Für einen freien Bildungszugang: Ja zur Stipendieninitiative! - Aufwertung und Anerkennung der höheren Berufsbildung Anstösse zu früher Bildung
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Nummer 190 / März 2015 Zeitschrift für Bildung, Erziehung und Wissenschaft Für einen freien Bildungszugang: Ja zur Stipendieninitiative! Aufwertung und Anerkennung der höheren Berufsbildung Anstösse zu früher Bildung
inhalt Zeitschrift für Bildung, Erziehung und Wissenschaft Ausgewählte Artikel der aktuellen Nummer der vpod bildungspolitik sind auch auf unserer Homepage zu finden. Jeweils zwei Monate nach Erscheinen sind die vollständigen Hefte als pdf abrufbar: vpod-bildungspolitik.ch Impressum Redaktion / Koordinationsstelle Birmensdorferstr. 67 Postfach 8279, 8036 Zürich Tel: 044 266 52 17 Fax: 044 266 52 53 stipendieninitiative aktuell Email: redaktion@vpod-bildungspolitik.ch Homepage: www.vpod-bildungspolitik.ch Der VPOD unterstützt die Stipendien- 18 Kurznachrichten initiative des Verbands schweizeri- Herausgeberin: Trägerschaft im Rahmen des scher Studierendenschaften. 20 Protestbewegungen in Spanien Verbands des Personals öffentlicher Dienste VPOD Abgestimmt wird am 14. Juni 2015. Im Bildungsbereich wehrt sich Marea Verde Einzelabonnement: Fr. 40.– pro Jahr (5 Nummern) gegen die neoliberale Sparpolitik. Einzelheft: Fr. 8.– Kollektivabonnement: Sektion ZH Lehrberufe; 05 Für Bildungs- und Lehrberufsgruppen AG, BL, BE (ohne Biel), LU, SG. 23 Gewerkschaftspolitische Bildung Chancengerechtigkeit Das Bildungsangebot von Movendo. Satz: erfasst auf Macintosh Die Stipendieninitiative setzt um, was schon lange Layout: Sarah Maria Lang, Brooklyn selbstverständlich sein sollte. Titelseite Foto: das_banni / photocase.de Druck: Ropress, Zürich 08 Für einen freien Bildungszugang Ausbildungsmöglichkeiten und Studiengänge film ISSN: 1664-5960 gibt es einige, jedoch bleiben diese bisher vielen 24 Wadjda Menschen versperrt. Erscheint fünf Mal jährlich Ein saudi-arabisches Mädchen kämpft um Redaktionsschluss Heft 191: seine Freiheit. 09 Vergleichsweise wenig Stipendien 18. Mai 2015 Die Schweizer Bildungsausgaben entsprechen 26 Bildungsanstösse Auflage Heft 190: 3500 Exemplare nur dem EU-Durchschnitt. Die öffentlichen Zwei Filme über Bildung im Frühbereich. Zahlungen: Unterstützungsleistungen liegen deutlich darunter. PC 80 - 69140 - 0, vpod bildungspolitik, Zürich Inserate: Gemäss Tarif 2011; die Redaktion kann die Aufnahme eines Inserates ablehnen. frühe bildung höhere berufsbildung Redaktion 28 Elternarbeit Verantwortlich im Sinne des Presserechts 10 Kinderbetreuung zwischen FABE Interkulturelle Kompetenzen für den Umgang Johannes Gruber und Höheren Fachschulen mit Eltern mit Migrationshintergrund. Die Arbeit mit Kindern bedarf einer qualifizierten Redaktionsgruppe Ausbildung. Christine Flitner, Markus Holenstein, Ernst Joss, Ute Klotz, Ruedi Lambert (Zeichnungen), 14 Aufwertung und internationale Urs Loppacher, Thomas Ragni, Martin Stohler, Anerkennung Ruedi Tobler, Peter Wanzenried Die Einführung eines «Professional Bachelor» ist der falsche Weg. Beteiligt an Heft 190 Frank Dayen, Christine Goll, Marisa Hangartner, 16 Einstufung der Bildungsabschlüsse Ideenkoch – Fotolia.com Luisa Jakob, Susi Oser, Véronique Polito, Mit dem «Nationalen Qualifikationsrahmen» soll die Katharina Prelicz-Huber, Thomas Roth, Nora (höhere) Berufsbildung besser positioniert werden. Schmidt, Andreas Schubiger, Claudia Taverna, Sybille Zürcher 2 vpod bildungspolitik 190
editorial E in Gastkommentar Mauro Dell’Ambrogios, der Im internationalen Vergleich jedoch zeigen die Statis- am 3. März in der NZZ erschien, trägt den tiken ein erschreckendes Zurückfallen der Schweiz, Titel «Und sie bewegt sich doch, die Schwei- wenn es um die Unterstützung von SchülerInnen, Aus- zer Bildungspolitik». Wer den Text liest, merkt zubildenden und Studierenden mit öffentlichen Mitteln schnell, in welche Richtung diese sich zu bewegen wie Stipendien geht (vgl. S. 9, Grafik 3). Das gesamt- droht. Der Staatssekretär für Bildung, Forschung und schweizerische Stipendienvolumen hat zudem seit Innovation vergleicht die Schweizer Bildungspolitik 1993 nochmals stark abgenommen (vgl. S. 8). Dies mit der «Strategie eines Investors», dabei macht er führt dazu, dass zwar drei Viertel der Studierenden aus der Not einer fehlenden nationalen Bildungspolitik trotz Vollzeitstudium einer Erwerbsarbeit nachgehen, eine Tugend und verklärt dieses Defizit als Ursache gleichzeitig aber durchschnittlich mehr als die Hälfte einer von ihm selbst diagnostizierten «international des Budgets der Studierenden von den Eltern stammt. anerkannte[n] Stärke des Schweizer Bildungssys- tems». Folgt man Dell’Ambrogio soll es sich anschei- Diese Elternabhängigkeit existiert nicht nur im Stu- nend lohnen, gerade in bestimmten Bereichen nicht dium. In der Schweiz, in der von offizieller Seite die zu investieren. So legt er nahe, dass es nicht darum Berufsbildung als Königsweg einer renditeverspre- gehen könne, die «Einzelnen von jedem Risiko und chenden Bildung angepriesen wird, kann nicht jeder jeder Eigenverantwortung fernzuhalten.» Während an- Jugendliche sich eine Lehre leisten, nicht jede junge dere Länder sich in den letzten Jahrzehnten dazu hät- Erwachsene eine Tertiärausbildung an einer Höheren ten verleiten lassen, bildungspolitisch das «irrtümliche Fachschule absolvieren. Auch hier würde die Stipen- Ziel der ‹Chancengleichheit›» zu verfolgen, hätte die dieninitiative zu mehr Chancengleichheit führen. Doch Schweiz derartige «unwiderrufliche Fehler vermeiden offensichtlich wollen nicht alle diese wirklich. Wer können.» sich gegen Chancengleichheit ausspricht, schadet unserem Land auch volkswirtschaftlich, jedoch viel In der Tat steht es um die «Chancengleichheit» im mehr noch kulturell, sozial und politisch. Ein Bildungs- Schweizer Bildungssystem nicht zum Besten. Um dies system, das ausschliesslich diejenigen fördert, die es zu ändern, beziehungsweise die Schweizer Bildungs- sich aufgrund materiellen und ideellen Rückhalts ihrer politik in die richtige Richtung zu bewegen, engagiert Herkunftsfamilie ohnehin leisten können, in ihre Bil- sich der VPOD für die «Stipendieninitiative» des Ver- dungslaufbahn zu investieren, ist undemokratisch und bands schweizerischer Studierendenschaften VSS, unsozial – bezahlt macht es sich lediglich für die, die über die am 14. Juni 2015 abgestimmt wird. Katharina ihre Privilegien behalten und innerfamiliär weitergeben Prelicz-Huber zufolge wird durch das derzeitige Sti- wollen. Sagen wir deswegen am 14. Juni 2015 ja zur pendienwesen gegen das in der Bundesverfassung Stipendieninitiative! enthaltene Recht auf Bildung verstossen, indem «der Zugang zu Bildung und das individuelle Ausbildungs- niveau noch immer so stark von den Eltern und deren Geldbeutel abhängen statt von der Kompetenz und der Motivation der Jugendlichen.» (Seite 6). Und auch von der geographischen Herkunft, muss man hinzu- fügen: Die Lage stellt sich in den einzelnen Kantonen Johannes Gruber sehr unterschiedlich dar. Redaktion vpod bildungspolitik vpod bildungspolitik 190 3
Abstimmung über die Stipendieninitiative am 14. Juni 2015. Text der Stipendieninitiative des Verbands schweizerischer Studierendenschaften. Im Bundesblatt veröffentlicht am 20. Juli 2010; Ablauf der Sammelfrist: 20. Januar 2012 Die unterzeichneten stimmberechtigten Schweizer Bürgerinnen und Bürger stellen hiermit, gestützt auf Art. 34, 136, 139 und 194 der Bundesverfassung und nach dem Bundesgesetz vom 17. Dezember 1976 über die politischen Rechte, Art. 68ff, folgendes Begehren: I. Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert: Art. 66 Ausbildungsbeiträge 1 Die Gesetzgebung über die Vergabe von Ausbildungsbeiträgen an Studierende von Hochschulen und anderen Institutionen des höheren Bildungswesens und über die Finanzierung dieser Beiträge ist Sache des Bundes. Der Bund berücksichtigt dabei die Anliegen der Kantone. 2 Die Ausbildungsbeiträge gewährleisten während einer anerkannten tertiären Erstausbildung einen minimalen Lebensstandard. Die anerkannte tertiäre Erstausbildung umfasst bei Studiengängen, die in Bachelor- und Masterstufe gegliedert sind, beide Stufen; diese können an unterschiedlichen Hochschultypen absolviert werden. 3 Der Bund kann den Kantonen Beiträge an ihre Aufwendungen für Ausbildungsbeiträge an Personen auf anderen Bildungsstufen ausrichten. Er kann ergänzend zu kantonalen Massnahmen die interkantonale Harmonisierung der Ausbildungsbeiträge fördern; dabei wahrt er die kantonale Schulhoheit. 4 Für den Vollzug des Ausbildungsbeitragswesens sind die Kantone zuständig, soweit das Gesetz ihn nicht dem Bund vorbehält. Die Kantone können Ausbildungsbeiträge ausrichten, die über die Beiträge des Bundes hinausgehen. II. Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt geändert: Art. 197 Ziff.8 (neu) 8. Übergangsbestimmung zu Art. 66 (Ausbildungsbeiträge) 1 Treten die Ausführungsgesetze zu Artikel 66 Absatz 1-4 nicht innerhalb von vier Jahren nach Annahme durch Volk und Stände in Kraft, so erlässt der Bundesrat die nötigen Ausführungsbestimmungen vorübergehend auf dem Verordnungsweg. 2 Im Falle einer vorübergehenden Verordnung wird der minimale Lebensstandard berechnet aufgrund: a.der materiellen Grundsicherung gemäss den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe; und b.der Ausbildungskosten. 4 vpod bildungspolitik 190
stipendieninitiative Stipendien für Bildungs- und Chancengerechtigkeit! Am 14. Juni 2015 wird über die Stipendieninitiative abgestimmt. Der VPOD sagt ja. Es geht um einen freien Zugang zu Bildung und Ausbildung – unabhängig von der sozialen Herkunft. Von Katharina Prelicz-Huber D ie Stipendieninitiative, die am 14. Juni 2015 zur Abstimmung kommt, setzt um, was schon lange eine Selbstverständlichkeit vereinheitlicht werden und von den Kanto- nen zum Bund wechseln. Dabei sollen die Anliegen der Kantone zwar berücksichtigt Weiterbildungen während und nach der Lehre oder in späteren Jahren des Lebens – ganz nach dem Motto des lebenslangen Lernens. sein müsste. Steht doch in der Bundesverfas- werden, aber auf einer einheitlichen, für die Mit den Übergangsbestimmungen wäre ge- sung das Recht auf Bildung für Alle: diese soll ganze Schweiz gültigen Regelung basieren. währleistet, dass diese Regelungen innerhalb individuell fördern und zur Berufsausübung Der Vollzug soll weiterhin bei den Kantonen von vier Jahren nach Annahme durch Volk befähigen, egal aus welcher Familie ein Kind bleiben. Für die Auszahlung hätten sich diese und Stände in Kraft treten würden. kommt. Dieses Recht beinhaltet also auch aber an die Bundesregelungen zu halten, ein Studium für ein Kind, dessen Eltern eine könnten allerdings höhere Ansätze vorsehen. Keine reichen Eltern: Pech! Ausbildung mit eigenen Mitteln nicht finan- Zweitens sollen die Ausbildungsbeiträge Die Stipendieninitiative bringt es auf den zieren können. Oder auch eine Lehre und während einer anerkannten tertiären Erstaus- Punkt: Endlich genügend finanzielle Mittel, eine spätere Weiterbildung inklusive Studium bildung (Bachelor- und Masterstufe) einen damit auch wirklich alle und in jeder Lebenssi- für Jugendliche aus armem Elternhaus sowie minimalen Lebensstandard gewährleisten. tuation eine Aus- und Weiterbildung machen für Erwachsene aus dem Niedriglohnbereich. Dieser berechnet sich gemäss Initiative aus können. Eine markante und zentrale Verbes- Laut Initiative soll die Bundesverfassung in dem Existenzminimum nach den Richtli- serung der jetzigen Situation: Heute werden Art. 66 mit den Absätzen zu den Ausbildungs- nien der Schweizerischen Konferenz für Stipendien sehr zurückhaltend vergeben beiträgen ergänzt werden: öffentliche Sozialhilfe SKoS und aus den und reichen nicht zum Leben. Das müssen Erstens soll die Gesetzgebung über die Ausbildungskosten. sie aber, damit wirklich auch Menschen in stm / photocase.de Vergabe von Ausbildungsbeiträgen an Stu- Drittens soll der Bund die Kantone finanzi- finanzieller Armut ein Studium und/oder eine dierende von Hochschulen und anderen ell unterstützen bei ihren Aufwendungen für Weiterbildung ergreifen können. Institutionen des höheren Bildungswesens Ausbildungsbeiträge an Personen auf ande- Der jüngste Bildungsbericht 20141 belegt und über die Finanzierung dieser Beiträge ren Bildungsstufen. Also auch für Aus- und es: Die universitäre Ausbildung bleibt das vpod bildungspolitik 190 5
stipendieninitiative Vorrecht der Privilegierten. Das Kind eines und deren Geldbeutel abhängen statt von der finanzielle Unterstützung. Das Weiterbil- Vaters mit Universitätsabschluss hat zweimal Kompetenz und der Motivation der Jugend- dungsgesetz, das zurzeit in parlamentarischer mehr Chancen auf ein akademisches Studi- lichen. Das Recht auf gute Bildung für Alle Beratung ist, bringt nichts Substantielles. Es um. Diese Kinder sind doppelt privilegiert: Sie ist ein elementares Menschenrecht, das hier- bleibt weitgehend der Initiative des/der Ar- haben Eltern, die aufgrund des eigenen Bil- zulande bisher nicht eingelöst wird. Bildung beitnehmenden überlassen, ob er oder sie sich dungshintergrundes ihre Kinder intellektuell ist aber auch die wichtigste Ressource der weiterbilden will. Die rasante technologische unterstützen und fördern können. Zudem Schweiz. Zu diesem Gut muss Sorge getra- Entwicklung verlangt allerdings eine stetige haben sie die nötigen Mittel, sich wenn nötig gen werden. Die in der Stipendieninitiative Weiterbildung, will man als ArbeitnehmerIn zusätzliche Lern- und Unterstützungsan- vorgeschlagenen Verbesserungen würden die nicht über kurz oder lang aus dem Erwerbs- gebote für die Kinder organisieren und Chancengleichheit enorm erhöhen und das leben rausgespült werden. Trotzdem ist es später ein Studium oft samt Lebensunterhalt Recht auf Bildung für alle einlösen. stark vom persönlichen Geldbeutel abhängig, finanzieren zu können. Kinder aus unteren ob man sich eine oft teure Weiterbildung Schichten haben diese Privilegien nicht. Sie Föderalistische Lotterie leisten kann. haben meist Eltern, die sie weder bei den Es darf nicht sein, dass der Zugang zu Es hängt auch vom Goodwill der Arbeitge- Hausaufgaben unterstützen können, noch höherer Bildung von der sozialen oder gar ber ab, ob sie MitarbeiterInnen in der Weiter- die finanziellen Mittel haben, ein Studium geographischen Herkunft abhängig ist. Die bildung unterstützen, finanziell und/oder mit bezahlen zu können. kleinräumige Schweiz leistet sich bis heute Anrechnung auf die Arbeitszeit. In einzelnen Heute gehen laut einer Studie des Bun- einen absurden und vor allem ungerechten Branchen mit guten Gesamtarbeitsverträgen desamts für Statistik (BfS)2 drei Viertel der Stipendienföderalismus und bewirkt eine (GAV) und/oder Bildungsfonds bezahlen die Studierenden einer Erwerbsarbeit nach. krasse Ungleichbehandlung zwischen den Sozialpartner einen (grossen) Teil der Fortbil- Seit der Bologna-Reform ist es aber deutlich Studierenden. Ob jemand Zugang zu Bil- dung ihrer Beschäftigten. Leider untersteht schwieriger geworden, Studium und Job unter dung hat, hängt in der Schweiz auch vom in der Schweiz weniger als die Hälfte der einen Hut zu bringen. Durch die Verschulung Wohnkanton ab. Einige Kantone unterstützen Beschäftigten einem GAV, und nur wenige des Studiums bleibt wenig Raum für eine ausbildungswillige Jugendliche effizient, GAV sehen explizit eine Unterstützung der individuelle Studienplanung. Viele Studien andere verschränken bloss die Arme. Je (höheren) Berufsbildung vor. Es zeigt sich sind faktisch «Vollzeit-Stellen» mit einer nach Wohnort variiert der Umfang und die weiter, dass je grösser ein Unternehmen ist, Präsenzpflicht von gegen 40 Stunden die Anspruchsberechtigung der Stipendien stark desto eher haben die Beschäftigten Zugang Woche und zusätzlich unzähligen Stunden und ist in keinem Kanton existenzsichernd. So zur höheren Berufsbildung. In der Schweiz von erwarteter Heimarbeit. Gemäss BfS können in einem Kanton 1200 und im andern dominieren aber die KMU; auch diese Mit- investieren die Studierenden pro Woche 3800 Franken pro Semester ausbezahlt wer- arbeitenden müssen Zugang zur höheren durchschnittlich 38 Stunden ins Studium und den. Für Jugendliche aus finanzschwachen Berufsbildung haben. Leicht besser sieht es in 7 Stunden in die Erwerbsarbeit. Aufgrund des Familien wird der Zugang zu einer Ausbil- der öffentlichen Verwaltung aus, wo teilweise geringen Pensums, das neben dem Studium dung zur Lotterie! eigene Weiterbildungsangebote und gewisse überhaupt noch machbar ist, bleibt das selbst (finanzielle) Anreize vorhanden sind, sich erwirtschaftete Einkommen bescheiden. Es Auch für Berufslehre Stipendien! weiterzubilden. Sehr gerne sind in letzter macht nur gerade ein Drittel (36 Prozent) Wählt jemand den Weg der Berufslehre und Zeit aber gerade die Budgetposten für Wei- des studentischen Budgets aus, das inklusive will sich später weiterbilden, ist die Situation terbildung Opfer von Sparmassnahmen beim Wohnkosten durchschnittlich 1870 Franken weit schlimmer und die Chancenungleichheit Bund, den Kantonen und den Gemeinden. pro Monat beträgt. 55 Prozent davon finan- grösser, weil die Kosten, die Bildungsinter- Der Bildungsbericht 20143 zeigt auch, dass zieren die Eltern. Wer diese Eltern nicht hat, essierte tragen müssen, teilweise sehr hoch Männer mehr als doppelt so häufig (30 Pro- hat Pech gehabt. sind. Erfreulich ist deshalb, dass die Initiative zent) als Frauen (14 Prozent) von höherer Be- auch für die höhere Berufsausbildung grosse rufsbildung profitieren. Neben weniger Lohn Stipendien für eine bessere Verbesserungen bringt. werden die Frauen also auch viel weniger zu Chancengerechtigkeit Schon die Lehre finanzieren zu können, höherer beruflicher Qualifizierung animiert. WerkstudentIn zu sein, ist zudem sehr ist nicht allen Jugendlichen möglich. An Weiter profitieren diejenigen, die schon privi- anstrengend und verlangt, neben der vollen die 20000 Lehrlinge und AbsolventInnen legierter sind, denn je mehr jemand verdient, Konzentration auf das Studium noch Kraft von Vollzeit-Berufsschulen beziehen heute desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass für den Brotjob zu haben. Die hohe Belas- Stipendien – nach ganz unterschiedlichen er/sie eine höhere Berufsbildung absolviert. tung ist deshalb auch einer der häufigsten und nicht immer nachvollziehbaren Kriterien. Dabei hätten die NiedriglohnbezügerInnen Gründe, warum ein Studium vor Abschluss Eine Harmonisierung und höhere Finanzie- diese am nötigsten, um ihre Chancen auf dem abgebrochen wird. Es erstaunt nicht, dass die rung ist auch in diesem Bereich unerlässlich. Arbeitsmarkt verbessern zu können. BfS-Studie feststellt, dass Studierende aus Obwohl Lehrlinge entlöhnt sind, reicht es Unterschichtenfamilien und dem unteren ihnen oft bei weitem nicht für ein würdiges Höchste Zeit! Mittelstand am stärksten auf die Erwerbs- Leben. Immer wieder kommt es deshalb vor, Der Bundesrat hat im August 2014 endlich arbeit angewiesen sind. Da diese seit der dass Lehrlinge ihre Ausbildung aus finanzi- seine Absicht bekanntgegeben, die Berufsbil- Verschulung der Studiengänge im Bologna- ellen Gründen abbrechen, um einen wenig dung stärken zu wollen. Er will Gelder freige- Regime nur noch in beschränktem Rahmen qualifizierten, aber deutlich besser bezahlten ben zur finanziellen Entlastung von Personen, ausgeübt werden kann, hat diese Reform die Job anzutreten. Die Folgen können ein Leben die sich auf eidgenössische Berufsexamen Chancenungleichheit im Schweizerischen lang wirken. Das Fehlen einer beruflichen (Eidgenössische Fachausweise, Diplome) Hochschulsystem weiter verschärft. Immer Grundausbildung ist häufig die Quelle von vorbereiten. Künftig soll allen Personen, die dringender wären ausreichende Stipendien. Armut und Prekarität. sich auf Berufsexamen vorbereiten, die Hälfte Es ist unfassbar und wider die Bundesver- der Studiengebühren finanziert werden. Er fassung, dass der Zugang zu Bildung und Recht auf Weiterbildung! will zudem für eine bessere Vergleichbarkeit das individuelle Ausbildungsniveau in der Wir haben wenig verbrieftes Recht auf Wei- und Anerkennung der höheren Berufsbil- Schweiz noch immer so stark von den Eltern terbildung und keine einheitlich geregelte dungsabschlüsse im In- und Ausland sorgen. 6 vpod bildungspolitik 190
stipendieninitiative Höchste Zeit, dass etwas passiert. Wir Gewerkschaften haben schon 2009 «Bil- dungsgutscheine» gefordert, die es jungen Menschen nach Abschluss der Berufslehre erlauben, ihre Berufsausbildung ohne horren- de Kosten weiterzuführen. Lehrlinge, die ihre Ausbildung ausserhalb der akademischen Bildungsgänge fortsetzen, werden heute benachteiligt. Während GymnasiastInnen die Ausbildung ohne grosse Kosten fortsetzen können, müssen nach Abschluss einer Be- rufslehre im Schnitt 10000 Franken für einen eidgenössischen Fachausweis, 15000 für ein höheres Fachdiplom (ohne Prüfungsgebüh- ren) bezahlt werden. Noch teurer können Nachdiplomstudien oder qualifizierte Wei- terbildungen werden. Nicht eingerechnet ist auch der Lohnausfall, wenn wegen Weiterbil- dung die Arbeitszeit reduziert werden muss. Die Finanzierung der Vorbereitungskurse für eidgenössische Prüfungen würde die Diskri- minierung der Berufsausbildung gegenüber der Gymnasialausbildung verringern. Bundesbeiträge an höhere Berufsausbil- dungen bedingen jedoch eine Gesetzesän- derung und müssen durch das Parlament beschlossen werden. Da der Bundesrat parallel dazu weitere Steuersenkungen plant, sind diese Bildungsreformen akut gefährdet. Denn die massiven Steuerausfälle erhöhen den Druck für weitere Sparprogramme auch bei der Bildung bei Bund und Kantonen. Statt mehr zu investieren zur Unterstützung von Bildungswilligen hat sich das Stipendien- volumen in der Schweiz inflationsbereinigt in den letzten 20 Jahren um mehr als 25 Prozent verringert.4 Allein der Bund reduzierte seinen Subventionsanteil seit 1990 von 40 auf gerade noch 9 Prozent und zahlt konkret von über 100 Millionen Franken im Jahr 1998 seit 2011 noch 25 Millionen jährlich. Gleichzeitig haben aber die Studierendenzahlen auf Se- kundarstufe II sowie im Tertiärbereich stetig zugenommen. Heute beziehen nur gerade 8 Prozent aller Jugendlichen in Ausbildung ein Stipendium – und meist nur ein geringes. ein Interkantonales Stipendienkonkordat verweigert unseren Jugendlichen die Unter- Nötig wäre gemäss Studien die Unterstützung baut und weiterhin keine einheitlichen und stützung, die sie in ihrer Ausbildung bis zum von etwa 20 Prozent der Auszubildenden. existenzsichernden Leistungen vorsieht. Abschluss auf tertiärer Ebene so nötig hätten. Dies wäre unverantwortlich in einer Zeit mit Für den VPOD und die Gewerkschaften ist Neoliberale Steuer- und grossem Fachkräftemangel und nach der aber klar, dass nur die Initiative, nicht aber Sparpolitik bekämpfen! isolationistischen Abstimmung vom 9. Feb- der Gegenvorschlag, den Zielen von Chancen- Die Beratungen zur Initiative sind im Parla- ruar 2014. Der schweizerische Arbeitsmarkt gleichheit und Bildungsförderung entspricht. ment abgeschlossen. Nach dem Ausschluss wächst, die Personenfreizügigkeit wird aufs Sie ermöglicht allen, die wollen, eine optimale der Schweiz aus den EU-Forschungs- und Spiel gesetzt – und die Schweiz versteift Aus- und Weiterbildung. Deshalb ein klares JA Austauschprogrammen Horizon 2020 und sich weiterhin im Sparen bei der Bildung am 14. Juni 2015 zur Stipendieninitiative! Erasmus+ als Folge der Annahme der Mas- als sei nichts geschehen. Die neoliberale 1 SKBF (2014) Bildungsbericht 2014. Aarau. seneinwanderungsinitiative hätte sich mit der Steuerpolitik hinterlässt Sparprogramm um 2 BFS (2015): Studien und Lebensbedingungen an den Schweizer Stipendieninitiative eine gute Gelegenheit ge- Sparprogramm in den Kantonen, die immer Hochschulen. Hauptbericht 2013 zur sozialen und wirtschaftlichen Lage boten, die höhere Bildung wieder zu stärken. auch die Bildung treffen, vom Kindergarten der Studierenden. Neuchâtel. 3 SKBF (2014) Bildungsbericht 2014. Aarau. Obwohl der Bedarf einer Harmonisierung bis zu den tertiären Institutionen. Und in 4 BFS (2014), Ausbildungsbeiträge: Kantonale Stipendien und Darlehen, erkannt wurde, bevorzugten die Räte einen diesem Moment soll die kantonale Kompetenz Durchschnittlicher Betrag und Anteil BezügerInnen 2013. Neuchâtel. indirekten Gegenvorschlag, der faktisch den hinsichtlich der Ausbildungsbeiträge gestärkt Status Quo zementiert. werden. Zynisch! So soll das bestehende Bundesgesetz Die Anhänger von weniger Staat haben sich Katharina Prelicz-Huber ist Präsidentin des VPOD VSS durch ein neues ersetzt werden, das auf im Parlament durchgesetzt. Diese Mehrheit Schweiz. vpod bildungspolitik 190 7
stipendieninitiative Stipendien für einen freien Bildungszugang! Die Stipendieninitiative verbessert die Fairness beim Zugang zur Bildung. Es ist darum wichtig, diese am 14. Juni 2015 mit einem Ja zu unterstützen. Von Luisa Jakob sität schweizweit seit 1993 inflationsbereinigt um fast einen vereinheitlichen. Viertel abgenommen2. Gleichzeitig nimmt Von einem Ausbau die Erwerbstätigkeit der Studierenden stark der Stipendien pro- zu, 75 Prozent der Studierenden arbeiten fitieren nicht nur neben dem Studium3. Eine weitere Proble- junge Leute, son- matik ist die föderalistische Ausgestaltung dern auch gestan- des Schweizerischen Stipendienwesens. So dene Berufsleute, unterscheiden sich die Kriterien für die Sti- die beispielsweise pendienberechtigung, der Stipendienumfang die Meisterprüfung und die Anzahl Stipendienberechtigter von absolvieren wollen. Kanton zu Kanton. So erhalten beispielsweise Diese Investition im bereits erwähnten Kanton Nidwalden zahlt sich aus, da nur 0.4 Prozent der Wohnbevölkerung ein der Wirtschaft spä- Stipendium. Dieses beträgt dann auch nur ter gut ausgebildete durchschnittlich 6000 Franken. Während Arbeitskräfte zur hingegen im Kanton Waadt etwas mehr als Verfügung stehen. 0.8 Prozent der Bevölkerung ein Stipendium Denn Stipendien erhalten und dieses durchschnittlich über sind besonders in 9500 Franken liegt.4 Der VSS (Verband der Ausbildungen wich- Schweizer Studierendenschaften) hat deshalb D ie Schweiz bietet jungen Menschen zwar eine qualitativ hochstehende Aus- bildung auf allen Ebenen (ETHs, Fachhoch- tig, neben denen man nicht arbeiten kann. Dies ist insbesondere bei Ausbildungen im Gesundheits- oder Ingenieurbereich der Fall. eine Volksinitiative eingereicht, welche einer- seits die Vergabe von Stipendien schweizweit einheitlich regelt und andererseits festlegt, schulen, Universitäten und in der höheren Mit einem faireren Stipendienwesen kann dass ein Stipendium den minimalen Lebens- Berufsbildung) an, sorgt sich jedoch nicht verhindert werden, dass sich die junge standard decken muss. Der VSS fordert, dass darum, dass sie diese auch absolvieren Nidwaldnerin aus dem obigen Beispiel aus der Staat seiner Aufgabe, für einen freien können. Weil Innovation und Wissenschaft Geldgründen gegen eine Weiterbildung ent- Zugang zur Bildung – nach Fähigkeiten und tragende Pfeiler unserer Gesellschaft sind, scheidet. So wird der Zugang zur Bildung für nicht nach finanziellem Hintergrund – zu ist der freie Zugang zu den verschiedenen alle ermöglicht und sorgt in diesem Fall auch sorgen, nachkommt. Es gibt zur Initiative Bildungsinstitutionen jedoch grundlegend. für den dringend benötigten Nachwuchs. Vie- einen indirekten Gegenvorschlag. Dieser le studieren heute an einer Fachhochschule, löst das Problem der unfairen Stipendien- Für wen und wozu gibt es an der prinzipiell Vollzeit oder berufsbeglei- vergabe jedoch nicht. Den Kantonen werden Stipendien? tend studiert wird. Aber auch an den ETHs nur ein paar Grundregeln, welche Personen Um die Problematik des Schweizerischen und Universitäten gibt es die Tendenz zum überhaupt Stipendien beziehen können, vor- Stipendienwesens zu erläutern, muss vorab Vollzeitstudium, neben dem man kaum mehr gegeben. Die unfairen Unterschiede zwischen erst einmal geklärt werden, was ein Stipen- arbeiten kann, um sich das Studium selbst zu den Kantonen bleiben dabei aber weiterhin dium denn genau ist. Es ist ein finanzieller finanzieren. bestehen. Zuschuss für junge Leute aus Familien mit wenig Geld, damit sie die Ausbildung ma- Was hat sich verändert? Gegen eine Privatisierung des chen können, die am besten zu ihnen passt. Ein kleiner historischer Rückblick verdeutlicht Stipendienwesens Ein Stipendium bekommt zum Beispiel die die heutige Problematik. Die schweizerische In letzter Zeit ist zudem ein Trend zur Privati- junge Nidwaldnerin aus einer kinderreichen Bildungslandschaft hat sich in den letzten sierung des Stipendienwesens zu beobachten. Familie mit wenig Einkommen, die nach zwanzig Jahren stark verändert. Es kamen Im Kanton Luzern wurde kürzlich ein «Kas- einigen Jahren als Polymechanikerin eine neue Hochschultypen hinzu, die Anzahl der kadenprinzip» eingeführt, welches einerseits Weiterbildung zur Maschinenbauerin an der Studierenden im tertiären Bereich stieg an aus einem Grundstock von staatlichen Stipen- höheren Fachschule machen will. Aber na- und die Durchlässigkeit der Systeme wurde dien, andererseits aus einem System privater, türlich auch ein Medizinstudent, welcher das weiter ausgebaut. So hat sich die Anzahl zinsloser Darlehen besteht. Dies ist jedoch in Studium direkt an seinen Maturaabschluss der Studierenden seit 1990 verdreifacht, vielerlei Hinsicht problematisch. Es ist nicht anhängt. Was viele nicht wissen: Stipendien von gut 85000 auf knapp 260000 im Jahr gesichert, ob genug Private in Darlehen für gibt es nicht nur für ein Universitätsstudium, 20091. Diese Zahlen lassen vermuten, dass sondern für alle Aus- und Weiterbildungen der Zugang zur Bildung im Tertiärbereich 1 BFS (2012): Bildungsstatistik. Neuchâtel. auf der Tertiärstufe. einfacher geworden ist. Die Entwicklung 2 BFS (2009): Kantonale Darlehen und Stipendien. Neuchâtel. 3 BFS (2015): Studien und Lebensbedingungen an den Schweizer Die Stipendieninitiative will die Regeln des Stipendienwesens in der Schweiz lässt Hochschulen. Neuchâtel. für Ausbildungen an einer höheren Fach- diesen Schluss allerdings nicht zu. Das ge- 4 BFS (2014), Ausbildungsbeiträge: Kantonale Stipendien und Darlehen, schule, Fachhochschule, ETH oder Univer- samtschweizerische Stipendienvolumen hat Durchschnittlicher Betrag und Anteil BezügerInnen 2013. Neuchâtel. 8 vpod bildungspolitik 190
stipendieninitiative Studierende investieren wollen, ob dies nicht zu einer Benachteiligung von Studierenden öffentliche Ausgaben für Bildung als Prozentanteil aller öffentlichen Ausgaben gewisser Fächer führt und ob Personen mit ei- 17 nem finanziell schwierigen Hintergrund sich 16.5 nicht von zinslosen Darlehen abschrecken 16 15.5 lassen. Umso mehr braucht es angesichts 15 solch fataler Entwicklungen eine nationale 14.5 Lösung, die Mindeststandards festlegt: Es 14 kann nicht sein, dass man sich einerseits über 13.5 den Mangel an Fachkräften beklagt und auf 13 der anderen Seite nicht in Ausbildung inves- 12.5 12 tiert. Auch ist es eine unmögliche Situation, 11.5 dass so massive Unterschiede zwischen den 11 Kantonen bestehen. Die Stipendieninitiative 10.5 setzt genau dort an. Unterstützen wir diese 10 am 14. Juni 2015 mit einem JA. 9.5 9 Luisa Jakob leitet für den Verband Schweizerischer 8.5 8 Studierendenschaften (VSS) die Kampagne für die 1995 2000 2005 2008 2009 2010 2011 Stipendieninitiative in der Deutschschweiz. Austria France Germany Italy Switzerland Grafik 1: Quelle: Education at a glance, OECD, Paris 2014 Vergleichsweise 4.5 totale (öffentliche und private) Ausgaben je Bildungsstufe in % des BIP 2011 wenig 4 Stipendien 3.5 3 Ein Blick in die Statistiken zeigt, dass die 2.5 Nachbarstaaten der Schweiz 2 wesentlich mehr öffentliche Mittel für Stipendien 1.5 bereitstellen. 1 Von Thomas Ragni 0.5 0 G rafik 1 zeigt, dass in der Schweiz die Austria France Germany Italy Switzerland öffentlichen Ausgaben für Bildung Pre-primary education (for children aged 3 and older) All primary, secondary and post-secondary non-tertiary education wesentlich über denen vergleichbarer Länder Upper secondary education All tertiary education liegen. Auf den ersten Blick erscheint unser Grafik 2: Quelle: Education at a glance, OECD, Paris 2014 Land als absoluter Musterknabe. Der Grund für das gute Bild ist aber, dass die Schweiz im Vergleich zu den aufgeführten Nachbarstaa- totale öffentliche Unterstützung (Vergünstigungen, Stipendien etc.) für ten eine relativ niedrige Staatsquote aufweist. Privathaushalte pro Schüler/Student 2011 (in 1'000 USD, kaufkraftkorrigiert) Der Anteil der Bildungsausgaben am BIP 24 ist mittlerweile jedoch im EU-Durchschnitt 22 angelangt, wie Grafik 2 deutlich macht. 20 Wo die Schweiz grossen «Nachholfbedarf» 18 hat, offenbart sich in Grafik 3, welche die Unterstützungsleistungen pro SchülerIn/ 16 StudentIn zeigt. Besonders deutlich ist das 14 Zurückfallen der Schweiz im Nicht-Tertiärbe- 12 reich, wo zum Beispiel Deutschland deutlich 10 über viermal mehr – gemessen am BIP pro 8 SchülerIn – an Unterstützungsleistungen ausgibt, und Österreich immerhin noch deut- 6 lich mehr als doppelt so viel (Frankreich rund 4 doppelt so viel und Italien rund eineinhalb 2 mal so viel). Leider sind diese Subventions- 0 bzw. Transferzahlungen für einen differen- Austria France Germany Italy Switzerland zierteren Vergleich der Länder nicht feiner Tertiärstufe Primar-, Sekundar- und Postsekundarstufe aufgegliedert verfügbar. Grafik 3: Quelle: Education at a glance, OECD, Paris 2014 vpod bildungspolitik 190 9
höhere berufsbildung Die Zukunft unser Kinder bedarf einer qualifizierten Ausbildung Kinderbetreuung zwischen FaBe und Höheren Fachschulen. Von Thomas Roth H öhere Fachschulen gibt es eigentlich länger als die Fachhochschulen: schon in den 1980er-Jahren wurden die Diplome der erhalten die Betriebe über 50 Bewerbungen für eine Lehrstelle, was unter anderem dazu führt, dass viele Betriebe zuerst ein- bis seitens der FaBes sehr spärlich ausfallen, da sich diese weniger für eine Tertiärausbildung interessieren als erwartet und dann vor allem Sozialen Arbeit mit dem Zusatz «HF» bezie- zweijährige Vorpraktika anbieten, in denen eine Anschluss-HF in der Sozialpädagogik hungsweise «HFS» (S für Soziales) vergeben. die jungen Frauen und Männer (deren An- anstreben3. Das fehlende Interesse ist jedoch Sieben der seinerzeitigen HFS wandelten teil beträgt gut 10 Prozent) direkt ab der hausgemacht: die meisten Kitas bieten bisher sich dann gegen Ende der 1990er-Jahre in Volksschule oft für wenige Hundert Franken weder Ausbildungsplätze noch Anstellungen die heutigen Fachhochschulen um und sind höchst anspruchsvolle Betreuungsarbeit leis- für diplomierte KindererzieherInnen HF heute mit der FHNW (mit Standorten in Olten ten, obwohl sie dazu über keine spezifische an, dies meist mit dem Argument, über die und Basel), ZHAW (Zürich), BFH (Bern), Vorbildung verfügen. Oft sind sie in den dafür notwendigen Mittel nicht zu verfügen. FHZ (Luzern) und FHSG (Ostschweiz) sowie Kitas die einzigen 100-Prozent-Angestellten Häufig wird dabei auf die Subjektfinanzierung der Westschweizer HES-Dachstruktur und und übernehmen zudem meist die speziell der (meist kantonalen) Behörden verwiesen, dem Tessiner Pendant sehr gut positioniert. (körperlich wie psychisch) belastende Arbeit welche es gar nicht erlauben würde, einer HF- Weniger bekannt ist, dass einige der HFS mit den ganz Kleinen, da diese verständlicher- Ausbildung angemessene Löhne zu bezahlen. weiterhin als Höhere Fachschulen bestehen, weise einer speziellen Betreuung bedürfen. so zum Beispiel die BFF in Bern, die Curaviva- Dieser Missstand wurde in letzter Zeit Eine hoch qualifizierte Tätigkeit Schulen in Luzern und Zug oder die Agogis wiederholt angeprangert1, ohne dass sich Das Argument mit der fehlenden Finanzie- mit Standorten in Olten, Liestal, Zürich und daran jedoch viel ändert. Einzig vor der rung greift jedoch zu kurz: das Beispiel der St. Gallen. Diese Schulen bieten heute sehr Abstimmung über den Mindestlohn rückte Westschweiz zeigt, dass es durchaus möglich gefragte Tertiärausbildungen in den HF-Be- dieses Berufsfeld für einen Augenblick in ist, marktgerechte (das heisst auch für eine rufen Sozialpädagogik und Kindererziehung die öffentliche Wahrnehmung, zumal viele Familiengründung bzw. langfristige Berufs- an, was eine sinnvolle Ergänzung zum eher Löhne im Betreuungsbereich unter den ge- karriere genügende) Löhne zu bezahlen: so generalistischen Studium der Sozialen Arbeit forderten Fr. 4000 liegen. Dies umso mehr, werden in Lausanne und Genf schon relativ an den FH darstellt. da die grosse Mehrheit der Mitarbeitenden kurz nach Abschluss der HF gute bis sehr gute in Teilzeitpensen angestellt ist (meist 60 bis Löhne ausbezahlt4. Auf den ersten Blick hat Beruf Kindererziehung 80 Prozent), was nicht nur auf eigene Betreu- dies einen einfachen Grund: bis vor wenigen Den Kindererziehungsberuf gibt es in der ungspflichten, sondern vielfach auch auf die Jahren gab es in der Westschweiz (in Umkeh- Schweiz schon rund 30 Jahre, wobei bis 2005 hohe Belastung im Beruf zurückzuführen ist. rung der Situation der Deutschschweiz) nur der Titel Kleinkindererzieher/in (KKE) der die HF-Ausbildung in Kindererziehung, die einzige Abschluss für die qualifizierte Tätig- Höhere Fachschule dann um die FaBe ergänzt wurde. keit bei der familien- und schulergänzenden Schon bei der Einführung der FaBe-Berufs- Bei genauerem Hinschauen zeigt sich Betreuung darstellte. Die Ausbildung war lehre stand die Forderung nach einer aufbau- jedoch, dass der Grund woanders liegt: in der lange Zeit gleichwertig zur Ausbildung der enden Höheren Fachschule im Raum, so wie Westschweiz wurde schon vor 20 Jahren der Sozialpädagoginnen und -pädagogen. Erst in sie im Pflegeberuf, wo mehr als die Hälfte der Beruf der Kindererziehung als relativ hoch den 2000er-Jahren wurde die Sozialpädago- Berufslernenden (FaGe) anschliessend die qualifizierte Tätigkeit politisch und gesell- gik – soweit sie nicht in die Fachhochschul- HF Pflege absolviert, bereits Realität ist. Das schaftlich anerkannt, was sich u.a. eben darin studiengänge subsumiert wurde – formell Interesse der FaBe an einer aufbauenden Ter- zeigt, dass es lange Zeit unbestritten war, dass als Höhere Fachschule verortet, währenddem tiärausbildung ist jedoch weit geringer (nur es dazu einen Tertiärabschluss braucht (und die KKE den Status einer Berufslehre erhielt. rund 1/4 der FaBes geben ein entsprechendes damit auch ein Mindestalter für die Ausbil- Ab 2005 wurde die KKE durch die neue Be- Interesse bei Lehrabschluss an2), wobei die dung von 18 oder 20 Jahren). Die meisten rufslehre zur Fachperson Betreuung (FaBe) meisten nicht die direkt anschliessende HF «educateurs/-trices d’enfance» haben denn abgelöst, welche gesamtschweizerisch mit Kindererziehung, sondern vor allem die HF auch zuerst ein Gymnasium, eine Fachmittel- dem Zusatz K (für die Arbeit mit Kindern), Sozialpädagogik avisieren. Der Grund ist schule oder eine Berufslehre absolviert, bevor B (für die Arbeit mit Menschen mit einer naheliegend: warum nach ein bis zwei Jahren sie mit einer etwas höheren persönlichen Behinderung) und A (für die Altersarbeit) je Vorpraktikum und drei Jahren Lehre noch Reife (und auch mit höheren Ansprüchen an eine eigene Bildungsverordnung erhielten. weiter in einem karriere- und lohnmässig sehr ihr Arbeitsumfeld, die Professionalität und Einige Kantone (zum Beispiel Bern) haben beschränkten Berufsfeld verbleiben, wenn es letztlich den Lohn) in die Ausbildung eintre- sich entschieden, nur die FaBe-K und FaBe-B die Möglichkeit gibt, in das weitaus breiter ten. Auf der anderen Seite erlaubt diese höhere anzubieten, während andere Kantone alle drei aufgestellte Berufsfeld der Sozialpädagogik Professionalisierung auch, eine etwas höhere Richtungen und teilweise sogar eine genera- zu wechseln? Anzahl Kinder zu betreuen. Unter dem Strich listische Ausbildung anbieten. Seit 2010 bestehen in verschiedenen Kanto- hat sich nämlich gezeigt, dass die Kosten pro nen (vgl. Kasten 1, S. 11) Höhere Fachschulen Kind/Tag in Lausanne nicht höher sind als FaBe-K Kindererziehung, welche alle primär sich als in Zürich, obwohl Lausanne zu 100 Prozent Die FaBe-K etablierte sich dabei bezüglich «Anschluss-HF» für die FaBes anbieten. Alle HF-Ausgebildete, die Stadt Zürich dagegen zu Nachfrage bei den Jugendlichen zu einem der Schulen haben jedoch bald die schmerzhafte 95 Prozent FaBe- oder sogar unausgebildete gefragtesten Berufe in der Schweiz: teilweise Erfahrung gemacht, dass die Anmeldungen Mitarbeitende einsetzt5. 10 vpod bildungspolitik 190
1. Höhere Fachschulen Kindererziehung Adressen der Verbände in der deutschen Schweiz SAVOIRSOCIAL Schweiz. Agogis Höhere Fachschule* BFS Basel Dachorganisation der Arbeitswelt Soziales** Röntgenstr. 16, Postfach, Kohlenberggasse 10, Postfach, Amtshausquai 21, 4600 Olten 8031 Zürich 4001 Basel Telefon: 031 371 36 25 Telefon: 043 366 71 10 Telefon: 061 267 55 00 info@savoirsocial.ch / www.savoirsocial.ch schulsekretariat@agogis.ch / bfs@edubs.ch / www.bfsbs.ch www.agogis.ch kibesuisse Verband Kinderbetreuung Schweiz Bemerkungen: bietet seit Bemerkungen: bietet seit 2014 einen verkürzten (3600 Josefstr. 53, 8005 Zürich 2012 je einen regulären (5400 Lernstunden) Bildungsgang in Telefon: 044 212 24 44 Lernstunden) und einen verkürzten der praxisbegleitenden Variante info@kibesuisse.ch / www.kibesuisse.ch (3600 Lernstunden) Bildungsgang (mindestens 50-Prozent- Bemerkungen: auf der Website von kibesuisse sind auch in der praxisbegleitenden Berufstätigkeit in einem anerkannten Lohnempfehlungen für die verschiedenen Ausbildungsstufen Variante (mindestens 50-Prozent- Ausbildungsbetrieb) an. (FaBe, HF, etc.) einsehbar. http://www.kibesuisse. Berufstätigkeit in einem anerkannten ch/fileadmin/user_upload/Kibesuisse/Dokumente/ Ausbildungsbetrieb) an. Curaviva hfk Höhere Fachschule Intern/20140620_kibesuisse-Empfehlung_Fachpersonal.pdf für Kindererziehung* Zudem empfiehlt kibesuisse allen Einrichtungen der BFF BERN Höhere Fachschule HF* Landis + Gyr-Str. 1, 6300 Zug schul- und familienergänzenden Familienbetreuung, ab Monbijoustr. 21, Postfach, Telefon: 041 729 02 90 «2020/25» alle Funktionen über der Stufe der einfachen 3001 Bern info@hfkindererziehung.ch / Betreuungsarbeit durch HF-AbsolventInnen zu besetzen. Der Telefon: 031 635 28 00 www.hfkindererziehung.ch HF-Abschluss wird dann auch die Voraussetzung für die von hf@bffbern.ch / www.bffbern.ch kibesuisse angebotene Kitaleitungs-Weiterbildung sein. Bemerkungen: bietet seit Bemerkungen: bietet seit 2010 je einen regulären (5400 2010 je einen regulären (5400 Lernstunden) und einen verkürzten SPAS Schweiz. Lernstunden) Bildungsgang in (3600 Lernstunden) Bildungsgang Plattform der Ausbildungen im Sozialbereich** der Vollzeit- und einen verkürzten in der praxisbegleitenden Aarbergergasse 409, Postfach, 3001 Bern (3600 Lernstunden) Bildungsgang Variante (mindestens 50-Prozent- Telefon: 031 328 16 12 adina80xx / photocase.de in der praxisbegleitenden Berufstätigkeit in einem anerkannten spas@a40.ch / www.spas-edu.ch Variante (mindestens 50-Prozent- Ausbildungsbetrieb) an. Berufstätigkeit in einem anerkannten ** SAVOIRSOCIAL und SPAS sind Träger des eidgenössischen Rahmenlehrplanes Ausbildungsbetrieb) an. Kindererziehung HF (sowie des gleichzeitig entwickelten Rahmenlehrplanes Sozialpädagogik HF) und koordinieren die Entwicklung/Positionierung aller Abschlüsse der Berufsbildung und Höheren Berufsbildung im Sozial- und Betreuungsbereich. *Agogis, BFF Bern und Curaviva hfk haben für ihre neuen Bildungsgänge in Kindererziehung HF bereits das eidgenössische Anerkennungsverfahren erfolgreich abgeschlossen.
höhere berufsbildung Initiative für die Deutschschweiz ben. Besonders offensichtlich zeigt sich die den Personen zu gleichen Teilen entschei- Bereits vor mehreren Jahren hat die sei- Problematik dieses obsoleten Familienbildes dend für ihre persönliche Entwicklung und nerzeitige Präsidentin des Verbandes Kita in den immer zahlreicheren Kindergärten in Entfaltung. Schweiz (KitaS, heute kibesuisse), Hildegard Schweizer Städten, wo die Kinder halbtags Fazit: gelingt es in den nächsten Jahren Fässler, sich öffentlich für die Notwendigkeit «gebildet» werden, um dann für den Rest des nicht, die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen des flächendeckenden Aufbaus von Höheren Tages durch die Kita-Mitarbeitenden (meist seitens der Betriebe (inklusive der Nachfrage Fachschulen in Kindererziehung eingesetzt6, nach aufwändiger Eskortierung zwischen nach ausgebildeten KE HF) zu erhöhen, jedoch mit noch recht bescheidenem Erfolg. zwei teilweise weit auseinanderliegenden werden einige der neuen Ausbildungsstätten Zwar bieten seither vier Höhere Fachschulen Gebäuden) dann «professionell betreut» zu die Türe wieder schliessen müssen. Oder diese Ausbildung in der Deutschschweiz an, werden. Ein Bildungsverständnis, welches der Beruf der Kindererziehung geht im meist jedoch ohne volle Klassen führen zu bereits mit der Geburt, spätestens jedoch nach sozialpädagogischen Berufsfeld unter, was können7. Die Situation im Berufsfeld ist somit Ablauf eines (nach skandinavischem oder jedoch dem Bildungsanspruch der Betreuung nicht unähnlich wie im Pflegebereich, wobei zumindest nach deutschem Muster einzufüh- zuwiderläuft und einen Schritt zurück um dort die HF Pflege ungleich mehr Mittel für renden) ein- bis zweijährigen Elternurlaubes zehn bis zwanzig Jahre darstellen würde. eine breite Öffentlichkeitsarbeit besitzen, um ansetzt, wäre für die Schweiz überfällig. Es Dies umso mehr, als im europäischen Raum ihre Ausbildung gegenüber den Berufsleuten, erstaunt, wie wenig zum Beispiel die Erzie- sehr viel in Richtung einer professionellen Betrieben sowie Behörden und Politik zu po- hungsdirektorInnenkonferenz (EDK) sich mit Früherziehung in Bewegung ist: so wurden in sitionieren. Die HF Kindererziehung dagegen solchen Fragen beschäftigt.11 den letzten Jahren in Deutschland über 100 sind organisatorisch meist bestehenden HF Bachelor- und Masterstudiengänge «Pädago- Sozialpädagogik angegliedert, wodurch sich Ausbildungen und Löhne gik der frühen Kindheit» ins Leben gerufen, die Notwendigkeit für eine spezifische Kam- angleichen welche die traditionellen (meist dem Niveau pagne für die HF Kindererziehung weniger Zurück zum Personal in diesen Einrichtun- unserer seinerzeitigen KKE entsprechenden) dringlich ergibt (zumal die potentiellen KE- gen: Solange diese gegenüber den Lehrkräften Erzieherschulen ergänzen13. In Skandinavien Studierenden häufig in der gleichen Schule in Kindergärten und Volksschulen12 ausbil- (z.B. Schweden) ist die Ausbildung der Erzie- die HF Sozialpädagogik absolvieren). Auch dungs- und lohnmässig weit abgeschlagen herInnen, welche bereits für die Erziehung ist der Fachkräftemangel im Sozialbereich sind, wird es auch sehr schwierig bleiben, und Bildung der Zweijährigen zuständig offensichtlich8, jedoch ungleich weniger poli- einen «pädagogischen Diskurs» zwischen sind, nicht nur durch einen Bildungsplan 0-18 tisch brennend. Dies aus zwei Gründen: 1. Das Lehrpersonen und BetreuerInnen auf Au- Jahre geregelt, sondern erfolgt analog zu den Mengengerüst ist kleiner, 2. das Berufsfeld ist genhöhe zu führen. Aber eines bleibt klar: so übrigen Lehrpersonen an den PHs. viel differenzierter und 3. die Betroffenheit der wie heute Lehrpersonen auch erziehen und Eine «Akademisierung» der Ausbildung für Bevölkerung beziehungsweise der Politike- betreuen, müssen BetreuerInnen mindestens alle Altersstufen bringt aber auch Schwierig- rInnen ist ungleich kleiner, da sie für sich und zu gleichen Teilen bilden und fördern. Für ein keiten mit sich, da viele geeignete Betreuungs- ihr Zielpublikum im Gegensatz zur Pflege (Klein)Kind ist die Unterscheidung sowieso personen sich entweder eine (Berufs)Matur eher von einer tiefen Wahrscheinlichkeit nicht von Bedeutung (bzw. altersmässig gar nicht zumuten oder aus anderen Gründen ausgehen können, selber auf betreuerische nicht leistbar): für sie sind alle sie umgeben- den akademischen Weg nicht gehen können Dienstleistungen angewiesen zu sein. Gerade der letzte Grund ist jedoch ein Trug- schluss: schon heute werden in der Schweiz Studie der Universität Zürich zu Arbeitsbedingungen und 50 Prozent der Kinder fremdbetreut und es ist Gesundheit des Kita-Personals in der Stadt Zürich erwiesen, dass die Qualität der Fremdbetreu- ung eine entscheidende Auswirkung auf die Das Sozialdepartement der Stadt hat im November 2014 eine Studie zu persönlichen und beruflichen Lebenschancen Arbeitsbedingungen und Gesundheit des Kindertagesstätten-Personals der Kinder hat9. Verschiedene Untersuchun- herausgegeben. Dazu wurden 1093 Betreuungspersonen, 100 Kita-Leitungen gen10 gehen davon aus, dass der Anteil der und 55 VertreterInnen von Trägerschaften befragt. Die wichtigsten Ergebnisse (zumindest teilweisen) Fremdbetreuung von sind folgende: Kinder im Vorschul- und Schulalter in den nächsten Jahren auch in der Schweiz – wie im Offensichtlich bestehen in den befragten Institutionen grössere Probleme benachbarten Ausland – noch stark ansteigen bezüglich der Ausbildung und der Nachwuchsförderung. So sind praktisch wird. Dies nicht nur aus ökonomischen Grün- keine tertiär ausgebildeten Fachpersonen (das heisst Kindererzieher/ den beziehungsweise wegen der sogenannten innen HF oder SozialpädagogInnen HF/FH) in diesen Institutionen tätig, «Vereinbarkeit von Familie und Beruf»: auch obwohl es gerade im Betreuungsbereich heute als unbestritten gilt, dass für die Kinder ist eine qualitativ hochstehende es für die anspruchsvolle Arbeit eines höheren Ausbildungsniveaus bedarf. Fremdbetreuung ab dem frühen Kindheitsal- Möglicherweise sind denn auch die in der Studie festgestellten Faktoren ter sehr gewinnbringend. Dies vor allem, weil «tiefes Durchschnittsalter» und «hohe Fluktuation» ein Ausdruck dieses die frühe Kindheit nachgewiesenermassen Problems: «Das Dienstalter im Beruf beträgt bei 30 Prozent der Befragten ein Bildungsort ist, an dem zentrale Bildungs- mehr als 10 Jahre. 35 Prozent der Gruppenleitungen und über 45 Prozent prozesse konzentrierter und nachhaltiger der Miterziehenden arbeiten jedoch weniger als zwei Jahre an ihrer ablaufen als im Schulalter. aktuellen Stelle. Die meisten Betreuungspersonen haben ein Praktikum Auch für die Schweiz wird es daher un- absolviert, bei über 45 Prozent der Befragten dauerte dieses mehr als ein ausweichlich sein, sich von der antiquierten Jahr. Den Berufsabschluss haben sie in über 80 Prozent der Fälle in der Vorstellung zu lösen, dass die frühkindliche Schweiz erworben, 20 Prozent der Betreuerinnen und Betreuer stammen Bildung ausschliesslich in der Familie pas- aus dem Ausland (mehrheitlich aus einem EU-Land). Nur 11 Prozent der siere bzw. dass erst ab dem Kindergartenalter Betreuungspersonen haben eigene Kinder.» (ebenda; S. 10).14 strukturierte Bildungsprozesse im Rahmen eines schulischen Kontextes abzulaufen ha- 2. 12 vpod bildungspolitik 190
höhere berufsbildung Richtlinien von kibesuisse Für den Verband kibesuisse ist es klar, dass mittelfristig diese Situation unhaltbar ist, wes- halb er in seinen Richtlinien, «ab «2020/25» eine KE-Ausbildung für die Übernahme der Funktion als Gruppenleiter/in (d.h. die unterste Kaderstufe) empfiehlt. Das Gleiche gilt für die Zulassung zur Führungsausbil- dung. Nachdem bis vor kurzem jedoch noch das Jahr 2020 als Zielgrösse formuliert war, zeigt die neue Formulierung auf, wie schwer sich der Verband mit der Durchsetzung der Professionalisierung tut. Noch schwerer tun sich die kantonalen Aufsichtsbehörden. Dies ist höchst erstaunlich angesichts verschiede- ner Missbrauchsfälle in Kitas, die zwar durch eine höhere Ausbildung der Mitarbeitenden alleine nicht hunderprozentig vermieden, deren Wahrscheinlichkeit jedoch reduziert Vorankündigung werden könnte. Dies umso mehr, als Kin- dererziehende HF in ihrer Ausbildung einen Hauptschwerpunkt auf die Entwicklung und Nationale Konferenz «Kindererziehung gehört Umsetzung von pädagogischen Konzepten in professionelle Hände» legen. Die drei Höheren Fachschulen Kindererziehung agogis Zürich, BFF Die Missbrauchsthematik ist seit mehreren Bern und Curaviva/hfk Zug organisieren zusammen mit kibesuisse und Jahren im Betreuungsbereich ausseror- mit Unterstützung der Jacobs-Foundation am Donnerstag, 5. November dentlich präsent und führt unter anderem 2015 im Arte-Kongresszentrum in Olten eine grosse Fachkonferenz, dazu, dass sich der Männeranteil in den zu der alle (aktuellen und ehemaligen) Studierenden, Dozierenden, letzten Jahren nicht endlich über die seit Praxisausbildenden, Institutionsleitenden und übrigen Interessierten langem erreichten rund 10 Prozent bewegt. herzlich eingeladen sind. Die Konferenzteilnahme ist kostenlos. Weitere Einzelne HF Kindererziehung haben – wie Informationen sind spätestens ab April 2015 auf den Websites der übrigens auch in der Sozialpädagogik – sogar erwähnten vier Schulen/Verbände aufgeschaltet. rückläufige Männeranteile. Diese mögliche 3. «Refeminisierung» der Betreuung ist ein weiteres Element, welches die überfällige Professionalisierung der frühkindlichen Be- oder wollen. Für sie sind in der Schweiz die tiefer bzw. die Fluktuation der BetreuerInnen treuungs- und Bildungsarbeit bremst. Gerade Höheren Fachschulen tatsächlich eine ideale (selbst der Ausgebildeten) ist viel höher als in die Höhere Fachschule mit ihrer Positionie- Zwischenlösung, ohne akademischen Weg zu vergleichbaren Berufsfeldern, was ständig zu rung auf der Tertiärstufe, ihrer Betonung einer qualitativ hochstehenden Ausbildung zu neuen Betreuungssituationen für die Kinder von Fach- und Führungsaufgaben, sowie kommen, die hohen Ansprüchen der Betreu- führt und wiederum die Betreuungsqualität ihren Anschlussmöglichkeiten zu weiteren ung genügt und gleichzeitig ein Einkommen einschränkt. Dadurch ergibt sich auch die für Bildungsstufen wäre dabei prädestiniert, generiert, welches den heute häufigen frühen die ganze Deutschschweiz geltende Situation, diesem unerwünschten gesellschaftlichen Berufswechsel verhindert. dass die Auszubildenden häufig die grösste Trend zu begegnen. Eine kürzlich durch die PH Zürich (vgl. Gruppe unter den Mitarbeitenden darstellen, Kasten 2, S. 12) durchgeführte Befragung aller meist knapp gefolgt von Unausgebildeten und Was können Verbände und Mitarbeitenden der familienergänzenden Quereinsteigenden. Meist erst an dritter Stelle Gewerkschaften tun? Betreuung in der Stadt Zürich zeigt unter folgend dann die FaBe, weit abgeschlagen • Der primär als Arbeitgeberverband aufge- anderem gerade diese Problematik auf: die dann die wenigen tertiär ausgebildeten Mit- stellte Verband kibesuisse kann mit seinen durchschnittliche Anstellungsdauer ist viel arbeitenden (meist in Leitungsfunktionen). Empfehlungen – soweit diese dann auch die 1 Vgl. u.a. InfOdA Bern Juni 2014, S. alle übrigens mit einem kantonal geregel- die darauf zurückzuführen sind, dass 10 Vgl. Fussnote 9. Personen ohne pädagogische Ausbildung 12/13: Thomas Roth; Gastbeitrag http:// ten Ferienanspruch von 7 Wochen: http:// pro Kind in Zürich etwas mehr Raum zur geleistet wird. 11 In der Öffentlichkeit am meisten www.oda-soziales-bern.ch/fileadmin/ www.ge.ch/cct/EnVigueur/dati/cct/L219. Verfügung steht als in Lausanne). wahrgenommen wird dabei der be- 13 In Deutschland gibt es auf der Hoch- public/infoda/2014/infoda_2_14.pdf asp?toc=1 6 Tageszeitung «Der Bund», ca. 2008. kannte Kinderarzt Remo Largo. Ein sehr schulstufe bereits 114 Studiengänge: 2 Abschlussbefragung der Erziehungsdi- 5 Vgl. Kasten 1, S. 11 sowie die ausführliches Argumentarium bzw. eine http://www.weiterbildungsinitiative.de/ 7 Im Gegensatz zur Westschweiz, wo es rektion des Kantons Bern, Oktober 2014. vergleichenden Darstellungen über die Übersicht über die zwischenzeitlich auch studium-und-weiterbildung/studium/ ebenfalls vier Schulen gibt, die jedoch Kostenstruktur der Kitas in den Städten in der Schweiz fast unzähligen Studien studiengangsdatenbank/ 3 Als FaBe erhalten sie sowohl für die HF – trotz des kleineren Einzugsgebietes – Lausanne und Zürich im Rahmen des und Abklärungsprojekte ist zum Beispiel Kindererziehung wie auch die HF Sozial- praktisch immer Mehrfachklassen und/ 14 Studie abrufbar unter: www.stadt- Nationalfondsprojektes 60 «Familiener- auf den Websites der Schweizerischen pädagogik eine Anrechnung von einem oder Wartelisten führen. zuerich.ch/sd/de/index/kinderbetreuung/ gänzende Kinderbetreuung und Gleich- UNESCO-Kommission, des Netzwerkes Drittel der Lernstunden, was eine um ein publikationen/studie_kita-personal.html stellung» (Susanne Stern et al., infas/ 8 Vgl. Fachkräftestudie Savoir Social Kinderbetreuung oder des Projektes für Jahr verkürzte Ausbildung bedeutet. Eine gute Zusammenfassung der Universität St. Gallen); Schlussbericht 2011 (und laufende Anschlussstudie): einen nationalen Orientierungsrahmen Studie findet sich auf http://www. bitstarr / photocase.de 4 Im Kanton Genf erhalten «Krippenerzie- vom 28.10.2013: http://unifribourg.ch/ http://savoirsocial.ch/savoirsocial/ zu finden. netzwerk-kinderbetreuung.ch unter herInnen» einen minimalen Einstiegslohn egalite/assets/files/conseil/nfp60_projek- projekte 12 Die KindererzieherInnen HF haben «Infoplattform-Kinderbetreuung/Hinter- von Fr. 5800, mit langjähriger Berufser- te_iten_zusammenfassung_projektergeb- 9 Vgl. Fussnote 5 zum Nationalfonds- in ihrem Rahmenlehrplan klar auch gruende-aus-Wissenschaft-und-Praxis» fahrung bis zu Fr. 8500; mit Zusatzverant- nisse_lang_d.pdf (Anmerkung: es sei hier Projekt sowie die zahlreichen entspre- die Aufgabe der schulergänzenden bzw. erschien am 27.1.2015 in der NZZ: wortung erhöht sich dieser Ansatz um Fr. auch noch erwähnt, dass ein Teil der un- chenden Studien auf der Website des Betreuung, obwohl diese Arbeit bisher in http://www.netzwerk-kinderbetreuung. 400-500 pro Monat; Krippenleiterinnen terschiedlichen Kostenstruktur auch von Netzwerkes Kinderbetreuung: http:// den meisten Kantonen entweder durch ch/files/355YUYR/150127_nzz_kita_per- können sogar über Fr. 10000.- verdienen; höheren Raumkosten in Zürich herrührt, www.netzwerk-kinderbetreuung.ch freigestellte Lehrpersonen, FaBes und sonal_zh.pdf vpod bildungspolitik 190 13
Sie können auch lesen