine Ori-
rechtigkeit und Solidarität bedingen einan-
                                                        entierung, die von allen Parteien verwen-
der und stützen sich gegenseitig. Gleich
                                                        det wird, wenn auch in unterschiedlicher
im Rang, einander erläuternd, ergänzend
                                                        Ausführlichkeit und Reichweite.
und begrenzend erfüllen sie ihren Sinn.“9
Zu diesem Aspekt gab es in der jüngsten
Programmdebatte der SPD Auseinander-                     2. Bestimmung der gegenwär-
setzungen darüber, ob es bei der Gleich-                  tigen gesellschaftlichen Ver-
wertigkeit der Grundwerte bleiben solle
oder ob es einen Vorrang der Freiheit ge-                 hältnisse und neuer Heraus-
be. Außerdem wurde der Vorschlag unter-                           forderungen
breitet, „Eigenverantwortung“ als Grund-
wert zu behandeln. Diskutiert wurde auch,               Schon in der Präambel des PDS-
ob eine neue Definition von Gerechtigkeit               Programms werden die Ursachen für die
notwendig sei. Letztlich wurde sogar der                Gefährdung der menschlichen Zivilisation,
Begriff des „Demokratischen Sozialis-                   für Gewalt und Krieg, soziales Elend und
mus“ in Zweifel gezogen.10                              die Krise der weltweiten Ökosphäre ge-
                                                        nannt. Sie liegen „in den Profit- und Herr-
Die Programmphilosophie von Bünd-
                                                        schaftsverhältnissen     der    international
nis90/Die Grünen verzichtet auf einen ge-
                                                        mächtigsten Teile des Kapitals und im
sellschaftlichen Gegenentwurf. Die Partei
                                                        Bestreben, die Entwicklung des ‚Nordens’
will die Gesellschaft über 12 Schlüsselpro-
                                                        auf Kosten des ‚Südens’, der Natur und
jekte modernisieren. Die gesellschaftliche
                                                        der zukünftigen Generationen zu betrei-
Vision wird deshalb auf drei Sätze ver-
                                                        ben“.13 Darüber hinaus gibt es ein eigenes
kürzt: „Unsere Vision ist eine Gesellschaft,
                                                        ausführliches Kapitel (II) „Die gegenwärti-
in der die Menschenrechte unteilbar und
                                                        ge Welt“. Hier wird die „neoliberale Offen-
universell gültig sind und in der Selbstbe-
                                                        sive“ seit den 70er Jahren beschrieben,
stimmung in Verantwortung verwirklicht
                                                        deren Versprechungen nicht eingehalten
werden kann. Unsere Vision ist die Ver-
                                                        worden seien. In einem weiteren Punkt ist
wirklichung von Gerechtigkeit in allen ihren
                                                        der Kapitalismus im Zeitalter von Informa-
Dimensionen. Wir stärken Demokratie und
                                                        tions- und Kommunikationstechnologien
verteidigen sie gegen Angriffe.“11 Die Grü-
                                                        ausführlich dargestellt. „Der heutige Kapi-
nen schreiben ausdrücklich: „Uns eint, uns
                                                        talismus bringt Möglichkeiten hervor, die
verbindet ein Kreis von Grundwerten, nicht
                                                        für die Lösung der Menschheitsfragen un-
eine Ideologie.“ Die Grundwerte werden im
                                                        verzichtbar sind, aber gleichzeitig fesselt,
Programm ausführlich erläutert. Dazu zäh-
len Ökologie, Selbstbestimmung, Gerech-
                                                        12
tigkeit, Teilhabegerechtigkeit, Generatio-                     Vgl.      ebenda,       S.       6-10.
                                                        Übergreifend zu den Werten heißt es: „Unsere
                                                        Grundposition heißt: Wir verbinden Ökologie,
8
    Vgl. ebenda, S. 12 f.                               Selbstbestimmung, erweiterte Gerechtigkeit
9                                                       und lebendige Demokratie.“, ebenda, S. 6.
    Ebenda, S. 13.
                                                        13
10                                                         PDS-Programm, S. 2. In nahezu „klassi-
   Vgl. Tradition und Fortschritt, Start der Pro-
                                                        scher“ Weise werden hier alle Übel der Welt im
grammdebatte, Programmhefte der SPD, Ber-
                                                        international agierenden Kapital (früher Mono-
lin, Januar 2005, S. 30-34.
                                                        polkapital) gesehen. Beim Nord-Süd-Konflikt
11
  Grundsatzprogramm Bündnis90/Die Grünen,               wird aber in dieser Formulierung offen gehal-
S. 6.                                                   ten, um wen es sich dabei genau handelt.

                                                    8
deformiert und zerstört er sie.“14 Hier wird       den und die in der Tradition dieser Partei
im Unterschied zur Formulierung in der             begründet liegen.
Präambel der widersprüchliche Charakter
                                                   Von SPD und Bündnis 90/Die Grünen,
der gegenwärtigen Gesellschaft aufgezeigt,
                                                   aber auch von anderen Parteien und in
an dem sozialistische Politik ansetzen
                                                   der etablierten politischen und wissen-
müsse. Ein dritter Abschnitt widmet sich
                                                   schaftlichen Debatte werden vor allem die
den globalen sozialen Problemen. Hier
                                                   Globalisierung, der veränderte Altersauf-
lautet die Grundaussage, dass die krassen
                                                   bau der Gesellschaft, die Knappheit der
Gegensätze des Kapitalismus am Beginn
                                                   natürlichen Ressourcen (Grüne) , neue
des 21. Jahrhunderts zu globalen Exis-
                                                   Technologien und Lebensweisen sowie
tenzgefährdungen der Weltgesellschaft
                                                   neuartige Kriegsherde (Zerfall von Staa-
geworden seien. Die Regierungen weniger
                                                   ten) und der Terrorismus als neue Heraus-
Staaten, die Führungen einiger Weltkon-
                                                   forderungen beschrieben.
zerne und die Spitzen des Finanzkapitals
strebten „uneingeschränkte imperialisti-           Sowohl im Programm der PDS wie der
sche Herrschaft an“, heißt es weiter. Ande-        WASG werden solche „neuen Herausfor-
re Ursachen für die heutigen Weltproble-           derungen“ nicht genannt. SPD und Grüne
me gibt es in dieser Diktion nicht.                sehen in der Globalisierung sowohl Gefah-
                                                   ren als auch Chancen. Sie wollen die Glo-
 Das WASG-Programm enthält keinen
                                                   balisierung positiv gestalten. Die Grünen
solchen die Gegenwart umfassend ein-
                                                   üben Kritik an der gegenwärtigen Art und
schätzenden Abschnitt. Auch fehlen sol-
                                                   Weise, wie die Globalisierung erfolgt. 16
che generellen theoretischen Ableitungen
über den Kapitalismus (einschließlich der
Begrifflichkeit selbst). Geschildert werden        16
hingegen die realen Gefahren für viele                Die SPD schreibt: „Globalisierung ist inzwi-
                                                   schen zum Schlüsselbegriff für die Erklärung
Menschen, die in ihrer materiellen Exis-
                                                   vieler Entwicklungen und Probleme geworden
tenz bedroht seien. Sehr allgemein und             – für neue Chancen gegenseitiger kultureller
zugleich eingeengt heißt es, dass die              Bereicherung und politischer Zusammenarbeit,
Grundlagen des Sozialstaates durch die             aber auch für zunehmende soziale Ungleich-
„politisch Verantwortlichen zerstört“ wür-         heiten global, national oder lokal, bis zum
den. Die heutige hohe Arbeitslosigkeit wird        Machtverlust der Politik gegenüber wirtschaftli-
ausschließlich der Politik der etablierten         chen Entwicklungen oder ökonomischen Inte-
Parteien zugeordnet. Sehr knapp, aber              ressen. Der Prozess der Globalisierung prägt
letztlich ähnlich dem PDS-Text stellt das          immer stärker den Rahmen unserer Hand-
WASG-Programm fest, dass die neolibera-            lungsspielräume.“ Es wird sogar eine „Grund-
                                                   lagenkrise des Politischen“ gesehen. Staat und
le Politik Arbeitslosigkeit steigert, wirt-
                                                   demokratische Institutionen würden so an Ges-
schaftliche Entwicklung blockiert, Staats-         taltungsmacht verlieren. Ein Schlüsselbegriff
verschuldung erhöht und die Sozialkassen           lautet                    „Weltordnungspolitik“.
aushöhlt.15                                        Vgl. Tradition und Fortschritt, Start der Pro-
Dieser Focus auf neoliberale Politik, der          grammdebatte, Hrsg. SPD-Parteivorstand,
                                                   Berlin 2005, S.35.
die Ursachen für nahezu alle wirtschaftli-
chen, sozialen und ökologischen Proble-            Bündnis90/Die Grünen behandeln in ihrem
me der Welt zugesprochen werden, ist               Programm die neuen Herausforderungen aus-
letztlich in beiden Programmen ähnlich,            führlich in einem eigenen Abschnitt. Neben der
wenn auch in sehr unterschiedlicher Länge          Globalisierung werden genannt: ökologische
                                                   Herausforderung, Individualisierung, neue
und Ausführlichkeit bei der Darstellung.
                                                   Informationstechnologien, Bio- und Gentech-
Die WASG verzichtet generell auf eine              nologie, demografischer Wandel, Migration,
klassische „Kapitalismusanalyse“ und auf           Veränderung im Geschlechterverhältnis. „Wir
die Analyse der gegenwärtigen Weltprob-            wollen nicht von Sachzwängen überrollt wer-
leme, wie sie in der PDS auch schon im             den, sondern verschiedene Entwicklungspfade
Programm von 1994 vorgenommen wur-                 beschreiben… Deswegen üben wir Kritik an
                                                   einer Wirtschaftsweise, die den Verbrauch
                                                   natürlicher Ressourcen irreversibel vorantreibt.
14
     PDS-Programm, II.2, S. 6.                     Der Profit von heute kann so zur ökologischen
15                                                 Schuldenlast von morgen werden.“ Zur Globa-
     Vgl. WASG-Gründungsprogramm, S. 3-5.
                                                   lisierung heißt es u. a.: „Das Ergebnis der
                                               9
Speziell in der neuen Programmdebatte                 sein dürfte, sondern nur Kampf dagegen.
der SPD 2004/2005 wird ein anschlussfä-               An anderer Stelle im Programm wird das
higer strategischer Ansatz sozialdemokra-             auch so geschrieben. Die WASG meint,
tischer Politik an die neuen globalen Her-            dass die Politikerinnen und Politiker sich
ausforderungen angemahnt. „Weil grund-                durch die Liberalisierung der Finanzmärkte
legende Güter wie soziale Gerechtigkeit,              und den schrankenlosen Freihandel selbst
Sicherheit, saubere Umwelt oder finanziel-            entmachtet hätten. In dieser absoluten
le Stabilität zunehmend globale Güter sind,           Formulierung erübrigt sich die Frage nach
ist eine Wirtschaftsverfassung, die öffentli-         der demokratischen Gestaltungsmacht von
che Güter fördert, auch von den globalen              Politik. Der weltweite unumschränkte Han-
Erfordernissen her geboten und eine Ant-              del mit Waren und Dienstleistungen er-
wort auf die Probleme des Shareholder-                mögliche die Ausbeutung der Arbeitskräfte
Value-Kapitalismus.“17 Ähnlich wie bei den            der ärmsten Länder zugunsten der Ge-
Grünen wird formuliert, dass es in einer              winnmaximierung der internationalen Kon-
Epoche beschleunigter Globalisierung                  zerne und das gegeneinander Ausspielen
vorrangig um die Bedingungen für die                  mit den Beschäftigten in den Industriestaa-
Wiedergewinnung des Vorrangs demokra-                 ten. 20 Auch hier scheint positive Gestal-
tischer Gestaltungsmacht gehe. Die grund-             tungsmöglichkeit der Globalisierung nicht
legende Frage sei, wie dem Auseinander-               Gegenstand von Überlegungen zu sein.
driften von ökonomischer Dynamik und                  Im Gegenteil, als Schlussfolgerung läge
demokratischer Gestaltungsfähigkeit be-               nahe, dass die Globalisierung wieder zu-
gegnet werden könne.18                                rückgenommen werden müsse.
Die PDS hingegen meint viel radikaler,                Ähnlich verhält es sich mit einigen anderen
dass ein „neuer Totalitarismus der globa-             eingangs genannten Herausforderungen.
len Herrschaft transnationaler wirtschaftli-          Zum veränderten Altersaufbau wird im
cher und politischer Gruppen“ entstanden              generell-analytischen Teil überhaupt nicht
sei.19 In der Logik einer solchen Betrach-            Stellung genommen. Die WASG wendet
tung liegt, dass eine „positive Gestal-               sich dagegen, dass die Globalisierung, die
tung“ der Globalisierung kaum möglich                 höhere Lebenserwartung der Menschen
                                                      und die Staatverschuldung zu Einschnitten
                                                      in das soziale Netz und zu niedrigen Löh-
weltweiten Verbindung von Handel und Fi-              nen zwingen würden. Auch bei der Frie-
nanzmärkten ist eine Spaltung der Welt. Mit           denssicherung werden sowohl von der
der globalen Verflechtung von Märkten und             WASG wie von der PDS keine neuen Her-
Informationen wächst die Kluft zwischen Arm           ausforderungen formuliert. Alles ist auf
und Reich, innergesellschaftlich und vor allem        den neuen Imperialismus oder aufs inter-
weltweit… Deshalb ist Widerstand gegen diese          nationale Kapital zurückzuführen. (Nähe-
Globalisierung richtig und notwendig. Zu einer        res dazu im Teil „internationale Politik“)
weltweiten Wende und Kurskorrektur zu kom-
men, gehört zu den großen Herausforderun-             Zusammenfassend ist festzustellen: Die
gen und Aufgaben der Politik in den kommen-           Programme von PDS und WASG lassen
den Jahren und Jahrzehnten. Die Lücke zwi-            offen, ob sie die Globalisierung, den Al-
schen ökonomischer Globalisierung und der             tersaufbau der Gesellschaft, die hohe
mangelnden politischen Steuerung und Einbet-          Staatsverschuldung und andere Probleme
tung dieses Prozesses ist zu schließen.“ Vgl.         als „neue Herausforderungen“ anerkennen
Grundsatzprogramm Bündnis 90/Die Grünen,
                                                      oder nicht und inwieweit sie hier Chancen
S. 10/11.
                                                      und Gestaltungsspielräume sehen. In die-
17
   Tradition und Fortschritt, Start der Pro-          sem Bereich sind die programmatischen
grammdebatte, hrsg. SPD-Vorstand, Berlin,             Aussagen in sich nicht immer schlüssig.
Januar 2005, S. 41.
18
  Grundlagen unserer Politik, Impulse für das
neue Grundsatzprogramm der SPD, Berichter-
statter Gesine Schwan und Wolfgang Thierse,
Willy-Brandt-Haus-Materialien , Berlin, De-
zember 2004, S. 7.
19                                                    20
     PDS-Programm, S. 7.                                   Siehe WASG–Gründungsprogramm, S. 4.

                                                 10
3. Parteicharakter                           schrieben wird. 23 Die PDS setzt sich das
                                                       Ziel, die geistige und politische Hegemonie
In der Präambel stellt sich die PDS in die             der neoliberalen Ideologie und Politik in
Tradition der Kämpfe gegen kapitalistische             Deutschland und in der Europäischen Uni-
Ausbeutung, ökologische Zerstörung, poli-              on zu überwinden. Sie strebt an, ein ei-
tische Unterdrückung und verbrecheri-                  genständiges selbstbewusstes politisches
scher Kriege. In einem ausführlichen Ab-               Projekt zu etablieren. Langfristig will die
schnitt setzt sich die Partei mit ihrer Ge-            Partei aber an einem (politischen) Mitte-
schichte auseinander. Sie beruft sich auf              Links-Bündnis mitwirken. Politische Ver-
die antimilitaristischen, antiimperialisti-            antwortung könne man sowohl in der Op-
schen und antifaschistischen Traditionen               position wie in Regierungsbeteiligungen
der Arbeiterbewegung. Gleichzeitig grenzt              übernehmen. 24 Schließlich sieht sich die
sie sich von der SED ab.21 Es gibt zudem               PDS als pluralistische Partei, die Minder-
einen einschätzenden Abschnitt zur DDR,                heitenrechte gewährt.
der mit der spezifischen Geschichte der                Die WASG formuliert im Gegensatz zur
PDS zusammenhängt.                                     PDS ihr Selbstverständnis recht knapp. Es
Vertreter der WASG fordern, dass „in der               gibt keinen Bezug zu historischen Wurzeln
neuen Partei die Auseinandersetzung um                 (z. B. Arbeiterbewegung). Sie versteht sich
die Geschichte der politischen Linken –                als „Sammlungsbewegung für Menschen
aller Strömungen und Fraktionen – und                  unterschiedlicher politischer und sozialer
ihrer Irrtümer einen Stellenwert haben                 Herkunft. Uns führt das gemeinsame An-
muss… Eine gemeinsame politische For-                  liegen für eine gerechtere Gesellschaft
mation der demokratischen Linken eröffnet              zusammen… Unsere Einheit beruht auf
eben auch das Terrain der Geschichtsin-                gemeinsamen Interessen und Zielen.“ 25
terpretation neu. Eine neue Linksformation             Die PDS will auch Mitglieder aus allen
hat nur Zukunft, wenn sie sich beständig               gesellschaftlichen Schichten gewinnen, die
all ihrer historischen Wurzeln versichert.“22          den Willen haben, im Sinne ihres Pro-
                                                       gramms zu wirken. Hier gibt es keinen
Die PDS sieht sich an der Seite der sozia-             Dissens. Die WASG begreift sich als „Op-
len Bewegungen gegen Kapitalisierung                   position gegen die herrschende, neoliberal
der Gesellschaft, Demokratieabbau und
Krieg. Die Erfolge der emanzipatorischen
                                                       23
Bewegungen sollen verteidigt und die ka-                  Wörtlich heißt es hier: „Die soziale Basis
pitalistische Profitdominanz überwunden                eines solchen Bündnisses sehen wir in der
werden. Als wichtigstes politisches Ziel               Verbindung der Interessen der Menschen, die
formuliert die PDS, ihren Beitrag zur For-             durch die herrschende Politik in soziale Unsi-
mierung eines breiten sozialen und politi-             cherheit und Verarmung gedrängt werden, mit
schen Bündnisses für den grundlegenden                 denen, die sozial besser gestellt sind, sich
                                                       aber mit massenhafter sozialer Ausgrenzung in
Richtungswechsel der Politik in Deutsch-
                                                       der Gesellschaft nicht abfinden wollen, über-
land und Europa zu leisten. Die soziale                haupt mit all jenen, die sich für eine gerechte
Basis sieht die Partei in einem Mitte-                 Gesellschaft als Bedingung eines selbstbe-
Unten-Bündnis, das aber kompliziert um-                stimmten Lebens einsetzen.“ PDS-Programm,
                                                       S. 21.
21                                                     24
    Die SED „war weder fähig noch bereit, So-            Hier geht das Programm direkt auf die Re-
zialismus mit Demokratie und Freiheit zu ver-          gierungsbeteiligungen in Berlin und Mecklen-
knüpfen. Ihren Weg kennzeichneten daher                burg-Vorpommern ein. Dort sei unter schwieri-
auch schmerzliche Fehler, zivilisatorische Ver-        gen Bedingungen Politikfähigkeit bewiesen
säumnisse und Verbrechen…Es gibt keinen                worden. Bei extremen Haushaltsdefiziten müs-
noch so ehrenwerten Zweck, der die Verlet-             se ständig zwischen unterschiedlichen Interes-
zung grundlegender Menschenrechte und                  sen verschiedener sozialer Gruppen und Or-
universeller demokratischer Grundsätze recht-          ganisationen abgewogen werden. Dies verlan-
fertigen könnte.“ PDS-Programm, S. 20.                 ge ein Höchstmaß an Transparenz der zu ent-
22                                                     scheidenden Probleme und der Beteiligung
  Joachim Bischoff, Murat Cakir, Thomas
                                                       von Betroffenen an den Entscheidungen. (e-
Händel, Björn Radke, Alltagsbewusstsein,
                                                       benda)
gesellschaftliches Klima und die Strategie der
                                                       25
WASG, htttp://www.w-asg.de/1057.98.html.                    WASG-Gründungsprogramm, S. 27.

                                                  11
bestimmte Politik. An einer Regierung in             tigen Wurzeln sieht die SPD in diesem
Land und Bund werden wir uns nur dann                Programm im Christentum und in der hu-
beteiligen, wenn dies zu einem grundle-              manistischen Philosophie, in der Aufklä-
genden Politikwechsel in Richtung unserer            rung, in der Marxschen Geschichts- und
Forderungen führt.“ 26 Diese Formulierung            Gesellschaftslehre und in den Erfahrungen
kann unterschiedlich – auch fundamenta-              der Arbeiterbewegung. Auch die Ideen der
listisch - gedeutet werden. Ähnlich der              Frauenbewegung werden genannt. Im
PDS aber will sie die gesellschaftlichen             Gegensatz zur heutigen SPD-Politik ste-
und politischen Kräfteverhältnisse verän-            hen die Programmaussagen zur Reform-
dern. Den Ausgangspunkt für eine andere              politik: „Reformpolitik setzt auf Hoffnung.
Politik sieht die WASG auch in vielfältigen          Wo sogar das Bewahrenswerte nur durch
Aktivitäten von Initiativen und Bewegun-             Reform zu retten ist, wird Reformarbeit zur
gen, Gewerkschaften und Sozialverbän-                einzig verantwortbaren Politik. Unser Zu-
den, Frauenorganisationen, kirchlichen               kunftsentwurf ist ein Angebot für ein Re-
und globalisierungskritischen Gruppen,               formbündnis der alten und neuen sozialen
Umweltverbänden und anderen.                         Bewegungen. Der Kern dieses Bündnisses
                                                     bleibt die Zusammenarbeit mit den Ge-
Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Die
                                                     werkschaften…Wir brauchen ein breites
PDS begreift sich als sozialistische Partei,
                                                     Reformbündnis mit möglichst vielen Grup-
die einen starken Bezug zur Arbeiterbe-
                                                     pen und Kräften, weil wir den Widerstand
wegung und anderer emanzipatorischer
                                                     derer zu überwinden haben, die alles zum
Bewegungen formuliert. Die WASG defi-
                                                     Fortschritt erklären, was ihren Gewinner-
niert sich mehr oder weniger geschichtslos
                                                     wartungen, ihrer wirtschaftlichen oder poli-
als Sammlungsbewegung gegen die neo-
                                                     tischen Macht zugute kommt.“28
liberale Politik in Deutschland. Hierin liegt
der wichtigste Unterschied im Selbstver-             Bündnis 90/Die Grünen sehen sich nicht
ständnis beider Parteien. Bei den anderen            mehr als die „Anti-Parteien-Partei, sondern
wichtigen Fragen wie den Bezug zu den                als die „Alternative im Parteiensystem“.
aktuellen demokratischen und sozialen                Die Partei habe sich zu einer Reformpartei
Bewegungen, Opposition und Regie-                    entwickelt und im Verein mit gesellschaftli-
rungsbeteiligungen, Protest und Gestal-              chen Akteuren habe man die ökologische
tung, der Notwendigkeit das gesellschaftli-          Verantwortung, erweiterte demokratische
che wie politische Kräfteverhältnis zu ver-          Teilhabe aller, Gerechtigkeit zwischen den
ändern, dominiert ein ähnliches Herange-             Geschlechtern, Akzeptanz von Minderhei-
hen. Hier liegen Unterschiede oder Diffe-            ten, Öffnung gegenüber kultureller Vielfalt
renzierungen letztlich auch innerhalb der            vorangebracht. Mit dem Eintreten für die
beiden Parteien, die durch jeweilige For-            Quotierung sei auch die politische Kultur
melkompromisse überdeckt werden.                     bereichert. Den Grünen gehe es um die
                                                     Weiterentwicklung der Bürgergesellschaft
Mit dem Berliner Programm stellte sich die
                                                     und des zivilgesellschaftlichen Engage-
SPD erneut in die Tradition der sozialde-
                                                     ments. Sehr allgemein heißt es, dass für
mokratisch orientierten Arbeiterbewegung
                                                     die Grünen „zur Erreichung des grundle-
und formuliert einen historisch angelegten
                                                     genden gesellschaftlichen Wandels…
Teil im Programm. Im Jahre 1998 wurde
                                                     auch weiterhin viele Kämpfe auszufechten
das Programm mit dem Blick auf die deut-
                                                     sein werden“.29
sche Einheit geändert und das Scheitern
des Kommunismus konstatiert.27 Die geis-             Insgesamt beziehen sich SPD und PDS
                                                     auf die Traditionen der Arbeiterbewegung,
26
                                                     auf die Aufklärung, auf das Gedankengut
     Ebenda.                                         von Marx und Engels. Die Formulierungen
27
   Unter anderen heißt es hier: „Das Ende des
kommunistischen Weltsystems ermöglichte die          demokraten gewürdigt. Vgl. SPD-Programm, S.
Verwirklichung des demokratischen Selbstbe-          9/10.
stimmungsrechts in der DDR und schließlich
                                                     28
die Beendigung der staatlichen Teilung                    Ebenda, S. 53.
Deutschlands durch die freie Entscheidung der        29
                                                       Grundsatzprogramm Bündnis90/Die Grünen,
Bürgerinnen und Bürger der DDR.“. Im Fol-
                                                     S. 14.
genden werden dann die ostdeutschen Sozial-
                                                12
zum Kommunismus und zur DDR sind                      lieren alle betrachteten Parteien. SPD,
naturgemäß völlig anders, im Kern aber                Grüne und WASG setzen auf eine Re-
bei beiden Parteien auch auf Demokratie               formstrategie zur Veränderung der Gesell-
ausgerichtet. Das trifft sich mit der WASG,           schaft, wenn auch die WASG mit anderen
die aber – wie die Grünen – keinen Bezug              Vorzeichen. Hier gibt es einen Unterschied
zur Arbeiterbewegung, zur Aufklärung und              zur PDS, die – mit Reformen und zugleich
zu Marx herstellt. Den Bezug zu demokra-              darüber hinaus gehend – eine Transforma-
tischen und sozialen Bewegungen formu-                tionsstrategie verfolgt.

               III. Komparative Analyse einzelner Politikfelder
                                                      stimmende Unternehmen so zu vergesell-
     1. Wirtschafts-, Steuer- und                     schaften, dass private Eigentümerinteres-
                                                      sen diesen öffentlichen Interessen nicht
         Arbeitsmarktpolitik
                                                      mehr im Wege stehen.“32 Auch diese For-
                                                      mulierung lässt vieles offen. Ob hier Ver-
Wirtschaftspolitik
                                                      staatlichung gemeint ist oder nicht, wird
Im PDS-Programm finden sich ausführli-                nicht deutlich. Wir haben es in beiden Pro-
che Passagen zur „Eigentumsfrage“, die                grammen mit mehr oder weniger traditio-
einen ausgeprägten Kompromisscharakter                nellen Vorstellungen zu tun, die jedoch
tragen. 30 Konkret wird einerseits die Be-            zumindest in ihrer gescheiterten Form
wahrung des öffentlichen Eigentums und                (Staatseigentum) nicht direkt vertreten
deren Ausweitung gefordert. Andererseits              werden. Allerdings forderte die WASG
wird im gleichen Abschnitt der Übergang               kurz vor den Bundestagswahlen sogar „die
staatlichen Eigentums in die Verfügung                Rückführung der privatisierten Bereiche in
anderer Träger unterstützt, „wenn diese               öffentliches Eigentum“. 33 Insgesamt blei-
wirtschaftlich effektiv und auf sozial und            ben die „Vergesellschaftungsforderun-
ökologisch orientierte Weise zusammen-                gen“ eher ein theoretisches Konstrukt.
wirken und die Verfügungsmacht im Inte-               Direkte Konsequenzen für die praktische
resse des Gemeinwohls gestärkt wird“.31               Politik (wer oder was soll wie vergesell-
Die WASG tritt auch für die Bewahrung                 schaftet werden) werden nicht entfaltet.
öffentlichen Eigentums ein. Sie formuliert            Offenbar sehen beide Parteien – und hier
darüber hinaus: „Wo die Durchsetzung                  stärker die WASG – in der „Vergesell-
demokratisch festgestellter öffentlicher              schaftung“ strukturbestimmender Unter-
Interessen es erfordert, sind strukturbe-             nehmen einen Schlüssel für die Lösung
                                                      der wirtschaftlichen und sozialen Probleme
                                                      des Landes. 34 Das schließt die Orientie-
30
   Dies hängt mit dem Bemühen zusammen,               rung auf eine dominant nationalstaatliche
nebeneinander bestehende gegensätzliche               Regulierung der Wirtschaft ein.
Positionen aus dem Programm von 1994 auf-
zulösen. Nunmehr heißt es: „Die Eigentums-            Die PDS und die WASG befürworten quali-
frage als eine Grundfrage sozialistischer Be-         tatives Wirtschaftswachstum. Die PDS
wegung ist für uns vor allem eine Frage der           schränkt dabei ein, dass die „bisherige
realen Verfügung über wirtschaftliche Macht-          Entwicklungsweise“ die Umwelt zerstöre
ressourcen, bei deren Regelung Rechtstitel            und die Lebens- und Konsumweisen de-
eine wesentliche Rolle spielen… Die Alternati-
ve zu kapitalistischem Eigentum besteht des-
halb nicht im umfassenden Staatseigentum,             32
                                                           WASG-Gründungsprogramm, S. 18.
sondern in der demokratischen Entscheidung
                                                      33
über gesellschaftliche Grundprozesse und                 Für einen radikalen Politikwechsel! Linkspar-
über die Förderung jener Eigentumsformen,             tei wählen! WASG stärken!, in: www.w-asg.de
die es am ehesten erlauben, die menschlichen          vom 13.09.2005 Kategorie Politik, Positionen.
Grundgüter effizient bereitzustellen und ge-          34
                                                       Offen bleibt hier auch, was in der modernen
recht zu verteilen.“ PDS-Programm, S. 4.
                                                      Wissensgesellschaft      „strukturbestimmende
31
     Ebenda.                                          Unternehmen“ sind.

                                                 13
formiere. Dies wird von der WASG nicht so              schaftspolitik“. 37 Gleichzeitig fordert sie
weitgehend formuliert. Die PDS will zum                mehr Beschäftigung im öffentlichen Dienst.
Abbau der Massenarbeitslosigkeit die                   Die WASG spricht sich dazu für eine höhe-
Massenkaufkraft stärken und lehnt jedwe-               re Staatsverschuldung aus. Zur Finanzie-
de Absenkung von Lohnersatzleistungen                  rung des Zukunftsinvestitionsprogramms
bzw. Sozialtransfers als wirtschafts- und              sei „nur“ (!) in wirtschaftlichen Schwäche-
gesellschaftsschädigend ab. Sie fordert                phasen kurzfristig eine höhere Kreditauf-
die Einführung von Mindestlöhnen und                   nahme nötig. Die WASG verweist auch auf
unterstützt gewerkschaftliche Auseinan-                „hohe Selbstfinanzierungseffekte“ durch
dersetzungen für Lohnerhöhungen. Auch                  mehr Beschäftigung. Hier wird der reale
ein „zukunftsorientiertes Investitionspro-             Verlauf einer ständig höheren Verschul-
gramm für Arbeit, Bildung, Umwelt und                  dung seit den 70er Jahren ebenso ausge-
Infrastruktur“ sei in konjunkturschwachen              blendet wie die Gefahr eines „Strohfeuers“.
Zeiten geeignet, den Binnenmarkt zu sta-               Auch die strukturellen Probleme in der
bilisieren. Konzentrations- und Fusions-               Wirtschaft spielen offenbar keine Rolle, die
prozesse in der Wirtschaft seien streng zu             durch ein breit gestreutes Investitionspro-
kontrollieren und Monopolmacht spürbar                 gramm nicht gelöst werden. Die Internati-
zu beschränken. 35 In der Haushaltspolitik             onalisierung bleibt ausgeblendet. Neben
setzt sich die PDS für die Verringerung                einem umfangreichen staatlichen Investiti-
von Defiziten mittel- und langfristig ein und          onsprogramm und mehr Beschäftigung im
sieht den Ausweg hier vor allem in höhe-               öffentlichen Dienst sieht die WASG die
ren Staatseinnahmen. „Der enorme Schul-                dritte Säule ihrer Wirtschaftspolitik in der
dendienst engt den staatlichen Hand-                   Stärkung der Binnennachfrage bzw. der
lungsspielraum extrem ein – wer auch                   Massenkaufkraft.
immer ihn nutzen will.“36 Die PDS verweist
                                                       Zusammenfassung: Die wirtschaftspoliti-
auf international operierende Konzerne
                                                       schen Aussagen bei PDS und WASG ge-
und Großakteure auf den internationalen
                                                       hen zunächst in eine ähnliche Richtung:
Finanzmärkten, auf die EU-Ebene, auf der
                                                       Massenkaufkraft und Binnennachfrage
viele Entscheidungen fallen und konsta-
                                                       stärken, Mindestlöhne einführen 38 , ein
tiert letztlich, dass die Linke im internatio-
                                                       öffentliches Investitionsprogramm auflegen.
nalen Maßstab noch nicht zu erfolgreichen
                                                       Unterschiede gibt es vor allem in der Fi-
Gegenstrategien gefunden habe.
                                                       nanzierungs- und Verschuldungsfrage.
Die wirtschaftspolitischen Grundaussagen               Letzteres sieht die PDS, nicht aber die
der WASG sind einfach: Die Probleme                    WASG als Problem. Zieht man das Wahl-
könnten nur gelöst werden, wenn der                    programm der Linkspartei.PDS 2005 mit
Staat seiner gesamtwirtschaftlichen Ver-               heran, dann soll ein Zukunftsinvestitions-
antwortung wieder gerecht werde. Die                   programm „den Strukturwandel zur Infor-
WASG setzt nach wie vor auf national-                  mations- und Wissensgesellschaft för-
staatliche Steuerung ökonomischer Pro-                 dern“ (Investitionen vor allem in hochwer-
zesse. Vor allem favorisiert die Partei ein            tige Bildung und Erziehungseinrichtungen,
großes öffentliches Investitionsprogramm.              in Wissenschaft und Forschung für zu-
Die öffentlichen Investitionen müssten
mindestens verdoppelt werden. Ausdrück-
lich sieht die WASG in dem weit reichen-               37
                                                            Vgl. WASG-Gründungsprogramm, S. 7.
den Investitionsprogramm „den zentralen                38
                                                         Die PDS plädiert in ihrem Wahlprogramm für
Ansatzpunkt einer alternativen Wirt-
                                                       einen Mindestlohn von 1.400 Euro brutto, die
                                                       WASG in ihrem Gründungsprogramm für 1.500
                                                       Euro monatlich oder 9 Euro je Stunde. Voll-
35                                                     zeitarbeit müsse ein Einkommen deutlich o-
  Außerdem wird der Biotechnologie und Gen-
                                                       berhalb des Existenzminimums sichern. „In
technik viel Platz eingeräumt und die Patentie-
                                                       Wirtschaftsbereichen, in denen die niedrigsten
rung von Genen kompromisslos abgelehnt.
                                                       tariflichen Lohngruppen oberhalb dieses Min-
Auch zur Agrarwirtschaft gibt es ausführliche
                                                       destlohnes liegen, sind diese Tarifverträge auf
Passagen, die von der WASG nicht themati-
                                                       Antrag einer Tarifvertragspartei für allgemein-
siert wird. Vgl. PDS-Programm, S. 13.
                                                       verbindlich zu erklären.“ WASG - Gründungs-
36
     PDS-Programm, S. 12.                              programm, S. 13.

                                                  14
kunftsfähige Technologien und Produkte,               Entlastung aller Steuerzahler mit mindes-
die Arbeitsplätze schaffen, in öffentliche            tens absoluten Vorteilen für Mehrverdiener
Daseinsvorsorge und sozial-ökologischen               und Unternehmen gekennzeichnet war
Umbau).39 Bei der WASG handelt es sich                und zu hohen Einnahmeausfällen für den
mehr um ein „klassisches“ Investitionspro-            Staat geführt hat ohne die erhofften
gramm, das stärker Infrastruktur, ein-                Wachstumsziele zu erreichen. Korrekturen
schließlich Verkehrsinfrastruktur, Bauwe-             wie die Reichensteuer der SPD sind oft
sen usw. einschließt und offenbar auch                nicht mehr als Symbolik. Gerade die Steu-
kurzfristiger (je nach Konjunkturlage) an-            erpolitik ist ein sehr konkretes Politikfeld,
gelegt sein soll. Eine Differenz gibt es              bei dem die Unterschiede zwischen PDS
auch zum generellen Ausbau des öffentli-              und WASG einerseits und SPD sowie
chen Dienstes. Die PDS fordert das nicht.             Grünen andererseits deutlich werden.
Im Gegenteil, sie baut aufgeblähte staatli-
                                                      Arbeitszeitpolitik
che Bürokratien (Berlin) ab und tritt für
mehr öffentlich geförderte Beschäftigung              Im PDS-Programm wird noch auf „flexible
ein. Die Stärkung der „öffentlichen Gü-               tarifliche Vereinbarungen zur generellen
ter“ verlangt nicht unbedingt mehr öffentli-          Einführung der 35-Stunden-Woche bei
chen Dienst, auch freie Träger, Genos-                vollem Lohnausgleich und in der ferneren
senschaften oder Selbständige (z. B. Pfle-            Perspektive auf die 30-Stunden-Woche
ge) können in diesem Bereich arbeiten.                orientiert. Gesetzlich soll die maximale
                                                      wöchentliche Regelarbeitszeit auf 40
Steuerpolitik
                                                      Stunden begrenzt werden. Im Wahlpro-
Beide Parteien fordern eine solidarische              gramm der PDS wird diese Aussage rela-
und gerechte Steuerpolitik. Die konkreten             tiviert: „Wir unterstützen die Gewerkschaf-
Forderungen gehen in eine ähnliche Rich-              ten in ihrem Versuch, Arbeitszeitverkür-
tung: hohe Einkommen und Vermögen                     zungen zu vereinbaren. Die fortschreiten-
stärker belasten, ihrer spekulativen Anlage           de Steigerung der Produktivität ermöglicht
entgegenwirken, Steuerentlastung für klei-            auch in Zukunft Arbeitszeitverkürzungen
ne und mittlere Einkommen, (Wie-                      ohne Lohnverzicht. Solange dies nicht
der)Erhöhung des Spitzensteuersatzes,                 durchsetzbar ist, muss zumindest für Be-
Wiederbelebung der Vermögenssteuer,                   schäftigte in den unteren Lohngruppen ein
Reformierung der Erbschaftssteuer, Ab-                voller Lohnausgleich gewährleistet wer-
schaffung des Ehegattensplittings, Steu-              den.“40 Darüber hinaus fordert die PDS in
erhinterziehung und Wirtschaftskriminalität           ihrem Wahlprogramm eine familienfreund-
und Flucht in Steueroasen verstärkt be-               liche Arbeitszeitpolitik, Teilzeitbeschäfti-
kämpfen, das Aufkommen aus Unterneh-                  gung soll vollwertig sozial abgesichert
menssteuern erhöhen, Aufhebung der                    werden.
Steuerbefreiung aus dem Verkauf von
                                                      Während die Linkspartei.PDS nur auf Ar-
Unternehmensbeteiligungen und Börsen-
                                                      beitszeitverkürzungen orientiert, wendet
gewinnen, Tobinsteuer und anderes. Die
                                                      sich die WASG angesichts der dabei real
PDS hat ein eigenes Steuerkonzept vorge-
                                                      auftretenden Probleme zunächst gegen
legt. Die WASG beruft sich auf das Kon-
                                                      Arbeitszeitverlängerungen. Darüber hinaus
zept von ver.di und IG Metall. Hier gibt es
                                                      tritt sie aber auch für Arbeitszeitverkürzun-
zwar in Detailfragen Unterschiede, die
                                                      gen ein, fordert die 35-Stunden-Woche als
Grundrichtung und die Hauptforderungen
                                                      Regelarbeitszeit in allen Wirtschaftsberei-
sind jedoch ähnlich. Die PDS geht in ihrem
                                                      chen und Regionen, insbesondere in Ost-
Steuerkonzept relativ realistisch von
                                                      deutschland. Ebenfalls wird die 30-
Mehreinnahmen in Höhe von 64 Mrd. Euro
                                                      Stunden-Woche als langfristiges Ziel an-
aus, die WASG sogar von 80 Mrd. Euro
                                                      gestrebt. Bei diesen Formulierungen fehlt
jährlich.
SPD und Grüne haben in der Steuerpolitik
eine andere Linie verfolgt, die durch die

39
     Vgl. Wahlprogramm der Linkspartei.PDS, S.
                                                      40
9.                                                         Wahlprogramm der Linkspartei.PDS, S. 10.

                                                 15
der Verweis auf vollen Lohnausgleich,                  Die PDS legt den Focus auf öffentlich ge-
zumindest für die unteren Einkommen. 41                förderte Beschäftigungssektoren (ÖBS)
                                                       zwischen Staat und Privatwirtschaft.44 Ge-
Wird im Berliner Programm noch auf die
                                                       nauere Aussagen über die Funktions- und
Verkürzung der Arbeitszeit und konkret auf
                                                       Finanzierungsweise gibt es nicht. Aller-
die 30-Stunden-Woche in einem sechs-
                                                       dings geht das Wahlprogramm der Links-
stündigen Arbeitstag langfristig orientiert42,
                                                       partei.PDS weiter. Durch Zusammenfas-
so setzt die SPD in der gegenwärtigen
                                                       sung der verschiedenen Mittel sollen statt
Programmdebatte auf eine „intelligente
                                                       AGL II plus Ein-Euro-Jobs alternativ regu-
Arbeitszeitpolitik“ und Flexibilisierung, aber
                                                       läre Arbeitsplätze entstehen.45 Arbeitsplät-
nicht auf eine schematische Verkürzung
                                                       ze in gemeinnützigen Beschäftigungssek-
der Arbeitszeit. 43 Ähnlich äußern sich die
                                                       toren sollen in regionaler Verantwortung
Grünen.
                                                       unter Einbeziehung von Gewerkschaften
Im PDS-Programm heißt es, dass der                     und Arbeitgeberverbänden in transparen-
freiwillige Wechsel zwischen Erwerbsar-                ten Verfahren eingerichtet werden. Außer-
beit, Eigenarbeit, Weiterbildung und ge-               dem soll für gering Qualifizierte ein Qualifi-
sellschaftlichem Engagement und Phasen                 zierungs- und Beschäftigungsprogramm
selbstbestimmter Kombination dieser un-                mit „zeitlich begrenzten Lohnsubventio-
terschiedlichen Tätigkeiten wichtig sind.              nen“ aufgelegt werden (Sozialbeiträge und
Arbeitsmarktpolitik                                    Qualifizierungsaufwand).

Hier gibt es unterschiedliche Akzente und              Die WASG fordert die direkte Ausweitung
konträre Auffassungen zwischen PDS und                 öffentlich getragener und geförderter Be-
WASG.                                                  schäftigung. Der Schwerpunkt liegt hier
                                                       auf dem Ausbau der regulären Stellen im
                                                       öffentlichen Bildungs- und Gesundheits-
                                                       system, im Kulturbereich sowie in Justiz
41
   Die WASG fordert hier auch noch verschie-           und Polizei. Zur Deckung des Bedarfs für
dene recht weitgehende Einzelmaßnahmen:                diese öffentlichen Dienstleistungen müss-
Gesetzliche Regelungen zur Absicherung von             ten mindestens eine Million tariflich be-
Arbeitszeitkonten, insbesondere im Insolvenz-          zahlte Arbeitsplätze neu geschaffen wer-
fall, vorzeitigen Ruhestand (60 Jahre) für             den. Daneben fordert die WASG verstärkt
Schicht- und Nachtarbeiter ohne Renten-                staatliche Unterstützung von Beschäfti-
schmälerung, Arbeitsfreistellungen für Weiter-         gungsmöglichkeiten in unabhängigen,
bildung; Elternfreizeiten oder Beurlaubungen           nicht profitablen Initiativen an. Vor allem
zur Pflege von Angehörigen sollen rentenrecht-
                                                       gering Qualifizierte und ältere Arbeitslose
lich als reguläre Arbeitszeiten anerkannt wer-
den. Diese und ähnliche Forderungen konzent-
                                                       sollten im Rahmen eines öffentlich geför-
rieren sich auf die Verbesserung der Situation         derten Beschäftigungssektors Beschäfti-
bei        den        traditionellen     Kern-         gung bis zur Verrentung angeboten wer-
Arbeitnehmerschichten.                                 den.46
Vgl. WASG-Gründungsprogramm, S. 12/13.
                                                       Lohnnebenkosten und Schwarzarbeit spie-
42
     SPD-Programm, S. 27/28.                           len bei PDS und WASG keine Rolle, wer-
43
   In einem Impulspapier „Zukunft der Ar-              den in der aktuellen Debatte vor allem von
beit“ formulieren Andrea Nahles und Harald             SPD und Grünen thematisiert. Außerdem
Schwartau, dass der hergestellte Zusammen-             heißt es, dass ein großer Teil der Unter-
hang im Berliner Programm zwischen Produk-             nehmen und Beschäftigten den Spielre-
tionssteigerungen und notwendiger Arbeits-             geln der internationalen Finanzmärkte und
zeitverkürzung als einem bzw. dem zentralen            wirtschaftlichen Kurzfristdenken unterliege.
strategischen Instrument sozialdemokratischer          Eine auf Nachhaltigkeit, Wohlstand und
Arbeitspolitik nicht festgehalten werden könne;
die Strukturveränderungen der modernen Ö-
konomie aber auch die Ansprüche der Ver-
                                                       44
braucher und der Erwerbstätigen stünden dem                 Vgl. PDS-Programm, S. 15.
schematischen Ziel „sechsstündiger Arbeitstag          45
                                                          Dazu ausführlich im Wahlprogramm der
in der Fünftagewoche“ entgegen. Vgl. Willy-
                                                       Linkspartei.PDS, S. 8.
Brandt-Haus-Materialien, Berlin, Januar 2005,
                                                       46
S. 14.                                                      Vgl. WASG-Gründungsprogramm, S. 9/10.

                                                  16
Beschäftigung ausgerichtete Politik müsse          „Förderung der regionalen Wirtschafts-
dieser Kurzfristigkeit Grenzen setzen. Der         struktur“ in modernisierter Form. Länder
internationale Wettbewerb auf den der              mit besonderen Struktur- und Haushalts-
Globalisierung ausgesetzten Produkt- und           problemen sollten nicht mehr die Hälfte,
Dienstleistungsmärkten und damit der               sondern nur noch ein Viertel der Förder-
Kostendruck nehmen zu. Politik müsse               mittel kofinanzieren müssen. Die Mittel
deshalb der Verlagerung von industriellen          sollten gezielter zur Förderung wissensba-
Arbeitsplätzen entgegenwirken, soweit              sierter Produktion eingesetzt werden kön-
dies nicht Dumping oder dauerhafte Sub-            nen. Existenzgründer müssten von über-
ventionen zur Folge habe.47                        zogenen bürokratischen Auflagen befreit
                                                   werden. Die Regionen sollten selbst ent-
                                                   scheiden, wofür sie die Mittel verwenden.
 2. Ostdeutschland und andere                      Gefordert wird auch eine leitbildbezogene
   strukturschwache Gebiete                        Regionalplanung. Im Wahlprogramm wird
                                                   auch deutlich auf eine neue Art von In-
Die Aussagen zu Ostdeutschland gehen in            dustrie- und Strukturpolitik orientiert.48
beiden Programmen in die gleiche Rich-
                                                   Die WASG meint, dass ihre vorgeschlage-
tung, sind aber nicht deckungsgleich. Die
                                                   nen Investitionsprogramme vor allem in
PDS ist hier ausführlicher. Die Zukunftsfä-
                                                   strukturschwachen Regionen die Entwick-
higkeit Ostdeutschlands könne nicht als
                                                   lung fördern sollen. Offenbar ist das für
Niedriglohngebiet erreicht werden. Sie
                                                   den Osten zusätzlich zu den Fördermitteln
müsse auf Innovation beruhen, unterstützt
                                                   Aufbau Ost vorgesehen. Spezifische Defi-
durch einen Bundesfonds für soziale, öko-
                                                   zite in Ostdeutschland etwa in der Infra-
logische und kulturelle Gemeinschaftsauf-
                                                   struktur müssten durch spezielle Förder-
gaben. Bürgerhaushalte und regionale
                                                   programme abgebaut werden. Ein beson-
Leitbilder müssten entstehen, darauf könn-
                                                   derer Schwerpunkt des Investitionspro-
ten Länderentwicklungsprogramme aufge-
                                                   gramms soll offenbar auf der Infrastruktur
baut werden. Die im Solidarpakt II nach
                                                   liegen. Hier gibt es einen Unterschied zur
2010 vorgesehenen Investitionen im Rah-
                                                   PDS, die das in ihrem Wahlprogramm
men des Aufbauprogramms Ost sollten
                                                   nicht mehr als Schwerpunkt ansieht, son-
weit gehend auf den Zeitraum bis 2010
                                                   dern Investitionen vor allem in Bildung und
vorgezogen und durch effektive Wirt-
                                                   Innovation befürwortet. Die WASG will an
schaftsförderung und zukunftsorientierte
                                                   konkreten Schwachpunkten der Industrie
Wirtschaftspolitik gebündelt, koordiniert
                                                   ansetzen und insbesondere Unterneh-
und wirksamer eingesetzt werden. Gefor-
                                                   menskooperationen, Forschung und Ent-
dert wird im PDS-Programm gestärkte
                                                   wicklung, Marktzugänge, Arbeitsorganisa-
Massennachfrage durch Angleichung von
                                                   tion, Qualifizierungsprogramme und Pro-
Löhnen, Gehältern, Arbeitszeit und Renten
                                                   duktinnovationen fördern. Hier gibt es wie-
an den westdeutschen Standard. Beson-
                                                   der Übereinstimmung mit der PDS. Ge-
ders wichtig für Ostdeutschland sei die
                                                   meinsamkeiten mit der PDS bestehen
Verbesserung der kommunalen Investiti-
                                                   auch bei der Forderung, dass eine zielge-
onsfähigkeit durch bessere Finanzausstat-
                                                   richtete Förderung der Neuen Länder und
tung.
                                                   strukturschwacher Regionen in ein Ge-
Wie die WASG geht auch das Wahlpro-                samtkonzept eingebunden sein müsse. 49
gramm der Linkspartei.PDS von Ost-                 Eine spezifische Forderung der Linkspar-
deutschland und den strukturschwachen              tei.PDS ist, die Ostdeutschen stärker an
Gebieten im Westen aus und fordert hier            der politischen Meinungsbildung und Ent-
einen Neuansatz. Gefordert wird nicht              scheidungsfindung zu beteiligen. Insge-
mehr das Vorziehen der Investitionsmittel.         samt aber gibt es bei beiden Parteien viele
Strukturschwache Länder wie die ostdeut-           Einzelforderungen auf ökonomischem Ge-
schen brauchten weiterhin ein Förderin-
strument wie die Gemeinschaftsaufgabe
                                                   48
                                                      Wahlprogramm der Linkspartei.PDS, S.
47                                                 17/18.
  Vgl. Andrea Nahles/Harald Schartau, Eine
                                                   49
neue Politik der Arbeit, a. a. O., S. 2.                WASG-Gründungsprogramm, S. 8/9.

                                              17
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