DIE WELT IST WIE WIR SIND - Brennstoff
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Ausgabe Nummer 41 · August 2015 · P.b.b. 05Z036270 M · GEA Verlag, Lange Gasse 24, 1080 Wien · Retouren an Postfach 555, 1008 Wien des Zwangs in eine der Freiheit verwandeln. Tzvetan Todorov Um seine Würde zu wahren, muss man eine Situation DIE WELT IST WI E Flohmarkt WIR DO 27. August, 13 –19 Donnerstag Vormittag ge Uhr schlossen! r SI N D FR 28. August, 10 –18 Uh Uhr SA 29. August, 10 –17
Brennstoff Nr.41 UBUNTU Die Welt ist wie wir sind August 2015 Du bist die Welt Medieninhaber und Verleger Das erste Gesetz unseres Seins lautet, dass wir in ein GEA Verlag empfindliches Netzwerk der gegenseitigen Abhängigkeit Lange Gasse 24 FLOH von unseren Mitmenschen und der übrigen Schöpfung 1080 Wien verlag@gea.at eingebunden sind. Das Wissen um diese gegenseitige Abhängigkeit nennt Herausgeber Heinrich Staudinger man in Afrika, in der Sprache der Nguni, ubuntu, oder botho auf Sotho – Wörter, die sich kaum übersetzen lassen. Es ist die Essenz des Mensch- Chefredaktion seins. Es bezeichnet die Tatsache, dass mein Menschsein in dem Ihren MARKT Moreau aufgeht und unlöslich darin eingebunden ist. Ich bin Mensch, weil ich Satz /Gestaltung dazu gehöre. Es umfasst Ganzheit, es umfasst Mitgefühl. Ein Mensch Moreau, 8952 Irr.dning mit ubuntu ist einladend, gastfreundlich, warm und großzügig, bereit zu moreau@gea.at teilen. Solche Menschen sind offen und zugänglich für andere, bereit Mitarbeit und Korrektorat zur Verletzlichkeit, bestärken andere und haben keine Angst vor den Margit Atzler Fähigkeiten anderer. Denn sie haben ein gesundes Selbstbewusstsein, Monika Broggini Renate Gönner das aus dem Wissen kommt, dass sie einem größeren Ganzen angehören Christina Kapeundl und beeinträchtigt sind, wenn andere erniedrigt und beeinträchtigt Sylvia Kislinger Haufenweise werden, wenn andere gefoltert oder unterdrückt werden oder behandelt Jakob Tschugmell Flohmarktpreise werden, als seien sie weniger als sie wirklich sind. Ubuntu macht die Redaktionsadresse Menschen unverwüstlich, lässt sie überleben und Mensch bleiben trotz Lange Gasse 24, 1080 Wien Restpaare mit und ohne aller Versuche, sie ihrer menschlichen Würde zu berauben. brennstoff@gea.at kleinen Fehlern bis minus 50 % Desmond Tutu Abos und Anzeigen verlag@gea.at PHÖNIX NEUE WEBSITE ONLINE Wir bitten um deinen Beitrag! Der brennstoff ist GRATIS. statt € 155,— um 125,— Da die Druck-, vor allem aber die Versandkosten extrem hoch Rückenwind.coop sind, freuen wir uns über ein TRAMPER Förderungs- und Prüfungsverein FörderABO mit einem Betrag, statt € 165,— um 135,— gemeinwohlorientierter Genossenschaften den du selbst bestimmst. Mehr auf Seite 22 Ich sag es euch auf diese Weise, / alle die am Suchen sind, GEA Akademie KOMMOD FLEX sind mit mir auf der Reise, / haben Rückenwind. akademie@gea.at 02853/76503-61 statt € 145,— um 119,— Aus Rückenwind von Thomas D. AutorInnen GehGuTiGut in 2. Wahl ... und alle auf der Suche nach mehr Informationen zum Margit Atzler, Ursula Baatz Sylvia Kislinger, Moreau ab € 49,— Gründungsprozess des neuen Revisionsverbandes für Fabian Scheidler Genossenschaften, bekommen diese nun regelmäßig aktua- Mathilde Stanglmayr lisiert im Internet. Heini Staudinger GOART Ilija Trojanow, Desmond Tutu statt € 115,— um 95,— Mit der Gründung eines neuen Revisionsverbandes wird das Ziel Harald Welzer, Jens Wernicke verfolgt, dem großen Potential der Genossenschaft in Österreich einen kräftigen Impuls zu geben und den vielen engagierten Menschen die In den Zitaten tout le monde Möglichkeit zu bieten, sich außerhalb der bestehenden Verbände unter KÖNIGSADLER dem Leitbild gemeinsinniger Wirtschaft genossenschaftlich zu organisie- Erscheinungsweise statt € 125,— um 105,— ren. In Österreich sind es gerade einmal zwei Revisionsverbände, in derzeit 4 * im Jahr verbreitete Auflage: 197.189 denen sich im Regelfall die (verpflichtende) Mitgliedschaft anbietet. LERCHE AKTION Durch das Open Space Symposium in Schrems hat die Genossen- Brennstoff Nr.41 statt € 109,— um 89,— schaftsbewegung in Österreich noch einmal mehr Schubkraft bekom- wird ermöglicht durch die: FörderABOnnentInnen, men, bestehende Visionen in Handlungen zu übersetzen. Genau das war Waldviertler Schuhwerkstatt, KOMMT das ausdrücklich formulierte Ziel des Pfingsttreffens, zu dem mehr als 20% ALLE! 50% VON BIS die GEA Möbelwerkstatt und die GEA Geschäfte. MINU S 200 Teilnehmer in die Waldviertler Werkstätten kamen. Beim Follow- S MINU Danke! Up-Treffen im Juli wurden in Arbeitsgruppen weitere Schritte definiert. Über die Ergebnisse können wir euch nun auf der neu gestalteten Website des Vereins informieren, wo es zusätzlich zu grundlegenden Informationen zum Genossenschaftswesen und der aktuellen Entwick- lung auch weiterführende Texte gibt, die sich mit dem Thema befassen: 31 * IN ÖSTERREICH 17 * IN DEUTSCHLAND www.rueckenwind.coop 1 * IN DER SCHWEIZ Für den Newsletter bitte ein E-Mail mit Betreff »Newsletter« an: ADRESSEN AUF DER RÜCKSEITE geno@gea.at WWW.GEA.AT 2 Nº 41/15
Inhalt Editorial Ausgabe Nº 41 · August 2015 Liebe Freundinnen, liebe Freunde! Ilija Trojanow Es war im Dezember 1994. Ich hatte 05 Das Netz von Indra Kreuzweh und war auf Kur. Die Kur war oder Die Philosophie hinter dem Spiel lieblos und doch hat sie mir schlussend- lich sehr geholfen. In einer Pause vom Jens Wernicke im Gespräch Kurbetrieb schlenderte ich durch die Stadt mit Fabian Scheidler und fand in einer Buchhandlung ein Buch mit dem Titel 17 Die globale Ordnung zerbricht »Buddhistisches Lesebuch«. Ich kaufte es und fing gleich Das Ende der Megamaschine darin zu lesen an. Da stand der Satz »Die Welt ist so wie wir sind«. Zuerst dachte ich mir, »so grauslich wie die Welt Mathilde Stanglmayr bin ich aber nicht«. Erst nach längerem Nachdenken be- HEINI STAUDINGER 13 Anleitung zum weiter denken I merkte ich, dass immer dann, wenn ich nicht so grauslich Herausgeber bin, auch die Welt ein bisschen weniger grauslich ist. Mathilde Stanglmayr So ist es. Wir spüren es, dass es so ist und weichen doch Es gibt nur einen Weg, 15 Anleitung zum weiter denken II dem großen Schritt (unserer Sehnsucht zu folgen) ängstlich auf dem der Mensch das aus, statt mutig dem Fluss des Lebens zu vertrauen. Und immerwährende Glück, 17 Short Cuts wenn wir darüber nachdenken, warum wir denn so sind, zu dem seine Natur fähig ist, empfangen kann: stoßen wir immer wieder auf Ängste, die uns hindern und die Vereinigung und die Ursula Baatz die uns mächtig im Wege stehen. Ängste, nicht genug zu Zusammenarbeit aller zum 19 ö1 gehört gerettet sein. Nicht cool genug, nicht schön genug, nicht stark Vorteil eines jeden. genug. Ängste um den Jobverlust, Ängste um Prestige- Robert Owen Heini Staudinger verlust? 21 Globale Gerechtigkeit Das »Let It Be« der Beatles hab ich einmal mit »Scheiß di Die fast unlösbare Aufgabe ned au-n« übersetzt. Beim Weitererzählen bemerkte ich besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von Oskarl für Improvisation dann, dass von diesem Satz so eine ermutigende und moti- der eigenen Ohnmacht sich 22 brennstoff-FörderABO vierende Kraft ausgehen kann, dass ich diesen Satz zum dumm machen zu lassen. Firmengrundsatz Nummero 1 erklärt habe. Jesus sagte: Theodor W. Adorno GE GE GE »Fürchte dich nicht!« Natürlich wusste er, dass uns 23 Gelesen. Gehört. Gesehen. Menschen nichts mehr lähmt als die eigene Angst. Es ist noch gar nicht so lange her, da war ich irgendwo in Toleranz ist gut. GEA Akademie Österreich zu einem Vortrag eingeladen. Bei der anschlie- Aber nicht gegenüber 24 Das neue Programm ßenden Diskussion saß ein hoher Beamter (ich will seinen Intoleranten. Wilhelm Busch Namen nicht verraten) neben mir am Podium. Er meinte, für ihn seien neben dem Gesetz auch noch »Hirn, Herz und Das Problem des Einzelnen ist Hausverstand« wichtig. Diese drei »H« jedoch wollen nicht das Weltproblem. Die Welt oder immer dasselbe wie das Gesetz. Wenn ihn dann seine Gesellschaft wird durch das Kollegen in der Behörde warnen, dass es für ihn gefährlich geschaffen, was wir als Einzelne werden könnte, anders zu entscheiden als das Gesetz es sind, denn Gesellschaft ist nichts verlange, dann denkt er sich, »mach es so wie der anderes als die Beziehung Staudinger Heini. Scheiß di ned au-n! Folge deinem zwischen uns. (...) Es gibt eine sehr einfache Herzen. Fürchte dich nicht vor dem Gesetz und triff alle Tatsache: wir projizieren das, was wir sind. deine Entscheidungen mit Hirn, Herz und Hausverstand.« Wenn ich zum Beispiel nationalistisch gesinnt So ist die Welt. Wenn wir die Hose voll haben, dann ist bin, trage ich dazu bei, eine Gesellschaft voller die Welt eben so. Eine Welt voller Sachzwänge und voller Titel Unterschiede zu schaffen – Ursache und Keim voller Hosen. Wenn wir jedoch mutig sind/werden, ist/wird Pawel Althamer: The Neighbors ( Auschnitt ), Biennale, Venedig von Kriegen. (...) Schließlich ist der Krieg nichts auch die Welt anders/menschlicher. Die Sehnsucht braucht 2013 · Foto: Thomas Priebsch; anderes als die katastrophale Auswirkung unseren (deinen/meinen) Mut, um ans Ziel zu gelangen. siehe auch Seite 7 und Seite 10 unseres täglichen Lebens, und wir können Drum sei mutig. Verändere die Welt. Mut tut gut. keinen Krieg durch Gesetzgebung, Verordnun- Das meint im Ernst gen oder Kontrollen verhüten, solange wir unser tägliches Leben nicht von Grund auf ändern. Jiddu Krishnamurti, Religiöse Erneuerung Nº 41/15 3
Das Netz von Indra oder Die Philosophie hinter dem Spiel WENN WIR SCHREIBEN, vernetzen wir. vatamsaka Sutra«, also die »Sutra der Girlande der Wort mit Wort, Ort mit Ort. Wir reihen Buddhas«. Aus der Tatsache einer grenzenlosen gegen- Buchstaben aneinander, wir versam- seitigen Beeinf lussung folgt, dass jedes Wesen glei- meln Wörter, mal zu festen Paragra- chermaßen wertzuschätzen und in Ehren zu halten ist. phen, mal zu vorbeifließenden Stro- Diese Girlande ist also das genaue Gegenteil der Ideo- Skulptur Gustav Troger: Materialprobe: Sieg über die Sonne, Kunst, sich über die Natur lustig zu machen, 2004, Österreichischer Skulpturenpark Foto Thomas Priebsch phen. Das Niedergeschriebene vernetzt sich weiter, mit logien der Differenz, die das europäische Denken der ILIJA TROJANOW dem Leser, den Leserinnen. Erst die Ohren, sagt ein letzten Jahrhunderte mit so fatalen Folgen geprägt Schriftsteller, Übersetzer, Verleger, »Weltensammler«. afrikanisches Sprichwort, geben der Zunge Leben. Der haben. Seine Werke wurden in Leser knüpft seine eigenen Verbindungen, er wirft sein Gemäß der Beschaffenheit dieses Netzes kann man 25 Sprachen übersetzt, am kleines persönliches Netz aus, eines von unzähligen keinen einzigen Faden beschädigen, ohne allen ande- 20. August 2015 erscheint im kleinen ausgeworfenen Netzen, mit denen er sich in ren Fäden Schaden zuzufügen und somit eine wahre S. Fischer Verlag sein neuer die Welt hineinwünscht. Kaskade der Zerstörung in Gang zu setzen. Ebenso Roman »Macht und Wider- stand«. In diesen Netzen des Geschriebenen, Gedruckten, Ge- kann aber eine empathische und konstruktive Ein- lesenen, Bedachten und Weitergetragenen reisen wir mischung einen kräuselnden, perlenden, schwingen- WEBTIPP von Wort zu Ort und weiter zu vielen anderen Orten, den Effekt positiver Wirkung entfalten. Doch die viel- trojanow.de aus dem Vertrauten heraus, hinein in das Unbekannte. leicht größte Stärke dieses Gedankengebäudes liegt in Wörter können Raum und Zeit aufheben, aber um dies der Einsicht, dass kein Einzelnes aus individuellen zu bewerkstelligen, benötigen sie handfeste, wurzel- Elementen besteht, so wie keine Sprache und kein Mein Bruder bat die geknüpfte Netzwerke, die das Geschriebene zum Buch Land und keine Nation aus ihr allein eigenen Elemen- Vögel um Verzeihung. werden lassen, die das Buch vervielfältigen und ver- ten zusammengesetzt ist. Im Gegenteil, das Netz von Das scheint sinnlos, und breiten, die sowohl das Lesen als auch das Nachdenken Indra erinnert uns – wenn wir die Vertikale der Zeit doch hatte er recht; denn über das Gelesene fördern und die vor allem von dem aufsuchen – an unsere hybride Vergangenheit, an un- alles ist wie ein Ozean, kleineren Netz, in das jeder von uns die meiste Zeit ser Entstehen und Werden aus Mischung und Ver- alles fließt und grenzt verhaftet ist, in größere, uns erstaunende und berei- mischung, aus Fluß und Zusammenf luß. Wir spiegeln aneinander. Rührst du chernde Netze führen, von einer Ebene auf die andere, uns alle gegenseitig ineinander ( ... ). an ein Ende der Welt, von einem Land ins nächste und von einer Sprache in so zuckt es am anderen. die benachbarte. Wenn wir uns für die Zukunft wappnen wollen, sollten Fjodor M. Dostojewski wir unsere Grenzen als Zusammenflüsse begreifen, die Ein endloses Netz von Fäden durchzieht die Welt. Die uns in der Vergangenheit befruchtet haben, als Spiel- horizontalen Fäden sind Raum, die vertikalen Zeit. Wo wiesen von Mischkulturen, die für die Entwicklung des immer sich die Fäden kreuzen, befindet sich ein Lebe- Kontinents von entscheidender Bedeutung waren und wesen. Und jedes Wesen ist ein juwelgleicher Knoten. sind. Denn das Trennende ist stets nur eine momenta- Das Licht des Seins beleuchtet jedes dieser Kristalle, ne Differenz, eine Flüchtigkeit der Geschichte. Vielfalt und jedes von ihnen ref lektiert nicht nur das Licht, war schon immer die große Stärke Europas – schon das die anderen Kristalle ref lektieren, sondern auch die Legende von Europa kennt viele Fassungen, bei jede Ref lexion der Ref lexion im ganzen Netzwerk. denen sich die Schauplätze und Handlungsstränge än- Es existiert eine lange Tradition von Metaphern, die dern und die moralische und politische Richtung des den allumfassenden Zusammenhang aller Wesen, im Stoffes variiert wird. Denn die Geschichte kann nur Straßenjargon Gesamtbewandtniszusammenhang (kurz dann allen heilig sein, wenn sie im Sinne eines jeden GBZ ) genannt, und somit die Möglichkeit einer glo- erzählt werden kann. In Blütezeiten hat Kultur in Eu- balen Gemeinschaft, widerspiegeln. Das wohl spekta- ropa stets im Plural existiert und ist nie stehengeblie- kulärste, mutigste und schönste ist das buddhistische ben. Das einzig Ewige ist die Veränderung, sagt ein Bild von Indras Netz, die Vorstellung, dass jedes emp- altes Sprichwort. Wer sich also innerhalb Europas ab- findungsfähige Wesen ein Knoten in einem weitge- schotten will (oder wer Europa als Ganzes abschotten spannten Netz ist. In der Physik würde man von einem will ), glaubt wahrlich an das Ende der Geschichte. Er Schwingungsknoten sprechen und dadurch das Bild glaubt, dass sein System das beste und letzte ist, dass um eine weitere Facette der gegenseitigen Beschwin- seine Kultur abgeschlossen und fertig ist. Er ist somit gung bereichern. Diese philosophische Metapher findet dem Tod geweiht. sich in einem Mahayana-Text mit dem Titel »Buddha- Ilija Trojanow, aus: Der Weltensammler, Hanser Nº 41/15 5
BERTOLT BRECHT FRAGEN EINES LESENDEN ARBEITERS WER BAUTE DAS SIEBENTORIGE THEBEN? IN DEN BÜCHERN STEHEN DIE NAMEN VON KÖNIGEN. HABEN DIE KÖNIGE DIE FELSBROCKEN HERBEIGESCHLEPPT ? UND DAS MEHRMALS ZERSTÖRTE BABYLON, WER BAUTE ES SO VIELE MALE AUF ? IN WELCHEN HÄUSERN DES GOLDSTRAHLENDEN LIMA WOHNTEN DIE BAULEUTE ? WOHIN GINGEN AN DEM ABEND, WO DIE CHINESISCHE MAUER FERTIG WAR, DIE MAURER ? DAS GROSSE ROM IST VOLL VON TRIUMPHBÖGEN. ÜBER WEN TRIUMPHIERTEN DIE CÄSAREN ? HATTE DAS VIELBESUNGENE BYZANZ NUR PALÄSTE FÜR SEINE BEWOHNER ? SELBST IN DEM SAGENHAFTEN ATLANTIS BRÜLLTEN DOCH IN DER NACHT, WO DAS MEER ES VERSCHLANG, DIE ERSAUFENDEN NACH IHREN SKLAVEN. DER JUNGE ALEXANDER EROBERTE INDIEN. ER ALLEIN ? CÄSAR SCHLUG DIE GALLIER. HATTE ER NICHT WENIGSTENS EINEN KOCH BEI SICH ? PHILIPP VON SPANIEN WEINTE, ALS SEINE FLOTTE UNTERGEGANGEN WAR. WEINTE SONST NIEMAND ? FRIEDRICH DER ZWEITE SIEGTE IM SIEBENJÄHRIGEN KRIEG. WER SIEGTE AUSSER IHM ? JEDE SEITE EIN SIEG. WER KOCHTE DEN SIEGESSCHMAUS ? ALLE ZEHN JAHRE EIN GROSSER MANN. WER BEZAHLTE DIE SPESEN ? SO VIELE BERICHTE SO VIELE FRAGEN. 6 Nº 41/15
Die globale Ordnung zerbricht Ein Gespräch mit Fabian Scheidler über sein grandioses Buch »Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation« Warum schreitet die ökologische Zer- über unser dysfunktionales Finanz- und Wirtschafts- störung des Planeten trotz unzähliger system, den Klimawandel und die strukturellen Ur- Klimagipfel ungebremst voran? Warum sachen von Armut fehlt es ja wahrlich nicht. hungern mehr Menschen als je zuvor Der Ausdruck »Megamaschine« ist dabei eine Metapher auf der Erde, obwohl noch nie so un- für ein ökonomisches, militärisches und ideologisches geheure Reichtümer angehäuft wurden wie heute? System, das vor etwa 500 Jahren in Europa entstand FABIAN SCHEIDLER Warum erweisen sich die globalen Eliten als unfähig, und sich rasant über die Welt verbreitete. Die histori- geboren 1968, studierte Geschich- te und Philosophie an der Freien die Richtung zu ändern, obwohl ihr Kurs in einen pla- sche Bestandsaufnahme zeigt sehr deutlich, dass dieses Universität Berlin und Theater- netaren Crash führt? System von Anfang an mit radikaler Ausbeutung von regie an der Hochschule für Musik Mensch und Natur und massiver physischer Gewalt und Darstellende Kunst in Frank- Antworten auf diese Fragen liefert der Berliner Autor verbunden war. furt/M. Seit 2001 arbeitet er als und Journalist Fabian Scheidler in seinem kürzlich brennstoff Ist »Megamaschine« also gleichbedeutend freischaffender Autor für Print- medien, Fernsehen, Theater und erschienenen Buch, in dem er die Wurzeln jener Zer- mit jenem Gesellschaftssystem, das man auch Kapita- Oper. 2009 gründete er mit David störungskräfte freilegt, die heute die menschliche lismus nennt? Goeßmann das unabhängige Zukunft infrage stellen. Jens Wernicke sprach mit ihm fabian scheidler In vieler Hinsicht, ja. Das Wort »Ka- Fernsehmagazin Kontext TV, das über »Das Ende der Megamaschine« und über Mög- pitalismus« erweckt aber oft den Eindruck, es gebe so regelmäßig Sendungen zu Fragen lichkeiten, gemeinsam einen Ausgang aus der gefühl- etwas wie ein selbständiges Wirtschaftssystem und da- globaler Gerechtigkeit produziert. Zahlreiche Vorträge zu Globali- ten Ohnmacht zu finden. neben den Staat, das Militär, »freie Medien« und an- sierungsthemen bei Kongressen dere eigenständige Institutionen. Die historische Ana- von Attac, Deutsche Welle, Green- brennstoff Herr Scheidler, Sie gehen in Ihrem aktu- lyse zeigt jedoch, dass sich all diese Institutionen von peace, Evangelische Akademie ellen Buch der Frage nach, was die Wurzeln der sozi- Anfang an ko-evolutionär entwickelt haben, dass sie u.a. Otto-Brenner-Medienpreis alen, ökonomischen und ökologischen Krisen sind, die eng miteinander verflochten sind und ohne einander für kritischen Journalismus (2009). Programmkoordinator für wir derzeit erleben. Dazu bürsten Sie einen Großteil gar nicht existieren können. das Attac-Bankentribunal in der der modernen Geschichte gegen den Strich und kon- Der »freie Markt« etwa, der so gern von Wirtschafts- Volksbühne am Rosa-Luxemburg- Skulpturen Pawel Althamer: The Neighbors, Biennale, Venedig 2013 · Fotos Thomas Priebsch statieren dabei unter anderem, der Neoliberalismus sei liberalen beschworen wird, hat überhaupt nie existiert, Platz (2010). Als Dramaturg und gar nicht des Pudels wahrer Kern, sondern stelle nur selbst nicht in der Hochphase des Liberalismus im 19. Theaterautor arbeitete er viele »die jüngste Phase eines wesentlich älteren Systems, Jahrhundert: Unternehmen und Unternehmer waren Jahre für das Berliner Grips Theater. 2013 wurde seine Oper das von Anfang an, seit seiner Entstehung vor etwa von Anfang an auf einen starken militarisierten Staat »Tod eines Bankers« am Gerhart- Das Gespräch mit Fabian Scheidler ist zuerst erschienen auf nachdenkseiten.de 500 Jahren, auf Raubbau gründete« dar. Wie kamen angewiesen, um ihre Eigentumsansprüche auch durch- Hauptmann-Theater in Görlitz ur- Sie auf die Idee – und was meinen Sie, wenn sie von setzen zu können. Die »Ursprüngliche Akkumulation«, aufgeführt. »Megamaschine« sprechen? von der Marx schreibt, war stets damit verbunden, JENS WERNICKE fabian scheidler Wenn wir uns mit den globalen dass Menschen gewaltsam von ihrem Land vertrieben ist Medien- und Kulturwissen- Krisendynamiken beschäftigen, den Finanzkrisen, der wurden, dass Widerstand polizeilich und militärisch schaftler, Buchautor und freier Verschärfung der Kluft zwischen Arm und Reich und gebrochen wurde. Und die wirtschaftliche Expansion Journalist. Seine Interviews und der Biosphärenkrise, dann sprechen wir oft über die Europas war stets auch eine militärische. Die ersten Beiträge erscheinen u.a. auf nach- letzten dreißig Jahre, die Phase des »Neoliberalismus«. Aktiengesellschaften, die um 1600 gegründet wurden, denkseiten.de und Telepolis und auf seiner eigenen Website: Natürlich ist diese Phase von einem radikalen Angriff waren staatenähnliche Gebilde mit hochgerüsteten jensewernicke.wordpress.com auf soziale Rechte und die Umwelt geprägt, aber die Militärapparaten, eigenen Söldnerheeren und Flotten: Wurzeln der globalen Krisen reichen meines Erachtens Die 16 Prozent Dividende für die Aktionäre in Amster- wesentlich tiefer. Um diesen angemessen begegnen zu dam und London wurden von Anfang an mit Gewalt, Denn alles Große können, brauchen wir daher mehr als eine Rückkehr einschließlich diverser Völkermorde, erwirtschaftet. verfällt leicht, und das zu den vermeintlich glorreichen 1960er Jahren. Wir Umgekehrt hätte der moderne Staat – und in den ers- Schöne ist in der Tat brauchen eine Transformation, die die Tiefenstruktu- ten Jahrhunderten war dieser Staat vor allem eine schwer, wie man sagt. ren unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems er- Militärmaschinerie – niemals ohne das private Kapital Platon, Politeia fasst. entstehen können. Die Händler und Bankiers von Ge- In meinem Buch ging es mir darum, diesen Tiefen- nua, Augsburg und Antwerpen liehen Kaisern und Kö- strukturen auf die Spur zu kommen und herauszufin- nigen das Geld, um ihre Söldnerheere aufzubauen, mit den, was uns eigentlich davon abhält, den dringend denen nicht nur Kriege geführt, sondern auch Steuern notwendigen Wandel einzuleiten. Denn an Wissen eingetrieben wurden, die der Staat wiederum brauchte, Nº 41/15 7
Die globale Ordnung zerbricht Längst kritisieren auch bekannte Wirtschaftswissen- schaftler wie Joseph Stiglitz, ehemaliger Chefökonom der Weltbank, die ›Auswüchse‹ des Neoliberalismus und beklagen die wachsende soziale Ungleichheit als dessen unerwünschtes Nebenprodukt. Falsch, sagt David Harvey: Weshalb kommt diesen Leuten denn ›nie der Gedanke, dass die soziale Ungleichheit womöglich von Anfang an der Zweck der ganzen Übung war‹ ? Die neoliberale Wende, so Harvey, um seine Schulden zu bezahlen und noch mehr Sol- wurde in den 1970er-Jahren zu dem alleinigen Zweck daten anzuheuern. Im Gegenzug zu den Krediten wur- eingeleitet, die Klassenmacht einer gesellschaftlichen den den Händlern und Bankiers dann Monopole zuge- Elite wiederherzustellen, die befürchtete, dass ihre sprochen, die ihnen erlaubten, ungeheure Kapitalmen- Privilegien nachhaltig beschnitten werden könnten. gen zu akkumulieren, die unter den Bedingungen ech- ter Konkurrenz niemals möglich gewesen wären. David Harvey, Kleine Geschichte des Neoliberalismus Moderner Staat und Kapital sind also Teil eines Kreis- laufsystems, sie sind so etwas wie untrennbare Zwil- linge. Das sieht man auch heute daran, dass die meis- ten der 500 größten Unternehmen der Welt ohne ver- Der Clou dabei ist: Wenn die Presse einfach der deckte oder offene Subventionen gar nicht mehr exis- Logik des Marktes ausgeliefert wird, dann braucht es tieren würden – und zwar nicht nur die Großbanken, kaum noch offizielle Zensur, um das Spektrum der öf- Fabian Scheidler Das Ende der Megamaschine die ohne staatliche Rettungsmilliarden längst zusam- fentlichen Diskussion auf systemkompatible Positio- Geschichte einer scheiternden mengebrochen wären, sondern auch große Teile der nen einzuengen. Die Eigentümerstruktur, die Abhän- Zivilisation 272 Seiten, bebildert fossilen Energiewirtschaft, der Autobranche und viele gigkeit von Anzeigen, die Auswahl der Quellen und Promedia Verlag, Wien 2015 andere. der vorauseilende Gehorsam gegenüber mächtigen In- Und wenn wir die Destruktivität dieses Systems über- teressengruppen filtern unbequeme, nicht systemkon- Das Buch schöpft aus einer Viel- zahl von Quellen, von der Anthro- winden wollen, brauchen wir nicht nur andere wirt- forme Positionen effektiv heraus. Das können wir auch pologie und Geschichtswissen- schaftliche Institutionen und Logiken, wir brauchen heute in der deutschen Medienlandschaft an zahlrei- schaft über die Chaosforschung auch und vor allem eine Transformation des Staates chen Beispielen sehen, etwa an der verzerrten Bericht- bis zur Populärkultur. Es verän- sowie des politischen Systems, um beide aus ihren erstattung über Griechenland oder über die Ukraine- dert Sichtweisen, indem es Ver- Verflechtungen mit den großen Konzernen herauszu- Krise. bindungen quer durch Zeiten, Räume und Denktraditionen her- lösen. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass inzwischen fast stellt. Die Kenntnis der histori- brennstoff Sie haben auch die Medien erwähnt. Wel- der gesamte deutsche Zeitungsmarkt sechs Milliardärs- schen Zusammenhänge bildet die che Rolle spielen sie in diesem System? familien gehört, dann braucht man sich über die In- Grundlage dafür, neue Möglich- fabian scheidler Neben physischer Macht und struk- halte, die man liest – oder auch nicht liest –, kaum zu keiten für die notwendige zivili- tureller Gewalt – etwa durch Eigentumsverhältnisse wundern. Diese Pressemacht ist sehr wichtig, denn satorische Wende zu entdecken. Wer verstehen will, warum wir und Schulden – spielt ideologische Macht eine zentrale wenn die Menschen seriös über politische und ökono- menschheitsgeschichtlich in eine Rolle für das Funktionieren der Megamaschine. Denn mische Zusammenhänge informiert würden, könnten Sackgasse geraten sind und wie die Gewalt, ohne die das System nicht auskommt, die Eliten unter den Bedingungen einer formalen De- wir aus ihr wieder herauskommen braucht Legitimation. mokratie ihre Politik, die sich gegen Bevölkerungs- können, der kommt an Fabian In der Frühen Neuzeit erfüllte diese Funktion vor allem mehrheiten richtet, nicht mehr durchsetzen. Scheidlers »Das Ende der Mega- maschine« nicht vorbei. Wenn ein die staatliche und kirchliche Propaganda, die durch brennstoff Und diese »Maschine« funktioniert nun Buch das Prädikat »brennstoff« den Buchdruck ihre Reichweite noch erheblich erwei- nicht mehr richtig, sagen Sie ... Warum ist das so? verdient, dann dieses! tern konnte. In dem Maße, wie der Buchdruck aber bil- fabian scheidler Es gibt sowohl innere als auch liger wurde, sich sozusagen »demokratisierte« und re- äußere Grenzen für die globale Megamaschine. Die WEB-TIPP volutionäre Bewegungen die Repression herausforder- inneren Grenzen sind ökonomischer Art. Seit Mitte der counter-images.de ten, entstanden im späten 18. und frühen 19. Jahrhun- 1970er Jahre haben wir es mit einer strukturellen Krise dert zahlreiche kritische Zeitungen und Verlage. Es der Akkumulation zu tun. Damals, nach dem Boom Wenn die Medien einfach war die Zeit dessen, was Jürgen Habermas die »bürger- der Nachkriegszeit, gab es einen schweren Einbruch, der Logik des Marktes liche Öffentlichkeit« genannt hat. Im Laufe des 19. und Großbritannien etwa war praktisch bankrott, ebenso ausgeliefert werden, dann frühen 20. Jahrhunderts aber konzentrierte sich das die Stadt New York, es war eine schwere globale Re- braucht es kaum noch Medieneigentum dann zunehmend in Händen von zession. offizielle Zensur, um das immer weniger Magnaten, von Julius Reuter, dem Die Antwort darauf war dann das, was wir heute als Spektrum der öffentlichen Gründer der ersten Presseagentur, bis zu Alfred Harms- »Neoliberalismus« bezeichnen: radikale Umverteilung Diskussion auf system- worth, William Hearst – dem Vorbild von »Citizen von unten nach oben; Schwächung der Gewerkschaf- kompatible Positionen Kane« – und Alfred Hugenberg. Noam Chomsky und ten und Lohndrückerei; Verlagerung der Produktion einzuengen. Edward S. Herman haben diesen Prozess ausgiebig in in Billiglohnländer; Privatisierung öffentlicher Dienst- Fabian Scheidler ihrem Buch »Manufacturing Consent« analysiert. leistungen; Deregulierung und Ausweitung spekulati- 8 Nº 41/15
ver Aktivitäten. David Har- teure also ihre kurzfristigen Interessen verfolgen, desto vey nennt das »Akkumulation schneller untergraben sie die Grundlagen des Systems, durch Enteignung«. Das trifft es von dem sie selbst sich ernähren, sie sägen sozusagen ganz gut. am Ast, auf dem sie sitzen. WEB-TIPP All diese Mittel waren zwar effektiv, um für einzelne brennstoff Alles ist also nur ein wirtschaftliches KONTEXT TV Wirtschaftsakteure Profite zu sichern und zu steigern; Problem? DIE ANDEREN NACHRICHTEN Das von Fabian Scheidler mitge- auf das Gesamtsystem haben sie aber destabilisierend fabian scheidler Nein, es ist weit mehr. Denn neben gründete Kontext TV ist ein unab- gewirkt. Spekulation etwa lohnt sich für die Summe den inneren Grenzen stößt das System auch an äußere hängiges Nachrichtenmagazin, der Spekulanten nur, wenn irgendwer auch die Ver- Grenzen. Die »Megamaschine« zerstört die globalen das regelmäßig über Internet und luste trägt, die beim Platzen von Blasen entstehen. lebenserhaltenden Systeme der Biosphäre, von denen nicht-kommerzielle Radio- und Und aller neoliberalen Rhetorik von freien Märkten sie selbst auf lange Sicht abhängt, und zwar mit atem- TV-Stationen sendet und Hinter- grundinformationen zu drängen- und Risiko zum Trotz, war das von Anfang an die beraubender Geschwindigkeit. Das betrifft nicht nur den Gegenwarts- und Zukunfts- öffentliche Hand, die die Verluste schließlich über- das Klima, auf das sich die Kritik gern fokussiert. Wir themen wie Klimawandel, Krieg nahm und zwar nicht erst seit der Finanzkrise 2008, bewegen uns auch in eine Süßwasserkrise von globaler und Frieden, Finanzkrise, soziale sondern schon seit den 1980er Jahren, etwa in der Tragweite hinein, die im Westen der USA und in Nord- Gerechtigkeit und Migration großen »Savings and Loans Crisis« in den USA. Private china längst begonnen hat; wir verlieren ein Prozent liefert. Zu Wort kommen kritische Stimmen aus dem In- und Aus- Schulden werden so in öffentliche umgewandelt. Und unserer fruchtbaren Böden pro Jahr; wir haben bereits land, die in den Mainstream- Lohndrückerei hat zur Folge, dass die Kaufkraft der das schnellste und möglicherweise größte Artenster- medien zu wenig gehört werden. Bevölkerung mehr und mehr schwindet. Um weiter ben in der Geschichte des Lebens auf der Erde in Gang Kontext TV verzichtet bewusst auf konsumieren zu können, müssen sich die Bürger dann gesetzt. Diese Krisen wiederum lösen schwere soziale, Einnahmen aus Werbung und verschulden. Hier wie dort wächst also die Schulden- ökonomische und politische Verwerfungen aus. Die Sponsoring, um seine Unabhän- gigkeit zu wahren. Kontext TV last im System, um den Prozess der Akkumulation Kombination dieser verschiedenen Krisendynamiken wird getragen von Fördermitglie- noch irgendwie aufrecht zu erhalten. bringt eine chaotische Situation hervor, die jeder Idee dern im gemeinnützigen Verein von »global governance« Hohn spricht. Die »Megama- Kontext Medien e.V., Spenden Hinzu kommt ein anderer Prozess, der die schine« fährt so in Zeitlupe gegen die Wand, und ihre und ehrenamtlichen Tätigkeiten. www.kontext-tv.de vom neoliberalen Rollback geschaffenen Probleme wei- Steuermänner drehen planlos an verschiedenen Reglern, ter verschärft: Immer mehr Arbeit wird durch Technik mit denen sie am Ende alles nur schlimmer machen ersetzt, nicht nur in Industrie und Landwirtschaft, son- können. dern durch die Computerisierung auch in den Dienst- Eine umfassende Transformation ist daher unvermeid- Sachzwänge nicht leistungssektoren der Mittelschicht. Der Arbeitsgesell- bar, ob wir wollen oder nicht. Die Frage ist nicht, ob als Begründungen zu schaft geht, global gesehen, die Arbeit aus, das System sie kommt, sondern lediglich, wie sie aussehen wird: akzeptieren, sondern kann immer weniger Menschen eine Perspektive ge- Wird sie von reaktionären Kräften bestimmt, die ihre hinter ihnen die mensch- ben. Die Folge von dieser doppelten Dynamik ist, dass Macht und Privilegien mit allen Mitteln weiter auf- lichen Entscheidungen inzwischen immer mehr Regionen in Massenarbeits- recht zu erhalten versuchen, auch um den Preis von zu erkennen, ist die erste losigkeit versinken. Massenverelendung und eines ruinierten Planeten? Voraussetzung dafür, die Das einzige denkbare Gegenmittel gegen diesen Tsu- Oder können emanzipatorische Kräfte die Krisen und Ohnmacht zu überwinden. nami von Arbeitslosigkeit und Verschuldung würde Brüche nutzen, um neue Formen des Wirtschaftens Fabian Scheidler darin bestehen, gewaltige öffentliche Investitionen in und der politischen Organisation auf den Weg zu brin- Gang zu setzen, die durch eine massive Besteuerung gen? von Vermögen und Gewinnen aus Kapitalerträgen fi- Im Moment zeichnet sich da eher so etwas wie ein nanziert werden, und gleichzeitig radikale Arbeitszeit- reaktionärer »Coup d’Etat der Konzerne« ab: Mithilfe verkürzungen mit Lohnausgleich durchzusetzen. Aber von staatlichen und suprastaatlichen Akteuren wie der dagegen kämpfen die ökonomischen Eliten und ihre EU versuchen die ökonomischen Eliten ein neues politischen Helfer natürlich mit aller Kraft an – und Rechtssystem zu schaffen, um die Reste demokrati- verschärfen damit die systemische Krise immer mehr. scher Kontrolle auszuschalten und so eine Art neofeu- Und auch von den Nationalstaaten und ihren jeweili- dales Tributsystem zu errichten, das ihre Profite in gen politischen Klassen ist hier nicht viel zu erwarten, einer wankenden globalen Ökonomie sichern soll. da sie in der Logik einer sich zuspitzenden Standort- »Investitionsschutz«-Abkommen wie TTIP sind zum konkurrenz gefangen sind. Je erfolgreicher alle Ak- Beispiel ein Baustein in dieser Strategie. Die Ausschal- Nº 41/15 9
LOB DER DIALEKTIK AN WEM LIEGT ES, WENN DIE UNTERDRÜCKUNG BLEIBT ? AN UNS. AN WEM LIEGT ES, WENN SIE ZERBROCHEN WIRD ? EBENFALLS AN UNS. WER NIEDERGESCHLAGEN WIRD, DER ERHEBE SICH ! LOB DER DIALEKTIK WER VERLOREN AN WEM LIEGT ES, WENN IST, KÄMPFEBLEIBT DIE UNTERDRÜCKUNG ! ? AN UNS. AN WEM LIEGT ES, WENN SIE ZERBROCHEN WIRD ? EBENFALLS AN UNS. WER NIEDERGESCHLAGEN WIRD, DER ERHEBE SICH ! WER VERLOREN IST, KÄMPFE ! WER SEINE LAGE ERKANNT HAT, WIE SOLL DER AUFZUHALTEN SEIN ? WER DENNSEINE LAGE ERKANNT DIE BESIEGTEN HAT, WIE VON HEUTE SINDSOLL DIE DER AUFZUHALTEN SIEGER SEIN ? VON MORGEN, UND AUS NIEMALS WIRD: HEUTE NOCH ! BERTOLT BRECHT DENN DIE BESIEGTEN VON HEUTE SIND DIE SIEGER VON MORGEN, UND AUS NIEMALS WIRD: HEUTE NOCH ! BERTOLT BRECHT 10 Nº 41/15
Die globale Ordnung zerbricht tung der Demokratie sowie jeder makroökonomischen Geschichte«, der auf eine lange Verwüstungsspur zu- Die Qualität der anderen Vernunft im Erpressungsspiel gegen Griechenland ist rückblickt. Welten, die wir vielleicht ein anderes Beispiel. Hier sollen die Profite eines ei- Zugleich gab und gibt es aber auch massiven Wider- schaffen können, wird sich gentlich längst bankrotten Zombiebankensystems ge- stand, der sich gegen die Zumutungen des Systems zur nicht nur daran zeigen, ob rettet werden, indem ein ganzes Land ausgeblutet und Wehr setzt. Auch wenn es in 500 Jahren nicht gelun- sie ökologisch nachhaltig die Zukunft der EU aufs Spiel gesetzt wird. Immerhin gen ist, seine Logik zu überwinden – auch der Real- und sozial gerecht sind, gibt es aber auch Hoffnungsschimmer: sozialismus vermochte das ja nur sehr bedingt und um sondern auch daran, wel- Immer mehr Menschen wachen langsam auf und weh- einen sehr hohen Preis –, so haben diese sozialen Be- che Feste wir feiern und ren sich gegen diesen »Staatsstreich in Zeitlupe«, wie wegungen uns doch einen wichtigen Spielraum von welche Lieder wir singen. etwa der Widerstand gegen TTIP zeigt. Aber es sind Freiheiten verschafft, auf dem der Weg in eine umfas- Fabian Scheidler immer noch viel zu wenige. sende gesellschaftliche Transformation aufbauen kann. brennstoff Einen wichtigen Teil Ihres Denkgebäudes brennstoff Und die nächsten, ggf. ersten Schritte auf und Kritiksystems macht auch die Destruktion »zivili- diesem Weg, sollten, könnten Ihrer Auffassung nach satorischer Mythen« aus. Das erinnert ein wenig an welche genau sein? Was täte am dringendsten not? Walter Benjamins Geschichtsphilosophische Thesen fabian scheidler Überall auf der Welt sind längst und Brechts Fragen eines lesenden Arbeiters. Wurden Millionen Menschen dabei, Auswege aus der destruk- Sie hiervon inspiriert? Und: Um welche »Mythen« geht tiven Logik der endlosen Kapitalakkumulation zu es Ihnen dabei? suchen. Es geht darum, ökonomische Strukturen wie- fabian scheidler Sie haben zwei großartige, bewe- der in die Hand von Bürgerinnen und Bürgern zu brin- gende Texte angesprochen, von Brecht und von Ben- gen und die Logik des Profits durch eine Logik des jamin. Sie sind sehr wichtige Einsprüche gegen eine Gemeinwohls zu ersetzen. ideologisch verzerrte Geschichtsschreibung, die Ge- Die Energiewende von unten ist dafür ein gutes Bei- schichte als ein Ringen großer Männer beschreibt und spiel. Wenn Menschen dafür kämpfen, ihre Stromver- die Expansion des Westens als eine universale success sorgung den fossilen Riesen zu entreißen und sie in story von Fortschritt und Zivilisierung verkauft. eine kommunale Genossenschaft zu überführen, die mit In meinem Buch war es mir wichtig, Geschichte aus regionalen erneuerbaren Energien arbeitet, dann ist der Perspektive der Menschen zu erzählen, die unter das nicht nur ein Beitrag zum Ausstieg aus Atomkraft, dem System von Anfang an gelitten haben, die von Kohle und Öl, sondern auch eine Selbstermächtigung seinem Räderwerk erdrückt oder traumatisiert wurden. der Bürger, ein Akt echter Demokratie. Und es ist ein Historiker gehören ja in der Regel zu den wohlhabend- Beitrag zum Ausstieg aus der Logik endloser Geldver- sten 10 Prozent der Weltbevölkerung und neigen da- mehrung. So etwas brauchen wir auf allen Ebenen. Es her – bewusst oder unbewusst – dazu, Geschichte aus geht darum, uns zu fragen: Was brauchen wir für ein der Perspektive der Gewinner zu schreiben. gutes Leben? Und diese Dinge dann in gemeinwohl- Und aus dieser Perspektive – der Sicht der Herrschen- orientierten Strukturen bereitzustellen, ob das die Was- den und Privilegierten – lassen sich die letzten 500 ser- und Gesundheitsversorgung sind, Ernährung oder Jahre tatsächlich als ein großes Aufwärts erzählen. Für Wohnen, ja sogar das Geldsystem. Das bedeutet natür- die Millionen Indigenen in Nord-, Süd- und Mittel- lich auch, bisherige Macht- und Eigentumsverhältnisse amerika, die in der Conquista und nordamerikanischen herauszufordern. Das Charmante an einem solchen Kolonisierung ermordet wurden, oder für die durch dezentralen, pluralen Ansatz ist, dass die Bürgerinnen Sklavenhandel, Kolonialismus und moderne und Bürger selbst vor Ort praktisch aktiv werden kön- »Strukturanpassungen« zerstörten Gesell- nen, Erfolgserlebnisse haben und nicht auf eine abs- schaften Afrikas und Südostasiens trakte Revolution irgendwann in der Zukunft warten und für viele andere ergibt sich je- müssen. doch eine ganz andere Geschichte. Ein Ausstieg aus der »Megamaschine« ist machbar, so Und wenn man diese Menschen mit wie auch ein Atomausstieg machbar war. Das Ener- einbezieht, die Toten und die Lebenden, dann bricht giebeispiel zeigt aber auch, dass es einen langen Atem der Mythos von der heilbringenden zivilisatorischen braucht, der Atomausstieg hat immerhin 40 Jahre ge- Mission des Westens in sich zusammen, dann zeigt dauert. sich eher so etwas wie der Benjaminsche »Engel der brennstoff Ich bedanke mich für das Gespräch. Nº 41/15 11
All unser Wünschen und all unser Bemühen, unsere Intelligenz darauf zu verwenden, eine gesellschaftliche Fiktion durch eine andere zu ersetzen, wäre absurd, wenn nicht ein Verbrechen, weil es darauf hinaus liefe, Aufruhr in die Gesellschaft zu tragen, und das einzig allein mit dem Ziel, nichts zu verändern. Fernando Pessoa, Der Bankier 12 Nº 41/15
Anleitung zum weiter denken I ten dort ein Einfamilienhaus für uns und die Kinder. Bis 1995 brauchten wir, um Zimmer für Zimmer zu renovieren und um den Betrieb in die schwarzen Zah- len zu bringen. Die Schulden blieben. 2000 beantrag- ten wir dann bei der Bank einen zusätzlichen Kredit von 800.000 Euro für die Renovierung des Gasthofs MATHILDE STANGLMAYR und die Erweiterung der Pension. Wir dachten, wenn tritt im Gespräch mit Bankfach- leuten im System – Managern, wir vergrößern, können Touristenbusse kommen. Die Wirtschaftsprüfern, Noten- Bank lehnte ab. bankern ... – für Menschlichkeit Aber 2005 sagte die Bank von sich aus die Kreditver- ein. Ihre Stützpfeiler sind die dopplung zu, mit hohen Auflagen. Wir bauten um und Schriften von Mahatma Gandhi erweiterten. Aber unsere Einnahmen ließen sich nicht und das Interview mit Aung San Suu Kyi, die sagt: »Arbeit, steigern. Denn an der Umgehungsstraße finanzierte aktives Tun und Zivilcourage«. die Bank ein neues Hotel, die Touristenbusse kamen Noch krasser als der überschuldete Gasthof mit Pension in Öster- reich: Die spanischen Ruinas Modernas, finanziert und gebaut, nie- nicht zu uns; und es gab Baumängel. Wir waren ge- mals genutzt. Fotos aus dem Buch von Julia Schulz-Dornburg, Modern zwungen, das Einfamilienhaus zu verkaufen und Geld Ruins. A Topography of Profit. www.juliaschulzdornburg.com vom Bruder zu leihen, damit der Kredit nicht gekün- digt wird. Den Verkaufserlös und das Geld vom Bruder Diese Menschen sind wir. mussten wir als Sondertilgung einzahlen, weil wir das Was soll das heißen? Familienerbe nicht verlieren wollten. Dass das wir sind, ich, du, 1 Die Welt um uns ist Schließlich verloren wir es doch. 2010 versteigerte die das ganze Zentrum, wahr- unübersichtlich und unsicher Bank den Gasthof mit Pension. Sie kaufte selbst aus scheinlich die ganze Welt. Das Beste, was wir tun können, ist, was wir vor uns der Versteigerung an und übergab den Betrieb an an- José Saramago, Das Zentrum sehen und wovon wir etwas verstehen, zu Ende zu dere Wirtsleute. denken und dabei auf unsere innere Stimme zu hören. Mahatma Gandhi hat aufgrund seiner »Experimente Ruinas Modernas: finanziert und gebaut, niemals genutzt Foto Julia Schulz-Dornburg mit der Wahrheit«, wie er sie nannte, Erkenntnisse 3 Chronologie der Aushöhlung gewonnen. Er hat sie uns als Staatsbürger und Rechts- und Aufblähung anwalt gesagt, als Revolutionär und Führer, in erster Linie als Mensch. ( Dazu mehr in Teil II.) 1985 Gasthof mit Pension, 12 Zimmer 800.000 € Schulden Es ist schwer zu sagen, was Wahrheit ist. Ich habe diese Einfamilienhaus und Ersparnisse Frage für mich selbst gelöst. Sie ist das, was die innere Stimme in jedem von uns sagt. Mahatma Gandhi 2005 Renovierter Gasthof, 24 Zimmer 1.600.000 € Schulden Es ist an uns, es ihm gleich zu tun, ohne ihn zu kopie- Basel II mit Rating wird umgesetzt ren. So wie es in unserer unmittelbaren Umgebung an- gemessen ist, dort, wo wir etwas bewirken können. 2010 Wir beobachten, sehen, wissen und denken nach. Die kein Vermögen keine Schulden Stelle, an der unser System zuerst bricht, ist das Fi- nanzsystem. 2 Ella erzählt 4 Geschichten »Wir haben Haus und Hof verloren. Am Anfang hatten Anja ist 19 Jahre alt. Sie hat eine Lehrstelle beim Bä- die Schwiegereltern den Gasthof mit Pension im öster- cker in Landshut. Bei der Bank hat sie 1.000.000 Euro reichischen Skigebiet. Sie konnten nicht weiterma- Schulden. Die Großeltern und die Eltern haben die chen. Deshalb übernahmen wir den Familienbesitz Schulden über Jahrzehnte angehäuft und den Bauern- 1985, mit umgerechnet 800.000 Euro Schulden bei der hof der Bank verpfändet. 2001, als es gar nicht mehr Bank. Wir verkauften unser Hotel in Bayern und kauf- weitergeht, will die Bank Anja als neue Schuldnerin. Nº 40 /15 13
Anleitung zum weiter denken I Dann verkauft sie die Kreditforde- bank hat lieber einen neuen Pächter, denn am alten rung an eine Investmentbank. Pächter hängt die Vorgeschichte und der Wechsel bringt Alexander fährt nachts in Berlin Ta- ein besseres Kreditrating. xi. Seine Frau hat einen Anderen und die Kinder sind aus dem Haus. 6 Systemstadium Er ist Gymnasiallehrer. Taxi fährt er, Die objektive Tatsache, dass Ellas Familie den alten weil er einen Immobilienfonds mit zu Kredit kaum tilgen kann und den neuen Kredit ganz wenig Ertrag im Vergleich zu Zins gewiss nicht, hat nichts mit Konjunktur zu tun, son- und Tilgung zeichnete. Der ist zwar dern mit Struktur. Wenn es zu viele Gasthöfe mit Pen- schon abgewickelt, aber die Bank sion gibt, bezogen auf die Zahl der Gäste und ihre Fä- zwingt ihn und alle anderen Anleger higkeit, sie zu nutzen, können Zins und Tilgung für per Gerichtsbeschluss, den Restkredit den überhöhten Kredit nicht auf Dauer an die Bank zu tilgen. Dafür reicht sein gutes fließen. Und da das in diesem Systemstadium überall Lehrergehalt nicht aus. wo man hinschaut so ist, hilft es nichts, das Problem Ruinas Modernas Peter ist 65 Jahre alt. Er ist sehr krank und wohnt in mit neuer Überschuldung in die Zukunft zu verschie- einer Sozialwohnung in Nürnberg. Seine Bank über- ben. Es wird dadurch noch größer und unbeherrsch- redete ihn vor Jahren, ein verlassenes Industriegrund- barer. Das Systemstadium ist Selbstverstärkung, mehr stück für 2.000.000 Euro zu kaufen, um Wohnungen Kredit bewirkt mehr Aushöhlung. und Büros darauf zu bauen. Daraus wurde nichts. Zu- erst zahlt er Zins und Tilgung aus anderen Geschäften, Wenn wir es nicht verstehen, uns, unsere Frauen und dann verkauft er sein Vermögen und tilgt bei der Bank. unsere Kultstätten mit der Kraft des Leidens zu verteidi- Seine Frau verlässt ihn mit den zwei Kindern. Peter gen – das heißt durch Gewaltlosigkeit – dann müssen wir war ein erfolgreicher Bauträger. zumindest fähig sein, uns kämpfend zu verteidigen, es sei denn, wir sind Feiglinge und nicht Menschen. 5 Umverteilung Mahatma Gandhi Ellas Freundin fragt: »Warum vergeben diese Banken faule Kredite, die erwiesenermaßen nicht zurück be- 7 Brücke zahlt werden können? Wenn das Geld sowieso weg ist, Unser Denken ist viel zu sehr entweder in die Richtung warum durfte Ella nicht Wirtin bleiben? Kommt denn Kapitalismus oder in die Richtung Kommunismus an- von den neuen Wirtsleuten mehr Geld zurück zur Bank gepasst. Hinzu kommt die Forderung in beiden Denk- als von Ellas Familie?« richtungen, einfach mehr Geld in die Realwirtschaft Das Geld ist weg, ja, aber die Bank hat eine offene Kre- zu geben, in sinnvolle, ethisch und ökologisch ein- ditforderung, die sie eintreibt. Anton, der Banker von wandfreie Verwendungen. Das reicht nicht und geht Ellas Familie, weiß, die alten 800.000 Euro können nur an der Sache vorbei. Unser System ist im Stadium der mit vollem Einsatz der Familie verzinst werden. Er ver- Selbstverstärkung, einschließlich Realwirtschaft. Von doppelt den Kredit, weil er sich selbst und dem Bau- da aus müssen wir eine Brücke in die Zukunft bauen. unternehmer, der den Gasthof saniert und die neuen Zimmer baut, neues Geschäft verschafft. Den überhöh- 8 Willenskraft ten Kredit tilgt er teilweise mit dem Vermögen der Fa- Ich habe diese Überzeugung oft gelesen: In dem Au- milie, teilweise schreibt er ihn ab. Für den Ankauf aus genblick der Gefahr für eine ganze Kultur, ein ganzes der Versteigerung lässt er einen neuen Kredit entste- Land, einen ganzen Wirtschaftsraum, ist es entschei- hen. Den verkauft er an nicht beaufsichtigte Vehikel dend, dass wir umsichtig handeln, nach unseren inne- von Investmentbanken. Mit allem verdient er Geld und ren Überzeugungen. Mahatma Gandhi sagte: erhält seine Bankniederlassung und seine größeren Nicht weil es schwer Kunden, wie zum Beispiel den Bauunternehmer. Kraft beruht nicht auf einer physischen Fähigkeit, son- ist, wagen wir es nicht, Das darf er, rechtlich gesehen, ganz offiziell seit 2006. dern auf einem unbezähmbaren Willen. Deshalb kann sondern weil wir es nicht Natürlich ist es menschlich gesehen eine Aushöhlung eine kleine Gruppe fest entschlossener, mit unendlichem wagen, ist es schwer. von Ellas Familie. Aus seiner Sicht haben sie nichts Glauben an ihre Mission ausgestatteter Geister den Lauf Lucius Annaeus Seneca mehr, was sie zuschießen könnten. Die Investment- der Geschichte verändern. Mahatma Gandhi 14 Nº 41/15
Anleitung zum weiter denken II BEIDE – KAPITALISMUS und Kommu- freiheit. Wir müssen uns immer bewusst sein, dass wir Die Angst ist unser Feind. nismus – sind keine auf Dauer funkti- einmal an der Stelle eines reichen Mannes sein kön- Wir denken, es ist der onierenden Systeme. Sie wenden beide nen. Hinzu kommt: Ich habe nicht das Recht anzuneh- Hass, aber es ist die Angst. Gewalt an, um diejenigen Wahrheiten men, dass ich richtig liege und er falsch. Ich muss war- Mahatma Gandhi zu unterdrücken, die ihr Nicht-Funk- ten, bis ich ihn von meinem Standpunkt überzeugen tionieren enthüllen könnten. kann. Ich weiß, dass 75 % freiwillig gegeben besser Kapitalismus und Kommunismus haben Vorstellungen sind als 100 % mit dem Bajonette erzwungen. Gewalt- entwickelt, wie ein Wirtschaftssystem sein muss. Bis freiheit muss der gemeinsame Nenner zwischen uns heute überbieten sich ihre Vertreter gegenseitig, ein- sein.« ander die Schwächen aufzuzeigen. Bis heute funktio- niert die Steuerung von Angebot und Nachfrage nicht. 2 Bewusstsein Bis heute werden in beiden Systemen Menschen und »Ich bin kein Sozialist und ich will die nicht enteignen, Natur ausgebeutet. Die Preise spiegeln nicht die wah- die Vermögen haben. Ich würde sonst meine Regel des ren Kosten. Das Geld wird einfach geschöpft und um- Nicht-Verletzens (Ahimsa) verlassen. Wenn jemand verteilt. mehr besitzt als ich, lasse ich ihn. Aber so weit mein Mahatma Gandhi hatte eine Vorstellung, wie die Men- Leben geordnet werden muss, will ich es so halten, schen ein besseres Wirtschaftssystem verwirklichen dass ich nichts besitze, was ich nicht brauche. Ich sehe können. Er nannte das Konzept Treuhänderschaft. Die den Tag des Gesetzes der Armen kommen, ob durch Wende, die Konversion, soll ohne Gewalt erfolgen. Wer die Streitmacht von Armeen oder durch Gewaltfreiheit. arbeitet, soll sich seiner Macht bewusst sein und sie Lasst uns dessen bewusst sein, dass physische Gewalt einsetzen. Wer mehr hat, als er für sich braucht, soll so vergänglich ist, wie der Körper vergänglich ist. Aber es als Treuhänder zum Wohle aller einsetzen. die Macht des Bewusstseins ist ewig, genauso wie das Bewusstsein ewig ist.« 1 Gewaltfreiheit Der Gründer des Internationalen Zivildienstes, Pierre 3 Gerechtigkeit Ceresole, besucht 1935 Mahatma Gandhi, und fragt, »In Indien haben wir jetzt 3 Millionen Inder, die nur wie lange es denn braucht, bis man die Reichen besiegt eine Mahlzeit am Tag haben, und die besteht aus hat. »Das ist es, worin ich mit dem Kommunismus einem Chapati ohne Fett mit einer Prise Salz. Du und nicht übereinstimme«, sagte Gandhi. »Für mich ist die ich, wir haben nicht das Recht, irgendetwas überflüs- ultimative Überprüfung meines Handelns die Gewalt- siges zu haben, bis sie besser gekleidet und ernährt sind. Du und ich, wir sollten es besser wissen, müssen unsere Bedürfnisse anpassen und sogar bereit sein, freiwillig zu hungern, damit sie versorgt, genährt und gekleidet sein können.« 4 Treuhänderschaft »Denen, die den Weg der Gewaltfreiheit gehen wollen, sage ich: Nutze alle deine Möglichkeiten, um Geld zu verdienen. Aber versteh, der Reichtum ist nicht deiner, er gehört allen Menschen. Nimm, was du für deine legitimen Bedürfnisse brauchst und verwende den Rest für die Gemeinschaft. Diese Wahrhaftigkeit hat bisher noch niemand umgesetzt, aber, wenn die vermögen- den Klassen selbst in diesen Zeiten des Krieges nicht danach handeln, bleiben sie die Sklaven ihres Reich- tums und ihrer Leidenschaften und folgerichtig derer, die sie überwältigen.« Y Mahatma Gandhi Nº 41/15 15
Anleitung zum weiter denken II FLOH 5 Umsetzung 1942 sprechen Mahatma Gandhi und sein Sekretär, Pyrelal Nayyar, im Gefängnis in Poona aus- MARKT führlich über das Konzept der Treuhänderschaft. Gandhi: »Der einzige demokratische Weg, Treuhän- derschaft zu erreichen ist, die Meinung zu ihren Gunsten zu kultivieren.« Pyrelal: »Wenn die soziale Transformation durch einen langsamen allmählichen Prozess kommt, wird sie die revolutionäre Glut vernichten, die der plötzliche Bruch mit dem Bisherigen entfacht. Das ist es, warum unsere marxistischen Freunde sagen, die soziale Revolution kann nur durch die Diktatur des Proletariats kommen.« MÖBEL Gandhi: »Vielleicht denken Sie an Russland. Die vollständige Enteignung der vermögenden Klasse und die Verteilung der Vermögen unter den Menschen hat dort eine enorme revolutionäre Glut Haufenweise entfacht. Aber ich behaupte, unsere Revolution wird viel größer sein. Wir sollten den Geschäftssinn Flohmarktpreise und das Knowhow der vermögenden Klasse nicht unterschätzen, die sie in vielen Generationen durch Erfahrung und Spezialisierung erworben hat. Die freie Nutzung all dessen kommt nach mei- nem Plan den Menschen zugute. Solange wir keine Machtbefugnis haben, ist die Konversion, die Chaos Regale – 20 % Wandlung, zwangsweise unsere Waffe, aber wenn wir Machtbefugnis bekommen, ist die Konversion die Waffe, die wir wählen. Die Konversion muss der Gesetzgebung voraus gehen. Ein Gesetz ohne Konversion ist wie ein unzustellbarer Brief.« Fred & Frieda – 20 % Pyrelal: »Sie sagen, die Konversion muss der Reform voraus gehen. Die Konversion von wem? Wenn Sie die Konversion der einfachen Menschen meinen, sie sind schon heute bereit. Wenn Sie andererseits die vermögende Klasse meinen, kann es sein, dass wir bis zum Ende des griechischen Orient Express – 15 % Kalenders warten.« Mahatma Gandhi: »Ich meine die Konversion von Beiden.« Top 77 – 25 % 6 Macht Pyrelal: »Unsere sozialistischen Freunde sagen, sie können nicht erkennen, wie die Menschen durch Gewaltfreiheit die Macht ergreifen können.« BlackBird – 15 % Mahatma Gandhi: »Auf eine bestimmte Weise haben sie recht. Nach ihrer wahren Natur kann Gewaltfreiheit weder Macht ergreifen noch ist das ihr Ziel. Aber Gewaltfreiheit kann mehr. Sie kann Macht effektiv kontrollieren und leiten, ohne den Regierungsapparat an sich zu ziehen. Das bzw. – 30 % beim Kauf ist ja das Schöne. Gewaltfreiheit ergreift keine Macht. Sie strebt nicht einmal nach Macht. Macht von BB + Matratze kommt ihr zu.« 7 Arbeit Schatz /Schätzchen »Was es braucht, ist ein vollständiges soziales Erwachen, um anzufangen. Der Rest wird folgen. Ich – 15 % habe der arbeitenden Klasse die Wahrheit dargelegt: Das wahre Kapital ist nicht Silber oder Gold, sondern die Arbeit ihrer Hände und Füße und ihre Intelligenz. Wenn einmal die Arbeiterschaft dieses Bewusstsein entwickelt, braucht es meine Anwesenheit nicht, um die Macht zu nutzen, die Diverse Restposten dadurch freigesetzt wird. Wenn wir nur den Menschen ihre Macht bewusst machen könnten – die Macht der gewaltfreien Nicht-Kooperation – dann würde die Realisierung des Ideals der Treu- – 50 % händerschaft folgen wie der Morgen auf die Nacht folgt. KOMMT 8 Wahrheit 20% ALLE! 50% VON BIS MINU S Mahatma Gandhi war überzeugt davon, alles gehört Gott und kommt von Gott. Deshalb ist alles S MINU für seine Menschen als Ganzes, nicht für einzelne Individuen. Wenn Einzelne mehr haben als ihren Anteil, werden sie zu Treuhändern dieses Anteils für Gottes Menschen. Er schrieb 1947: »Gott, der allmächtig ist, muss keine Vorräte anlegen. Er erschafft von Tag zu Tag; deshalb sollen auch die Menschen theoretisch von Tag zu Tag leben und keine Vorräte lagern. Wenn diese Wahrheit von den Menschen allgemein verinnerlicht wird, wird sie eine gesetzmäßige Institution. Dann wird 31 * IN ÖSTERREICH 17 * IN DEUTSCHLAND es für die Vermögenden keine Ausbeutung und kein Lagern mehr geben.« 1 * IN DER SCHWEIZ Übersetzt, ausgewählt und kommentiert von Mathilde Stanglmayr, Berlin ADRESSEN AUF DER RÜCKSEITE WWW.GEA.AT 16 Nº 41/15
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