Future.lab - Future Lab TU Wien
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future.lab MAGAZIN AUSGABE 15 | MAI 2021 „Mit der Digitalisierung kommt es zu einer zunehmenden Unsicherheit: Sind unsere Strategien und Planungsprinzipi- en noch aktuell? Ist die Orientierung am öffentlichen Verkehr, bei der Nahversor- gung oder den Instrumenten im Umgang mit Einkaufszentren und sind die darun- terliegenden Forderungen in der Raum- planung überhaupt noch aktuell?“ Christine Itzlinger- Nagl (Amt der Salzburger Landesregierung) Digitalisierung im Raum (Foto: Madlyn Miessgang) Städte und Regionen befinden sich inmitten während dieser Zeit gewonnenen Erfahrun- dass die Akteur*innen aus Politik, Verwal- eines sich beschleunigenden und vielschich- gen auch zu einer Beschleunigung raum- tung und Planung die Tragweite räumlich tigen Wandels: wirtschaftlich, technolo- wirksamer Transformationsprozesse beitra- wirksamer Entscheidungen bezogen auf die gisch, ökologisch, demografisch und sozial. gen werden. treibenden Kräfte frühzeitig erkennen und Einen zentraler Treiber stellt die Digitali- abschätzen können. Denn eines ist klar: sierung dar, die mittlerweile in alle gesell- Planerische und politische Entscheidungs- über eine vorausschauende Planung und ge- schaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche prozesse auf Bundes-, Landes- und kommu- meindeübergreifende Abstimmung können Einzug gehalten hat und deren Wirkungen naler Ebene geben dem Wandel Struktur. Sie entsprechende Weichen rechtzeitig gestellt zunehmend auf der konkreten räumlichen tun dies beispielsweise über die Steuerung oder aber Chancen verpasst werden. Ebene spürbar werden. der Standortentwicklung, die Verkehrspla- nung und das Mobilitätsmanagement oder Offensichtlich ist auch, wie stark die Corona- über das Ausbalancieren des Zentrengefüges Pandemie und die damit einhergehenden im Rahmen von Landes- und Regionalent- Einschränkungen zu einer massiven Be- wicklungskonzepten. Dabei rückt die Aus- schleunigung der Digitalisierungsprozesse einandersetzung mit der Digitalisierung zu- beigetragen haben. Es muss davon ausge- nehmend in den Fokus. Beispielsweise über gangen werden, dass diese nicht nur über den Ausbau der digitalen Infrastruktur, die Beitrag von Bruck, ein noch unabsehbares Ende der Pandemie als wichtiger Beitrag einer regionalen Struk- Mitteregger, Scheuvens hinaus wirksam bleiben, sondern dass die turpolitik erkannt wird. Umso wichtiger ist, Fortsetzung auf Seite 2
2 Digitalisierung als Instrumenten und Prozessen? Wie können beispielsweise digitale Tools genutzt wer- Treiber räumlicher Ein Beitrag von Emilia M. den, um neue Formen der Beteiligung zu Bruck, Mathias Mitteregger ermöglichen? Oder wie kann die Entwick- und Rudolf Scheuvens Transformations- lungsplanung durch eine evidenzbasierte Fortsetzung von S. 1 Datenerfassung und -verarbeitung qualifi- ziert werden? prozesse + Von welchen Technologien ist das größte ÖREK-PARTNERSCHAFT Transformationspotenzial zu erwarten und „RÄUMLICHE DIMENSIONEN DER DIGITA- WERTEBASIERTE LEITLINIEN ZU EINEM welche Relevanz besitzen diese für Städte, LISIERUNG“ INTELLIGENTEN EINSATZ Gemeinden und Regionen? Welche Chancen DIGITALER TECHNOLOGIEN und Risiken entstehen und welche Barrie- Die Auseinandersetzung mit den zuvorge- ren bestimmen ihre räumliche und gesell- nannten und weitergehenden Fragen ist Ge- Dies eröffnet eine weitere Perspektive auf schaftliche Durchsetzung? genstand der ÖREK-Partnerschaft „Räumliche raumwirksame Digitalisierungsprozesse. Dimensionen der Digitalisierung“. Wichtige Sie stellt die Digitalisierung „vom Kopf auf + Welche räumlichen, sozialen, wirtschaftli- Elemente sind Workshops mit Vertreter*innen die Füße“ und stellt die Frage, wie über den chen und kulturellen Wirkungen gehen mit der ÖREK-Partnerschaft, aus der kommuna- intelligenten Einsatz digitaler Technologien der Digitalisierung einher und was bedeutet len und regionalen Planungspraxis wie aus wirkungsvolle und nachhaltige Beiträge zur dies bezogen auf Funktionen wie Wohnen, Wissenschaft und Forschung. Im Kern geht es Bewältigung aktueller Herausforderungen Arbeiten, Versorgen, Bildung, Gesundheit darum, wissenschaftliche Erkenntnisse mit (Klimawandel, infrastrukturelle Kapazitäts- oder Mobilität? Welche neuen Nutzungsfor- praxisbezogenen Schwerpunkten und Her- grenzen und Ressourcenknappheit, gesell- men und Funktionsmodelle zeichnen sich ab? ausforderungen zu verknüpfen. Es geht um schaftliche Integration, fiskalische Austeri- das Lernen von- und miteinander und um die tät etc.) geleistet werden können. Es ist dies + Wie verteilen sich die Funktionen künftig dafür notwendigen „Übersetzungsleistun- eine wertebasierte Diskussion, die in Öster- im Raum und mit welchen qualitativen und gen“. Vielfach abstrakte und theoretische Dis- reich auch den Smart City-Ansätzen auf städ- quantitativen Standortanforderungen ist kurse auf der wissenschaftlichen Seite und ein tischer wie auf regionaler Ebene zu Grunde dies verknüpft? Welchen Einfluß hat dies be- teils ausgeprägter Pragmatismus auf der pla- liegt: Der Einsatz von digitalen Technologien zogen auf lokale und regionale Verflechtun- nerischen und politischen Seite sollen mit den wird als Möglichkeit verstanden, Effizienzen gen und Zentrenstrukturen? Erfahrungen und dem Know-How zu steigern, Ressourcen zu schonen Sektoren Themenfelder der beteiligten Akteure*innen und Risiken wie Unsicherheiten effektiv und zum Vorteil bei- Instrumente einzugrenzen. Technologie ist zur Steuerung der Seiten miteinander ver- hier nicht die Antwort auf bunden werden. Dies mit alles, sondern eine Erwei- dem erklärten Ziel, handeln- terung bestehender Instru- de Akteur*innen auf allen mente, Prozesse und Maß- Planungsebenen zu moti- nahmenkataloge, mit dem vieren und Handlungsemp- Ziel mehr Nachhaltigkeit und fehlungen für eine proaktive Resilienz zu erreichen. Gemein- hin erhoffte Vorteile umfassen ? Auseinandersetzung mit den an- stehenden Herausforderungen räum- u. a. Komfortvorteile für Nutzer*innen, Digitalisierung lich wirksamer Digitalisierungsprozesse zu Wirtschaftswachstum und Sicherheit. Al- entwickeln. In den Mittelpunkt rückt das Auf- lerdings haben auch hierzu Studien und zeigen räumlicher Trends und Wirkungen der jüngste Entwicklungen gezeigt, dass die Ausgangslage, Bewegungen, Wirkungen Digitalisierung in Österreich. Dies ist Gegen- Digitalisierung keine abgeschlossenen Lö- und Steuerungsmöglichkeiten im Kontext stand einer Querschnittsstudie, die als Basis sungsansätze liefert, sondern Problemla- der Digitalisierung (Grafik: Madlyn für eine vertiefende Auseinandersetzung mit gen und Risiken im digitalen Raum weiter Miessgang, Mathias Mitteregger) anstehenden Handlungserfordernissen die- (re)produzieren kann. nen wird. + Wie wirkt sich die Digitalisierung auf die DIE AUSEINANDERSETZUNG MIT DEN Raumwahrnehmung und auf den Stellen- Die Ergebnisse der ÖREK-Partnerschaft RÄUMLICHEN WIRKUNGEN DER DIGITALI- wert öffentlicher Räume im physischen Kon- sollen im Frühjahr 2022 vorliegen. SIERUNG GEWINNT AN BEDEUTUNG text aus? Wie verändert sich das Öffentliche im Vergleich zum Privaten? Die Phase der digitalen Transformation wird LINK in ihren direkten und indirekten Wirkun- + Wie kann die räumliche Dimension der Di- gen vielfach mit der industriellen Revoluti- gitalisierung gestaltet werden, sodass existie- Das Auftragnehmer*innen-Konsortium on verglichen. Es ist anzunehmen, dass die rende gesellschaftliche Ungleichheiten nicht besteht aus dem future.lab, den For- Entwicklung exponentiell verläuft und mit im digitalen Raum reproduziert werden? schungsbereichen Örtliche Raumpla- disruptiven Veränderungen verbunden sein Wie können auch Potenziale für eine größere nung und Soziologie der TU Wien, der wird. Auch zeichnet sich zusehends ab, dass Nachhaltigkeit und Resilienz genutzt werden? AustriaTech, dem Verein Zukunftsorte der Einfluss der Digitalisierung auf Gesell- und LandLuft schaft und Wirtschaft an raumwirksamer + Was bedeutet all dies in Hinblick auf eine Relevanz gewinnt1. Es überrascht daher integrierte kommunale und regionale Ent- Im Auftrag der Österreichischen kaum, wie stark das mit digitalen Technolo- wicklungsplanung? Was bedeutet dies für Raumordnungskonferenz (ÖROK) gien verbundene transformatorische Poten- die Weiterentwicklung von planerischen zial die Debatten um die Stadt der Zukunft Anmeldung zur Fachveranstaltung und um regionale Perspektiven antreibt und 1 Roman Soike, Jens Libbe, Magdalena Konieczek- am 7. Mai www.oerok.gv.at/raum/ bereichert. Um die Raumwirksamkeit der Woger, Elke Plate: Räumliche Dimensionen der themen/raeumliche-dimensionen- Digitalisierung frühzeitig zu erfassen sind Digitalisierung, Handlungsbedarfe für die Stadtent- der-digitalisierung auf eine Vielzahl an Fragestellungen diffe- wicklungsplanung. Ein Thesenpapier, Berlin 2019 (Difu- renzierte Antworten zu suchen: Sonderveröffentlichung), S. 8 LINK AUSGABE 15 | MAI 2021
3 Digitalisierung Ein Beitrag von Mathias Mitteregger, Emilia M. Bruck, Fidelia Gartner, Madlyn Miessgang, und Rudolf Scheuvens im Raum DIESER BEITRAG STELLT EINEN AUSZUG AUS DEM AK- TUELLEN STAND DER QUERSCHNITTSSTUDIE ZU DEN RÄUMLICHEN WIRKUNGEN DER DIGITALISIERUNG DAR. ANGESICHTS DER ENORMEN DYNAMIK DER DIGITALI- gestalten SIERUNG, KANN HIER KEIN ANSPRUCH AUF VOLLSTÄN- DIGKEIT ERHOBEN WERDEN. DER BEITRAG VERSTEHT SICH VIELMEHR ALS ANREGUNG FÜR WEITERGEHENDE DISKURSE, DIE IM RAHMEN EINER FACHVERANSTALTUNG DER ÖREK-PARTNERSCHAFT AM 7. MAI 2021 GEFÜHRT WERDEN SOLLEN. Für eine systematische Auseinander- Dementsprechend sind aus der Perspektive setzung mit den räumlichen Wirkun- des Arbeitsmarktes, in einer hochentwi- gen von Digitalisierungsprozessen ckelten Volkswirtschaft wie der österrei- Bezirk Jennersdorf (BGL) wurden im Rahmen der Querschnitt- chischen, die stärksten räumlichen Wir- studie sieben Themenfelder festgelegt. kungen der Digitalisierung im Bereich des Bezirk Steyr (OÖ) Diese orientieren sich an den Daseins- Dienstleistungssektors und in Industrie grundfunktionen und wurden auf Ba- und Gewerbe zu erwarten. sis einer durchgeführten Umfrage mit 34,5 % Expert*innen (s. Beitrag auf Seite 14) Bereits in den 1940er Jahren wurde vorge- 25,06 %* 14,50 %* 7,4 % zu jenen Handlungsfeldern verdichtet, schlagen, vom dritten Sektor einen vierten in denen raumwirksame Veränderun- Sektor der Datengewinnung und -verarbei- gen teils heute schon festzustellen sind tung abzugrenzen. Die aktuelle Branchen- Urban Rural und frühzeitig zu gestalten sein werden. taxonomie der OECD greift diesen Gedan- ken auf, trägt aber zusätzlich dem Umstand * Angaben sind Durchschnittswerte für Arbeiten Rechnung, dass nicht alleine im Dienstleis- den jeweiligen Raumtyp (Stand 2017) tungssektor hoch digitalisierte Unterneh- men zu finden sind. Betriebe (und folglich Arbeitnehmer*innen) mit hochgradig digi- Anteil der Beschäftigten in hoch digi RÄUMLICHE DIMENSIONEN DER DIGITA- talisierten Abläufen sind u. a. in den Berei- talisierten Branchen in urbanen und LISIERUNG VON ARBEIT IN ÖSTERREICH chen Medien, IT, Finanz- und Bankenwe- ruralen Regionen sowie für die Bezirke sen, Recht, Wissenschaft, Marketing aber mit dem größten (Steyr) und geringsten Die direkte räumliche Entsprechung des eben auch in der Pharma-, Automobil- oder (Jennersdorf) Anteil der Beschäftigen Strukturwandels auf dem Arbeitsmarkt Chemieindustrie und zunehmend auch in diesen Branchen (Quelle: Statistik sind geänderte Standortanforderungen der im Handel zu finden. Laut der OECD-Taxo- Austria 2020 und Firgo et al. 2019. Grafik: Madlyn Miessgang) Industrie und Land- Gewerbe rung ausgelöst wird. Es sind vor allem be- und Forst- stehende strukturelle Unterschiede, die wirtschaft abgebildet werden: Wo erfolgreiche, in- 25, 3,7 4% ternational agierende Betriebe existieren, % 71 2 0 % DER werden Digitalisierungsmaßnahmen for- % UNSELB STSTÄNDIG ciert und umgesetzt. BESCHÄF TIGTEN IM HOCH DIGITALI- Bemerkenswert ist, dass ein hoher Grad an SIERTEN BEREICH Digitalisierung der regionalen Wirtschaft in nicht-urbanen Regionen besonders positive Effekte auf den Arbeitsmarkt insgesamt hat Dienst Aktuelle Verteilung nach Sektoren und An- („Spill-Overs“). Am stärksten profitieren tradi- leistungen teil der Beschäftigen in hoch digitalisierten tionell industriell geprägte Bundesländer (vor Branchen (Quelle: Statistik Austria 2020 und allem Oberösterreich und Steiermark), wäh- Firgo et al. 2019. Grafik: Madlyn Miessgang) rend in Bundesländern wie Tirol oder Bur- genland keine nennenswert positiven oder arbeitgebenden Betriebe. Vergleichsweise nomie arbeiten in Österreich 20 % der un- negativen Effekte nachgewiesen wurden3. neu und beschleunigt durch die COVID-19 selbstständig Beschäftigten in jenen hoch Pandemie ist, dass Teile der Bevölkerung digitalisierten Branchen.2 Deren räumliche Zunehmend von der Digitalisierung be- berufliche Tätigkeiten ortsunabhängig aus- Verteilung zeigt erhebliche Unterschiede. troffen sind Sparten wie Versicherungen üben können. und Banken. Je nachdem wie sich die Ar- In urbanen Regionen arbeiten mit 25 % beitsverhältnisse in den einzelnen Spar- Aktuell sind in Österreich 3,7 % der er- deutlich mehr Personen in hoch digitali- ten verändern, können räumliche Einspa- werbstätigen Männer und Frauen in der sierten Branchen, als in nicht-urbanen und rungseffekte die Folge sein. So machen Land- und Forstwirtschaft beschäftigt, 25,4 ländlichen Regionen, wo es 15 % der Be- beispielsweise netzbasierte Plattformen % im produzierenden Teil der Wirtschaft schäftigten sind. Die Betrachtung auf klein- und Angebote physische Beratungs- und und 71 % im Dienstleistungs- oder tertiärem räumiger Ebene zeigt, dass der scheinbare Servicestellen zunehmend obsolet. Da- Sektor, der über die letzten Jahrzehnte ste- Vorteil von Städten gegenüber Kommunen durch freiwerdende Flächenressourcen tig gewachsen ist.1 am Land nicht allein durch die Digitalisie- könnten künftig durch entsprechende AUSGABE 15 | MAI 2021
4 text, beispielsweise bezogen auf kleinteilige Flächen in urbanen Lagen. In Deutschland wurde auf diese Entwicklungen anhand der neuen Baugebietskategorie „Urbanes Ge- biet“ reagiert, über die das Neben- und Mit- einander von Gewerbe, Wohnen und Freizeit im Quartierszusammenhang und damit die Mischung unterschiedlicher Nutzungen erleichtert und gefördert werden sollen. Wohnen DIGITALISIERT WOHNEN Der (Wohn-)Immobilienmarkt ist schon auf Grund seiner Größe attraktiv für neue digitale Konzepte. Zahlreiche APPs, Platt- formen und Netzwerke existieren auf un- terschiedlichen Maßstäben. Sie sollen die Nachnutzungsmodelle für andere Zwecke Die erste digitale Pilotfabrik Österreichs Dinge des Haushalts vernetzen (IoT, Smart verwendet werden. Unklar ist allerdings, startete 2015 im Technologiezentrum Living), Services für Mieter*innen oder wie sich räumliche Wirkungen aufgrund Seestadt (Credits: Pilotfabrik TU Wien) Hausgemeinschaften vermitteln bzw. an- einer Konzentration bestimmter Sparten bieten oder Quartiere und Nachbarschaf- regional unterschiedlich ausprägen wer- reich im europäischen Vergleich immer ten miteinander vernetzen. den. Es ist nicht auszuschließen, dass durch noch wesentliche Rollen.5 Digitalisierung Einsparungseffekte räumliche Disparitäten in der Produktion bedeutet zuallererst die Neue Nachbarschafts- und Wohnkonzepte verschärft werden.4 Abkehr von hochspezialisierten seriellen stellen vielfach digitale Tools ins Zentrum Fertigungen hin zur Industrie 4.0: hoch- – vor allem als Kommunikationsmedien. An dieser Stelle sei außerdem darauf hinge- flexible Großserien ganz unterschiedlicher Die Kommunikation und Vernetzung fin- wiesen, dass die digitale Spaltung der Ge- Produkte, die angepasst produziert werden det vorwiegend online, mittels Apps und sellschaft in digital Affine und nicht-Affine können („mass customization“). Social Media-Gruppen, statt. Leistbare und bereits vorhandene Prozesse sozialer Un- platzsparende gemeinschaftliche Angebote gleichheit weiter vorantreibt. Zentrale Voraussetzung für die Industrie 4.0 werden direkte Auswirkungen auf den Wo- ist die umfassende Vernetzung von Mensch, hungsbau und die Architektur haben. DER VIERTE SEKTOR IM INTERNATIONA- Maschine und Produkt, welche zu mehr Ef- LEN UND REGIONALEN WETTBEWERB fizienz bei weniger (Personal-)Kosten füh- Neue Wohnformen („long-term flexibile ren soll. Diese Transformation von mensch- stay“), die allgemein unter Co-Living disku- Es wird allgemein erwartet, dass die his- lichen Arbeitskräften hin zu Robotik hat tiert und ebenso über Plattformen organi- torische Migration der Beschäftigten vom weitreichende Folgen. siert werden, haben international für viel ersten, über den zweiten hin zum dritten mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Hier wer- Sektor, weiter in einen sich erst formie- Der Umstieg auf diese neuen Produktions- den Mieter*innen neben dem Wohnraum renden vierten Sektor führt. Diese Dyna- logiken verursacht nicht nur hohe Investi- eine Vielzahl an Services (von Sport- und mik zeigt sich zum einen in ökonomischen tionskosten und verlangt ganz neue Fähig- Freizeiträumen bis zum Wäscheservice) Kennzahlen, zum anderen auch in einem keiten von den Mitarbeiter*innen, sondern geboten. Auch AirBnB, deren Wirkungen Fachkräftemangel, der auch als „brain reduziert gleichzeitig auch die Flächen der auf den Wohnungsmarkt durch den hohen race“ bezeichnet wurde und nicht nur im Produktion: Unter dem Begriff der "distribu- Anteil an Mieter*innen in Österreich eine hochqualifizierten Bereich zu einem „Off- ted production" werden neue flexible Pro- besondere Relevanz hat, entwickelt sich shoring“ von Funktionen und Prozessen duktionseinheiten diskutiert, die den Bedarf in diese Richtung. Verbunden damit sind innerhalb von Unternehmen führt. Auch vor Ort abdecken und damit lange Trans- massive Folgen für den Wohnungsmarkt dieser internationale Wettbewerb um portwege obsolet machen könnten. Die Vo- und für die Verfügbarkeit von leistbarem hochqualifizierte Arbeitskräfte hat eine raussetzung dafür sind umfassend vernetzte Wohnraum. raumwirksame Komponente: Im „Wettbe- Systeme, die flexibel völlig unterschiedliche werb der Städte und Regionen“ zählen nun Produkte fertigen können. Unter den Begrif- NEUE LEBENSWELTEN verstärkt vormals „weiche“ Standortfakto- fen „Stadtfabrik“ und „Urbane Produktion“ ren, die als Asset für die Mitarbeiter*innen werden diese Konzepte auch in Raumpla- Seit den 1960er Jahren wird spekuliert, dass jener Technologie-affinen und mobilen nungsdiskursen im Bezug auf Dichte, Nut- mit wachsenden Möglichkeiten der Tele- Branchen gesehen werden. Um (internati- zungsmischung und Konfliktvermeidung kommunikation, der Gegensatz zwischen onale) Betriebe anzuwerben, geht es nicht erörtert. Im Kern geht es dabei um neue Stadt und Land immer weiter an Bedeutung allein um die (günstige) Zurverfügungstel- Standortanforderungen im städtischen Kon- verliert, bis er schließlich gänzlich ausge- lung von Bauland, Flächen oder physischer löscht werden würde. Die zeitgenössische Infrastruktur, sondern um den Begriff der „Die Digitalisierung ist in der Verwal- empirische Literatur bestätigt tendenziell „Lebensqualität“, der in einer globalisier- tung längst angekommen, aber was diese These, wenngleich nicht in der Radi- ten Welt in internationalen Rankings ge- ist mit Dienstleistungen (vor allem auf kalität, mit der sie einst formuliert wurde. messen wird. Es wird angenommen, dass kommunaler Ebene), wo mobiles Ar- Denn nicht allen Arbeitnehmer*innen wird diese Dynamik sich durch die COVID-Pan- beiten und Homeoffice nicht möglich das Privileg der Multilokalität zuteil, d.h. demie weiter verstärkt. ist, wie zum Beispiel im Kindergarten, auch aus der Distanz zum eigentlichen Ar- bei der Müllentsorgung oder bei beitsort, an der arbeitsteiligen Gesellschaft PRODUKTION AN ORT UND STELLE? einer Bauverhandlung?“ teilhaben zu können. Mit einer Bruttowertschöpfung von 21,7 % Thomas Weninger Viele Unternehmen haben ihre Homeoffice- spielen Industrie und Gewerbe in Öster- (Österreichischer Städtebund) Regelungen den gewonnenen Erfahrungen AUSGABE 15 | MAI 2021
Online angepasst, so dass davon auszugehen ist, Gleichzeitig aber hat die Pandemie gezeigt, + 17,4 % 5 dass auch künftig ein Teil der Arbeitsleis- wie ungleiche Wohnverhältnisse und unzu- tung von zu Hause aus erbracht werden reichende technische Ausstattungen (neben wird. Eine kürzlich vorgenommene Be- dem familiären Umfeld) zu einer verschärf- fragung des Instituts der deutschen Wirt- ten Chancenungleichheit vor allem im Bil- schaft zeigt, dass ein Drittel der befragten dungsbereich geführt haben. Die Digitali- Elektro Firmen plant, ihren Beschäftigten auch sierung liefert eben keine abgeschlossenen + 4,2 % Food langfristig mehr Homeoffice zu ermögli- Lösungsansätze. Problemlagen und Risiken + 8,9 % chen 6. Zwar liegt die Annahme nahe, dass im digitalen Raum können weiter (re)pro- dies eine Reduktion der Büroflächen zur duziert und sozialräumliche Disparitäten Folge haben könnte, doch gaben nur 6,4 % verschärft werden. All dies verweist auf der Unternehmen an, Flächen im kommen- die Notwendigkeit eines verantwortungs- den Jahr auch reduzieren zu wollen. Viel bewussten und werteorientierten planeri- Bücher häufiger werden hingegen Anpassungen in schen Handelns im Zuge der Digitalisierung. – 4,4 % der Flächennutzung genannt, die in Anbe- tracht mobiler Arbeitsformen an Relevanz DER TRAUM VOM WOHNEN UND gewinnen. Dazu zählt beispielsweise die ARBEITEN IM GRÜNEN Schuhe Auflösung von Gruppenbüros, die Erweite- – 16,6 % rung von Kommunikationsflächen und die Vordergründig überraschend mag der Errichtung flexibler Arbeitsplatzkonzepte. Boom von Zweitwohnsitzen erscheinen, Kleidung der von der Pandemie ausgelöst wurde. Die – 24,6 % Mit der Möglichkeit zum Homeoffice, gehen Gründe dafür sind vielfältig, unter ande- auch neue Formen der Lebensführung ein- rem begründet sich dies in einem aus den her. Die räumliche Entkoppelung von Arbeit Fugen geratenen Boden- und Immobilien- und Wohnen könnte diese Lebensstile auch markt in den Städten. Befördert aber wird abseits der urbanen Zentren etablieren. Ein der Trend von der Digitalisierung und von wachsender Bedarf an Co-Working-Angebo- der Möglichkeit, die Arbeit im Büro auch Das Jahr 2020 für den stationären ten in der Wohnumgebung ist bereits jetzt vom Zweitwohnsitz aus leisten zu können. und den Online-Handel. (Quelle: WKO zu verzeichnen - bietet die eigene Wohnung Deutlich spürbar ist mittlerweile, wie die 2021. Grafik: Madlyn Miessgang) schließlich nicht zwangsläufig entsprechen- Grundstücks- und Immobilienpreise auch de Ausweichmöglichkeiten oder ausreichen- im weiteren Umfeld der Städte wieder an- de Internetverbindung. In der Architektur ziehen. Auch dies ein Ausdruck der sich auch nicht wiederkommen. Viele Geschäfte und im Städtebau findet diese Entwicklung verlagernden Nachfrage nach Wohnraum. werden dies nicht überstehen. Zunehmen- bereits ihren Ausdruck in hybriden Model- Begriffe im Kontext der Multilokalität wie de Geschäftsaufgaben und Leerstände sind len und nutzungsoffenen Räumen. Hier zeigt etwa „Zoom-Town“ oder die als „workati- die Folgen einer bereits seit Jahren stattfin- sich die deutliche Korrelation zwischen den on“ bekannt gewordene Vermischung von denden Veränderung im Einkaufsverhalten Prozessen der Digitalisierung und ihrer Ent- Arbeit und Freizeit weisen aber darauf hin, wie in tiefgreifenden Strukturveränderun- sprechung in der Baukultur. dass neben der Suche nach hoher Lebens- gen im Handel. Nach einer Prognose von qualität, die Qualität der Dateninfrastruk- KPMG und des Handelsforschungsinstituts Wien tur und weiterhin die physische Erreich- EHI soll 2030 bereits die Hälfte der Mode in 43 % 30,4 % barkeit eine Rolle spielen werden. Deutschland online gekauft werden. In Ös- terreich wird dies nicht wesentlich anders Versorgung sein. Die Verlagerung der Umsätze wird ei- nen starken Flächenabbau des Handels zur und Handel Folge haben, was für die Stadtentwicklung und für Stadt- und Ortszentren zur großen Herausforderung werden wird. Überlagert wird das von den Veränderungen in den DIE (K)EINKAUFSTRASSE? Arbeitswelten, vor allem im Bürobereich. Vermehrt werden Menschen von zu Hause Der stationäre Einzelhandel ist in der Krise. aus arbeiten, weshalb tägliche Kund*innen Schon vor der Pandemie wuchs der Druck in den Innenstädten wegfallen und der Um- von allen Seiten. Seit den 1990er Jahren wa- gang mit untergenutzten Büroflächen zu ren es die großen Handelsketten, die inha- einer zusätzlichen Herausforderung in den bergeführte Betriebe zurückgedrängt bzw. Innenstädten und Zentren werden dürfte. aus den Orts- und Stadtkernen verdrängt haben. Nun ist es der Onlinehandel, der DIGITAL HANDELN 14,7 % auch die Fachmarkt- und Shoppingzentren Burgenland Anteil der an den Siedlungsrändern immer stärker Für den unter Druck geratenen Einzel- 31 % Arbeitnehmer*innen unter Druck setzt. handel, werden unterschiedliche Maß- in hoch digitalisierten nahmen der Digitalisierung als Chance Branchen Die COVID19-Pandemie hat im Handel gesehen. Eine zentrale, von der Digitalisie- Anteil der als Brandbeschleuniger für bestehende rung getriebene, Entwicklung stellen Mul- Homeoffice- tauglichen Jobs strukturelle Schwächen gewirkt. Kaufent- ti- und Cross-Channel Ansätze dar, in scheidungen werden zunehmend von der denen die Ladenfläche einer von vielen privaten Wohnzimmer-Couch aus getrof- Kund*innenkanälen ist. Um erfolgreich zu fen – mit teils gravierenden Folgen für die sein, werden immer wieder große Zusam- Pole der Beschäftigten in hoch digitalisier- tradierten Einzelhandelsstandorte in den menschlüsse und Plattformen für Betriebe ten Branchen und Anteil an Homeoffice- Städten und Gemeinden. Ein großer Teil betont. In Österreich setzen sich diese Maß- tauglichen Jobs nach Bundesländern von dem Umsatz, der während des Lock- nahmen schleppend durch. Insbesondere (Quelle: Basis Firgo et al. 2019 und Ozgu- downs noch zusätzlich in den Onlinehan- Klein- und mittlere Unternehmen (KMU) zel et al. 2020. Grafik: Madlyn Miessgang) del abgewandert ist, wird voraussichtlich tun sich schwer dabei, digitale Technologi- AUSGABE 15 | MAI 2021
6 en einzusetzen. Nur 16,5 % der Einzelhan- del-KMU und 22 % im Einzelhandelsdurch- schnitt haben 2017 ihre Waren auch online angeboten. Dem Gegenüber stehen 62 % der Verkürzung von Nutzungszyklen österreichischen Bevölkerung, die im In- ternet Einkäufe tätigt. Nicht umsonst liegt Österreich also auf Platz 37 bei Einkäufen ausländischer Internet-Anbieter*innen und nur 6,5 % des Umsatzes von KMU wurden in Bedeutungsver- Österreich online erzielt – in nur 5 EU-Län- lust des Handels Schlechte dern war der Anteil 2017 geringer.8 als Leitfuntion Versorungs- A-Lage situation Um die Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen zu verbessern, wird mit einem seit 2017 laufenden Förder- programm KMU.DIGITAL, einer Initiative des Bundesministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW) in Kooperati- Verödung on mit der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), entgegengewirkt. Mittlerweile er- B-Lage Leerstand halten ca. 15.000 Unternehmen eine Förde- rung in Form von Digitalinitiativen.9 Sandwich-Position DIFFERENZIERTE RAUMWIRKUNGEN Die Zunahme des e-Commerce führt in vor allem B-Einkaufslagen und Nebenlagen Stadt und Handel: Das Verhältnis Stadt größeren Maßstäben zu einer „Enträum- von Schrumpfungsprozessen betroffen sein. zum Handel ist schon länger aus dem Lot. lichung“ des Einkaufens. Unterschiede im Für Mittelstädte wird eine größere Gefähr- Digitalisierung verstärkt strukturelle Warenangebot und in den Zugriffsmög- dung gesehen – vor allem wenn sie sich am Schwächen, die schon lange existieren lichkeiten zwischen Stadt und Land wer- Rand von Großstädten befinden. Die größ- (Grafik: Madlyn Miessgang) den nivelliert oder verschwinden gänzlich. ten Probleme werden allerdings für Klein- Eine Studie der BBSR verweist auf diffe- städte erwartet, für die die Auswirkungen INNENSTÄDTE UND ZENTREN renzierte Raumwirkungen der Struktur- des Online Handels zu weiteren Nachfra- NEU DENKEN veränderungen im Handel bezogen auf geverlusten und Leerständen führen kön- Innenstädte und Ortszentren.10 Aufgrund nen. Ganz besonders wird dies Städte in Angesichts der tiefgreifenden strukturellen vielfältiger und differenzierter Handelsan- „Sandwich-Positionen“ betreffen, die ver- Veränderungen im Handel und im Kaufver- gebote werden demnach Großstädte und mutlich massiv unter Druck geraten wer- halten werden wir nicht umhinkommen, teilweise auch größere Mittelstädte wei- den. In ländlichen Räumen aber könnte der die Innenstädte, Stadt- und Ortszentren terhin feste Bestandteile der Handelsland- Online-Handel, so die Studie der BBSR, eine aus den Möglichkeiten der Zukunft heraus schaften sein. Sie weisen das vielfältigste Gegenbewegung auslösen zu der schon seit neu denken zu müssen. Oder anders aus- und differenzierteste Handelsangebot auf langem zu beobachtenden Ausdünnung der gedrückt, müssen wir der Monokultur in und sind Impulsgeber und Katalysatoren Versorgungsangebote. Der Ausbau hybri- den Innenstädten und Zentren – die vielfach neuer Handelsangebote. Generell verstär- der Nahversorgungslösungen (Verknüp- einseitig auf Handel und Dienstleitungen ken wird sich dabei der Anpassungsdruck fung von Arten sozialer Begegnung rund ausgerichtet sind – etwas entgegensetzen. einer immer intensiveren Verzahnung von um Abholboxen und Paketstationen) wie In Verbindung mit Wohnen, Gastronomie, Online- und Offline-Aktivitäten. Der Druck auch die Verbindung mit Angeboten der Tourismus sowie Angeboten der soziokultu- auf die 1A-Lagen dürfte damit weiter stei- Gesundheitsinfrastruktur oder das Ange- rellen Infrastruktur wird es darauf ankom- gen. Vor allem die Global Player drängen bot von CoWorking-Spaces oder anderen men, die Zukunft der Zentren auf eine breite hinein und sorgen für weiterhin steigende Formen gemeinschaftlicher Nutzungsan- und damit auch krisenunabhängigere Basis Mieten und eine Verknappung der verfüg- gebote können hier neue Perspektiven für zu stellen. Die Entwicklung polyzentraler baren Flächen. Im Gegensatz dazu dürften aktive Zentren eröffnen. Strukturen gewinnt dabei an Bedeutung. Zudem kommt vor allem den öffentlichen Räumen ein zentraler Stellenwert zuteil. „Ist Digitalisierung wirklich die große Sie sind es, die maßgeblichen Einfluss auf Chance für den ländlichen Raum? die Aufenthaltsqualität haben und die ein Bleiben Zentrenvorteile in der Zeit der starkes Gegengewicht zur Couch-Bequem- Digitalisierung weiterhin bestehen?“ lichkeit des Online-Handels bieten müssen. Dies auch vor dem Hintergrund notwen- Heide Birngruber Funktionen der Innenstadt im Wandel diger Klimaanpassungsstrategien in den (Amt der Oberösterreichischen (Quelle: Petrin & Lohmayer 2020, Grafik: meist dicht bebauten Zentren. Konkret geht Landesregierung) basierend auf Johanna Springer) es dabei um den konsequenten Ausbau der grünen und der blauen Infrastruktur und Arbeit um neue, zukunftsgerichtete Mobilitäts- Teilhabe und und Logistikkonzepte in und für die Innen- Handel und 2 Repräsentation Versorgung 2 2 städte und Zentren. All dies stellt besondere 2 1 3 1 Anforderungen an die Entwicklung strate- 1 3 1 3 3 gisch angelegter Zentrenkonzepte, die da- 4 4 rauf ausgerichtet sind, Kultur, Dienstleis- 5 4 5 4 tungen, Büros, Gastronomie und Handel in 5 Kultur 5 Wohnen Beziehung zueinander und zur Entwicklung und Gemein- der öffentlichen Räume zu setzen. schalichkeit AUSGABE 15 | MAI 2021
7 Mobilität und und Vernetzung des Verkehrs. Das „selbst- fahrende Fahrzeug“ wurde zur Ikone die- vor allem in urbanen Räumen verändert haben. E-Scooter, Bikesharing und in- Logistik ses Wandels. Es wurde zum Hoffnungsträ- ger so gut wie aller aktuellen Probleme im ternationale Fahrdienstleister wie Uber oder Bolt werden ebenfalls über digitale Straßenverkehr. Es wurde erwartet, dass Plattformen genutzt. Diese Entwicklun- NACH IMMER UND ÜBERALL. diese Technologie den Verkehr sicherer, gen nagen zum einen bereits spürbar an effizienter und ökologischer macht, wäh- den Monopolen lokaler Verkehrsbetriebe, Wie wir mobil sind, hängt in hohem Maß rend gleichzeitig Flächen vor allem in den erzeugen zum anderen aber neue Platzbe- damit zusammen, wo wir arbeiten, wohnen Straßenzügen urbaner Räume frei würden darfe, die zu „Stress“ im begrenzten Raum und unsere Freizeit verbringen. Welche Dis- und die neugewonnene „Freizeit“, die nicht der Straße führen. tanzen Menschen dabei zurücklegen, hängt mit dem Lenken des Fahrzeugs zugebracht von den zur Verfügung stehenden Techno- werden muss, anderwärtig genutzt werden Auch was neue Mobilitätsdienstleistungen logien ab. Von Pferden, zur Bahn zum Auto – kann. Allein: die kritische Betrachtung der (MaaS, „Mobility as a Service“) angeht, zeigt die tägliche Tageswegelänge hat mit immer vergangenen Jahre hat gezeigt, dass zum sich dieser Unterschied: Fahrdienstleister neuen Transporttechnologien rasant zuge- einen die technologischen Erwartungen (wie etwa Uber, Bolt, Free Now) sind bis- nommen – von etwa 1 km / Tag und Person überzogen waren und zum anderen auch lang vorwiegend urbane Phänomene. In um 1990 zu etwa 43 km / Tag und Person negative Effekte zu erwarten sind, die von ländlichen Räumen bedarf es engagierter 2013/2014 in Österreich.11, 12 Die damit ein- zunehmender Zersiedelung bis zu einer zivilgesellschaftlicher Initiativen, damit hergehenden Umweltfolgen sind enorm. Reihe von negativen Effekten im Straßen- derartige Services entstehen und betrie- raum reichen. Im aktuellen Stand der Ent- ben werden können. Erwartbar sind neue 25 Minuten/Weg wicklung sind automatisierte Fahrsysteme hybride Angebote, bei denen die Grenzen 12,9 km/Weg vor allem Assistenzsysteme, die auf der Au- zwischen öffentlichen und privaten Anbie- Österreich gesamt tobahn die lenkende Person bei der Fahr- tern fließend werden. 28 Minuten/Weg aufgabe unterstützen. Zahlreiche Tests mit 9,9 km/Weg automatisierten Shuttlebussen werden in ICH LASS DIE DINGE JETZT EINFACH Wien Europa durchgeführt, aber deren Regel- MAL AUF MICH ZUKOMMEN: LOGISTIK betrieb in größerem Ausmaß zeichnet sich 24 Minuten/Weg 10,3 km/Weg nicht ab. Aber nicht nur die Personenmobilität wan- Großstädte (ohne Wien) delt sich, sondern auch die Mobilität der Ein zentraler Punkt ist die hohe Hete- Güter: Lieferdienste und e-Commerce er- 25 Minuten/Weg rogenität des Straßennetzes – vor allem zeugen erhebliche Verkehrsmengen. In bei- 12,7 km/Weg Zentrale Bezirke in europäischen Siedlungsgebieten. Wäh- den Fällen bewegen sich die Waren zu den rend der kontrollierte Verkehrsraum der Kund*innen und nicht umgekehrt. Auch 25 Minuten/Weg Autobahn weitere automatisierte Anwen- hier ist die Bewegung hin zu Services er- 15,0 km/Weg dungen in naher Zukunft wahrscheinlich kennbar: Diese umfassen nicht allein die Periphere Bezirke macht, dürfte das Gewimmel lebendiger Produkte (oder Dienstleistungen) an sich, Straßenräume heute verfügbare Technolo- sondern die gesamte Abwicklung – vom gien langfristig überfordern. Infolgedessen online Bestellvorgang bis zur Lieferung an Durchschnittliche Wegedauer und ist für Österreich eine räumlich differen- die Tür. Wegelänge nach Raumtypen der Bezirke zierte Durchsetzung dieser Technologie 2013/14 (Quelle: BMVIT 2016) zu erwarten. Dies zu gestalten ist eine der zentralen verkehrs- und siedlungspoliti- Shared Mobility Heute ist die verkehrspolitische Zielsetzung schen Aufgaben der Zukunft, da es durch (Foto: Madlyn Miessgang, 2021) klar formuliert: Angesichts der globalen unterschiedliche Planungsansätze negati- Klimakrise muss sich die Mobilität grund- ve Effekte zu vermeiden gilt. legend wandeln – und dass aufgrund der Versäumnisse der Vergangenheit innerhalb VERNETZT UNTERWEGS kurzer Zeit. Der Verkehrssektor hat bislang in der EU keinen Beitrag zur Reduktion der Im Gegensatz zur Automatisierung des Treibhausgasemissionen geleistet. Im Ge- Verkehrs, ist die Vernetzung bereits im mo- genteil: Die Emissionen stiegen seit 1990 ex- bilen Alltag integriert und zeigt weitrei- trem (mit einem „Kick“ zwischen 2005 und chende raumrelevante Folgen und konkrete 2015) und die Prognosen bleiben düster.13 Ansätze für eine nachhaltige Verkehrswen- de. Von der Routenplanung bis zum Kauf des Die Digitalisierung wird zum Hoffnungsträger Tickets, verläuft vieles im öffentlichen Ver- einer neuen Mobilität. Das Leitmotiv des an- kehr heute digital und vor allem über mo- gestrebten Wandels ist die Abkehr von „Mobi- bile Endgeräte. Folglich ist der Ansatz na- lität im Besitz“ zur „Mobilität als Service“. heliegend, den Flächenverbrauch (sowohl im Straßenraum, als auch von Verkehrs- Schließlich entstehen im Kontext der „An- infrastrukturen insgesamt) zu reduzieren, triebswende“ auf Emissions-freie Kraftstoffe indem die Anzahl der Fahrzeuge effektiv neue infrastrukturelle Ansprüche. Ein flä- reduziert wird (durch stärkere Nutzung des chendeckendes Netz an e-Tankstellen (und de- öffentlichen Verkehrs und des Carsharing) ren Integration in das Energienetz) sowie Was- und indem höhere Besetzungsgrade von serstofftankstellen, gilt es erst zu entwickeln. Fahrzeugen gefördert werden (im öffentli- chen Verkehr ebenso wie im Ridesharing). HÄNDE WEG VOM STEUER! Sowohl Car- als auch Ridesharing werden AUTOMATISIERUNG heute ausschließlich über digitale Plattfor- men genutzt. Die beiden Komponenten, die auf techno- logischer Seite diesen Wandel ermöglichen Weitere Services sind in jüngerer Zeit sollen, sind zunehmende Automatisierung entstanden, die bereits den Straßenraum AUSGABE 15 | MAI 2021
190 8 bereits Platooning-Lösungen, bei denen Begriff in einem engeren Sinne verwendet LKW´s auf den Autobahnen in geringem und fokussiert auf die Bereiche Gesundheit, 170 Abstand und aufgefädelt wie an einer Per- Pflege und Bildung. lenkette hintereinander fahren. Einherge- 150 DIE INFORMATIONSGESELLSCHAFT IM hend mit dieser Effizienzsteigerung ver- schärft sich aber auch die Konkurrenz zu WANDEL WOHLFAHRTSSTAATLICHER 130 schienengebundenen Verkehrssystemen, VERANTWORTUNG 110 was wiederum eine höhere Umweltbe- lastung nach sich ziehen dürfte. Intensiv Wie im Laufe der industriellen Revolution, 90 diskutiert werden zudem die Einsatzmög- löst auch die Digitalisierung eine Debatte lichkeiten von Drohnen und Robotern in über die Rolle des Staates und über dessen 70 der Endkundenbelieferung, die zu einer wohlfahrtsstaatliche Verantwortung aus. In neuen Belastung öffentlicher Räume und, europäischen Ländern wie den Niederlan- 50 was die Auslieferroboter betrifft, zu Kon- den und in England wurde bereits das Ende 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 kurrenzen in Benutzung der Gehwege des Wohlfahrtsstaates ausgerufen. Mit dem führen werden. Konzept der Partizipationsgesellschaft („par- ticipation society“ (NL) und „big society“ (UK)), WIE ALGORITHMEN STEUERND welches die Lücke des Wohlfahrtsstaates Optimistisches Szenario EINGREIFEN schließen soll, ist die Aufforderung verbun- Mittleres Szenario den, dass jede Person, die dazu in der Lage ist, Pessimistisches Szenario Besonders wegweisend erscheinen da- selbst umfassend Verantwortung für sein/ihr tengestützte Messsysteme und eine aus- Leben und seine/ihre Umwelt übernimmt. gefeilte Sensorik, die darauf ausgerichtet Prognostizierte Entwicklung der sind, den Verkehr über Ampelschaltungen Während England und die Niederlande ex- Paketsendungen in Wien bis 2025 und Leitsysteme zunehmend interaktiv treme Fälle darstellen, sind die beiden zu (Quelle: WKO 2021) zu steuern und zu lenken. Mithilfe von Grunde liegenden Trends schon heute ein Künstlicher Intelligenz soll die Simu- wichtiger Teil in der sozialen Versorgung 2023 2024 2025 lation von Verkehrsflüssen in Echtzeit Österreichs. Zum einen übernehmen neue „Digitalisierung wird oft diskutiert als verbessert und die Kosten und die Um- Akteur*innen Verantwortung im Bereich final determinierter Zustand. Wir wis- weltbelastungen von Mobilität reduziert der sozialen Infrastrukturen. Es sind dies sen jedoch heute noch nicht, was das werden. Aktuell steht aber eine Vielzahl privatwirtschaftliche Akteur*innen und letztendlich bedeutet. Mit dem Fokus an Fragen im Raum, auf die Antworten auch das Ehrenamt (formales Freiwillige- auf gesellschaftliche Ziele an das The- gefunden werden müssen. Unter anderem nengagement), das in Österreich traditionell ma heranzugehen ist eine lohnende jene nach der Sicherheit solcher Systeme eine wesentliche Rolle spielt. Zum anderen Aufgabe!“ gegenüber Hackerangriffen, bezogen auf bieten digitale Plattformen neue Möglich- ethische Aspekte in der Überwachung keiten der Vernetzung und der Kooperati- Markus Seidl des öffentlichen Raumes und nach der Re- (ÖROK) lation zwischen öffentlichen und privaten Instrumenten und einer entsprechend notwendigen Regulation.15 DIGITALER HUM ANISMUS UND SOZIAL- Die COVID19-Pandemie hat diesen Servi- RÄUMLICHE HERAUSFORDERUNGEN Soziale ces einen deutlichen Boost gegeben, der auf Kosten des geschlossenen stationären Die digitale Zukunft rückt zunehmend in den Fokus Infrastruktur Einzelhandels ging. Lieferservices wie etwa ökonomischer gesellschaftlicher Diskurse. Überdeut- Mjam, aber auch informelle Arrangements lich zeichnet sich ab, wie tiefgreifend die Digitalisie- und To-Go-Angebote. Sie alle wurden wäh- rung der Lebens- und Arbeitswelten auch das gesell- rend der Pandemie digital genutzt und schaftliche Zusammenleben verändern wird. nahmen insgesamt stark zu. Während die SINNSTIFTENDE Zahl der gesendeten Pakete beispielsweise KOOPERATIONEN. Die Digitalisierung eröffnet neue Chancen und Mög- in Wien an und von Geschäftskund*innen lichkeiten, birgt aber auch eine Vielzahl an Risiken um 4,2 % abnahm, stiegen die Sendungen In ihrer heutigen Form sind die Funktionen und Herausforderungen. Dies betrifft sowohl die an Konsument*innen um 16 %.14 Es wird er- der sozialen Infrastruktur ein Produkt des massiv beschleunigte Monopolisierung von Diens- wartet, dass dies kein kurzfristiges Auswei- Wohlfahrtsstaates, der wiederum selbst ten und Daten bei gleichzeitiger Intransparenz im chen auf andere Kanäle darstellt, sondern als eine (vorrangig europäische) Folge der Umgang mit diesen Daten. Dies betrifft die Verbrei- eine langfristige Trendwende eingeläutet industriellen Revolution gesehen werden tung von Lügen und den Ausbau von „Filterblasen“ bzw. beschleunigt hat. kann. Der Begriff ist eng mit grundlegen- über die sozialen Netzwerke ebenso wie den Drang, den Konzepten der Raumplanung wie dem Menschen zu überwachen. Und letztlich betrifft dies Neben den steigenden Verkehrsmengen Gemeinwohl bzw. der Gleichwertigkeit der die scheinbare Objektivierung von Entscheidungen entstehen so auch neue Raumbedarfe und Lebensverhältnisse verbunden und be- durch Algorithmen. Der Wiener Wissenschafts- und Logistikkonzepte: Warenlager und Logis- schreibt die Gesamtheit der Einrichtungen, Technologiefonds hat sich diesen Fragen im Rahmen tikzentren erreichen nun die Größe und die der sozialen Versorgung der Bevölke- einer Initiative zum „Digitalen Humanismus“ ange- überregionale Bedeutung von Häfen. Im rung dienen. Darüber hinaus besteht kein nommen, bei dem es um die Auseinandersetzung städtischen Raum entstehen neue Bedarfe vollständiger Konsens darüber, welche mit humanistischen und gesellschaftlichen Werten nach einem räumlich ausdifferenzierten konkreten Einrichtungen damit erfasst in der Entwicklung von Technologien, Systemen und und lizensierten Netz von Logistikhubs sind. Je nach Definition umfasst der Begriff Geschäftsmodellen geht. Durch die Zusammenar- und quartiers- bzw. auch gebäudebezoge- der sozialen Infrastruktur Einrichtungen beit von Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften nen Paketstationen. Auch in der Automati- der Nahversorgung (Einzelhandel), der Bil- mit den Computerwissenschaften sollen neue An- sierung, die heute immer noch am Anfang dung, das Pflege- und Gesundheitswesen, sätze zu alternativen, an gesellschaftlich/ethischen steht, sind die Logistiker*innen die Vor- Rettungsdienste, Feuerwehr, Polizei, Frei- Wertekonzepten ausgerichteten Digitalisierungs- reiter: vor allem der Umschlag auf globa- zeiteinrichtungen und den öffentlichen konzepten verfolgt werden. Hier wird vor allem der len Wegeketten wird heute vielfach auto- und privaten Nah- und Fernverkehr. Für die Wissenschaft eine zentrale Rolle beigemessen. matisiert bewältigt. Aktiv getestet werden hier angestellten Betrachtungen wird der AUSGABE 15 | MAI 2021
on, die Bürger*innen zu eigenverantwort- 9 > 80 % lichem Handeln befähigen sollen. Beide > 60–80 % Trends geben eine Perspektive in Richtung > 40–60 % raumwirksamer Effekte der Digitalisierung. > 20–40 % (DIGITALES) EHRENAMT < 20 % Im Jahr 2012 haben sich 46 % der Österreicher*innen freiwillig engagiert16. In einer Studie für Wien wurde gezeigt, dass sich mehr Frauen als Männer engagieren und hier vor allem die jüngeren und älteren Altersgruppen, deren Freiwilligenarbeit einen Wert von 680 Mio. Euro ausmacht17. Entscheidend hierbei ist nicht alleine der ökonomische, sondern politische, soziale und psychologische Wert dieser Tätigkei- ten. Die Freiwilligenarbeit wirkt sich auf der individuellen Ebene positiv auf die psy- chische und physische Gesundheit aus und fördert zudem die soziale Integration, Soli- Anteil der versorgten Gebiete mit Fest- „Kann Digitalisierung einen darität und stärkt demokratische Prozesse. netz-Bereitbandgeschwindigkeiten Beitrag zur Lösung unserer alten über 100 Mbit/s an allen Wohnsitzen Probleme leisten oder entstehen Es ist die zentrale Idee des Web 2.0 oder (Quelle: ÖROK 2018). Aktuelle Daten zur neue Probleme?“ auch der sozialen Medien, Plattformen Breitbandversorgung in Österreich wer- durch freiwillig erbrachte Leistungen mit den über den digitalen Breitbandatlas Melanie Dobernig-Lutz Inhalten zu füllen (und diese zu kommerzi- des Bundesministerium für Landwirt- (Städtebund) alisieren). Wikipedia oder OpenStreetMap schaft, Regionen und Tourismus (BMLRT) und zahlreiche Projekte im Bereich des e- öffentlich zur Verfügung gestellt (www. Learning sind Beispiele für Plattformen, wo breitbandatlas.gv.at) die erbrachten Leistungen als digitale Ge- ROBOTER IN DER PFLEGE meingüter zur Verfügung gestellt werden18. Ähnliche Ansätze werden in der Raumpla- Das Risiko einer digitalen Spaltung der Ge- Schließlich betrifft die Digitalisierung die nung in den Bereich der e-Partizipation sellschaft ist groß. Aspekte wie Alter, Ein- Automatisierung von Arbeitsabläufen. oder von OpenData bzw. OpenGovernment kommen, Bildungsstand, soziales Milieu, Der existierende Fachkräftemängel, etwa Initiativen bereits erfolgreich umgesetzt. Sprach- und Technikkompetenz spielen da- in Pflege- und Gesundheitsberufen, soll Auch hierfür ist anzunehmen, dass sich die bei eine zentrale Rolle. Schließlich wurde durch Robotik und Kommunikation ab- COVID-Pandemie beschleunigend auswirkt. während dieser Ausnahmesituation auch gefedert werden. In erster Linie geht es deutlich, wie schnell Gräben eines „digital nicht um die Substituierung von Arbeits- SOZIALE INFRASTRUKTUREN divide“ zu Zeiten des „Home Schooling“ und plätzen, sondern um die Substituierung ALS SERVICES während der momentan notwendigen e- einzelner Arbeitsschritte. Dies sorgt auch Government Leistungen entstehen können. für Veränderungen in der Arbeitswelt, von In allen Bereichen der sozialen Infrastruk- Besonders in benachteiligten Quartieren denen man heute annimmt, dass stärker tur zeigt sich ein Trend, Angebote flexibler, verschärfen sich Problemlagen, deren lang- Frauen betroffen sein dürften19. In Summe situationsabhängig und mobil zu gestalten. fristige Folgen noch nicht abzusehen sind. wirkt dies auf den Arbeitsmarkt, indem Ein konzeptueller Wandel, der wesentlich der Personalbedarf ab und die Mobilität durch digitale Technologien ermöglicht Die Herausforderungen sind groß. Die Be- zunimmt bzw. auf neue Berufsgruppen wird, ist bereits nachzuweisen: Infrastruk- reitstellung und Absicherung des Zugangs ausgeweitet wird. tur ist nicht länger nur eine physische Ein- zu einer physischen Dateninfrastruktur ist Energie- richtung vor Ort, sondern die prinzipielle notwendig, aber wird nicht ausreichen, Möglichkeit ein Service zu einem bestimm- um einer Polarisierung der Gesellschaft und Daten ten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort durch die Digitalisierung entgegenzuwir- abrufen zu können. Aktuell wird dafür der ken. Es bedarf der Vermittlung digitaler infrastruktur Begriff „City as a Service“ oder allgemeiner Kompetenzen und einer Verbesserung der der „Smart City“ verwendet. Dieser Service- Chancengleichheit im sozialräumlichen Shift erzeugt einerseits einen Bedarf nach Kontext. Dies inkludiert den Ausbau von neuen Kompetenzen in der Verwaltung und Angeboten einer sozialen und gemein- Planung und andererseits neue Bedarfe di- wohlorientierten Infrastruktur ebenso WELT AM DRAHT gitaler Infrastruktur bzw. neue Wege, um wie die Entwicklung neuer Governance- bestehende Infrastrukturen zu optimieren. Modelle unter Einbeziehung digitaler Im Zuge eines so grundlegenden Wandels Netze der Nachbarschaftshilfe und Quar- wie jener der Digitalisierung stellt sich die Diese neuen Anforderungen sind allgemein tiersentwicklung. Frage nach der infrastrukturellen Verant- auf den Arbeitsmärkten einer „Informati- wortung für Kommunen, Städte, Länder onsökonomie“ deutlich spürbar und stel- „Welche Rollen spielen Städte weiter- und des Staats. Im Kontext der Digitalisie- len Bildungseinrichtungen vor die Her- hin? Befördert Digitalisierung den per- rung braucht es neue Systeme: Kommuni- ausforderung den „klassischen Kanon“ mit sönlichen Austausch oder wird dieser kationsnetzwerke auf Basis des 5G Mobil- marktkonformen Angeboten zu versöhnen. (entgegen dem historischen Zusammen- funks oder Glasfaseranschlüssen, digitale Während der COVID-Pandemie wurden hang) dadurch weniger? Was ist die Infrastruktur im Verkehrswesen (Straßen- Versäumnisse der Vergangenheit deutlich: Rolle der öffentlichen Verwaltung?“ und Schienenverkehr, G5 und 5G), Ser- Vernetzte Angebote stehen lange nicht im ver- und Rechenzentren und als Rückgrat erhofften Maße zur Verfügung – ebenso wie Helmut Augustin und Nadelöhr leistungsfähige und flexible die notwendigen Nutzungskompetenzen. (Stadt Wien) Stromnetze. AUSGABE 15 | MAI 2021
10 Auch im österreichischen Regierungspro- Die regional differenzierte Digitalisierung ÜBERALL, IMMER. gramm gibt es das Ziel, Österreich zu einer ist derweil keine Ausnahme, sondern der führenden Digitalnation innerhalb der Eu- Regelfall: Politische Dokumente und wis- Der umfassende Einsatz von digitalen ropäischen Union zu entwickeln. Maßnah- senschaftliche Studien aus anderen euro- Systemen in allen Bereichen (ubiquitous men dazu betreffen den Ausbau der Infra- päischen Ländern dokumentieren einen computing) führt zu ständig steigenden struktur, digitale Verwaltung, Open Data, wachsenden „digital spatial divide“, der Ansprüchen an die Infrastruktur. Smart Netz- und Datenpolitik, KI und Cybersicher- sich zwischen Stadt und Land zu festigen Phones, Laptops, Streaming-Dienste (Netf- heit. Zahlreiche Initiativen wurden hierzu droht. Dieses neue Stadt-Land-Gefälle kann lix, Amazon Prime) verlangen Energie- und in Österreich bereits entworfen und gestar- dazu führen, dass bestehende Disparitäten Datenübertragung. Damit verbunden ist tet (u.a. „Breitband-Milliarde“, „Digital Road weiter verstärkt werden: Wo Konnektivität eine Externalisierung von Infrastruktur- Map“, Digitaler Aktionsplan“). Neben der und technische Fähigkeiten zu einer Vor- kosten und – meist vergessen – erhebliche wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit der aussetzung werden um Angebote abzufra- Treibhausgasemissionen die im „vierten Regionen und der Versorgung der Bevölke- gen, wird ein Wandel vollzogen, der weder Sektor“ entstehen. Immer neue Infrastruk- rung, werden auch im hochkritischen Be- räumlich noch gesellschaftlich ebenmäßig turen führen dazu, dass laxe Bodenpolitik reich der Klimakrise (Reduktion der Treib- verläuft. Das Stadt-Land-Gefälle, das im immer höhere Infrastrukturfolgekosten hausgasemissionen und Anpassung an die Kontext der Digitalisierung sichtbar wird, verursacht. Diesem Trend soll die „smarte“ lokalen Folgen globaler Erwärmung) große ist nicht nur eine Frage der Technologie, Entwicklung von Netzen entgegenwirken. Hoffnungen in Technologien der Automati- sondern auch eine Frage der Nutzungskom- sierung und Vernetzung gesetzt. petenz und damit eine bildungspolitische Die Digitalisierung könnte auch zu einem und institutionelle Herausforderung. grundlegend neuen Verständnis des Be- RÄUMLICHE DIFFERENZIERUNG griffes der Infrastruktur beitragen. Nicht Nicht nur räumlich, sondern auch inner- länger stehen (nur) die Netze im Fokus, son- Im europäischen Vergleich liegt Öster- halb der Bevölkerung zeigen sich Diffe- dern auch gewisse Leistungen, die in die reich im Bereich der digitalen Infrastruktur renzierungen und Bruchlinien, bekannt staatliche (oder kommunale) Verantwor- im Mittelfeld. 89,3 % der österreichischen als „digital divide“. Dies betrifft sowohl tung übergehen. Ein Beispiel hierfür wäre Haushalte verfügen über einen Breitband- den Zugang (first-level divide) als auch die die Initiative der Europäischen Union, eine anschluss. In den Niederlanden sind es 97 Nutzung von IKT (second-level divide). Vor europäische Cloud („Gaia-X“) einzurich- %, der EU-27-Durchschnitt liegt bei 86 %. Der allem der sozioökonomische Status beein- ten oder auch Überlegungen, künstliche Ausbau des Glasfasernetzes ist in Österreich flusst die digitale Problemlösungskompe- Intelligenz von Staaten oder in zivilge- allerdings noch wenig fortgeschritten. Nur tenz und be- bzw. verstärkt damit die regi- sellschaftlichen Initiativen einzurichten. 13 % aller Haushalte (Stand 2018) sind an das onalen Unterschiede. Besonders gravierend Tourismus und Glasfasernetz angebunden20. Vor allem an sind die Unterschiede im Bildungsbereich, ländlichen und peripheren Standorten ist wo sich während der durch den Corona- Kulturland die Versorgung noch rudimentär. Lockdown „erzwungenen Digitalisierung“ die Lehr- und Betreuungsformen nicht zu- schaften Touristische Erfahrung als Collage letzt im Zusammenhang mit entsprechen- von Online-Informationen; Oregon, USA den Vorkenntnissen des Lehrpersonals (Foto: Emilia M. Bruck) (und der Eltern) stark unterschieden. DIGITALISIERUNG IM TOURISMUS Kein Land der OECD-Mitgliedstaaten ver- zeichnet mehr internationale Ankünfte pro 1.000 Einwohner*innen als Österreich. Im Jahr 2019 waren es 152,7 Mio. Nächtigungen, bis die Zahl während der COVID19-Pandemie auf 35,9 % auf 97,88 Mio. zurückging21. Die Wertschöpfung aus dem Tourismus (bis 2019 noch 16 % des BIP) und folglich deren Wegfall variieren stark nach Bundesländern. Es gibt keine verlässlichen Daten zu den Um- weltwirkungen des Tourismus in Österreich. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 5 % - 6 % der jährlichen Treibhausgasemissionen Österreichs allein eine Folge des Wintertou- rismus sind. Da sich der Tourismus zuse- hends lokal konzentriert, gilt dies auch für die lokalen Umweltbelastungen.22 Im Jahr 2019 wurde in Österreich der „Plan T - Masterplan für Tourismus“ vorgestellt. Di- gitalisierung soll drei zentrale Zielstellungen unterstützen: (1) ein attraktives Umfeld für Betriebe in diesem Sektor zu ermöglichen (z.B. Erleichterung von Behördenwegen durch e-Gouvernement, gemeinsame digi- tale Plattformen), (2) die Relevanz der Bran- che einer breiten Öffentlichkeit zu vermit- teln (um Akzeptanz zu erzeugen) und (3) soll Digitalisierung einen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit im Tourismus ermöglichen. AUSGABE 15 | MAI 2021
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