FLEISCHATLAS NEUE THEMEN - Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel - Heinrich-Böll-Stiftung
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IMPRESSUM Der FLEISCHATLAS 2014 ist ein Kooperationsprojekt von Heinrich-Böll-Stiftung, Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland und Le Monde diplomatique. Inhaltliche Leitung: Christine Chemnitz Reinhild Benning Projektmanagement: Dietmar Bartz Art Direktion und Herstellung: Ellen Stockmar Übersetzungen: Bettina von Arps-Aubert Textchefin: Elisabeth Schmidt-Landenberger Dokumentation und Schlussredaktion: Bernd Cornely, Stefan Mahlke Mit Originalbeiträgen von Michael Álvarez Kalverkamp, Wolfgang Bayer, Reinhild Benning, Stephan Börnecke, Christine Chemnitz, Karen Hansen-Kuhn, Patrick Holden, Ursula Hudson, Annette Jensen, Evelyn Mathias, Heike Moldenhauer, Carlo Petrini, Tobias Reichert, Marcel Sebastian, Shefali Sharma, Ann Waters-Bayer, Kathy Jo Wetter, Sascha Zastiral V. i. S. d. P.: Annette Maennel, Heinrich-Böll-Stiftung 6. Auflage, Oktober 2015 Der Beitrag auf Seite 44/45 erschien zuerst im „Fleischatlas Extra: Abfall und Verschwendung“, November 2014 Produktionsplanung: Norman Nieß, taz Verlags- und Vertriebs GmbH Druck: Phoenix Print GmbH, Würzburg Klimaneutral gedruckt auf 100 % Recyclingpapier (Innenteil) und 60 % Recyclingpapier (Umschlag). Dieses Werk steht unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland“ (CC BY-SA 3.0 DE). Der Text der Lizenz ist unter http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode abrufbar. Eine Zusammenfassung (kein Ersatz) ist unter http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/ nachzulesen. Bestell- und Download-Adressen Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstr. 8, 10117 Berlin, www.boell.de/fleischatlas Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland/Versand, Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin, www.bund.net
fleischatlas Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel 6. Auflage 2015
Inhalt 2 IMPRESSUM 6 VORWORTE 50 Über uns 8 ELF KURZE LEKTIONEN 18 In DEN SCHLACHTHÖFEN DER WELT Das Töten von Tieren zur Herstellung von 10 UNERSÄTTLICHER WELTMARKT Nahrungsmitteln ist hoch industrialisiert. In Asien findet im Schnelldurchgang ein Die Schlachthöfe der globalen Wandel statt, den die Industrieländer Konzerne verfügen über unvorstellbare längst hinter sich haben: Die Mittelschichten Kapazitäten und liegen fern der Städte – lösen eine Nachfrage aus, die mit Konsumenten sehen keine Verbindung dem Einsatz von Kapital und Technik bedient mehr zwischen einem lebenden wird. Doch für Rinder ist jetzt weniger Tier und einem eingeschweißten Filet. Platz als für Schweine und Hühner – vor allem aber boomen indische Büffel. 20 Deutsches DUMPING-SchlaCHTEN Großbetriebe dominieren auch in 12 KONZENTRATION – DIE ZUKUNFT Deutschland die Schlachthofbranche. DER GLOBALISIERTEN INDUSTRIE Billiglöhne für die Leiharbeiter Größenvorteile senken die Erzeugerpreise aus dem Osten der EU begünstigen weitere und steigern den Umsatz. Mit Zukäufen Investitionen der Konzerne. Doch von Unternehmen stoßen die weltweit gegen noch mehr Mast- und Schlachtanlagen aktiven Fleischkonzerne unter die Größten regt sich Widerstand. der Lebenmittelbranche vor. Jetzt schlägt die Stunde der Banken, die auf 22 TIERGENETIK: EINE HANDVOLL Rohstoffmärkten spekulieren, Kredite ARTEN FÜR DIE GANZE WELT anbieten und weitere Fusionen planen. Das Zuchtmaterial für die meisten Tiere in der industriellen Landwirtschaft 14 FreihÄndler WITTERN stammt von einigen wenigen Firmen. Sie MORGENLUFT dominieren auch die Erforschung USA und EU verhandeln über ein neues neuer Hochleistungsrassen. Dabei macht die Handelsabkommen. Die Wunschliste zurückgehende genetische Vielfalt der Industriekonzerne ist lang. Amerikaner die Nutztiere anfälliger für Schädlinge, möchten europäische Schutzvorschriften Krankheiten und Wetterextreme. gegen Hormone, Antibiotika und Genmanipulationen aushebeln, Europas 24 HORMONE – DER KAMPF UM DAS NEIN Fleischkonzerne hingegen endlich wieder Hormonfleisch und -milch sollen in Europa Rindfleisch über den Atlanik verkaufen. wieder zugelassen werden – darum bemühen sich die USA seit mehr als 25 Jahren. 16 Rosarot im Kühlregal Dabei sind in der EU nur Wachstums-, nicht Supermärkte mit Kühltruhen und aber Sexualhormone verboten. Fast-Food-Ketten mit Qualitätsversprechen verändern das Einkaufen in den 26 TIERFUTTER VERGEUDET ACKERLAND Städten der Boomländer. Die Städte wachsen 70 Prozent aller agrarischen Nutzflächen so schnell, dass kleine Läden die werden heute in irgendeiner Weise Menschen nicht mehr versorgen können. für die Tierfütterung beansprucht. Dabei Diese Aufgabe übernehmen wären sie effizienter für die Produktion kapitalstarke Lebensmittelketten. menschlicher Nahrungsmittel zu verwenden. 4 FLEISCHATLAS 2014
28 SCHNITZEL, WÜRSTCHEN, 38 URBANE TIERHALTUNG GLYPHOSAT Tiere in der Stadt – für viele ein Was essen die Tiere, die wir essen? Wenn Widerspruch in sich. Gehören sie nicht aufs Fleisch, Milch und Eier Rückstände von Land, jenseits von Lärm, Gestank und Pestiziden, Herbiziden oder Medikamenten Luftverschmutzung? Und doch sind gerade enthalten, nehmen wir diese Stoffe sie für viele ärmere Stadtbewohner womöglich auch zu uns. Zwar schützen eine wichtige Lebensgrundlage, denn Gesetze vor den gefährlichsten Substanzen, sie liefern preiswertere Nahrung aber sie bieten auch Schlupflöcher als ihre Artgenossen auf dem Lande. und ermöglichen Grauzonen, wie das Beispiel Glyphosat zeigt. 40 Protein aus Gras und Gestrüpp Nomaden halten ihr Vieh auf Land, das 30 Argentinien, das Soja-Reich für Nutzpflanzen ungeeignet ist. Sie Die globale Nachfrage nach Tierfutter hat produzieren große Mengen Nahrungsmittel einen neuen Typ Farmer hervorgebracht und tragen zum Schutz der Natur und der Regierung in Buenos Aires bei. Aber sie erhalten zu wenig politische enorme Steuereinnahmen verschafft. Der und rechtliche Unterstützung. Strukturwandel in der Landwirtschaft Existenziell bedrohlich sind die hat soziale, ökologische und gesundheitliche Beschränkungen ihrer Wanderwirtschaft. Auswirkungen, die in der argentinischen Öffentlichkeit kaum diskutiert werden. 42 gute Lebensmittel GESUCHT Bewusste Verbraucher in der reichen 32 HÜHNER – WELTWEITER Welt erwarten Fleisch von hoher Qualität STEIGFLUG IN DIE FABRIK aus umweltfreundlicher, artgerechter In den Industrieländern, wo die Produktion. Als bewusste Akteure Geflügelproduktion hoch industrialisiert im Nahrungsmittelsystem können sie auch ist, wird mittlerweile mehr Hühner- „solidarische Landwirtschaft“ treiben. als Rindfleisch konsumiert. In Asien wird sich die Nachfrage vervielfachen. 44 Die groSSe Vergeudung Hier endet die Zeit der Kleinproduzenten, Nur knapp die Hälfte eines zur Händler auf Fahrrädern und Schlachtung vorgesehenen Lebendvogelmärkte. Tieres landet als Fleisch und Wurst bei den Konsumentinnen 20 Themen 34 DIE Zweifel DER REICHEN und Konsumenten. Und In den Industrieländern scheint der selbst bei ihnen wird noch viel und 60 Grafiken Höhepunkt des Fleischbooms vorbei zu sein. weggeworfen. über die Folgen Skandale haben die Konsumenten der industriellen verunsichert, Informationen über die Folgen 46 EINE SINNVOLLE Tierhaltung der Massentierhaltung sind weithin EU-Agrar-politik zugänglich. Aber Biofleisch bleibt für viele Jahrzehntelang hat die Gemeinsame Menschen zu teuer, und neue Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Gütesiegel verwirren die Interessenten. Union die landwirtschaftliche Produktion verzerrt. Zu langsam wird sie 36 DIE NEUE HUNGRIGE MITTELKLASSE umweltbewusster. Aber es ist auch eine – VON RIO BIS SCHANGHAI GAP vorstellbar, die aktiv für eine Brasilien, Russland, Indien, China und sozial und ökologisch vertretbare Südafrika – woher die Tiere und ihr Viehwirtschaft eintritt. Futter kommen sollen, um den künftigen Fleischkonsum in den fünf „Brics“-Ländern 48 Autoren uND QUELLEN VON zu decken, weiß heute noch niemand. TEXTEN, KARTEN unD DATEN FLEISCHATLAS 2014 5
VORWORTE F ragen Sie sich auch manchmal, Anbau von Futtermitteln in den woher die Steaks, Würstchen Entwicklungsländern für den oder Burger kommen, die Fleischkonsum der reichen Staaten Sie gelegentlich verspeisen? Und selbst immer weiter ausdehnen? wenn Sie es wüssten, könnten Sie Globalisierte Agrarkonzerne auf dann sagen, unter welchen Umständen der Jagd nach Anbauflächen und mit welchen Folgen das Fleisch tragen dazu bei, dass Bauern von für Ihre Mahlzeit produziert wurde? ihrem Land vertrieben werden Nein? Das verwundert nicht, denn und so die Grundlage ihrer darüber steht auch nichts auf den Ernährungssicherheit verlieren. Verpackungen von Wurst und Fleisch W in den Supermärkten. ie soll außerdem das weltweit vereinbarte Ziel Woher also sollen durchschnittlich erreicht werden, den informierte Konsumentinnen Verlust der biologischen Vielfalt und Konsumenten wissen, dass ihr bis zum Jahr 2020 zu bremsen? Die Fleischkonsum Auswirkungen agrarindustrielle Bewirtschaftung rund um den Globus hat? Wer weiß verwandelt immer mehr artenreiche schon, dass die massenhafte Wiesen in Mais- oder Soja- und global organisierte Monokulturen. Und die Gülle aus Fleischproduktion für die Abholzung der Massentierhaltung trägt immer des Amazonas-Regenwalds weiter zur Überdüngung bei unmittelbar verantwortlich ist? und ist eine der Hauptursachen des Wer kennt die Auswirkungen Artensterbens. unserer Agrarexporte auf Armut und Hunger in Ländern wie Kamerun Die großen Agrarkonzerne oder Ghana, auf Vertreibung versuchen, die negativen Auswirkungen und Migration, auf Klimawandel und der Fleischproduktion unter Artenvielfalt? den Teppich zu kehren. Ihre Werbe- versprechen suggerieren den Und wie kann das Menschenrecht Konsumenten das Bild einer auf Nahrung, dem sich fast alle Länder heimatverbundenen und intakten der Welt verpflichtet haben, bäuerlichen Tierhaltung – die Leiden überhaupt umgesetzt werden, der Tiere, ökologische Schäden wenn sich die Flächen für den oder sozial negative Auswirkungen Die Fleisch- Industrie will die negativen Seiten ihrer Produktion verbergen 6 FLEISCHATLAS 2014
werden hingegen verheimlicht. für eine ökologische, soziale Die Heinrich-Böll-Stiftung hat vor und ethisch vertretbare Soll „Konsum einem Jahr zusammen mit dem Landwirtschaft. Deshalb ist es der in Verantwortung“ Bund für Umwelt und Naturschutz Heinrich-Böll-Stiftung und funktionieren, Deutschland (BUND) und dem BUND so wichtig, über die benötigt er viel Le Monde diplomatique einen negativen Auswirkungen Information „Fleischatlas“ mit Daten und der Fleischproduktion zu informieren Fakten veröffentlicht, der die globalen und Alternativen aufzuzeigen. Zusammenhänge der Fleisch- erzeugung durchleuchtete. Jetzt, Jede und jeder soll selbst entscheiden Anfang 2014, veröffentlichen wir können, was sie oder er essen eine Fortsetzung, die erneut möchte. „Konsum in Verantwortung“ hinter die Kulissen der Schlachthöfe wird von immer mehr Menschen und der Fleischindustrie blickt. gefordert. Dafür benötigen sie umfangreiche Informationen. D er Einsatz von Hormonen, die Wir hoffen, dass wir mit diesem Rolle der Fast-Food-Ketten, „Fleischatlas 2014“ einen Beitrag aber auch die neuen Fleisch- dazu leisten. großkonsumenten wie China und Indien nehmen wir unter die Lupe. Barbara Unmüßig Hubert Weiger Und wir stellen die Frage, welche Heinrich-Böll-Stiftung Bund für Umwelt und Auswirkungen das aktuell diskutierte Naturschutz Deutschland „Freihandelsabkommen“ zwischen den USA und der EU für die Bauern, ihre Produkte und ihre Tiere hat. Weltweit haben es die Verbraucherinnen und Verbraucher I satt, von der Agrarindustrie ch will mir mein saftiges Steak für dumm verkauft zu werden. nicht madig machen lassen! Anstatt – wie in der EU und den USA Die Lebensmittelkonzerne diktieren üblich – die Massentierhaltung doch sowieso die internationale mit öffentlichen Geldern zu Agrarpolitik! – Mit derartigen Aussagen fördern, verlangen sie vernünftige schleichen wir uns aus der politische Rahmenbedingungen Verantwortung und rechtfertigen den gleichgültigen Konsum von Tieren. Aber das Unbehagen bleibt. Wir wollen es genauer wissen, informieren uns, lesen kritische Zeitungsartikel, erkennen Zusammenhänge und engagieren uns – weil wir etwas verändern wollen. Barbara Bauer Le Monde diplomatique FLEISCHATLAS 2014 7
ELF KURZE LEKTIONEN ÜBER FLEISCH UND DIE WELT Ernährung ist nicht 1 nur Privatsache. Sie hat ganz konkrete Auswirkungen auf das Leben der Menschen in allen Ländern, an die wir häufig nicht denken, wenn wir ein Stück Fleisch essen. Auf die Umwelt, die biologische Vielfalt und das Klima. Auch bei uns. Wasser, Wald, Landnutzung, Klima und Biodiversität: 2 DIE UMWELT LIESSE SICH DURCH EINEN GERINGEREN FLEISCHKONSUM UND EINE ANDERE ART DER Produktion leicht schützen. Die globale Mittelschicht isst zu viel Fleisch. 3 NICHT NUR IN AMERIKA UND EUROPA, SONDERN ZUNEHMEND 4 AUCH IN CHINA, INDIEN und anderen Boomländern. Hoher Fleischkonsum führt zu einer Industrialisierten Landwirtschaft. Nur einige wenige internationale 5 Konzerne profitieren von ihr und bauen Der Konsum verändert sich. Vor allem ihre Marktmacht STÄDTER Essen immer mehr immer weiter aus. Fleisch. Bevölkerungswachstum spielt dabei eine untergeordnete Rolle. 8 FLEISCHATLAS 2014
Kein landwirtschaftlicher Teilbereich ist so stark international verflochten, produziert so massenhaft und wächst gleichzeitig so stark wie die Geflügelproduktion – SEHR ZUM LEIDWESEN 7 Intensive Fleischproduktion DER TIERE, DER KLEINEN kann krank machen – nicht nur PRODUZENTEN UND DER durch den Gebrauch von Antibiotika und Hormonen, sondern auch UmwelT. durch den exzessiven Einsatz von Pflanzen- 6 schutzmitteln in der Futterproduktion. Urbane und bäuerliche Tierhaltung könnenARMUT LINDERN, FÜR 8 GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT UND EINE GESUNDE ERNÄHRUNG 9 sorgen – nicht nur im globalen Süden. Fleischkonsum muss kein Klima- und Umweltkiller sein. Im Gegenteil. Wenn Tiere auf Weiden artgerecht und in passender Zahl gehalten werden, kann das sogar vorteilhaft 10 für Klima und Umwelt sein. Alternativen gibt es: Viele zertifizierte Produktionen des 11 ökologischen Landbaus zeigen, WIE EINE Wandel ist möglich. ANDERE FLEISCHPRODUKTION Entgegen der Behauptung, dass AUSSEHEN KÖNNTE, die die Umwelt sich die Gewohnheiten beim und die menschliche Gesundheit schützt Fleischkonsum nicht ändern werden, und annehmbare Lebensbedingungen gibt es inzwischen viele Menschen, für Tiere garantiert. die es nicht als Verzicht empfinden, kein oder wenig Fleisch zu essen, und die eine gesunde Ernährung und einen verantwortungsvollen Konsum als modernen Lebensstil empfinden. FLEISCHATLAS 2014 9
UNERSÄTTLICHER WELTMARKT In Asien findet im Schnelldurchgang ein Wandel statt, den die Industrieländer längst hinter sich haben: Die Mittelschichten lösen eine Nachfrage aus, die mit dem Einsatz von Kapital und Technik bedient wird. Für Rinder ist jetzt weniger Platz als für Schweine und Hühner – vor allem aber boomen indische Büffel. D ie weltweite Nachfrage nach Fleisch steigt Raum gehalten werden. Damit befriedigen sie die in den Regionen der Welt ganz unterschied- unersättliche Nachfrage nach billigem Fleisch. lich. In Europa und den USA, den traditio- Bis 2022 wird fast die Hälfte des zusätzlich konsu- nell großen Fleischproduzenten des 20. Jahrhun- mierten Fleischs Geflügel sein. derts, nimmt der Konsum nur noch langsam zu Die Produktion von Rindfleisch hingegen oder stagniert sogar. Auf die zumeist asiatischen wächst kaum. Die USA bleiben mit 11 Millionen Boomländer werden hingegen bis 2022 rund Tonnen der größte Rindfleischproduzent der 80 Prozent des Wachstums im Fleischsektor ent- Welt. Dennoch beschreibt die Fleischindustrie die fallen. Das größte Wachstum wird aufgrund der Lage als dramatisch schlecht. Für 2013 rechnet sie immensen Nachfrage der neuen Mittelschichten mit einem Rückgang von 4 bis 6 Prozent im Ver- in China und Indien stattfinden. gleich zum Vorjahr und sieht diesen Trend auch In China werden heute noch mehr als 50 Pro- im Jahr 2014. In anderen traditionellen Erzeuger- Exportieren zent der Schweine in kleinbäuerlichen Betrieben regionen – Brasilien, Kanada, Europa – stagniert produziert. Das wird ohne Gegensteuern nicht oder sinkt die Produktion. kann nur, wer die mehr lange so bleiben. Die gleichen technik- Das Land der Stunde hingegen ist Indien – dank Qualitätsansprüche und kapitalintensiven Prozesse, die die Tier- der Produktion von Büffelfleisch. Dessen Wachs- der Abnehmerländer produktion des Nordens dominieren, wachsen tum hat sich zwischen 2010 und 2013 fast verdop- erfüllt in die lukrativen Märkte des Südens hinein, zu- pelt, und Indien drängt damit auf den Weltmarkt: gleich integriert in globale Wertschöpfungsket- 25 Prozent des dort gehandelten Rindfleisches ten. Dies bedeutet, dass bald auch in den Boom- stammt inzwischen vom Subkontinent. Seit 2012 ländern, wenn ein Ferkel geboren wird, schon ist Indien – knapp vor Brasilien – der größte Expor- feststeht, in welcher Stadt und in welchem Super- teur von Rindfleisch, wenn man Büffel darunter markt mit welcher Werbung sechs Monate später mitversteht. Büffel sind kostengünstig zu halten, die Filets zu kaufen sein werden. weshalb der Kilopreis in der Erzeugung um mehr Dabei sind die Rahmenbedingungen der Pro- als einen Dollar unter dem von Rindfleisch liegt. duktion heute grundlegend anders als früher. Zudem hat die indische Regierung viel Geld in Die industrielle Tierhaltung in Europa und den Schlachthäuser investiert. Hinzu kommen die USA hatte sich noch mit geringen Futterpreisen, hohen Preise für Futtermittel; deren Erlöse lassen niedrigen Energiekosten und billigem Land eta- brasilianische Farmer von Rinder- auf Sojaproduk- bliert. Heute sind Agrarflächen, Futter und Ener- tion umsteigen. So werden, wenn auch noch auf gie knapp und die Kosten hoch. Daher steigt die niedrigem Niveau, Marktanteile frei, die die indi- Gesamtproduktion von Fleisch weniger stark als schen Exporteure übernehmen. noch in den letzten Dekaden. Nur bei Schweinen In Afrika wird ebenfalls mehr Fleisch geges- und Geflügel wächst der Markt. Beide Tierarten sen, wenn auch weder die Nachfrage noch das An- verwerten das Futter gut und können auf engem gebot so wächst wie in anderen Teilen der Welt. Produktion Handel Handel Verbrauch Weltweit, Prognose für 2013, Weltweit, Prognose für 2013, Weltweit, Prognose für 2013, Weltweit, pro Kopf, Prognose FAO FAO FAO FAO in Millionen Tonnen in Millionen Tonnen in Prozent 2013, Kilogramm/Jahr 13,8 0,9 9,9 68,1 8,6 7,2 33,3 114,2 308,2 30,2 100 43,1 106,4 13,3 9,.1 79,3 Rind, Kalb Schwein andere Rind, Kalb Schwein andere Verbrauch im Inland entwickelte Länder weltweit Geflügel Schaf, Ziege Geflügel Schaf, Ziege Export Entwicklungsländer 10 FLEISCHATLAS 2014
Globale Fleischproduktion FAO 50,4 23,0 3,2 2,5 17,1 19,2 2,1 12,4 0,6 1,7 11,4 0,9 0,2 6,5 1,4 8,1 0,4 1,4 1,2 Russland 4,1 1,3 10,2 Ukraine 0,5 1,0 Kanada 1,6 1,7 1,0 0,1 EU 0,5 13,1 0,2 0,3 0,4 Japan 0,3 USA 0,7 9,7 0,3 Türkei Iran 2,9 2,9 Südkorea 0,1 0,2 China 0,8 0,5 0,3 3,3 Algerien 0,9 2,8 1,8 0,7 0,1 Saudi-Arabien 1,7 Indien Ägypten 1,5 0,7 1,5 0,8 1,2 0,2 0,5 0,1 0,1 0,5 Pakistan Malaysia Indonesien Mexiko 0,2 0,1 0,2 0,2 Brasilien 0,3 Bangladesch 2,1 1,0 0,9 1,5 0,3 2,6 0,2 0,6 0,6 0,5 Rind, Kalb 0,5 Südafrika Australien 1,8 Schwein 0,2 Uruguay Geflügel 0,3 0,6 0,5 Chile Millionen Tonnen, Durchschnitt 2010- Schaf, Ziege 0,1 0,2 2012, Angaben für 2012 sind geschätzt Argentinien Neuseeland Vielerorts hat in den letzten zehn Jahren die Pro- inzwischen von den Entwicklungs- und Schwel- duktion angezogen, überproportional in bevöl- lenländern bestimmt. Noch geht nur ein Zehntel kerungsreichen Ländern wie Südafrika, Ägypten, des Fleisches in den Handel. Denn exportieren Nigeria, Marokko und Äthiopien. Pro Kopf liegt kann nur, wer den Qualitätsansprüchen in den der Kontinent mit 20 Kilogramm im Jahr unter Abnehmerländern entspricht und dies auch nach- dem weltweiten Durchschnitt. Zugenommen hat weisen kann. Die Angst vor Tierkrankheiten wie der Import von preiswerten Geflügelteilen, oft auf BSE, Maul- und Klauenseuche oder Vogelgrippe Kosten heimischer Erzeuger. ist groß. Der zeitweilige Zusammenbruch der Ge- Der internationale Fleischhandel nimmt flügelmärkte in Südostasien und der vollständige schnell zu, allein in den letzten zehn Jahren um Kollaps der britischen Rindfleischexporte haben 40 Prozent. Heute dominieren noch die Industrie- gezeigt, wie internationale Handelsströme inner- länder den Weltmarkt, doch sein Wachstum wird halb kürzester Zeit versiegen können. Kleinere Tiere, größere Mengen Stabile Preise nur ohne Spekulanten Trends der Fleischerzeugung, in Millionen Tonnen Reale Fleischpreise, 2005–2021, Dollar pro Tonne OECD/FAO OECD/FAO Rind, Kalb Schwein Rind, Kalb Schwein Geflügel Schaf, Ziege Geflügel Schaf, Ziege 140 5000 120 4000 100 80 3000 60 2000 40 1000 20 0 0 1995 1999 2003 2007 2011 2015 2019 2021 1991 1996 2001 2006 2011 2016 2021 FLEISCHATLAS 2014 11
KONZENTRATION – DIE ZUKUNFT DER GLOBALISIERTEN INDUSTRIE Die Größenvorteile der Fleischkonzerne senken die Erzeugerpreise und steigern ihre Marktmacht. Mit Zukäufen von Unternehmen stoßen sie unter die Größten der Lebenmittelbranche vor. Jetzt schlägt die Stunde der Banken, die auf Rohstoffmärkten spekulieren, Kredite anbieten und weitere Fusionen planen. I m September 2013 erwarb Shuanghui Inter- Schweine und 12 Millionen Vögel – und zwar täg- national Holdings, Hauptaktionär von Chinas lich. Sobald das Fleisch vom Knochen getrennt ist, größtem Fleischverarbeiter, den weltgrößten wird es in 150 Länder ausgeliefert. Schweinefleischproduzenten: das US-amerika- Da die Gewinnmargen in der Fleischindustrie nische Unternehmen Smithfield Foods. Der Ge- gering sind, jagen die Unternehmen Größenvor- samtpreis der Übernahme lag bei 7,1 Milliarden teilen hinterher: Sie versuchen die Produktion Dollar, darunter 2,4 Milliarden Dollar Schulden. durch mehr Effizienz und zu geringeren Kosten Dieser Verkauf steht für eine Umstrukturierung, zu steigern. Dies führt zu einer doppelten Konzen- die sich weltweit über Ländergrenzen hinweg tration. Einerseits werden Unternehmen durch beobachten lässt. Investitionen sind keine Ein- Fusionen und Übernahmen immer größer und Hohe Schulden bahnstraße mehr. Firmenkäufer kommen jetzt expandieren über Grenzen und Arten hinweg. der Fleischkonzerne auch aus dem globalen Süden und werden im Andererseits nimmt die Intensität der Fleisch- sorgen für immer Norden fündig. produktion zu, indem mehr Tiere gehalten und neue Eigentümer- JBS, ein Rindfleischunternehmen aus Brasi- schneller und mit weniger Abfall verarbeitet wer- lien, wurde mit dem Kauf mehrerer Fleischun- den. Einige Analysten weisen jedoch darauf hin, Wechsel ternehmen in den USA, Australien und Europa dass das Fleischgeschäft von Natur aus riskant ist: sowie im eigenen Land Ende der 2000er Jahre zum Auch wenn man weiß, wie Rinder gezüchtet, ge- weltweit größten Produzenten von Rindfleisch. schlachtet, verarbeitet und transportiert werden, Seit er im Sommer 2013 vom kleineren Konkur- bedeutet das nicht automatisch, dass man auch renten Marfrig, seinerseits mit 4,7 Milliarden Geflügelgroßbetriebe führen kann. Dollar verschuldet, für 2,5 bis 3 Milliarden Dollar Schwankende Dünger- und Futtermittelpreise dessen Firmentochter Seara übernommen hat, verschärfen das finanzielle Risiko. Höherpreisige ist JBS auch der weltgrößte Geflügelproduzent. Tierfuttermittel treiben die Produktionskosten Der weit verzweigte Konzern gehört inzwischen in die Höhe, senken die Gewinne und verschie- sogar zu den zehn führenden internationalen ben die Nachfrage. Hinzu kommen spekulative Lebensmittel- und Getränkekonzernen und setzt Marktmanipulationen, die zu Preissprüngen mit Lebensmitteln mehr um als Unilever, Car- führen. Zudem verknappt der Anbau von Pflan- gill und Danone. Nicht sinnlich vorstellbar sind zen, die zu Agrokraftstoffen verarbeitet werden, JBS’ Schlachtkapazitäten: 85.000 Rinder, 70.000 das verfügbare Land. Insgesamt ein Geschäft wie Weltmarktpreise für Fleischarten im Vergleich Milchprodukte werden teuer Indizes, 2002–2004 = 100 Indizes, 2002–2004 = 100 FAO FAO Rind, Kalb Schwein FAO Geflügel Schaf, Ziege 220 220 190 190 160 160 Fleisch 130 130 Milchprodukte Lebensmittel 100 100 70 70 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2006 2008 2009 2010 2011 2012 2013 12 FLEISCHATLAS 2014
Die Top 10 der Branche Konzerne nach Lebensmittelumsätzen (2011–13), Leatherhead/ETC Milliarden Dollar 7 Smithfield Foods. 3 Gegründet 1936; Umsatz 2012: Cargill. Gegründet 1865, 13,1 Milliarden Dollar. Größter Familienunternehmen. Produzent und Verarbeiter von 9 Weltumsatz 2013: 32,5 Milliar- Schweinefleisch in den USA. Danish Crown AmbA. 33 den Dollar. Hält in den USA einen Mit Milliardenschulden 2013 an 1998 aus mehreren Fusionen Marktanteil von 22 Prozent die halb so große chinesische entstanden. Umsätze 2012: bei Fleischprodukten, in Shuanghui-Gruppe 10,3 Milliarden Dollar. Haupt- Argentinien größter verkauft 33 Exporteur 13 10 Danish Crown AmbA niederlassungen in USA, Polen und Schweden, Europas größter Vion Fleischproduzent, weltgrößter 9 Schweineexporteur Cargill 13 5 13 5 Smithfield Foods Nippon Meat Packers 3 Vion. 2003 aus mehreren Fusionen entstanden. Tyson Foods 7 6 Umsatz 2011: 8 Hormel Foods 39 13,2 Milliarden Dollar. Größter 2 Schweinefleischverarbeiter 10 Europas, enormes Wachstum. 2002: 1 Milliarde Dollar (Vorläuferfirmen) 2 TysonFood. 6 Gegründet 1935; Umsatz Nippon Meat Packers. 2012: 33,3 Milliarden Dollar. Gegründet 1949; Weltgrößter Fleischhersteller Umsatz 2013: 12,8 Milliarden 15 JBS und zweitgrößter Verarbeiter 1 Dollar. Bekann als „Nippon von Hühnern, Rindern und Ham“. Betriebe an 59 Stand BRF JBS. Gegründet 1953; Schweinen orten in 12 Ländern, meist in Umsatz 2012: 38,7 Milliarden 13 1 Asien und Australien Dollar. Weltgrößter Fleischverarbei- 10 4 Marfrig ter, weltgrößte Schlachtkapazitäten. Hormel Foods. Übernahm kürzlich von Smithfield Gegründet 1891; Umsatz 2012: Foods die Rindfleischsparte und 8 8,2 Milliarden Dollar. von Malfrig Geflügel- und 4 40 Betriebe und Verteilerzentren, Schweinebetriebe BRF. 2009 als Brasil Foods 8 Ausrichtung auf „ethnic food“ (z. B. mexikanisch, aus der Fusion von Sadia Marfrig. 2000 aus mehreren asiatisch) und Perdigão entstanden. Fusionen entstanden. Umsatz 2012: 14,9 Milliarden Umsatz 2012: 12,8 Milliarden Dol- Dollar. 60 Fabriken in lar. Niederlassungen in 22 Ländern. Brasilien, Vertretungen in Viertgrößter Rindfleischproduzent 110 Ländern der Welt. Verkaufte 2013 seine Geflügel- und Schweinebe- triebe an JBS geschaffen für Investmentbanker. Tatsächlich Effizienz birgt aber auch Gefahren. Wo enden hat die Wall-Street-Firma Goldman Sachs den die Größenvorteile, wenn heutzutage bereits bis Shuanghui-Smithfield-Deal auf unterschiedliche zu 100.000 Tiere zugleich gemästet werden kön- Art und Weise eingefädelt und abgewickelt. Es nen? Solche Betriebsgrößen gibt es in den USA be- wurde von Smithfield mit der Beratung über po- reits. Die Logistik ist heute noch beherrschbar, je- tenzielle Verkäufer beauftragt, hält selbst einen doch gilt: je größer das System, desto anfälliger. Je größer fünfprozentigen Anteil an Shuanghui und ist In der Intensivhaltung breiten sich Krankheits- Großhändler von Rohstoffen: 2012 erwirtschafte- erreger schneller und leichter von einem Tier das System der te Goldman Sachs damit rund 1,25 Milliarden Dol- auf das nächste aus, sowohl im Stall wie beim Fleischerzeugung, lar, davon 400 Millionen im Food-Bereich. Transport. Das Gleiche gilt für die Schlachthö- umso anfälliger Die doppelte Konzentration in der Fleisch fe, da die Geschwindigkeit der Verarbeitung wird es industrie – Expansion der Unternehmen, In- zunimmt. Außerdem funktioniert das System im tensivierung der Produktion – lässt kleineren Falle einer Katastrophe, etwa einer weitflächigen Produzenten kaum eine Überlebenschance. Die Überschwemmung, nicht mehr. Und wenn die multinationalen Strukturen vernichten eine Verbrauchernachfrage sinkt, droht Unternehmen Einkommensquelle der Armen und schränken mit knappen Reserven der Bankrott. Das wieder- gleichzeitig die Produktauswahl für die Verbrau- um macht Versicherungsunternehmen mit maß- cher ein. Die Größenvorteile versprechen Aktionä- geschneiderten Risikobewertungen zu wichtigen ren und anderen Kapitalgebern höhere Gewinne. Spielern im modernen Fleischgeschäft. FLEISCHATLAS 2014 13
FREIHÄNdlER wITTERN MoRGENlUFT USA und EU verhandeln über ein neues Handelsabkommen. Die Wunschliste der Industriekonzerne ist lang. Amerikaner möchten europäische Schutzvorschriften gegen Hormone, Antibiotika und Genmanipulationen aushebeln, Europas Fleischkonzerne hingegen wollen mehr Rindfleisch über den Atlantik verkaufen. I n der Europäischen Union basieren die Vor- Trade Agreement, TAFTA) entstehen soll. Als Maß- schriften für die Sicherheit von Nahrungsmit- nahme zur Stützung der schwächelnden Wirt- teln und Chemikalien auf dem Vorsorgeprin- schaft beider Regionen gedacht, könnte dieser zip. Dieser Grundpfeiler europäischen Rechts Vertrag das größte bilaterale Freihandelsabkom- ermöglicht es der EU, alle Einfuhren, die ein po- men in der Geschichte werden. Auf beiden Seiten tenzielles Risiko für Mensch oder Umwelt dar- des Atlantiks drängen jetzt einflussreiche Inte- stellen, so lange zu beschränken, bis gesicherte ressengruppen, darunter der Landwirtschafts-, Beamte wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen – im- Futtermittel- und Chemiesektor, auf ein Abkom- verhandeln heimlich portiert werden darf nur, was nachweisbar men, das Handelsschranken für landwirtschaftli- über neue Grenzwerte ungefährlich ist. In den Vereinigten Staaten che Erzeugnisse einschließlich Fleischprodukten für Chemikalien hingegen ist es umgekehrt – exportiert werden abbaut. Ein derartiger Vertrag könnte drastische im Fleisch darf alles, was nicht nachweisbar gefährlich ist. Änderungen beim Einsatz von Antibiotika in der Derartige Entscheidungen erfolgen mittels einer Fleischproduktion, bei der Zulassung von ge- Kosten-Nutzen-Analyse der Risiken und mit Da- netisch veränderten Organismen, für den Tier- ten, die als „belastbare wissenschaftliche Fakten“ schutz und andere Bereiche mit sich bringen. Die gelten – und die etwa im Fall der Unbedenklich- Industrie wird bestrebt sein, im Interesse einer keitserklärung für gentechnisch modifizierte Or- Ausdehnung ihrer Märkte die jeweils niedrigsten ganismen direkt von der Industrie kamen. Standards auch auf der Gegenseite zuzulassen. Ungeachtet solcher erheblichen Unterschiede Beispielhaft dafür ist Ractopamin, das in den begannen EU und USA 2013 mit Verhandlungen Vereinigten Staaten als Futterzusatz zur Steige- über eine Transatlantische Handels- und Investi- rung der Produktion mageren Schweine- und tionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Invest- Rindfleischs eingesetzt wird. Sein Einsatz ist in ment Partnership, TTIP), mit der ein Transatlanti- 160 Staaten, darunter auch der EU, verboten, sches Freihandelsabkommen (Trans-Atlantic Free denn es gibt keine unabhängigen wissenschaft- Gewinner und Verlierer der transatlantischen Handelsgespräche Mögliche Zu- und Abnahmen des realen Pro-Kopf-Einkommens durch stärkeren Wettbewerb, in Prozent. Unterstellt ist der IFO Wegfall aller Zölle und Einfuhrverbote von EU und USA, ohne dass sich die Handelsvorschriften anderer Staaten anpassen. 7,3 Schweden 6,2 Kanada 9,7 Finnland -9,5 6,9 GB Irland 13,4 6,6 USa Spanien Mexiko -7,2 -9,5 bis -6,1 -6,0 bis -3,1 -3,0 bis 0,0 0,1 bis 3,0 australien 3,1 bis 6,0 -7,4 6,1 bis 13,4 keine Angaben 14 FlEISCHaTlaS 2014
lichen Studien, die etwas über die Folgen für die Fleischhandel zwischen den USA und der EU menschliche Gesundheit aussagen könnten. Den USA ist es derzeit nicht gestattet, Fleisch von mit Im- und Exporte, Millionen Dollar USDA ERS Ractopamin behandeltem Vieh in die EU zu ex- 2010 2011 2012 portieren. Amerikanische Agrarkonzerne und fleischverarbeitende Unternehmen fordern, dass 946 1.154 988 die EU dieses Verbot aufhebt und das Thema in die TTIP-Verhandlungen aufnimmt. Gesamter Nach mehreren Jahren relativer Ruhe wurde Fleischhandel auch ein alter Handelsstreit neu belebt. Im Rah- men des TTIP versuchen die USA jetzt wieder, eine 1.652 2.031 2.154 Zulassung von Peroxysäure zu erhalten. Dieser antimikrobiell wirksame Stoff wird in den USA USA EU verbreitet zur Desinfektion von Rohgeflügel nach dem Schlachten eingesetzt. Die EU, in der Geflü- Rind, Kalb 136 231 223 gel ausschließlich mit heißem Wasser gereinigt werden darf, betrachtet den Einsatz von Peroxy- 298 326 355 Schwein säure als Verstoß gegen das Konzept „Vom Erzeu- ger zum Verbraucher“ und vom damit verbunde- nen möglichst geringen Einsatz von Chemikalien Geflügel, Eier 219 218 199 in der Nahrungsmittelverarbeitung. Darüber hinaus bietet das TTIP multinationa- 741 868 845 Käse len Konzernen die Möglichkeit, die EU-Verbote von genetisch veränderten Nahrungsmitteln zu unterlaufen, die in den USA als wettbewerbswid- rige „technische Handelsschranken“ gesehen werden. Umwelt-, Verbraucher- und Tierschützer fürchten nun, dass sich die EU bei den Verhand- sundheitsfolgen der industriellen Tierproduktion lungen hinter verschlossenen Türen eine Schwä- zu beseitigen. Statt die Standards weiter zu ver- chung ihrer Schutzvorschriften abhandeln lässt. wässern, sollten die Verbraucher und Aktivisten Die EU ihrerseits versucht das Verbot von Rindflei- in den USA und der EU ihre Regierungen drängen, schimporten aus Europa in die USA zu kippen. Die mit dem TTIP die Standards auf beiden Seiten des Vereinigten Staaten verbieten den Einsatz und Atlantiks anzuheben. Oder sie sollten die Gesprä- die Einfuhr von Futtermittelbestandteilen, die che komplett abbrechen. nachweislich an der Übertragung von BSE, dem „Rinderwahn“, beteiligt sind. Die Verfechter von Nahrungsmittelsicherheit in den USA sind be- Futtermittelhandel zwischen den USA und der EU sorgt, dass die EU-Vorschriften über den Einsatz von aus Wiederkäuern gewonnenen Futtermit- Im- und Exporte, Millionen Dollar USDA ERS telzusätzen nicht ausreichen, um eine Kontami- 2010 2011 2012 nation zu verhindern. Da die EU gegenwärtig so- gar noch eine weitere Lockerung der Standards Mais 43 239 18 für diese Futtermittelzusätze erwägt, nähme aus US-Sicht das Risiko aufgrund des Handels mit BSE- Hirse 38 239 1 verseuchtem Rindfleisch zu. Darüber hinaus gibt es noch den Mechanis- mus zur „Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Futtermittel 320 492 265 Investoren und dem Staat“. Mit dieser bereits in vielen Handelsverträgen enthaltenen Klausel USA EU kann ein Unternehmen den Staat auf Schaden- ersatz für Vorschriften verklagen, die seine Ge- Ölsaaten 2.072 1.632 2.676 winne beeinträchtigen. Mit dem TTIP wollen die Agrarkonzerne nun diesen Mechanismus auch Soja 1 108 795 1 481 auf die Standards zur Nahrungsmittelsicherheit „uneingeschränkt“ anwenden. Mit anderen Wor- 217 270 265 Futtermittel ten: Da internationale Investoren durch diesen Mechanismus einen Rechtsanspruch auf „stabile Investitionsbedingungen“ erhalten, würden alle 872 928 1.016 Ölsaaten Verschärfungen von Umwelt- oder Tierschutzge- setzen erheblich erschwert. 847 897 976 Olivenöl So könnte es durch TTIP deutlich schwieriger werden, nachteilige Umwelt-, Sozial- und Ge- FLEISCHATLAS 2014 15
ROSAROT IM KÜHLREGAL Supermärkte mit Kühltruhen und Fast-Food-Ketten mit Qualitätsversprechen verändern das Einkaufen in den Städten der Boomländer. Die Städte wachsen so schnell, dass kleine Läden ihre Bedeutung verlieren. Deren Aufgabe übernehmen kapitalstarke Lebensmittelketten. D er Metzger, der im Hinterraum seines Der Prozess ist gut untersucht: Die erste Welle Ladens fachgerecht halbe Rinder oder begann in den frühen 1990er Jahren in Südame- Schweine zerlegt und vorne Fleisch und rika, in den ersten ostasiatischen Boomländern Wurst an seine Kunden verkauft, ist in den Indus- wie Korea und Taiwan sowie in Südafrika; von trieländern selten geworden. Heute werden diese 1990 bis um 2005 stieg der Marktanteil von Super- verderblichen Lebensmittel auf null bis vier Grad märkten von 10 auf bis zu 60 Prozent. Die zweite heruntergekühlt, vom Großhändler oder gleich Welle konnte Mitte bis Ende der Neunziger in Mit- vom Schlachthof in die Supermärkte geliefert. telamerika und südostasiatischen Ländern beob- Normierte Dort legen die Verkäuferinnen das Fleisch nur achtet werden; hier lag der Marktanteil um 2005 Waren erleichtern noch hinter die Scheiben des Verkaufstresens, bei 30 bis 50 Prozent. Die dritte Welle begann um Supermärkten oder die Kunden holen sich die verpackte 2000 in China sowie Indien und großen aufho- den massenhaften Ware direkt aus der Truhe. Damit Selbstbe- lenden Volkswirtschaften wie Vietnam; nach we- Absatz dienungsware tagelang appetitlich aussieht, nigen Jahren wuchsen die Umsätze um 30 bis 50 werden Hühnerbrüste und Koteletts in einer Prozent jährlich. möglichst keimkontrollierten Umgebung vaku- Die Gründe dafür liegen nicht einfach in der umverpackt und die Päckchen anschließend mit steigenden Kaufkraft der Mittelschichten, son- einem sauerstoffreichen Gas aufgeblasen. Das dern in fundamentalen gesellschaftlichen Verän- sorgt bei Rind und Schwein für eine rote Färbung derungen. In Pakistan etwa schreitet die Urbani- und suggeriert Frische – auch wenn tatsächlich sierung sehr schnell voran, die Metropole Lahore durch eine mehrtägige Lagerung schon Keime wächst um 300.000 Einwohner pro Jahr. Die Lie- entstanden sein können. ferung von Fleisch und Milchprodukten kommt Fleisch, vielerorts noch vor zehn, zwanzig Jah- auf den traditionellen Handelswegen nicht nach. ren ein Luxusgut, gehört für immer mehr Men- Der Mangel an Waren und ihre schlechte Qualität schen auch in den Schwellenländern zum festen treibt den Mittelstand in die Supermärkte, wie die Bestandteil ihrer täglichen Ernährung. Das Su- Tageszeitung Express Tribune berichtet. Berufs- permarktmodell kapitalkräftiger Einzelhandels- tätige Frauen, weiterhin für die Zubereitung der ketten wie WalMart aus den USA, Carrefour aus Mahlzeiten zuständig, hätten keine Zeit mehr, Frankreich, Tesco aus Großbritannien und Metro von Laden zu Laden zu laufen, um die Qualität des aus Deutschland eroberte die Welt und löste auch empfindlichen Fleisches zu prüfen und mit den enorme Investitionen heimischer Konzerne aus. Verkäufern um Preise zu feilschen. China: Schnellimbisse wachsen langsamer Indien: Der Aufschwung geht weiter Jährliches Wachstum von Fast-Food-Geschäften, 2010–14, Vorhandene und geplante Fastfood-Filialen Business Standard Euromonitor und Marktanteile, 2012, in Prozent 12 vorhanden, 2012/13 11 6,5 geplant, 2013/14 10 9 2,3 84,1 1,5 + 125 + 250 8 0,6 7 0,4 602 0,3 6 4,3 500 5 4 + 38–50 Unabhängige 3 Yum!* Hua Lai Shi 166 Ketten 2 McDonald‘s Shigemitsu 1 Ting Hsin Kungfu Domino‘s McDonald‘s Yum!* 0 andere Fast-Food-Ketten 2010 2011 2012 2013 2014 unabhängige Fast-Food-Geschäfte *Kentucky Fried Chicken, Pizza Hut, Taco Bell (geschätzt) 16 FLEISCHATLAS 2014
Große Einkaufsflächen lohnen sich in Ein- Der Umsatz kommt aus den Kühltruhen zugsgebieten mit mehreren tausend potenziellen Kunden. In vielen Regionen mit hoher Mobilität Verkäufe im Einzelhandel, 2012/13, in Dollar Euromonitor – in den autogerechten Vorstädten der USA etwa – können arme Leute deshalb heute keinen Le- über 600 Millionen 150–299 Millionen kein Wachstum bensmittelladen mehr zu Fuß erreichen, in dem 300–599 Millionen 0,1–149 Millionen negatives Wachstum sie frische Produkte kaufen können, um sie selbst zuzubereiten. Sie bekommen nur noch fertiges Es- sen in Fast-Food-Ketten. Sozial- und Ernährungs- KA forscher bezeichnen solche Gegenden als „Food GB CN DE Deserts“, Nahrungswüsten. US Der Verkauf von normierten Produkten er- Konservierte Fleischerzeugnisse leichtert den Lebensmittelketten nicht nur die Werbung, sondern verschafft ihnen auch eine enorme Marktmacht gegenüber den Lieferanten, denen sie die Preise diktieren und die sie jederzeit wechseln können. Zugleich machen sich auch die RU Supermarktkonzerne gegenseitig Konkurrenz. So US TR IR sind die Angebote billig und Produkte aus der Re- CN gion können sich bestenfalls noch in Nischen hal- Tiefgekühlte Fleischwaren ten. Mit der Öffnung der globalen Märkte haben Millionen Kleinhändler ihre Existenzgrundlage AR verloren, weil sie nicht umsatzstark genug waren und nicht für angemessene Lagerung und vor al- RU lem für die kontinuierliche Kühlung von Fleisch, GB DE UA Wurst, Eiern oder Frischmilch sorgen konnten. US IR Aufgrund des Dumpingwettbewerbs kommt FR TR es immer wieder zu Skandalen mit Gammel- oder MX VE SA Käse NG verbotenem Hormonfleisch sowie falschen De- BR klarationen. So landete Esels- statt Rindfleisch auf den Tellern von Südafrikanern, in Europa wurde AR Pferdefleisch als Rind ausgegeben und in die Kühl- truhen der Supermärkte verteilt. Und in Indien RU DE mag manches Stück abgepacktes Büffelfleisch US IR CN tatsächlich aus einer illegalen Rinderschlachterei FR IN stammen. Milchprodukte MX VE NG ID In keinem anderen Land der Welt wird so viel Fleisch produziert und gegessen wie in China. BR ZA AR AU Vor allem Schweinefleisch ist dort äußerst beliebt. Die meisten im Land gezüchteten Tiere kommen RU bisher noch nicht aus Massenställen. Vielerorts GB DE gibt es zudem noch keine funktionierenden Kühl- US CN ketten, und so wird ein Großteil des Fleisches ge- FR TR IR schmort oder gekocht an die Endverbraucher ver- Tiefgekühltes Geflügel kauft. Doch die Nachfrage nach Fleisch aus dem Supermarkt wächst und macht inzwischen gut 10 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Internationale Fast-Food-Ketten wie Kentucky RU Fried Chicken (KFC) und McDonald’s versprechen GB ihrer Kundschaft, dass die Zulieferbetriebe zer- FR US IR tifiziert sein müssen und immer wieder kontrol- liert werden. Denn Lebensmittelskandale verder- Fertigmahlzeiten mit/ohne Fleisch AL ben den Appetit und sind schlecht fürs Geschäft. BR KFC hatte um die Jahreswende 2012/13 zweimal Probleme mit antibiotikaverseuchtem Geflügel- fleisch. Ihr Geschäft ist daraufhin um 10 Prozent eingebrochen und hat sich bis in den Herbst 2013 AR Argentinien DE Deutschland IR Iran AU Australien AL Algerien MX Mexiko nicht erholt. McDo wurde in den Strudel mit hin- BR Brasilien FR Frankreich NG Nigeria TR Türkei US USA eingezogen – die Verkäufe gingen hier ebenfalls KA Kanada ID Indonesien RU Russland UA Ukraine VE Venezuela zurück. CN China IN Indien SA Saudi-Arabien GB Großbritannien ZA Südafrika Auch in China müssen die Endverkäufer nun die Endverbraucher fürchten. FLEISCHATLAS 2014 17
IN DEN SCHLACHTHÖFEN DER WELT Das Töten von Tieren zur Herstellung von Nahrungsmitteln ist hoch industrialisiert. Die Schlachthöfe der globalen Konzerne verfügen über unvorstellbare Kapazitäten und liegen fern der Städte – Konsumenten sehen keine Verbindung mehr zwischen einem lebenden Tier und einem eingeschweißten Filet. D as Chicago des beginnenden 20. Jahrhun- ist auch erforderlich, um der starken Marktmacht derts gilt als die Wiege der industriellen der Großabnehmer – der internationalen Han- Schlachtung. Mit den Fließbändern, die hier delsketten und Großimporteure – die eigene wirt- zum ersten Mal systematisch in den Fabriken ein- schaftliche Stärke entgegenzusetzen. Aber auch gesetzt wurden, dauerte es insgesamt nur noch Lohnschlachterei für andere Hersteller ist mög- 15 Minuten, ein Rind zu töten und vollständig zu lich, wenn zur Verfügung stehende Kapazität und zerlegen. Bis auf zwölf Millionen im Jahr stieg so Marktlage dies erlauben – oder erzwingen. die Zahl der hier geschlachteten Tiere, ein solcher Die Einführung von öffentlichen oder privaten Effizienzsprung, dass Henry Ford das Verfahren Schlachthöfen war in den armen Ländern der ers- für den Bau von Autos übernahm. te gezielte Schritt zur systematischen Hygiene in Mit der Industrialisierung des Schlachtpro- der Tierverarbeitung. Am Ende der Entwicklung zesses setzte auf der ganzen Welt die Zentralisie- stehen heute Hochleistungsfabriken in den Indus- rung ein. In den USA bildeten sich bis zur Welt- trieregionen, verbreitet inzwischen auch in den wirtschaftskrise zunächst marktbeherrschende Boomländern. Vor allem die Lebensmittelskan- Konglomerate, gefolgt von einer langen Phase dale führten zu strengeren, oft sehr kostspieligen der Entflechtung. Doch ab den frühen 1970er Auflagen. Der Kampf um die niedrigsten Schlacht- Billigfleisch Jahren, als die Deregulierung begann und der preise wird vor allem auf dem Rücken der Arbeiter entsteht auch durch Börsenboom einsetzte, nahm die Konzentrati- ausgetragen. die Dumpinglöhne on schnell wieder zu. Zwischen 1967 und 2010 Weltweit arbeiten mehrere Millionen Men- der Schlachthof- sank die Zahl der Schlachthöfe in den USA schen in Schlachthöfen – niemand weiß, wie vie- von fast 10.000 auf weniger als 3.000. Heute le es genau sind. Ihre Arbeit gilt als „dirty work“. Arbeiter schlachten dort zehn Konzerne 88 Prozent aller Vor allem in westlichen Industrienationen erfährt Schweine. Die globalen Kapazitäten der Firmen sie kaum soziale Anerkennung und ist kulturell erreichen Ausmaße, die sinnlich nicht mehr nach- weitgehend geächtet. Dumpinglöhne und ka- vollziehbar sind: Die US-Gesellschaft Tyson Foods, tastrophale Arbeitsbedingungen sind die Regel. nach JBS aus Brasilien das zweitgrößte Fleisch- Hohe Arbeitsgeschwindigkeit, die Monotonie der unternehmen der Welt, schlachtet 42 Millionen immer gleichen Abläufe, die Unfallgefahr beim Hühner, 170.000 Rinder und 350.000 Schweine – Umgang mit gefährlichen Werkzeugen und Che- pro Woche. mikalien sowie die einseitige Beanspruchung von Sie stammen meist aus eigener Aufzucht, wer- Rücken und Gelenken – diese Kombination ist den in eigenen Fabriken verarbeitet und unter enorm belastend. Je nach Arbeitsplatz kommen eigener Handelsbezeichnung vermarktet. Nach Hitze oder Kälte, Lärm, ein erhöhtes Risiko durch dem Motto „From farm to fork“, „Vom Hof bis auf Infektionskrankheiten sowie besonders frühe die Gabel“, soll so ein möglichst großer Teil der oder späte Schichten hinzu. Zusätzlich kann für Wertschöpfungskette ausgenutzt werden. Dies Arbeitnehmer auch der Umgang mit und die Tö- Branchenkonzentration in den USA Zahl der Schlachtanlagen Marktanteil der vier größten Schlachtfirmen, in Prozent Denny/ USDA 12.000 80 70 10.000 60 8.000 50 6.000 40 Rind 30 4.000 Schwein 20 2.000 10 0 0 1967 1977 1987 1997 2007 1965 1975 1985 1995 2005 18 FLEISCHATLAS 2014
weltweite Schlachtungen: Milliarden Tiere im jahr Amtliche und amtlich geschätzte Zahlen, 2011 517 58 110 1 383 000 000 000 000 296 000 000 24 000 000 000 000 430 654 000 000 2 817 Büffel Hühner 000 000 Rinder Enten Ziegen Truthähne Schafe Gänse und Schweine Perlhühner 000 000 Schlachtungen in den vier wichtigsten Ländern, 2011, Köpfe 649 35.108.100 8.954.959.000 46.193.000 USa Rinder und USa 11.080.000.000 China Büffel China 21.490.000 Indien 5.370.102.000 Geflügel 2.049.445.000 000 000 39.100.000 Indonesien Brasilien Brasilien 59.735.680 273.080.000 110.956.304 deutschland 661.702.976 84.110.000 China USa China Indien 38.600.000 44.270.000 28.980.000 Schweine Schafe und Nigeria Vietnam Bangladesch Ziegen FAOSTAT tung von Tieren belastend sein. Viele Schlachter In den meisten Industrieländern wurden die nennen „Härte“ als Voraussetzung für die Aus- Schlachthöfe aus den urbanen Zentren in die ru- übung ihres Berufes. rale Peripherie verlagert. Die Grausamkeit des Mit der Industrialisierung des Schlachtens be- Schlachtens soll den Konsumenten verborgen gann aber auch ein Prozess der Dequalifizierung bleiben. Hier offenbart sich ein sozialer Prozess: und Mechanisierung der Arbeit. Heute brauchen Sichtbare Gewalt wird aus dem öffentlichen Schlachter die meisten traditionellen Fähigkeiten Raum verdrängt. Schlachtung und die Schlach- und ein Handwerkswissen nicht mehr. Eingestellt ter wurden und sind für die meisten Menschen die Gewalt der werden billige, immer häufiger nur angelernte unsichtbar. Die Verbindung zwischen dem Arbeitskräfte. Die Arbeitsmigration aus Mexiko einst lebenden Tier, das in Viehwaggons in die Schlachthöfe soll nach Nordamerika oder von Ost- nach Westeuro- Stadt gebracht wurde, dem früher sicht-, hör- nicht ins Bewusstsein pa und die kurze Verweildauer der Arbeiter füh- und riechbaren Tod im Schlachthof und dem der Öffentlichkeit ren zu Belegschaften, die den Anforderungen der Fleischprodukt am Ende dieser Produktion gelangen Unternehmen weitgehend schutzlos ausgesetzt wurde gekappt. Die meisten Konsumenten se- sind. Waren die Gewerkschaften auf den Schlacht- hen vom Tier heute nur noch ein eingeschweißtes höfen bis in die 1960er Jahre noch stark, ist ihre Erzeugnis im Supermarkt. Die Vermutung liegt Arbeit in den vergangenen beiden Jahrzehnten nahe, dass ein Besuch im Schlachthof, um diese deutlich schwieriger geworden. Und Tarifverträ- Anonymisierung zu durchbrechen, die Bereit- ge sind weltweit überwiegend unbekannt. schaft zum Fleischverzehr nicht erhöht. FlEISCHaTlaS 2014 19
DEUTSCHES DUMPING-SCHLACHTEN Großbetriebe dominieren auch in Deutschland die Schlachthofbranche. Billiglöhne für die Leiharbeiter aus dem Osten der EU begünstigen weitere Investitionen der Konzerne. Doch gegen noch mehr Mast- und Schlachtanlagen regt sich Widerstand. D eutschland steht bei der Schweineschlach- per Stromschlag betäubt. Arbeiter hängen sie in tung mit über 58 Millionen getöteten Tie- ein „Schlachtband“ ein. Von hier an übernimmt ren pro Jahr auf Platz 1 der europäischen die Maschine die Zerlegung der Tierkörper. Die Spitzenproduzenten, beim Rindfleisch auf Platz Teile kommen in ein Kühlhaus, bis sie zur Weiter- 2 hinter Frankreich. Auch bei Hühnern gehört verarbeitung transportiert werden. Deutschland zu den Top 5. Bundesweit existieren 2012 waren in Deutschland fast 28.000 Men- knapp 350 Schlachthöfe mit jeweils über 20 Be- schen im Bereich Schlachtung sozialversiche- schäftigten. Die meisten dieser Betriebe sind klein rungspflichtig beschäftigt. Die tatsächlichen bis mittelgroß; Betriebe mit mehr als 500 Arbeit- Arbeitsverhältnisse und die enorme Fluktuation nehmern sind selten. erschweren präzise Angaben. Durch die EU-Richt- Dennoch ist der deutsche Schlachtmarkt linie zur grenzüberschreitenden Entsendung von Tierschützer zentralisiert. Die vielen kleineren Unterneh- Arbeitnehmern ist Deutschland zu einem Billig- kritisieren die men spielen in Bezug auf die absolute Menge lohnland geworden. In den Betrieben arbeiten Quälerei des Tötens, an geschlachteten Tieren nur eine geringe vor allem polnische, rumänische oder bulgari- Tierrechtler das Rolle. Über 55 Prozent des Schlachtwertes sche Leiharbeiter, angeworben von Unterneh- Töten selbst entfielen im Jahr 2012 auf die drei größten men in ihren Heimatländern, die sie dann nach Schweineschlachtkonzerne – Tönnies, Vion und Deutschland schicken. Ohne Mindestlohn oder Westfleisch. Bei den Rindern teilen sich die fünf flächendeckende Tarifverträge sind Stundenlöh- größten Unternehmen etwa die Hälfte des Mark- ne unter 5 Euro für Leiharbeiter keine Seltenheit. tes, der Branchenprimus Vion liegt dabei mit fast Untergebracht werden sie in wenig attraktiven 25 Prozent deutlich vorn. Bei Geflügel führt die Sammelunterkünften. Manche Schlachter arbei- PHW Gruppe die Branche an, bekannt durch ihre ten scheinselbständig, weil die Unternehmen die Handelsmarke Wiesenhof. Lohnnebenkosten senken wollen. Jede Tierart erfordert ein anderes Schlachtsys- Die niedrigen Löhne in Deutschland führen tem, das sich an ihren Körpern orientiert. Rinder dazu, dass Fleischkonzerne aus Nachbarländern werden meistens mit einem Bolzenschuss be- ihre Tiere zur Schlachtung nach Deutschland täubt, Schweine mit Gas oder der Elektrozange. bringen. Der Großkonzern Danish Crown ver- Beide werden anschließend mit einem Kehlen- lagerte tausende Arbeitsplätze von Dänemark schnitt getötet, nach dem Entbluten in das Pro- nach Deutschland. Einige Staaten und Initiati- duktionsband eingehängt und von den Arbeitern ven legten deshalb offiziell bei der Europäischen zerlegt. Wie die Bundesregierung 2012 auf eine Kommission Beschwerde ein. Die belgische Regie- Kleine Anfrage der Grünen bestätigte, ist die Be- rung sowie eine Initiative französischer Schlacht- täubung bei 4 bis 9 Prozent der Rinder und bei betriebe sehen in den deutschen Dumpinglöh- 10 bis 12 Prozent der Schweine mangelhaft oder nen Wettbewerbsverzerrungen. Im Januar 2014 fehlt sogar ganz. Die Schlachtung von Hühnern kündigten die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, ist stärker automatisiert. Sie werden in ein elekt- Gaststätten (NGG) und Vertreter der deutschen risch geladenes Wasserbecken getaucht und so Fleischindustrie nun an, einen Mindestlohn von 7,75 Euro/Stunde einzuführen, der schrittweise auf 8,75 Euro steige. Dies gelte auch für die aus- Fleischproduktion in Deutschland ländischen Beschäftigten, die bei Subunterneh- men in ihren Heimatländern angestellt sind. Millionen Tonnen Damit hofft die Branche, endlich aus den Ne- DESTATIS 6 gativ-Schlagzeilen zu kommen. Bei den Arbeits- 5 bedingungen kann die NGG jedoch nicht allzu viel ausrichten. Die meist kurzen Beschäftigungs- 4 verhältnisse in Deutschland und Sprachprobleme Rind Schwein 3 Geflügel Schaf mit den Arbeitnehmerorganisationen im Ausland 2 erschweren eine dauerhafte grenzüberschreiten- de Zusammenarbeit. Viele Arbeiter haben außer- 1 dem Angst, ihre Arbeit zu verlieren, wenn sie Kri- 0 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 tik äußern. Auch Tierschutzverbände und Tierrechtsor- ganisationen kritisieren die Schlachtbranche. Ers- 20 FLEISCHATLAS 2014
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