GEMEINWOHL - ZIEL DER SOZIALEN MARKTWIRTSCHAFT - Eine Erwiderung auf die Ideen der Gemeinwohlökonomie
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GEMEINWOHL – ZIEL DER SOZIALEN MARKTWIRTSCHAFT Eine Erwiderung auf die Ideen der Gemeinwohlökonomie www.www.familienunternehmer.eu
INHALT AUSGANGSLAGE 3 WIRTSCHAFTSSYSTEMFRAGE 4 ANMASSUNG VON WISSEN 6 VERLUST DER FREIHEIT 7 SOCIAL CREDIT SYSTEM 8 GEMEINWOHL 9 MARKTWIRTSCHAFT 10 PROFITSTREBEN 11 WETTBEWERB 14 EIGENTUM 16 WACHSTUM 20 KEIN WERTE-WIDERSPRUCH 23 ORDNUNGSETHIK 24 DER WEG ZUR NACHHALTIGKEIT 26 ÖKOLOGIE 26 EXTERNALITÄTEN & INTERNALISIERUNG 27 MASSSTAB DER EXTERNEN EFFEKTE 30 EFFIZIENZ 32 TECHNOLOGIEFEINDLICHKEIT 33 SOLIDARITÄT UND GERECHTIGKEIT 35 SOLIDARITÄT 35 CHANCENGERECHTIGKEIT 36 SOZIALE UNTERNEHMENSVERANTWORTUNG 36 UMVERTEILUNG 38 MENSCHENWÜRDE 41 FAIRER WELTHANDEL 42 PRODUKTIONSFAKTOR ARBEIT 43 ETHISCHE KONTROLLFUNKTION FREIER MÄRKTE 44 TRANSPARENZ UND MITENTSCHEIDUNG 45 FAZIT 46 LITERATURVERZEICHNIS 47 IMPRESSUM/KONTAKT Der Text wurde von der Kommission Wirtschaftsethik von DIE FAMILIENUNTERNEHMER Titelmotiv: shutterstock © noicherrybeans unter Vorsitz von Gerd Maas erarbeitet. Berlin, August 2021 DIE FAMILIENUNTERNEHMER e. V. Charlottenstraße 24 | 10117 Berlin | Tel. 030 300 65-0 kontakt@familienunternehmer.eu | www.familienunternehmer.eu www.familienunternehmer.eu
AUSGANGSLAGE W ie begegnen wir am besten den aktuellen wir bei der herrschenden Marktwirtschaft inzwischen auf Herausforderungen der globalen Fairness viele Erfahrungen zu den Wirkmechanismen und ihren und des Klima-, Umwelt- und Artenschut- Erfolgen zurückgreifen. An diesen lassen sich dann bis zes? Müssen wir tatsächlich anders wirtschaften, wie zu einem gewissen Grad auch die vorgeschlagenen Sys- es die Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung, Attac, Fri- temalternativen beurteilen. Dabei ist festzustellen, dass days for Future und andere ökologische oder wachs- man zwar heutzutage gerne über Systemwechsel disku- tumskritische Politikinitiativen und Parteien fordern? tieren möchte, als Gesamtsystem aber gar kein alternatives Oder sollten wir besser den eingeschlagenen Weg der Konzept vorliegt, das auch nur halbwegs tiefgehend mo- Sozialen Marktwirtschaft konsequent zukunftsorien- delliert wäre. Dass andere Wirtschaftssysteme zu bes- tiert fortsetzen? seren Ergebnissen führen würden, wird stets nur aus der Kritik bestehender Systemkomponenten behauptet, ohne Materieller Wohlstand, Gesundheit und selbstbestimmtes dass für Alternativansätze fundierte Folgenabschätz- Leben aller weltweit einerseits und Klimaschutz, Reinhal- ungen vorgenommen worden wären. Aber auch Einzel- tung von Luft, Wasser und Boden, Erhaltung der Biodiver- kritik ist natürlich ernst zu nehmen, nicht zuletzt weil sie sität und sorgsame Nutzung der natürlichen Ressourcen mit wachsendem politischem und medialem Gewicht andererseits sind zentrale ökonomische Herausforderungen, unterlegt ist. denen sich die Weltgesellschaft stellen muss. Das ist Kon- sens des globalen öffentlichen Bewusstseins. DIE FAMILIENUNTERNEHMER sind der Überzeugung, dass die globale wirtschaftliche Entwicklung die Gefahr Je mehr auf der Welt grundlegende Lebensbedürfnisse einer unwiderruflichen Überlastung der Tragfähigkeit unse- befriedigt werden – also Lebenswartung, BIP pro Kopf, res Lebensraums – Umwelt genauso wie die menschliche Bildung, individuelle Freiheiten etc. allerorts stetig zu- Gemeinschaft – birgt. Eben dieses Bewusstsein erfordert nehmen –, umso mehr rückt die Nachhaltigkeit dieser eine eingehende und verantwortungsvollen Befassung, Entwicklung in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses: denn falsche politische Schlussfolgerungen können leicht die inter- und intragenerationell gerechte Wohlfahrt. einen point of no return besiegeln. Die inzwischen viel be- Gerecht meint hier, nicht die Lasten eines Nutzens auf schworene Gefahr eines »Kipppunktes« darf aber keines- andere abzuwälzen: Lebe nicht auf Kosten anderer! wegs dazu verleiten, pauschal einem (totalen) Umbruch Nimm nicht anderen hier und heute oder andernorts und das Wort zu reden. Evolution geht fraglos langsamer als morgen die eigene Chance auf Glück und Wohlstand! Revolution, ist aber nichtsdestoweniger ein äußerst erfolg- reiches Verfahren zur Anpassung an Umweltgegebenheiten. So klar sich das als ethisches Prinzip formulieren lässt, Andererseits frisst die Revolution gerne einmal ihre Kinder. so schwierig ist die angemessene Anwendung. Kosten und Lasten sind zum Beispiel nicht selten Investitionen Die Volten der menschlichen Geschichte zeigen, dass und damit die Grundlagen für zukünftigen Nutzen. Res- Überleben vor allem die »Fähigkeit zur Anpassung an das sourcen, die von den einen verbraucht werden, schaffen Unvorhersehbare« (Friedrich A. von Hayek) bedeutet. Heute gegebenenfalls die Ausgangsbasis für künftigen Nutzen würde man wohl von »Resilienz« sprechen. Nachhaltig- anderer. Mit Emissionen heute werden Entwicklungen keit ist dementsprechend die ergebnisoffene Behauptungs- vorangetrieben, die morgen Umweltbelastungen ver- fähigkeit des Menschen in seiner Umwelt. Die größte meiden. Gefahr von Kipppunkten ist daher nicht die Wahrschein- lichkeit ihres Auftretens, sondern unsere Hilflosigkeit, Diese Komplexität erschwert die Beurteilung von Wirt- angemessen auf sie zu reagieren. schaftssystemen und deren politischen Rahmenbedin- gungen in Bezug auf ihre Nachhaltigkeit. Allerdings können
04 | Gemeinwohl // WIRTSCHAFTSSYSTEMFRAGE WIRTSCHAFTSSYSTEMFRAGE S o weitgehend der Konsens in der Definition der Fall – und irgendwie transformiert und auch mit mehr Herausforderungen ist, so groß sind aber auch Wirtschaft »jenseits des Marktes«, vor allem aber sol- die Differenzen zwischen verschiedenen Grund- len Privatinitiativen und Renditen begrenzt werden (weil haltungen der Ethik sowie zur Steuerung von Gesell- Paus, wiederum postfaktisch, davon ausgeht, dass im schaft und Wirtschaft, um diesen Herausforderungen Mittelpunkt der Wirtschaft derzeit »maximale Gewinne beizukommen. Eben dieses Spannungsfeld spiegelt um jeden Preis« stehen). z. B. auch der Wirtschaftsteil des aktuellen Grundsatz- programms von Bündnis 90/Die Grünen aus dem De- Die Nennung von Marktwirtschaft in der Überschrift des zember 2020 wider. Überschrieben ist das zweite Kapi- Grundsatzprogramms von Bündnis 90/Die Grünen kann tel mit »In die Zukunft wirtschaften. Sozial-ökologische auch bei vielen Ausführungen darunter nur als Etiket- Marktwirtschaft«, doch schon im ersten Absatz, vierter tenschwindel verstanden werden. So »dürfen Unterneh- Satz wird im Kontrast zum herrschenden Status-quo mer*innen nicht gezwungen werden, sich zwischen ei- gefordert: »Dazu ist es notwendig, grundlegend anders nem wirtschaftlich erfolgreichen Weg oder einer sozialen zu wirtschaften«. Das spannt den Diskussionsraum um und ökologischen Ausrichtung des Unternehmens zu das richtige System auf: von einer bereits gegebenen entscheiden«. Nicht mehr an Kosten und Leistung also Zukunftsträchtigkeit unserer Sozialen Marktwirtschaft sollen wirtschaftliche Aktivitäten gemessen werden, son- über noch notwendige ökologische Anpassungen der dern an etwas wie gesamtgesellschaftlichem Wohlstand, marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen bis zu mit »verbindlichen Indikatoren, die im Kontext einer am komplett »anders wirtschaften«. Gemeinwohl orientierten Bilanzierung die sozialen, öko- logischen und gesellschaftlichen Auswirkungen messen«. Während die Grünen scheinbar noch darum ringen, wie wir am besten wirtschaften sollten, spalten sich mit der Ohne explizite Nennung wird hier sehr eindeutig zum Partei »Klimaliste Deutschland«, getragen von der Fri- ersten Mal in Deutschland der 2010 vom österreichi- days-for-Future-Bewegung u.a., erhebliche politische schen Autor, Mitbegründer von Attac, Tanzperformer und Kräfte ab und setzen sich ausdrücklich für »alternative politischen Aktivisten Christian Felber initiierten Gemein- Wirtschaftsmodelle« ein, die »häufig nicht oder nicht in wohl-Ökonomie (GWÖ) parteiprogrammatisch Geltung erster Linie profitorientiert [sind], wie zum Beispiel Ge- verschafft. Im ausdrücklichen Kontrast zur kapitalistischen nossenschaften, Commons und weitere Arten solidari- Marktwirtschaft will diese Initiative weltweit eine neue schen Wirtschaftens«. »Wirtschaftswachstum spielt darin Wirtschaftsordnung etablieren, die Akteure belohnt, die keine tragende Rolle mehr.« (Grundsatzprogramm der sich »umfassend ethisch verhalten«. Klimaliste Baden-Württemberg vom 20.09.2020). Nach deren Meinung soll unsere Zukunft in erster Linie ohne Adam Smiths unsichtbare Hand des Marktes soll durch Marktwirtschaft gestaltet werden. eine »sichtbare Hand« ersetzt werden, die in einer so- genannten »Gemeinwohl-Bilanz« der Unternehmen Tatsächlich haben sich aber auch Bündnis 90/Die Grünen zum Ausdruck kommt. Während in der Marktwirtschaft längst selbst schon sehr weit von der Marktwirtschaft, ausdrücklich der Eigennutz der Wirtschaftsakteure und so wie wir sie kennen, abgewendet. Die finanzpolitische nicht deren Wohlwollen der Motor für den Wohlstand Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Lisa Paus, der Nationen sein soll, will die Gemeinwohl-Ökonomie spricht in einem Kommentar zum Grundsatzprogramm just die »Eigennutzenmaximierung« durch Gemeinwohl- für den Tagesspiegel (20.12.2020) von einem »neuen orientierung ersetzen. Mit einem Punktesystem soll in Weg des Wirtschaftens« als eine Art neuer dritter Weg der Gemeinwohl-Bilanz das global ausgerichtete gute zwischen dem »ungeregelten Kapitalismus« – den es Wollen der Unternehmen gemessen werden. Im ersten in Wirklichkeit nirgends gibt – und einem »autoritären Schritt lassen sich damit intern Aspekte der Compliance Staatskapitalismus« und fordert ein »klares Bekenntnis und Corporate Social Responsibility koordinieren und es zum „Primat des Politischen“«. Irgendwie soll es schon können Argumente für die Unternehmenskommunikation noch Märkte geben, aber nicht als »alleiniges Organi- generiert werden – die Selbstdarstellung als gemeinwohl- sationsprinzip« – auch das ist tatsächlich nirgends der orientierter Betrieb.
WIRTSCHAFTSSYSTEMFRAGE // Gemeinwohl | 05 Die entscheidende Weichenstellung, um daraus ein neues Wirtschaftsmodell« durchzusetzen. Deren Lobbyarbeit Gemeinwohl-Wirtschaftssystem entstehen zu lassen, ist zeitigt erste Erfolge: Nach einer Initiativstellungnahme des dann aber, dass die Bewertungen der Gemeinwohl-Bilanz Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Union entscheidend gemacht werden sollen, etwa für die Höhe von 2016 »sollte das Gemeinwohl-Ökonomie-Modell so- der Steuern, den Zugang zu öffentlichen Geldern, Aus- wohl in den europäischen als auch die einzelstaatlichen schreibungen oder Förderungen. Die endgültige Gemein- Rechtsrahmen integriert werden«. Als einzige fachliche wohl-Ökonomie soll dann ohne Wettbewerb funktionieren. Quelle wird dabei auf die Gemeinwohl-Ökonomie-Website Wirtschaft würde fürderhin allein auf Kooperation beruhen. verwiesen. Der Kapitalmarkt soll gleich ganz abgeschafft werden. Pri- vate Ziele der Wirtschaftsakteure werden überhaupt hin- Tatsächlich bietet die GWÖ im Gegensatz zu vielen ande- fällig. Alles Wirtschaften soll damit politisch entscheidbar ren, eher diffusen Forderungen nach »anders Wirtschaften« gemacht werden. Die im Kern des Systems werteneutrale gewisse konkrete Anhaltspunkte, wenn auch ohne wirt- Marktwirtschaft soll in der Gemeinwohl-Ökonomie durch schaftstheoretische Einordnungen und volkswirtschaftliche ein ideologisches Zielsystem ersetzt werden. Ein Wirt- Folgenbetrachtungen. In der Methode der Gemeinwohl- schaftskonvent würde das übernehmen und definieren, Bilanzierung findet sich ein Ansatz, was Bündnis 90/Die wie und mit welchen Zielen zu wirtschaften ist. Die öffent- Grünen und andere politische Bewegungen mit einem liche Hand ist dann nicht mehr Regelsetzer und Schieds- neuen Wirtschaftsmodell, das sich an verbindlichen Indika- richter, sondern bestimmt die Spielstrategie – ein Paradig- toren für Gemeinwohl orientiert, meinen könnten. Die Kate- menwechsel. Danach streben inzwischen immerhin rund gorien der Gemeinwohl-Bilanzierung können dementspre- 250 GWÖ-Regionalgruppen weltweit, mit Schwerpunkt chend als Prüfkriterien für die Zukunftsträchtigkeit solcher Europa und Lateinamerika, um dieses neue »ethische Ansätze im Vergleich zur Sozialen Marktwirtschaft dienen. GEMEINWOHL-MATRIX 5.0 WERT Solidarität und Ökologische Transparenz und Menschenwürde Gerechtigkeit Nachhaltigkeit Mitentscheidung BERÜHRUNGSGRUPPE A: Lieferant / innen A1 Menschenwürde A2 Solidarität A3 Ökologische A4 Transparenz und in der Zulieferkette und Gerechtigkeit Nachhaltigkeit Mitentscheidung in der Zulieferkette in der Zulieferkette in der Zulieferkette B: Eigentümer / innen und B1 Ethische Haltung B2 Soziale Haltung B3 Sozial-ökologische B4 Eigentum und Finanzpartner / innen im Umgang mit im Umgang mit Investitionen und Mitentscheidung Geldmitteln Geldmitteln Mittelverwendung C: Mitarbeitende C1 Menschenwürde C2 Ausgestaltung C3 Förderung des C4 Innerbetriebliche am Arbeitsplatz der Arbeitsverträge ökolgischen Verhaltens Mitentscheidung der Mitarbeitenden und Transparenz D: Kund / innen und D1 Ethische Kund / innen- D2 Kooperation D3 Ökologische Auswir- D4 Kund / innen- Mitunternehmen beziehungen und Solidarität mit kung durch Nutzung und Mitwirkung und Mitunternehmen Entsorgung von Produkten Produkttransparenz und Dienstleistungen E: Gesellschaftliches E1 Sinn und gesellschaft- E2 Beitrag zum E3 Reduktion E4 Transparenz und Umfeld liche Wirkung der Produkte Gemeinwesen ökologischer gesellschaftliche und Dienstleistungen Auswirkungen Mitentscheidung Quelle: Arbeitsbuch Gemeinwohl-Bilanz 5.0
06 | Gemeinwohl // ANMASSUNG VON WISSEN ANMASSUNG VON WISSEN B evor wir uns die einzelnen Gemeinwohl-Krite- Schon gar nicht möchte man als Bürger einer freiheit- rien im Detail anschauen, erscheinen ein paar lichen Demokratie weitgehend vom Wohlwollen seiner grundsätzliche Gedanken in Bezug auf die Regierung abhängig sein. Das wäre eine Umkehrung tragenden Werte einer freiheitlich, demokratischen der demokratischen Souveränität. Genau das droht aber Gesellschaft erforderlich. Allen Ansätzen des »anders unweigerlich zu passieren, wenn die in einem Wettbe- Wirtschaften« ist gemein, dass sie ein tiefes Wissen werbsrahmen frei zustande kommende Bilanz von Leis- über ein »richtig Wirtschaften« vorgeben. Mit dieser tung und Gegenleistung mit einer staatlich definierten Anmaßung von Wissen verbunden ist die Überzeugung, Gemeinwohl-Bilanzierung ergänzt oder später sogar dass ein »ideales« Wirtschaftssystem mit Detailvorga- davon ersetzt wird. Erfolgreich ist dann, was dem defi- ben für die einzelnen Transaktionen politisch konstru- nierten Gemeinwohl zugutekommt. Der Staat legt fest, ierbar wäre. Der spontanen Ordnung, die sich aus der nach welchen Kriterien richtige oder falsche Produkte, Summe der vielzähligen, selbstbestimmten Entschei- Produktionsweisen, Lieferketten etc. einzuteilen sind. dungen freier Individuen bildet, wird ein politisches Und er gewichtet, wie einzelne Beurteilungsperspektiven, Intelligent Design entgegengestellt. sagen wir zum Beispiel Solidarität und Klimaschutz, un- terschiedlich zu Buche schlagen. Die politische Ökonomin Maja Göpel setzt etwa in ihrem Bestseller »Unsere Welt neu denken« als Axiom für alle Eine Gemeinwohl-Definition, die zu einem – wie auch weiteren Überlegungen, »dass ein Weitermachen wie immer gearteten – anderen Angebot führen soll, muss bisher nicht funktioniert«, und formuliert den herrschen- unweigerlich von den derzeitigen Nutzenpräferenzen der den Fortschritt im bestehenden System als unvereinbar Bürger abweichen, kann also nur relativ undemokratisch mit Zukunft. Im Wesentlichen werden Konsumverbote, durchgesetzt werden: Denn was die Bürger freiwillig Postwachstum und progressive Umverteilung als Ge- wählen, zeigt sich in der Marktwirtschaft. Aus Angebot genmodell formuliert, das induktiv bewiesen werden soll. und Nachfrage ergibt sich das von freien Bürgern im Das ist allerdings wenig neu und dient vermutlich nur als Rahmen des Möglichen Gewünschte. Etwas Anderes Framing, um eine Konfrontation zwischen »Bewahrer*in- muss man gegen deren Willen erzwingen. nen« (neu) und »Blockierer*innen« (alt) zu konstruieren. Eine Flexibilität, Wandelbarkeit und Anpassungsfähigkeit Genau das – die Bevormundung der Bürger im Detail, im bestehenden Systemansatz und Ordnungsrahmen was zu produzieren und zu konsumieren ist und wie plu- wird damit einfach so und ex ante ausgeschlossen. ralistische Präferenzen durch einen Einheitsbrei ersetzt werden – nennt man üblicherweise Planwirtschaft. Die Um auf solchen Denkpfaden das Kind nicht mit dem Bade wiederum konnte bisher keinen praktischen Beweis er- auszuschütten, sollte man sich bewusst machen, was bringen, soziale oder ökologische Herausforderungen dahinter steckt, dass sich marktwirtschaftliche Strukturen besser bewältigen zu können. Im Gegenteil. Die Wieder- überhaupt durchgesetzt haben. Adam Smith hat in seiner vereinigung mit der DDR war etwa der bisher effektivste Begründung der arbeitsteiligen Marktwirtschaft daran er- Beitrag zum Umweltschutz in der deutschen Geschich- innert, dass Menschen grundsätzlich nicht alleine überle- te. Aber selbst wenn es irgendwie funktionieren würde, bensfähig sind. Wir sind lebenslang auf Hilfe angewiesen. muss ein solcher Prozess der Gemeinwohl-Orientierung Wenn wir dabei nicht nur auf das Wohlwollen der nächsten unweigerlich mit dem Verlust demokratischer Freiheiten Mitmenschen oder eines Gemeinwohl-Indikatoren-definie- einhergehen. Mehr und mehr fehlt dann die breite Inte- renden Staates angewiesen sein wollen – frei sein wollen ressensvertretung als korrektiv der hauptamtlich politi- –, dann entgelten wir empfangene Leistungen. Die simple schen Willensbildung. Die staatliche Wissensanmaßung Moral des Tausches – Leistung und Gegenleistung – aus über das richtige Gemeinwohl wird absolut. Es ist aber der jeder seinen eigenen Nutzen zieht und gerade des- zu fürchten, dass die Staatsführung mit ihrem Wissen wegen den anderen seine Hilfe anbietet, ist der Clou der nicht immer richtig liegt und – wie alle absolute Macht – evolutionären Emanzipation des Menschen. »Niemand auch eher früher als später korrumpiert wird. möchte weitgehend vom Wohlwollen seiner Mitmenschen abhängen«, schreibt Smith.
VERLUST DER FREIHEIT // Gemeinwohl | 07 Das Recht, dass sich Angebot und Nachfrage in einem plexe Wesen sind und zu verschiedenen Zeiten und unter Ordnungsrahmen frei finden dürfen, ist eng verknüpft mit verschiedenen Umständen viele unterschiedliche Seiten der demokratischen Organisation eines Gemeinwesens, von uns zeigen.« Gleichzeitig verlangen die Aktivisten in und beides bedingt sich gegenseitig. Wenn man in das ihrer zweiten Forderung »Handelt jetzt!«, dass die freien Marktgeschehen über die Wirtschaftsordnung hinaus Nachfrage- und Angebotsentscheidungen von Konsu- eingreifen will, gefährdet man unmittelbar das auf indivi- menten und Unternehmen durch Entscheidungen einer dueller Freiheit beruhende Wertesystem. nebulösen »Zivilgesellschaft« ersetzt werden müssen. »Anstatt neuen Produkten nachzulaufen, haben wir Zeit Viele Verfechter eines grundsätzlichen Wirtschaftswan- für Sinnstiftendes, für Beziehungen, für Kultur, für Natur dels betonen gleichzeitig in besonderem Maße die indi- und für uns selbst.« Das ist paradox. Diversität des Le- viduelle Vielfalt. Die mit zivilem Ungehorsam agitierende bens und Konformität eines quasi volksdiktatorisch vor- Klimaschutz-Organisation Extinction Rebellion stellt in geschrieben Konsumverzichts sind unvereinbar. Punkt 6 ihrer Werte und Prinzipien fest. »Wir erkennen dabei an, dass der Versuch, unsere Bewegung möglichst Das offenbart, was letztlich tatsächlich dahinter inklusiv und divers zu gestalten auch bedeutet, dass wir steckt: Die Idee einer Minderheit, die dafür keine Mehr- einen Umgang mit unterschiedlichen Verhaltensnormen heiten gewinnt und demokratisch keine Legitimation finden müssen. Wir erkennen ebenfalls an, dass wir kom- findet, soll erzwungen werden. VERLUST DER FREIHEIT E in solcher Prozess birgt ganz erheblich die Genau dieser, wie Immanuel Kant es nannte, »Ausgang Gefahr einer sich selbst ernennenden sozial- der Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündig- ökologischen Epistokratie, eine Herrschaft der keit« war der ausschlaggebende Wendepunkt in unserer Nachhaltigkeitsbesserwisser. Dabei würden wir unser Geschichte mit einer unvergleichlichen Explosion von mühsam über Jahrhunderte errungenes Menschen- Gemeinwohl steigernden Errungenschaften in Natur- bild auf die Zeit vor der Aufklärung zurückdrehen wissenschaft, Medizin, Technik, Wirtschaft, Kultur und und die Bürger erneut zu unmündigen Untertanen Staatskunst. Ohne dieses Freiheitsverständnis hätten degradieren. Viele Umweltaktivisten würden das wohl wir – weltweit – den heutigen Wohlstand nie erreichen als vom Zweck geheiligtes Mittel nachgerade befür- können. worten. Das ist aber ein Weg der sich mittelfristig der eigenen Voraussetzungen beraubt. Wenn wir nun zu einer Vorstellung zurückkehren, dass die Menschen auf einen »richtigen« Weg geführt werden Unser Menschenbild seit der Aufklärung ist geprägt von müssen, verabschieden wir uns auch von den erfolg- einem doppelten Freiheitsverständnis. Einerseits die reichen Institutionen sowohl der negativen als auch der negative Freiheit als Menschenrecht der Zwanglosig- positiven Freiheit. Wir zwingen ein vorgeblich richtiges keit – ein möglichst großer Freiraum für jeden einzelnen. Verhalten auf und erziehen zu Regelbefolgern. Selbst- Andererseits die positive Freiheit als Verpflichtung des denken ist dann kontraproduktiv und entsprechend wenig Gemeinwesens, alle Bürger möglichst gut zur Selbst- erwünscht. Damit fehlt aber die kritische Masse für aus- bestimmung zu befähigen – die Chance im gegebenen reichend neue Ideen, Subsidiarität und vernünftige Eigen- Freiraum einen eigenen Lebensweg wagen zu können. und Mitverantwortung in der politischen Meinungsbildung
08 | Gemeinwohl // SOCIAL CREDIT SYSTEM und in unvermeidbar regellosen Randbereichen. Der Freiheit in der Gesellschaft und wirtschaftliche Freiheit Erfolg von Demokratie baut auf Pluralismus, Kompromis- lassen sich auf längere Sicht nicht trennen, dafür ist sen und Versuch und Irrtum. Man weiß vorher nie, was Wirtschaft viel zu sehr integraler Bestandteil fast aller hinten raus kommt, und es ist im Einzelfall irgendwie nie Lebensbereiche. Staatliche Festlegungen, was im Detail perfekt, aber insgesamt entwickeln sich die Gesellschaften gutes oder schlechtes Produzieren oder Konsumieren ist, der individuellen Freiheit mit überragendem Erfolg. Ohne greifen daher tief in die gesamte gesellschaftliche Frei- die Errungenschaften der freien Welt hätten auch totalitäre heit ein. Deswegen müssen die Argumente doppelt gut Systeme wie China oder Russland ihren Weg eines ge- sein, wenn man die in einem Ordnungsrahmen freiheitlich lenkten Kollektivismus unter Nutzung einzelner Elemente funktionierende Marktwirtschaft über Bord werfen wollte. von Marktwirtschaft nicht einschlagen können. Wir wären alle in einer komplett sozialistischen Mangelbewirtschaf- tung verfangen geblieben. SOCIAL CREDIT SYSTEM A ndernorts hat man das bereits vollzogen. Ne- belegt, der den Akteuren zugeschrieben wird. Abgesehen ben der zentral gesteuerten Marktwirtschaft von den Schwierigkeiten in letzter Konsequenz richtige steht der Volksrepublik China mit ihrem sog. nachhaltige Gemeinwohl-Kriterien zu finden und dafür »Social Credit System« bereits ein umfassendes Maßstäbe festzulegen, ist eines sicher: Aus so einer Vor- Gemeinwohl-Bilanzierungs-System zur Verfügung. gehensweise resultiert eine Herde Pawlowscher Hunde Unabhängig vom Markt und individueller Nutzenstif- und keine Gemeinschaft souveräner Menschen. tung aus Leistung und Gegenleistungen können alle Wirtschaftsaktivitäten beurteilt werden. Wer nach den staatlichen Vorstellungen auf irgendeinem Felde falsch handelt – also z. B. auch falsch konsumiert oder produziert – wird sanktioniert und muss mit Ein- schränkungen zum Beispiel bei der Ausbildung, der Berufswahl oder der Freizügigkeit rechnen. Der Bevormundungsphantasie sind ab da keine Grenzen gesetzt. Insbesondere jede wirtschaftliche Aktion ist durch die notwendigen Transaktionen transparent und kann entsprechend jederzeit herangezogen werden, um die staatliche Punktevergabe für die öffentliche soziale Reputation zu triggern. Ein ideales System, wenn man glaubt zu wissen, was für die Menschen das Beste ist. Jede wirtschaftliche Transaktion oder zumindest jede maßgebliche wird mit einem Nachhaltigkeitspunktewert
GEMEINWOHL // Gemeinwohl | 09 GEMEINWOHL E s ist nicht nur zu bezweifeln, dass sich mit SDG 7 »Bezahlbare und saubere Energie«: Müssen wir derart konditionierten Bürgern langfristig dazu unseren Energieverbrauch wirklich senken (Agenda Zukunft schaffen lässt, man sieht gerade am 2030 in Deutschland)? Oder ist das nicht eigentlich nur Beispiel des Gemeinwohl-Social-Credit-Systems in eine Frage der klima- und umweltverträglichen Ener- chinesischer Ausprägung auch die Schwierigkeit, gieproduktion? Vermutlich eine Mixtur, aber in welchem überhaupt zu bestimmen, was Gemeinwohl eigentlich Verhältnis, weil mit Energie ja Wirtschaft betrieben wird, ist. Selbst wenn es nachhaltig materiellen Wohlstand die Gewinne schafft, die direkt oder als Steuern For- sichert, wer wollte freiwillig in derart durchgreifender schung und Entwicklung ermöglichen? Wie viel dreckige Fremdbestimmtheit der schönen neuen Social-Credit- Energie können wir einsetzen, um zum sauberen Ziel zu Welt leben? In einer liberalen Gesellschaft delegiert kommen? der Bürger seine Glücksstreben nicht an den Staat. Jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden Das macht deutlich: Die Komplexität eines globalen dürfen. Dazu muss er sich in einen gemeinschaftli- Gemeinwohls lässt sich vielleicht halbwegs in ihrem Fort- chen demokratischen Rahmen ein-, aber nicht einem schritt verfolgen, aber Gemeinwohl ist nicht einfach plan- Staatsglücksziel unterordnen. Beim viel zitierten und produzierbar. Das heißt nicht, dass die SDGs der UN »Gross National Happiness«, dem Bruttonationalglück nicht wichtig sind. Als Warnsignal für Fehlentwicklungen von Bhutan, wird gerne vergessen, dass das Land und vor allem zur Bewusstmachung der Komplexität nach wie vor eine autoritäre Monarchie ist und im globaler gesellschaftlicher Wohlfahrt und unser aller Ab- ungleichheitsbereinigten UN-Index der menschlichen hängigkeit davon sind das Meilensteine der Weltpolitik – Entwicklung auch noch nicht weiter als Bangladesch selbst wenn gegebenenfalls auf dem Papier mehr steht, gekommen ist. In Bhutan wird das Glück mit ziemlich als bei dem einen oder anderen UN-Mitglied tatsächlich wenig Erfolg befohlen. gelebt wird. Auf ein paar grobe allgemeine Parameter zur Definition Die »Sustainable Development Goals« lenken also von Gemeinwohl, wie Konsummöglichkeiten, Gesund- den politischen Blick in die richtige Richtung, aber der heit, Bildung, gesellschaftliche und vielleicht auch politi- Versuch unmittelbar daraus konkrete Wirtschaftsziele sche Teilhabe sowie eine gewisse Rechtstaatlichkeit und ableiten zu wollen, ist bisher kaum überzeugend gelun- individuelle Freiheitsrechte, wird man sich wahrscheinlich gen. Und er wird auch nicht gelingen. Die Sustainable noch halbwegs gut einigen können. Darüber hinaus wird Development Goals sind Indikatoren, mit denen versucht es schnell komplex. Die Vereinten Nationen haben mit wird, den Erfolg der globalen Wirtschaftspolitik in seiner ihren 17 globalen Nachhaltigkeitszielen (Sustainable gesamten hochkomplexen Wechselwirkung zu messen. Development Goals – SDGs) 2015 einen Satz von stolzen Eine Gemeinwohl-Ökonomie ist keine neue Ökonomie, immerhin 231 Indikatoren entwickelt, der die Gemeinwohl- es wird allenfalls der Sinn und Zweck des Wirtschaftens Entwicklung der Welt abbilden soll. etwas ganzheitlicher betrachtet. 231 Einzelziele zu verfolgen, das erscheint ambitioniert, aber schon noch irgendwie machbar. Und es geht ja schließlich um nicht weniger als die Zukunft unserer Welt. » Dass in die Ordnung einer Marktwirtschaft Nur hilft es ja nicht, die 231 Indikatoren einfach im Auge viel mehr Wissen von Tatsachen eingeht, als zu behalten. Wenn man Veränderungen planen wollte, irgendein einzelner Mensch oder selbst muss man vor allem auch die Beziehungen zwischen den irgendeine Organisation wissen kann, ist der Indikatoren und deren Wechselwirkungen untereinander in entscheidende Grund, weshalb die Marktwirt- der Sache und in Raum und Zeit beachten. Ein im wahrs- schaft mehr leistet als irgendeine andere ten Sinne des Wortes endloser Planungshorizont. Wirtschaftsform.« Dazu kommen noch so wenig triviale Fragen, wie man FRIEDRICH AUGUST VON HAYEK ein Ziel praktikabel machen soll. Nehmen wir als Beispiel Freiburger Studien, 1969
10 | Gemeinwohl // MARKTWIRTSCHAFT MARKTWIRTSCHAFT E s war allerdings schon immer Sinn und Zweck schiedlichsten Facetten. In der Ausgangsvariante wird allen Wirtschaftens, Nutzen und damit Wohlstand in einem Koordinatensystem auf der Ordinate die durch- zu erzeugen. Als evolutionär soziales Wesen war schnittliche Lebenserwartung abgebildet und auf der Ab- auch immer alles Wirtschaften auf ein Wohl über das szisse das kaufkraftbereinigte Bruttoinlandsprodukte pro jeweils handelnde Individuum hinaus gerichtet, auf Ge- Kopf. Blasen stellen die Länder der Welt dar – ihre Farbe meinwohl. Xenophons »Oikonomikos« handelte knapp den Kontinent, der Durchmesser die Bevölkerungsgröße. 400 Jahre vor Christus von der guten Haushaltsführung, Lässt man die Entwicklung von 1800 bis heute ablaufen, vom guten Wirtschaften, damit es allen in der Familie sieht man, wie bis nach dem zweiten Weltkrieg mehr und auf dem Hof gut geht. Ökonomie ist der Begriff für oder weniger die ganze Welt links unten verharrt – mit die Kunst, Gemeinwohl zu erzeugen. Die Beachtung von geringer Lebenserwartung und geringem Volkseinkom- Wechselwirkungen des Wirtschaftens mit der natürli- men – und sich dann fast alle auf den Weg nach rechts chen und gesellschaftlichen Umwelt gehört dabei von oben machen, während zugleich die Bevölkerung enorm jeher zum Wesenskern des Begriffs. Spätestens seit wächst. Eine eindrucksvolle Veranschaulichung der Adam Smith mit »Der Wohlstand der Nationen« im 18. marktwirtschaftlichen Gemeinwohlwirkung, die eigentlich Jahrhundert die neuzeitliche Volkswirtschaft begründete Pflichtprogramm im schulischen Kanon sein müsste. und auch der heutigen Sozialen Marktwirtschaft den Weg bereitete, ist Gemeinwohl-Ökonomie ein Pleonas- In erster Linie sind es zwei Wirkmechanismen, die mus, eine Wortaufblähung ohne Sinnzuwachs. seit Smith und nach den Weltkriegen den Wohlstand in der Welt explodieren ließen: Die unsichtbare Hand des Marktes ist die Befreiung des ● der Wettbewerb der Ideen Wirtschaftens sowohl von kleinen selbstversorgenden Wirt- ● der Anreiz zur Effizienz schaftskreisläufen als auch von willkürlichen Planungen der Obrigkeit. Mit Smith ist alles Wirtschaften immer auf das Als systematische Grundpfeiler dahinter stehen eben- Wohl aller Beteiligten gerichtet. Gemeinwohl ist der Zweck falls nur zwei Regeln: der Marktwirtschaft. Mit überragendem Erfolg. ● der freie Markzugang für alle Interessenten ● die freie Preisbildung zwischen Anbietern und Nach- Unter www.gapminder.org/tools/ kann man diese welt- fragen, so dass Preise Präferenzen und Knappheiten weite Erfolgsgeschichte von 1800 bis heute Revue ausdrücken und damit einen universellen Maßstab für passieren lassen. Die animierten Bubble-Charts der von Nutzen darstellen (die Lösung der Frage nach der Hans Rosling – ein schwedischer Professor für internati- nutzengerechten Allokation der knappen Ressourcen onale Gesundheit, der lebenslang für Hilfsorganisationen und der präferenzgerechten Distribution knapper tätig gewesen ist – gegründeten Gapminder-Stiftung Güter, um gleichzeitig besten Nutzen zu stiften und zeigen die globale Gemeinwohl-Entwicklung in den unter- möglichst wenig zu verschwenden) DIE GLOBALE GEMEINWOHL-ENTWICKLUNG 1800 2015 Weltbevölkerung 1 Mrd. Menschen 7,35 Mrd. Menschen durchschnittliche 30–35 Jahre über 70 Jahre Lebenserwartung weltweit BIP pro Kopf p.a., Deutschland: Bangladesch: kaufkraftbereinigt 1.640 $ 3.130 $ Quelle: Gapminder-Stiftung
PROFITSTREBEN // Gemeinwohl | 11 Wenn Staaten heute auf dem Wohlstandsweg noch zu- Mit der Entwicklung der Marktwirtschaft vom Laissez-faire rückbleiben, liegt das in der Regel nicht an zu viel, sondern zur Sozialen Marktwirtschaft wurde eben diese Wand- zu wenig Marktwirtschaft. Etwa in Planwirtschaften (z. B. lungsfähigkeit gesellschaftspolitisch implementiert. In Venezuela), bei korrupten Regierungen oder wenn inter- der Sozialen Marktwirtschaft wird der Wirtschaftsord- nationale Machtpositionen für Wettbewerbsverzerrungen nungsrahmen demokratisch diskutiert und justiert. Der missbraucht werden (z.B. durch den Export hoch subven- Marktmechanismus an sich ist aber über die Freiheits- tionierter EU-Agrarüberschüsse). Ebenfalls gegen die na- grundrechte zumindest in Deutschland verfassungs- türliche Gemeinwohl-Justierung des Marktes durch Wett- mäßig geschützt, eben weil den Verfassungsvätern der bewerb wirkt die Versuchung globaler Konzerne, sich mit langfristige Wohlfahrtseffekt frei wirtschaftender Bürger der Ausnutzung internationaler Rechts- und Bildungs-Frei- klar vor Augen stand. räume Vorteile zu verschaffen. Auch bei der teilweise vollständigen Entkopplung der Finanzmärkte von der Re- Marktmechanismus heißt, dass der Bürger selbst ent- alwirtschaft fehlt jeder Zusammenhang zu den ethischen scheidet, was ihm Nutzen stiftet. Der Staat legt keinen Grundideen der Marktwirtschaft. »Kasinokapitalismus« hat Nutzen fest und auch nicht das Verfahren, wie ein das Hans-Werner Sinn 2009 genannt und beschrieben, Nutzen geschaffen werden soll, sondern zieht allen- wie das Finanzsystem zur »Spielwiese von Glücksrittern« falls Grenzen, wie weit ein Nutzen zu Lasten ande- wurde. Auch heute liegt da noch einiges im Argen. Umso rer Nutzen gehen darf. In einer marktwirtschaftlichen erstaunlicher, wie sich trotz so gewaltiger Hindernisse der Gesellschaft minimiert der Staat seine dirigistischen marktwirtschaftliche Wohlstandsweg weltweit entwickelt. Eingriffe, was die Bürger im Detail zu tun und zu lassen haben. Der Staat bestimmt den Rahmen, nicht den Weg Wirtschaft unterliegt dem politischen Ordnungsanspruch und erst Recht nicht das Ergebnis. Marktwirtschaft und einer Gesellschaft. Jedes Ordnungssystem von etwas Ordnungspolitik ermöglichen einzigartig die Gleichzeitig- Lebendigem ist dabei natürlich immer mit Defiziten be- keit von großer individueller Freiheit und einem auf das haftet, muss also stets hinterfragt und gewandelt werden. Gemeinwohl orientierten starken Staat. PROFITSTREBEN D ie Verteufelung des Nutzenstrebens in Form um einen prominenten Vordenker dafür zu finden, bei der unternehmerischen Gewinnerzielungsab- dem freilich noch wenig Ahnung von Marktwirtschaft sicht in vielen aktuellen wirtschaftskritischen angenommen werden muss. Ansätzen ist dementsprechend mehr als verwunder- lich. Bündnis 90/Die Grünen sprechen, wie bereits zitiert, davon dass »Unternehmer*innen […] ge- zwungen werden, sich zwischen einem wirtschaftlich » Wenn wir uns im Wettbewerb messen, dann erfolgreichen Weg oder einer sozialen und ökologi- doch nicht deshalb, um den anderen zu schen Ausrichtung des Unternehmens zu entschei- unterdrücken oder ihm gar zu schaden, den«. Christian Felber bezeichnet in seinem Buch sondern Wettbewerb hat ein sehr edles und zur Gemeinwohl-Ökonomie »eine Wirtschaft, in der soziales Ziel, nämlich der Menschheit im die Geldvermehrung zum Zweck wird, als „widerna- Ganzen, der Wohlfahrt und der Verbesserung türlich“« und muss bis auf Aristoteles zurückgreifen, der Lebensmöglichkeiten aller Menschen zu dienen.« LUDWIG ERHARD 1962
12 | Gemeinwohl // PROFITSTREBEN Die Gemeinwohl-Ökonomie verkürzt den Gewinn auf den Richtig, eigener Profit und Selbstzweck ist der Aus- Selbstzweck des Unternehmers. Das ist ein zentrales gangspunkt des marktwirtschaftlichen Strebens, aber im Axiom ihrer Argumentation. Und natürlich will ein Unter- Resultat gewinnt die Gemeinschaft. Man kann wie in der nehmer für sich selbst Nutzen aus seinem Engagement Gemeinwohl-Ökonomie ein Menschenbild beschwören, ziehen. Deswegen wird das auch gerne plakativ ange- dass den Menschen Profitstreben nicht evolutionär als prangert: »Die machen das ja nur wegen des Gewinns«, Leistungsanreiz in die Wiege gelegt wurde, sondern es ist in manchen Kreisen das allzeit parate abfällige Urteil ihnen sozial anerzogen wäre. Da beißt sich nur die Katze für unternehmerische Initiativen. Mit einem Satz wird in den Schwanz: Unser Sozialgefüge wird doch allein von weggewischt, was alles mit diesem Selbstzweck unmit- unserer evolutionären Menschlichkeit geprägt. Da hilft es telbar verknüpft ist. Wenn ein Unternehmen Gewinn nichts, einen altruistischen Sinnstrebenden als Ideal zu macht, heißt das: entwerfen. Fakt bleibt, dass wir für Erfolge auch hand- ● Das Unternehmen hat Produkte erstellt, die anderen feste Belohnungen erwarten. Der eine mehr, der andere Nutzen stiften. weniger, der eine eher einzelgängerisch, der andere als ● Dem Unternehmen ist es gelungen, einen Mehrwert Teamplayer, der eine fokusiert auf die eigene kleine Welt, zu schaffen: Der Umgang mit den verfügbaren der andere mit offenem Herzen für seine ganze Umwelt, Ressourcen war so effizient, dass die Zahlungsbereit- aber alle brauchen einen konkreten, messbaren, ver- schaft, die sich aus dem Produktnutzen ergibt, für die gleichbaren und nutzenstiftenden Entgelt für ihre Leis- Endprodukte höher war, als für die Eingangsprodukte tungen, Verantwortungen, Risiken und Haftungen. und Produktionsfaktoren Kosten entstanden sind, die sich aus dem Nutzen der Lieferanten und Faktor- In Zusammenhang mit dem marktwirtschaftlichen Pro- anbieter ergeben. Der Output-Nutzen ist größer als fitstreben wird von der Gemeinwohl-Ökonomie und der Input-Nutzen. anderen besonders auch der Shareholder-Value-Ansatz ● Die Faktoranbieter – Arbeitnehmer, Kapitalgeber und als nicht nachhaltiges Unternehmensführungs-Konzept Verpächter – und die Lieferanten des Unternehmens angeprangert. Der Shareholder-Value-Ansatz stellt die und deren Lieferanten und Faktoranbieter usw. haben Anteilseigner ins Zentrum der Managementbemühungen. Einnahmen erzielt. Der Erfolg des Unternehmens lässt Gewinn und daraus folgend Börsenwert sind die Beweg- aus Erfahrung den Schluss zu, dass diese Einnahme- gründe der Anteilseigner, um einer Aktiengesellschaft quellen längerfristig gesichert sind. ● Das Unternehmen kann sich aus eigener Kraft weiter- entwickeln, wenn es den Gewinn in Forschung und Investitionen steckt. ● Nur im Gewinnfall bestehen Potenziale für gemein- » Der fundamentale Antrieb, der die kapitalis- wohldienliche Investitionen in Umweltschutz, Arbeits- tische Maschine in Bewegung setzt und hält, sicherheit, Unfallprävention, Work-Life-Balance etc. kommt von den neuen Konsumgütern, den über staatliche Vorgaben hinaus. Auch für Spenden neuen Produktions- und Transportmethoden, und Mäzenatentum ist Gewinn erforderlich. den neuen Märkten, den neuen Formen der ● Der Gewinn ist die entscheidende Grundlage für die industriellen Organisation, welche die kapita- wesentliche staatliche Besteuerung. Einerseits als listische Unternehmung schafft.« eigene Steuerbemessungsgrundlage und andererseits Der marktwirtschaftliche Wettbewerb ist ein weil nur profitable Unternehmen langfristig Einkommen Prozess, »der unaufhörlich die Wirtschafts- bei Lieferanten und Faktoranbietern erzeugen, die struktur von innen heraus revolutioniert, wiederum versteuert werden. unaufhörlich die alte Struktur zerstört und unaufhörlich eine neue schafft. Dieser Pro- zess der „schöpferischen Zerstörung“ ist das für den Kapitalismus wesentliche Faktum.« JOSEF A. SCHUMPETER Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 1947
PROFITSTREBEN // Gemeinwohl | 13 eigenes Geld mit unmittelbarem Verlustrisiko zur Verfü- Generell ist aber festzuhalten: Die Übertreibung eines gung zu stellen. Da das Management mit fremden Geld Systems erfordert das Einhegen der Übertreibung und ohne eigenes Risiko und mit sehr beschränkter Haftung nicht ohne weiteres die Revision gleich des ganzen Sys- wirtschaftet, muss man sie im Innenverhältnis ausdrück- tems. Der Shareholder-Value ist dementsprechend kein lich darauf verpflichten. Der Shareholder-Value-Ansatz ist Teufelswerk, sondern die entscheidende Kopfkennzahl damit erst einmal nichts anderes als die Übertragung des eines Unternehmens, denn letztlich ist nur ein profitabler einzelunternehmerischen Gewinnstrebens auf Betriebe Betrieb marktwirtschaftlich überlebensfähig und dement- im Streubesitz. sprechend gemeinwohlförderlich. Gewinn und Börsenwert sind Indikatoren für erfolgrei- Der aus der Kritik des Shareholder-Value entstandene ches Agieren am Markt. Das hat nichts mit Gewinn »um Stakeholder-Ansatz dagegen, auf dem auch die Gemein- jeden Preis« zu tun und widerspricht auch nicht einer wohl-Ökonomie ideengeschichtlich fußt, ist bei nährerer nachhaltigen Unternehmensführung zur langfristigen Betrachtung bedenklich. Das Stakeholder-Konzept fordert, Gewinnsicherung. Die Entkopplung von Eigentum und dass alle Interessen der am Unternehmen Beteiligten im Management bewirkt allerdings Informationsdefizite und Extremfall gleichermaßen berücksichtigt werden. Unter- wirft Haftungsfragen auf. Das kann tatsächlich eher die stellt wird dabei, dass das unternehmerische Gewinnstre- kurzfristige Gewinnmaximierung befördern. Es kommt ben nicht alle Interessensgruppen berücksichtigt. Statt leichter zu einem Denken des Managements in Quartalen Gewinnorientierung wird eine multidimensionale Zielfunk- während Eigentümer ihre Investitionen eher über Gene- tion gefordert, die alle irgendwie begründbaren Interessen rationen profitabel zu halten bestrebt sind. Grundsätzlich umfasst, also die von Anteilseignern, Management, Arbeit- kann das Management aber auch nur sehr begrenzt ge- nehmern, Partnern, Gläubigern, Zulieferern, Kunden, gen breite Überzeugungen der Eigner agieren und muss öffentliche Hand und eventuell auch Nachbarn, Verbänden in all seinen Außenbeziehungen mit Kunden, Lieferanten, und umwelt- und entwicklungspolitische Interessenver- Partnern, Standortträgern und -nachbarn, Banken und tretungen etc. Bekundete Interessenskonflikte müssten dem sonstigen Betriebsumfeld auf seine Reputation ach- dann in Abstimmungsprozessen geschlichtet werden. ten. Unternehmen sind in jeder Beziehung vom öffentlichen Meinungsbild abhängig und müssen stets mit direkten Das stellt dann leicht den ganzen Wirtschaftszusammen- wirtschaftlichen Folgen von negativer Publicity rechnen. hang auf den Kopf. Anbieter und Kunden tauschen mit Angebot und Nachfrage Leistung und Gegenleistung Nicht vertieft, aber auch nicht unterschlagen werden soll aus – Umsatz/Gewinn gegen Nutzen. Alle anderen Inter- an dieser Stelle, dass einzelne Anleger auf dem Kapital- essen können nur bedient werden, wenn es zu diesem markt spekulative Strategien verfolgen, die kurzfristige Prozess kommt, sind dem also unweigerlich unterge- Gewinnmaximierungen befeuern und auf nachhaltige ordnet. Das Endprodukt ist Zweck allen Wirtschaftens. Geschäftsentwicklungen nur nachrangig Wert legen. Der Nutzen des Endproduktes ist der einzige Sinn allen Leerverkäufe, Hochfrequenzhandel, Geschäfte mit Wirtschaftens. Vom Endkundengeschäft hängen alle mehrfach verschachtelten Derivaten sind oft weit davon Wirtschaftsaktivitäten ab, und die weiteren Interessen entfernt, noch irgendeinen Zusammenhang mit der rea- werden dann tiefergestaffelt entweder ebenfalls über len Güterproduktion zu haben. Nicht selten ist es reines Angebot und Nachfrage auf Zuliefer- oder Faktormärk- Kasino, bei dem hohe Gewinne mit hohen Risiken einher- ten ausgeglichen oder über staatliche Umverteilung per gehen, die aber mitunter völlig losgelöst von der Haftung Steuern und Abgabe. Damit sind auch ohne Stakehol- sind. Das ist keine Soziale Marktwirtschaft. der-Orientierung in jedem sozial-marktwirtschaftlichen Prozess alle Interessensgruppen im Wertschöpfungs- prozess berücksichtigt und durch den Wettbewerb auf den Märkten fair, also nutzengerecht, entgolten. Der sozial-marktwirtschaftliche Wettbewerb an sich ist ein Stakeholder-Konzept.
14 | Gemeinwohl // WETTBEWERB WETTBEWERB M it der Kritik am Gewinnstreben geht natur- In der Gemeinwohl-Ökonomie wird Wettbewerb dem gemäß die Ablehnung des Wettbewerbs als Wert des Vertrauens gegenübergestellt und ein Wider- Leistungs- und Fortschrittsanreiz einher. spruch konstruiert. Wenn man ständig befürchten müsse, Bündnis 90/Die Grünen versuchen beide Kritiken aller- auf dem Markt von anderen übervorteilt zu werden, re- dings im Grundsatzprogramm zu entkoppeln. Trotz- sultiere daraus ständiges Misstrauen zwischen den Men- dem sie Wirtschaft nicht allein marktwirtschaftlich schen. Vertrauen und Wettbewerb schließen sich aber in organisieren wollen, gibt es klare Bekenntnisse, dass Wirklichkeit gar nicht aus.. Im Gegenteil: Der evolutionä- Wettbewerb ausdrücklich als »Mittel zur Erreichung re Vorteil des Menschen ist es, sich in sozialen Gefügen von mehr Lebensqualität für alle« im Rahmen der »pla- organisieren zu können. Die Fähigkeit der Kommunika- netaren Grenzen« in einer sozial-ökologischen Markt- tion ermöglicht dabei in der Gruppe Bedürfnisse aus- wirtschaft anerkannt wird. Man hält fest, dass »freies zutauschen, so dass man sich gegenseitig helfen kann. und kreatives Handeln von Menschen sowie die Dyna- Dabei ist nicht Vertrauen der Anreiz, sondern Eigennutz. mik eines fairen Wettbewerbs und gesellschaftlicher Wenn ich anderen helfe, kann ich davon ausgehen, dass Kooperation […] nachhaltigen Wohlstand, Fortschritt mir bei Bedarf auch geholfen wird, weil die anderen und innovative Problemlösungen schaffen« können. sich sicher sein wollen, dass ihnen gegebenenfalls auch geholfen wird. Vertrauen ist dann das Ergebnis, wenn Teile der Partei werden das aber sicher anders sehen dieser egoistische Altruismus in der Gruppe erfolgreich und extremeren politischen Ökologie-Bewegungen gestaltet wurde und deswegen auch ein Wert für sich. zustimmen. So sucht zum Beispiel die Klimaliste Ba- Never change a winning team. den-Württemberg ausdrücklich »soziale, nachhaltige Alternativen zum Prinzip der wettbewerbsorientierten Tatsächlich sind partnerschaftliche Unternehmensnetz- Leistungsgesellschaft«. Felber hält Wettbewerb in der werke, Clusterorganisationen, Berufs- und Wirtschafts- Begründung der Gemeinwohl-Ökonomie grundsätzlich verbände, Angebotskonsortien, Büro-, Werbe- und für »krank«: »Wenn wir uns auf das Wir-selbst-Sein kon- Arbeitsgemeinschaften und viele andere Kooperations- zentrieren würden anstatt auf das Besser-Sein, würde formen auch zwischen formellen Wettbewerbern gang niemand Schaden nehmen, und es bräuchte keine Verlie- und gäbe. Kaum eine Branche, in der sich das Gros der rerInnen.« Man kann vermuten, dass er kein Fußball-Fan Anbieter nicht gegenseitig eher als Mitbewerber und ist und als Kind nie Fangen gespielt hat. Kollegen bezeichnet, denn als Konkurrent. Ein Ausdruck dessen, dass man sich zwar wohl bewusst ist, dass man Wie, wenn man nicht einen Gewinner und die Platzierungen um die gleiche Kundschaft wirbt, aber ebenso überzeugt feststellt, will man denn wissen, welche Leistung besser ist, dass eben dieser Wettstreit mittelbar zu wachsendem war. Und genau das ist die große ethische Frage: Was ist Nutzen für alle führt. richtiges und falsches, das heißt schlechtes, gutes, besse- res Handeln in unserem Leben? Dabei muss unweigerlich Und selbst bei starker Konkurrenz gilt Vertrauen als ein das Ergebnis des Handelns betrachtet werden, denn aus Wert: Vertrauen z. B. auf die Fairness des Wettbewerbs. dem Handeln allein kann man die Wirkung nicht erkennen. Das Vertrauen, dass sich alle im Bewusstsein der golde- »Unter all denen, die versuchen, den Mount Everest zu be- nen Regel – was du nicht willst, dass man dir tut, das füg steigen oder den Mond zu erreichen, ehren wir auch nicht auch keinen andern zu – an die Normen und ungeschrie- die, welche die größten Anstrengungen unternommen benen Konventionen des Wettbewerbs halten: eingegan- haben, sondern diejenigen, welche als erste dorthin gelangt gene Verpflichtungen einhalten, keinen Zwang ausüben, sind«, fasst das Friedrich A. von Hayek treffend zusammen. nicht betrügen, den anderen als Mensch respektieren, die eigenen Entscheidungen verantworten etc. Nachdem Wettbewerb steckt uns in den Genen. Kein Wunder, in einer komplexen Welt unmöglich alles geregelt werden nachdem der evolutionäre Prozess des ganzen Lebens kann, basiert jede Marktwirtschaft gerade wegen des Wettbewerb ist: »survival of the fittest«, wer sich besser Wettbewerbs auf einem ehernen Vertrauen in den fairen an die Lebensumstände anpasst überlebt; eine harter, Umgang, der in seiner ganzen Tragweite bei uns bis aber extrem erfolgreicher Auslesewettbewerb. heute mit dem als verbindlich angesehenen Handschlag
WETTBEWERB // Gemeinwohl | 15 unter Geschäftsleuten zum Ausdruck kommt. Ein solches die Frage, wie Wissen entsteht. Ausgangspunkt ist die Vertrauen wird natürlich verschiedentlich auch wieder Freiheit der Menschen, sich über unser Zusammenleben gebrochen, um andere zu übervorteilen. Die Wirkmecha- und die Befriedigung unserer Bedürfnisse mit unterschied- nismen der Marktwirtschaft jedoch sanktionieren unfaires lichen Ansichten Gedanken machen zu können, um zu Verhalten durch Misstrauen beziehungsweise Abbruch versuchen den Status-quo zu verbessern. Die Gesellschaft der Geschäftsbeziehungen, so dass der Vertrauensbruch muss sich so organisieren, dass Besser-Machen-Wollen nie langfristig erfolgreich ist und die Mehrheit der Markt- befördert und in keinem Fall verhindert wird. Versuch und teilnehmer das Risiko lieber gar nicht erst eingeht. Irrtum. Das klingt für uns ganz selbstverständlich als Wissensentdeckungsverfahren, so dass wir die Axio- Denn der Wettbewerb sorgt automatisch für gegenseitige me dahinter gar nicht mehr bemerken: Kontrolle. Beschiss kommt auf den Tisch. Und kann im 1.) dass man die beste Lösung eines Problems nie kennt, Informationszeitalter immer schwerer versteckt werden. 2.) dass man einen Anreiz hat, neue Lösungsversuche zu unternehmen, und Eine weitere wesentliche gesellschaftliche Funktion 3.) dass es einen Maßstab gibt, was ein Irrtum ist und nimmt der Wettbewerb als Machtbegrenzer ein. Eine was nicht. erfolgreiche Produktidee ruft automatisch Konkurrenz auf den Plan und verhindert damit monopolistische Es ist der freie Wettbewerb der Ideen, der den Irrtum offen- Machtkonzentration, die selbst bei besten Absichten bart, das heißt die schlechtere vorangehende Idee. Und es früher oder später zum Machtmissbrauch gegenüber den sind die marktwirtschaftlichen Prozesse, die einen beson- Verbrauchern verleiten würde. So ist der Wettbewerb deren Anreiz geben, alte Irrtümer zu überwinden, weil eben seine eigene Wettbewerbskontrolle, die flankiert wird dieses Gewinn verspricht. Der Wettbewerb ist damit das von den demokratischen Kartellrechten und -behörden, ideale Verfahren, um Hemmnisse des Gemeinwohls zu über- um im Einzelfall sich trotz Wettbewerb ergebende markt- winden, ohne dass der Staat Altruismus erzwingen muss. beherrschende Stellungen wieder aufzubrechen. Der Schutz der Wettbewerbsordnung vor Partikularinteressen Eindrucksvoll ist uns dieser Wirkmechanismus jüngst bei ist dementsprechend auch ein wesentlicher Pfeiler der der Entwicklung des Sars-CoV2-Impfstoffs vor Augen Sozialen Marktwirtschaft. »Dieses Berücksichtigen von geführt worden. Über 100 Firmen hatten sich seit Früh- Sonderinteressen, das Nachgeben gegenüber einzelnen jahr 2020 aufgemacht, um möglichst schnell einen mög- Forderungen bestimmter Wirtschaftskreise verbietet sich auch wegen der Interdependenzen allen wirtschaftlichen Geschehens. Jede einzelne Maßnahme in der Volkswirt- schaft hat Fernwirkungen auch in Bereichen, die von den Aktionen gar nicht betroffen werden sollen, ja, von denen » In viel größerem Maß als bisher muss erkannt niemand bei flüchtiger Beobachtung glauben möchte, werden, dass unsere gegenwärtige Gesell- dass sie von den Ausstrahlungen berührt werden«, be- schaft nicht in erster Linie das Ergebnis schreibt Ludwig Erhard 1957 im Kapitel »Wirtschafts- eines menschlichen Entwurfes ist, sondern minister, nicht Interessenvertreter« in »Wohlstand für aus einem wettbewerblichen Prozess hervor- alle« die Rolle des Wettbewerbshüters. Lobbyismus als ging, in dem sich die erfolgreicheren Einrich- Interessenvertretung war für Erhard essentieller demo- tungen durchsetzen. Kultur ist weder natürlich kratischer Usus, aber nicht die Bevorzugung einzelner In- noch künstlich, weder genetisch übermittelt teressen von Wirtschafts- oder Branchenverbänden oder noch mit dem Verstand geplant. Sie ist eine Großunternehmen. Subventionen, Sonderrechte oder Tradition erlernter Regeln des Verhaltens, Protektionismus schaden dem Wettbewerb und damit die niemals erfunden worden sind, und deren dem Gemeinwohl. Zweck das handelnde Individuum gewöhnlich nicht versteht.« Die überragende Bedeutung, wie entscheidend Wettbe- werb unser Dasein positiv bestimmt, erkennen wir über FRIEDRICH AUGUST VON HAYEK Die Anmaßung von Wissen, 1969
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