Gestaltung und demokratie. neubeginn und weichenstellungen in rheinland und bauhaus100-im-westen.de - 100 Jahre bauhaus im westen

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gestaltung und
demokratie.
neubeginn und
weichenstellungen
in rheinland und
westfalen           bauhaus100-im-westen.de
Gestaltung und demokratie. neubeginn und weichenstellungen in rheinland und bauhaus100-im-westen.de - 100 Jahre bauhaus im westen
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                                                                                                                                                                                                                               100 jahre
                                                                                                                                                                                                                               534 tage
                                                                                                                                                                                                                               1 haltung

                                                                                                                                                                                                                               Liebe Leserinnen, liebe Leser,

                                                                                                                                                                                                                               beim Stichwort „Bauhaus“ denken viele an Dessau, Weimar und Berlin.
                                                                                                                                                                                                                               Weniger bekannt ist, wie sehr die Bauhaus-Bewegung auch im Westen
                                                                                                                                                                                                                               das Bauen und Gestalten beeinflusste und wie diese Einflüsse auf die
                                                                                                                                                                                                                               Zentren der Bewegung zurückwirkten.

                                                                                                                                                                                                                               So leisteten im westfälischen Hagen der Architekt und Gestalter Henry van de Velde und der
                                                                                                                                                                                                                               Sammler Karl Ernst Osthaus entscheidende Vorarbeit zum späteren Konzept des Bauhauses.
                                                                                                                                                                                                                               Ludwig Mies van der Rohe entwarf die Wohnhäuser beiden Krefelder Seidenfabrikanten Lange
                                                                                                                                                                                                                               und Esters sowie einen Produktions- und Verwaltungsbau.

                                                                                                                                                                                                                               Der Einfluss der Bauhaus-Bewegung reichte über Industriearchitektur und Kunstgewerbe hin-
                                                                                                                                                                                                                               aus, prägte Mode und Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens, befeuerte die Sehnsucht
                                                                                                                                                                                                                               nach demokratischem Aufbruch und drückt sich sogar im Umgang mit Themen wie Flucht und
                                                                                                                                                                                                                               Exil aus.

Ein Projekt von                                                                                   In Kooperation mit                                                                                                           „Die Welt neu denken“ – unter diesem Motto begehen das Land Nordrhein-Westfalen und die
                                                                                                                                                                                                                               für die Landschaftliche Kulturpflege zuständigen Landschaftsverbände Rheinland (LVR) und
                                                                                                                                                                                                                               Westfalen-Lippe (LWL) das 100-jährige Bauhaus-Jubiläum. Mit dabei sind über 40 weitere
                                                                                                                                                                                                                               lokale und regionale Partner wie Museen im Rheinland und in Westfalen sowie der Krefelder
                                                                                                                                                                                                                               Verein MIK e.V. Die Ausstellungs- und Veranstaltungsreihe zu den Reformideen, mit denen die
                                                                                                                                                                                                                               Akteure der Bauhaus-Bewegung entscheidende Weichen gestellt haben, nimmt insbesondere
herausgeber Geschäftsbüro „100 jahre bauhaus im westen“ |                   bildnachweise Titel: Katharina Marg/formkombinat, HeinrichNeuyBauhausMuseum, MOMENI Gruppe/Ralph Richter, Kunstmuseum Krefeld,
                                                                                                                                                                                                                               das Zusammenwirken von Gestaltung und Demokratie in den Fokus.
Augustinerstraße 10 – 12 | 50667 Köln | T +49 (0) 221 809-7018              Volker Döhne, MKW/Bettina Engel-Albustin 2017 (S.3), LVR-Zentrum für Medien und Bildung/Alexandra Kaschirina (S.4), LWL-Medienzentrum für
| F +49 (0) 221 809-3373 | lenkungskreis@bauhaus100.nrw.de |                Westfalen, picture-alliance/dpa (S.6), Stadt Bochum, Referat für Kommunikation (S.7), Steeler Archiv (S.8), Katharina Marg/formkombinat (S.9),
www.bauhaus100-im-westen.de | kuratorium Dr. Hildegard Kaluza,              keine Urheberrechtsbeschränkungen bekannt (S.10), Museum Ritter, Waldenbuch/Gerhard Sauer, VG-Bild Kunst, Bonn 2018 (S.11), LVR-ADR/
Milena Karabaic M.A., Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger | lenkungskreis        Jürgen Gregori 2018, LVR-ADR/Jürgen Gregori 2018, Hanne Brandt 2006 (S.12), Bubo „Iserlohn-Schlieperblock1-Bubo“, https://creativecommons.
                                                                                                                                                                                                                               Ich danke allen Beteiligten für ihr großes Engagement, mit dem sie die Einflüsse des Bauhau-
Dr. Cornelia Bockrath, Dr. Joachim Henneke, Prof. Dr. Thomas Schleper |     org/licenses/by-sa/3.0/legalcode, LWL-DLBW 2009 (S.13), Walter Buschmann, JochenTack/Stiftung Zollverein (S.14), Tobias Roch, LWL-Medien-          ses sichtbar und erlebbar machen. Den Besucherinnen und Besuchern wünsche ich viel Spaß
V. i. S. d. P. und Verantwortlicher gem. § 55 Abs. 2 Rundfunkstaats-        zentrum für Westfalen (S.15), Osthaus Museum Hagen, Kunstmuseen Krefeld, Karl Ernst Osthaus-Archiv, Hagen (S.16), Fotoarchiv Ruhr Museum,
vertrag: Prof. Dr. Thomas Schleper, T +49 (0) 221 809-7078, Thomas.         Essen (S.17), Fotoarchiv Ruhr Museum, Essen, Fotoarchiv Ruhr Museum, Essen/Ruth Hallensleben (S.18), Kunstmuseum Krefeld, Volker Döhne
                                                                                                                                                                                                                               beim Erkunden und Entdecken.
Schleper@lvr.de | redaktion Seher Nadine Anilgan, Christine Ferreau,        (S.19), Michael Dannenmann, Kristien Daem (S.21), HeinrichNeuyBauhausMuseum, Willi Ahlmer, Rheine, HeinrichNeuyBauhausMuseum (S.22), Ge-
Alexandra Hilleke | auflage 7.000 Stück | kontakt Geschäftsbüro             meinde Burbach-Siegerland, LWL-DLBW/Tobias Venedey (S.24), Förderkreis Industriepfad Düsseldorf e.V. (S.25), Tuxyso/Wikimedia Commons/
Augustinerstraße 10 – 12 | 50667 Köln | T +49 (0) 221 809-7018 |            CC BY-SA 3.0, LVR-ADR/Jürgen Gregori (S.26), LVR-ADR/Jürgen Gregori (S.27), Túrelio/ Wikimedia-Commons/2008/CC-BY-SA-3.0-de, Jürgen                Isabel Pfeiffer-Poensgen
lenkungskreis@bauhaus100.nrw.de | gestaltung Niehaus Knüwer and             Wiener (S.28), MOMENI Gruppe/Ralph Richter, Eigentümer (S.29), Lehmbruck Museum, Bernd Kirtz/VG-Bild Kunst, Bonn 2018 (S.30), Martin F.
friends, Düsseldorf | druck DFS Druck Brecher GmbH                          Müller & Assoziierte (S.31), Claudia Fährenkemper/VG-Bild Kunst, Bonn 2018, The Martin Munkacsi Estate/Stiftung F.C.Gundlach, courtesy Dieter
                                                                                                                                                                                                                               Ministerin für Kultur und Wissenschaft
                                                                            Blase 2018 (S.32), Renger-Patzsch Archiv – Ann und Jürgen Wilde/VG-Bild Kunst, Bonn 2018 (S.33), Mit freundlicher Genehmigung der v. Bodel-        des Landes Nordrhein-Westfalen
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von HOCHTIEF.                       schwinghsche Stiftungen Bethel/Bauhaus-Archiv Berlin (S.34), Zentrum Paul Klee, Bern, gemeinfrei, Archiv Max Peiffer Watenphul/Stiftung Wilhelm
                                                                            Lehmbruck Museum – Zentrum Internationaler Skulptur, Duisburg (S.36), Los Angeles County Museum of Art, The Marjorie and Leonard Vernon
Wir danken allen Künstlern und Rechteinhabern für die Freigabe des Bild-    Collection, gift of The Annenberg Foundation, acquired from Carol Vernon and Robert Turbin (S.37), Michael Craig Palmer; Öffentliche Kunstsamm-
materials. Anbieter und Redaktion bemühen sich intensiv, alle Inhaber von   lung Basel, Rheinisches Bildarchiv Köln (S.38), Courtesy of Western Regional Archives, States Archives of North Carolina/Masato Nakagawa (S.39),
Abbildungsrechten ausfindig zu machen. Personen und Institutionen, die      Bauhaus-Archiv Berlin, gemeinfrei (S.40), Kunstmuseen Krefeld, LVR-Industriemuseum (S.41), 2018 The Josef and Anni Albers Foundation/VG Bild-
möglicherweise nicht ermittelt werden konnten, bitten wir um Nachricht.     Kunst, Bonn 2018, Helena M. Post, Courtey; K20, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen (S.42).
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  grußwort der schirmherrin   3
Gestaltung und demokratie. neubeginn und weichenstellungen in rheinland und bauhaus100-im-westen.de - 100 Jahre bauhaus im westen
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                                                                                                                                                                                                                                      inh

                                                                                                                                                                                                                2		   Impressum
                                                                                                                                                                                                                3		   Grußwort der Schirmherrin
                                                                                                                                                                                                                4		   Grußwort des Kuratoriums und des Lenkungskreises
                                                        Das Kuratorium: Milena Karabaic M.A. (LVR), Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger (LWL),
                                                        Dr. Hildegard Kaluza (Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW, v.l.)
                                                                                                                                                                                                               aufbrüche!
                                                                                                                                                                                                               6 		   Weimar im Westen: Republik der Gegensätze
                                                                                                                                                                                                               7		    „Nicht länger nur Objekt sein“
kuratorium                                              Liebe Leserinnen und Leser,
                                                                                                                                                                 gestaltung und                                		     Die Einführung des Frauenwahlrechts

Dr. Hildegard Kaluza
Leiterin der Abteilung Kultur im Ministerium
                                                        „100 jahre bauhaus im westen“ – unter diesem Motto lädt
                                                        Nordrhein-Westfalen zu einer landesweiten Ausstellungs- und
                                                                                                                                                                 demokratie. weichen-                          bauhaus – auch im westen!
                                                                                                                                                                 stellungen in rheinland
für Kultur und Wissenschaft des Landes                                                                                                                                                                         9 		   Gestaltung im Industriegebiet
Nordrhein-Westfalen                                     Veranstaltungsreihe zu Reformideen und Wirkungen des Bauhauses                                                                                         12		   Neues Bauen im Rheinland
                                                        ein. Damit trägt Nordrhein-Westfalen zu den (inter-) nationalen                                                                                        13		   Bauhaus in Westfalen?
Milena Karabaic M.A.
Kulturdezernentin des                                   Feierlichkeiten zum Bauhaus-Jubiläum im Jahr 2019 bei.                                                   und westfalen.                                14
                                                                                                                                                                                                               15
                                                                                                                                                                                                                      Bauhaus – Moderne und Industriebau
                                                                                                                                                                                                                      Karl Ernst Osthaus und Hagen – eine Stadt als
Landschaftsverbandes Rheinland                                                                                                                                                                                 		     Experimentierfeld der Moderne
                                                                                                                                                                                                               17		   Essens Aufbruch in die Moderne
Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger                          Der Gestaltungswille der Bauhaus-Be-                       Ersten Weltkrieg. Krefeld nennt sich selbst   Republik. So lautet der Untertitel zu „100    19		   Avantgarde am Niederrhein – Interview mit
Kulturdezernentin des Landschafts-                      wegung umfasste weit mehr als neue                         mittlerweile „Bauhaus-Stadt“ und hat u.a.     jahre bauhaus im westen“: gestaltung und      		     Christiane Lange (Projekt MIK e.V.)
verbandes Westfalen-Lippe                               Architekturen und Produktentwürfe: Vom                     Mies van der Rohe, Lilly Reich, Johannes      demokratie. neubeginn und weichenstel-        22		   Im Münsterland: Bauhaus für Entdecker – Interview mit
                                                        Kunstgewerbe bis zur Industriearchitektur,                 Itten und Georg Muche als klangvolle Re-      lungen in rheinland und westfalen. Über       		     Hedwig Seegers (HeinrichNeuyBauhausMuseum)
                                                        von der Mode zu Formen gesellschaftlichen                  ferenzen aufzubieten. Das 1924 fertigge-      40 lokale und regionale Partner, darunter     24		   Das Landhaus Ilse – Ein Bauhaus-Juwel auf dem Land
                                                        Zusammenlebens, von der Sehnsucht nach                     stellte Landhaus Ilse in Burbach-Siegerland   die Architektenkammer NRW, tragen zum
lenkungskreis                                           demokratischem Aufbruch bis hin zu Flucht                  darf als wirkliche Neuentdeckung gewertet     Gedenkjahr bei, zu einem Veranstaltungs-
                                                                                                                                                                                                               neues bauen
                                                        und Exil reicht das Themenspektrum der                     werden, ähnelt es doch stark dem Haus am      verbund also, den es in dieser Zusammen-
Dr. Cornelia Bockrath                                   nordrhein-westfälischen Veranstaltungen.                   Horn, das das Bauhaus 1923 in Weimar als      stellung, Größenordnung und Reichweite        25		   Neues Bauen in Nordrhein-Westfalen
Referatsleiterin Landschaftsverband                     Gestaltung wird dabei in ihrer ästhetischen                sein erstes Musterhaus errichtete. Es gibt    bislang noch nicht gab. Ein Bildungskonvent   27		   Kirchenbau und Bauhaus
Westfalen-Lippe                                         wie gesellschaftlichen und politischen                     nicht nur ein „Bauhaus“, das Land NRW hat     wird den Projektreigen im Frühjahr 2020       29		   Das Bauhaus in der Nachkriegsmoderne
                                                        Dimension gefasst.                                         Substanzielles zur Entdeckung der Vielfalt    abschließen. Dort soll Schülerinnen und       31		   Neues Bauen heute
Dr. Joachim Henneke                                                                                                von Umsetzungen, Transformationen und         Schülern die Gelegenheit gegeben werden,
Beauftragter des Landes Nordrhein-                      Die Ideen- und Kraftströme für neue Gestal-                spezifischen Anwendungsfällen der Bau-        im Rahmen des Bauhausjahres durchgeführte
Westfalen für das Bauhaus-Jubiläum                      tungsideen flossen in beide Richtungen: Von                hausidee beizutragen.                         Projekte vorzustellen.                        neues sehen
                                                        den Bauhauszentren Weimar, Dessau und                                                                                                                  32		   Fotografie von der Weimarer Republik bis heute
Prof. Dr. Thomas Schleper                               Berlin in den Westen, aber auch durch Aktivi-              So groß und so weit man die Idee der be-      Wir danken Alexandra Hilleke M.A., die die
Fachbereichsleiter Landschaftsverband                   täten von Persönlichkeiten aus Rheinland                   rühmten Reformschule auch fassen mag, es      Aufgaben der Projektassistenz übernahm
Rheinland                                               und Westfalen dorthin zurück. Man kann
                                                        sogar von starken Wurzeln des Bauhauses
                                                                                                                   ging letztlich um neue Formen des Zusam-
                                                                                                                   menlebens in der Industriegesellschaft, die
                                                                                                                                                                 sowie dem gesamten Projektteam von MKW,
                                                                                                                                                                 LWL und LVR. Unser Dank gilt insbesondere
                                                                                                                                                                                                               neue kunst
                                                        sprechen, die etwa im westfälischen Hagen                  sich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges     auch der interdisziplinären Unterstützung     34     Das Wirken der Bauhauskünstlerinnen und -künstler
                                                        liegen, wo der Kunstmäzen und -sammler                     in Deutschland erstmals eine demokratische    des wissenschaftlichen Beirats unter der      		     im Westen
                                                        Karl Ernst Osthaus, ein vehementer Förderer                Verfassung gab. Das Land Nordrhein-West-      Leitung von Herrn Dipl.-Ing. Martin Müller    37     Bauhaus-Ideen in die Welt
                                                        des Bauhausgründers Walter Gropius, eine                   falen mit seinem Ministerium für Kultur       (Vizepräsident der Bundesarchitekten-         38     Konstellationen
                                                        für die Entwicklung der Moderne zentrale                   und Wissenschaft (MKW) und die für die        kammer).
                                                        Rolle spielte, was mit dem Begriff „Hagener                Landschaftliche Kulturpflege zuständigen
                                                        Impuls“ verbunden ist. Grundlegend für die                 Landschaftsverbände Rheinland (LVR) und       So bleibt uns zu guter Letzt, dem grand       rückblick
                                                        Entwicklung der Bauhausidee war auch die                   Westfalen-Lippe (LWL) verbinden deshalb       projet viel Erfolg und starke Resonanz zu     41		   Behrens der Unterschätzte
                                                        Werkbundausstellung in Köln kurz vor dem                   das Bauhausjubiläum mit dem der Weimarer      wünschen.                                     42		   On weaving: Das Wirken der Künstlerin Anni Albers

4    grußwort des kuratoriums und des lenkungskreises                                                                                                                                                                                                                  inhalt   5
Gestaltung und demokratie. neubeginn und weichenstellungen in rheinland und bauhaus100-im-westen.de - 100 Jahre bauhaus im westen
weimar im westen:                                                                                                                                                                              „nicht länger nur
                                                                                                                              e !
republik der gegensätze
                                                                                                    r ü                    ch                                                                  objekt zu sein“:

                                                                                             au f b                                                                                            die einführung des
                                                                                                                                                                                               frauenwahlrechts

Georg Mölich | Malte Thießen                                                                                                                                                                   Susanne Abeck | Uta C. Schmidt

Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Während der Weimarer                                                                                                                              Seit dem 30.11.1918 hatten die Deutschen neu zu
Republik genossen erstmals alle Deutschen demokratische Rechte                                                                                                                                 denken – Frauen wie Männer. Denn mit dem Sturz
und Freiheiten. Die Grundlagen, auf denen die junge Republik stand,                                                                          LVR-Institut für Landeskunde und                  der Monarchie wurde eine jahrzehntelange Forde-
waren dennoch alles andere als stabil. Soziale Unruhen und brutale                                                                           Regionalgeschichte                                rung von Frauen und (wenigen Männern) politische
                                                                                                                                             LWL-Institut für westfälische                     Realität: die des Frauenwahlrechts.
Kämpfe revolutionärer und reaktionärer Kräfte stellten den neuen
                                                                                                                                             Regionalgeschichte
Staat immer wieder auf eine harte Probe.                                                                                                     LWL-Medienzentrum für Westfalen

                                                                                                                                             weimar im westen:                                 Das neue Reichswahlgesetz sprach allen Frauen ab dem 20. Lebens-
                                                                                                                                                                                               jahr das aktive und passive Wahlrecht zu. Zurückverfolgen lässt sich
                      So war die Weimarer Republik eine Republik der Gegensätze, auch        soziale Fürsorge und Leibesübungen (GeSo-       republik der gegensätze                           dieser Erlass bis 1865, als Louise Otto-Peters den „Allgemeinen
                      und vor allem im Westen. Nicht nur wegen der Rheinland- und Ruhr-      Lei) in Düsseldorf präsentiert wurden. Neue                                                       Deutschen Frauenverein“ (ADF) und damit die organisierte deutsche
                      besetzungen wird hier eine ganz andere Geschichte der jungen Repu-     Künstlergruppen wie die „Kölner Progressi-      Neue Einblicke in diese „Republik der Gegen-
                                                                                                                                             sätze“ präsentiert die multimediale Wander-       Frauenbewegung ins Leben rief. Wie die sich im 19. Jahrhundert
                      blik erfahrbar. Die Westprovinzen, die weit über das heutige NRW       ven“ oder die „Freie Künstlergemeinschaft                                                         sozial und kulturell ausdifferenzierende deutsche Gesellschaft war
                      hinausragten, entwickelten einen ausgeprägten politischen Eigensinn.   Schanze“ aus Münster setzten sich mit Fort-     ausstellung „Weimar im Westen. Republik der
                                                                                                                                             Gegensätze“ ab Januar 2019 anhand bislang         auch diese Bewegung höchst heterogen. Zur Jahrhundertwende gab
                      Die sogenannte Weimarer Koalition aus Sozialdemokraten, Zentrum        schritt und alternativen Werteanschauungen                                                        es daher zahlreiche Frauenvereine, ohne dass alle das Frauenwahl-
                      und Liberalen kam hier zu sehr viel höheren Wahlergebnissen als        auseinander.                                    unbekannter Fotos und Filme.
                                                                                                                                                                                               recht gefordert hätten. So zählte die in Steele (heute ein Essener
                      im übrigen Reich. Besonders die katholische Volkspartei Zentrum                                                        Eröffnung am 23.1.2019 im
                      erzielte erhebliche Wahlerfolge, auch zum Nachteil der NSDAP, die      Aber auch die „Region“ als „Heimat“ bekam
                                                                                             ein neues touristisches Gesicht und wurde       NRW-Landtag in Düsseldorf
                      im Westen stets hinter dem reichsweiten Durchschnitt zurückblieb.                                                      Weitere Stationen auf
                      Lediglich die Landtagswahl in Lippe Anfang 1933 konnten die Natio-     zugleich zu einem schützenswerten Gut, wie
                                                                                             die ersten Protest- und Naturschutzaktionen     www.bauhaus100-im-westen.de
                      nalsozialisten propagandistisch für sich vereinnahmen: Für die Zeit-
                      genossen markierte sie den Anfang vom Ende der jungen Republik.        Deutschlands um die industrielle Nutzung des
                                                                                             Hönnetals im Sauerland zeigen. Und nicht
                                                                                                                                             LVR-Niederrheinmuseum Wesel
                      aufbrüche im westen                                                    zuletzt konnten Frauen zum ersten Mal in der
                                                                                             deutschen Geschichte Politik aktiv mitgestal-   von wilhelm nach
                      Lange Zeit stand der Westen ganz im Zeichen vieler Aufbrüche, wie      ten, ob als Wählerinnen oder als Abgeordnete,
                      sie im Ausbau des rheinisch-westfälischen Verkehrsnetzes und im        wenngleich sie gegenüber ihren männlichen
                                                                                                                                             weimar
                      sozialen Wohnungsbau auch in der Provinz sichtbar wurden. Das          Kollegen deutlich in Unterzahl blieben. Die     Die Ausstellung erstreckt sich zeitlich von der
                      Vereinswesen boomte, die Lebensreformbewegung befeuerte neue           Universitäten im Westen verzeichneten regen     Epoche des „Wilhelminismus“ bis Mitte der
                      Experimente in Bildung, Pflege und Sozialem, die auf Monumental-       Zulauf, da sich nun weibliche Studierende       1920er Jahre, als nach frühen Krisenjahren
                      ausstellungen wie der Großen Ausstellung für Gesundheitspflege         regulär immatrikulieren durften. ■              eine relative Stabilisierung der Republik ein-
                                                                                                                                             getreten zu sein schien. Dabei werden neben
                                                                                                                                             Umbrüchen, Strukturwandlungen und Neu-
                                                                                                                                             orientierungen auch Kontinuitäten sichtbar.
                                                                                                                                             Der räumliche Bezug liegt auf dem nördlichen
                                                                                                                                             Rheinland, ein Kernraum von Industrialisierung,
                                                                                                                                             Urbanisierung, politischem Katholizismus und
                                                                                                                                             Arbeiterbewegung sowie der künstlerischen
                                                                                                                                             Moderne in Deutschland.

                                                                                                                                             3.2. – 30.6.2019
                                                                                                                                             www.niederrheinmuseum-wesel.lvr.de

                      Ruhrbesetzung: Der Einmarsch der französischen Armee in Essen          Erste deutsche Autobahn Köln-Bonn 1932,                                                           Die Bochumerin Lore Agnes (1876 – 1958) zusammen mit Clara Zetkin (Mitte) und
                      am 12. Januar 1923                                                     Luftbild der Anschlussstelle Wesseling                                                            Mathilde Wurm (rechts) vor dem Reichstag in Berlin (1919)

6                                                                                                                                                                                                                                                              aufbrüche!      7
Gestaltung und demokratie. neubeginn und weichenstellungen in rheinland und bauhaus100-im-westen.de - 100 Jahre bauhaus im westen
Stadtteil) lebende Albertine Badenberg (1865-1958) 1903 zu den Gründungsmitgliedern
                                                     des Katholischen Frauenbundes in Köln und damit zu den Initiatorinnen einer katholischen            gestaltung im
                                                                                                                                                         industriegebiet
                                                                                                                                                                                                                   !
                                                     Frauenbewegung, die für strukturelle Veränderungen, nicht aber für das Frauenwahlrecht ein-

                                                                                                                                                                                                           –      n
                                                     trat. Dennoch engagierte sie sich mit den neuen politischen Verhältnissen im November 1918

                                                                                                                                                                                                         s     te
                                                     umgehend in der politischen Arena, denn „… in unseren Reihen [wurde] schnell begriffen, daß
                                                     es im Wesentlichen von den Frauen abhängen würde, ob die neue Reichsverfassung christlich

                                                                                                                                                                                                    h au    e s
                                                                                                                                                                                                  u        w
                                                     oder unchristlich sein würde.“ Sie wurde Mitglied im Landesvorstand des Zentrums und saß für

                                                                                                                                                                                                ba ch im
                                                     diese Partei von 1924 bis 1932 im Preußischen Landtag.

                                                     mehr wunschdenken als realität

                                                                                                                                                                                                au
                                                     Gleichfalls im Landtag saß die in Witten geborene Rosi Wolfstein (1888-1987), die dort von
                                                     1921 bis 1924 für die Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands (VKPD) ein Mandat
                                                     ausübte. Sie hatte vor dem Krieg dem Duisburger Kreisvorstand der SPD angehört – Frauen
                                                     durften in Preußen erst seit 1908 Mitglied einer Partei sein –, zählte im April 1917 zu den
                                                     Gründungsmitgliedern der USPD und wurde im November 1918 in den Düsseldorfer Arbeiter-                      Gerda Breuer
                                                     und Soldatenrat gewählt. 1924 machte sie in einer Rede im Landtag deutlich, dass mit dem
                                                     Wahlrecht lediglich ein erster emanzipatorischer Schritt getan war: „Die Masse der Frauen …                 Welches geographische Gebiet in Deutschland hätte prädestinierter sein können, die
                                                     verlangen nicht länger nur Objekt zu sein, sie wollen ausüben die Rechte, die ihnen in der Ver-             Formel von Walter Gropius: „Kunst und Technik – eine neue Einheit“ in modernes Pro-
                                                     fassung zugesichert sind, sie wollen nicht mehr wegen einer angeblichen Unfähigkeit von ir-
                                                     gendwelchen Berufen oder irgendwelchen Ämtern ausgeschlossen werden.“ Wobei dies mehr                       duktdesign umzusetzen als das Industriegebiet zwischen Rhein und Ruhr? Der Direktor
                                                     Wunschdenken als Realität war, da die Mehrheit der Frauen während der Weimarer Republik                     des Bauhauses hatte die fundamentale Richtungsänderung seiner Schule 1923 anläss-
                                                     konservativ wählte und dachte. Völlig neu zu denken und damit die Gleichberechtigung in allen
                                                                                                                                                                 lich einer ersten öffentlichen Leistungsschau in Weimar verkündet und seither prägt das
                                                     gesellschaftlichen Belangen anzustreben, war selbst den meisten Frauen noch fremd. ■
Die Lehrerin, spätere Frauenrechtlerin und                                                                                                                       sachliche Design das Bild des Bauhauses. Doch galt das heutige Nordrhein-Westfalen
Zentrumsabgeordnete Albertine Badenberg
                                                                                                                                                                 mit seiner dichten Landschaft von Schwerindustrie und traditionellem Gewerbe zur
                                                                                                                                                                 damaligen Zeit als die Werkstatt der Nation und folglich als kulturlos. Die Zentren der
                                                                                                                                                                 Kultur schienen weit entfernt zu liegen.

                                                                                                                                                                                                     In Wirklichkeit war der Boden für eine umfassende Reform des
                                                                                                                                                                                                     Designs in seinen von gründerzeitlichem Reichtum geprägten
LVR-Industriemuseum Tuchfabrik Müller (Euskirchen) &                         Frauen.ruhr.Geschichte.                                                                                                 Städten im Westen reichlich vorbereitet worden. Bürgerschaftliches
LWL-Industriemuseum TextilWerk Bocholt
                                                                             auf dem weg zur geschlechterdemokratie                                                                                  Engagement vieler Mäzene wie die Bankiersfamilie von der Heydt in
mythos neue frau                                                                                                                                                                                     Wuppertal, der Hagener Kunstmäzen Karl Ernst Osthaus, Galerien
                                                                             Die Webseite Frauen.ruhr.Geschichte zeichnet die Auseinandersetzungen                                                   wie diejenige von Alfred Flechtheim in Düsseldorf, die Kunstgewerbe-
mode zwischen kaiserreich, weltkrieg und                                     um das Frauenwahlrecht am Beispiel des Ruhrgebiets nach. Politisch aktive                                               schulen in jeder größeren Stadt des dichten Städtenetzes hatten das
republik                                                                     Frauen aus den unterschiedlichen Richtungen der Frauenbewegung                                                          Interesse der Bürgerinnen und Bürger für moderne Kunst geweckt;
                                                                             werden ebenso vorgestellt wie die ersten weiblichen Abgeordneten. Das                                                   die Sonderbund-Ausstellung in Köln von 1913 war für viele Künst-
Bubikopf, kurze und schlicht geschnittene Kleider, selbstbewusstes           Projekt interessiert sich für Personen, Konflikte, Netzwerke und Formen,                                                lerinnen und Künstler ein Erweckungserlebnis.
Auftreten – das waren die Kennzeichen der modernen Frau der 1920er           mit denen heute an die geschlechterdemokratischen Diskussionen rund
Jahre. Die Ausstellung stellt den Mythos „Neue Frau“ in Bezug auf die        um das Frauenwahlrecht im Ruhrgebiet erinnert wird. Es fragt damit nach                                                 Viele der Industrien im Westen waren für die neuen Designobjekte
Kleidung und Mode vor und hinterfragt ihn zugleich: War das revolutionär     den Voraussetzungen für Gleichberechtigung und politische Teilhabe.                                                     Zulieferer und Produzenten von Halbzeugen: das waren die Kupfer-,
neue Bekleidungsschema ein Akt der Emanzipation oder entstand es             Die Ergebnisse sind sichtbar in den vom Netzwerk Forum Geschichtskultur                                                 Messing- und Zinkindustrien in Stolberg, die Papierindustrien in
einfach aus praktischer Notwendigkeit? Mehr als 130 Originalkostüme          an Ruhr und Emscher mit Unterstützung des LWL-Industriemuseums                                                          Düren und Bergisch-Gladbach, die Textilproduzenten in Wuppertal,
und viele weitere historische Exponate lassen die Zeit zwischen 1900 und     getragenen Internetauftritt von Frauen.ruhr.Geschichte.                                                                 Krefeld und Aachen, die Farbstoffe der Farbenfabriken von Carl
1930 wieder lebendig werden.                                                                                                                                                                         Leverkus in Wiesdorf am Rhein, die zu den Bayer-Werken fusionier-
                                                                             www.frauenruhrgeschichte.de                                                                                             ten, und nicht zuletzt die Stahlwerke im Ruhrgebiet. Betrachtet man
Euskirchen: 17.2. – 17.11.2019
Bocholt:    29.3. – 1.11.2020                                                                                                                                                                        Zeitzeugnisse vieler Protagonisten des 20er Jahre-Designs, dann
www.industriemuseum.lvr.de                                                                                                                                                                           spielten diese Materialien eine große Rolle für innovative Produktge-
www.lwl.org/industriemuseum                                                  Frauenmuseum Bonn                                                                                                       staltung. Walter Gropius widmete ihnen viele Aufsätze, der zweite
                                                                                                                                                                                                     Direktor Hannes Meyer deklamierte die neuen Materialien euphorisch
                                                                             frauenpolitischer                                                                                                       in seinen Manifesten, der dritte Direktor Ludwig Mies van der Rohe
LVR-Freilichtmuseum Lindlar
                                                                             aufbruch                                                                                                                setzte sie in seinen Stahlrohrstühlen und seinen Bauten aus Glas und
                                                                                                                                                                                                     Stahl symbolhaft ein. Aber auch für weniger spektakuläre Details
neue politik. frauen auf dem land                                            Die Ausstellung thematisiert den Kampf um politische Partizipation vom                                                  des Neuen Bauens, von Bodenbelägen bis zu Fensterrahmen, von
                                                                             Frauenwahlrecht bis zum Ministerinnenamt. Nach dem lange erfolg-                                                        Dämmmaterialien bis zu Türzargen experimentierte man mit neuen
Die Ausstellung thematisiert die Veränderungen des Alltagslebens in          losen Engagement für das Stimmrecht startete die Weimarer Republik                                                      Materialien und präsentierte sie auf Ausstellungen über modernes
der ländlichen Region während der Weimarer Republik. Im Fokus steht          hoffnungsvoll: Im ersten demokratisch gewählten Reichstag 1919 waren                                                    massentaugliches Wohnen. Viele dieser Unternehmen suchten des-
die rechtliche Gleichstellung der Frau, die durch die demokratische Ver-     Frauen vergleichsweise gut vertreten, doch bei jeder Wahl nahm ihr Anteil                                               halb den Anschluss an die Moderne in einer öffentlichkeitswirksamen
fassung Deutschlands im Jahr 1919 formuliert ist. Damit verbunden            ab. Trotzdem konnten die Parlamentarierinnen wichtige Frauenrechte                                                      modernen Werbegraphik.
ist die Teilhabe an Beruf, Bildung, Kultur und Poliktik. Insbesondere die    durchsetzen, die durch die NSDAP aber wieder in Gefahr gerieten. Die
Frage, inwieweit die Emanzipation der Frau tatsächlich in den ländlichen     Schau nimmt im zweiten Teil die Bonner Republik in den Blick, die an das
Regionen zu Veränderungen führte, wird anhand weiblicher Lebensent-          schwierige Erbe von Weimar anknüpfte.
würfe anschaulich behandelt.                                                                                                                                                                         Spuren der Farb-Moderne im Hans-Sachs-Haus
                                                                             Erster Teil: 3.10.2018 – 28.4.2019                                                                                      Neues Farbleitsystem von Katharina Marg/formkombinat
Ab 8.3.2020                                                                  Zweiter Teil: Ende März 2019 – 30.9.2019                                                                                unter Einbindung der Spuren des alten Farbleitsystems.
                                                                                                                                                                                                     Entworfen 1927 von Max Burchartz
www.freilichtmuseum-lindlar.lvr.de                                           www.frauenmuseum.de

8   aufbrüche!                                                                                                                                                                                                                                         bauhaus – auch im westen!   9
Gestaltung und demokratie. neubeginn und weichenstellungen in rheinland und bauhaus100-im-westen.de - 100 Jahre bauhaus im westen
gestaltung im
industriegebiet

Von besonderer Bedeutung ist die Werk-                    der avantgardistischen Gestaltung seiner         der vor Ort bereits mit ganzheitlichen Ge-       das in Zusammenarbeit von Alfred Fischer
bundausstellung in Köln 1914. Sie bildete                 Werbung und seinen Verpackungen.                 staltungskonzepten experimentierte, bevor        als Architekten und Max Burchartz als
all jenen Kräften ein Forum, die vom Ideal                Die seit 1904 als Damaszierwerkstatt in          er seine spätere Tätigkeit als „künstlerischer   Designer zwischen 1924 und 1927 realisiert
durchdrungen waren, dass die Verbindung                   Solingen existierende Firma C. Hugo Pott         Beirat“ der AEG in Berlin übernahm und           wurde: das Farbleitsystem im ursprünglich als
von industrieller mit künstlerischer Gestaltung           entwickelte sich seit Eintritt des Sohnes Carl   seine gestalterische Corporate Identity für      Mehrzweckbau geplanten Hans-Sachs-Haus
für die Modernisierung einer Gesellschaft –               Pott zu einem der bedeutendsten Unterneh-        die Firma entwickelte.                           in Gelsenkirchen.
und natürlich der deutschen Nation im                     men für Tafelbestecke in Deutschland. Carl
Handel mit der Welt – vorrangig sei. Darunter             Pott ließ sich als überzeugtes Werkbundmit-      bauhäusler im                                    Burchartz war nach dem Besuch des Bau-
waren Vertreter der großen Industrieunter-                glied von dieser Vereinigung und auch vom        westen                                           hauses 1924 in das Kerngebiet schwerindus-
nehmen Krupp, Mannesmann und Bayer, die                   Bauhaus inspirieren, sodass seine Bestecke                                                        trieller Entwicklung gezogen, und hier nach
allesamt Werkbundmitglieder waren, und                    zu internationalen Erfolgen führten.             Als Direktor der seit 1911 bestehenden           Bochum. Dort gründete er die Werbeagentur
viele Unternehmer der Region, die mit ihren                                                                Handwerker- und Kunstgewerbeschule               „werbe-bau“. Seine Werbung ist eines der
Produkten und ihrer neuen Warenästhetik                   Die Modernisierung der Produktgestaltung         in Essen, die 1928 zur „Folkwangschule           seltenen Beispiele in den 1920er Jahren,
auftraten.                                                mitsamt ihrer medialen Kommunikation             für Gestaltung“ umbenannt wurde, holte           das sich der Schwerindustrie zuwandte. Die                           Max Burchartz, o.T., 1923, Museum Ritter,
                                                                                                                                                                                                                                 Waldenbuch/Gerhard Sauer
                                                          von Werbung und Verpackung bis hin zur           der Architekt Alfred Fischer ehemalige           Guss-Stahl-Elemente und -Geräte, die der                             Museum Ritter, Waldenbuch/Gerhard Sauer © VG-Bild Kunst 2018
Da war der Klavierhersteller Rud. Ibach Sohn              Firmenarchitektur verlief gleitend von der       Bauhaus-Schüler und -Schülerinnen nach           Konzern „Bochumer Verein“ u.a. produzier-
aus Schwelm, der schon vor dem Ersten                     Jahrhundertwende bis in die 1920er und           Essen. Fischer wollte der Stadt und dem          te, wurden von ihm nach dem Prinzip des
Weltkrieg Flügel von Patriz Huber, Bruno                  1930er Jahre hinein.                             Essener Gewerbe Wege „in die Qualitätsar-        Typofotos wie architektonische Elemente in       Dass sich so viele Bauhäusler und Bauhäuslerinnen nach 1933 im
Paul, Bernhard Pankok und Peter Behrens                                                                    beit“ und in eine zeitgemäße Formensprache       die Werbefläche eingebunden, gleichzeitig        Westen aufhielten wie das ungewöhnliche Engagement des Lack-
gestalten ließ und einschlägige Vertreter                 Von großer Bedeutung waren dabei die             für ihre Produkte weisen. Das waren neben        dynamisieren sie die Fläche. Burchartz ent-      fabrikanten Herberts zeigt, der berühmte Bauhaus-Absolventen wie
der Reformmoderne für seine Werbung                       Kunstgewerbeschulen, die mit unterschied-        dem Werbegrafiker und Fotografen Max             warf Werbeprospekte für viele Firmen des         Oskar Schlemmer nach Wuppertal holte, oder die ehemaligen Bau-
engagierte.                                               licher Intensität die Zeichen der Zeit in ihre   Burchartz die Textilgestalterin und Malerin      Bergischen Landes, für Orion, Lüdenscheider      haus-Schüler und Lehrer Gerhard Kadow, Georg Muche, Elisabeth
                                                          Lehre integrierten und Lehrer aus den Zent-      Grete Willers, der Maler Max Peiffer Waten-      Metallwerke AG, und Metallobjekte für die        Kadow, Max Peiffer Watenphul, kurz vorher schon Johannes Itten an
Ebenfalls vertreten war der Zigarettenher-                ren der Moderne in den Westen holten. Allen      phul und später der Fotograf und Künstler        WEHAG in Heiligenhaus, beispielsweise Tür-       der Textilfachschule in Krefeld, zeugt nicht zuletzt von dem Gewinn,
steller Joseph Feinhals, eine Schlüsselfigur              voran ging dabei die Kunstgewerbeschule in       Werner Graeff. Aus dieser Ausrichtung ging       griffe, die bis heute produziert und vielfach    den sich die Privatindustrie und die Schulen für angewandte Kunst
des Kölner und rheinischen Kulturlebens, mit              Düsseldorf mit ihrem Direktor Peter Behrens,     ein besonders interessantes Projekt hervor,      als „Bauhaus-Türdrücker“ kopiert werden.         von moderner Gestaltung im Industriegebiet versprachen. ■

                                                                                                           LVR-Industriemuseum Peter-Behrens-Bau            Hetjens – Deutsches Keramikmuseum                MAKK – Museum für Angewandte Kunst                            LWL-Industriemuseum Glashütte
                                                                                                           Oberhausen                                                                                        Köln                                                          Gernheim
                                                                                                                                                            wechselwirkungen.
                                                                                                           neue stoffe, neue formen                         meister und gesellen des                         2 von 14. zwei kölnerinnen                                    leuchten der moderne –
                                                                                                           Das LVR-Industriemuseum zeigt in Koope-          bauhauses zwischen                               am bauhaus                                                    glasproduktion im licht des
                                                                                                           ration mit dem Deutschen-Kunststoff-Mu-          werkstatt und industrie                                                                                        bauhauses
                                                                                                                                                                                                             Das MAKK konnte 2015 ein größeres und
                                                                                                           seums-Verein e.V. Düsseldorf eine Schau zum                                                       bedeutendes Konvolut Keramiken der
                                                                                                           neu aufkommenden Industriedesign: Neben          Große Namen wie Gerhard Marcks, Otto Lindig                                                                    Kunst und Technik – eine neue Einheit! Kaum
                                                                                                                                                            oder Marguerite Friedlaender-Wildenhain sind     avantgardistischen Künstlerin Margarete                       eine andere Gestaltungsaufgabe bot dafür ein
                                                                                                           der Avantgarde des Bauhauses setzte sich in                                                       Heymann-Loebenstein (1899 – 1990) er-
                                                                                                           den 1920er Jahren insgesamt eine moderne         mit den beiden Bauhaus-Werkstätten in Dorn-                                                                    so breites Betätigungsfeld wie die Themen
                                                                                                                                                            burg a.d. Saale verbunden, die großen Einfluss   werben. Obwohl sie das Bauhaus nach einem                     Licht und Beleuchtung. Formgestalter vom
                                                                                                           Formensprache in der Produktgestaltung von                                                        Jahr wieder verließ, um dann 1923 gemeinsam
                                                                                                           Konsum- und Investitionsgütern durch. Neue       auf die Keramikkunst hatten. Die Sonderaus-                                                                    Bauhaus wie Wilhelm Wagenfeld, Marianne
                                                                                                                                                            stellung thematisiert die Wechselwirkungen       mit ihrem Mann Gustav Loebenstein die                         Brandt und Adolf Meyer arbeiteten an zeitge-
                                                                                                           und hochwertige Materialien traten ihren Sie-                                                     Haël-Werkstätten zu gründen, prägte die
                                                                                                           geszug an. Zugleich werden Alltagsgeschichten    von Meistern und Gesellen innerhalb der Werk-                                                                  mäßen und funktionellen Lösungen dieser neu-
                                                                                                                                                            statt im Spannungsfeld mit der keramischen       Bauhaus-Zeit ihr Schaffen. Die Ausstellung                    en Aufgaben. In der Ausstellung wird erstmals
                                                                                                           erzählt, in denen die sozialen und kulturellen                                                    im MAKK würdigt ihr Werk in Kombination
                                                                                                           Funktionen von neuem Design und neuen            Industrie.                                                                                                     Beleuchtungsglas der Moderne präsentiert.
                                                                                                                                                                                                             mit Bühnenentwürfen ihrer Cousine Marianne                    Sie schlägt den Bogen von den technischen
                                                                                                           Werkstoffen deutlich sichtbar werden.            16.2. – 12.5.2019                                Ahlfeld-Heymann (1905 – 2003), die 1923                       Voraussetzungen wie hitzebeständigem Glas
                                                                                                           19.5.2019 – 23.2.2020                            www.düsseldorf.de/hetjens                        ebenfalls ans Bauhaus ging.                                   und Elektrizität über die Formkonzepte des
                                                                                                           www.industriemuseum.lvr.de                                                                        12.4. – 11.8.2019                                             Bauhauses, Wagenfelds Entwürfe der 1930er
                                                                                                                                                                                                             www.makk.de                                                   Jahre hin zu den Gestaltungen der sogenann-
                                                                                                                                                                                                                                                                           ten Neuen Sachlichkeit.

Hans-Sachs-Haus Gelsenkirchen, 1924 – 1927. Architekt: Alfred Fischer,                                                                                                                                                                                                     10.2. – 25.8.2019
Historische Ansicht ca. 1953
                                                                                                                                                                                                                                                                           www.lwl.org/industriemuseum

10                                                                                                                                                                                                                                                                                              bauhaus – auch im westen! 11
Gestaltung und demokratie. neubeginn und weichenstellungen in rheinland und bauhaus100-im-westen.de - 100 Jahre bauhaus im westen
neues bauen                                                                                                                                                    bauhaus
im rheinland                                                                                                                                                   in westfalen?

                                                                                                                                                               Holger Mertens
                                                                                                                                                               In Westfalen wurde lange davon ausgegangen, dass es keine
                                                                                                                                                               baulichen Zeugnisse von Bauhauslehrenden oder -schülern gebe.
                                                                                                                Aachen, Soziale Frauenschule, 1929 – 30,
                                                                                                                Architekt: Rudolf Schwarz
                                                                                                                                                               Mit den Recherchen zum Landhaus Ilse (S. 24) in Burbach, das
                                                                                                                                                               eine Kopie des Hauses am Horn ist, wurde zwischenzeitlich der
                                                                                                                                                               Gegenbeweis geführt.

                                                                                                                                                                                                                   Nicht nur die Verbreitung der Bauhausent-        Otto Bartning in Köln von 1928 zu erkennen.
                                                                                                                                                                                                                   würfe, sondern auch die direkte Konkurrenz       Die Besonderheit des Dortmunder Baus
                                                                                                                                                                                                                   mit und die bewusste Abgrenzung gegen-           liegt nicht nur in der frühen Stahlbeton-Ske-
                                                                                                                                                                                                                   über Walter Gropius sind in Westfalen mit        lettbauweise, die einen trapezförmigen,
                                                                                                                                                                                                                   Bauten des Architekten Leopold Fischer in        stützenlosen Innenraum ermöglicht, sondern
                                                                                                                                                                                                                   Bielefeld und Werther überliefert. Doch sind     in der konsequenten Verwendung von Be-
                                                                                                                                                                                                                   in der Zukunft noch mehr Funde von „echten       ton und Glas als gestalterische Elemente.
                                                                                                                                                                                                                   Bauhäuslern“ in dem von Dessau, Weimar           Die Gemeinde verzichtete auf die übliche
                                                                                                                                                                                                                   und Berlin weit entfernten Westfalen zu er-      Verblendung aus Natur- oder Backstein und
                                                                                                                Düsseldorf, Wohnhaus Wach, 1931 – 33,
                                                                                                                Architekt: Karl Wach
                                                                                                                                                                                                                   warten?                                          behielt die rohe Betonoberfläche mit ihren
                                                                                                                                                                                                                                                                    Spuren der Schalungsbretter bei.
                                                                                                                                                                                                                   Die intensivere Beschäftigung mit dieser         Im Bereich des Siedlungsbaus gibt es
Köln, Naumannviertel, 1927 – 29, Architekten: Manfred Faber, Otto Scheib, Fritz Fuß, Hans Heinz Lüttgen
                                                                                                                                                                                                                   Zeitschicht lässt tatsächlich auf den einen      in Westfalen mehrere Beispiele, die mit
                                                                                                                                                                                                                   oder anderen Fund hoffen, da diese moder-        Einflüssen des Bauhauses in Verbindung
Andrea Pufke                                                                                                                                                                                                       nen Bauten bereits seit 1930 einem hohen         gebracht werden können. Bemerkenswert
                                                                                                                                                                                                                   – oft politisch motivierten – Veränderungs-      ist allerdings, dass besonders bei diesen
Zu den bundesweit organisierten Feierlichkeiten zum 100-jährigen Gründungsjubiläum                                                                                                                                 druck ausgesetzt waren. Es ist inzwischen        Bauten die Akzeptanz für die teilweise
des Bauhauses 2019, in NRW unter dem Motto „100 jahre bauhaus im westen“,                                                                                                                                          bei einigen Objekten belegt, dass sie auf        sehr schlichte, moderne Architektur erst
steuert das LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland einen Führer zu Orten des                                                                                                                                       Drängen der Bauverwaltung nachträglich           in den letzten Jahren zu wachsen scheint.
                                                                                                                                                                                                                   oder im Zuge des Bauantragsverfahrens            Ein prominentes Beispiel für die sich
Neuen Bauens im Rheinland bei.                                                                                                                                                                                     ein Sattel- oder Walmdach anstelle eines         ändernde Wahrnehmung der architekto-
                                                                                                                                                                                                                   Flachdaches erhielten. Auch der Rück-            nischen Qualität ist die neu eingeführte
                             „Neues Bauen“ und nicht „Bauhaus“ deshalb,                 In mancher Hinsicht handelt es sich auch um eine kritische Bestands-                                                       bau von großflächigen Verkleidungen der          Namensgebung der „Bauhaus-Siedlung
                             weil direkte Verbindungen zum Schulbetrieb                 aufnahme. Kritisch ist heute der Zustand vieler einstmals ikonischer                                                       1960er- und 1970er-Jahre bringt so man-          Schlieper“ (erbaut 1928–1930) in Iserlohn,
                             des Bauhauses, etwa durch im Rheinland                     Objekte, die im Zuge von „Verschönerungen“, Renovierungen und                    St. Nicolai, Dortmund, 1929 – 1930,
                                                                                                                                                                                                                   che schlicht-sachliche Fassade wieder zum        die noch vor wenigen Jahren als „Schand-
                                                                                                                                                                         Architekten: Karl Pinno und Peter Grund
                             praktizierende ehemalige Studierende des                   Umnutzung bis zur Unkenntlichkeit verändert wurden, wenn sie nicht                                                         Vorschein.                                       fleck“ und „Abrisskandidat“ gehandelt
                             Bauhauses, sehr selten sind und auch die                   ohnehin schon im Zweiten Weltkrieg zerstört oder auch erst später                                                                                                           wurde. Dass Sparsamkeit und Sachlichkeit
                             Bauten des kurzzeitigen Bauhaus-Direktors                  abgerissen wurden. Hier schreibt sich womöglich eine negative                                                              „modern“, „funktionalistisch“                    hervorragend zusammenpassen, zeigen die
                             Mies van der Rohe in Krefeld die Ausnahme                  Grundhaltung gegenüber der architektonischen Moderne fort, die
                             von der Regel blieben. Dennoch findet sich                 sich bis in ihre Sturm- und Drangjahre der Weimarer Republik zurück-
                                                                                                                                                                                                                   und „neu“ – auch in westfalen                    zweigeschossigen Laubenganghäuser des
                                                                                                                                                                                                                                                                    städtischen Hochbauamtes von 1930 in der
                             in der rheinischen Architektur aus der Zeit                verfolgen lässt – war doch die Durchsetzung des Neuen Bauens zu                                                            Verstellt gar die Suche nach „dem Bau-           Bochum-Wattenscheider Schulstraße. Die
                             der Weimarer Republik, die in der Breite eher              dieser Zeit immer das Projekt einiger Weniger, auch wenn sich ins-                                                         haus“ den Blick auf die moderne, sachliche       Kleinstwohnungen sollten die Wohnungs-
                             durch Backsteinexpressionismus, Reformstil                 besondere in den Kommunal- und Bauverwaltungen Unterstützung                                                               Architektur der 1920er- und 1930er-Jahre?        not lindern und konnten dementsprechend
                             und Heimatschutz geprägt erscheint, auch                   fand.                                                                                                                      Schließlich war das Bauhaus nur eine von         nur in einfacher Bauweise errichtet werden.
                             eine Reihe von Bauten, die eine funktionale                                                                                                                                           vielen Ausbildungsstätten der Zeit. Für west-    Nahezu identische Notwohnungen wurden
                             Konzeption mit einer sachlichen, abstrakt-                 gefeiert und gefährdet                                                                                                     fälische Studierende lag die Ausbildung in       anderenorts auch nach dem Zweiten Welt-
                             avantgardistischen Architektursprache                                                                                                                                                 Düsseldorf oder Essen etc. sicherlich näher.     krieg errichtet.
                             verbinden.                                                 Und dennoch überrascht die Vielfalt von Beispielen des Neuen Bauens
                                                                                        im Rheinland, die auch als Kommentar zu einer allzu eindimensionalen                                                       Auch in Westfalen tätige Architekten wand-
                                                                                                                                                               Siedlung Schlieperblock,                                                                             So finden sich in jeder Baugattung auch in
                                                                                        Huldigung einer zum Label erstarrten „Bauhaus-Moderne“ verstanden      Gebäude an der Ankerstraße in Iserlohn
                                                                                                                                                                                                                   ten sich, unabhängig vom Bauhaus, gegen
                             Wo befanden bzw. befinden sich diese Bau-                                                                                                                                             das traditionelle Bauen und strebten eine        Westfalen viele Beispiele des Neuen Bauens,
                             ten, wer hat sie geplant, wer in Auftrag ge-               werden kann. Hier erweist sich der Ballungsraum des Rheinlands mit
                                                                                        seinen vielen selbstständigen Kommunen architektonisch als besonders                                                       moderne Formgebung an. Ein prägnantes            die zum Jubiläumsjahr des Bauhauses ge-
                             geben, welche Bauaufgaben waren zentral,                                                                                                                                              Beispiel im Sakralbau ist die Dortmunder Ni-     meinsam mit dem LVR-Amt für Denkmalpfle-
                             welche nur am Rande vertreten und welche                   vielfältiges Terrain, zu dessen Sondierung diese Bestandsaufnahme
                                                                                        anregen will. ■                                                                                                            colaikirche, in den Jahren 1929/30 nach den      ge im Rheinland mit kurzen Steckbriefen auf
                             institutionelle Förderung erhielt die moderne                                                                                                                                         Plänen von Karl Pinno und Peter Grund er-        der Internetplattform www.baukunst-nrw.de
                             Architektur im Rheinland durch Museen,                                                                                                                                                richtet. Als Vorbild ist die Pressa-Kirche von   präsentiert werden. ■
                             Ausbildungsinstitute und Bauverwaltungen?

12                                                                                                                                                                                                                                                                                    bauhaus – auch im westen! 13
Gestaltung und demokratie. neubeginn und weichenstellungen in rheinland und bauhaus100-im-westen.de - 100 Jahre bauhaus im westen
bauhaus-moderne                                                                                        Der mit dem Bauhaus-Gedanken ver-
                                                                                                       bundene Backsteinbau der Industrie und
                                                                                                                                                                                                        karl ernst osthaus
und industriebau                                                                                       besonders des Ruhrgebiets wurde zu einer
                                                                                                       verbreiteten Variante der Architektur der                                                        und hagen –
                                                                                                       1920er Jahre. Alfred Fischer, Edmund
                                                                                                       Körner, Erberich & Scheeben und Schupp &                                                         eine stadt als
                                                                                                                                                                                                        experimentierfeld
                                                                                                       Kremmer waren die wichtigsten Protago-
                                                                                                       nisten dieser Architektur. Man berief sich
                                                                                                       im Ruhrgebiet auf die Tradition des bis zum
                                                                                                       Niederrhein reichenden norddeutschen
                                                                                                       Backsteinbaus. Zudem wurde der Ziegel in
                                                                                                                                                                                                        der moderne
                                                                                                       dunkler Tönung als besonders geeignet für
Walter Buschmann                                                                                       die durch Ruß und Staub geprägten Indust-                                                        Christin Ruppio
                                                                                                       riestädte und -reviere betrachtet.
In zahlreichen Zitaten der 1920er und frühen 1930er Jahren taucht                                                                                                                                       Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Kultur-
der Gedanke einer für die Bauhaus-Architektur stilbildenden Kraft                                      Fritz Schupp und Martin Kremmer, die                                                             vermittler und Mäzen Karl Ernst Osthaus (1874 –
                                                                                                       wohl produktivsten Industriearchitekten                                                          1921) überzeugt, dass die vergleichsweise ab-
des Industriebaus auf. In ähnlicher Weise galt das für Ingenieurkons-
                                                                                                       im Ruhrgebiet, entwickelten dann mit der
truktionen. Für sie gelten die Gesetze der Statik und Mathematik                                       Stahlfachwerkarchitektur ein eigenstän-                                                          gelegenen Industrieregionen des Kaiserreiches
und der Zwang zu einer kostengünstigen Bauweise. Ingenieurbauten                                       diges Ausdrucksmittel der klassischen                                                            Potenzial als Motoren des kulturellen Wandels
                                                                                                       Moderne und eine wichtige Variante der                                                           hatten. Als Zentrum seiner Reformbestrebungen
waren die geborenen Wegbereiter der Moderne.
                                                                                                       Bauhaus-Architektur. Stahlfachwerk passte
                                                                                                       hervorragend zu den Anforderungen der                                                            wählte Osthaus daher gezielt seine Heimatstadt
                                                                                                       Industrie, es entsprach gestalterisch mit den                                                    Hagen am Rande des Ruhrgebiets.
                                                                                                       sichtbaren Stahlprofilen in der Fassade der
                                                         Die Fabrikbauten von Peter Behrens für        Ideenwelt des Konstruktivismus und ließ sich
                                                         die AEG ab 1908 und von Walter Gropius        zu eindrucksvollen, kubisch geformten Bau-                                                       Nachdem Osthaus als Sohn einer Industriellenfamilie zunächst in
                                                         und Adolf Meyer für die Fagus-Werke/Al-       massenkompositionen ausbilden.                                                                   eine kaufmännische Lehre gegangen war, konnte er sich nach einer
                                                         feld (1911-14) standen am Beginn einer                                                                                                         beträchtlichen Erbschaft ausschließlich seiner Idee einer „Kunst für
                                                         Entwicklung, die dann nach Gründung des       Die vom Bauhaus inspirierte Industriearchi-                                                      alle“ widmen.
                                                         Bauhauses 1919 konstitutiv war für das,       tektur der Industriestädte und -reviere bot
                                                         was spätere Generationen als Bauhaus-Stil     mit ihrer dunkelrot bis blaugrauen Erschei-                                                      Ein Meilenstein für Hagen als Knotenpunkt der Moderne war das
                                                         bezeichneten.                                 nungsform das Gegenbild zur strahlend wei-                                                       1902 eröffnete Folkwang Museum; das erste Museum für zeitgenös-
                                                                                                       ßen Putzarchitektur. Die unter dem Einfluss                                                      sische Kunst weltweit. Ab 1908 trug Osthaus‘ Freund Walter Gropius
                                                         Die weiße Putzarchitektur des Funktionalis-   des Bauhauses entstandene Industriearchi-                                                        für dieses „Weltmuseum“, in dem außereuropäische und europäische
                                                         mus jedoch war im Industriebau die Ausnah-    tektur ist ein Bedeutungsträger für die an                                                       Kunst gleichwertig präsentiert wurde, eine Sammlung spanisch-isla-
                                                         me (vgl. die Verseidag-Bauten von Mies van    Sparsamkeit und Rationalisierung orientierte                                                     mischer Fliesen zusammen. Die Vermittlung an die breite Bevölkerung
                                                         der Rohe, S. 21). Peter Behrens hatte mit     Zeit, mit ihrer „knappen Straffheit ... (des)                                                    vollzog sich neben ständig wechselnden Ausstellungen und Vorträgen
                                                         seinen AEG-Bauten in Berlin einen Grund-      technischen und wirtschaftlichen Lebens, …                                                       im Folkwang vor allem durch das ab 1909 angegliederte Deutsche
                                                         akkord angeschlagen, der besonders in den     der Ausnutzung von Material, Geldmitteln,                                                        Museum für Kunst in Handel und Gewerbe. In Kooperation mit dem
                                                         Industriestädten und Montanrevieren in den    Arbeitskräften und Zeit…“ wie es Walter                                                          Deutschen Werkbund und Walter Gropius realisierte Osthaus interna-
                                                         1920er Jahren dankbar aufgegriffen wurde.     Gropius 1913 formulierte. ■                     Förderturm der Zeche Königsborn in Hamm-Bönen,   tionale Wanderausstellungen zu vorbildlichem Design, welches die In-
                                                                                                                                                       1923, Architekt: Alfred Fischer
                                                                                                                                                                                                        dustrie befruchten sollte. Auch der Stadtraum Hagens wird bis heute

Zentrallager der Gutehoffnungshütte Oberhausen, 1921 – 1926, Architekt: Peter Behrens                  UNESCO-Welterbe Zollverein, 1928 – 1932,                                                         Von Henry van de Velde 1908 erbaut, von Karl Ernst Osthaus bewohnt, von Walter
                                                                                                       Architekten: Fritz Schupp und Martin Kremmer                                                     Gropius besucht: der Hohenhof in Hagen, „Kreuzpunkt der Moderne“

14                                                                                                                                                                                                                                                        bauhaus – auch im westen! 15
Gestaltung und demokratie. neubeginn und weichenstellungen in rheinland und bauhaus100-im-westen.de - 100 Jahre bauhaus im westen
essens aufbruch
Osthaus Museum Hagen                                Osthaus Museum Hagen                              durch die von Osthaus angeregten Projekte                                                               in die moderne
                                                                                                      geprägt, so z.B. durch das Buntglasfenster
kandinsky, kerkovius, klee                          die ökonomische kraft                             von Jan Thorn Prikker im Bahnhofsge-
& co. bauhaus-künstler aus                          der künstlerischen idee.                          bäude. Außerhalb des Zentrums gründete
der sammlung des osthaus                            walter gropius’ wander-                           Osthaus die Gartenstadt Hohenhagen als
museums hagen                                       ausstellung „vorbildliche                         „Experimentierfeld modernen Bauens“, auf
                                                                                                      dem renommierte Architekten wie Henry van
In der Sammlung des Osthaus Museums
                                                    industriebauten“ – eine                           de Velde, Peter Behrens und August Endell,
befinden sich Werke von Künstlerinnen und           rekonstruktion                                    aber auch noch weniger bekannte Talente
Künstlern, die entweder als Lehrer am Bauhaus                                                         wie Bruno Taut ihre Ideen für den modernen                                                              Ruhr Museum
                                                    Im Zusammenhang mit der Arbeit im Deut-
gewirkt oder dort studiert haben: Anni Albers,                                                        Städtebau erproben sollten.
Josef Albers, Max Bill, Lyonel Feininger, Wassily
                                                    schen Werkbund diskutierten Karl Ernst Ost-                                                                                                               Nach der Jahrhundertwende schaffte Essen den
                                                    haus und Walter Gropius die Frage, wie sich der
Kandinsky, Ida Kerkovius, Paul Klee, Gerhard        Fabrikbau mit dem künstlerischen Anspruch         Walter Gropius war als Angestellter des                                                                 Sprung von einer Industriestadt zur Metropole
Marcks, László Moholy-Nagy, Oskar Schlemmer         verbinden lässt. Osthaus erwirkte für Gropius     Architekturbüros maßgeblich an Behrens‘                                                                 mit überregionaler Strahlkraft. Die visionären
und Fritz Winter. Die Chronologie beginnt in der                                                      Beiträgen beteiligt und betonte noch 1958,
Vorbauhauszeit mit Karl Peter Röhl, der das ers-
                                                    den Auftrag, eine Ausstellung „Vorbildlicher
                                                                                                      welch großen Einfluss die Hagener Bauten,
                                                                                                                                                                                                              Oberbürgermeister Zweigert und Holle siedelten
                                                    Industriebauten“ zusammenzustellen, die ab
te Bauhaus-Siegel entwarf und endet bei Josef       1911 als Wanderausstellung des „Deutschen         allen voran das Krematorium in Hagen-Del-                                                               mächtige regionale Verbände wie die Emscherge-
Albers‘ “Homage to the Square“ in den späten        Museums für Kunst in Handel und Gewerbe“          stern (1907), auf sein frühes Architekturver-                                                           nossenschaft und den Ruhrverband in Essen an
sechziger Jahren.                                                                                     ständnis nahmen. Auch wenn Gropius sich                 Reinhard Hilker (1899 – 1961)
                                                    von Hagen aus auf Tournee geschickt wurde.                                                                                                                und gründeten eine Messe. Um die Lebensqualität
                                                    Dieses gemeinsame Projekt von Gropius und
27. 1. – 24.3. 2019
                                                    Osthaus wird im Osthaus Museum Hagen in
                                                                                                                                                                                                              für die rasch steigende Zahl von Arbeiterinnen
                                                    Kooperation mit den Kunstmuseen Krefeld                                                                                                                   und Arbeitern sowie Angestellten zu verbessern,
Osthaus Museum Hagen                                rekonstruiert.                                                                                                                                            bauten sie den Nahverkehr aus, schufen stadtnahe
zwischen bauhaus und                                Anlässlich der Ausstellung wird der mehrere
                                                                                                                                                                                                              Erholungsgebiete und errichteten neue Wohnsied-
diktatur: die zwanziger jahre                       hundert Schriftstücke umfassende Briefwech-                                                                                                               lungen.
in hagen                                            sel zwischen Osthaus und Gropius, den das
                                                    Osthaus Museum im Karl Ernst Osthaus-Archiv
Die Ausstellung belegt den Einfluss und die Tra-    verwahrt, in einer wissenschaftlich kommen-
dition des Bauhauses in der Stadt von Karl Ernst    tierten Edition unter dem Titel „‘Osthaus was
Osthaus. Die reichen Bestände des Stadtarchivs      instrumental in supporting me‘... – Walter
und Stadtmuseums ermöglichen Einblicke in die       Gropius, Karl Ernst Osthaus und das Bau-
Gesellschaft, Kultur, Stadtplanung und Politik      haus“ erscheinen. Die Herausgabe dieser
der Revolutionszeit 1918 – 1920 sowie der Wei-      Briefedition wird ermöglicht durch die Stiftung
marer Republik in Hagen. Sie dokumentieren die      der Sparkasse Hagen.
Not und das Elend der Krisen- und Inflations-
jahre und die politischen Auseinandersetzungen      Ergänzend zur „Industriebauten“-Ausstellung
sowie den kurzzeitigen Aufschwung, der sich vor     eröffnet das Baukunstarchiv NRW in Dortmund
allem auch in der Überlieferung zur Stadtplanung    am 5. September 2019 die Ausstellung „Vor
und Architektur widerspiegelt.                      dem Bauhaus: Osthaus“. Beide Projekte             Getreidesilo und Elevator, Fort William: Gropius fand
                                                                                                      Vorbilder in den funktionalen Industriebauten der USA
                                                    basieren auf Bildmaterial der historischen
13. 4. – 2. 6. 2019                                 Photographienzentrale des von Osthaus in
                                                    Hagen gegründeten „Deutschen Museums für          kurz darauf von Behrens abwandte, blieb die
                                                    Kunst in Handel und Gewerbe“ und sind inhalt-     enge Verbindung zu Osthaus bestehen. So
Baukunstarchiv NRW/TU Dortmund                      lich eng auf einander bezogen. Daher werden       gab Osthaus einen direkten Anstoß auf dem
                                                                                                                                                                                                              Zufahrt zur Siedlung Margarethenhöhe in Essen, um 1920
                                                    die Ausstellungen an aufeinanderfolgenden         Weg zum Bauhaus, indem er Henry van de
vor dem bauhaus: osthaus                            Tagen eröffnet und von einem gemeinsamen          Velde den Rat gab, Gropius als einen seiner
                                                    Vermittlungsprogramm begleitet.                   möglichen Nachfolger in Weimar vorzuschla-                                                              Eine besondere Siedlung entstand 1906 mit der Margarethenhöhe,
Der „Hagener Impuls“ und sein Initiator Karl                                                          gen. In der Gartenstadt Hohenhagen wurden                                                               einer der ersten Gartenvorstädte Deutschlands. Dieses Siedlungs-
Ernst Osthaus spielten für die Reform der Archi-    7. 9. 2019 – 12. 1. 2020                          nur wenige Bauten realisiert, darunter der                                                              projekt auf einer unerschlossenen, innenstadtnahen Fläche verwirk-
tektur sowie der angewandten und bildenden          www.osthausmuseum.de                              Hohenhof als Wohnsitz der Familie Osthaus,                                                              lichte die Stadt mit der Familie und Firma Fried. Krupp. Die Inhaberin
Künste eine außerordentliche Rolle. Westfalen                                                         bevor die heute als Hagener Impuls bekann-                                                              Margarethe Krupp stiftete 1906 anlässlich der Hochzeit ihrer
leistete hier einen frühen und eigenständigen                                                         te Bewegung durch den Ersten Weltkrieg                                                                  Tochter Bertha das Gelände und einen beträchtlichen Geldbetrag.
Beitrag zur Architektur- und Kulturreform                                                             und den frühen Tod von Osthaus im Jahr                                                                  Gemeinsam gründete man die Margarethe-Krupp-Stiftung für
der Moderne. Die Ausstellung würdigt diese                                                            1921 ein jähes Ende fand. Der Impuls über-                                                              Wohnungsfürsorge. Bis heute zeichnet die Siedlung ihre hohe Wohn-
Leistungen, indem sie in Zusammenarbeit mit                                                           dauert jedoch in den Werken der in Hagen                                                                qualität aus, die als architektonisches Kleinod über die nationalen
Foto Marburg Fotografien präsentiert, mit denen                                                       aktiven Künstler und wurde von ihnen weit                                                               Grenzen hinaus wahrgenommen wird. Ihre Gestaltung übernahm
Osthaus seinerzeit seine Initiativen weltweit                                                         über die Stadtgrenzen hinausgetragen. ■                                                                 der Architekt Georg Metzendorf, der nicht nur die Häuser und ihre
bekannt machte. Begleitet wird diese historische                                                                                                                                                              Inneneinrichtung entwarf, sondern auf den Straßen und Plätzen
Öffentlichkeitsarbeit von einem aktuellen Ver-                                                                                                                                                                auch Denkmäler und Kunstwerke aufstellen ließ. Diese künstlerische
mittlungsprogramm, das den „Hagener Impuls“                                                                                                                                                                   Durchdringung zog Künstler an, für die eigene Ateliers und Werk-
im Hinblick auf das Bauhaus beleuchtet.                                                                                                                       Von Hagen aus auf Tournee durch Europa:         häuser errichtet wurden. In der Weimarer Republik wohnten und
                                                                                                                                                              Gropius‘ Prospekt für die von ihm konzipierte
6. 9. – 20. 10. 2019                                                                                                                                          Wanderausstellung der vorbildlichen „Indus-
                                                                                                                                                                                                              arbeiteten hier unter anderem Hermann Kätelhön, Joseph Enseling,
www.baukunstarchiv.nrw                                                                                                                                        triebauten“                                     Elisabeth Treskow, Albert Renger-Patzsch und Will Lammert.

16                                                                                                                                                                                                                                                             bauhaus – auch im westen! 17
Gestaltung und demokratie. neubeginn und weichenstellungen in rheinland und bauhaus100-im-westen.de - 100 Jahre bauhaus im westen
Nach dem Ersten Weltkrieg holte Ober-
bürgermeister Luther eine Kunstsammlung                                                                                                                avantgarde am
von internationalem Rang nach Essen:
1922 erwarben die Stadt und kunstbe-                                                                                                                   niederrhein
                                                                                                                                                                                                                                               ew
geisterte Kreise aus Politik, Wirtschaft und
Kultur Kunstwerke aus dem Nachlass des
                                                                                                                                                                                                                                         r v i
                                                                                                                                                                                                                                    inte
verstorbenen Hagener Kunstmäzens Karl
Ernst Osthaus. Auf dessen „Folkwang-Idee“

                                                                                                                                                                                                                                     mit istiane
basierend, entwickelte sich Essen zur
„Folkwang-Stadt“. 1924 gründete sich der

                                                                                                                                                                                                                                      chr ge
„Kunstverein Folkwang“, 1925 stellte der
Architekt Edmund Körner den Entwurf für                                         Volkshochschule Essen                                                  Ludwig Mies van der Rohe und Bauhaus – mit diesen Namen ver-
                                                                                                                                                       bindet man ikonische Bauten und einen Mythos. Weniger bekannt ist
                                                                                                                                                                                                                                       lan
das Museum Folkwang vor, und 1928 wur-                                          aufbrüche
den die Essener Folkwangschule für Musik,                                                                                                              jedoch, dass sowohl der berühmte Architekt als auch die legendäre
Tanz und Sprache mit der Handwerker- und                                        In Essen, stellvertretend für das Ruhrgebiet, wird die Moderne
Kunstgewerbeschule zur „Folkwangschule                                          nicht nur bei der Arbeit sichtbar, sondern ganz konkret auch beim      Kunstschule aus Weimar/Dessau in einer engen Verbindung zur rheini-
für Gestaltung“.                                                                Denken und Lernen – so wie es am Bauhaus in Weimar und Dessau          schen Stadt Krefeld standen und dort zahlreiche Spuren hinterließen.
                                                                                exemplarisch zur gleichen Zeit stattgefunden hat. Anlässlich des       Mies van der Rohe, Lilly Reich, Johannes Itten und Georg Muche so-
                                                                                100-jähringen Jubiläums ihrer Gründung organisiert die VHS Essen
                                                                                für das Stadtgebiet unter dem Thema „100 Jahre Volkshochschule         wie eine Reihe weniger bekannter Bauhaus-Schüler wirkten seit Mitte
                                                                                Essen – Aufbrüche“ einen Verbund, der in Ausstellungen, Vorträgen      der 1920er bis in die 1960er Jahre in Krefeld als Designer, Architekten
                                                                                und Exkursionen die Verbindung von politischer und kultureller         und in der Gestalterausbildung. Wir sprachen mit Christiane Lange,
                                                                                Moderne aufzeigt.
                                                                                                                                                       Kunsthistorikerin und Kuratorin eines der Krefelder Beiträge zum
                                                                                www.vhs-essen.de/100Jahre.htm                                          Bauhaus-Jubiläum: „map 2019 Bauhaus – Netzwerk – Krefeld “

                                                                                Ruhr Museum Essen                                                                                                                                Frau Lange, warum sollte man ausge-
                                                                                                                                                                                                                                 rechnet nach Krefeld kommen, um das
                                                                                aufbruch im westen.                                                                                                                              Bauhaus und insbesondere Mies van der
                                                                                die künstlersiedlung                                                                                                                             Rohe zu entdecken?
                                                                                                                                                                                                                                 Christiane Lange: Mies erhaltenes europäi-
                                                                                margarethenhöhe                                                                                                                                  sches Œuvre ist klein, es umfasst – ohne
                                                                                Das Ruhr Museum zeigt anlässlich des 100. Geburtstages des                                                                                       seine frühen Berliner Villen – nur neun
                                                                                „Kleinen Atelierhauses“ auf der Margarethenhöhe eine große Aus-                                                                                  Bauten, drei davon stehen in Krefeld: Sein
                                                                                stellung über die dortige Künstlersiedlung. Zusammen mit Darm-                                                                                   einziges Villenensemble bestehend aus
Innenhof des Museum Folkwang in Essen, nach 1929                                stadt-Mathildenhöhe, Dresden-Hellerau und Worpswede gehörte                                                                                      Haus Lange und Haus Esters, 1927 bis
                                                                                die Margarethenhöhe in den 1920er Jahren zu den bedeutendsten                                                                                    1930, und sein einziger Industriebau, das
Essen wurde eines der Zentren des künstlerischen Aufbruchs im                   Künstlerkreisen in Deutschland und hat den künstlerischen Aufbruch                                                                               sogenannte Färberei- und HE-Gebäude der
westdeutschen Industriebezirk in der Weimarer Republik. Der kultu-              im rheinisch-westfälischen Industriebezirk, der als „Westdeutscher                                                                               Vereinigte Seidenwebereien AG, 1930 bis
relle Aufbruch wurde mit der Machtübernahme der Nationalsozialis-               Impuls“ in die Geschichte einging, maßgeblich mitbestimmt.                                                                                       1931/1935. Wer Mies’ Architektur studieren
ten jäh zerstört. Bilder im Museum Folkwang wurden als „entartet“                                                                                                                                                                will, kommt also an Krefeld gar nicht vorbei.
deklariert und beschlagnahmt; aus der „Folkwangschule“ wurde nach               15.4.  – 3.11.2019                                                                                                                               Die Meister und Absolventinnen und Absol-
der „Beurlaubung“ des Direktors die „Folkwang-Handwerkerschule“.                www.ruhrmuseum.de                                                                                                                                venten des Bauhauses haben auf der ganze
Einige Künstler wurden entlassen, andere emigrierten. Die, die blie-                                                                                                                                                             Welt Spuren hinterlassen. Aber mit über 25
ben, gingen entweder in die innere Emigration oder passten sich dem                                                                                                                                                              Repräsentanten des Bauhauses, die später
neuen Kunstgeschmack an. ■                                                      Folkwang Universität der Künste in Kooperation mit dem                                                                                           in Krefeld gewirkt haben, dürfte die Stadt ein
                                                                                Museum Folkwang                                                                                                                                  Hotspot gewesen sein.

                                                                                das beseelte ding.                                                                                                                               Wie kam es zu dieser Verbindung
                                                                                vom geist der gestaltung                                                                                                                         zwischen der Avantgarde und Krefeld?
                                                                                                                                                                                                                                 Was für ein Flair herrschte damals in der
                                                                                Die Ausstellung versammelt Objekte, Visualisierungen und kon-                                                                                    Stadt? Was für Personen oder Netzwerke
                                                                                zeptuelle Arbeiten von Lehrenden und Studierenden der Folkwang                                                                                   standen dahinter?
                                                                                Universität der Künste. Sie geht der Frage nach, ob und in welcher                                                                               Der eigentliche Motor dieser Entwicklung,
                                                                                Weise nach 1918 die unter anderem am Bauhaus formulierten Kon-                                                                                   durch die seit den 1920er Jahren zahlreiche
                                                                                zepte einer „modernen“ künstlerisch-ästhetischen (Aus-) Bildung                                                                                  Vertreter der Avantgarde in Krefeld tätig
                                                                                für heutige Lehrende und Studierende noch von Bedeutung bzw.                                                                                     wurden oder Aufträge erhielten, war die
                                                                                Interesse sind. Der Begriff „beseelt“ vereint dabei unterschiedliche                                                                             europaweit agierende Samt- und Seiden-
                                                                                gestalterische Ansätze und Aspekte und schließlich auch die                                                                                      industrie, deren Zentrum und Branchenver-
                                                                                spekulative Frage nach der Seele, d. h. dem Wesen der Dinge.                                                                                     band sich damals in Krefeld befand – und
                                                                                                                                                                                                                                 natürlich ihre kunstaffinen Persönlichkeiten.
                                                                                Oktober – November 2019                                                                                                                          Aber diese Entwicklung entstand nicht aus
                                                                                www.museum-folkwang.de                                                                                                                           dem Nichts. Bereits um die Jahrhundert-
                                                                                                                                                                                                                                 wende hatte der umtriebige Museumsmann
                                                                                UG im Museum Folkwang                                                                                                                            Friedrich Deneken – Direktor des Kaiser-
                                                                                                                                                                                                                                 Wilhelm-Museums – in Krefeld den
                                                                                                                                                           Haus Lange (Westansicht), 1927 – 1930, Kunstmuseen Krefeld.
                           Keramische Werkstatt Margaretenhöhe in Essen, 1936                                                                              Architekt: Ludwig Mies van der Rohe

18                                                                                                                                                                                                                                                  bauhaus – auch im westen! 19
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