BAUHAUS-MUSEUM WEIMAR - Audioguidetext zum

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                 BAUHAUS-MUSEUM WEIMAR

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Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011                            1
BAUHAUS-MUSEUM WEIMAR - Audioguidetext zum
Inhalt

TITEL          ......................................................................................................AUDIOGUIDE-NUMMER

Begrüßung................................................................................................................................ 600

Einführung
     Johannes Itten, Turm des Feuers, 1920 ........................................................................... 601

Bauhaus-Programm
     Manifest mit Titelholzschnitt von Lyonel Feininger, 1919 ............................................ 602
       Vertiefungsebene zu 602 ............................................................................................. 60

Bauhaus in Weimar
     Walter Gropius, Schema des Studiengangs, 1922 .......................................................... 603
     Bauhaus-Signet von Karl Peter Röhl, 1919 .................................................................... 604
        Vertiefungsebene zu 604 ............................................................................................. 61

Freie Kunst der Lehrenden
      Paul Klee, Wasserpark im Herbst, 1926 ......................................................................... 605
      Lyonel Feininger, Gelmeroda XI, 1928 .......................................................................... 606
         Vertiefungsebene zu 606 ............................................................................................. 62

Vorkurs
     Rudolf Lutz, Struktur- und Kompositionsstudien, 1919-22............................................ 607
     Nikolai Wassiljew, Spiral-Turm, um 1920 ..................................................................... 608

Werkstätten
    Theodor Bogler, Kombinationsteekanne L1, 1923 ......................................................... 609
        Vertiefungsebene zu 609 ............................................................................................. 63
    Wilhelm Wagenfeld, Tischlampen ................................................................................. 610
    Peter Keler, Wiege. 1922 ................................................................................................ 611

Architektur
     Walter Determann, Entwurf für eine Bauhaussiedlung, Lageplan.................................. 612
        Vertiefungsebene zu 612 ............................................................................................. 64
     Farkas Molnár, Entwurf für die Bauhaussiedlung Am Horn, 1922 ................................ 613

Bauhaus-Pädagogik
     Rudolf Lutz, Plakatentwurf für Itten-Vortrag, 1919 ....................................................... 614

Bühne
     Eberhard Schrammen, Fünf Handpuppen, um 1923
     (mit Kurt Schwerdtfeger, Reflektorische Lichtspiele) .................................................... 615
        Vertiefungsebene zu 615 ............................................................................................. 65

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Inhalt

TITEL          ......................................................................................................AUDIOGUIDE-NUMMER

Öffentlichkeitsarbeit/Bauhaus-Ausstellung 1923
     Postkartenserie, 1923 ...................................................................................................... 616
         Vertiefungsebene zu 616 ............................................................................................. 66

Freie Kunst der Studierenden
      Kurt Schmidt, Form und Farborgel, 1923 ....................................................................... 617

Spielzeug
      Alma Siedhoff-Buscher, Kugelspiel, 192/24 .................................................................. 618
      Alma Siedhoff-Buscher, Wurfpuppe, um 1924 .............................................................. 619

Vorläufer—Nachfolger
     Drei Stühle: Henry van de Velde, Marcel Breuer, Erich Dieckmann ............................. 620

Politik
       Walter Gropius, Denkmal für die Märzgefallenen , 1922 ............................................... 621

Bauhaus-Orte in Weimar
     Karte im Foyer ................................................................................................................ 622

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600: Begrüßung

Guten Tag und herzlich willkommen im
Bauhaus-Museum in Weimar.

Das Bauhaus ist die bedeutendste Schule                  10.000 Stücke umfasst die Sammlung des
für Kunst, Design und Architektur des 20.                Bauhaus-Museums heute. Das 1995 eröff-
Jahrhunderts.                                            nete Museum ist derzeit noch provisorisch
Gegründet wird es 1919 in Weimar. Auf                    in diesem klassizistischen Bau des Hofar-
politischen Druck hin muss das Bauhaus                   chitekten Clemens Wenzeslaus Coudray
1925 nach Dessau umziehen und 1932                       untergebracht. In Zukunft wird die welt-
nach Berlin. Dort löst sich die Schule nach              weit bedeutende Sammlung, nicht weit von
massiven Schikanen der Nationalsozialis-                 hier, in einem neuen Museumsbau zu
ten 1933 selbst auf.                                     sehen sein.
Die ersten Bauhaus-Jahre in Weimar sind                  Auf Ihrem Rundgang finden Sie an ausge-
turbulent: Tiefgreifenden Veränderungen                  wählten Objekten ein Audioguide-Symbol
werden vollzogen, bei dem erst das Hand-                 und eine Nummer. Geben Sie diese Num-
werk und dann die Industrieproduktion im                 mer ein und drücken Sie auf Play, wenn
Vordergrund steht. Etliche Designklassiker               Sie etwas dazu hören möchten. Die erste
– Stühle, Lampen, Geschirr – werden                      Nummer ist gleich hier im Foyer bei dem
bereits hier in Weimar entwickelt. Viele                 bunten Glasturm. Wir wünschen Ihnen viel
davon sehen Sie in unserem großen Aus-                   Freude beim Entdecken der vielfältigen
stellungsraum – wenn auch nur einen                      Facetten des Bauhauses in seiner überaus
Bruchteil des eigentlichen Bestands: Rund                kreativen Weimarer Zeit!

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BAUHAUS-MUSEUM WEIMAR - Audioguidetext zum
Einführung
601: Johannes Itten, Turm des Feuers, 1920

                                                         Das macht den Turm zum Symbol für die
                                                         zentrale Idee, die hinter dem Bauhaus
                                                         steht: die Einheit aller künstlerischen Dis-
                                                         ziplinen. Denn auch hier, bei diesem Turm,
                                                         verbinden sich Architektur und Skulptur,
                                                         Musik und Glasgestaltung zu einem Ge-
                                                         samtkunstwerk.
                                                         Erstaunt, ja irritiert, sind so manche damals
                                                         auch über das Bauhaus an sich, die 1919 in
                                                         Weimar gegründete staatliche Hochschule
                                                         für Gestaltung. Was Walter Gropius, der
                                                         Gründungsdirektor, dort an pädagogischen
                                                         Ansätzen praktiziert, ist für eine Universi-
                                                         tät geradezu revolutionär. Gropius will alle
                                                         Talente seiner Schüler ausschöpfen und sie
                                                         zu vielseitigen, weltoffenen Gestaltern und
                                                         Architekten ausbilden. Fachübergreifend
                                                         und im Team sollen sie arbeiten, um ge-
                                                         meinsam eine neue, funktionale Lebens-
Itten, Johannes: Turm des Feuers, 1920                   welt zu schaffen, die den Bedürfnissen der
© VG Bild-Kunst, Bonn 2012                               Menschen entspricht: Vom Haus an sich
                                                         bis hin zu seiner Ausstattung mit Lampen,
 Das Original dieser Skulptur stand 1920                 Teppichen und Möbeln.
 vor dem Atelier des Bauhaus-Lehrers                     In vielen Dingen geht Gropius komplett
 Johannes Itten im Weimarer Ilmpark. Die                 neue Wege. Damit macht er sich und sei-
 Spaziergänger dürften erstaunt gewesen                  nen Mitstreitern nicht nur Freunde. Nach
 sein über das eigentümliche Werk. Der                   einem politischen Rechtsruck in Thüringen
 mächtige „Turm des Feuers“ ist mit sei-                 muss das Bauhaus 1925 nach Dessau um-
 nem bunt schillernden Glas schon von                    ziehen. Gropius hinterlässt den Staatlichen
 Weitem zu sehen – und dank seiner 12                    Kunstsammlungen zu Weimar rund 165
 Schellen auch zu hören! Raum, Klang,                    einzigartige Designobjekte. Sie bilden den
 Licht und Farbe sind hier auf neuartige                 Grundstock des Bauhaus-Museums und
 Weise vereint.                                          machen die Weimarer Sammlung weltweit
                                                         einmalig.

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BAUHAUS-MUSEUM WEIMAR - Audioguidetext zum
Bauhaus-Programm
602: Manifest mit Titelholzschnitt von Lyonel Feininger, 1919

                                                         der handwerklichen Ausbildung gibt. Am
                                                         Bauhaus sollen alle künstlerischen
                                                         Disziplinen miteinander arbeiten und die
                                                         Lebenswelt nach dem verheerenden 1.
                                                         Weltkrieg schöner und besser machen.
                                                         Ganz neu ist dieser Gedanke allerdings
                                                         nicht. Bereits 1902 gründet der berühmte
                                                         Jugendstilkünstler Henry van de Velde in
                                                         Weimar sein „Kunstgewerbliches Semi-
                                                         nar“. Daraus entsteht 1907 die Großher-
                                                         zogliche Kunstgewerbeschule, in der van
Feininger, Lyonel: Kathedrale der Zukunft, 1919
                                                         de Velde seine Schüler ganz praxisorien-
© VG Bild-Kunst, Bonn 2012
                                                         tiert in Werkstätten ausbildet. Diese Schule
Warum das Bauhaus eigentlich Bauhaus                     wird 1919 mit der Großherzoglichen Kunst
heißt? Das Gründungsmanifest von Walter                  -hochschule unter neuem Namen vereint:
Gropius gibt Antwort darauf. Das Titelblatt              dem „Staatlichen Bauhaus Weimar“. Das
zeigt eine gotische Kathedrale, ein Holz-                Bauhaus übernimmt auch die Räume der
schnitt des berühmten Bauhaus-Lehrers                    Vorgängerschulen, beide hat van de Velde
Lyonel Feininger. Die Kathedrale ist Pro-                erbaut. Der große belgische Allroundkünst-
gramm. Sie versinnbildlicht das perfekte                 ler ist es übrigens auch, der Gropius als
Zusammenspiel von Handwerk und Kunst                     Direktor der neuen Hochschule vorschlägt.
an einem großen Werk. So wie das bei ei-                 Ohne ihn hätte es das Bauhaus in Weimar
ner mittelalterlichen Bauhütte der Fall war,             vielleicht gar nicht gegeben. Wie ein-
wo die verschiedensten Gewerke am Bau                    dringlich Walter Gropius seine Vision im
der Kathedrale beteiligt waren. Genau das                Gründungsprogramm des Bauhauses for-
ist die Vision, die Gropius verwirklichen                muliert – und was er Jahrzehnte später über
will. Daher der Name „Bauhaus“. Und da-                  diese stürmische Aufbruchszeit sagt, hören
her auch der hohe Stellenwert, den Gropius               Sie unter 60.

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BAUHAUS-MUSEUM WEIMAR - Audioguidetext zum
60: Vertiefungsebene zu 602

Das Bauhaus-Programm von Walter                          steigen wird als kristallenes Sinnbild eines
Gropius beginnt mit den Worten:                          neuen kommenden Glaubens.“
„Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit
ist der Bau! Ihn zu schmücken war einst                  Mit reichlich Pathos beschwört Gropius
die vornehmste Aufgabe der bildenden                     hier seine Vision: das alle Lebens-und Ar-
Künste, sie waren unablösliche Bestand-                  beitsbereiche umfassende Gemeinschaftsi-
teile der großen Baukunst. Heute stehen sie              deal. 1963, im Alter von 80 Jahren, erklärt
in selbstgenügsamer Eigenheit, aus der sie               er in einem Brief, was diese frühe Weima-
erst wieder erlöst werden können durch                   rer Bauhauszeit ausgemacht hat. Das Bau-
bewusstes Mit-und Ineinanderwirken aller                 hausmanifest sei entstanden, so Gropius:
Werkleute untereinander.“                                „aus einer Mischung tiefer Niedergeschla-
                                                         genheit als Folge des verlorenen [Ersten
Und etwas später folgt der Aufruf:                       Welt-]Krieges und der Zerrüttung geistigen
„Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle                 und wirtschaftlichen Lebens und einer glü-
müssen zum Handwerk zurück! (...) Wol-                   henden Hoffnung, aus diesen Trümmern
len, erdenken, erschaffen wir gemeinsam                  etwas Neues aufbauen zu wollen (...). Aus
den neuen Bau der Zukunft, der alles in                  dem In- und Ausland kamen junge Leute
einer Gestalt sein wird: Architektur und                 herbei (...), um Teil der Gemeinschaft zu
Plastik und Malerei, der aus Millionen                   sein, die den neuen Menschen in neuer
Händen der Handwerker einst gen Himmel                   Umgebung aufbauen (...) wollte.“

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BAUHAUS-MUSEUM WEIMAR - Audioguidetext zum
Bauhaus in Weimar
603: Walter Gropius, Schema des Studiengangs, 1922

Das kreisförmige Lehrschema von 1922                     Gropius sie nennt, und die Schüler bereits
zeigt den dreistufigen Aufbau der Bauhaus-               zu echten Erfindern.
Ausbildung. Am Anfang steht die Vorlehre,                Nach der Werkstatt-Lehre legt man eine
die jeder, der am Bauhaus studieren will,                Gesellenprüfung vor der Handwerkskam-
absolvieren muss. Wer dieses Probesemes-                 mer ab. Nun ist die eigentliche Ausbildung
ter – auch „Vorkurs“ genannt – besteht, darf             abgeschlossen. Die begabtesten Absolven-
anschließend drei Jahre lang eine der bau-               ten hängen eine Art Aufbaustudium an, hier
hauseigenen Werkstätten besuchen, zum                    „Bau“ genannt. Dort steht vor allem die
Beispiel für Metall, Holz, Keramik oder                  Architektur im Mittelpunkt. Eine reguläre
Textil.                                                  Architektenausbildung kann Gropius aller-
Diese praktische Handwerkslehre ist das                  dings erst im Bauhaus in Dessau umsetzen.
Herzstück der Ausbildung. Ganz konse-                    In Weimar bekommen die besten Studenten
quent nennt man sich am Bauhaus daher                    aber zumindest in seinem privaten Baubüro
auch nicht „Student“ oder „Professor“, son-              einen Einblick in die praktische Arbeit.
dern „Lehrling“, „Geselle“ oder „Meister“.               Auch die Bauhaus-Werkstätten bezieht
In den Werkstätten lernt man jedoch nicht                Gropius in seine Projekte mit ein, um den
nur handwerkliches Können, sondern auch                  Studenten reale Praxisaufgaben zu vermit-
ein ganzheitliches Denken: Es gilt, schöne               teln und die Finanzen der Schule aufzubes-
Dinge herzustellen und gleichzeitig zu über-             sern: Die Bildhauerei-Werkstatt fertigt zum
legen, wie sie alltagstauglich gestaltet wer-            Beispiel Architekturmodelle für Häuser, die
den können, also besser, günstiger und                   Gropius baut, die Tischlerei liefert Schrän-
funktioneller.                                           ke, Stühle und Tische für die Inneneinrich-
So werden die Bauhaus-Werkstätten zu                     tung, und aus der Weberei kommen Teppi-
„Laboratorien für die Industrie“, wie Walter             che und Wandbehänge.

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BAUHAUS-MUSEUM WEIMAR - Audioguidetext zum
Bauhaus in Weimar
604: Bauhaus-Signet von Karl Peter Röhl, 1919

Schon bald nach der Gründung des Bau-                    vom idealen Menschen und der halb
hauses im Jahr 1919 soll die neue Hoch-                  schwarz, halb weiß gestaltete Kopf an das
schule ein eigenes Signet bekommen. Ein                  chinesische Yin und Yang-Zeichen.
Markenzeichen also, um hauseigene Doku-                  Daneben gibt es weitere religiös-
mente, Veröffentlichungen und Produkte                   philosophische Sinnbilder, zum Beispiel
eindeutig zu kennzeichnen. Aber wie setzt                das Hakenkreuz in der rechten Hälfte. Es
man die Ideale des Bauhauses in einem                    ist ursprünglich ein altes indisches
Zeichen um – die Vielfalt, die Weltoffen-                Glückssymbol, das die Nationalsozialisten
heit und die Chancengleichheit für Mann                  erst später zu ihrem Parteizeichen ma-
und Frau, die Walter Gropius an seiner                   chen. Die ägyptische Pyramide, die das
Schule verwirklichen will?                               Männchen trägt, symbolisiert als techni-
Gropius entwirft das Signet nicht etwa                   sche und organisatorische Meisterleistung
selbst: Er schreibt dafür einen Wettbewerb               das Ideal des Gemeinschaftswerks, das
unter seinen Schülern aus. Die ausgezeich-               von allen zusammen geschaffen wird.
neten Arbeiten sehen Sie hier rot umrandet.              Drei Jahre bleibt das „Sternen-männchen“
Den ersten Preis macht Karl Peter Röhl mit               das Signet des Staatlichen Bauhauses
seinem „Sternenmännchen“.                                Weimar. Dann wird es von einem völlig
Mit einer Reihe von Symbolen setzt Röhl                  anders gestalteten Zeichen abgelöst. Wie
die Vision der Weltoffenheit ins Bild: So                das neue Signet aussieht und welcher
erinnert das Strichmännchen mit den erho-                grundlegende Wandel am Bauhaus dahin-
benen Armen an Leonardo da Vincis Bild                   ter steckt, hören Sie unter 61.

Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011                                          9
BAUHAUS-MUSEUM WEIMAR - Audioguidetext zum
61: Vertiefungsebene zu 604

In der Vitrine links sehen Sie das zweite                riegesellschaft anders nicht gestillt werden
Bauhaus-Signet, das Karl Peter Röhls                     können.
„Sternenmännchen“ 1922 ablöst. Es ist der                Eine neue Leitidee entsteht: Kunst und
berühmte Profilkopf, ein Entwurf des                     Technik sollen nun eine Einheit bilden,
Bauhaus-Meisters Oskar Schlemmer. Die-                   nicht mehr Kunst und Handwerk. Gropius
ser Kopf wird das Markenzeichen des Bau-                 fordert seine Lehrer und Schüler auf, Pro-
hauses bleiben, auch später noch in Dessau               totypen für die Serienproduktion zu entwi-
und in Berlin.                                           ckeln: Stühle, Kannen, Lampen – alles,
Der Unterschied zwischen den beiden                      was man im täglichen Leben braucht, soll
Signets könnte größer kaum sein: zuerst                  nun nicht mehr per Hand hergestellt wer-
das esoterisch anmutende Männchen, dann                  den, sondern mit Hilfe moderner Maschi-
der streng geometrische, nüchtern wirken-                nen. Schön sollen die Industrieprodukte
de Kopf. Dieser Kontrast spiegelt den ent-               sein, aber auch funk-tionell, langlebig und
scheidenden Wandel am Weimarer Bau-                      preiswert. Alltags-tauglich eben und zu-
haus wider.                                              gleich ästhetisch, das war der soziale An-
Während Walter Gropius anfangs das                       spruch, den das Bauhaus hatte – und der
handwerklich gefertigte Einzelstück als                  aus dieser Hochschule eine echte Reform-
ideales Endprodukt sieht, rückt seit 1921                schule macht. Insofern spiegeln beide Sig-
die industrielle Herstellung immer mehr ins              nets trotz ihrer Unterschiedlichkeit den
Zentrum seines Denkens. Gropius erkennt,                 Kern der Bauhaus-Philosophie: Im Mittel-
dass die Bedürfnisse der modernen Indust-                punkt steht immer der Mensch.

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Freie Kunst der Lehrenden
605: Paul Klee, Wasserpark im Herbst, 1926

Das Ölgemälde „Wasserpark im Herbst“                     den bildenden Künstlern, die Gropius als
von Paul Klee, einem bedeutenden Bau-                    Lehrer ans Bauhaus nach Weimar holt.
haus-Meister, entsteht 1926 – ein Jahr,                  Jede Bauhaus-Werkstatt wird hier von zwei
nachdem das Bauhaus auf politischen                      Meistern geleitet: dem „Werkmeister“ und
Druck hin von Weimar nach Dessau um-                     dem „Formmeister“. Die Werkmeister sind
ziehen muss. Auf diese Umbruchsphase                     alle Handwerker mit langjähriger Berufser-
scheint Paul Klee hier anzuspielen: Darge-               fahrung und für die eigentliche handwerkli-
stellt ist vermutlich der Ilmpark in Weimar              che Ausbildung zuständig. Und die
bei Nacht – mit Blick auf den Eisenbahnvi-               „Formmeister“ sind allesamt international
adukt mit seinen Bögen, hier etwas links                 renommierte Künstler, wie Paul Klee, Lyo-
der Mitte. Rechts oben sind zwei helle                   nel Feininger und Wassily Kandinsky. Da
Kreise zu sehen und darunter zwei drei-                  sich das Bauhaus aber als Gestaltungsschu-
eckige Dächer – alles ist hier also doppelt:             le und nicht als Kunstakademie versteht,
der Mond, die Häuser und der Park im                     bilden die Formmeister ihre Schüler nicht
Grunde auch. Denn auch in Dessau gibt es                 zu freien Künstlern aus, sondern vermitteln
eine berühmte Parklandschaft. Paul Klee                  ihnen die gestalterischen Grundlagen zu
verarbeitet in diesem Bild offenbar seinen               Form und Farbe. Jeder Formmeister bringt
Abschied, der zugleich ein Neubeginn ist.                dabei aber seine eigene Handschrift mit ein
Er verlässt 1926 mit seiner Familie endgül-              und trägt so zum Konzept der Vielfalt bei,
tig Weimar, als die Meisterhäuser in Des-                das die Ausbildung am Bauhaus kenn-
sau fertig gestellt sind. Paul Klee gehört zu            zeichnet.

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Freie Kunst der Lehrenden
606: Lyonel Feininger, Gelmeroda XI, 1928

                                                         tern und Schülern offen. Jeder kann dort
                                                         mit Holzschnitten, Lithografien und Radie-
                                                         rungen experimentieren. Das macht die
                                                         Druckerei-Werkstatt zu einem wichtigen
                                                         kreativen Dreh-und Angelpunkt am Bau-
                                                         haus.
                                                         Lyonel Feininger ist Amerikaner mit
                                                         deutschen Wurzeln – und er ist nicht
                                                         der einzige ausländische Lehrer am
                                                         Bauhaus. Etwa die Hälfte der Künstler,
                                                         die dort unterrichten, sind keine gebür-
                                                         tigen Deutschen. Die Bauhaus-Meister
                                                         kommen von überall her: Johannes Itten
                                                         aus der Schweiz, Lázló Moholy-Nagy
                                                         aus Ungarn, Wassily Kandinsky aus
                                                         Russland – um nur einige zu nennen.
                                                         Das gleiche gilt für einen guten Teil der
Feininger, Lyonel: Gelmeroda XI, 1928                    Studenten: Von den etwa 150 bis 200
© VG Bild-Kunst, Bonn 2012                               Schülern, die im Durchschnitt am Bau-
                                                         haus studieren, stammen rund ein Vier-
„Gelmeroda XI“, so lautet der Titel dieses               tel aus dem Ausland. Damals, in einer
Gemäldes von Lyonel Feininger. Es zeigt                  vom Nationalbewusstsein aufgeheizten
die Kirche von Gelmeroda, einer kleinen                  Zeit, war das schon eine Besonderheit.
Ortschaft bei Weimar, die Feininger in                   Auch der Anteil an weiblichen Studen-
seiner Weimarer Zeit oft besucht. Die                    ten ist mit rund 50 Prozent sehr hoch.
Kirche ist durch prismatische Formen abs-                Geradezu sensationell ist aber, dass
trahiert, die wie Strahlen in alle Himmels-              Walter Gropius für eine Aufnahme an
richtungen weisen. Dieser für Feininger                  seiner Hochschule kein Abitur fordert:
typische Stil macht ihn zu einem der                     Jeder, der begabt ist, soll am Bauhaus
bedeutendsten Maler und Grafiker der                     studieren dürfen. Was es mit der „Elf“
Moderne. In Weimar, wohin Feininger                      im Titel des Gemäldes auf sich hat und
bereits 1919 als erster Bauhaus-Meister                  warum dieses Bild für Weimar von
berufen wird, leitet er ab 1921 die Druck-               ganz besonderer Bedeutung ist, hören
grafische Werkstatt. Sie steht allen Meis-               Sie unter 62.

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62. Vertiefungsebene zu 606

                                                         raum von fast 50 Jahren – das erste Gel-
                                                         meroda-Bild fertigt Feininger 1906 und das
                                                         letzte 1955, ein Jahr, bevor er hoch betagt
                                                         in seiner Heimatstadt New York stirbt.
                                                         Dorthin ist Feininger bereits 1937 zurück-
                                                         gekehrt, als der politische Druck in seiner
                                                         Wahlheimat Deutschland immer größer
                                                         wird. Die Nationalsozialisten konfiszieren
                                                         seine Werke als „entartete Kunst“, genau
                                                         wie die seiner Bauhaus-Kollegen. Auch die
                                                         Kunstsammlungen in Weimar bleiben nicht
                                                         verschont. Hier beschlagnahmen die Nazis
                                                         ein anderes, frühes Bild aus der Gelmeroda
                                                         -Serie, das heute in einem New
                                                         Yorker Museum hängt. Umso bedeutender
                                                         ist es für die Stadt Weimar und das Bau-
Feininger, Lyonel: Gelmeroda
                                                         haus-Museum, dass 2007 – dank der groß-
© VG Bild-Kunst, Bonn 2012
                                                         zügigen Unterstützung Vieler – mit diesem
                                                         Gemälde wieder ein Bild der Gelmeroda-
Lyonel Feininger liebt das Kirchlein von                 Serie nach Weimar zurückgekehrt ist. Die
Gelmeroda vor den Toren von Weimar.                      Nazis haben versucht, die Erinnerung an
Ganze 13 Mal malt er es in Öl. Unser Bild                die Moderne und das Bauhaus in Weimar
hier ist die Nummer Elf dieser Serie.                    auszulöschen. Es ist ihnen nicht gelungen.
Nimmt man seine Zeichnungen, Aquarelle                   Das Bauhaus gilt heute als die wichtigste
und Druckgrafiken zu dieser Kirche hinzu,                und einflussreichste Schule für Kunst, De-
kommt man sogar auf knapp 150 Werke.                     sign und Architektur des 20. Jahrhunderts.
Die Arbeiten entstehen über einen Zeit-

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Vorkurs
607: Rudolf Lutz, Struktur-und Kompositionsstudien, 1919-22

 Form und Materie, Rhythmus, Natur und                    richt, sondern auch rhythmische Übungen
 Kontrast. Das sind die zentralen Themen,                 und Gymnastik, um die individuellen
 mit denen sich die Bauhaus-Schüler in                    schöpferischen Kräfte zu wecken. Dieses
 ihrem Probesemester, dem Vorkurs, be-                    pädagogische Konzept für den Vorkurs ist
 schäftigen. Ein Beispiel dafür sind diese                damals völlig neu: Vor dem eigentlichen
 vier Zeichnungen. Die Studien entstehen                  Studium wird erst einmal ein halbes Jahr
 zwischen 1919 und -22, als der Schweizer                 lang geprüft, wer sich für den gestalteri-
 Maler und Kunstpädagoge Johannes Itten                   schen Beruf überhaupt eignet. Daher dür-
 den Vorkurs am Weimarer Bauhaus leitet.                  fen – ja: müssen! – die Schüler vom ersten
 Itten ist einer der ersten Bauhaus-Meister.              Tag an in der Vorlehre-Werkstatt praktisch
 Er regt den Vorkurs selbst an und entwi-                 arbeiten. Sie experimentieren mit Materia-
 ckelt auch das Konzept dafür, das seinem                 lien, Formen und Farben. Je nach Talent
 ganzheitlichen Ansatz entspricht: Johannes               und Vorliebe für Holz, Metall, Keramik
 Itten hat den Menschen als Ganzes im                     oder Textil wird am Ende des Vorkurses
 Blick, also Geist, Körper und Seele. Er will             für jeden Einzelnen entschieden, in welcher
 das Kreative aus jedem Einzelnen heraus-                 Werkstatt er die dreijährige Bauhaus-
 locken und die Studierenden mental, also                 Ausbildung antreten darf. Natürlich nur,
 im Sehen und im Tasten sensibilisieren.                  wer den Vorkurs besteht. Und das sind bei
 Entsprechend integriert Itten nicht nur Ma-              weitem nicht alle.
 terial- und Naturstudien in seinen Unter-

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Vorkurs
608: Nikolai Wassiljew, Spiral-Turm, um 1920

In ihrem Probesemester, dem Vorkurs,                     Bruch. Itten kündigt, verlässt 1923 das
beschäftigen sich die Studienanwärter auch               Bauhaus und geht zurück in die Schweiz.
mit plastischen Arbeiten – wie der rekon-                Der Vorkurs, den Itten etabliert hat, bleibt
struierte Spiralturm eindrücklich zeigt.                 aber bis zur Schließung des Bauhauses
Die Skulptur entsteht um 1920 im Vorkurs                 im Jahr 1933 bestehen. Das inhaltliche
von Johannes Itten, wo die Schüler spiele-               Konzept wird jedoch verändert. Mit dem
risch den Umgang mit Material, Form                      neuen Leiter, dem ungarischen Avantgar-
und Raum erproben. Dafür suchen sie                      dekünstler Lázló Moholy-Nagy, verlagert
sich auch schon mal geeignete Stücke auf                 sich der Schwerpunkt von der esoterisch
dem Schrottplatz zusammen, wie man hier                  angehauchten Kreativitätserziehung hin
sieht. Johannes Itten versteht den Vorkurs               zu einer zielorientierten Vorbereitung
als Freiraum, in dem jeder Schüler seine                 auf den Beruf als Gestalter. Moholy-Nagy
schöpferischen Fähigkeiten entdecken und                 führt unter dem Motto „Kunst und Tech-
für sich entfalten soll. Walter Gropius sieht            nik“ systematische Tast-und Sehübungen
das anders. Er will darüber hinaus team-                 ein und lässt seine Schüler Raum-und
fähige Gestalter, die neue, formschöne und               Gleichgewichtsstudien anfertigen. Wenn
alltagstaugliche Produkte für die Men-                   Sie zurückblicken, sehen Sie rechts an der
schen schaffen. Als Gropius ab 1922 den                  Wand den Nachbau einer solchen Studie
Schwerpunkt immer stärker auf die Ent-                   aus dem Vorkurs von Moholy-Nagy, der ab
wicklung von Prototypen für die industri-                1923 von Josef Albers in der Vorkurswerk-
elle Herstellung legt, kommt es zum                      statt unterstützt wird.

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Werkstätten
609: Theodor Bogler, Kombinationsteekanne L1, 1923

An dieser Kanne lässt sich hervorragend                  Bogler eine Art Baukastensystem: Die ein-
zeigen, welcher entscheidende Wandel                     zelnen Teile einer Teekanne – also Körper,
sich am Bauhaus zwischen 1922 und 23                     Griff, Ein-und Ausguss – sollen unter-
vollzieht: Damals wird am Bauhaus disku-                 schiedlich gestaltet und die vorgefertigten
tiert, ob und wie man den Schritt vom indi-              Teile dann, wie aus einem Baukasten, im-
viduellen, handwerklich gefertigten Ein-                 mer wieder neu kombiniert werden. Daher
zelstück zum modernen, seriell gefertigten               der Name „Kombinationsteekanne“. Bei-
Produkt gehen soll. Walter Gropius ruft                  spiele für solche Varianten sehen Sie in der
seine Lehrkräfte auf, die Werkstätten in                 Vitrine links. Der Clou an Boglers Teekan-
Laboratorien zu verwandeln und dort Pro-                 ne aber ist, dass er aus dem Serienprodukt
totypen für die Industrie zu entwickeln –                am Ende fast wieder ein Einzelstück
Kunst und Technik sollen nun eine neue                   macht, und zwar durch eine verlaufende
Einheit bilden. Dies gelingt dem jungen                  Glasur, die bei jedem Stück etwas anders
Bauhaus-Absolventen Theodor Bogler mit                   ausfällt.
seiner sogenannten Kombinationsteekan-                   Aus heutiger Sicht gelingt Theodor Bogler
ne. Sie ist, wie alle am Bauhaus entwickel-              mit seiner Kombinationsteekanne L1 ein
ten Prototypen, nummeriert und trägt die                 echter Klassiker des modernen Designs.
Typenbezeichnung L1. Bogler erkennt das                  Damals aber floppt das kühne Produkt.
Dilemma der bisherigen Industrieware:                    Wie selbstkritisch die Bauhäusler auf sol-
Jedes Stück sieht gleich aus – gleiche                   che Rückschläge reagieren und warum die
Form, gleiche Farbe, gleiche Größe. Um                   Rede von einem Bauhausstil ein Mythos
diese Monotonie zu vermeiden, entwickelt                 ist, hören Sie unter 63.

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63: Vertiefungsebene zu 609

Was man am Bauhaus für gut befindet,                     man am Bauhaus sofort: Theodor Bogler
muss dem Verbraucher noch lange nicht                    und sein Kollege Otto Lindig entwerfen
gefallen. Dieser etwas schmerzhafte, aber                noch im selben Jahr neue Prototypen für
wichtige Lernprozess gehört zur Bauhaus-                 Kannen. Beispiele sehen Sie in dieser Vit-
Ausbildung dazu. Die neu entwickelten                    rine rechts um die Ecke: Die Stücke haben
Prototypen werden auf Messen oder auf                    eine völlig veränderte Formensprache. Ihr
den Märkten von Weimar direkt am Kun-                    Stil ist weiterhin einfach, aber nicht mehr
den getestet. Denn die Produkte, die das                 so nüchtern und kühl. Er entspricht mit
Bauhaus in Serie herstellen lassen will,                 seinen geschmeidigen Rundungen eher
sind nicht für eine elitäre Minderheit ge-               dem traditionellen Repertoire. Das zeigt:
dacht, sondern für alle: Das Bauhaus will                Den einen, typischen Bauhausstil gibt es
erschwingliche, funktionale und ästhetisch               eben nicht. Die Formensprache wird bei
anspruchsvolle Dinge für das ganze Volk                  den Bauhaus-Produkten immer zur Diskus-
entwickeln. Für die Kombinationsteekanne                 sion gestellt. Kommt eine bestimmte For-
L1 von Theodor Bogler ist die Zeit damals                mensprache bei den Menschen nicht an,
aber offenbar noch nicht reif. Ihre streng               wird sie geändert. Die Kannen aus der Ke-
geometrischen Formen kommen nicht an.                    ramikwerkstatt des Weimarer Bauhauses
Als klar ist, dass die Kanne den Ge-                     sind ein gutes Beispiel dafür.
schmack der Massen nicht trifft, reagiert

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Werkstätten
610: Wilhelm Wagenfeld, Tischlampen

                                                         Die Prototypen entstehen 1923 bis 24 in
                                                         der bauhauseigenen Metallwerkstatt in
                                                         Weimar. An ihnen kann man gut nachvoll-
                                                         ziehen, wie damals am Bauhaus gearbeitet
                                                         wird. Die Lampen sind eng mit dem
                                                         Namen von Wilhelm Wagenfeld verbun-
                                                         den, der seit 1923 Student am Bauhaus ist.
                                                         Doch an der Entwicklung des legendären
                                                         Designklassikers sind noch zwei weitere
                                                         Bauhäusler beteiligt: Gyula Pap entwirft
                                                         1922 bis 23 elektrische Samoware, also
                                                         Teemaschinen, die Glasfüße haben und
                                                         eine Glaskugel als Wassergefäß. Darauf
                                                         aufbauend gestaltet Carl Jakob Jucker
                                                         einen Lampentypus mit einer dicken, kreis-
                                                         runden Glasscheibe als Fuß und einer glä-
                                                         sernen Röhre als Schaft, so wie hier links.
                                                         Wilhelm Wagenfeld komplettiert schließ-
                                                         lich diese erste Variante der Bauhaus-
Wagenfeld, Wilhelm: Tischlampe                           Leuchte mit Glasfuß, indem er die typische
© VG Bild-Kunst, Bonn 2012                               opale Glaskugel hinzufügt. Die Metallvari-
                                                         ante, hier rechts, entwickelt Wagenfeld
Diese Tischlampen sind echte Klassiker.                  dann alleine. Die berühmte Bauhaus-
Es gibt sie in zwei Varianten: einmal, wie               Leuchte ist also nicht der Entwurf eines
hier links, sind Schaft und Fuß aus Glas,                einzelnen klugen Kopfes. Mehrere Studie-
und einmal, wie rechts, aus Metall. Die                  rende sind an der Entwicklung dieser
Lampen gehören zu den bekanntesten Pro-                  Tischlampe beteiligt – auch wenn das an-
dukten, die je am Bauhaus entwickelt wur-                fangs gar nicht ihre Absicht war.
den – und zu den erfolgreichsten! Sie wer-
den noch heute als so genannte „Bauhaus-
Leuchten“ in großer Zahl produziert.

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Werkstätten
611: Peter Keler, Wiege, 1922

Im Jahr 1922 entwickelt Peter Keler in der               wählt Keler das nach oben hin breiter wer-
Weimarer Bauhaus-Tischlerei diesen Pro-                  dende Dreieck – so hat das Baby genügend
totyp für eine Kinderwiege. Sie ist gerade-              Platz, um sich zu bewegen und kann mehr
zu ein Paradebeispiel für das, was man am                sehen. Umkippen kann die Wiege übrigens
Bauhaus lernen und praktisch umsetzen                    nicht, wie man auf den ersten Blick be-
soll: kreatives Erfinden, funktionales Den-              fürchten könnte. Mit dem schwarzen Rund-
ken und teamfähiges Handeln. Auf der                     holz unten legt Keler den Schwerpunkt so
Suche nach der idealen Farb-und Formge-                  tief, dass selbst ein größeres Kind die Wie-
bung greift Peter Keler bei seiner Wiege                 ge nicht zum Kippen bringt. Die Wiege
auf die Farbtheorie des Malers und Bau-                  steht auch für werkstattübergreifende
haus-Meisters Wassiliy Kandinsky zurück.                 Teamarbeit am Bauhaus: Die Strickflechte-
Kandinsky ordnet die drei Grundfarben                    rei für den licht-und luftdurchlässigen seit-
Blau, Rot und Gelb den Grundformen                       lichen Einsatz lässt Peter Keler in der Bau-
Kreis, Quadrat und Dreieck zu – so, wie es               haus-weberei anfertigen. Und der Anstrich
hier zu sehen ist. Darüber hinaus sind die               der Wiege erfolgt in der Werkstatt für
Proportionen der einzelnen Teile exakt                   Wandmalerei. Peter Kelers Wiege ist ein
aufeinander abgestimmt. Der Durchmesser                  Klassiker des modernen Designs und wird,
der Reifen entspricht beispielsweise genau               wie viele andere Entwürfe aus den Bau-
der Länge der Wiege. Als Grundform                       haus-Werkstätten, heute noch hergestellt.

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Architektur
612: Walter Determann, Entwurf für eine Bauhaussiedlung, Lageplan

Was auf den ersten Blick wie eine abstrak-               aus der Taufe zu heben: die Weimarer
te Zeichnung aussieht, ist tatsächlich ein               Republik. Zudem herrschte nach dem ver-
Lageplan für eine Bauhaus-Siedlung in                    lorenen 1. Weltkrieg eine große wirtschaft-
Weimar. Die Gebäudeansicht rechts dane-                  liche Not. Um das Problem endgültig aus
ben, das gelbe Modell und die drei Fotos                 dem Weg zu räumen, will Gropius eine Art
gehören ebenfalls dazu. Sie dokumentieren                modernen Hochschulcampus errichten, der
den Entwurf des Bauhaus-Studenten Wal-                   alle nötigen Wohn-und Arbeitsräume an
ter Determann aus dem Jahr 1920. Walter                  einem Ort vereint – und damit gleichzeitig
Gropius schreibt damals wegen der drän-                  den bauhaustypischen Gemeinschaftsge-
genden     Raumnot      einen     Schüler-               danken umsetzen: Alle Lehrer und Schüler
Wettbewerb für eine eigene Bauhaus-                      sollen gemeinsam leben, arbeiten und Feste
Siedlung aus. Das Problem besteht schon                  feiern. Die Siedlung soll am Stadtrand von
seit der Gründung 1919: Es gibt am Wei-                  Weimar entstehen. Sie umfasst ganze 500
marer Bauhaus zu wenig Unterrichtsräume                  mal 400 Meter Fläche, das entspricht in
und Werkstätten, nicht einmal genügend                   etwa der historischen Altstadt von Weimar!
erschwingliche Unterkünfte für die Schüler               Ausgeführt werden die Pläne allerdings
sind vorhanden. Man muss sich vorstellen:                nie. Es fehlt – wie so oft – an Geld! Der
Das kleine Weimar war damals voll von                    detailreiche Entwurf von Walter Deter-
Politikern und Journalisten, die hier zur                mann berücksichtigt allerdings wirklich
Nationalversammlung zusammen kamen,                      alles, was für so einen Campus notwendig
um eine neue, demokratische Verfassung                   wäre. Mehr dazu hören Sie unter 64.

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64: Vertiefungsebene zu 612

Wie Walter Determann sich seine Bauhaus                  bezeichnet. Es folgt ein riesiges, in den
-Siedlung in Weimar vorstellt, erkennen                  Boden eingelassenes Amphitheater und
Sie am besten an den drei Fotos mit dem                  Stadion für gemeinsame Feste, Aufführun-
Gesamtmodell. An den Ecken des Modells                   gen und Spiele. Zu beiden Seiten des Thea-
stehen vier Leuchttürme. Sie sollen – tat-               ters liegen die würfelförmigen Meisterhäu-
sächlich, aber auch im übertragenen Sinn –               ser und daneben, aufgereiht wie Fabrikhal-
das Licht des Bauhauses nach Weimar tra-                 len, die Werkstattgebäude. Hier soll ge-
gen. Im Zentrum, hinter der quadratisch                  meinsam gearbeitet, entwickelt und erfun-
gemusterten Fläche, liegt das zentrale Ver-              den werden. Den Abschluss, ganz hinten
waltungs-, Fest-und Ausstellungshaus. Es                 an der Schmalseite des Modells, bilden das
ist das größte Haus der streng symmetri-                 quer liegende Speise-und Geselligkeitshaus
schen Anlage. Wie es im Detail aussehen                  sowie ein Kindergarten und ein Sport-und
soll, zeigen die beiden Zeichnungen an der               Spielplatz. Auch ein Gutshof ist dort zu
Wand und das gelbe Modell. Rechts und                    finden, damit die Bauhäusler in den harten
links des Hauptgebäudes liegen verschie-                 Nachkriegsjahren versorgt werden können.
dene Wohnhäuser für die Studierenden                     Zur Entspannung ist außerdem an ein
und für Gäste. Dahinter öffnet sich eine                 Schwimmbad gedacht. Doch umgesetzt
weite Fläche: Dort steht, von Strahlen ge-               wird diese Campusidee aus Geldmangel,
rahmt, eine Glaspyramide, die Determann                  wie gesagt, nie.
auf seinem Lageplan als „Bauhaussymbol“

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Architektur
613: Farkas Molnár, Entwurf für die Bauhaussiedlung Am Horn, 1922

Die Grafik oben an der Wand zeigt einen                  bauen: das „Haus Am Horn“ – das einzige
zweiten Entwurf für den Bauhaus-Campus                   Bauhaus-Gebäude, das je in Weimar
in Weimar aus dem Jahr 1922.                             errichtet wird. Es gehört seit 1996 zum
Diese Siedlung mit Wohn-und Arbeitsräu-                  UNESCO Welterbe und kann besichtigt
men für alle Bauhaus-Lehrer und -Schüler                 werden.
soll direkt an den Ilmpark anschließen, in               Die vier Fotos links zeigen das Haus Am
einem „Am Horn“ genannten Gebiet, ober-                  Horn von innen. Es ist für eine drei-bis
halb von Goethes Gartenhaus. Die Grafik                  vierköpfige Familie gedacht. Der Entwurf
zeigt hinten das Hauptgebäude mit einem                  zu diesem Musterhaus stammt von Georg
Turm und rechts daneben, wie Fabrik-                     Muche. Er ist eigentlich Formmeister der
hallen aufgereiht, die Werkstattgebäude.                 Bauhaus-Weberei, also kein Architekt.
Links sind Reihenhäuser für Studenten und                 Aber gerade solche „Grenzüber-
Gäste zu sehen und auf dem großen Frei-                  schreitungen“ sind am Bauhaus nicht nur
gelände rechts die einzeln stehenden, wür-               gewünscht – sie sind Programm. Genauso
felförmigen Wohnhäuser für die Bauhaus-                  wie die Teamarbeit, denn an der Innenein-
Meister. Wieder fehlen die Mittel, um das                richtung des Hauses arbeiten sämtliche
Projekt zu realisieren.                                  Bauhaus-Werkstätten mit – ob Möbel, Tep-
Die Inflation erreicht damals in Deutsch-                piche oder Lampen, jedes Detail wird am
land ihren Höhepunkt. Dennoch scheitert                  Bauhaus entworfen und dort auch reali-
der Plan nicht vollständig. Im Rahmen der                siert. Das Haus Am Horn ist ein modernes
großen Bauhaus-Ausstellung von 1923                      „Gesamtkunstwerk“, ganz der Vision von
kann Walter Gropius zumindest eines                      Gropius entsprechend.
der Meisterhäuser an der geplanten Stelle

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Bauhaus-Pädagogik
614: Rudolf Lutz, Plakatentwurf für Itten-Vortrag, 1919

Dieses Plakat hängt im Herbst 1919 im                    beit“. Beides zusammen symbolisiert das
Weimarer Bauhaus am Schwarzen Brett.                     gemeinschaftliche Leben und Arbeiten am
Es lädt ein zur Antrittsvorlesung von                    Bauhaus. Die handwerkliche Ausbildung in
Johannes Itten. Der Titel des Vortrags                   den Werkstätten ist anstrengend, acht Stun-
„Unser Spiel, unser Fest, unsere Arbeit“ ist             den und mehr verbringen die Schüler hier
Programm, denn er greift die drei grundle-               täglich. Und schon im Vorkurs gibt es ein
genden Bausteine der Bauhaus-Pädagogik                   straffes Lehrprogramm. Für Entspannung
auf. Und Rudolf Lutz, der das Plakat malt,               und Freiraum sorgen die legendären Bau-
setzt diese Bausteine geradezu kongenial                 haus-Feste, die von Lehrern und Schülern
um. Links leuchtet ein gelber Stern –                    gemeinsam vorbereitet werden. Sie sind
„unser Spiel“. Er überstrahlt alles.                     Teamwork im besten Sinne – ganz wie
Der Stern steht für das kreative Spielen:                Walter Gropius es bereits in seinem Grün-
das Ausprobieren, Fantasieren, Sich-frei-                dungsprogramm 1919 formuliert. Dort
Machen von akademischen Zwängen. Das                     wünscht er ausdrücklich die „Pflege
ist die Basis, um überhaupt schöpferisch                 freundschaftlichen Verkehrs zwischen
aktiv zu werden.                                         Meistern und Studierenden außerhalb der
Daher wird das Spielen am Bauhaus erst-                  Arbeit, dabei Theater, Vorträge, Dicht-
mals als bewusste Lern-methode eingesetzt                kunst, Musik, Kostümfeste, Aufbau eines
– für erwachsene Studenten wohlgemerkt!                  heiteren Zeremoniells bei diesen
Der rote, aufsteigende Balken „unser Fest“               Zusammenkünften.“
ruht auf dem violetten Block „unsere Ar-

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Bühne
615: Eberhard Schrammen, Fünf Handpuppen, um 1923
     (mit Kurt Schwerdtfeger, Reflektorische Lichtspiele)

Die Gleichzeitigkeit des Ungleichen – das                Performance, eine richtige Bühnenshow,
ist typisch für das frühe Bauhaus in Wei-                die 1923 auch live in Weimar aufgeführt
mar. Verschiedenste Ausdrucksformen und                  wird. Schwerdtfeger baut dafür eigens
Stile können hier nebeneinander existieren.              technische Apparate mit Schablonen aus
Besonders deutlich lässt sich das an zwei                geometrischen Formen. In die Schablonen,
Beispielen aus dem Bereich der Bühnen-                   die ständig in Bewegung gehalten und mit
Werkstatt zeigen.                                        Scheinwerfern angestrahlt werden, schiebt
Um 1923 entwirft Eberhard Schrammen                      er abwechselnd farbiges Transparentpapier.
die oben auf dem Balken ausgestellten,                   So verändern sich dauernd Form, Farbe
bunt bemalten Handpuppen aus Holz. Es                    und Licht und werden als bewegte Bilder
sind Stabfiguren für ein Puppenspiel, die                an die Wand projiziert. Das Schwarz-Weiß
urtümlichste Form einer Bühnenauffüh-                    -Foto hier lässt das Licht-Schauspiel nur
rung. Schrammen leitet damals die bau-                   erahnen.
hauseigene Drechslerei. Ursprünglich gibt                Diese völlig neuartige Bühnendarbie-
es drei Figurenpaare, die sich durch ihre                tung entsteht parallel zu ganz traditio-
Haltung, Bekleidung und Farbe unterschei-                nellen Formen wie dem Puppenspiel
den. Der weißen Figur fehlt heute ihr Ge-                von Schrammen – und zeigt die kreati-
genstück.                                                ve Vielfalt des Bauhauses. Dass solche
Zeitgleich zum eher traditionellen Puppen-               Innovationsschübe gerade aus der Büh-
spiel entwickelt Kurt Schwerdtfeger eine                 nen-Werkstatt kommen, verwundert
ultramoderne Lichtinszenierung: die so                   nicht: Sie ist das schöpferische Zent-
genannten Reflektorischen Lichtspiele. Ein               rum am Bauhaus. Mehr dazu hören Sie
Szenenfoto sehen Sie hier ganz unten                     unter 65.
rechts. Es handelt sich um eine Art Licht-

Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011                                          24
65: Vertiefungsebene zu 615

Die Bühnen-Werkstatt spielt für die                      Nach Lothar Schreyer übernimmt der Ma-
ganzheitliche Erziehung der Bauhaus-                     ler und Bildhauer Oskar Schlemmer 1923
Schüler eine entscheidende Rolle. Dort                   die Leitung der Bauhausbühne in Weimar.
geht es nicht darum, einen Abschluss zu                  Er führt sie zu legendären Erfolgen. An
erlangen, wie in den anderen Lehrwerk-                   seinen Theaterprojekten sind Studenten der
stätten, sondern um ein freies Experimen-                verschiedenen Bauhaus-Werkstätten betei-
tieren und Ausprobieren. Die Bühnen-                     ligt. Wie zum Beispiel bei Schlemmers
Werkstatt steht allen Schülern und auch                  berühmten Triadischen Ballett, das im
den Lehrern offen. Jeder kann dort seiner                Rahmen der großen Bauhaus-Ausstellung
Fantasie freien Lauf lassen und sein Ge-                 im Sommer 1923 im Deutschen National-
fühl für Raum, Bühne und Klang immer                     theater in Weimar aufgeführt wird. Die
wieder aufs Neue erproben. In dieser Art                 Tänzer steckt Schlemmer dabei in geomet-
„Theater-Labor“ entwirft man gemeinsam                   risch-abstrakte Kostüme und setzt damit
Bühnenbilder und Kostüme, studiert Tänze                 neue Maßstäbe in der Bühnenkunst.
und Musik ein und bereitet die legendären                Diese Art der Kostümierung greift übrigens
Bauhaus-Feste vor. Kreatives Arbeiten im                 auch Eberhard Schrammen bei seinen ori-
Team, das ist das Wesen und der Kern der                 ginellen Handpuppen oben auf dem Regal
Bühnen-Werkstatt.                                        wieder auf.

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Öffentlichkeitsarbeit/Bauhaus-Ausstellung 1923
616: Postkartenserie, 1923

Werbung in eigener Sache – nichts anderes                Zwölf dieser Karten gestalten Schüler des
sind diese Postkarten hier! Sie gehören zu               Bauhauses, acht Exemplare werden von
einer Serie von insgesamt 20 Motiven, die                berühmten Lehrern entworfen. Links sehen
1923 – gemeinsam mit Plakaten und ande-                  Sie Beispiele von Oskar Schlemmer und
rer Reklame – zur großen Bauhaus-                        Paul Klee. Auch bei dieser Werbekampag-
Ausstellung in Weimar entstehen. An die                  ne zeigt sich der bauhaus-typische Wille
40.000 Stück werden gedruckt und in alle                 zur Gemeinschaftsarbeit. Das gilt erst recht
Welt verschickt, um für die große Bauhaus                für die Bauhaus-Ausstellung selbst. Mehr
-Ausstellung zu werben. Vermutlich ist das               zu diesem Kraftakt der Weimarer Bauhaus-
die erste Mail-Art-Aktion der Welt. Ein                  zeit, der zugleich als deren schöpferischer
absolutes Novum damals!                                  Höhepunkt gilt, hören Sie unter 66.

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66: Vertiefungsebene zu 616

Die Ausstellung von 1923 ist eine echte                  dustrielle Produktion. Ein Jahr lang berei-
Leistungsschau. Das macht sie für das                    ten die Bauhäusler die Ausstellung mit ver-
Bauhaus in Weimar so wichtig – und für                   einten Kräften vor. Im Sommer 1923 wird
uns heute so interessant. Das Thüringer                  dann an verschiedenen Orten in Weimar
Kultusministerium übt schon im Jahr zu-                  das Bauhaus-Profil präsentiert: Produkte
vor einen gewissen politischen Druck auf                 aus den Werkstätten sind zu sehen und
Walter Gropius aus. Er soll der Öffentlich-              auch zu kaufen; Arbeiten aus den Vorkur-
keit endlich zeigen, was seine Schule bis-               sen und künstlerische Werke werden aus-
her an Neuartigem entwickelt hat –                       gestellt, Vorträge gehalten und Theaterstü-
schließlich ist das Bauhaus staatlich sub-               cke aufgeführt. Parallel dazu veranstaltet
ventioniert. Außerdem will man damit den                 das Bauhaus die erste internationale Archi-
deutsch-nationalen Bauhaus-Gegnern den                   tekturausstellung der Moderne mit Arbei-
Wind aus den Segeln nehmen, die eine                     ten von Frank Lloyd Wright, Le Corbusier
kommunistische Gesinnung hinter dem                      oder Ludwig Mies van der Rohe. Der eige-
neuartigen Schulkonzept wittern. Gropius                 ne Beitrag besteht aus der umfangreichen
und sein Lehrerkollegium halten den Zeit-                Dokumentation des Baubüros Gropius und
punkt für eine Ausstellung zwar eigentlich               dem komplett eingerichteten Musterhaus
für verfrüht. Andererseits erkennt Gropius               Am Horn hier in Weimar, das heute noch
die Chance, sich nach außen hin zu präsen-               zu besichtigen ist. Finanziell wird die Wei-
tieren und zugleich intern den eigenen                   marer Ausstellung von 1923 kein Erfolg.
Ansatz zu überprüfen, sich zu sammeln                    Aber die Resonanz aus dem In-und Aus-
und neu zu orientieren. Denn am Bauhaus                  land ist enorm: Jetzt ist das Bauhaus inter-
steht eine entscheidende Wende an: weg                   national bekannt und wird weltweit ge-
vom handwerklichen Einzelstück hin zur                   schätzt!
Entwicklung von Prototypen für die in-

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Freie Kunst der Studierenden
617: Kurt Schmidt, Form-und Farborgel, 1923

„Form-und Farborgel mit bewegten Farb-                   schen Werken. Viel Anregung bekommen
klängen“ nennt Kurt Schmidt sein Holzre-                 sie dabei von den Bauhaus-Meistern, ge-
lief von 1923. Warum? Ganz einfach: Nur                  nauer: den Formmeistern wie Paul Klee
wenn Sie sich bewegen, kommt das Werk                    oder Wassily Kandinsky, die alle bildende
zur Vollendung. Gehen Sie doch bitte ein-                Künstler sind und die unterschiedlichsten
mal langsam von rechts nach links an dem                 Kunstströmungen vertreten. Kurt Schmidts
Relief vorbei. (Pause) Sehen Sie? Die war-               „Form-und Farborgel“ ist von der holländi-
men rot-gelben Farbtöne wandeln sich zu                  schen De Stijl-Bewegung beeinflusst, die
kalten, also Blau, Grün und Violett – in der             damals für eine radikal neue, geometrische
anderen Richtung ist es umgekehrt. Wie                   Formensprache eintritt.
sich bewegende Farbklänge eben. Die in                   Theo van Doesburg, einer der Mitbegrün-
Schwarz, Weiß und Grau gefassten Flä-                    der dieser Künstlergruppe, bietet 1922 in
chen vermitteln zwischen den beiden Farb-                Weimar einen De Stijl-Kurs an, an dem
polen.                                                   auch viele Bauhaus-Schüler teilnehmen.
Dieses Spielen mit Farben und Formen ist                 Vermutlich hofft van Doesburg auf eine
ein gutes Beispiel dafür, wie kreativ die                Berufung ans Bauhaus. Doch Gropius sind
Weimarer Bauhaus-Schüler auch fern von                   die formalen Regeln des De Stijl-Künstlers
Produktentwicklung und Design sind.                      wohl zu einseitig und zu starr. Er will Viel-
Denn offiziell wird freie Kunst am Weima-                falt und Offenheit und holt das gestalteri-
rer Bauhaus nicht unterrichtet. Dennoch –                sche Multitalent Lázló Moholy-Nagy nach
oder vielleicht gerade deswegen – experi-                Weimar, als Johannes Itten 1923 das Bau-
mentieren die meisten Schüler neben ihrer                haus verlässt.
eigentlichen Ausbildung mit künstleri-

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Spielzeug
618: Alma Siedhoff-Buscher, Kugelspiel, 1923/24

                                                         Für Kinder zu gestalten ist Alma Siedhoff-
                                                         Buschers Leidenschaft: Ihr Leben lang ent-
                                                         wirft sie Kindermöbel und Spielzeug, vom
                                                         Puppentheater über Bauklötze bis hin zum
                                                         Bastelbogen. Ihr erstes größeres Projekt ist
                                                         das Kinderzimmer im Haus Am Horn für
                                                         die Bauhaus-Ausstellung 1923 in Weimar.
                                                         Dort stellt die junge Bauhäuslerin unter
                                                         Beweis, dass sie Althergebrachtes völlig
                                                         neu überdenkt. Ein Schrank ist bei ihr nicht
Siedhoff-Buscher, Alma: Kugelspiel, 1923/24              einfach ein Schrank: Er wird mit wenigen
© VG Bild-Kunst, Bonn 2012                               Griffen zum Kasperltheater umfunktio-
                                                         niert. Das Kind kann – und soll! – selbst
Das sogenannte Kugelspiel für Kinder ge-                 mitgestalten und mitentscheiden. Denn
hört zu den wichtigsten Kreativleistungen,               Alma Siedhoff-Buscher ist überzeugt, dass
die das Bauhaus hervorgebracht hat. Es                   „Kinder einen Raum haben (sollten), in
regt die Kinder an, sich Dinge – wie ein                 dem sie sein können was sie wollen, in
Stöckchen aus dem Wald oder Garn aus                     dem sie herrschen. Jedes Ding darin gehöre
Mutters Nähkasten – zu suchen, um die                    ihnen, ihre Fantasie gestaltet es ...“So ist
bunt bemalten Kugeln und Klötzchen im-                   ihr „Spielschrank“ mit der Typenbezeich-
mer wieder neu zu Tieren, Figuren oder                   nung ti 24 in Wirklichkeit eine multifunkti-
Fahrzeugen zusammenzustecken.                            onale Spiellandschaft. Die gleiche Idee
Der Entwurf stammt von Alma Siedhoff-                    steht hinter dem Kugelspiel. Alma Siedhoff
Buscher, eine der innovativsten Frauen am                -Buscher entwickelt es als offenes Spiel-
Bauhaus in Weimar – und eine der hartnä-                 system. Dem Kind wird also nicht vorgege-
ckigsten: Als sie 1922 ihr Studium be-                   ben, was es mit den verschiedenen
ginnt, wird sie der Weberei zugewiesen,                  Holzelementen zu tun hat, und auch nicht,
wie damals für Frauen üblich. Doch sie                   was dabei herauskommen soll. Dieser offe-
fühlt sich dort fehl am Platz und bittet                 ne pädagogische Ansatz ist damals etwas
Walter Gropius um ihre Versetzung in die                 fundamental Neues – und Alma Siedhoff-
Holzbildhauerwerkstatt. Mit Erfolg – ihre                Buscher damit ihrer Zeit weit voraus.
Entwürfe überzeugen den Meisterrat.

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Spielzeug
619: Alma Siedhoff-Buscher, Wurfpuppe, um 1924

                                                         ist der interaktive Ansatz: Während man
                                                         mit traditionellen Puppen meist für sich
                                                         alleine spielt, ist die Wurfpuppe zum Hin-
                                                         und Herwerfen gedacht. Die Kinder tun
                                                         also etwas zusammen und trainieren
                                                         gleichzeitig auch noch ihre Motorik und ihr
                                                         Wahrnehmungsvermögen: Denn fällt die
                                                         Puppe einmal herunter, bleibt sie immer
                                                         wieder anders liegen.
                                                         Da die Puppe mal mehr oder weniger hef-
Siedhoff-Buscher, Alma: Wurfpuppe, um 1924               tig herumgeworfen wird, müssen die Mate-
© VG Bild-Kunst, Bonn 2012                               rialien und ihre Verarbeitung besonders
                                                         robust sein. Alma Siedhoff-Buscher ver-
Diese pfiffige Puppe ist ein echtes High-                wendet Bast für den Körper, als Kopf,
light der Weimarer Bauhauszeit: Sie ist das              Hände und Füße sind gedrechselte Holzku-
einzige Bauhaus-Produkt, das je als Deut-                geln fixiert, und die Kleidung besteht aus
sches Reichspatent angemeldet wird. Kein                 gehäkeltem Garn. Diese Funktionalität
anderer Prototyp aus den Bauhaus-                        überzeugt auch das Reichspatentamt. Dort
Werkstätten schafft es, das Reichspatent zu              heißt es beim entsprechenden Eintrag im
erhalten – und dieses Patent ist begehrt,                April 1926: „Die neue Puppe zeichnet sich
bestätigt es doch hochoffiziell die Innova-              insbesondere durch ihre Beweglichkeit und
tionskraft eines Produkts. Der kluge Kopf,               Unverwüstlichkeit aus.“ Ein Verkaufs-
der hinter der Puppe steckt, ist Alma Sied-              schlager wird die Wurfpuppe aber nicht –
hoff-Buscher, die bedeutende Bauhäusle-                  ihre Herstellung in Handarbeit ist einfach
rin, von der viele Spielzeuge und Kinder-                zu aufwändig.
möbel stammen.
Doch was macht die Puppe so innovativ,
dass sie es sogar bis zum Patent bringt? Es

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Vorläufer – Nachfolger
620:          Drei Stühle: Henry van de Velde, Marcel Breuer,
              Erich Dieckmann

                                                         der Sitzbretter ist völlig neu und steht be-
                                                         reits für den Übergang von handwerklichen
                                                         zu industriellen Technologien.
                                                         Der mittlere Stuhl stammt von Marcel
                                                         Breuer, einem der bekanntesten Möbelde-
                                                         signer, die das Weimarer Bauhaus hervor-
                                                         gebracht hat. Das traditionelle Sitzmöbel
                                                         wird hier – typisch fürs Bauhaus – neu
                                                         durchdacht: zweckmäßig und industriell
                                                         produzierbar soll es sein. Breuer gelingt
                                                         dies, indem er alle Bretter für Armlehne,
                                                         Füße und Rückteil mit gleichem Profil ver-
                                                         wendet. Nur in der Länge unterscheiden sie
                                                         sich. Neu ist auch die Textilbespannung
                                                         anstelle der üblichen Polster. Die geeigne-
                                                         ten Stoffe dazu entwickelt die Bauhaus-
                                                         Weberei.
                                                         Der rechte Stuhl schließlich steht für den
                                                         direkten Nachfolger des Bauhauses in Wei-
Van de Velde, Henry: Stuhl
                                                         mar: die Staatliche Bauhochschule. Sie
© VG Bild-Kunst, Bonn 2012
                                                         wird von Otto Bartning geleitet, bis auch
                                                         sie 1930 auf Druck der Nazis schließen
Die drei Stühle erzählen davon, dass das                 muss. Der leichte und bequeme Stuhl führt
Bauhaus in Weimar 1919 weder einfach so                  Ideen des Bauhauses fort. Er stammt von
aus dem Nichts entsteht, noch dass sich                  Erich Dieckmann, dem Leiter der Werk-
seine Spuren hier vollständig verlieren, als             statt für Innendesign an der neuen Bau-
die Schule 1925 nach Dessau umzieht. Der                 hochschule. Dieckmann zählt zu der hoch-
linke Stuhl steht für den Vorläufer des                  begabten Generation von Bauhaus-
Bauhauses in Weimar – die Kunstgewer-                    Schülern, die ihr Studium gerade noch ab-
beschule von Henry van de Velde. Schon                   schließen, bevor das Bauhaus nach Dessau
dort bildet der berühmte belgische Jugend-               zieht. Zahlreiche Bauhaus-Absolventen
stilkünstler die Schüler in Werkstätten aus              finden ihre ersten Jobs als Lehrer in wichti-
und lässt sie Prototypen für eine Serienpro-             gen Ausbildungsstätten und tragen so die
duktion entwickeln. Die Verschraubung                    Ideen des Bauhauses in die Welt.

Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011                                             31
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