BIJOU 37 SCHAFFUNG BISEXUELLER SICHTBARKEIT IN BRASILIEN - BI+PRIDE 2021 GEWALT AN BI+FRAUEN SICHTBAR IN FREIBURG
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BiJou 37 Das Bisexuelle Journal März 2021 www.bine.net/bijou Schaffung bisexueller Sichtbarkeit in Brasilien Bi+Pride 2021 Gewalt an Bi+Frauen Sichtbar in Freiburg 1
BiJou 37 BiJou 37 Inhalt Jetzt reden wir! Jetzt reden wir! (Vorwort) 3 2020 war alles anders – so trudelten die BiJou-Artikel Perspektive für positive Bi-Arbeit, Intersektionalität, Stoppt den Unsinn! 4 für Ausgabe 37 auch nur so ein, und ich habe so viel Rassismus bei der BiCon und in Deutschland, Bi+Göt Schaffung bisexueller Sichtbarkeit in Brasilien 6 weniger selbst geschrieben oder eingebracht. 2020 hat tingen, einen Bi-Podcast, die Bi-Polyamory-Serie „You BiCon 2020: Reflexionen über Rassismus & Bisexualität in Deutschland 13 auch tolle Seiten präsentiert, so haben meine Schüler Me Her“ und letzte Worte zu Ulrike und Hartmut. Wir innen erreicht, dass an meiner Schule die Bi-Flagge ge- werden Euch vermissen! Fachgespräch zum Thema: Gewalt gegen bi+sexuelle Frauen* in Partner*innenschaften 16 hisst wurde. Und der Startschuss für ein großes Projekt Nun aber: Herzlich Willkommen im Redaktionsteam, Zeichen gegen Gewalt auf dem PinnePride 18 2021 fiel … Bi+Pride – ich hoffe, viele von Euch werden Daniele! Good Bi Love: Was kommt nach Bi-Visibilität? 20 am 25. 9. (und vielleicht auch davor) dabei sein. Christoph Sichtbar in Freiburg – Interview mit Tatiana 22 Aber wir mussten uns auch von zwei bedeutenden Darf ich auch hier sein? 26 Personen für die bisexuelle Bewegung in Deutschland Das Jahr 2020 war für die queere Community ein Jahr der verabschieden. Unsichtbarkeit aufgrund fehlender CSDs? Wohl kaum. Neu in der bundesweiten BiNe-Familie: Bi+ Göttingen 28 Frank Ein Artikel steht ganz im Zeichen Bi+Sichtbarkeit. Das Der Bi-Podcast „Großes B“ (Interview mit Paul‘a & Chris) 30 Interview mit Tatiana Graf erläutert, wie die Bi+Sicht Mehr Mut zu Komplexität (Eine polyamouröse Kritik an „You Me Her“) 32 Die Zukunft steht im Zeichen von Bi+. Gleich in mehreren barkeit in Zeiten der Pandemie aufrechterhalten wer- Erinnerungen an Hartmut und Ulrike 34 Artikeln taucht diese Wortneuschöpfung mit dem Plus den konnte und was das für die Zukunft heißt. Er enthält Bi+Pride Hamburg 2021 36 auf. Zum Inklusivdenken oder lieber auch Inklusivhan- viele persönliche Einzelheiten über ihr eigenes Coming- deln fordern hier folgerichtig auch ein paar Artikel auf. out, Ideen und Pläne für die gesellschaftlichen Heraus- Grundgesetz Für Alle (Der Kampf um Schutz und Gleichberechtigung beginnt!) 38 Einen sehr umfassenden Artikel gibt es über Brasilien – forderungen. Es erklärt, warum Vernetzung wichtig ist. Letzte Seite 40 toll! Trotz aller Widrigkeiten tut sich hier einiges. Doch Aber auch werden Forderungen an die Politik genannt, dies ist nicht alles: Auch in Polen werden Bi- und Pan- die nun umgesetzt werden müssen nach einem Jahr Flagge geschwenkt, die Gewalt an Bi+Frauen soll end ohne Sichtbarkeit. In eigener Sache: Bisexualität ist nicht gleich Bisexualität! Menschen, die sich sexuell und/oder romantisch zu mehr als einem Geschlecht hingezogen fühlen, lich aufhören, es gibt eine Plakataktion in Freiburg, eine Daniele werden als bisexuell bezeichnet. Aber nicht jede bisexuelle Person ist gleich gestrickt: Es gibt zig Variationen! Ich denke, die Unterschiede zwischen Bisexuellen selbst sind viel größer als die zwischen Hetero-, Bi- und Homosexuellen. Da nicht jede Ausgabe des BiJous alle Typen von Bisexuellen abdecken kann, hier noch einmal der Hinweis, dass Bisexuelle ganz unterschiedlich sein können: • monogam bis polyamor, • treu bis fremdgehend (dies hat nichts mit der sexuellen Orientierung zu tun), • Sex mit nur einem Menschen habend bis hin zu swingend, • asexuell bis nymphoman, • von ein Geschlecht/Gender klar bevorzugend über fifty-fifty bis hin zu „geschlechtsblind“, • gar nicht geoutet bis hin zu komplett geoutet, • evtl. selbst transgender, intersexuell u. a., • sich selbst als bisexuell oder pansexuell bezeichnend über offen, queer … bis hin zu jede Schublade verweigernd. Jede Autorin, jeder Autor in diesem Heft hat da wohl auch ihre/seine eigenen Vorstellungen – und nur mit dem Schreiben eines Artikels ist nichts über die sexuelle Identität, Orientierung oder das Verhalten der Autorin, des Autors ausgesagt. Frank Impressum Redaktion Christoph, Daniele, Frank (bijou@bine.net) Lektorat Frank Mitarbeit Bea, Chris, Dana, David, Frente Bissexual Brasileira, Hartmut, Jessica, Karin, Laura, Myriel, Paula, Rosa, Sakura, Tatiana, Thomas, Zachary Titelbild Nicole Layout Monique (post@waltz-verlag.ch) Übersetzung Bernd I., Ingrid, Sakura Auflage 1000 Exemplare + Online-Fassung (www.bine.net/bijou) ISSN BiJou (Frankfurt. Internet) ISSN 2196-3150 BiJou (Frankfurt. Deutsche Ausg. Print) ISSN 2196-3169 | BiJou (Frankfurt. English. ed. Print) ISSN 2196-3177 Herausgeber BiNe – Bisexuelles Netzwerk e. V. | c/o Ralf Eckstein | Ignystraße 14 | D–50858 Köln Verantwortlich im Sinne des Presserechts Frank Thies | c/o BiNe – Bisexuelles Netzwerk e.V. | Ignystr. 14 | 50858 Köln BiJou-Beauftragte für den Vorstand Marie Druck www.printerwahnsinn.com Bildrechte Die Bildrechte verbleiben bei den Rechteinhaber_innen. Sollten dennoch in einem Artikel Rechte verletzt worden sein, war dies nicht beabsichtigt. Rechteinhaber_innen werden gebeten, sich mit der Redaktion in Verbindung zu setzen. Das Cover-Bild wurde gemalt von twikly. Vielen Dank! Hinweis Es wird keine Haftung für die Inhalte sämtlicher angegebenen Links übernommen. Für den Inhalt der Seiten sind ausschließlich deren Betreiber_innen verantwortlich, zumal sich die Websites zwischenzeitlich ändern können, das BiJou nach dem Druck jedoch nicht mehr. Das Erwähnen einer Person (auch als Autor_in) sagt nichts über deren sexuelle Identität, Orientierung oder Verhalten aus. 2 3
BiJou 37 BiJou 37 Stoppt den Unsinn! Der Słubice-Frankfurt-Pride lässt mich kraftvoll und nachdenklich zurück. Es ist unbegreiflich, dass zwischen ein paar hundert Metern zwei Welten liegen. Mit dem Schritt auf die pol- nische Seite spürte ich sofort die Blicke der Menschen. Es dauerte keine fünf Minuten bis zum ersten angepö- belt werden. Wir sind gut durch die Polizei auf der polnischen Seite geschützt worden. Auch vor der Gegendemonstration. Ein paar Schritte weiter auf der Brücke weht ein schö- ner Wind, der alle Flaggen so richtig großartig aussehen lässt. Hinter der Brücke ist Deutschland. Hier und da steht mal ein Polizist, der den Verkehr regelt. Das war‘s. Ge- fühlt zwei Welten innerhalb weniger hundert Meter … An der Grenze Es zeigt, wie fragil queere Rechte sind. Wir müssen Bei dieser Demo waren hauptsächlich Pan-Flaggen zu sehen … … nur eine Bi-Flagge. alle auf der Hut bleiben! Wir müssen alle laut sein! Wir müssen solidarisch bleiben! Denn das ist die andere Seite des heutigen Tages: Dieses Aufstehen der queeren Community, dieses Sich- Erheben und Sich-Zeigen – das hat mich echt beein- druckt. Das gibt mir Kraft. Man konnte bei vielen polnischen Teilnehmenden die Zurückhaltung und ihre Anspannung spüren. Und trotz- dem waren sie da. Sie haben sich gezeigt. Das beeindruckt sehr. Danke für euren Mut, auf die Straße zu gehen. Danke an das Orga-Team des Frankfurt Słubice PRIDE für die klasse Organisation und dass ihr immer auf die Einhaltung der Abstände geachtet habt. Masken hatten alle auf. Demo mit Maske (oben); Sichtbarkeit (unten) Es geht auch mit Pandemie so viel, wenn alle mit machen … Don‘t hide your Pride! #stopbzdurom Dana Don‘t Hide Your Pride (oben); Demo mit Polizeischutz (unten) (Fotos © Dana und Thilo) 4 5
BiJou 37 BiJou 37 Schaffung bisexueller Sichtbarkeit in Brasilien indo Forças“ (BIS Journal – Vereinte Kräfte) herausgab. bisexueller Forderungen in Brasilien sehen. Wir stellen 2005 tritt die erste landesweite Initiative einer bisexuel- die Fortschritte bzw. die Sichtbarkeit der bisexuellen len Organisation auf den Plan, das Coletivo Brasileiro Agenda in Brasilien in drei Bereichen heraus: Gesund- Brasilien ist ein rassistisches, frauenfeindliches Land der Unterstützung und Zuflucht für einen Bevölkerungs de Bissexuais -CBB- (Brasilianisches Kollektiv bisexuel- heit, Kunst und Medien sowie Politik. und wird aktuell von einem selbsterklärten LSBTI*- teil, der durch den Zickzackkurs unserer völkermorden- ler Menschen), das bis 2007 besteht. feindlichen Präsidenten regiert. Dies klärend voran den, leugnenden Regierung schwerwiegend beeinträch Gesundheit: geschickt, ist es auch noch wichtig, Brasilien als Land tigt ist, noch verschlimmert durch die Distanz und sozi- In den 2010er Jahren begann die Bewegung über ihre Politische Forderungen im Gesundheitsbereich von zu lokalisieren, das sich in einer Zeit bzw. einem Raum ale Isolation: Die LSBTI*-Bevölkerung und insbesondere Existenz hinaus, detailliert ihre Besonderheiten und LSBTI* werden im gesamten Land artikuliert und viele bi- nach einem Staatsstreich befindet. Doppelt. die bisexuelle Community. In dem Brasilien von 2020 ihre Standpunkte herauszustellen, als Co-Protagonistin sexuelle Menschen sind in den Artikulationsprozess ein- 2016 mit der Amtsenthebung der ersten gewählten stellten die Schaffung der Brasilianischen Bisexuellen in einer Bewegung, die beabsichtigt, LSBTI* zu sein. In bezogen. Wir erwähnen zwei herausragende Initiativen: Frau im Präsidentenamt, Dilma Rousseff, inmitten ihrer Front und des Bi+-Festivals einen unverzichtbaren Auf- bahnbrechender Weise wurde das Kollektiv Bi-sides ge- 1. Den Fall des Bundesstaates Minas Gerais, welcher zweiten Amtszeit; 2018 mit der turbulenten Wahl, ge- bruch für einen Großteil der brasilianischen Bi-Akti gründet, zunächst als Blog mit persönlichen Lebens 2020 sein „Programm des Bundesstaates für ganz- prägt durch den massenhaften Versand von Fake-Nach- vist*innen dar. 2020 brachte uns gigantische Hinder geschichten, aber auch mit ins Portugiesische übersetz- heitliche Gesundheit im Bereich LSBTI*“ veröffent- richten über Whatsapp – durch den selbsterklärten nisse, wie beispielsweise die soziale Distanzierung. Aber ten Informationen über Bisexualität. Weitere Aktivi lichte, eine Verbesserung im Vergleich zum nationa- LSBTI*-feindlichen Präsidenten, der uns aktuell regiert, es gab auch eine schnelle und entschlossene Antwort, täten prägten das Jahrzehnt, wie zum Beispiel ein Work- len Programm zur ganzheitlichen Gesundheit im Jair Bolsonaro – nach der Absetzung und Festnahme welche in der Annäherung der aktivistischen Gruppen shop über Bisexualität in der Stadt São Carlos und Bereich LSBTI*, welches im Jahr 2011 veröffentlicht der größten politischen und populärsten Kraft, Lula da lag. Als bisexuelle Bewegung sind wir geeinter als je zu- Picknicks für Bi-Visibility in den Bundesstaaten São Pau- wurde. Während im nationalen Aktionsprogramm Silva, dem Präsidentschaftskandidaten mit den besten vor in unserer jüngsten Geschichte. lo (in der Stadt São Paulo, organisiert von Bi-Sides) in die Gesundheit bisexueller Menschen im Allgemei- Wahlaussichten für 2018 und Hauptgegner Bolsonaros. den Jahren 2010 und 2011 sowie in Santa Catarina (in nen erwähnt und garantiert wird, gibt es im Pro- Die brasilianische bisexuelle Bewegung gestern der Stadt Joinville, organisiert durch die Vereinigung gramm des Bundesstaates Minas Gerais auch Spezi- Kurze Zeit nach diesen politischen und sozialen Turbu- Um besser zu verstehen, wo wir heutzutage stehen, Arco-Íris) im Jahr 2010. Ab 2013 gründen sich weitere fikationen in Bezug auf die Gesundheit bisexueller lenzen, deren Auswirkungen wir noch über Jahrzehnte müssen wir klarstellen, dass die Geschichte der brasilia- auf den bisexuellen Aktivismus ausgerichtete Gruppen, Menschen. In dem spezifischen Ziel des Bundes- in unserem Land spüren werden, kommt das Jahr 2020, nischen bisexuellen Bewegung an einer himmelschrei- wie das Coletivo BIL – Coletivo de Mulheres Bissexuais e staates, Präventionsstrategien gegen Suizidalität ein Jahr, das die ganze Welt mit der unerwarteten COVID- enden Unsichtbarkeit leidet. Lésbicas (Kollektiv bisexueller und lesbischer Frauen) und Selbstverstümmelung in der LSBTI*-Bevölke- 19-Pandemie erschütterte. Hierdurch türmte sich eine Die brasilianische LSBTI*-Bewegung begann ihre im Bundesstaat Minas Gerais und MovBi – Movimento rung zu entwickeln, befindet sich auch die Planung, Welle großer Einsamkeit und weitverbreiteter Furcht Selbstorganisation in den 1970er Jahren. Obwohl bise- de Bissexuais (Bewegung der Bisexuellen) in Paraíba. nach Abzeichnung der sexuellen Orientierung ins- innerhalb der Bevölkerung auf. In dieser Hinsicht brin- xuelle Menschen sich von Beginn an aktiv am Aufbau Von nun an mehren sich auch bekräftigende Initiativen, besondere auch die bisexuelle Bevölkerung beob- gen Initiativen sozialer Bewegungen eine Perspektive beteiligten, meldeten sie sich erst in den frühen 2000er die darauf abzielen, der historischen Präsenz bisexuel- achtend in die Prävention einzubeziehen. Jahren zu Wort und beanspruchten ihre Bisexualität in ler Menschen innerhalb der LSBTI*-Bewegung Sichtbar- 2. Eine Initiative von Bi-Aktivist*innen, die 2020 ein diesem Prozess als Identität. keit zu verleihen: Schreiben an psychologische Fachleute sowie auf Der Christo war auch im Gespräch für das Cover – Bundesebene an die Kammer der Psycholog*innen provokativ und schrill. Im Jahr 2004 nahm São Paulos Pride March-Vereinigung 1. Der Wechsel des Akronyms des ältesten landeswei- gerichtet haben (ein Organ zur Selbstorganisation GLBT endgültig das B für die Bisexuellen in das Akronym ten Seminars bzw. Treffens (seit 1996), welches sich und Steuerung des Berufsstandes), in dem disku- der größten brasilianischen Pride-Parade auf, ebenso als einer der Hauptartikulationsräume lesbischer tiert wird, wie Bifeindlichkeit die Durchführung von organisierte das Projekt Espaço B (Raum B) Treffen als und bisexueller Frauen in Brasilien gebildet hat, Se- Therapien und die seelische Gesundheit beeinträch- Raum von Begegnung und Austausch für diejenigen, die minário Nacional de Lésbicas e Mulheres bissexuais, tigt. Das Schreiben ruft zu Veränderungen auf; auch sich „bisexuell fühlten“ (entsprechend der Definition von SENALE zu SENALESBI, eine wichtige Errungen- dahingehend, dass die Kammer der Psycholog*innen des Projekts) oder mehr darüber wissen wollten. Der schaft der bisexuellen Arbeitsgruppe während des auf Bundesebene ein Regulativ erlassen solle, wel- Ausschluss des Buchstabens B im XI. Brasilianischen 2014er Treffens ches bifeindliche Praktiken in der psychologischen Treffen der Gays, Lesben und Transgender im Jahr 2003 2. Die erste bisexuelle Pride and Visibility-Parade von gesundheitlichen Versorgung in Brasilien verbietet. war der Ausgangspunkt der Schaffung des bisexuellen São Paulo im Jahr 2017 Für uns als Bi-Bewegung ist die seelische Gesund- Gruppenteils von Estruturação (Umstrukturierung) im 3. Die erste Mitwirkung des Blocks BiPanPoli+ bei der heit bisexueller Menschen eine große Sorge. Haupt- Oktober 2004, einer LSBTI*-Gruppe in Brasília, welche LSBTI*-Parade von São Paulo 2018 sächlich in anderen Ländern erhobene Daten weisen zwischen 2004 und 2006 das Magazin „Jornal BIS – Un- 4. Im selben Jahr die Realisierung eines Bi-Blocks bei darauf hin, dass die Zahlen zur seelischen Gesund- der LSBTI*-Parade von Belo Horizonte. Seitdem gibt heit bisexueller Menschen oft viele Male schlechter es immer mehr rein bisexuelle Gruppen und Verei- sind im Vergleich zu Menschen anderer sexueller BIS Journal Scan (2004) Quelle: Coletivo BIL nigungen im ganzen Land, als auch Initiativen bise- Orientierung. xueller Menschen innerhalb gemischter LSBTI*- Gruppen. Kunst und Medien: Schon seit Jahren verfolgen wir öffentliche Äußerungen Kleine groß(artig)e Errungenschaften von Künstler*innen in Brasilien, die sich als bisexuell der Brasilianische Bisexuellen Bewegung outen, aber Bisexuellenfeindlichkeit macht bis heute Trotz der Schwierigkeiten und Rückschläge der letzten diese Identitäten unsichtbar oder vernichtet sie. Künst Jahre können wir einige Verwirklichungen und Errun- ler*innen wie Cássia Eller, Renato Russo, Cazuza, Ana genschaften im sozialen Bereich und in der Sichtbarkeit Carolina und Preta Gil sind brasilianische Musikikonen, 6 7
BiJou 37 BiJou 37 die schon offen ihre sexuelle Identität als „monodissi- Communities sind politisch dazu übergegangen, die heterosexuell verstanden wurde. In der letzten Szene Kassenschlager im brasilianischen Kino waren. Im Nar- dent“ zum Ausdruck gebracht haben, aber kaum dafür Schwächen in den Repräsentationen von sich selbst kri- vor der todbringenden Explosion des Shoppingcenters rativ der beiden Filme gibt es sicherlich einige Unter- bekannt sind. Oder noch schlechter: Sie werden durch tisch herauszuarbeiten. In Brasilien ist es nicht anders, führt das Frauenpaar Rafaela und Leila folgenden Dia- schiede: Juliano, die Rolle, um die es geht, outet sich im die Medien oder Dritte als Homosexuelle bezeichnet. auch hier treten Medienproduktionen, die sich in der log „Gibt es hierfür eine Erklärung? – Ja, die gibt es … Es Verlauf des zweiten Films mehrmals als bisexuell. Julia- Immerhin sehen wir schon seit Langem immer mehr Produktions- und Verbreitungskapazität stark abheben, kann nur dieses verdammte Vorurteil sein“. nos Bisexualität ist einer der großen Konflikte in dem mutige Schilderungen zeitgenössischer Künstler*innen, in die öffentliche Debatte ein. Produktionen mit natio- Plot und stellt im Leben seiner Mutter ein ernstes Prob- welche zeigen, dass diese Unsichtbarkeit überwunden naler Reichweite und besseren Finanzierungs- und Ver- 2013 zeigt die Seifenoper Amor à Vida (Liebe zum Leben) lem dar, das es zu lösen gilt, schließlich soll sie doch werden muss und viele bisexuelle Menschen hören bzw. breitungsressourcen sind sicherlich fähiger, in der Be- acht Monate lang jeden Tag zur Prime Time die Figur Ruhe und Frieden finden, was die Zukunft ihres Sohnes wiederholen diese Äußerungen. Als Sängerin Anitta völkerung Widerhall zu finden und ihre Konzepte von Eron, welche mit Ehemann Niko in die Serie eintritt und anbelangt. Sein Schicksal am Ende des Narrativs ähnelt (heutzutage mit 50 Millionen Followern auf Instagram) Bisexualität in ein größeres Umfeld zu bringen als dies ihn dann mit Amarilys, einer Frau, betrügt. Jenseits von dann aber doch dem von Eron: Juliano heiratet einen vor einigen Jahren erklärte, bisexuell zu sein, war das alternative Produktionen mit geringeren Ressourcen Einzelheiten diffamiert das Narrativ Eron von dem Mo- Mann und über die „Gretchenfrage“ des vorangegange- Netz in Aufruhr. Zum Teil gab es eine große Diskreditie- können – etwas was nicht aus Zufall geschieht, vor dem ment an, wo er mit Amarilys anbandelt, nicht nur weil nen Films wird kein Wort mehr verloren. Seine Mutter rung, basierend auf Diskursen, welchen bi- oder panse- Hintergrund, dass es in diesem Land eine Menge von dieses Verhältnis einen Betrug darstellt, sondern auch kommt zur Ruhe und wertet die Ehe ihres Sohnes als Ein- xuelle Menschen häufig ausgesetzt sind: „Sie macht es Angriffen auf die Kunst gibt, insbesondere zu dieser Zeit weil seine Zuneigung einer Frau gilt, wo sie doch zuvor geständnis seiner Homosexualität, worüber sie eigent- nur, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, „Sie möch- und mit einer größeren Repression gegen kleinere einem Mann galt. Die Sexualität Erons wird zum Politi- lich schon hinweg war. te cool wirken“, „Sie ist eine vulgäre Frau“ etc. Wir erleb- Produzent*innen. kum innerhalb der einzelnen Serienrollen und er wird ten auch schon „monodissidente“ Coming-outs bei be- fortlaufend wegen seiner sexuellen und emotionalen Mit diesen Beispielen medialer Verkörperung können kannten Künstler*innen, wie den Schauspieler*innen Seifenopern sind sehr populär in Brasilien. Auch wenn Orientierung beleidigt; infolgedessen sagen solche Kom wir nun ein wenig die hegemoniale Sichtweise auf Bise- Camila Pitanga, Alessandra Maestrini und Ana Hikari wir schon in der Streaming-Ära sind, ist das Fernsehen mentare etwas über Eron, gleichzeitig aber auch über xualität in Brasilien verstehen: Durch gewisse Kameras sowie den Sänger*innen Ludmilla und Letrux. immer noch als starker und typischer häuslicher Akteur Bisexualität, denn künstlerische Verkörperungen trans- und aus gewissen Blickwinkeln erscheinen wir hier als im Alltag der brasilianischen Familie präsent. Bisexuali- portieren ein von der Realität abgeleitetes Konstrukt, Bösewichte, als wilde und vulgäre Menschen, als Viren, Die Wirkung dieser Sichtbarkeitsbewegung spiegelt sich tät wird auch durch dieses mediale Abbild der Realität wenn auch nur in begrenztem Maß. Schließlich erklärt welche die beiden Welten infiltrieren, die uns nicht ver- in den audiovisuellen Produktionen des Landes wider. In vermittelt. Wir können einige wichtigere Formate der Eron sich als schwul und beschließt den Plot mit einem stehen: Heterosexualität und Homosexualität. In der Brasilien ist Bisexualität ein Thema, welches auch in den letzten Jahrzehnte beispielhaft anführen, produziert neuen Freund an seiner Seite. Zeit, in der es filmische Repräsentationen wie die von Medien präsent ist, wenn auch spärlich. Ein weiteres und ausgestrahlt vom wichtigsten Sender des Landes, Eron gab, konnten wir aber auch andere Annäherungen wichtiges Feld des Meinungsaustauschs: Die brasilia Rede Globo, der 99,45 % des Landes abdeckt. Etwas Ähnliches begegnet uns auch in den Filmen Min- an Bisexualität finden, von denen einige von demselben nische Medienkultur produziert, verbreitet und bekräf ha Mãe É Uma Peça 2 (Meine Mutter ist ein Theaterstück 2, Sender stammen, Rede Globo. In der Miniserie O Canto tigt verschiedene Konstrukte rund um unsere Lebens- Hinter den Kulissen der Telenovela Torre de Babel (Turm 2016) und Minha Mãe É Uma Peça 3 (2019), berühmte da Sereia (Der Gesang der Sirene, 2013) haben wir eine geschichten. Was bedeutet dies? Da Kultur und Kommu zu Babel, 1998) ereignete sich eine ungewöhnliche Tat- brasilianische Komödien, die als Teil einer Serie Top- komplexe Figur als Protagonistin, deren Leben und Tod nikation nun einmal fundamentale Bestandteile der sache: Der Plot mit einer bisexuellen Figur wurde gestri- sozialen Struktur sind, ist es richtig zu sagen, dass beide chen, noch bevor er verfilmt wurde. In der originalen sowohl ein Spiegel der Gesellschaft als auch Akteure ih- Synopse der Serie sollte das Frauenpaar Rafaela und 1. Bisexueller Visibility-Walk (2017). Quelle: Mídia Ninja rer Konstruktion sind. Das heißt, was wir über eine Grup- Leila durch den tragischen Tod Rafaelas getrennt wer- pe denken, ist uns nicht angeboren: All das, was in unse- den. Hierdurch sollte Leila sich in die ältere Marta ver- rer Kultur zirkuliert, formt das, was wir voneinander den- lieben, sobald diese sich von ihrem Ehemann César To- ken. Also ist alles, was in den Medien in Brasilien über ledo getrennt hatte. Die Rollen von Marta und César Bisexualität produziert wird, Spiegel und Konstruktion Toledo wurden durch ein echtes Paar gespielt, beste- dessen, was über Bisexualität in Brasilien gedacht wird. hend aus der Schauspielerin Glória Menezes und dem Schauspieler Tarcísio Meira. Sie repräsentieren traditio- Heutzutage wissen wir allerdings, dass kulturelle Pro- nelle Werte in der Vorstellungswelt der brasilianischen duktionen, insbesondere Medien, gegenüber Kritik aus Gesellschaft (vor allem der cis-heteronormativen). Als der Bevölkerung nicht immun sind und dass ihre Einzel- bekannt wurde, wie sich dieses Narrativ entfaltete, ver- heiten kommentiert werden, vor allem von Menschen öffentlichte eine Zeitung in Rio de Janeiro eine völlig ver- mit Internetzugang, welche ihre Analyse abgeben wol- zerrte Ganzseitenstory mit dem Titel „In einer Prime- len. Es war schon immer so, aber das Internet hat der Time-Soap ist Glória Menezes eine Butch“. Schockiert öffentlichen Rezeption die Gelegenheit für ein größeres verwarf das konservative Publikum seinerzeit die Mög- Blickfeld verschafft. Die Kulturkritik ist also nicht mehr lichkeit einer Bisexualität von Marta, vor dem Hinter- länger den Zeitungen und spezialisierten Zeitschriften grund, dass die von der Telenovela unterbreitete Gen- vorbehalten, da sich die Kritiker*innenszene der brasilia der-Änderung etwas wäre, was die gesellschaftlichen nischen Medien inzwischen aus mehr Menschen zu- Dogmen bedrohen würde. Was dazu führte, dass der sammensetzt, die mit ihren Ansichten zweifelsohne in Sender und die Produzent*innen der Seifenoper die fil- die Wiederabfolge des Kreislaufs und die kulturellen mische Entwicklung dieser Figur abschafften. Also starb Produktionen eingreifen. Im Kontext der Medienkritik Leila den Serientod in derselben Explosion, die ursprüng- bemerken wir ein vordringliches Thema: den Wunsch lich nur Rafaela töten sollte. Und Martas Rolle behielt nach angemesseneren Repräsentationen. Minoritäre den ganzen Plot hindurch ein Verhalten, das sozial als 8 9
BiJou 37 BiJou 37 den Stoff der Story bildet. In den einzelnen Folgen Color, eine linksgerichtete bisexuelle Frau, einen Sitz in Die brasilianische bisexuelle Front setzt sich heute aus kommt sie mit Männern und Frauen zusammen. Ihre der brasilianischen föderalen Abgeordnetenkammer Dutzenden unabhängiger Aktivist*innen und elf Grup- sexuelle Orientierung ist Teil ihres pulsierenden Lebens bekleidet – Vivi Reis. pen zusammen: Bi-Sides (SP), Bisibilidade (RJ), Coletivo und wird deutlich neutraler dargestellt, auch wenn sie Amora (RS), Coletivo BIL (MG), Combi (SC) Frente Bi de augenscheinlich eine wollüstige Frau verkörpert. Die Entwicklung der Brasilianische Bisexuellen Front BH (MG), Frente Bi (PI), Maria Quitéria (PB), MovBi (PB), und das Festival BI+ Vale PCD (PE) und Visibilidade Bahia (BA) zusammen. Im darauffolgenden Jahr porträtiert die Seifenoper Em Als Ergebnis einer am 28. 06. 2020 abgehaltenen virtu- Família (In der Familie, 2014) in einem Nebenstrang die ellen Konferenz entsteht als Meilenstein für den Welt Nachfolgend unsere Instagram-Accounts: Liebesgeschichte eines Frauenpaares, bei dem es einen Pride Day in Brasilien eine neue Initiative, welche die @amoracoletivo @frentebipi bisexuellen Teil gibt. Hier liegt der Fokus auf der Liebes- Organisation der Brasilianischen Bisexuellen Front @bisibilidade @maria.quiteria.pb geschichte der beiden positiv dargestellten Figuren und verkörpert, eine landesweite Bewegung, welche darauf @coletivobil @movbi doch sehen wir den Kontrast, dass ihre Beziehung fil- ausgerichtet ist, den Bi-Aktivismus im ganzen Land zu @coletivobisides @pcdvale misch komplett ohne Küsse oder deutlichere sexuelle einen und zu stärken sowie unsere Agenda sichtbar zu @combisc @visibilidadebissexualba Zuneigungsbekundungen gezeigt wird, so als solle dies machen, welche „monodissidente“ sexuelle Identitäten @frentebi-bh akzeptabler vor einem konservativen Publikum sein. diskutiert und wertschätzt. Die Konferenz war das Er- Das Paar zeigte seine Liebe (und gegenseitige Anzie- gebnis einer Initiative der Vereinigung ComBi/SC, mit Die Schaffung des Festivals BI+ hung) durch Küsse auf die Stirn und Streicheleinheiten dem Ziel, andere aktive bisexuelle Gruppen sowie bise- Unsere bisexuelle politische Identität ist ein Anlass für im Gesicht. Dieser Aspekt der Geschichte verärgerte Tei- xuelle Aktivist*innen und Akteure ausfindig zu machen Stolz, Feierlichkeiten und Freude. Daher wurde als erste le des Publikums, welche lieber eine Produktion gese- und zu kontaktieren. Aktion der Brasilianischen Bisexuellen Front ein ehrgei- hen hätten, die ausgeglichener ist im Verhältnis zu ver- ziges Event geschaffen, das darauf abzielte, den Bi-Pri- filmten Cis-Mann/Frau-Beziehungen, wo Küsse üblich Als erste Aktivität der der Brasilianischen Bisexuellen de im Monat September zu unterstützen und der bise- sind und auch Szenen intimer Zweisamkeit nicht fehlen. Marielle Franco Front wurde das erste bisexuelle brasilianische Kunst- xuellen Bevölkerung einen sicheren, einladenden Raum und Kulturfestival entworfen und am 26. 09. 2020 ins für die Feier des Bi-Prides zu bieten: das Festival Bi+. Schließlich können wir den Film Califórnia (2015) als eine Leben gerufen, genau im Monat der Bi-Visibility. Mit un- Es wurde durch Live-Auftritte bisexueller Künstler* Kinoproduktion mit positiver Darstellung von Bisexuali- weiteres politisches Verbrechen in Brasilien, welches gefähr neun Stunden ununterbrochenem Programm, innen aus ganz unterschiedlichen Regionen auf die Bei- tät herausstellen. Die Regie führte Marina Person. Im noch nicht aufgeklärt ist. Nach ihrem Tod wurde Mariel- mit einem Potpourri aus Musik, Theater, Literatur, visu- ne gestellt und war für alle gratis auf YouTube zu sehen, Plot finden wir einen sensiblen und entschlossenen le Opfer einer Lügenkampagne, welche sie in das Licht eller Kunst und Auftritten bisexueller Künstler*innen: mit einer simultanen Verdolmetschung in brasilianische Teenager, dessen Sexualität als Romanze der Haupt von Drogendealern rückte und ihre Bisexualität wieder- Das Festival Bi+. Ein so noch nie da gewesenes Fest, ge Zeichensprache (LIBRAS). Bei der Namenswahl des figur einen prominenten Platz im Plot einnimmt. Vor holt unter den Tisch kehrte, sogar durch ihr eigenes po- macht von bisexuellen Menschen für bisexuelle Men- Events erschien das Pluszeichen als Weg, alle „monodis- dem Hintergrund, dass wir vulgär, promisk und „unkor- litisches und ideologisches Lager. schen. Dies ist ein Meilenstein in der brasilianischen bise- sidenten“ Identitäten mit einzuschließen, aber auch als rekt“ sein können, schaffen manche Produktionen – xuellen Bewegung; in dem Maß, dass es schon angezeigt Zeichen, aus der Aktion ein zwischen Produktion, Künst jene alternativen – filmische Repräsentationen ohne In der ersten Kommunalwahl nach der Ermordung ist, den Nationalen Tag bisexueller Sichtbarkeit zu be- ler*innen und Publikum geteiltes Erlebnis zu machen. Angst vor der Verwirrung, die Teil von uns allen sein arielle Francos, welche in diesem Jahr stattfand, war M gründen, um den 26. 09. 2020 in Ehren auszuzeichnen. Das Organisationsteam bemühte sich um verschiedene kann. Oder sie zeigen uns sogar in Plots, wo sich bisexu- ihr Erbe allgegenwärtig. Die Wahlen von 2020 waren elle Figuren von Beginn an ihrer Orientierung sicher historisch, was die Kandidaturen und Ergebnisse für sind, ihre Identität behaupten, sie beim Namen nennen LSBTI*-Menschen anbelangt. Es war die Wahl, in der die Landesweite virtuelle Videokonferenz, Screenshot (2020). Quelle: Brasilianische Bisexuelle Front und weniger hin und her gerissen sind. In dem Wissen, größte Anzahl von Schwarzen Frauen* und LSBTI*- dass all dies mögliche Wege sind, werden wir uns als Menschen in Brasilien gewählt wurde, überhaupt. Nach Community wo immer möglich weiterhin durch die Ver- einer Umfrage der Brasilianischen Bisexuellen Front breitung von Kommentaren bemerkbar machen, durch wurden acht bisexuelle Frauen* aus dem progressiven Kritik sowie durch den Anspruch, dass Bisexualität exis- linken politischen Lager des Landes gewählt. In absolu- tiert und wir eine öffentliche Debatte schaffen können, ten Zahlen mag dies keine bemerkenswerte Menge was es bedeutet, in unserer Kultur bisexuell zu sein. sein, aber der politische und soziale Kontext Brasiliens ist geprägt durch extremen Konservativismus, in dem Politik: die Unterdrückung der Rechte von Minderheiten eines Ein hervorstechender Vorfall für die Bürgerbewegun- der ideologischen Fundamente der Regierung von Jair gen und die bisexuelle brasilianische Bevölkerung er- Bolsonaro ist. Daher ist die Wahl dieser bisexuellen eignete sich am 14. 03. 2018, als die Stadträtin von Rio Frauen* ein riesiger Hoffnungsschimmer und eine Be- de Janeiro Marielle Franco brutal ermordet wurde. Ma- stätigung politischer Kraft der gesellschaftlichen Bewe- rielle war eine Schwarze Frau, aus der Favela1, bisexuell, gungen in diesem Land, sogar in solch widrigen und eine standhafte Verteidigerin der Menschenrechte und gewaltsamen Zeiten. 2020 erleben wir inmitten so vie- Kämpferin gegen Gewalt in den Favelas. Ihr Tod ist ein ler Verlusterfahrungen, dass die erste LSBTI*-Frau of 1 Anm. d. Red.: Favelas sind „Armenviertel“ in Randlagen der großen Städte Brasiliens. 10 11
BiJou 37 BiJou 37 Am 26. 09. 2020 sendete die Brasilianische Bisexuelle BiCon 2020: Reflexionen über Rassismus & Bisexualität Front ungefähr neun Stunden lang ein noch nie so in der Form da gewesenes, ausschließlich bisexuelles Pro- in Deutschland gramm an ein treues Publikum von durchschnittlich 70 Personen. Heute summieren sich die Klicks auf unser Bi+-Festivalprogramm bei unserem YouTube-Kanal auf Das diesjährige BiCon UK (die jährlich stattfindende bri- beginnt mit: „BiCon is racist“ [BiCon ist rassistisch], und über 1.600. Es gab einige technische Schwierigkeiten, tische nationale Konferenz für Bisexuelle) fand ganz unterschiedliche Maßnahmen zur Bekämpfung des aber alle wurden gelöst. Das Bi+-Festival lieferte künst- und gar im Zeichen der heutigen Zeit statt. Sie war nicht Rassismus im Rahmen der BiCon wurden ergriffen. Au- lerische Auftritte, Chats mit bildenden Künstler*innen nur komplett virtuell per Zoom organisiert wie so viele ßer der Organisation von themenspezifischen Sessions bzw. Visual Artists, Debatten über Bi-Aktivismus, Dis- andere Konferenzen in unterschiedlichen Bereichen zu Black Lives Matter und Intersektionalität bei der Bi- kussionen über die Geschichte der Bi-Bewegung in Bra- der Arbeits- und Alltagswelt seit der Corona-Pandemie. Con wurde auch eine Arbeitsgruppe eingerichtet und silien, über Intersektionalitäten3 innerhalb der bisexuel- Sie reflektierte auch aktuelle Diskurse über die weltwei- ein von PoC geführter Evaluationsbericht zur Antirassis- len Bevölkerung und Projektionen für unsere Zukunft ten Black-Lives-Matter-Bewegungen und Rassismus-Pro- musarbeit der BiCon erstellt4. Auch gab es während der als bisexuelle Community. bleme, die nicht nur die Gesellschaften im Allgemeinen, BiCon für PoC und BAME (Black, Asian and Minority Eth- sondern durchaus alle sozialen Gruppen betreffen und nics5) einen sog. ‚Safe Space‘, d.h. einen sicheren Raum Das Bi+-Festival war ein Meilenstein in der Brasiliani- selbstverständlich auch in die LSBTIQ*-Community hin- zum geschützten gruppeninternen Austausch. Als be- schen Bisexuellen Bewegung, denn hierdurch war es einreichen. Trotz der zunehmenden Sensibilisierung und sondere und wohl wichtigste Veranstaltung der diesjäh- möglich, äußerst diversen kulturellen Produktionen zu- Thematisierung von Rassismus und Diskriminierungen rigen BiCon waren die kostenlos angebotenen Anti-Ras- zuschauen, welche durch vielfältige Menschen erschaf- innerhalb der LSBTIQ*, insbesondere im Zusammen- sismus-Kurse für alle Bi Community-Mitglieder. Da die- Künste bzw. Künstler*innen: Performances, Zeichner* fen wurden und die Fähigkeiten und Originalität Brasili- hang mit manchen fachlichen Debatten um Intersektio- se auf sehr gute Resonanz stießen und schnell ausge- innen, Literat*innen, Musiker*innen, Drag, „Poesia mar ens verkörperten; mit bisexuellen Hauptakteur*innen nalität1, wurden und werden sie noch in der Bi-Commu- bucht waren, wurden sie auch über die BiCon-Woche ginal“2, generell war aber jede*r willkommen, der* bzw. und komplett produziert, ausgedacht und organisiert nity im Speziellen und insbesondere in Deutschland hinaus angeboten. Durch solche Initiativen sollen nun die* etwas künstlerisch beisteuern konnte und wollte. von bisexuellen Menschen. Dies hat einen starken Ein- vernachlässigt. auch weiterhin in der (gefühlt) mehrheitlich weißen Bi+- Da es ein großes Interesse an der Teilnahme gab, war fluss auf die brasilianische bisexuelle Subjektivität und Community die unsichtbaren oder zumindest weniger ein sorgfältig auswählendes Kuratorium für das Line- Repräsentativität. Die brasilianische bisexuelle Front Antirassismus-Initiativen bei der UK BiCon bekannten Probleme für bisexuelle PoC an- und ausge- up notwendig. Basierend auf den Werten der brasiliani- erfasste und erfasst zehntausende bisexueller Men- In der Tat ging eine mehrjährige, sehr heftige Debatte sprochenen werden. schen bisexuellen Front wurde die Beteiligung von schen in dieser dramatischen Zeit, in der wir leben – innerhalb der Bi-Community in den UK voraus, bei der People of Color, Trans*- und „dicken“ Menschen priori- aber voll von transformativer Energie. bisexuelle People oder Person(s) of Color (PoC2) zu Recht Black Lives Matter in LSBITQ*? siert. Im Hinblick auf die regionale Verteilung zeigte sich die Vernachlässigung des Diversitätsaspekts im Vor- Wie es auch in dem BiCon-Workshop zu Black Lives einmal mehr die Unterrepräsentanz der Regionen des Von der Brasilianischen Bisexuellen Front stand der BiCon und auch der Organisation der BiCon- Matter („Why Black Lives Still Don‘t Matter within the mittleren Westens und Nordens des Landes in den Op- Konferenzen kritisierten3. Offenkundig wurde endlich LGBTQ+?“) anklang, ist die Objektivierung von nicht-wei- tionen der Namensauswahl. Dies ist ein historisches im Zuge der nun global entfachten Debatte und Sensibi- ßen Mitmenschen auch im LSBTIQ*-Bereich nicht zu lisierung um Black Lives Matter und der postkolonialen leugnen. Sind es einerseits Schwarze, die ‚mit aggressi- Kontakt: Kritik den Anliegen der bisexuellen PoC Gehör ge- verem und dominanterem Sexualverhalten‘ oder ‚gro- frentebissexualbrasileira@gmail.com schenkt, so dass unterschiedliche Maßnahmen ergrif- ßen Penes‘ assoziiert und auch auf schwulen Webseiten fen wurden. In einem offenen Brief nahmen die BiCon- so ‚angebaggert‘ werden (der selbst schwarze Bi-Dozent Social Media: Organisator*innen zunächst auch Stellung; der Text sprach von Fetischismus auf Dating-Seiten), sind es https://www.facebook.com/frentebibr https://instagram.com/frentebissexualbr/ https://youtube.com/frentebissexualbrasileira 1 Intersektionalität „veranschaulicht, dass sich Formen der Unterdrückung und Benachteiligung nicht einfach aneinanderreihen lassen, Übersetzung aus dem Englischen/Portugiesischen: Bernd I. sondern in ihren Verschränkungen und Wechselwirkungen Bedeutung bekommen. Kategorien wie Geschlecht, Rasse, Alter, Klasse, Ability oder Sexualität wirken nicht allein, sondern vor allem im Zusammenspiel mit den anderen“, Heinrich Böll Stiftung – Gunda Lektorat der Übersetzung: Ingrid Angel Werner Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie (o. J.): Intersektionalität, https://www.gwi-boell.de/de/intersektionalitaet; Problem in Brasilien, in dem die südöstlichen und süd vgl. auch Center for Intersectional Justice (2019): Intersektionalität in Deutschland, https://www.dezim-institut.de/fileadmin/ lichen Regionen privilegiert sind, was Ressourcen, Auf- PDF-Download/CIJ_Broschuere_190917_web.pdf oder Hartshauser (2020): Intersektionalität: Eine einfache Definition des Begriffs, auf Focus Online, https://praxistipps.focus.de/intersektionalitaet-eine-einfache-definition-des-begriffs_124834 (zuletzt aufgerufen am klärung und Sichtbarkeit betrifft. Auch wenn wir eine 3. 12. 2020) Veranstaltung erschaffen wollten, in der alle Regionen Fotorechte: Bisexual Brazilian Front 2 Zur Begriffsgeschichte von „People of Color“, siehe z. B. Kien Nghi Ha (2009): ‚People of Color‘ als Diversity-Ansatz in der des Landes vertreten sind, wurde dieses Ziel durch die Marielle Franco: Midia Ninja, Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Gene- antirassistischen Selbstbenennungs- und Identitätspolitik, https://heimatkunde.boell.de/2009/11/01/people-color-als-diversity-ansatz- erste Auflage des Bi+-Festivals nicht erreicht. ric, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Marielle_Franco.jpg der-antirassistischen-selbstbenennungs-und (zuletzt aufgerufen am 3. 12. 2020) 3 Vgl.: BiCon (2020): BiCon Anti-Racism Review 2020, https://2020.bicon.org.uk/bicon-anti-racism-review-2020-the-write-up/; Bi’s of Colour (2020): BiCon lets down People Of Colour. Again…, https://2020.bicon.org.uk/bicon-anti-racism-review-2020-the-write-up/; BiCon Continuity (2020): Longer Update from BiCon Anti-racism Working Group https://biconcontinuity.org.uk/longer-update-from- bicon-anti-racism-working-group/ (zuletzt aufgerufen am 3. 12. 2020) 4 BiCon (2020): Anti-Racism at Bicon: Racism and Anti-racism at BiCon, https://2020.bicon.org.uk/anti-racism/ (zuletzt aufgerufen am 2 Anm. d. Übersetzers: eine Art der populäreren, alternativen Kunst der 1970er Jahre, vornehmlich Literatur 3. 12. 2020) 3 Anm. d. Übersetzers: Überschneidung und Gleichzeitigkeit verschiedener Diskriminierungskategorien 5 Schwarze, Asiat*innen und ethnische Minderheiten 12 13
BiJou 37 BiJou 37 ebenso auch Stereotypen von ‚devoten asiatischen Space-Gruppe waren unter den zehn Teilnehmenden in rerische Veranstaltungen geeicht waren und die Teil- Solch ein Ungleichgewicht und auch Fehlrepräsentation Frauen‘, die nicht nur allgemein in der deutschen Ge- der Tat nicht nur Blacks, sondern eben auch Asiat*innen nehmenden der BiCon größtenteils weiß gewesen sind.9 dominieren natürlich auch die Bi-Community in sellschaft, sondern auch im LSBTIQ*-Community existie- und weitere in Großbritannien zur ethnischen Minder- Deutschland. Die Frage ist allerdings nicht, ob in der ren und von denen asiatische Bi-Frauen entsprechend heit gehörende Bisexuelle vertreten7. Hier scheint aber bei der BiCon, die dieses Mal einen PoC-Bevölkerung weniger Bi+ Personen unterwegs verletzender Weise betroffen sind. Angesprochen wur- Bezogen auf Deutschland muss man sich ebenso fra- sehr guten und respektablen Ansatz zur Diversität und sind. Dies kann nun wirklich bezweifelt werden darf, den auch die historischen postkolonialen Hintergründe gen, ob wiederum andere Minderheitengruppen im Selbstkritik gezeigt hat, Grenzen gesetzt zu sein. Auch denn in den sozialen Medien finden sich immer größer und interkulturellen Unterschiede, um das Queerness Zentrum täglicher Diskriminierung stehen. Die Lage in wenn die Erkenntnis der Benachteiligung und Vernach- und aktiver werdende Interessensgruppe von intersek- in der Schwarzen Kultur und die Diskriminierungen von Deutschland scheint durchaus vergleichbar zu den Er- lässigung von Anliegen der PoC vorhanden ist, bleibt die tionellen Bisexuellen oder auch bisexuellen People of queeren Schwarzen in der britischen Gesellschaft bes- fahrungen in Großbritannien zu sein. So sehr auch Afro- Tatsache bei der BiCon-Organisation, dass keine*r der Color. Die Frage nach den Anliegen dieser von Diskrimi- ser zu kontextualisieren und zu verstehen. deutsche oder Schwarze Menschen allgemein immer Organisator*innen PoC ist und sogar auch die Intersek- nierung mehrfach betroffener Gruppen innerhalb der wieder zur Zielscheibe schlimmster rassistischer Angrif- tionalitäts-Session („Intersectionality for the Bi+ commu LSBTIQ*-, aber auch insbesondere innerhalb der Bi- Black Lives Matter in USA vs. Großbritannien/ fe werden, sind rassistische Angriffe und Diskriminie- nity“), trotz mehrerer Minderheitsmerkmale der Dozie- Community, ist und bleibt auch im deutschen Kontext Deutschland? rungen grundsätzlich gegenüber Personen „mit Migrati- renden, von einer nicht PoC-Person geleitet wurde. In ein aktuelles Thema. Trotz der Bemühungen die Diver- Im oben erwähnten Safe Space (sicherer Raum) für PoC onshintergrund“ der reale Alltag und ein nicht zu igno- der Tat scheint die Selbstdarstellung der BiCon zur eth- sitäts-Flagge zu zeigen, bleiben die Problematiken von und BAME („Bis of Colour and BAME - Safe Space“) wur- rierendes gesellschaftliches Problem in Deutschland. nischen Zusammensetzung sehr divers zu sein fraglich Diskriminierungen und rassistischen Vorurteilen noch den gerade diese Aspekte weiter diskutiert. Die gesam- Die diskriminierten Personen in Deutschland sind in der (s. Abb. 1 links10). Auf der von der BiCon selbst erstellten sehr im Hintergrund. Eine Plattform anzubieten und te Debatte um Rassismus, so auch bei den besonderen Hinsicht nicht immer „s/w farblich“ sichtbar – es werden und öffentlich verfügbaren Darstellung scheinen die auch das Thema offen selbstkritisch zu bearbeiten, an- Angeboten beim BiCon, drehte sich primär um Blacks, nicht nur Personen mit Migrationsgeschichte aus Süd- Profile der Teilnehmenden durch die kunterbunte Farb- zusprechen und dann auch mit betroffenen PoC zu be- wobei hier ähnliche Erfahrungen von weiteren PoC aus und Ostasien (also ‚gelbe‘), oder eben Schwarze Perso- gebung sehr divers zu sein. Bei einem näheren Hinse- sprechen, wie es im diesjährigen BiCon UK geschehen dem Fokus geraten. So wurde im Safe Space die Frage nen Opfer willkürlicher Racial Profiling8 und des Alltags- hen und einer auf weiß vs nicht-weiß korrigierten Dar- ist, ist wohl der erste und einzig richtige Ansatz, was gestellt, ob die Debatte um Black Lives Matter eins zu rassismus, sondern auch Personen, die unter „Araber“ stellung wird jedoch klar, dass der PoC-Anteil mit knapp man gerne auch zukünftig in der deutschen Bi+-Com- eins auf Europa und/oder auf einzelne Länder direkt oder „Türke“ fallen, oder in Ost- und Südosteuropa ihre über 10 Prozent der Teilnehmenden (ca. 350) sehr be- munity sehen möchte. übertragbar sei. Gerade im Vergleich zu den USA, wo Wurzeln haben. So scheint der Begriff von BAME, viel- grenzt gewesen ist11 – auch solche Verzerrungen der Sakura Black Lives Matter entfachte und wo eine sehr lange Ge- leicht geeigneter auch für den deutschen Kontext als visuellen Darstellung von Daten sollten vielleicht stär- schichte um Rassismus und Black Empowerment be- der eher in den USA weit verbreitete Begriff von BIPoC. ker reflektiert werden. steht, sind die historischen und politischen Hintergrün- de und die alltäglichen Konflikte in Europa durchaus Diversität in der LSBTIQ*- und Bi+Community? anders. Gemein haben die USA und Großbritannien Obwohl es diese Möglichkeit zum ehrlichen Austausch Ethnizitäten bei der BiCon 2020 (links: von BiCon erstelltes Diagramm; rechts: eigene Darstellung nach Daten der BiCon) durchaus die postkolonialen Zusammenhänge der Hie- unter PoC gegeben hat, war es dennoch bedauerlich, rarchisierungen von ‚Rassen‘6 als Kategorien sozialer dass die Anti-Rassismus-Workshops („BiCon Anti racism Differenzierungen. Jedoch gingen die rassistischen An- training“) sehr auf das weiße Publikum fokussiert wa- griffe und Diskriminierungen in Großbritannien über ren. So stieß der auch von PoC geführte Workshop die Dichotomie des Black und Whites hinaus, so eine sichtlich sehr gute und wichtige Impulse zur Selbstrefle- südasiatische bisexuelle Teilnehmerin. In Großbritanni- xion bei den weißen Bi-Teilnehmenden an, und eine of- en seien die südasiatische Minderheit und ihre Diskri- fene Atmosphäre wurde auch geschaffen. Allerdings minierung viel präsenter als in den USA. Ebenso gäbe es blieben letztlich tiefergehenden Reflexionen und Dis- keine indigenen Bevölkerungen (oft wird der Begriff BI- kussionen zur Schwierigkeit als PoC oder eben BAME Poc benutzt: Black, Indigenous, People of Color), und in innerhalb der LSBTIQ*-Community und zu speziellen den letzten Jahren vor dem Brexit seien auch polnische Diskriminierungserfahrungen von bisexuellen PoC lei- (also innereuropäische und weiße) Migrant*innen Op- der aus. Allgemein war es auffällig, dass diese speziel- fer von rassistischen Anfeindungen. In der kleinen Safe- len Workshops sehr auf das weiße Publikum als aufklä- 6 Hier ‚Rasse‘ als soziales Konstrukt, jedoch gelebte Realität; zur Begrifflichkeit, s. Katharina Wilhelm (2020): „race“ und „people of color“. Warum sich auf Deutsch nur so schwer über Rassismus sprechen lässt, in: BR 2, https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/ zuendfunk/warum-sich-auf-deutsch-nur-schwer-ueber-rassismus-sprechen-laesst100.html (zuletzt aufgerufen am 3. 12. 2020) 7 Vor dem Hintergrund solcher über Schwarz/Weiß hinausgehenden Aspekte der Diskriminierung hat sich z.B. die schottische LSBTIQ*-Community kürzlich für das Label BAME in ihrer Selbstidentifikation entschieden; auch in der britischen Wissenschaft ist ein zunehmender Diskurs über BAME zu beobachten. 8 „Racial Profiling (rassistische Profilerstellung, auch „Ethnic Profiling“ genannt) bezeichnet polizeiliche Maßnahmen und Maßnahmen 9 Inwieweit der Aufruf einer Bi-PoC-Aktivistin den „weißen BiCon“ zu boykottieren die Teilnehmenden-Dynamik beeinflusst hat, kann von anderen Sicherheits-, Einwanderungs- und Zollbeamt*innen, wie Identitätskontrollen, Befragungen, Überwachungen, man leider nicht nachvollziehen, aber die Daten der vorherigen BiCon reflektieren eine ähnliche Unterrepräsentation von PoC. Durchsuchungen oder auch Verhaftungen, die nicht auf einer konkreten Verdachtsgrundlage oder Gefahr (etwa dem Verhalten einer 10 BiCon (2020): Demographic Results, https://2020.bicon.org.uk/demographics-results/ Person oder Gruppe) erfolgen, sondern allein aufgrund von („äußeren“) rassifizierten oder ethnisierten Merkmalen – insbesondere Hautfarbe oder (vermutete) Religionszugehörigkeit“. Quelle: Vanessa Eileen Thompson (2020): Racial Profiling, institutioneller 11 Die Labels der Ethnizität in der Umfrage beruhen nach Angaben der BiCon-Organisator*innen auf Selbstangaben der Teilnehmenden, Rassismus und Interventionsmöglichkeiten, in: Bundeszentrale für politische Bildung https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/ die von ihnen dann noch einmal zu Unterkategorien zusammengefasst worden seien. Die Gesamtzahl der Umfrageteilnehmenden kurzdossiers/308350/racial-profiling-institutioneller-rassismus-und-interventionsmoeglichkeiten (zuletzt aufgerufen am 3. 12. 2020) lag bei 36 Personen, was aus Sicht der BiCon-Organisator*innen repräsentativ für die etwa 350 Konferenzteilnehmenden seien. 14 15
BiJou 37 BiJou 37 Fachgespräch zum Thema: Gewalt gegen weil sie „es ja auch wollten“. Auch geschlechtsspezifi- sche Problematiken spielen eine Rolle. Die weibliche* bi+sexuelle Frauen* in Partner*innenschaften Sexualität ist insgesamt unsichtbarer und die Sexualität zwischen Frauen* wird häufig weniger ernst genom- men als die männliche*. In Dreierfantasien von Män- Auch, wenn nur wenige Studien zu diesem Thema exis- heißt, es fehlen identitätsstiftende Merkmale, die nern* mit zwei Frauen* stehen die Bedürfnisse des tieren, sprechen die Zahlen eine eindeutige Sprache. bi+sexuelle Personen als eindeutige Gruppe sichtbar Mannes* im Fokus. Bi+sexuelle Frauen* seien eigent- Bi+sexuelle Frauen*1 sind von jeder Gewaltform häufi- machen. Auch innerhalb der Community wird stark dis- lich heterosexuell und bi+sexuelle Männer eigentlich ger betroffen (61,1 %) als hetero- (35 %) und homosexu- kutiert, wer dazu gehört und wer nicht. Meint bi+sexuell schwul. Beim „Corrective Rape“ (dt.: korrigierende Ver- elle (43,8 %) Frauen*2. Diese Zahlen sind erschreckend, nun alle non-monosexuellen Personen oder spielt Bina- gewaltigung) werden bi+sexuelle Menschen vom*von dennoch erfährt die Thematik kaum Sichtbarkeit. rität doch eine Rolle? Ein weiteres in der Bi+Community der Partner*in vergewaltigt, um ihnen zu beweisen, Deshalb kamen am 23. 10. 2020 Menschen aus unter- bekanntes Problem ist, dass wenig Solidarität aus der dass sie eigentlich monosexuell sind. schiedlichen Kontexten auf Einladung von Theresia Krone queeren Community kommt. Beispielsweise wird Bi+se von der Beratungsstelle gewaltfreileben zusammen, um xualität von einigen nicht als eigenständige Sexualität Warum berichten Beratungsstellen davon, dass sich unter über Gewalt gegen bi+sexuelle Frauen zu sprechen. Wir anerkannt. Auch in der Öffentlichkeit sind sie wenig re- ihren Ratsuchenden keine bi+sexuellen Frauen* befinden? wollen euch einen Einblick geben, was wir besprochen präsentiert, beispielsweise in der Politik. Vielen bi+se Es wurde schon am Anfang kurz erwähnt. Nicht nur in haben und zu welchen Ergebnissen wir gekommen xuellen Personen ist es zu umständlich, sich immer wie- der Wissenschaft wird kein Zusammenhang zwischen sind. Dabei haben wir uns folgende Fragen gestellt: der als bisexuell zu outen und erklären zu müssen, weil der sexuellen Orientierung in der Gewalt hergestellt, sie durch das Geschlecht des*der Partner*in von ande- sondern auch von Beratenden und ratsuchenden Per- 1. Warum werden bi+sexuelle Personen in Studien als ren Personen als schwul, lesbisch oder heterosexuell sonen. Auch hier ist die Unsichtbarkeit von Bi+sexualität eigenständige Zielgruppe kaum erfasst? identifiziert werden. Diese Unisichtbarkeit und Unsicht- wieder eine Antwort auf die Frage. Die ratsuchenden Laura Münstermann 2. Warum sind bi+sexuelle Frauen* häufiger von Ge- barmachung von Bi+sexualität führt somit auch dazu, Menschen werden zumeist als heterosexuelles oder ho- walt in Partner*innenschaften betroffen? dass Gewalterfahrungen von bi+sexuellen Menschen mosexuelles Paar gelesen. Dadurch ist der Raum, die 3. Warum berichten Beratungsstellen davon, dass sich un unsichtbar sind. bi+sexuelle Orientierung zu thematisieren, sehr einge- Gewalt gegen bi+sexuelle Menschen. Dabei müssen ter ihren Ratsuchenden keine bi+sexuellen Frauen* schränkt. Auch Beratungsangebote, die speziell bi+se analoge und digitale Angebote gleichermaßen berück- befinden? Warum sind bi+sexuelle Frauen* häufiger von Gewalt in xuelle Menschen adressieren, sind so gut wie nicht vor- sichtigt und vorhanden sein. Dafür ist die Unterstüt- 4. Was kann getan werden, um das Thema „Gewalt ge- Partner*innenschaften betroffen? handen. Bi+sexuelle Menschen können ähnliche Diskri- zung durch verschiedene Institutionen notwendig, wie gen bi+sexuelle Frauen* in Partner*innenschaften“ Bi+sexualität selbst ist nicht die Ursache von Gewalt. minierungserfahrungen wie homosexuelle Menschen zum Beispiel Schulen und die Polizei. Auch in der Politik sichtbarer zu machen und Hilfsangebote zu schaffen? Oft hat es stattdessen mit Macht zu tun. Die sexuelle machen. Allerdings sind bi+sexuelle zusätzlich von der muss das Thema ankommen und sichtbar werden. Als Orientierung kann ein Teil eines Menschen sein, der ihn Diskriminierung betroffen, die sie aufgrund ihrer nicht erstes konkretes Projekt möchten wir Flyer entwickeln, Warum werden bi+sexuelle Frauen* in Studien als eigen- verletzlich macht. Diese Verletzbarkeit wird genutzt, monosexuellen Orientierung erfahren. Möglicherweise die sowohl beratende Fachkräfte als auch Ratsuchende ständige Zielgruppe kaum erfasst? missbraucht, um Macht und Herrschaft über den*die sind Beratungsangebote, die lesbische Frauen* adres- aufklären und sensibilisieren. Ein großes Kernproblem ist die Unsichtbarkeit von Bise- Partner*in auszuüben, denn hier ist sie* angreifbar. Da- sieren nicht für die Diskriminierungserfahrungen bi+se xualität, sowohl im Alltag als auch in der Wissenschaft bei spielen immer noch existierende Vorurteile eine xueller Frauen* sensibilisiert. Da die Diskriminierung Laura Münstermann, zertifizierte Sexualpädagogin, oder innerhalb der queeren Community. große Rolle. Beispielsweise ist die Eifersucht des*der von bi+sexuellen Menschen unter anderem aus Teilen http://laura-muenstermann.de Bi+sexuelle Frauen* stehen in den meisten Studien Partner*in ein großes Thema, da Bi+sexuellen nachge- der queeren Community kommt, schreckt dies bi+se nicht im Fokus. Sowohl zur Bi+sexualität als auch zur sagt wird, sie seien aufgrund ihrer sexuellen Orientie- xuelle Frauen zusätzlich ab. Bin ich hier als bisexuelle An dem Fachgespräch nahmen außerdem teil: weiblichen Sexualität ist die Dichte der Studien sehr rung nicht fähig, eine monogame Beziehung zu führen. Person willkommen? Werden meine Probleme hier ver- Theresia Krone, Beratungsstelle gewaltfreileben dünn. Oft wird die sexuelle Orientierung nicht als eigen- Bi+sexuelle werden oft hypersexualisiert. Außerdem standen? www.gewaltfreileben.org ständige Kategorie erfasst, sodass kein Zusammenhang seien nun alle Personen potenzielle Abwerber*innen. Ein weiterer Grund könnte im Aktivismus liegen: Sind Dr. Constance Ohms, Broken Rainbow e.V. zwischen den Gewalterfahrungen und der sexuellen Für manche Partner*innen bedeutet dies ein Kontroll- Bi+Frauen* innerhalb des Bi+Aktivismus sichtbar? Wir www.broken-rainbow.de Orientierung hergestellt werden kann. verlust, weshalb sie z.B. die sozialen Kontakte des*der haben außerdem diskutiert, ob die Bi+Community ei- Nika Heüveldop, Broken Rainbow e. V. Ein weiterer Grund kann eine heteronormative Sicht- Partner*in einschränken. Umgekehrt werden nicht mo- gentlich existiert und diese in der Öffentlichkeit sichtbar www.broken-rainbow.de weise der forschenden Personen sein und der mögli- nogame Partner*innenkonstellationen (beispielsweise ist. Es existieren mehrere Bi+Communities, die aller- Anna Kellermann, Lesben Informations- und cherweise damit einhergehende Wunsch nach Eindeu- in Form eines „Dreiers“) erzwungen, da die Bi+sexualität dings eher regional aktiv sind. Beratungsstelle e. V. tigkeit. Hier haben wir ausführlicher über die Problema- erstmal bewiesen werden müsse. Gerade bi+sexuelle https://libs.w4w.net/ tik der Eindeutigkeit von Bi+sexualität gesprochen. Frauen* werden als jederzeit sexuell verfügbar wahrge- Was kann getan werden, um das Thema „Gewalt gegen Alva Träbert, Soziologin und Genderpädagogin Bi+sexualität selbst ist schwer kategorisierbar. Das nommen, was für Täter*innen die Gewalt legitimiert, bi+sexuelle Frauen* in Partner*innenschaften“ sichtbarer https://rosastrippe.net/beratung/ zu machen und Hilfsangebote zu schaffen? Suse Umscheid, Pan-Aktivistin, Koordinatorin LSBT*IQ Wir haben einige konkrete Ideen gesammelt. Netzwerk Nordhessen 1 Unter bi+sexuell verstehen wir Menschen, die nicht monosexuell sind, also z.B. bisexuell, pansexuell, polysexuell, omnisexuell, Generell besteht das Ziel darin, Anlaufstellen und flä- https://speakerinnen.org/de/profiles/susanne-um- heteroflexibel, homoflexibel, also an mehr als einem Geschlecht sexuell und/oder romantisch interessiert sind. Unter Frauen* chendeckende, niedrigschwellige Angebote speziell für scheid verstehen wir sowohl cis-Frauen als auch Trans*-Frauen, also alle, die sich als Frau identifizieren. bi+sexuelle Menschen zu schaffen. So kann ein Safe Jana Ammann, LSBTIQ Netzwerk Rhein-Main 2 Die Zahlen stammen aus der Studie vom US Amerikanischen „National Centre for Injury Prevention and Control“. Es wurden space für bi+sexuelle Menschen geschaffen werden. Es Frank Thies, Lehrer und Bi-Aktivist Erfahrungen von sexualisierter Gewalt, Vergewaltigung, körperlicher Gewalt und/oder Stalking nach sexueller Orientierung der Opfer analysiert. Online verfügbar unter: https://www.cdc.gov/violenceprevention/pdf/2015data-brief508.pdf bedarf der Aufklärung über und Sichtbarmachung von www.frankthies.net 16 17
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