"Geschichte(n) einer Stadt" MUSIT gibt seinen Katalog mit 184 Seiten heraus
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Kunststoff-Museum Troisdorf, Museumsverein e.V. Info 2021,01 „Geschichte(n) einer Stadt“ MUSIT gibt seinen Katalog mit 184 Seiten heraus Die Museumsleiterin Frau Dr. Pauline Liesen und die Historikerin Frau Dr. Petra Recklies-Dahlmann haben den umfangreichen, farbig bebilderten Katalog in Buchform zur Begleitung für den interessierten Besucher des Museums für Stadt- und Industriegeschichte -MUSIT- in der Burg Wissem in Troisdorf in der Burgallee 1 entwickelt und im Dezember 2020 herausgegeben. Er erzählt über die Exponate und Beschriftungen im Museum und darüber hinaus die Geschichte der Stadt und ihrer Unternehmen auf interessante Weise. Katalog des MUSIT, Troisdorf, Dezember 2020
-2- Auch über die Kunststoffe in Troisdorf wird berichtet: So werden Kunststoffprodukte der Dynamit Nobel AG und die Extruder der Fa. Reifenhäuser beschrieben. Ein lesenswerter Katalog, der über das Übliche hinaus auch die Stadtgeschichte in interessanter Weise beleuchtet! Erhältlich ist der Katalog zum Preis von 19,90 € im MUSIT Tel. 02241 900-422 sowie in der Buchhandlung Kirschner Tel. 02241 88070 Blättern Sie in der Leseprobe! Bearbeitet: Dr. Volker Hofmann, Troisdorf, 14. Januar 2021
Köln Impressum Hrsg. vom Museum für Stadt- und Industriegeschichte Troisdorf (MUSIT), Leitung: Dr. Pauline Liesen mit freundlicher Unterstützung des Heimat- und Geschichtsvereins Troisdorf e.V. (HGT) Text: Dr. Petra Recklies-Dahlmann Lektorat / Bildredaktion: Museum für Stadt- und Industriegeschichte Troisdorf (MUSIT) Bildnachweis: Gestaltung: Titel (von oben nach unten; von links nach Frank Georgy, Köln rechts): Rathaus, Kölner Straße; Stadt Trois- (kopfsprung.de) dorf/ Außenansicht des Troisdorfer Voll- Kunststoffhauses; Foto: Rainer Hardtke/ Pup- Druck und Bindung: penhausmöbel; Marlies Sawinsky und Dr. LUC GmbH, Selm Lothar Schimmelpfennig/ Das erste Kunst- stofffenster aus Mipolam; Foto: Rainer Hardt- © 2020, Museen Burg Wissem ke/ Viele alte Extruder im Einsatz; Reifenhäu- ser/ Werkshalle bei Mannstaedt; Mannstaedt/ Fuhrpark Schmitz-Mertens in den 1950er Jah- ren; Wolfgang Schmitz-Mertens Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: S. 19o: MUSIT, Leihgabe LVR-Freilichtmuse- Die Deutsche Nationalbibliothek um Kommern; Foto: Daniel Schäfer Photogra- verzeichnet diese Publikation phy in der Deutschen Nationalbibliografie; S. 19u: MUSIT, Leihgabe Ute und Peter Frost detaillierte bibliografische Troisdorf; Foto: Daniel Schäfer Photography Daten sind im Internet über S. 20 sowie S. 80 – 83: Stadtarchiv Troisdorf http://dnb.d-nb.de abrufbar. S. 143-144: MUSIT; Foto: Rainer Hardtke ISBN 978-3-944114-16-3
6 | Ein Museum, wie’s im Buche steht Unbekannten im Rheinland – Die Familie Grußwort des Bürgermeisters Langen | Glückssucher in der »Neuen Welt« | Klaus-Werner Jablonski, Trosidorf Einige Auswanderer aus dem Siegkreis | Arbeit und ein bisschen Vergnügen | Der Siegeszug 8 | Der HGT für’s MUSIT der Eisenbahn | Die »eiserne Bahn« | Adolf Grußwort Claus Chrispeels, Heimat- und Holst: Auf dem Bahnhof | Revolution auf Geschichtsverein Troisdorf e.V. Wegen: »Kunststraßenbau« | Kontrollen auf der Chaussee | Bäckerei, Kolonialwarenhandel 12 | Einleitung und Rösterei: Wilhelm Mertens kommt Vom Bauernhof zur größten Stadt im nach Troisdorf | Ein Heimatdichter: Johann Rhein-Sieg-Kreis: Geschichte und Zukunft Wilhelm Mertens der »Industriestadt im Grünen« 52 | Häkelspitze und Pickelhaube 16 | Ackern um Achtzehnhundert Troisdorf boomt: Die Rheinisch-Wesfälische- Das Rheinland verändert sich: Franzosen, Sprengstoff-AG kommt | Genehmigung zur Reformen und die Preußen kommen | Land- Anlage einer Zündhütchenfabrik Oktober leben im Siegkreis | Erste Arbeitgeber: 1887 | Ein zweites Standbein: Kunststoffe aus Claren Glocken | Johann Hellen: Die Glocken Troisdorf | Vom Schwarzpulver zum Dyna- von Sieglar | Die Alaunhütte in Spich | Nach- mit | Alfred Nobel und das Dynamit | Aus der folger auf dem Gelände der Alaunfabrik Friedrich-Wilhelms-Hütte wird Mannstaedt | Die Kaffeerösterei Schmitz-Mertens: Von Mer- 26 | Arbeiter gesucht tens zu Schmitz-Mertens | Ein kurzer Blick auf Revolutionen, Kriege und Reichsgründung | einige andere Unternehmen | Ein fast verges- Fabrik- statt Feldarbeit | Die Ursprünge der senes Kapitel Industriegeschichte: Spielzeug »Industriestadt im Grünen« | Johann Wilhelm aus Troisdorf erobert die Welt | Unternehmen Windgassen | Effektives Arbeiten erfordert bauen für ihre Arbeiter | Mehr als 100 Jahre vernünftige Rahmenbedingungen: Soziale Gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaft Verantwortung der Unternehmer | Keine Troisdorf | Infrastruktur für eine wachsende
Inhalt Gemeinde: Gas- und Wasserwerk | Troisdorfs Einsatzbereiche: Kunststoffe aus Troisdorf | Krankenhäuser | Ein »Rhabarberschlitten« Eine gute Wahl: Profile von Mannstaedt | sorgt für Mobilität | Busse statt Bahnen | Die Spezialgetriebe und Zahnräder in allen Selbstständigkeit wird gefeiert | Der Erste Größen: Keller liefert | Beschwerden wegen Weltkrieg beginnt | Ein Luftschiffhafen für Lärmbelästigung | Global agierend: Das Troisdorf | Produzieren im Krieg Familienunternehmen Reifenhäuser | Von der Schmiede zu »The Extrusioneers« | Glasuren 106 | Gutschein über 50 Millionen machen das Leben bunter: Firma Fey | Kaffee Leben zwischen den Weltkriegen | Der in Frisch-Dienst-Qualität: Firma Schmitz- Werk-Chor der DN | Volksbühne Sieglar | Mertens | Gastarbeiter gesucht! | Ein Grieche Troisdorfer Wirtschaft: Klöckner-Werke AG | auf der Hütte | Gekommen und geblieben | Firma Keller | Firma Reifenhäuser | »Züfa« Wachstum auf einen Schlag: Die Kommunale und »Kufa« | Der Eschbach Zünder | Aus RWS Neuordnung 1969 | Ein attraktives Zentrum: wird DAG | Die Dynamit AG | Ein ganz be- Die Fußgängerzone Troisdorf | Fahrrad, Bus, sonderes Kunststoffobjekt: László Moholy- Bahn und Auto: Neue Herausforderungen | Nagys »Tp2« | Nobel-Stiftung | »Machtergrei- Mehr Lebensqualität für mehr Bürger | Das fung« und wieder ist Krieg | Unternehmen Bürgerhaus | International vernetzt: Troisdorf unter Beschuss | Ein Zwangsarbeiterschicksal: und seine Partnerstädte | Vergangenheit und Tonino Guerra (1920–2012) | Kriegsende, Zukunft Mangelverwaltung und Wiederaufbau 176 | 200 Jahre Troisdorf: 136 | Wundertüte Troisdorf Ein kurzer Blick in die Geschichte Alliierte Kontrolle und Neuanfang | Trois- dorf wird Stadt | Nobel- oder Siegtalstadt: 182 | Anmerkungen Ein neuer Name muss her? | Eine besondere Geschichte: Altenrath | Explosive Verkäufe | 183 | Literaturauswahl Kunststoffe im Innenausbau: Die neue Haupt- verwaltung von Dynamit Nobel | Vielfältige 184 | Bildnachweise
Ackern um Achtzehnhundert Das Rheinland verändert sich: Franzosen, Reformen und die Preußen kommen Hatte sich das Leben in Troisdorf und Umge- bung über die Jahre hinweg eher langsam ver- ändert und beschaulich entwickelt, brachten die Französische Revolution von 1789 und die folgenden Kriege nahezu revolutionäre Ver- änderungen auch ins Rheinland. Während die linksrheinischen Gebiete zwischen 1794 und 1814 in den französischen Staat eingeglie- dert waren, stand das rechtsrheinische Groß- Den Gewerbetreibenden und Unternehmern herzogtum Berg, zu dem Troisdorf gehörte, auf der rechten Rheinseite ging es in diesen ab 1806 unter französischer Verwaltung. Als Jahren eher schlecht, weil durch die Eingliede- Folge davon hielten weitgehende Reformen rung des linksrheinischen Gebietes in den fran- Einzug. So wurde das Rechtssystem komplett zösischen Staat dessen Grenze nun bis an den verändert, was eine bisher nahezu unbekannte Rhein vorgeschoben wurde. Die Gewerbetrei- Rechtssicherheit sowie eine Rechtseinheit mit benden auf der linken Rheinseite profitierten, sich brachte. In der Kirchenpolitik sorgte die weil die Franzosen hohe Zölle festsetzten und Säkularisation mit dem Reichsdeputations- die Grenzen stark absicherten, um die Binnen- hauptschluss von 1803 für einen gewaltigen wirtschaft zu stärken. Was für den einen Teil Umbruch mit großen Besitzverschiebungen. gut war, wirkte sich für den anderen verhee- rend aus: Die rechtsrheinischen Unternehmer verloren ein großes Absatzgebiet. Für Trois- dorf stellte sich dieses Problem zu dieser Zeit allerdings weniger, da bis zu diesem Zeitpunkt kaum überregional tätige Gewerbebetriebe vorhanden waren. Alte Bäuerin am Spinnrad 17 (Ausschnitt)
Zunächst mussten aber auch die Bewohner der Landleben im Siegkreis neu zu Frankreich gekommenen Gebiete ihren Beitrag zur Finanzierung der Napoleonischen In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebten Kriege leisten. Der beschränkte sich nicht auf die meisten Menschen im heutigen Siegkreis als Abgaben, denn unzählige wehrfähige Männer Handwerker, Bauern oder Tagelöhner auf dem wurden zum Heeresdienst einberufen. Viele Land. Sie bauten hauptsächlich Getreide, Kar- von ihnen verloren bis zur endgültigen Nie- toffeln, Rüben, Flachs und Hülsenfrüchte an, derlage Napoleons bei Waterloo (1815) in den wobei das meiste für den Eigenbedarf verwen- verschiedenen Schlachten oder auf den langen det wurde. Wenn, was nicht selten geschah, ein Märschen bis nach Russland (1812) und zurück Hochwasser die Felder überschwemmte oder ihr Leben. eine Dürre die Ernteerträge verringerte, wa- Mit der endgültigen Niederlage Napoleons ren die Folgen sogleich spürbar: Die Preise zo- kam es zu einer territorialen Neugliederung gen an, ein Teil der Bevölkerung hungerte und Europas auf dem Wiener Kongress 1814/15: Die Seuchen breiteten sich unter den geschwäch- links- und rechtsrheinischen Gebiete fielen an ten Menschen rasch aus. Schon vor den Na- Preußen. Nach einer Übergangsphase bildeten poleonischen Kriegen hatte es immer wieder sie ab 1822 die Preußische Rheinprovinz. kriegerische Auseinandersetzungen gegeben, in deren Folge Truppen durch den Siegkreis ge- zogen waren, die untergebracht und verköstigt werden mussten. Dementsprechend lebten hier mehr arme als wohlhabende Menschen. Der »Kreisphysikus« Dr. Anton Lohmann hin- Abb. oben: Teller mit Löffeln Abb. unten: Henkelmann terließ eine plastische Beschreibung der Le- bensumstände im Siegkreis um das Jahr 1825 1: Die Landleute bewohnten meist »elende Hüt- ten« mit einer einzigen Stube. Die Stube diente gleichzeitig als Vorratsraum: Kartoffeln wur- den »unter und um das Bett aufgehäuft«. Statt Fenster gab es oft nur Löcher in der Wand, »worin dann ein Stück Glas […] gefasst ist. […] Diese Fenster sind fest und können nicht an- ders geöffnet, als wenn sie ganz herausgenom- men werden, was höchstens im Sommer mal geschieht.« Einmal täglich wurde die Stube mit dem Besen gekehrt. Im Raum gab es eine offene Feuerstelle, auf der gekocht wurde. Hier ließ sich nur ein Topf unterbringen, weshalb es stets Eintopf gab, in den selbstgebackenes Brot gebrockt wurde: morgens meist Milchsuppe, mittags Kartoffeln mit Zwiebeln, Erbsen oder Bohnen, abends Mehl- oder Kartoffelsuppe. Fleisch gab es nur selten. Im Winter war der »Herd« gleichzeitig der einzige Wärmelieferant. 19
Zahlreiche hungrige Mäuler mussten gestopft dünne Mütze, welche über einen halbmondför- werden, denn obwohl die Säuglings- und Klein- migen Ring gezogen wird, der von hinten über kindersterblichkeit hoch war, wuchs die Bevöl- das aufgemachte Haar gelegt und oberhalb der kerung kontinuierlich. Zehn oder mehr Kinder Ohren mittels einer kleinen Krümmung, die waren keine Seltenheit. gewöhnlich die Figur eines Fischmauls hat, »Die Betten […] sind nicht selten voller Flöhe befestigt wird.« Dieser metallene Ring wurde und anderes Ungeziefer. […] Bei vielen werden »Ohreisen« genannt. höchstens drei Hemden einmal im Jahr und dann meist nur aus klarem Wasser gewaschen. Die Arbeit dauerte von Sonnenauf- bis Son- […] Überhaupt ist die Reinigung des Körpers nenuntergang. Anpacken mussten auch schon nicht sehr allgemein. Was in dieser Hinsicht ge- die Kinder: »Der gemeine Mann […] kann auf schieht, besteht darin, dass Hände und Gesicht die Erziehung seiner Kinder wenig verwenden, zuweilen mit Wasser gewaschen werden.« Män- oft ist er kaum imstand, sie während der Jahre ner trugen meistens »eine leinene Jacke, leine- der Kindheit zu erhalten – er muß sie schon ne Unterweste, leinene Hosen […] und Schuhe in der frühesten Jugend zu Arbeiten anhalten, mit und ohne Strümpfe.« Auf dem Kopf hatten die Brot verschaffen.« Aber es gab auch ein sie eine Kappe oder einen einfachen Hut. Um paar Vergnügungen: Kirchweih, Jahrmarkt und den Hals banden sie eine Halsbinde aus Baum- Fastnacht waren feste Ereignisse im Jahreska- wolle. lender. Daneben boten Hochzeiten Gelegen- heit zum ausgelassenen Feiern. Dabei schossen Frauen trugen Kleider und Schürzen aus Kat- manche auch schon einmal über das Ziel hin- tun oder Leinen, die Strümpfe waren manch- aus: Der Kreisphysikus bemängelt so in seinem mal aus Wolle. Sie hatten auf dem Kopf »eine Bericht, dass »auf den Kirchweihen und über- haupt bei den Musik- und Tanzfesten […] Wein und Branntwein bis zum Übermaß getrunken« wird. Kam noch ausgelassenes Tanzen dazu, Haus in der Ortschaft Sand, Anfang des 20. Jhs. endete das nicht selten in blutigen Raufereien.2 20
Unternehmen bauen für ihre Arbeiter Zwei aufstrebende Großunternehmen brauch- ten immer mehr Arbeitskräfte, und diese be- nötigten Wohnungen. Durch die Bautätigkeit, aber auch aufgrund logistischer und produk- Nachdem Louis Mannstaedt das Walzwerk aus tionstechnischer Erfordernisse wurden die Köln nach Troisdorf verlegt hatte, mussten auf Unternehmen zum Motor der Entwicklung einen Schlag zahlreiche neue Arbeiter unter- Troisdorfs: Neue Wohnviertel entstanden, gebracht werden. Da die vorhandenen Woh- Straßen wurden angelegt und gepflastert. Die nungen nicht ausreichten, schob Mannstaedt flächendeckende Energie- und Wasserversor- umfangreiche Bauvorhaben an. Ab 1912 ent- gung wurde vorangetrieben. Damit einher ging standen zwei Arbeitersiedlungen: die »Rote« die Einrichtung von Schulen, Krankenhäusern und die »Schwarze« Kolonie, benannt nach und kulturellen Begegnungsstätten. Zug um der Farbe ihrer Dachziegel. Für leitende An- Zug entstand eine moderne Infrastruktur. Die gestellte und Werkmeister wurden zusätzlich Unternehmen beteiligten sich einerseits am Häuser in der sogenannten »Beamtenkolonie« Wohnungsbau, sorgten andererseits aber auch gebaut. Die Architekturbüros Eugen Fabricius selber für ihre Arbeiter durch den Bau zahlrei- und Arthur Hahn aus Köln sowie Dietrich und cher Wohlfahrtseinrichtungen. Karl Schulze aus Dortmund übernahmen die Planung. Fabricius gehörte zu den namhaften Architekten in Köln, hatte aber auch bereits Profileisen für Mannstaedt entworfen. Schul- zes hatten Arbeiterkolonien im Ruhrgebiet er- Häuser in der Mannstaedt-Kolonie richtet. Der Bau von Arbeiterwohnungen war 80
durchaus üblich in dieser Zeit, konnten die Unternehmer so doch ihre Mitarbeiter an sich binden. Überregional bekannt ist heute vor allem die »Margarethenhöhe« von Krupp in Essen. Rund 50 Jahre früher entstand bereits die Siedlung »Eisenheim« in Oberhausen, die als erste solcher Arbeiterwohnanlagen unter Denkmalschutz gestellt wurde. Die »Schwarze Kolonie« war eine reine Arbei- tersiedlung nahe beim Werk. Im Sommer 1912 Ehemaliges Kaufhaus der Mannstaedt-Werke bezogen die ersten Familien ihre Wohnungen. Sechs verschiedene Haustypen boten Wohn- flächen zwischen 50 und 65 Quadratmetern. Die »Rote Kolonie«, auch »Neu-Kalk« ge- Im Erdgeschoss befanden sich die Wohnküche, nannt, lag etwas entfernter vom Fabrikgelän- davon getrennt die Spülküche, Stall und Toi- de. Hier fanden vorwiegend Facharbeiter und lette. Im Obergeschoss lagen die Schlafräume. Meister auf Grundstücken von 200 bis 500 Modernste Technik, wie elektrisches Licht und Quadratmetern ein neues Zuhause. Auch an Wasserboiler, gehörten zur Standardausstat- der Elisabethstraße entstanden Neubauten. tung ebenso wie ein sich anschließender Nutz- Im Unterschied zu den beiden anderen Kolo- garten. nien lag die »Beamtenkolonie« diesseits des Bahndamms. Hier mussten die Architekten auf die vorhandene Bebauung Rücksicht nehmen. Es entstanden repräsentative Häuser für leiten- Plan eines Doppelhauses der Mannstaedt-Kolonie de Angestellte und Werkmeister. 81
Aber auch Louis Mannstaedt selbst und sei- Im direkten Umfeld Troisdorfs waren nicht ne Söhne ließen sich in Troisdorf nieder. Auf genügend Arbeitskräfte zu bekommen. Eine einem großen Grundstück im Wald an der Al- dauerhafte Unterbringung von Beschäftigen tenrather Straße bauten sie sich repräsentative in Wohnheimen konnte keine Lösung sein. Anwesen. Louis Mannstaedt ließ sein Domizil Deshalb beteiligte sich die RWS 1918 an der von den Architekten der Roten Kolonie pla- Gründung der Gemeinnützigen Wohnungs- nen. Carl Mannstaedts Anwesen baute Camil- baugenossenschaft Troisdorf, die ihren Mitglie- lo Friedrich aus Köln, und Carl Ludwig Mann- dern »Kleinwohnungen zur Miete oder zum staedt holte sich den Architekten Carl Doflein Erwerb« verschaffen wollte. Auch Arbeitern für den Bau seiner Villa. mit geringen Kapitalreserven sollte mit Hilfe Daneben entstanden zahlreiche Wohlfahrtsein- der Wohnungsbaugenossenschaft die Möglich- richtungen für die Arbeiter wie Konsum (Le- keit gegeben werden, Eigentum zu erwerben. bensmittelgeschäft), Kindergarten, »Hütten- Die Gemeinde Troisdorf stand diesen Aktivi- schänke«, Badeanstalt und Wohnheim. täten positiv gegenüber, weil sie die akute Not auf dem Wohnungsmarkt nach dem Ersten Auch die RWS merkte rasch, dass sie etwas für Weltkrieg minderten und halfen, Baulücken zu ihre Arbeiter tun musste. Schon früh machte schließen. Zunächst engagierte sich die RWS sich ein Mangel an Wohnraum für die steigen- vor allem im Bau eigener Häuser. Bis 1925 de Zahl der Mitarbeiter der Rheinisch-West- wurden 225 Wohnungen für Arbeiter und An- fälischen-Sprengstoff-AG (RWS) bemerkbar. gestellte bezugsfertig und in einer eigenen Ab- teilung verwaltet. Villen der Familie Mannstaedt an der Parkstraße in Troisdorf 82
Postkarte mit Ansichten aus den Werkskolonien 83
Vielfältige Einsatzbereiche: Kunststoffe aus Troisdorf Waren Kunststoffe zunächst nur als Ersatz für Naturprodukte gesehen worden, entwickelten sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg zum Ver- Ein strapazierfähiger Bodenbelag aus Mipo- kaufsschlager. 1950 wurden ca. 50.000 Ton- lam durfte auch in der Nachkriegszeit in kei- nen Kunststoffe hergestellt; 1983 übertraf der nem öffentlichen Gebäude fehlen. Die Profile Verbrauch von Kunststoffen den von Stahl. In Mipolam-Elastic für das erste Kunststoffenster Troisdorf entstanden zahlreiche Produktseg- kamen ab 1954 aus Troisdorf – das mühsame mente mit spezifischen Eigenschaften für jegli- Behandeln und Streichen der Holzfenster chen Anwendungsbereich – hier nur einige der konnte man sich nun sparen. Ultrapas, bes- bekanntesten: ser bekannt unter dem Markennamen Reso- pal eines Konkurrenten, war ein »Muss« in jeder Küche. Das grüne Rohr aus Troisdorf, beispielsweise für Dachrinnen und Fallrohre, kannte bald jeder Bauarbeiter. Viele Wind- schutzscheiben wurden als Verbund-Sicher- heitsglas mit der Trosifol-Sicherheitsfolie aus Troisdorf gefertigt, die u.a. auch in der gläser- nen Kuppel des Berliner Reichstages verbaut ist. Werkszeitschrift Dynamit Nobel mit der Titelstrecke Mipolam 143 links/rechts: Innenansichten des Troisdorfer Voll-Kunststoffhauses
Maschinenteile aus Trovidur Koffer aus Dynos Vulkanfiber Iso-Matte aus Trocellen Farbige Schallplatten aus Tromiphon »Unkaputtbar«, Glasscheibe mit der Sicherheitsfolie Trosifol 144
Das MUSIT verfügt über eine umfangreiche Sammlung von Kunststoff-Produktbeispie- len aus der Fertigung der ehemaligen Rhei- nisch-Westfälischen-Sprengstoffwerke – RWS – und seiner Nachfolgefirmen. Da das Deut- Kunststoffe aus Troisdorf, wo die Kunststoff- sche Kunststoff-Museum mit Sitz in Ober- verarbeitung, neben der klassischen Zünder- hausen nur gelegentlich Wanderausstellungen fertigung in der Zünderfarbrik (Züfa), immer zeigt und ansonsten lediglich virtuell über das größeren Raum einnahm. Ein weiterer Cellu- Internet präsent ist, das Deutsche Museum lose-basierter Kunststoff – die Vulkanfiber mit in München eine eher überschaubare Kunst- Namen Dynos, also eine Hydratcellulose – kam stoffsammlung beherbergt, zeigt das MUSIT in den 1920er Jahren zur Troisdorfer Kunst- sicherlich die umfangreichste Ausstellung von stoff-Familie hinzu. Daraus wurden bei den Kunststoffprodukten in Deutschland. Kunden z.B. Koffer, Polizeihelme (Tschakos) oder Schweißerschutzhelme hergestellt; im Herbert Laubenberger, der viele Jahre bei der eigenen Haus Troisdorfer Spinnkannen für We- Dynamit Nobel AG, einer der Nachfolgefirmen bereien und Papierkörbe für Büros. Die Koffer der RWS, arbeitete, sammelte als erster Pro- kennt jeder, zu erkennen an den runden Eck- duktbeispiele, die die Basis der Kunststoff-Aus- verstärkungen, der leder-genarbten oder glat- stellung bilden. 1999 konnten die Exponate im ten Oberfläche und ihrem geringen Gewicht. Rahmen einer Ausstellung erstmalig den Mit- Eine andere Verwendung fand Dynos ab den arbeitern und interessierten Besuchern gezeigt 1930er Jahren als Träger für Schleifscheiben. werden. 2004 wurde der Kunststoff-Museums- In den 1920er Jahren wurde auch eine Harz- Verein gegründet, der sich der Sicherung und produktion in Troisdorf aufgebaut. Es wurden Weiterentwicklung dieser einzigartigen Kunst- dunkle Phenolharze – Trolon – und einfärbbare stoffsammlung verschrieben hat. 2012 überließ Harnstoff- und Melaminharze – Pollopas und der Verein seine komplette Sammlung von Ex- Ultrapas – als Pressmassen und später, in den ponaten, Schriften und Abbildungen der »Stif- 1930er Jahren, eine ganze Palette von Haus- tung Stadt- und Industriegeschichte Troisdorf« haltsgegenständen als Pressteile aus ihnen, wie und damit dem MUSIT an der Burg Wissem in Teller und Tassen unter dem Markennamen Troisdorf. Tropas (Troisdorfer Pollopas), hergestellt. Etli- che Produktbeispiele, wie z.B. schwarze Telefo- Aus der Fertigung von nitrierter Baumwolle zur ne, Föngehäuse, Waschmaschinen- und Elekt- Verwendung als Schießbaumwolle kannte und roteile sowie Zündverteiler für Automobile beherrschte man in Troisdorf die industrielle und auch Möbelfolien mit Holzimitationsober- Chemie von Nitrocellulose. Eine abgespeckte flächen und Farbdekors aus diesen Phenolhar- Version dieses Produkts eignete sich auch als zen, sind im Museum zu sehen. Rohstoff für Celluloid, das man in Troisdorf ab 1905 für verschiedene Anwendungen groß- technisch fertigte. Bei den Kunden wurden aus den Halbzeugen Puppen hergestellt oder Bril- lengestelle, Kämme und brillante Seifenscha- len, zudem Dosen wie auch Beschichtungen für Musikinstrumente und Rechenschieber aus Holz. Cellon bzw. Cellonex waren weitere neue 145
Sie können auch lesen