www.aaku.ch Oktober 2020 Nr. 39 - Aargauer Kulturmagazin
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Herausgegeben von der IG Kultur Aargau Sept 20 Aargauer Kulturmagazin www.aaku.ch Oktober 2020 Nr. 39 QUEER-FESTIVAL Feministischer Punk: Ester Poly spielt in Zofingen gegen sexuelle Stereotypie GELD, DRAMA, KRITIK Bühnenautor Joël László führt Parzival auf die Kehrseite der Marktwirtschaft INTERESSENVERTRETUNG Der neue Kultur verband setzt sich mit System für Kultur schaffende ein
Mittwoch, 28. Oktober 2020, 19.15h LUKAS BÄRFUSS LIEST MODERATION: MARTIN ZINGG Der Büchner-Preisträger Lukas Bärfuss unterhält sich mit Martin Zingg über seine Auseinandersetzung mit politischen Themen und auch aussereuropäischen Schauplätzen, über Ins- pirationen, Figuren und Stoffe seiner Texte. Achtung!: ORT der Veranstaltung extern: Bitte konsultieren Sie unsere Website für den Ort dieser Ver- anstaltung - und melden Sie sich mit Ihren Kontaktdaten schriftlich bei uns online an: www.aargauer-literaturhaus.ch/tickets Aargauer Literaturhaus, Müllerhaus, Bleicherain 7, 5600 Lenzburg; wir empfehlen schriftliche Voranmeldung: www.aargauer-literaturhaus.ch/tickets 35 Jah re Tanzco mpag nie Fla me nco s en rou te Kün stle risc he Leit ung : Brig itta Luis a Mer ki ay ! viñ eta s de Lorca «Hy pno tisc h wie eine geta nzte Mal erei in der Nac ht.» , T EN RIE Kurt hea ter Bad en I T E ZE US D 22. Oktobe r, 19.3 0 U ND UN 23. Oktobe r, 19.3 0 NEÜR I EIT M F RB SU 21.02.2020– 24. Oktobe r, 19.3 0 25. Oktobe r, 17.0 0 A ON K 07.02.2021 Vorverka uf: ww w.ku rthe ater.ch
Herausgegeben von der IG Kultur Aargau Okt 20 Aargauer Kulturmagazin Editorial Die Libido im Kartenhaus Achtung, Triggerwarnung: Jetzt gehts um Sex und Geld. Zwei Dinge, von denen wir Michael Hunziker nicht genug bekommen können. Anscheinend. Wenn man so in die Öffentlichkeit, Redaktionsleiter genannt Internet, schaut. Die beiden Themen sind omnipotent, ich meine -präsent. michael.hunziker@aaku.ch Der erfolgreiche Mann, die attraktive Frau baden im heilvollen Luxus. Stereotype Bilder, paradisische Versprechen, denen wir insgeheim zwar nicht glauben, ihnen aber dennoch erlauben, unser Leben zu strukturieren. Sie mal ausführlich thematisieren, sezieren, auseinandernehmen, das dann aber doch lieber nicht, weil mühsam, hallo, stopp, privat! Ach, diese Genderdebatten! Grundeinkommen? Come on, das meinst du doch nicht ernst! – Warum nicht wenigstens ein bisschen an den Selbstverständ- lichkeiten kratzen? Es sind ja nur Kartenhäuser. Wenn sie über uns zusammenstürzen, werden wir nicht ohnmächtig darunter begraben sein. Wohl eher das Gegenteil. Befreit irgendwie. Aber im Moment ist der Weltuntergang – gemeint ist Klimakollaps und Humanitäts- krise – eher vorstellbar (wenn nicht bereits Tatsache) als das Ende des Kapitalismus. Der ist in unserer Wahrnehmung schon eher ein betoniertes Kartenhaus, das man- chen vermeintlichen Schutz bietet, in dieser garstigen Welt … Nun, weil der Einsturz eines Kartenhauses ja doch etwas sehr Lustvolles hat, schon nur der Gedanke berauscht, ist es umso aufregender, dass es Theater wie «Geld, Parzival» gibt, die die Selbstverständlichkeiten mal etwas auf ihren Gehalt abklopfen. Der Bühnenautor Joël László versetzt Parzival aus dem Artusepos in die neoliberale Gesellschaftsordnung von heute, in der das brachialdarwinistische Prinzip «survival of the fittest» wirkt. Im Stück wird der libidinöse Aspekt des Geldes sichtbar, nämlich seine Eignung als Fetisch (Ersatz für unsere Bedürfnisse). So wird er zum Macht- und Freiheitsverspre- chen und entfaltet sein aggressives Potenzial. Parzival kann sich alles leisten, doch menschlich bleibt er auf der Strecke, weit unter seinen Möglichkeiten – auf der Bühne ist dieses Scheitern des Menschen eine lustige Groteske. Parzivals Freiheit basiert auf systematischer Unterdrückung und Ausbeutung. Wenn einmal die Zeit kommt, in der Empathie gefordert ist, können wir, ich meine kann Parzival, sie überhaupt noch aufbringen? Eine weitere Selbstverständlichkeit, und jetzt kommen wir endlich richtig zum Sex, ist die kategoriale Ordnung, die auf dem basiert, was wir zwischen den Beinen haben. Lustig und grotesk, ja, wenn es keine gesellschaftliche Wirklichkeit wäre. Dass man dieses bipolare System auch mal umdenken und anders (be-)leben kann, zeigt das Queer-Festival in Zofingen. Triggerwarnung: Hier spielt die Musik – feministischer, om- nipotenter Punk von Ester Poly! Entfesselte polyamouröse Inferenzwellen – da bleibt kein Kartenhaus stehen. 3
ODEON BRUGG das Kulturhaus beim Bahnhof BAR Montag 17.30 – 23 Uhr CINEMA BÜHNE Di – Do 11.30 – 23 Uhr Info 056 450 35 65 Vorverkauf Freitag 11.30 – 24 Uhr Tickets Mo – Fr ab 14 Uhr Samstag 17.30 – 24 Uhr odeon-brugg.ch Sa/So ab 10 Uhr Sonntag 17.30 – 22 Uhr CINEMA BÜHNE URBAN SKETCHERS@HOME DIENSTAG 6. OKTOBER DIENSTAG 6. OKTOBER BIS MITTWOCH 7. OKTOBER DONNERSTAG 8. OKTOBER In Kooperation mit Urban Sketchers Switzerland und der Fachschaft Bildnerisches Gestalten der Kantonsschule Wettingen JEWEILS UM 12.15 UHR JEWEILS UM 18 UHR LUNCHKINO VORPREMIERE ZAUBERFADEN 27. September – 18. Oktober 2020 THE SINGING CLUB ABENDGESCHICHTEN FÜR KINDER Vernissage: Sonntag, 27. September 2020, 11 Uhr UK 2020 112 Min. E/df ab 12 J. Regie: Peter Cattaneo «Bonne Nuit» ist das diesjährige Begrüssung: Philippe Rey, Präsident Kulturkommission Gemeinde Wettingen Die Frauen von in Afghanistan Motto unserer drei Erzählabende im Einführung: Sarah Merten, Leiterin Galerie im Gluri Suter Huus und stationierten Soldaten gründen in Forum ODEON. Drei Erzähler*innen Stefan Meier, Kultursekretär der Gemeinde Wettingen England den ersten Militärfrauenchor. lassen die schöne Tradition des Sketch-Crawl: Samstag, 10. Oktober 2020, 14 Uhr Geschichtenerzählens aufleben. Zeichnen Sie mit! AB DONNERSTAG 8. OKTOBER Treffpunkt: Gluri Suter Huus In Kooperation mit Urban Sketchers Switzerland und Historisches Museum Baden THE WALL OF SHADOWS FREITAG 16. OKTOBER 20.15 UHR Anmeldung bis am Vorabend 17 Uhr an Historisches Museum Baden PL/DE/CH 2020 93 Min. O/df ab 6 Jahren SIMON LIBSIG 056 222 75 74 / hist.museum@baden.ch Regie: Eliza Kubarska In seinem achten Bühnenprogramm Änderungen vorbehalten. Aktuelle Informationen auf der Webseite. Eine Sherpa-Familie bricht ein spannt der Autor und Slam-Poet Tabu und besteigt einen der einen Bogen von seiner Kindheit bis heiligsten Berge, um das Geld für zu der seiner Kinder. Er sucht nach die Ausbildung ihres Sohnes zu magischen Momenten, nach Witz verdienen. und Poesie, im Alltag, und stets Galerie im Gluri Suter Huus Bifangstrasse 1, 5430 Wettingen nach dem Grossen im Kleinen www.glurisuterhuus.ch Mi – Sa 15 – 18 Uhr, So 11 – 17 Uhr AB DONNERSTAG 15. OKTOBER 13.12.2020 – 10.1.2021 DARK WATERS FREITAG 23. OKTOBER 20.15 UHR GLAUSER QUINTETT: GOTTHARD KUNST USA 2019 126 Min. E/d ab 12 J. Regie: Todd Haynes Vergiftete Wahrheit: Der aufstrebende EIN LITERARISCHES KONZERT Anwalt Rob Bilott deckt einen Abgründig und komisch, sinnlich tödlichen Umweltskandal auf und raffiniert erzählt Zora del und setzt alles aufs Spiel, um die Buono von den Arbeitern am Ungerechtigkeit aufzudecken und die Gotthardbasistunnel, von einer SCHAU Schuldigen vor Gericht zu bringen. buchstäblich heissen Arbeits- atmosphäre und einer Leiche im Keller. 2020 5430 MITTWOCH 21. OKTOBER 20.15 UHR ODEONKINOREIF? FREITAG 30. OKTOBER 20.15 UHR HD LÄPPLI THEATER FLEISCH + PAPPE CH 1959 105 Min. Dialekt ab 12 J. Regie: Alfred Rasser UNTER ARTGENOSSEN Der tolpatschige Läppli wird erst wegen In scheinbarer Eintracht teilen sich an z we Neu antimilitärischer Reden inhaftiert, Künstlerkatze Laetitia, Altpunker i Sta K uns t s n dort en! später dann zur Offiziersordonnanz Hund Lutz, die verwitwete Kröte c jetz t an haff en de befördert. Berger und deren Pflegetochter Infos und Anmeldeformular: meld • glurisuterhuus.ch/kunst-schau 14.11 .2 en bis Gänschen Milenka das Stadthaus 0 20 • eduardspoerri.ch/kunst-schau DIENSTAG 27. OKTOBER von Hase Bernhard. Doch hinter der • Empfang Rathaus Wettingen MITTWOCH 28. OKTOBER Fassade geht es tierisch ab. JEWEILS UM 12.15 UHR LUNCHKINO VORPREMIERE LA BONNE ÉPOUSE F 2020 110 Min. F/d ab 8 J. Regie: Martin Provost Eine bürgerliche Schulleiterin (Juliette Galerie im Gluri Suter Huus Binoche) wird am Vorabend der 68er- Bifangstrasse 1, 5430 Wettingen Bifangstrasse 17a, 5430 Wettingen www.glurisuterhuus.ch www.eduardspoerri.ch Revolution mit dem aufkeimenden Feminismus konfrontiert. Mi – Sa 15 – 18 Uhr, So 11 – 17 Uhr
Herausgegeben von der IG Kultur Aargau Okt 20 Aargauer Kulturmagazin Inhalt VORSCHAU Queer-Festival 6 MAGAZIN Ein Abend im Zeichen der sexuellen Vielfalt: Ester Poly liefert dazu den punk-feministischen Soundtrack. 24 Parzival und die Marktwirtschaft Der Bühnenautor Joël László hat den Parzival aus dem Artusepos ins Heute geholt und lässt ihn durch die Kehrseite des globalen Kapitalismus schreiten. Ein Interview mit dem Autor über Empathie, Geld als Fetisch und die Ambivalenzen des Freiheitsbegriffs. Blaues Wunder 9 Die Luzerner Indie-Band Alois kommt mit neuem Album ins Royal nach Baden 28 Kunstaustausch Geschichten der Glückssuche 10 Seit 25 Jahren machen ausländische Kunstschaffende in Aarau Dramatiker und Autor Lukas Linder liest an den Literaturtagen Zofingen für einen Atelieraufenthalt halt. Nun soll das interessante Vorhang auf 11 Austauschprojekt in neue Hände gegeben werden. Zeit für eine Das Kurtheater Baden eröffnet sein renoviertes Haus Rückschau mit dem Initiator Wenzel A. Haller. Bolzender Jazz 12 32 Eine Stimme für die Kultur Das Quartett Seibolzing wirbelt in Aarau Der neu geschaffene Aargauische Kulturverband (AGKV) setzt sich für die Bedürfnisse der Kulturschaffenden ein. Quellen der Inspiration 13 Eine Ausstellung in Aarau über die Bedeutung 33 Das Bild der Flüsse fürs literarische Schaffen Aus dem Ringier Bildarchiv Teuflisches Duo 14 34 Das Objekt Bilingue-Hip-Hop aus Biel: Psycho’n’odds stürmen Sammlerstücke von Rudolf Velhagen die Bühne des Kiff Aarau Solorezitale 15 34 Mohameds Welt Drei vielversprechende Pianist*innen stellen sich bei Piano District vor Kolumne Historische Streifzüge 17 35 Jens Nielsen Erstaunliches aus der Aargauer Industriegeschichte in Windisch Kolumne Raumeroberungen 18 35 Ausschnitte Roman Sonderegger stellt im Kunstraum Aarau aus Von Anna Sommer Familienseite 19 36 Unterwegs mit Laura Haensler Von Miriam Suter Kultursplitter 20 Filmtipps 21 Hörtipps 22 Lesetipps 23 AGENDA 38 Kultur im Aargau auf einen Blick Veranstaltungen im Oktober Cover: Ester Poly. Foto: Ralph Kuehne 5
VORSCHAU Okt 20 Aargauer Kulturmagazin Amouröse Funke Richtu SOUNDS Zum ersten Mal steigt am 24. Oktober im Oxil in Zofingen ein Queer-Festival, das so facettenreich werden soll wie die Community selber. Headliner ist die Band Ester Poly, die mit ihren politischen, feministischen Songs provoziert und zum Nachdenken anregt. S chlagzeug und Bassgitarre. Laut und wild. Der Rhythmus fliesst durch die Körper, die Schläge der Drums hämmern in den Köpfen. Wer nur hinhört, ohne die Band zu sehen, stellt sich automatisch Männer mit langen Haaren und Leggins vor. Ungezähmt, unrasiert, ungehobelt. Doch auf der Bühne rocken zwei Musikerinnen, die dem Titel ihres Songs «Be loud» mit voller Leidenschaft alle Ehre machen: Martina Berther und Béatrice Graf, alias Ester Poly. Dass ahnungslo- se Zuhörer*innen an männliche Musiker denken, ist genau der Trugschluss, worauf die zwei mit ihrem Song anspielen wollen. «Auch Frauen machen laute Musik», lacht Martina Berther. Und das soll selbstverständlich sein. Mit dieser Einstellung passt Ester Poly perfekt zum Queer-Festival. Dort nämlich geht es – neben vielen anderen Themen – auch darum, klassische Rollenbilder zu hinterfragen. Ausserhalb der Norm Béatrice Graf freut sich auf ihren Auftritt an diesem speziellen Event Zofingen: «Menschen aller Art werden am Festival sein – die Gesellschaft hat so viele Facetten und ist so bunt», sagt die 56-Jährige. Und auch Martina Ber- ther blickt dem Festival gespannt entgegen. Sie weiss, wie es ist, nicht der sogenannten Norm zu entsprechen. Und das gleich dreifach. «Ich bin Rätoromanin, spiele als Frau Bassgitarre – und bin homosexuell.» Die Band Ester Poly «Es geht uns darum, den heterosexuellen, weissen Mann explizit nicht ins Zen- trum der Aufmerksamkeit zu stellen, sondern die Vielfalt der Menschen zu zeigen» ist ebenfalls in jeder Hinsicht anders. Die Kombination der Instrumente mit Schlagzeug und Bass, der Altersunterschied der Musikerinnen von 20 Jahren und die Muttersprache Deutsch / Rätoromanisch bei Martina und Französisch bei 6
Okt 20 Aargauer Kulturmagazin VORSCHAU ensprünge in alle ungen Béatrice … Es sind solche spannenden Aspekte, die Ester Poly ausmachen. Mit Texten wie «Can you smell, smell a female», «Don’t follow the mainstream», «Respect my Speck» oder «Hier kommt die Welt, er ist die Welt, er frisst die Welt» spielen sie, zuweilen ironisch, meist hochpolitisch auf die Themen an, die sie als Frauen im Alltag beschäftigen. «Es geht bei uns, wie auch am Queer-Festival in Zofingen, darum, den heterosexuellen, weissen Mann explizit nicht ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu stellen, sondern die Vielfalt der Menschen zu zeigen», so Berther. Ziel ist nicht Ausgren- zung, sondern Fokuswechsel. QUIRLIGE QUEERNESS – DAS FESTIVAL SCHAFFT BEGEGNUNGEN Der Begriff «queer» kennt etwa so viele Deutungsarten, wie es Menschen gibt, die sich als queer verstehen. Der Duden definiert das eingedeutschte, englische Adjektiv mit den Worten «einer anderen als der heterosexuellen Geschlechtsidentität zugehörig». Ist das Queer-Festival in Zofingen demnach eine Veranstaltung für alle Homo-, Bi-, Trans- und Pansexuellen, für Transgender und Inter- sexuelle, für Verfechter*innen einer nichtbinären Gesellschaft? Der Betriebsleiter des Oxils Zofingen, Andi Hofmann, präzisiert: «Wir richten uns an eine offene, moderne und inklusive Welt. Das ist unsere Grundmotivation. Bei uns sind alle Meinungen willkommen – ausser sie sind in irgendeiner Weise extremistisch oder verletzend.» Das Queer-Festival wendet sich somit auch an Onkeln, Tanten, Eltern, Grosseltern, Geschwister und Freunde von queeren Menschen – an alle Interessierten. So soll es Informationsstände geben, auf denen die unterschiedlichsten Begriffe aus der Queer-Community erklärt werden. Spannend ist die Idee der Living Library. «In der Brocki gleich neben dem Oxil haben unsere Besucher*innen die Möglich- keit, authentische Personen aus der Queer-Community zwischen Bücherregalen und alten Möbeln auf persönliche Themen anzuspre- chen, die ihnen auf der Zunge brennen», erzählt Andi Hofmann. So können Unsicherheiten aus dem Weg geräumt werden. Aber es soll auch eine Gelegenheit sein, sich einfach auszutauschen. Das Festival dauert von 16 bis 2 Uhr morgens und findet drinnen wie draussen statt. Es gibt verschiedene Workshops und Infostände zu Queerness, Speeddating, eine Burlesque Show und vieles mehr. Durch den Abend führt Stella Luna Palino. ZOFINGEN Oxil, Sa, 24. Oktober Informationen und Programm: www.oxil.ch Ester Poly, das Punk-Jazz-Duo, hinterfragt Geschlechter- und andere Klischees. Foto: Ralph Kuehne 7
VORSCHAU Okt 20 Aargauer Kulturmagazin Musikerinnen aus Leidenschaft konnte sie sich noch nicht ausmalen, dass sie 2019 ganze Psychedelic Punk-Jazz ist die Stilrichtung von Ester Poly. 120 Shows hinlegen würde. Aber ihr Erfolg kommt nicht Der Bandname ist eine Spielerei. «Wir wollten einen von irgendwo: «Ich bin es als Bauerntochter gewohnt, von Frauennamen wählen», sagt Berther. Die Anspielung auf morgens bis abends zu arbeiten. Genau das mache ich auch Polyester als widerstandsfähiges Material ist klar. Wer sich für meine Musik.» Immer wieder erhält sie Engagements. die Band aufmerksam anhört, dem wird zudem wohl auch Sie komponiert Lieder für ein Theater in Deutschland und Polyamorie einfallen. Ester Poly versteht sich in erster Linie kreiert Stücke für ein Deutschschweizer Projekt, das sich als politische Band, die Gegebenheiten kritisch hinterfragt, gehörlosen Tänzer*innen widmet. Auch Martina Berther und weniger als feministische Gruppe. «Da wir Frauen sind, lebt bereits seit ihrem Hochschulabschluss von der Musik. singen wir halt auch aus unserer Perspektive. Eine nicht- Sie begleitete die letzte Tour von Sophie Hunger und gilt männliche Perspektive gilt rasch als feministisch.» Dennoch als eine der vielseitigsten Bassistinnen der Schweiz – sie wehren sich die beiden Vollblutmusikerinnen nicht gegen gewann 2020 den Schweizer Musikpreis. Als Frida Stroom das Label, das ihnen anhaftet. «Wir setzen uns für Minder- ist sie solo auf internationalen Bühnen anzutreffen. heiten und für Frauenrechte ein. Es geht dabei nicht immer Die Organisationscrew holt mit Ester Poly eine span nur um die Queer-Community», erklärt Berther. nende, vielseitige und professionelle Band in die Provinz – Zusammengefunden haben die 36- und die 56-Jährige nach Zofingen – und veranstalten ein Queer-Festival in bereits 2013. Martina Berther hatte in Genf einen Auftritt, mitten der vermeintlichen Schweizer Durchschnittsgesell- Béatrice Graf war unter den Zuhörer*innen. Beide hatten schaft. Die Funken werden in alle Richtungen sprühen. bereits voneinander gehört. Die Berufsmusikerinnen be Von Tanja Lienhard schlossen, sich zu treffen und miteinander zu improvisie- ren. Daraus entstand bald Ester Poly. Doch sowohl Martina als auch Béatrice sind noch so viel mehr. Sie haben Musik studiert, komponieren Songs für Theater und Tanzauffüh- rungen und spielen in unterschiedlichen Bands. Béatrice Graf wurde letztes Jahr mit dem Schweizer Musikpreis ausgezeichnet. Seit einem Vierteljahrhundert ist die in Nyon geborene Genferin Profimusikerin. Bereits mit neun lernte sie, Handorgel zu spielen. Es kamen weitere Instrumente dazu. Mit 19 hatte sie die ersten bezahlten Auftritte. Damals Psychedelic Punk-Jazz – das ist Programm bei Ester Poly. zvg. Béatrice Graf am Schlagzeug. zvg Martina Berther, Schweizer Musikpreisträgerin 2020, am Bass. zvg 8
Okt 20 Aargauer Kulturmagazin VORSCHAU Das blaue Wunder erleben SOUNDS Drei Jahre ist es her, seit die Band Alois mit ihrem Erstlingswerk «Mints» die Indieszene im Sturm eroberte. Nun hat das Luzerner Quintett ein neues Album am Start und beehrt damit das Royal in Baden. In der Hand ein eisgekühltes Getränk mit farbigem Schirmli, Luzerner Sängers und Gitarristen Martin Schenker, und die Meeresbrise bringt einen Hauch Frische auf die Tanz dieser lädt mit Ferienfeeling zum Träumen ein. fläche, der Blick schweift in die Ferne, während die Sonne Entstanden sind die neuen Tracks in zwei Schritten – langsam am Horizont verschwindet. Lassen wir die Welt hin- zuerst tüftelte Schenker allein am Computer an den Songs, ter uns und steigen empor in den Himmel – oder tauchen danach wurden sie mit den Musikern eingespielt. Auffallend ein in den Ozean von Melodien. «Azul» (spanisch für Blau) dabei ist der immense Abwechslungsreichtum: Synthwave- nennt sich der neue Langspieler rund um die Band des Momente sind ebenso im Repertoire wie dubbige Passagen und tropische Klänge – so geht Sehnsuchtsmusik. Hinzu kommen zähflüssige Bässe und eine ausgeklügelte Perkus sion, die perfekt mit den karibischen Vibes harmonieren. Zwar wirken die Tracks zuweilen artifiziell – ja plastikartig und unnahbar, trotzdem entwickeln sie einen Sog, aus dem es kein Entkommen gibt. Die Musik präsentiert sich durchgängig verspielt und vielschichtig, dennoch in keinem Moment aufdringlich; der Gesang wird durch den Vocoder gejagt, das Resultat ist tanzbarer Elektropop mit Hitpoten- zial. So wurde «Azul» im Juli verdient mit dem «SRF 3 Best Talent» ausgezeichnet. Live werden jedoch nicht nur einfach die Songs gespielt, sondern Wert auf Improvisation gelegt. Gerade diese Liquidität der Musik von Alois macht den Reiz aus, die Lu- zerner auf der Bühne zu erleben. Der Bandname leitet sich übrigens aus dem Fernsehfilm «Faulheit oder Der hinkende Alois» ab, der in den 80er-Jahren im Solothurner Jura gedreht wurde. Schenker ist in dieser Region aufgewach- sen und hat dem Streifen nun ein musikalisches Denkmal gesetzt. Von Philippe Neidhart Die Luzerner Alois spielen Indiepop mit tropischem Flair. Foto: Tim Wettstein AARAU Royal, Sa, 10. Oktober, 20.45 Uhr Zwischen Kesselpauke und Telegone AUSSTELLUNG Zwei Künstler*innen, die gegenseitig ihre Inkongruenz zum anderen untersuchen, also ihr Nicht-Aufeinander-Passendes befragen, landen im Zimmermann- haus in Brugg damit auf einer geteilten Ebene und spannen einen gemeinsamen Raum auf, der in der Ausstellung «SINE GREY VOL. 2» multisensorisch erlebt werden kann. Der Komponist und Schlagzeuger Martin Lorenz trägt den auditiven Aspekt und die Malerin Silva Reichwein den visuellen bei. Lorenz’ digitale und analoge Sonanzen und Reichweins numerisch entwickelten, malerischen Partituren interagieren miteinander, bedingen sich gegenseitig und finden eine Verwandtschaft. Sie gleichen sich in den kompositorischen Vorgängen, in den Entscheidungen, die die Künstler*innen im ästhe- tischen Prozess fällen. mh BRUGG Zimmermannhaus Fr, 2. Oktober, 19 Uhr (Vernissage) Ausstellung bis 30. Oktober Mit Plattenspielern, Schlaginstrumenten und Laut- sprechern erschafft Martin Lorenz Hörräume. zvg 9
VORSCHAU Okt 20 Aargauer Kulturmagazin Kauz im bunten Programm LITERATUR Der Dramatiker und Autor Lukas Linder schreibt vom glückssuchenden Anatol und schmückt damit das Programm der Literaturtage Zofingen. Dem in Bern lebenden Autor Lukas Linder liest man die Lust, ob Settings wie diesem hier: «In seinem Bett küsste sich mit schrägen Figuren zu spielen und das gewonnene Hand- überhaupt niemand. In seinem Bett hörte man sich die Erin- werk am Theater zu Papier zu bringen, aus jeder Zeile. Die nerungen von Alt-Bundesräten an und machte sich ein paar Nichtakzeptanz, dass die guten Tage längst passé sind, scheint gedankliche Notizen. Andererseits: So atmete doch kein ein perfekter Nährboden für allerlei Visionen und Übungen der Mensch, der einem Alt-Bundesrat zuhörte.» Unmöglichkeiten zu sein. Kauzigkeit kann im Alltag nerven, Lukas Linder reist am Wochenende vom 23. bis 25. Ok- in den Romanen lieben wir sie, die kauzigen, schrulligen und tober von Bern nach Zofingen, mit seinem neuen Buch weltfremden Charakteren. Der Umstand, dass Linder auch das unterm Arm. Da heuer das vorgesehene Gastland Kanada, polnische Lodz als sein zweiter das nach der Frankfurter Wohnort nennt, könnte der Ver- Buchmesse in den Aargau dacht zulassen, dass der grossar- hätte kommen sollen, nicht tige André Kaminski (1923–1991) an den Literaturtagen teil- mit polnischen Wurzeln mit nehmen kann, haben sich die seiner Kunst, das Allzumenschli- Verantwortlichen entschlossen, che liebevoll zu karikieren, etwas dem heimischen Schaffen Pate stand. und Verlegen eine Bühne zu Vom verdientermassen geben. Ein Fest der Worte und erfolgreichen Erstling steigt be- Gedanken soll es sein, von der kanntlich in der Literaturszene Sprachmusik von Leontina die Spannung auf das zweite Lergier-Caviezel, über die Liebe Buch. Erst recht, wenn dazwi- in den Bergen von Thomas schen nur zwei Jahre liegen. Röthlisberger und duftender «Der Unvollendete» lautet der Erde von Samira El-Maawi bis Titel des neuen Romans von hin zum Schicksal einer «ille- Linder. Nach Alfred befassen galen Pfarrerin» von Christina wir uns mit Anatol. Statt des Caprez. Viele Überraschungen, Heldentums, soll hier das Glück vieles zu entdecken. Von gefunden werden. Auch Anatol Urs Heinz Aerni mutet sich zu, etwas erreichen zu wollen. Wir schauen ihm zu, amüsiert, da und dort vielleicht ZOFINGEN Kunsthaus, auch mit einem Wiedererken- Lukas Linder liest an den Literaturtagen Zofingen. 23. bis 25. Oktober, Foto: Agnieszka Cytacka nungslachen und Staunen www.literaturtagezofingen.ch Bauer hat den Blues im Blut SOUNDS Seine Biografie liest sich wie ein Märchen: Bereits im zarten Alter von sechs Jahren begann Flo Bauer Gitarre zu spielen, mit achtzehn veröffentlichte er seine erste EP und mittlerweile ist er zum Bandleader aufgestiegen. In der Schweiz hat sich das Nachwuchstalent in erster Linie durch die Zusammenarbeit mit Philipp Fankhauser einen Namen gemacht. Mit ihm stand er in verschiedensten Konzertlokalen sowie auch beim Montreux Jazz Festival auf der Bühne und steuerte zwei Songs zu Fankhausers neustem Album bei. Nun ist der Sänger und Gitarrist mit seiner Band wieder auf Tour und bringt eine Mischung aus traditionellem und modernem Blues voller Emotionen nach Lenzburg. phn Der französische Bluesgitarrist und LENZBURG Baronessa Sänger Flo Bauer. Foto: Bryan Krebs. Fr, 2. Oktober, 21 Uhr 10
Okt 20 Aargauer Kulturmagazin VORSCHAU Vorhang auf fürs Kurtheater BÜHNE Am 14. Oktober öffnet sich endlich der violette Vorhang für die Liebhaber*innen des Theaters und vor allem des Kurtheaters Baden im sorgfältig erneuerten und erweiterten Haus. «Lulu» von Frank Wedekind liefert in der fulminanten Inszenierung des Residenztheaters München den Auftakt zu einem spannenden und vielfältigen Spielplan. Der künstlerische Direktor, Uwe Heinrichs, freut sich, mit Ob sie sich als Pionierin in einer Männerdomäne gar mit diesem einst skandalträchtigen und opulenten Werk in der dem Eröffnungsstück, mit der Lulu selbdritt, identifizieren schlagfertigen Neufassung von Bastian Kraft das Haus und könnte? Rahel Hartmann-Schweizer, Autorin der ersten die Saison eröffnen zu können. Es ist «die starke Frau» mit Monografie über Werk und Leben von Sachs und Kuratorin all ihren Facetten, die sich zeigt in dieser «Lulu»-Inszenie- der dazugehörigen Ausstellung, verweist auf «facts», das rung. Einst als anrüchiges Weibsbild porträtiert, nimmt Lulu Archivmaterial, das sie akribisch verarbeitet hat: Vorsicht mit jetzt das Heft in die Hand. Regisseur Kraft hat sämtliche Projektionen. Lisbeth Sachs sei aber immer offen gewesen Rollen auf drei Schauspielerinnen verteilt. Als «Lulu-Trio» für Neues, Experimentelles, auch im Theater, von dem sie live auf der Bühne interagieren und diskutieren sie mit ihren geschrieben hat, dass es der Ort sei, wo sich alle Künste Liebhabern und männlichen Alter Egos, die, auch von ihnen treffen und sich «die Besucher*innen im Zuschauerraum dargestellt, ab Video eingespielt werden. Die Maske ist so niederlassen können, um ihr eigenes Leben in kritischen gut, dass man zweimal hingucken muss: auf diese Manns- Spiegeln wiederzusehen». So bleibt die schöne Vorstellung, «Bilder», die als Projektionen von der Wand her mitreden. dass sie sich mit dem Theater, ja der ganzen Stadt über Verspielt, ernst, mit einem Touch Vaudeville und voller den Weiterbau «ihres Hauses» freuen würde und sich vom Frauenpower gibt die dreifache Lulu den Tarif durch. Ihre Anfang 1952 bis hin zum sorgfältigen Weiterbau unter der Einladung in die Bilderwelt der Bühne wird als provokante Ägide der Architektin Elisabeth Bösch über dem Kurtheater Frage noch lang im Raume stehen bleiben: «Vielleicht geht Baden ein sanfter Bogen von Frauenpower durch die Zeit es hier gar nicht darum, was wir sehen, sondern um das, spannt, bis hin zum 14. Oktober 2020 und weiter, in die erste was wir uns vorstellen?» Saison hinein, wenn es immer wieder von Neuem heisst: Vorhang auf! Von Kristin T. Schnider Neue Möglichkeiten, neues Programm Der Spielplan entspricht den Vorstellungen von Uwe Heinrichs. Auf dem Programm steht modernes, hochka- BADEN Kurtheater rätiges Theater, international wie regional, das in diversen Wiedereröffnung Formaten als Gastspiel, Ko- oder Eigenproduktion mit den Mi, 14. Oktober, 19 Uhr neuen Möglichkeiten an Räumen und technischen Einrichtungen das Kurtheater beleben wird. Hervorstechend ist die Zusam- menarbeit mit den Aargauer Theater- und Tanzgruppen, der Einbezug der Jugend und generell die offenen Formen «in einem Theater, das Lust macht, selbst Theater zu spielen». Im Saal gibt es die Klassiker, mit «Urmel aus dem Eis» auch für Kinder, brisant Zeitgenössisches, Tanztheater und Musik – von «Ay-Flamenco!» bis hin zu Ballett, von Fidelio bis zum musikalischen Black-Power-Abend, einem Tribut für die grossen Diven des Souls. Für kleinere Formate wie Lesungen und Liederabende bieten sich Probebühne und das neue Foyer an – und im Sachs-Fo- yer findet nun erstmals eine Aus- stellung statt, so wie es sich seine Namensgeberin, die Architektin Das Kurtheater eröffnet sein Haus und die Saison mit dem Stück «Lulu». Foto: Birgit Hupfeld Lisbeth Sachs, gedacht hatte. 11
VORSCHAU Okt 20 Aargauer Kulturmagazin Bolzender Ideenreichtum SOUNDS Das Quartett Seibolzing spielt in Aarau In Aarau präsentiert er sich mit einer international be transparenten, eigenwilligen Jazz, jung und setzten Band, die er augenzwinkernd «Seibolzing» nennt. unbescheiden – das ist eine Tugend. Seibold arbeitet dabei mit Kollegen, die er in Basel ken- nengelernt hat. Der Posaunist Raphael Rossé stammt aus Die Schweizer Musikhochschulen entlassen jedes Jahr Dut- Australien, der Bassist Roberto Koch aus Venezuela und zende von hochausgebildeten jungen Jazzmusiker*innen, Schlagzeuger Frederik Heisler wie Seibold selbst aus dem und dies in eine Szene, die schon übervoll ist mit Musizie- süddeutschen Raum. Ein Quartett also ohne Harmonie renden jeden Alters, die nur eines wollen: auf Bühnen vor instrument, ohne Klavier oder Gitarre, was eine luzide und einem aufmerksamen Publikum ihre Kunst präsentieren. transparente Musik ermöglicht. Überflüssig zu sagen, dass Da kann es schon mal eng werden, vor allem für New die vier alles beisammenhaben, um interessanten und comer*innen, die sich ihr Terrain neben den Platzhirschen eigenständigen Jazz zu spielen, Seibolzing ist die Entde- erst erkämpfen müssen. Es reicht nicht, ein Instrument ckung wert! Von Beat Blaser gut spielen zu können und ein paar eigene Ideen zu haben, die Devise muss sein: «Tu Gutes und sprich darüber!» Oder etwas moderner: «Sei vernetzt und mach auf allen Kanälen AARAU Jazz live Aarau, Spaghetti Factory Salmen; auf dich aufmerksam!» Sa, 17. Oktober, 15.30 Uhr Der Basler Saxofonist Niko Seibold hat die Lektionen gelernt, diejenige, gescheite Musik mit eigenen Ideen zu machen ebenso wie die, nicht zu bescheiden zu sein. Aus Süddeutsch- land stammend, absolvierte er die Hochschule in Basel und verschwand bei nächster Gele- genheit in Richtung New York, um im Auge des Taifuns zusätzliche Erfahrungen zu machen. Zurück in Basel gibt Niko Seibold Gas: Er betreibt ein Quartett und ein Duo, tut sich mit klassischen Kolleg*innen zusammen, schreibt für seine eigene Big Band und hat in der Tos kana eine Jazzstudienwoche begründet, wo er sein Wissen weitergibt. «Umtriebig» ist wohl das Wort für diese Art des Sicheinbringens, was auf keinen Fall negativ gemeint sein soll, im Gegenteil: Niko Seibold ist daran, sich einen Saxofonist Niko Seibold macht Jazz mit Rückenwind aus Manhattan. zvg Namen als ideenreicher Künstler zu machen. Unbequeme Fragen und alte Muster BÜHNE Noch immer wird der vermeintliche Freiheits für die Eidgenossenschaft gehandelt – auf Postkarten kämpfer Wilhelm Tell als eine zentrale Identifikationsfigur blicken uns Kühe von der saftig grünen Alpweide entgegen. Doch ist ein solches Selbstverständnis in Hinblick auf die Die Nachwuchsschauspielerinnen Emma Flohr, Chiara Müller, Anina Steiner gesellschaftliche Diversität noch zeitgemäss? Welche und Jaël Saier (v. l.). Foto: Luca Schaffer Schweiz wollen wir repräsentieren, wie wollen wir leben? Mit «Go Tell» beschäftigt sich das Theater Junge Marie gemeinsam mit jungen Menschen* unter der Regie von Julia Haenni mit ebendiesen Fragen; sie machen vor alt eingesessenen Mustern nicht halt. Ab 14 Jahren. phn AARAU Tuchlaube Sa, 24. Oktober, 20 Uhr, Mo, 26. Oktober, 19 Uhr, Di, 27. Oktober, 10 Uhr, Mi, 28. Oktober, 20 Uhr BADEN Kurtheater Mo, 16. November, 10 / 19 Uhr 12
Okt 20 Aargauer Kulturmagazin VORSCHAU Vom Fruchtwasser bis in die Weltmeere BÜHNE Derzeit ist ein neues Wasserschloss entstanden: Im Forum Schlossplatz fliessen auf kultureller Ebene Aare, Reuss, Limmat und Rhein zusammen. Eine Ausstellung über den Fluss als literarische Inspirationsquelle. Ein erster Sog ist bereits vor dem Forum Schlossplatz spürbar: Einer Fischtreppe gleich zeigen auf 37 liegenden Betonschwellen gedruckte Worte die Fliessrichtung an: Vom Fruchtwasser aus zieht es die Besucher*innen bis ins Spru- delwasser, durch das begehbare Gedicht «Wasserinventar» von Ilma Gastkuratorin Christa Baumberger hinter einer Wand aus Wasser. Foto: Aargauer Zeitung / Chris Iseli Rakusa hinein in die Ausstellungs- räume von «Im Fluss». Als Wasser- geborene kehren wir also gewissermassen in jenes Element Husslein umsichtig in Szene gesetzt. Seine Installationen zurück, das für so manches literarische Werk und schriftstel- lassen die Besucher*innen von Autor*in zu Künstler*in lerische Schaffen eine Inspirationsquelle war und ist. mäandrieren, und spätestens beim Blick durch ein Aquar ium hinaus in den Garten fühlt man sich teil dieses Über Grenzen hinaus Stromes – aus literarischen Gedanken und künstlerischen Gastkuratorin Christa Baumberger hat in mehrjähriger Bildern – und stellt auf Kiemenatmung um, um aus Recherche in verschiedenen Literaturarchiven den Bezug dieser fremd-vertrauten Welt nicht auftauchen zu müssen. von Autor*innen zu den genannten Flüssen untersucht. Her- Von Michael Hunziker ausgekommen ist, wie sie sagt, «keine rein aargauische Li- teraturschau, sondern eine explorative Ausstellung, die über Grenzen hinausweist». Das ist nicht nur programmatisch zu AARAU Forum Schlossplatz verstehen. Neben literarischen Grössen mit Aargau-Bezug Bis 10. Januar 2021 wie Klaus Merz, Christian Haller, Hansjörg Schneider oder Erika Burkart sind auch Positionen von anderen Autor*innen zu sehen und zu hören, wie etwa Zsuzsanna Gahse oder Silja Walter (von beiden auch bildnerische Arbeiten!). Eben, BEGLEITVERANSTALTUNGEN die Ausstellung beschränkt sich nicht auf reine Literatur, sondern ist interdisziplinär angelegt. So rudert der Konzept- Vom Silent Reading Rave über Konzerte bis zu Autor*innenlesungen: künstler Roman Signer in seinem mittlerweile zur Ikone Das Forum Schlossplatz hat ein buntes Begleitprogramm mit vielen gewordenen roten Kajak über die Weiler des Mittellandes, Veranstaltungen zum Thema Fluss und Literatur zusammengestellt. und Roman Sonderegger kartografiert auf seinen mit Fluss- So führt etwa die Spazierreihe «Gegenstrom» in vier Etappen die wasser getauften Papierbögen die Wasserwege der Flüsse. Limmat aufwärts und bietet einzigartige Flusserlebnisse im Zusam- menspiel von Literatur, Natur und Industrie (in Zusammenarbeit mit Durch Gedanken mäandrieren Einfach Zürich und dem Historischen Museum Baden). «Diese Interdisziplinarität passt gut zu uns», sagt Lena Nächster «Spaziergang» ist am 21. Oktober: Es geht mit der Ku- Friedli, Leiterin des Forum Schlossplatzes, die mit ihrem ratorin Christa Baumberger und dem Historiker Walter Bersorger der kunstkuratorischen Hintergrund Christa Baumbergers Vor Limmat entlang durch Baden zum Kraftwerk Aue. Im Anschluss spürt haben unterstützte. Im Hintergrund ist das Rasseln des Johannes Glarner, Experte für innere Ruhe, in einer Kurzmeditation Kieses am Grunde der Aare zu hören, und das Licht einer im Historischen Museum Baden den inneren Strom auf und legt ihn grünen Unterwasserwelt schimmert im Flur. Die vielseitige in Bezug auf Kreativität und Energie thematisch frei. Fülle des ganz unterschiedlichen Materials wurde von Simon Das gesamte Programm: www.forumschlossplatz.ch 13
VORSCHAU Okt 20 Aargauer Kulturmagazin Ein Duo Infernale SOUNDS Die Bieler Rapper Psycho’n’odds bringen mit ihrem Bilingue-Hip-Hop frischen Wind in die Bude. Nun kommen sie für eines ihrer begehrten Konzerte nach Aarau ins Kiff. «Plus rien à prouver – nüt meh z bewiise» – diese Zeile mit einer Leichtigkeit, sodass die Energie der Songs auch aus dem Song «Kilo» hat definitiv ihre Berechtigung. Denn jemanden mitzureissen vermag, der im Französischunter- mit ihrem Debütalbum «Radiation World», das im Januar richt einen Fensterplatz besetzte. Der spielerische Umgang 2020 erschien, führen Buds Penseur und Nativ aka Psy- mit der eigenen Stimme und Gesangselementen passt zur cho’n’Odds gekonnt vor, worin ihre unverkennbaren Stärken Thematik der einzelnen Songs und betont die Vielseitigkeit liegen – und das gleich mehrmals. Die Kombination von beider Protagonisten. Im Ganzen ist die neue Scheibe eher französischen und schweizerdeutschen Parts gelingt ihnen von traplastigen Beats bestimmt, die sich allerdings deutlich voneinander in Tempo und Stimmung unter- scheiden. Die beiden Künstler, die sich bereits zuvor durch andere Combos und Soloprojekte einen Namen machten, demonstrieren mit Psy- cho’n’odds, dass Rap auch ohne einen Vertrag mit einem Label durchaus funktioniert. Anstatt sich jedoch auf den Lorbeeren auszuruhen, legten die beiden in der coronabedingten Pause nochmals nach: Im Mai erschien die EP «Radiated Universe», auf der wieder klassische Oldschool- und Boom-bap-Beats zu hören sind. Darum dürften nun auch die kommenden, nachzuholenden Livekonzerte enorme Ab- wechslung versprechen. Gerade auf der Bühne ist das Duo überaus vielversprechend und wird mit seiner Freude an der Musik den Besu- cher*innen bestimmt mehr als ein klassisches Kopfnicken entlocken. Von Tobias Ackermann Die wohl dopeste Rap-Combo der Schweiz: AARAU Kiff Psycho’n’odds aus Biel. Foto: Jojo Schulmeister Sa, 10. Oktober, 21 Uhr Zwei Frauen in dystopischen Abenteuern LITERATUR Michael Stavarič arbeitete im Winter 2018 als Residenzgast im Aargauer Literaturhaus an seinem Roman «Fremdes Licht». Das Buch ist dieses Jahr bei Luchterhand erschienen, und der in Wien lebende tschechische Autor wird an den Schaffensort zurückkehren und sein Werk in Lenzburg vorstellen. Er erzählt die Geschichte zweier starken Frauen, die auf unterschiedlichen Zeitebenen und Klimazonen Dys topisches erleben. Die eine Hauptfigur, Genforscherin eines Winterthurer Unternehmens, erwacht im 24. Jahrhundert nach interstellaren Kriegen und einem apokalyptischen Kometeneinschlag in einer Eiswüste wieder. Sie erinnert sich an ihren Grossvater und an sein von den Inuit gelerntes Überlebenswissen. Während die andere Frau, Uki, eine Inuit im 19. Jahr- hundert, an den Polarforscher Nansen gerät – und in den Rausch des Fortschritts. mh LENZBURG Literaturhaus Michael Stavarič liest in Lenzburg. Foto: Yves Noir Mi, 21. Oktober, 19.15 Uhr 14
Okt 20 Aargauer Kulturmagazin VORSCHAU Sechs Hände für das District KLASSIK Sind Erfolge bei internationalen Klavierwettbewerben ausschlaggebend für eine Karriere? Nicht für den Pianisten Sir András Schiff: Förderung sei wichtiger. Deshalb gibt es seit 2014 das Projekt «Building Bridges». Drei von Schiff geförderte Pianist *inn en stellen sich bei Piano District vor. Musik und Musizieren könne man nicht mit einer Sportart ihrer Laufbahn, was könne er beitragen, frage er sich. «Junge gleichsetzen, sagt Sir András Schiff, einer der grössten, Musiker*innen benötigen Möglichkeiten, vor einem Publi- vielseitigsten Pianisten der Gegenwart. «Deswegen bin ich kum zu spielen, das über Bildung und Geschmack verfügt.» gegen Wettbewerbe in der Musik, die versuchen, Talent, So ist gemeinsam mit dem Impresariat Simmenauer die Begabung und Können zu messen. Es gibt in der Musik nur Reihe «Building Bridges» entstanden. Seit 2014 sucht Schiff subjektive Kriterien und Geschmack – und leider allzu weni- drei Pianist*innen aus, deren Spiel ihn interessiert und ge Menschen, die über einen guten Geschmack verfügen.» überzeugt. «Ich höre mir bis zu 100 Pianist*innen an, um Dennoch sei es ihm sehr wichtig, junge Pianist*innen zu drei auszuwählen, und investiere viel Zeit beim Zuhören unterstützen und zu fördern. Was brauchen sie zu Beginn und Nachfragen, bis meine Auswahl feststeht.» Für die Konzertsaison 2020 / 21 hat er die Pianistinnen Gile Bae (Niederlande) und Elena Nefedova (Russland) sowie den Pianisten und Komponisten Nicolas Namoradze (Georgien) ausgewählt. Gemeinsam mit ihnen hat Schiff ein Konzert- programm entwickelt, von dem er überzeugt ist, dass es sowohl den besonderen Merkmalen dieser Pianist*innen sowie der Idee der Reihe «Building Bridges» Rechnung trägt. Im Rahmen von Piano District präsentieren sich die drei in einstündigen Solorezitals mit Werken von Johann Sebastian Bach, Frédéric Chopin, Maurice Ravel, Nicolas Namoradze, Alexander Skrjabin, Franz Liszt, César Franck und Manuel de Falla. Ein Rezitalprogramm, so Sir Andràs Schiff, sei wie eine Visitenkarte: «Man zeigt musikalisch, wer man ist, wo man neugierig ist und welche übermusikalische Ideen für einen wichtig sind.» Von Elisabeth Feller BADEN Druckerei Der Pianist und Komponist Nicolas Namoradze aus So, 18. Oktober, 11 Uhr, Georgien spielt im Rahmen von Piano District. zvg 14 Uhr und 17 Uhr Sexualität – befreien! BÜHNE Stella Luna Palino bringt mit «Sex, Liebe & andere Bagatellen» ein gesellschaftskritisches Stück auf die Bühne. Sie entlarvt das Diktat geschlechtsstereotyper Normen, nach dem so viel in Liebesdingen abläuft – auf scheinbar vor gestanzten Wegen bewegt sich unsere Libido, stösst an Schranken und schlägt um in Gewalt: «Wir leben noch immer in einer Vergewaltigungsgesellschaft», sagt Palino, die in verschiedene shakespearesche Frauenfiguren schlüpft und darstellt, wie die weibliche Sexualität seit Jahrhunderten kon- trolliert, diktiert und diszipliniert wird. Ihre Performance mit eigenen und Texten von Hilde Schneider ist inspiriert von Sandra Konrads Buch «Das beherrschte Geschlecht» und Laurie Pennys «Unsagbare Dinge». Ein lustvoller, subversiver Abend – ein Beitrag zur Befreiung der Geschlechter. mh BADEN Teatro Palino Premiere Fr, 25. September, 20.30 Uhr. Weitere Vorstellungen im Oktober www.teatropalino.com Shakespeare feministisch gewendet: In Stella Palinos Stück. zvg 15
KIFF AARAU FR 23. OKT. 2020 19 UHR L’IMAGE QU’ON S’EN FAIT von SÉBASTIEN COUPY CH 2019, 75 Min. 03.10 16.10 im alten Gespräch mit dem Regisseur nach dem Film COLLIE SENSU CH Gemeindesaal Anlass der Kulturtage VIVE LENZ-FRANCE HERB & TOMPAUL CH 1 THE 16.10 MIGHTY TROUBAS ROOTS CH KATER CH SA 24. OKT. 2020 16 UHR BRUST ODER KEULE Ein Gespräch mit LAURENT EPERON, 08.10 23.10 Chef de Cuisine, Hotel Baur au Lac GÖTZ RAGGA- im alten OLIVER SCHMUKI, Moderation URSI CIMINO und REGULA ROBIN, Akkordeon WIDMANN DE BUND DE Gemeindesaal Anlass der Kulturtage VIVE LENZ-FRANCE 09.10 25.10 | KINDERKONZERT SOLACE. CH SILBERBÜX CH 10.10 30.10 PSYCHO‘N‘ VODOO SO 25. OKT. 2020 11.15 UHR ODDS CH JÜRGENS AT JOHANNA LIER liest aus WIE DIE MILCH Aargauer AUS DEM SCHAF KOMMT TICKETS, AKTUELLES PROGRAMM & Literaturhaus CORONA-EINLASSREGELN: WWW.KIFF.CH K RTHEATER LULU U Besteste Freunde «Du bist die Sonne BADEN meines Lebens.» Mi 14. und Do 15. Oktober 2020, 19.30 Uhr von Frank Wedekind, Residenztheater München VORVERKAUF: www.kurtheater.ch Ins.TihK_102.40x142.50_OKT_2020_V.indd 1 31.08.20 13:29
Okt 20 Aargauer Kulturmagazin VORSCHAU Streifzug durch die Aargauer Industriegeschichte AUSSTELLUNG Vom Würfelzucker über die Alufolie bis zur elektrischen Zahnbürste: Die Aargauer Industrie hat international Geschichte geschrieben. Die umfassende Ausstellung «Von Menschen und Maschinen» in Windisch trägt Erstaunliches zusammen. Im Rahmen des #ZeitsprungIndustrie-Jahres hat Museum 15-Stunden-Arbeitstage, ungesunde Arbeitsbedingungen, Aargau die grosse Sonderausstellung «Von Menschen knappe Entlöhnung und beengte Wohnverhältnisse in Kost- und Maschinen – Streifzug durch die Aargauer Industrie- häusern auf dem Fabrikgelände. Die Ausstellung zeigt, wie geschichte» realisiert. Die Ausstellung vermittelt einen sich die Arbeiterschaft im Aargau organisierte, sich bessere Einblick in die unterschiedlichen Lebenswelten der Patrons Arbeitsbedingungen erkämpfte und wie die Arbeit von und Fabrikarbeiterinnen und Fabrikarbeiter, präsentiert in Kindern im Laufe des 19. Jahrhunderts gewisse Einschrän- einem «Spiegelsaal» über 150 Aargauer industriegeschicht- kungen erfuhr. liche Objekte aus den Sammlungsbeständen von Museum Aargau. Spiegelsaal der Objekte Dabei versteht sich die Schau aber nicht als enzyklopä- In einem spektakulären «Spiegelsaal der Objekte» dische Aufarbeitung der Aargauer Firmen- und Objektge- zeigt die Ausstellung über 150 Produkte, die der Aargau schichte. Und sie erhebt auch keinen Anspruch auf Voll- im Zuge der Industrialisierung hervorgebracht hat. Die ständigkeit. Vielmehr verknüpft sie die Lebens-, Arbeits- und vielen Objekte lassen staunen, wie viele bekannte Produkte Objektwelten mit gesellschaftlichen Überlegungen und und Erfindungen aus dem Aargau stammen. Die Aus- macht dabei immer auch den Zeitsprung in die Gegenwart. stellung verweist auch auf das Zeitalter der Massenpro duktion: Mit der Industrialisierung ist die Ökonomisierung Lebens- und Objektwelten des Lebens gekommen, dessen oberstes Credo Schnellig- Gleich zu Beginn der Ausstellung entscheiden sich keit und Zeitersparnis ist. Auch der Blick in die Zukunft die Besucherinnen und Besucher, wessen Lebenswelt sie wird gewagt und regt die Besucher*innen an, sich mit zuerst betreten möchten. Jene der Arbeiter*innen? Oder dem Umbruch der Arbeits- und Konsumwelt durch künst jene des «Fabrikbarons» und dessen Familie? Wer die Welt liche Intelligenz und Robotic auseinanderzusetzen. des Patrons wählt, erhält anhand von Erzählungen lebhafte Von Rudolf Velhagen, Museum Aargau und zuweilen ungewohnte Einblicke in die grossbürgerliche Lebenswelt: Wie führte der Patron sein Unternehmen zum Erfolg? Welche fernen Länder bereiste er? Und wie war es WINDISCH SBB Historic im Unternehmen um die Rechte der Arbeiter*innen bestellt? 23. Oktober bis 1. Mai 2021 Wer zuerst die Welt der Arbeiterinnen und Arbeiter betritt, www.museumaargau.ch/ fühlt sich unmittelbar in deren harten Lebensalltag versetzt: menschen-und-maschinen Die Ausstellung wirft ein Licht auf die Lebenswelt ... und auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Patrone – im Bild der Direktor der damaligen BBC, der Arbeiter*innen – im Bild Lehrlinge der BBC. Walter Boveri Jr. … Fotos: ETH-Bildarchiv 17
VORSCHAU Okt 20 Aargauer Kulturmagazin Riskante Raumeroberungen AUSSTELLUNG Kunst, die den Raum verändert und neu gestaltet: So funktioniert Roman Sondereggers kommende Ausstellung. Seine Werke sind keine Objekte – sie sind Erlebnisse. Ein Raum voller Kunst, nein – der Raum ist Kunst: Genau das werdenden Weg folgt, tritt am Ende sich selbst vor einem erwartet die Besucher*innen an Roman Sondereggers neuer Spiegel entgegen. «Hier wird man auf sich selbst zurückge- Ausstellung im Kunstraum Aarau. Mit seinen Werken will der worfen, und man ist ganz bei sich», erklärt Sonderegger. gebürtige Vogelsanger zur Bewegung animieren und zum Unter dem Blick der eigenen Reflexion führt der Weg Erkunden auffordern. nach links oder rechts weiter. Die Besucher*innen sollen So führt vom Eingang her eine lange trichterförmige damit den Moment der Entscheidung erleben. Im hinteren Kartoninstallation durch den Raum. Wer dem schmaler Teil stehen auf einem Tisch in Einmachgläsern konservierte Stofftiere: Die Betrachter*innen werden an diesem Punkt mit der eigenen Vergangenheit konfrontiert. Im oberen Stock füllen zwei zusammengezurrte Skulptu- ren aus Schaltafeln und Backsteinen den ersten Raum aus. «Sie funktionieren aber autonom, ohne auf den Platz ange- wiesen zu sein», sagt der Künstler. Im gleichen Raum hängen zudem Wandreliefs aus Holz. Diese führen vom ersten in den zweiten Raum und sind zu Beginn noch sehr klein. Gegen Schluss werden sie aber immer grösser und nehmen stetig mehr Platz ein. Im zweiten Raum angekommen, türmen sich vor den Betrachter*innen geschichtete Dachlatten in meh- reren Skulpturen bis unter die Decke auf. «Diese Arbeit war sicherlich die grösste Herausforderung der Ausstellung, weil ich den Sprung von der autonomen Skulptur zur raumbe zogenen Installation schaffen wollte», so Sonderegger. Entworfen wurden alle Installationen im Atelier des Künstlers. Diese Arbeitsweise berge jedoch stets ein Risiko: «Ich weiss oft nicht, ob meine Arbeit vor Ort funktioniert», sagt Sonderegger. Doch genau diese Risikobereitschaft treibe ihn an: «Ich möchte jeweils in einen Ort eingreifen, ihn temporär überschreiben.» So sollen die Betrachtenden den Raum neu erleben. Mit seiner Arbeit wolle er auch auf etwas aufmerksam machen oder auch ein architektonisches Detail beleuchten, verstärken und hinterfragen. Von Barbara Scherer AARAU Kunstraum, Vernissage Sa, 3. Oktober, Beim Experimentieren im Atelier: Roman Sonderegger. zvg Ausstellung bis 30. Oktober Identitäten hinterfragen BÜHNE Brüche – sie sind fester Bestandteil unserer Biografien, sie verändern Macht- strukturen, ja gar die Geschichte, bewusst oder unterbewusst. Brüche – im gesell- schaftlichen, persönlichen und künstlerischen Sinne – bilden auch das Rahmenthema der PhiloThik-Veranstaltungsreihe der Saison 2020/21. Ist unsere Identität natürlich oder nicht viel eher konstruiert und einer stetigen Aushandlung unterworfen? Welche Kräfte und Konflikte haben welche Ideen hervorgebracht, und wie sind diese zu bear- beiten, zu unterbrechen oder bewusst zu halten? Bei der Auftaktveranstaltung disku- tiert Benjamin Ruch mit der Philosoph*in Tyna Fritschy zum Thema «Queer – Brüche erleiden und suchen» diese und weitere Fragen. phn Tyna Fritschy forscht zu Kunst, queer-feminis- tischer und postkolonialer Theorie. zvg BADEN Thik, So, 18. Oktober, 11 Uhr 18
Okt 20 Aargauer Kulturmagazin VORSCHAU Kreative Entscheidungshilfe BÜHNE Wer erinnert sich an den Zirkus Chnopf? Genau, das dürften einige sein. Denn den Zirkus gibt es bereits seit 30 Jahren. Und das feiert er mit der Jubiläumspro- duktion «Pluto». Fünf Zirkusprofis mit fünf Jugendlichen zwischen 14 und 20 Jahren bringen ein verblüffendes Stück auf die Bühne. In einer Welt, in der alles möglich scheint und in der man vermeintlich stets alle Optionen offen hat, wird das Treffen von Entscheidungen zur echten Herausforderung. Zum Glück ist da noch die kleinste Person auf der Bühne. Sie versetzt mit ihrer Vision die ganze Gruppe in einen krea tiven Rausch. Ein Flug durchs All mit Theater, Tanz, Artistik und Livemusik, organisiert vom Thik Baden. Ab 4 Jahren. mh BADEN Alte Schmiede Mi, 14. Oktober, 16.30 Uhr, Fr, 16. Oktober, 19.30 Uhr, Zirkus Chnopf zu Gast in Baden. zvg Sa, 17. Oktober, 16.30 Uhr Wunderheilung oder Quacksalberei? DIES & DAS Ein Alchimist kommt aufs Schloss Lenzburg, nicht etwa weil dort ein Superspreader sein Unwesen treibt, sondern um interessierten jungen und älteren Besucher*in- nen einen Einblick in die Gesundheitspraktiken des Mittel- alters zu geben. Dabei kommt einiges Wundersames zum Vorschein. Im Gepäck hat er wild Zusammengebrautes: Tinkturen, Gebräue und Heilmittel aller Art. Es brodelt in seinen Gläsern und Kesseln. Und er zeigt verschie- dene Experimente und heilende Kniffs. Aber half es wirklich? mh LENZBURG Schloss So, 4. Oktober, 10 bis 17 Uhr Der Alchimist aus dem Mittelalter hat für alles ein Wässerchen. zvg Spontane Choreografie BÜHNE Kaum auf den Beinen, schon auf der Bühne – mit dem Stück «Alice tanzt» fallen die ersten Schritte im Theater besonders einfach. Die Kinder dürfen ihrer Neugier folgen und auf spielerische Art ihre eigene Welt kreieren. Gemeinsam improvisieren sie mit Cornelia Hanselmann, Eva Maria Küpfer und Gästen ein Stück, das sich von einer Aufführung zu einem tänzerischen Spiel entwickelt: Kriechen, Rollen, Krabbeln, Hüpfen – eine spontane Choreo- grafie. Parallel findet für ältere Kinder ein Figurentheater statt (Bruno und das Nasenvelo). So kann die ganze Familie wieder mal ins Theater. mh AARGAU Bühne Aarau (Tuchlaube) So, 18. Oktober, 11 Uhr Gemeinsam improvisieren: «Alice tanzt». Foto: Corinna Reider 19
VORSCHAU Okt 20 Aargauer Kulturmagazin Ein monströses Wochenende Existenzielle Fragen Das passende Fell Parlament der Pflanzen Lilli und Louis verbringen das Der «Reisende in Sachen Erinne- In «Fell» beschliesst Len, ein ewig Die Ausstellung «Parlament der Wochenende bei ihren Tanten. rung» Mats Staub lässt sich Zeit für Suchender, als Kaninchen zu Pflanzen» im Kunstmuseum Sie wollen gar nicht so recht seine Projekte. In seinen Videoar- leben, da dies seine wahre Iden Vaduz setzt an der Schwellen dorthin, denn das Haus ist beiten porträtiert er Menschen, die tität sei. Seine Frau Joy versucht, situation des Anthropozäns an, um unheimlich, die Frauen seltsam. sich an ihre Grosseltern erinnern, ihn zurück in die Realität zu eine neue Erzählweise über die Denn: Die Tanten leiten eine oder er befragt sie zu den zehn holen. Doch trotz Widersprüchen komplexen Verflechtungen anzu- Schule für Monster. Und das geht wichtigsten Ereignissen in ihrem besteht er auf seiner inneren bieten, durch die alles mit allem gehörig schief: Louis wird von Leben. In seinem neusten Lang- Bestimmung. Das extravagante verbunden ist. Im Rahmen der einem Schlucker verschlungen! zeitprojekt «Death and Birth Stück, das irgendwo zwischen Ausstellung ist der frei zugängliche Lilli begibt sich daraufhin auf das in My Life» geht es um die ganz Ehekrise, sexuellen Fantasien und Seitenlichtsaal als ein sich wan- Abenteuer, ihren Bruder zu retten. grossen Fragen des Lebens. Im Tierschutz spielt, thematisiert das delnder und wachsender Projekt- Eine turbulente Geschichte für Museum für Kommunikation bringt omnipräsente Stichwort Toleranz raum konzipiert. Die Ausstellung kleine und grosse Kinder, erzählt er Menschen zusammen, die einan- auf erfrischende Art und Weise. dauert noch bis Januar. mit Handpuppen im Luzerner der von Leben und Tod erzählen. Figurentheater. WINTERTHUR Kellertheater VADUZ Kunstmuseum BERN Museum für Kommu Fr, 2. Oktober, 20 Uhr, Sa / So, bis 17. Januar 2021, LUZERN Figurentheater, So / Mi/ nikation, Fr, 16. Oktober, bis So, 3. / 4. Oktober, 17.30 Uhr, www.kunstmuseum.li Sa, 25. / 28. / 31. Oktober, 15 Uhr 6. Dezember, www.mfk.ch www.kellertheater-winterthur.ch Urbanzer Jazz Farbe und Klang Blick nach innen Die Macht der Machtstrukturen Christoph Steiners «Escape Argot» Eine nächtliche Projektion animier- Plötzlich sassen wir alle in unseren Mit Werken zweier Kunstschaffen- übt den Ausbruch aus Gewohn- ter Bilder, begleitet von sphärischen Wohnzimmern fest. Zurückgewor- der verschiedener Generationen heiten und werkelt an einer Klängen, verzaubert das Schloss fen auf unser Eigenes. So ging es ergründet die Kunst Halle Sankt eigenwilligen und beweglichen Pratteln im Baselbiet. Sie ist das auch dem Kunsthaus Zug. Nur: Gallen auf unterschiedliche Weise Klangsprache. Jeder Musiker bringt Herzstück des Festivals «Farb- Kunst tut das schon immer, sich soziale Beziehungen in alltäglichen seine musikalische Persönlich- klang» von Nicole Schmölzer und mit dem Eigenen beschäftigen. Situationen. Valentina Minnig (1991 keit in diesen dynamischen und Bernhard Dittmann. Es verbindet So macht das Kunsthaus in der in Chur geboren) und auch Gernot pulsierenden Bandklang ein. Das Malerei und Video, Klanginstallation Ausstellung BeZug den Blick auf das Wieland (1968 in Horn/AT geboren) Trio klingt nach Filmsoundtrack, und Livekonzerte sowie Vorträge Eigene zum Programm und gehen in ihrer künstlerischen Praxis treibend und dicht, bevölkert und Werkstattgespräche mit den entdeckt dabei ganz neue Aspekte (verborgenen) Machtstrukturen von intensiven kleinen Szenen, Musizierenden. seiner Sammlung. Dabei entsteht nach und hinterfragen, wie diese grossstädtisch, voller unter- eine Verwebung von internationalen unsere Beziehungen und das Zu- schiedlicher Stimmun- PRATTELN Schloss Künstler*innen mit Bezug zu Zug sammenleben gestalten. gen. Fr, 9., bis Di, und Werken von Zuger Künstler*in- 27. Oktober, 20 Uhr, nen mit Blick nach innen. ST. GALLEN Kunst Halle OLTEN Vario Bar, www.farbklang.org bis 8. November, 3. Oktober, 21 Uhr ZUG Kunsthaus, bis 10. Januar 2021 www.kunsthallesanktgallen.ch 20
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