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Audioguidetext zum BAUHAUS-MUSEUM WEIMAR Text/Redaktion: Linon Medien Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 1
Inhalt TITEL ......................................................................................................AUDIOGUIDE-NUMMER Begrüßung................................................................................................................................ 600 Einführung Johannes Itten, Turm des Feuers, 1920 ........................................................................... 601 Bauhaus-Programm Manifest mit Titelholzschnitt von Lyonel Feininger, 1919 ............................................ 602 Vertiefungsebene zu 602 ............................................................................................. 60 Bauhaus in Weimar Walter Gropius, Schema des Studiengangs, 1922 .......................................................... 603 Bauhaus-Signet von Karl Peter Röhl, 1919 .................................................................... 604 Vertiefungsebene zu 604 ............................................................................................. 61 Freie Kunst der Lehrenden Paul Klee, Wasserpark im Herbst, 1926 ......................................................................... 605 Lyonel Feininger, Gelmeroda XI, 1928 .......................................................................... 606 Vertiefungsebene zu 606 ............................................................................................. 62 Vorkurs Rudolf Lutz, Struktur- und Kompositionsstudien, 1919-22............................................ 607 Nikolai Wassiljew, Spiral-Turm, um 1920 ..................................................................... 608 Werkstätten Theodor Bogler, Kombinationsteekanne L1, 1923 ......................................................... 609 Vertiefungsebene zu 609 ............................................................................................. 63 Wilhelm Wagenfeld, Tischlampen ................................................................................. 610 Peter Keler, Wiege. 1922 ................................................................................................ 611 Architektur Walter Determann, Entwurf für eine Bauhaussiedlung, Lageplan.................................. 612 Vertiefungsebene zu 612 ............................................................................................. 64 Farkas Molnár, Entwurf für die Bauhaussiedlung Am Horn, 1922 ................................ 613 Bauhaus-Pädagogik Rudolf Lutz, Plakatentwurf für Itten-Vortrag, 1919 ....................................................... 614 Bühne Eberhard Schrammen, Fünf Handpuppen, um 1923 (mit Kurt Schwerdtfeger, Reflektorische Lichtspiele) .................................................... 615 Vertiefungsebene zu 615 ............................................................................................. 65 Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 2
Inhalt TITEL ......................................................................................................AUDIOGUIDE-NUMMER Öffentlichkeitsarbeit/Bauhaus-Ausstellung 1923 Postkartenserie, 1923 ...................................................................................................... 616 Vertiefungsebene zu 616 ............................................................................................. 66 Freie Kunst der Studierenden Kurt Schmidt, Form und Farborgel, 1923 ....................................................................... 617 Spielzeug Alma Siedhoff-Buscher, Kugelspiel, 192/24 .................................................................. 618 Alma Siedhoff-Buscher, Wurfpuppe, um 1924 .............................................................. 619 Vorläufer—Nachfolger Drei Stühle: Henry van de Velde, Marcel Breuer, Erich Dieckmann ............................. 620 Politik Walter Gropius, Denkmal für die Märzgefallenen , 1922 ............................................... 621 Bauhaus-Orte in Weimar Karte im Foyer ................................................................................................................ 622 Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 3
600: Begrüßung Guten Tag und herzlich willkommen im Bauhaus-Museum in Weimar. Das Bauhaus ist die bedeutendste Schule 10.000 Stücke umfasst die Sammlung des für Kunst, Design und Architektur des 20. Bauhaus-Museums heute. Das 1995 eröff- Jahrhunderts. nete Museum ist derzeit noch provisorisch Gegründet wird es 1919 in Weimar. Auf in diesem klassizistischen Bau des Hofar- politischen Druck hin muss das Bauhaus chitekten Clemens Wenzeslaus Coudray 1925 nach Dessau umziehen und 1932 untergebracht. In Zukunft wird die welt- nach Berlin. Dort löst sich die Schule nach weit bedeutende Sammlung, nicht weit von massiven Schikanen der Nationalsozialis- hier, in einem neuen Museumsbau zu ten 1933 selbst auf. sehen sein. Die ersten Bauhaus-Jahre in Weimar sind Auf Ihrem Rundgang finden Sie an ausge- turbulent: Tiefgreifenden Veränderungen wählten Objekten ein Audioguide-Symbol werden vollzogen, bei dem erst das Hand- und eine Nummer. Geben Sie diese Num- werk und dann die Industrieproduktion im mer ein und drücken Sie auf Play, wenn Vordergrund steht. Etliche Designklassiker Sie etwas dazu hören möchten. Die erste – Stühle, Lampen, Geschirr – werden Nummer ist gleich hier im Foyer bei dem bereits hier in Weimar entwickelt. Viele bunten Glasturm. Wir wünschen Ihnen viel davon sehen Sie in unserem großen Aus- Freude beim Entdecken der vielfältigen stellungsraum – wenn auch nur einen Facetten des Bauhauses in seiner überaus Bruchteil des eigentlichen Bestands: Rund kreativen Weimarer Zeit! Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 4
Einführung 601: Johannes Itten, Turm des Feuers, 1920 Das macht den Turm zum Symbol für die zentrale Idee, die hinter dem Bauhaus steht: die Einheit aller künstlerischen Dis- ziplinen. Denn auch hier, bei diesem Turm, verbinden sich Architektur und Skulptur, Musik und Glasgestaltung zu einem Ge- samtkunstwerk. Erstaunt, ja irritiert, sind so manche damals auch über das Bauhaus an sich, die 1919 in Weimar gegründete staatliche Hochschule für Gestaltung. Was Walter Gropius, der Gründungsdirektor, dort an pädagogischen Ansätzen praktiziert, ist für eine Universi- tät geradezu revolutionär. Gropius will alle Talente seiner Schüler ausschöpfen und sie zu vielseitigen, weltoffenen Gestaltern und Architekten ausbilden. Fachübergreifend und im Team sollen sie arbeiten, um ge- meinsam eine neue, funktionale Lebens- Itten, Johannes: Turm des Feuers, 1920 welt zu schaffen, die den Bedürfnissen der © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 Menschen entspricht: Vom Haus an sich bis hin zu seiner Ausstattung mit Lampen, Das Original dieser Skulptur stand 1920 Teppichen und Möbeln. vor dem Atelier des Bauhaus-Lehrers In vielen Dingen geht Gropius komplett Johannes Itten im Weimarer Ilmpark. Die neue Wege. Damit macht er sich und sei- Spaziergänger dürften erstaunt gewesen nen Mitstreitern nicht nur Freunde. Nach sein über das eigentümliche Werk. Der einem politischen Rechtsruck in Thüringen mächtige „Turm des Feuers“ ist mit sei- muss das Bauhaus 1925 nach Dessau um- nem bunt schillernden Glas schon von ziehen. Gropius hinterlässt den Staatlichen Weitem zu sehen – und dank seiner 12 Kunstsammlungen zu Weimar rund 165 Schellen auch zu hören! Raum, Klang, einzigartige Designobjekte. Sie bilden den Licht und Farbe sind hier auf neuartige Grundstock des Bauhaus-Museums und Weise vereint. machen die Weimarer Sammlung weltweit einmalig. Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 5
Bauhaus-Programm 602: Manifest mit Titelholzschnitt von Lyonel Feininger, 1919 der handwerklichen Ausbildung gibt. Am Bauhaus sollen alle künstlerischen Disziplinen miteinander arbeiten und die Lebenswelt nach dem verheerenden 1. Weltkrieg schöner und besser machen. Ganz neu ist dieser Gedanke allerdings nicht. Bereits 1902 gründet der berühmte Jugendstilkünstler Henry van de Velde in Weimar sein „Kunstgewerbliches Semi- nar“. Daraus entsteht 1907 die Großher- zogliche Kunstgewerbeschule, in der van Feininger, Lyonel: Kathedrale der Zukunft, 1919 de Velde seine Schüler ganz praxisorien- © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 tiert in Werkstätten ausbildet. Diese Schule Warum das Bauhaus eigentlich Bauhaus wird 1919 mit der Großherzoglichen Kunst heißt? Das Gründungsmanifest von Walter -hochschule unter neuem Namen vereint: Gropius gibt Antwort darauf. Das Titelblatt dem „Staatlichen Bauhaus Weimar“. Das zeigt eine gotische Kathedrale, ein Holz- Bauhaus übernimmt auch die Räume der schnitt des berühmten Bauhaus-Lehrers Vorgängerschulen, beide hat van de Velde Lyonel Feininger. Die Kathedrale ist Pro- erbaut. Der große belgische Allroundkünst- gramm. Sie versinnbildlicht das perfekte ler ist es übrigens auch, der Gropius als Zusammenspiel von Handwerk und Kunst Direktor der neuen Hochschule vorschlägt. an einem großen Werk. So wie das bei ei- Ohne ihn hätte es das Bauhaus in Weimar ner mittelalterlichen Bauhütte der Fall war, vielleicht gar nicht gegeben. Wie ein- wo die verschiedensten Gewerke am Bau dringlich Walter Gropius seine Vision im der Kathedrale beteiligt waren. Genau das Gründungsprogramm des Bauhauses for- ist die Vision, die Gropius verwirklichen muliert – und was er Jahrzehnte später über will. Daher der Name „Bauhaus“. Und da- diese stürmische Aufbruchszeit sagt, hören her auch der hohe Stellenwert, den Gropius Sie unter 60. Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 6
60: Vertiefungsebene zu 602 Das Bauhaus-Programm von Walter steigen wird als kristallenes Sinnbild eines Gropius beginnt mit den Worten: neuen kommenden Glaubens.“ „Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau! Ihn zu schmücken war einst Mit reichlich Pathos beschwört Gropius die vornehmste Aufgabe der bildenden hier seine Vision: das alle Lebens-und Ar- Künste, sie waren unablösliche Bestand- beitsbereiche umfassende Gemeinschaftsi- teile der großen Baukunst. Heute stehen sie deal. 1963, im Alter von 80 Jahren, erklärt in selbstgenügsamer Eigenheit, aus der sie er in einem Brief, was diese frühe Weima- erst wieder erlöst werden können durch rer Bauhauszeit ausgemacht hat. Das Bau- bewusstes Mit-und Ineinanderwirken aller hausmanifest sei entstanden, so Gropius: Werkleute untereinander.“ „aus einer Mischung tiefer Niedergeschla- genheit als Folge des verlorenen [Ersten Und etwas später folgt der Aufruf: Welt-]Krieges und der Zerrüttung geistigen „Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle und wirtschaftlichen Lebens und einer glü- müssen zum Handwerk zurück! (...) Wol- henden Hoffnung, aus diesen Trümmern len, erdenken, erschaffen wir gemeinsam etwas Neues aufbauen zu wollen (...). Aus den neuen Bau der Zukunft, der alles in dem In- und Ausland kamen junge Leute einer Gestalt sein wird: Architektur und herbei (...), um Teil der Gemeinschaft zu Plastik und Malerei, der aus Millionen sein, die den neuen Menschen in neuer Händen der Handwerker einst gen Himmel Umgebung aufbauen (...) wollte.“ Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 7
Bauhaus in Weimar 603: Walter Gropius, Schema des Studiengangs, 1922 Das kreisförmige Lehrschema von 1922 Gropius sie nennt, und die Schüler bereits zeigt den dreistufigen Aufbau der Bauhaus- zu echten Erfindern. Ausbildung. Am Anfang steht die Vorlehre, Nach der Werkstatt-Lehre legt man eine die jeder, der am Bauhaus studieren will, Gesellenprüfung vor der Handwerkskam- absolvieren muss. Wer dieses Probesemes- mer ab. Nun ist die eigentliche Ausbildung ter – auch „Vorkurs“ genannt – besteht, darf abgeschlossen. Die begabtesten Absolven- anschließend drei Jahre lang eine der bau- ten hängen eine Art Aufbaustudium an, hier hauseigenen Werkstätten besuchen, zum „Bau“ genannt. Dort steht vor allem die Beispiel für Metall, Holz, Keramik oder Architektur im Mittelpunkt. Eine reguläre Textil. Architektenausbildung kann Gropius aller- Diese praktische Handwerkslehre ist das dings erst im Bauhaus in Dessau umsetzen. Herzstück der Ausbildung. Ganz konse- In Weimar bekommen die besten Studenten quent nennt man sich am Bauhaus daher aber zumindest in seinem privaten Baubüro auch nicht „Student“ oder „Professor“, son- einen Einblick in die praktische Arbeit. dern „Lehrling“, „Geselle“ oder „Meister“. Auch die Bauhaus-Werkstätten bezieht In den Werkstätten lernt man jedoch nicht Gropius in seine Projekte mit ein, um den nur handwerkliches Können, sondern auch Studenten reale Praxisaufgaben zu vermit- ein ganzheitliches Denken: Es gilt, schöne teln und die Finanzen der Schule aufzubes- Dinge herzustellen und gleichzeitig zu über- sern: Die Bildhauerei-Werkstatt fertigt zum legen, wie sie alltagstauglich gestaltet wer- Beispiel Architekturmodelle für Häuser, die den können, also besser, günstiger und Gropius baut, die Tischlerei liefert Schrän- funktioneller. ke, Stühle und Tische für die Inneneinrich- So werden die Bauhaus-Werkstätten zu tung, und aus der Weberei kommen Teppi- „Laboratorien für die Industrie“, wie Walter che und Wandbehänge. Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 8
Bauhaus in Weimar 604: Bauhaus-Signet von Karl Peter Röhl, 1919 Schon bald nach der Gründung des Bau- vom idealen Menschen und der halb hauses im Jahr 1919 soll die neue Hoch- schwarz, halb weiß gestaltete Kopf an das schule ein eigenes Signet bekommen. Ein chinesische Yin und Yang-Zeichen. Markenzeichen also, um hauseigene Doku- Daneben gibt es weitere religiös- mente, Veröffentlichungen und Produkte philosophische Sinnbilder, zum Beispiel eindeutig zu kennzeichnen. Aber wie setzt das Hakenkreuz in der rechten Hälfte. Es man die Ideale des Bauhauses in einem ist ursprünglich ein altes indisches Zeichen um – die Vielfalt, die Weltoffen- Glückssymbol, das die Nationalsozialisten heit und die Chancengleichheit für Mann erst später zu ihrem Parteizeichen ma- und Frau, die Walter Gropius an seiner chen. Die ägyptische Pyramide, die das Schule verwirklichen will? Männchen trägt, symbolisiert als techni- Gropius entwirft das Signet nicht etwa sche und organisatorische Meisterleistung selbst: Er schreibt dafür einen Wettbewerb das Ideal des Gemeinschaftswerks, das unter seinen Schülern aus. Die ausgezeich- von allen zusammen geschaffen wird. neten Arbeiten sehen Sie hier rot umrandet. Drei Jahre bleibt das „Sternen-männchen“ Den ersten Preis macht Karl Peter Röhl mit das Signet des Staatlichen Bauhauses seinem „Sternenmännchen“. Weimar. Dann wird es von einem völlig Mit einer Reihe von Symbolen setzt Röhl anders gestalteten Zeichen abgelöst. Wie die Vision der Weltoffenheit ins Bild: So das neue Signet aussieht und welcher erinnert das Strichmännchen mit den erho- grundlegende Wandel am Bauhaus dahin- benen Armen an Leonardo da Vincis Bild ter steckt, hören Sie unter 61. Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 9
61: Vertiefungsebene zu 604 In der Vitrine links sehen Sie das zweite riegesellschaft anders nicht gestillt werden Bauhaus-Signet, das Karl Peter Röhls können. „Sternenmännchen“ 1922 ablöst. Es ist der Eine neue Leitidee entsteht: Kunst und berühmte Profilkopf, ein Entwurf des Technik sollen nun eine Einheit bilden, Bauhaus-Meisters Oskar Schlemmer. Die- nicht mehr Kunst und Handwerk. Gropius ser Kopf wird das Markenzeichen des Bau- fordert seine Lehrer und Schüler auf, Pro- hauses bleiben, auch später noch in Dessau totypen für die Serienproduktion zu entwi- und in Berlin. ckeln: Stühle, Kannen, Lampen – alles, Der Unterschied zwischen den beiden was man im täglichen Leben braucht, soll Signets könnte größer kaum sein: zuerst nun nicht mehr per Hand hergestellt wer- das esoterisch anmutende Männchen, dann den, sondern mit Hilfe moderner Maschi- der streng geometrische, nüchtern wirken- nen. Schön sollen die Industrieprodukte de Kopf. Dieser Kontrast spiegelt den ent- sein, aber auch funk-tionell, langlebig und scheidenden Wandel am Weimarer Bau- preiswert. Alltags-tauglich eben und zu- haus wider. gleich ästhetisch, das war der soziale An- Während Walter Gropius anfangs das spruch, den das Bauhaus hatte – und der handwerklich gefertigte Einzelstück als aus dieser Hochschule eine echte Reform- ideales Endprodukt sieht, rückt seit 1921 schule macht. Insofern spiegeln beide Sig- die industrielle Herstellung immer mehr ins nets trotz ihrer Unterschiedlichkeit den Zentrum seines Denkens. Gropius erkennt, Kern der Bauhaus-Philosophie: Im Mittel- dass die Bedürfnisse der modernen Indust- punkt steht immer der Mensch. Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 10
Freie Kunst der Lehrenden 605: Paul Klee, Wasserpark im Herbst, 1926 Das Ölgemälde „Wasserpark im Herbst“ den bildenden Künstlern, die Gropius als von Paul Klee, einem bedeutenden Bau- Lehrer ans Bauhaus nach Weimar holt. haus-Meister, entsteht 1926 – ein Jahr, Jede Bauhaus-Werkstatt wird hier von zwei nachdem das Bauhaus auf politischen Meistern geleitet: dem „Werkmeister“ und Druck hin von Weimar nach Dessau um- dem „Formmeister“. Die Werkmeister sind ziehen muss. Auf diese Umbruchsphase alle Handwerker mit langjähriger Berufser- scheint Paul Klee hier anzuspielen: Darge- fahrung und für die eigentliche handwerkli- stellt ist vermutlich der Ilmpark in Weimar che Ausbildung zuständig. Und die bei Nacht – mit Blick auf den Eisenbahnvi- „Formmeister“ sind allesamt international adukt mit seinen Bögen, hier etwas links renommierte Künstler, wie Paul Klee, Lyo- der Mitte. Rechts oben sind zwei helle nel Feininger und Wassily Kandinsky. Da Kreise zu sehen und darunter zwei drei- sich das Bauhaus aber als Gestaltungsschu- eckige Dächer – alles ist hier also doppelt: le und nicht als Kunstakademie versteht, der Mond, die Häuser und der Park im bilden die Formmeister ihre Schüler nicht Grunde auch. Denn auch in Dessau gibt es zu freien Künstlern aus, sondern vermitteln eine berühmte Parklandschaft. Paul Klee ihnen die gestalterischen Grundlagen zu verarbeitet in diesem Bild offenbar seinen Form und Farbe. Jeder Formmeister bringt Abschied, der zugleich ein Neubeginn ist. dabei aber seine eigene Handschrift mit ein Er verlässt 1926 mit seiner Familie endgül- und trägt so zum Konzept der Vielfalt bei, tig Weimar, als die Meisterhäuser in Des- das die Ausbildung am Bauhaus kenn- sau fertig gestellt sind. Paul Klee gehört zu zeichnet. Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 11
Freie Kunst der Lehrenden 606: Lyonel Feininger, Gelmeroda XI, 1928 tern und Schülern offen. Jeder kann dort mit Holzschnitten, Lithografien und Radie- rungen experimentieren. Das macht die Druckerei-Werkstatt zu einem wichtigen kreativen Dreh-und Angelpunkt am Bau- haus. Lyonel Feininger ist Amerikaner mit deutschen Wurzeln – und er ist nicht der einzige ausländische Lehrer am Bauhaus. Etwa die Hälfte der Künstler, die dort unterrichten, sind keine gebür- tigen Deutschen. Die Bauhaus-Meister kommen von überall her: Johannes Itten aus der Schweiz, Lázló Moholy-Nagy aus Ungarn, Wassily Kandinsky aus Russland – um nur einige zu nennen. Das gleiche gilt für einen guten Teil der Feininger, Lyonel: Gelmeroda XI, 1928 Studenten: Von den etwa 150 bis 200 © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 Schülern, die im Durchschnitt am Bau- haus studieren, stammen rund ein Vier- „Gelmeroda XI“, so lautet der Titel dieses tel aus dem Ausland. Damals, in einer Gemäldes von Lyonel Feininger. Es zeigt vom Nationalbewusstsein aufgeheizten die Kirche von Gelmeroda, einer kleinen Zeit, war das schon eine Besonderheit. Ortschaft bei Weimar, die Feininger in Auch der Anteil an weiblichen Studen- seiner Weimarer Zeit oft besucht. Die ten ist mit rund 50 Prozent sehr hoch. Kirche ist durch prismatische Formen abs- Geradezu sensationell ist aber, dass trahiert, die wie Strahlen in alle Himmels- Walter Gropius für eine Aufnahme an richtungen weisen. Dieser für Feininger seiner Hochschule kein Abitur fordert: typische Stil macht ihn zu einem der Jeder, der begabt ist, soll am Bauhaus bedeutendsten Maler und Grafiker der studieren dürfen. Was es mit der „Elf“ Moderne. In Weimar, wohin Feininger im Titel des Gemäldes auf sich hat und bereits 1919 als erster Bauhaus-Meister warum dieses Bild für Weimar von berufen wird, leitet er ab 1921 die Druck- ganz besonderer Bedeutung ist, hören grafische Werkstatt. Sie steht allen Meis- Sie unter 62. Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 12
62. Vertiefungsebene zu 606 raum von fast 50 Jahren – das erste Gel- meroda-Bild fertigt Feininger 1906 und das letzte 1955, ein Jahr, bevor er hoch betagt in seiner Heimatstadt New York stirbt. Dorthin ist Feininger bereits 1937 zurück- gekehrt, als der politische Druck in seiner Wahlheimat Deutschland immer größer wird. Die Nationalsozialisten konfiszieren seine Werke als „entartete Kunst“, genau wie die seiner Bauhaus-Kollegen. Auch die Kunstsammlungen in Weimar bleiben nicht verschont. Hier beschlagnahmen die Nazis ein anderes, frühes Bild aus der Gelmeroda -Serie, das heute in einem New Yorker Museum hängt. Umso bedeutender ist es für die Stadt Weimar und das Bau- Feininger, Lyonel: Gelmeroda haus-Museum, dass 2007 – dank der groß- © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 zügigen Unterstützung Vieler – mit diesem Gemälde wieder ein Bild der Gelmeroda- Lyonel Feininger liebt das Kirchlein von Serie nach Weimar zurückgekehrt ist. Die Gelmeroda vor den Toren von Weimar. Nazis haben versucht, die Erinnerung an Ganze 13 Mal malt er es in Öl. Unser Bild die Moderne und das Bauhaus in Weimar hier ist die Nummer Elf dieser Serie. auszulöschen. Es ist ihnen nicht gelungen. Nimmt man seine Zeichnungen, Aquarelle Das Bauhaus gilt heute als die wichtigste und Druckgrafiken zu dieser Kirche hinzu, und einflussreichste Schule für Kunst, De- kommt man sogar auf knapp 150 Werke. sign und Architektur des 20. Jahrhunderts. Die Arbeiten entstehen über einen Zeit- Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 13
Vorkurs 607: Rudolf Lutz, Struktur-und Kompositionsstudien, 1919-22 Form und Materie, Rhythmus, Natur und richt, sondern auch rhythmische Übungen Kontrast. Das sind die zentralen Themen, und Gymnastik, um die individuellen mit denen sich die Bauhaus-Schüler in schöpferischen Kräfte zu wecken. Dieses ihrem Probesemester, dem Vorkurs, be- pädagogische Konzept für den Vorkurs ist schäftigen. Ein Beispiel dafür sind diese damals völlig neu: Vor dem eigentlichen vier Zeichnungen. Die Studien entstehen Studium wird erst einmal ein halbes Jahr zwischen 1919 und -22, als der Schweizer lang geprüft, wer sich für den gestalteri- Maler und Kunstpädagoge Johannes Itten schen Beruf überhaupt eignet. Daher dür- den Vorkurs am Weimarer Bauhaus leitet. fen – ja: müssen! – die Schüler vom ersten Itten ist einer der ersten Bauhaus-Meister. Tag an in der Vorlehre-Werkstatt praktisch Er regt den Vorkurs selbst an und entwi- arbeiten. Sie experimentieren mit Materia- ckelt auch das Konzept dafür, das seinem lien, Formen und Farben. Je nach Talent ganzheitlichen Ansatz entspricht: Johannes und Vorliebe für Holz, Metall, Keramik Itten hat den Menschen als Ganzes im oder Textil wird am Ende des Vorkurses Blick, also Geist, Körper und Seele. Er will für jeden Einzelnen entschieden, in welcher das Kreative aus jedem Einzelnen heraus- Werkstatt er die dreijährige Bauhaus- locken und die Studierenden mental, also Ausbildung antreten darf. Natürlich nur, im Sehen und im Tasten sensibilisieren. wer den Vorkurs besteht. Und das sind bei Entsprechend integriert Itten nicht nur Ma- weitem nicht alle. terial- und Naturstudien in seinen Unter- Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 14
Vorkurs 608: Nikolai Wassiljew, Spiral-Turm, um 1920 In ihrem Probesemester, dem Vorkurs, Bruch. Itten kündigt, verlässt 1923 das beschäftigen sich die Studienanwärter auch Bauhaus und geht zurück in die Schweiz. mit plastischen Arbeiten – wie der rekon- Der Vorkurs, den Itten etabliert hat, bleibt struierte Spiralturm eindrücklich zeigt. aber bis zur Schließung des Bauhauses Die Skulptur entsteht um 1920 im Vorkurs im Jahr 1933 bestehen. Das inhaltliche von Johannes Itten, wo die Schüler spiele- Konzept wird jedoch verändert. Mit dem risch den Umgang mit Material, Form neuen Leiter, dem ungarischen Avantgar- und Raum erproben. Dafür suchen sie dekünstler Lázló Moholy-Nagy, verlagert sich auch schon mal geeignete Stücke auf sich der Schwerpunkt von der esoterisch dem Schrottplatz zusammen, wie man hier angehauchten Kreativitätserziehung hin sieht. Johannes Itten versteht den Vorkurs zu einer zielorientierten Vorbereitung als Freiraum, in dem jeder Schüler seine auf den Beruf als Gestalter. Moholy-Nagy schöpferischen Fähigkeiten entdecken und führt unter dem Motto „Kunst und Tech- für sich entfalten soll. Walter Gropius sieht nik“ systematische Tast-und Sehübungen das anders. Er will darüber hinaus team- ein und lässt seine Schüler Raum-und fähige Gestalter, die neue, formschöne und Gleichgewichtsstudien anfertigen. Wenn alltagstaugliche Produkte für die Men- Sie zurückblicken, sehen Sie rechts an der schen schaffen. Als Gropius ab 1922 den Wand den Nachbau einer solchen Studie Schwerpunkt immer stärker auf die Ent- aus dem Vorkurs von Moholy-Nagy, der ab wicklung von Prototypen für die industri- 1923 von Josef Albers in der Vorkurswerk- elle Herstellung legt, kommt es zum statt unterstützt wird. Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 15
Werkstätten 609: Theodor Bogler, Kombinationsteekanne L1, 1923 An dieser Kanne lässt sich hervorragend Bogler eine Art Baukastensystem: Die ein- zeigen, welcher entscheidende Wandel zelnen Teile einer Teekanne – also Körper, sich am Bauhaus zwischen 1922 und 23 Griff, Ein-und Ausguss – sollen unter- vollzieht: Damals wird am Bauhaus disku- schiedlich gestaltet und die vorgefertigten tiert, ob und wie man den Schritt vom indi- Teile dann, wie aus einem Baukasten, im- viduellen, handwerklich gefertigten Ein- mer wieder neu kombiniert werden. Daher zelstück zum modernen, seriell gefertigten der Name „Kombinationsteekanne“. Bei- Produkt gehen soll. Walter Gropius ruft spiele für solche Varianten sehen Sie in der seine Lehrkräfte auf, die Werkstätten in Vitrine links. Der Clou an Boglers Teekan- Laboratorien zu verwandeln und dort Pro- ne aber ist, dass er aus dem Serienprodukt totypen für die Industrie zu entwickeln – am Ende fast wieder ein Einzelstück Kunst und Technik sollen nun eine neue macht, und zwar durch eine verlaufende Einheit bilden. Dies gelingt dem jungen Glasur, die bei jedem Stück etwas anders Bauhaus-Absolventen Theodor Bogler mit ausfällt. seiner sogenannten Kombinationsteekan- Aus heutiger Sicht gelingt Theodor Bogler ne. Sie ist, wie alle am Bauhaus entwickel- mit seiner Kombinationsteekanne L1 ein ten Prototypen, nummeriert und trägt die echter Klassiker des modernen Designs. Typenbezeichnung L1. Bogler erkennt das Damals aber floppt das kühne Produkt. Dilemma der bisherigen Industrieware: Wie selbstkritisch die Bauhäusler auf sol- Jedes Stück sieht gleich aus – gleiche che Rückschläge reagieren und warum die Form, gleiche Farbe, gleiche Größe. Um Rede von einem Bauhausstil ein Mythos diese Monotonie zu vermeiden, entwickelt ist, hören Sie unter 63. Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 16
63: Vertiefungsebene zu 609 Was man am Bauhaus für gut befindet, man am Bauhaus sofort: Theodor Bogler muss dem Verbraucher noch lange nicht und sein Kollege Otto Lindig entwerfen gefallen. Dieser etwas schmerzhafte, aber noch im selben Jahr neue Prototypen für wichtige Lernprozess gehört zur Bauhaus- Kannen. Beispiele sehen Sie in dieser Vit- Ausbildung dazu. Die neu entwickelten rine rechts um die Ecke: Die Stücke haben Prototypen werden auf Messen oder auf eine völlig veränderte Formensprache. Ihr den Märkten von Weimar direkt am Kun- Stil ist weiterhin einfach, aber nicht mehr den getestet. Denn die Produkte, die das so nüchtern und kühl. Er entspricht mit Bauhaus in Serie herstellen lassen will, seinen geschmeidigen Rundungen eher sind nicht für eine elitäre Minderheit ge- dem traditionellen Repertoire. Das zeigt: dacht, sondern für alle: Das Bauhaus will Den einen, typischen Bauhausstil gibt es erschwingliche, funktionale und ästhetisch eben nicht. Die Formensprache wird bei anspruchsvolle Dinge für das ganze Volk den Bauhaus-Produkten immer zur Diskus- entwickeln. Für die Kombinationsteekanne sion gestellt. Kommt eine bestimmte For- L1 von Theodor Bogler ist die Zeit damals mensprache bei den Menschen nicht an, aber offenbar noch nicht reif. Ihre streng wird sie geändert. Die Kannen aus der Ke- geometrischen Formen kommen nicht an. ramikwerkstatt des Weimarer Bauhauses Als klar ist, dass die Kanne den Ge- sind ein gutes Beispiel dafür. schmack der Massen nicht trifft, reagiert Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 17
Werkstätten 610: Wilhelm Wagenfeld, Tischlampen Die Prototypen entstehen 1923 bis 24 in der bauhauseigenen Metallwerkstatt in Weimar. An ihnen kann man gut nachvoll- ziehen, wie damals am Bauhaus gearbeitet wird. Die Lampen sind eng mit dem Namen von Wilhelm Wagenfeld verbun- den, der seit 1923 Student am Bauhaus ist. Doch an der Entwicklung des legendären Designklassikers sind noch zwei weitere Bauhäusler beteiligt: Gyula Pap entwirft 1922 bis 23 elektrische Samoware, also Teemaschinen, die Glasfüße haben und eine Glaskugel als Wassergefäß. Darauf aufbauend gestaltet Carl Jakob Jucker einen Lampentypus mit einer dicken, kreis- runden Glasscheibe als Fuß und einer glä- sernen Röhre als Schaft, so wie hier links. Wilhelm Wagenfeld komplettiert schließ- lich diese erste Variante der Bauhaus- Wagenfeld, Wilhelm: Tischlampe Leuchte mit Glasfuß, indem er die typische © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 opale Glaskugel hinzufügt. Die Metallvari- ante, hier rechts, entwickelt Wagenfeld Diese Tischlampen sind echte Klassiker. dann alleine. Die berühmte Bauhaus- Es gibt sie in zwei Varianten: einmal, wie Leuchte ist also nicht der Entwurf eines hier links, sind Schaft und Fuß aus Glas, einzelnen klugen Kopfes. Mehrere Studie- und einmal, wie rechts, aus Metall. Die rende sind an der Entwicklung dieser Lampen gehören zu den bekanntesten Pro- Tischlampe beteiligt – auch wenn das an- dukten, die je am Bauhaus entwickelt wur- fangs gar nicht ihre Absicht war. den – und zu den erfolgreichsten! Sie wer- den noch heute als so genannte „Bauhaus- Leuchten“ in großer Zahl produziert. Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 18
Werkstätten 611: Peter Keler, Wiege, 1922 Im Jahr 1922 entwickelt Peter Keler in der wählt Keler das nach oben hin breiter wer- Weimarer Bauhaus-Tischlerei diesen Pro- dende Dreieck – so hat das Baby genügend totyp für eine Kinderwiege. Sie ist gerade- Platz, um sich zu bewegen und kann mehr zu ein Paradebeispiel für das, was man am sehen. Umkippen kann die Wiege übrigens Bauhaus lernen und praktisch umsetzen nicht, wie man auf den ersten Blick be- soll: kreatives Erfinden, funktionales Den- fürchten könnte. Mit dem schwarzen Rund- ken und teamfähiges Handeln. Auf der holz unten legt Keler den Schwerpunkt so Suche nach der idealen Farb-und Formge- tief, dass selbst ein größeres Kind die Wie- bung greift Peter Keler bei seiner Wiege ge nicht zum Kippen bringt. Die Wiege auf die Farbtheorie des Malers und Bau- steht auch für werkstattübergreifende haus-Meisters Wassiliy Kandinsky zurück. Teamarbeit am Bauhaus: Die Strickflechte- Kandinsky ordnet die drei Grundfarben rei für den licht-und luftdurchlässigen seit- Blau, Rot und Gelb den Grundformen lichen Einsatz lässt Peter Keler in der Bau- Kreis, Quadrat und Dreieck zu – so, wie es haus-weberei anfertigen. Und der Anstrich hier zu sehen ist. Darüber hinaus sind die der Wiege erfolgt in der Werkstatt für Proportionen der einzelnen Teile exakt Wandmalerei. Peter Kelers Wiege ist ein aufeinander abgestimmt. Der Durchmesser Klassiker des modernen Designs und wird, der Reifen entspricht beispielsweise genau wie viele andere Entwürfe aus den Bau- der Länge der Wiege. Als Grundform haus-Werkstätten, heute noch hergestellt. Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 19
Architektur 612: Walter Determann, Entwurf für eine Bauhaussiedlung, Lageplan Was auf den ersten Blick wie eine abstrak- aus der Taufe zu heben: die Weimarer te Zeichnung aussieht, ist tatsächlich ein Republik. Zudem herrschte nach dem ver- Lageplan für eine Bauhaus-Siedlung in lorenen 1. Weltkrieg eine große wirtschaft- Weimar. Die Gebäudeansicht rechts dane- liche Not. Um das Problem endgültig aus ben, das gelbe Modell und die drei Fotos dem Weg zu räumen, will Gropius eine Art gehören ebenfalls dazu. Sie dokumentieren modernen Hochschulcampus errichten, der den Entwurf des Bauhaus-Studenten Wal- alle nötigen Wohn-und Arbeitsräume an ter Determann aus dem Jahr 1920. Walter einem Ort vereint – und damit gleichzeitig Gropius schreibt damals wegen der drän- den bauhaustypischen Gemeinschaftsge- genden Raumnot einen Schüler- danken umsetzen: Alle Lehrer und Schüler Wettbewerb für eine eigene Bauhaus- sollen gemeinsam leben, arbeiten und Feste Siedlung aus. Das Problem besteht schon feiern. Die Siedlung soll am Stadtrand von seit der Gründung 1919: Es gibt am Wei- Weimar entstehen. Sie umfasst ganze 500 marer Bauhaus zu wenig Unterrichtsräume mal 400 Meter Fläche, das entspricht in und Werkstätten, nicht einmal genügend etwa der historischen Altstadt von Weimar! erschwingliche Unterkünfte für die Schüler Ausgeführt werden die Pläne allerdings sind vorhanden. Man muss sich vorstellen: nie. Es fehlt – wie so oft – an Geld! Der Das kleine Weimar war damals voll von detailreiche Entwurf von Walter Deter- Politikern und Journalisten, die hier zur mann berücksichtigt allerdings wirklich Nationalversammlung zusammen kamen, alles, was für so einen Campus notwendig um eine neue, demokratische Verfassung wäre. Mehr dazu hören Sie unter 64. Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 20
64: Vertiefungsebene zu 612 Wie Walter Determann sich seine Bauhaus bezeichnet. Es folgt ein riesiges, in den -Siedlung in Weimar vorstellt, erkennen Boden eingelassenes Amphitheater und Sie am besten an den drei Fotos mit dem Stadion für gemeinsame Feste, Aufführun- Gesamtmodell. An den Ecken des Modells gen und Spiele. Zu beiden Seiten des Thea- stehen vier Leuchttürme. Sie sollen – tat- ters liegen die würfelförmigen Meisterhäu- sächlich, aber auch im übertragenen Sinn – ser und daneben, aufgereiht wie Fabrikhal- das Licht des Bauhauses nach Weimar tra- len, die Werkstattgebäude. Hier soll ge- gen. Im Zentrum, hinter der quadratisch meinsam gearbeitet, entwickelt und erfun- gemusterten Fläche, liegt das zentrale Ver- den werden. Den Abschluss, ganz hinten waltungs-, Fest-und Ausstellungshaus. Es an der Schmalseite des Modells, bilden das ist das größte Haus der streng symmetri- quer liegende Speise-und Geselligkeitshaus schen Anlage. Wie es im Detail aussehen sowie ein Kindergarten und ein Sport-und soll, zeigen die beiden Zeichnungen an der Spielplatz. Auch ein Gutshof ist dort zu Wand und das gelbe Modell. Rechts und finden, damit die Bauhäusler in den harten links des Hauptgebäudes liegen verschie- Nachkriegsjahren versorgt werden können. dene Wohnhäuser für die Studierenden Zur Entspannung ist außerdem an ein und für Gäste. Dahinter öffnet sich eine Schwimmbad gedacht. Doch umgesetzt weite Fläche: Dort steht, von Strahlen ge- wird diese Campusidee aus Geldmangel, rahmt, eine Glaspyramide, die Determann wie gesagt, nie. auf seinem Lageplan als „Bauhaussymbol“ Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 21
Architektur 613: Farkas Molnár, Entwurf für die Bauhaussiedlung Am Horn, 1922 Die Grafik oben an der Wand zeigt einen bauen: das „Haus Am Horn“ – das einzige zweiten Entwurf für den Bauhaus-Campus Bauhaus-Gebäude, das je in Weimar in Weimar aus dem Jahr 1922. errichtet wird. Es gehört seit 1996 zum Diese Siedlung mit Wohn-und Arbeitsräu- UNESCO Welterbe und kann besichtigt men für alle Bauhaus-Lehrer und -Schüler werden. soll direkt an den Ilmpark anschließen, in Die vier Fotos links zeigen das Haus Am einem „Am Horn“ genannten Gebiet, ober- Horn von innen. Es ist für eine drei-bis halb von Goethes Gartenhaus. Die Grafik vierköpfige Familie gedacht. Der Entwurf zeigt hinten das Hauptgebäude mit einem zu diesem Musterhaus stammt von Georg Turm und rechts daneben, wie Fabrik- Muche. Er ist eigentlich Formmeister der hallen aufgereiht, die Werkstattgebäude. Bauhaus-Weberei, also kein Architekt. Links sind Reihenhäuser für Studenten und Aber gerade solche „Grenzüber- Gäste zu sehen und auf dem großen Frei- schreitungen“ sind am Bauhaus nicht nur gelände rechts die einzeln stehenden, wür- gewünscht – sie sind Programm. Genauso felförmigen Wohnhäuser für die Bauhaus- wie die Teamarbeit, denn an der Innenein- Meister. Wieder fehlen die Mittel, um das richtung des Hauses arbeiten sämtliche Projekt zu realisieren. Bauhaus-Werkstätten mit – ob Möbel, Tep- Die Inflation erreicht damals in Deutsch- piche oder Lampen, jedes Detail wird am land ihren Höhepunkt. Dennoch scheitert Bauhaus entworfen und dort auch reali- der Plan nicht vollständig. Im Rahmen der siert. Das Haus Am Horn ist ein modernes großen Bauhaus-Ausstellung von 1923 „Gesamtkunstwerk“, ganz der Vision von kann Walter Gropius zumindest eines Gropius entsprechend. der Meisterhäuser an der geplanten Stelle Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 22
Bauhaus-Pädagogik 614: Rudolf Lutz, Plakatentwurf für Itten-Vortrag, 1919 Dieses Plakat hängt im Herbst 1919 im beit“. Beides zusammen symbolisiert das Weimarer Bauhaus am Schwarzen Brett. gemeinschaftliche Leben und Arbeiten am Es lädt ein zur Antrittsvorlesung von Bauhaus. Die handwerkliche Ausbildung in Johannes Itten. Der Titel des Vortrags den Werkstätten ist anstrengend, acht Stun- „Unser Spiel, unser Fest, unsere Arbeit“ ist den und mehr verbringen die Schüler hier Programm, denn er greift die drei grundle- täglich. Und schon im Vorkurs gibt es ein genden Bausteine der Bauhaus-Pädagogik straffes Lehrprogramm. Für Entspannung auf. Und Rudolf Lutz, der das Plakat malt, und Freiraum sorgen die legendären Bau- setzt diese Bausteine geradezu kongenial haus-Feste, die von Lehrern und Schülern um. Links leuchtet ein gelber Stern – gemeinsam vorbereitet werden. Sie sind „unser Spiel“. Er überstrahlt alles. Teamwork im besten Sinne – ganz wie Der Stern steht für das kreative Spielen: Walter Gropius es bereits in seinem Grün- das Ausprobieren, Fantasieren, Sich-frei- dungsprogramm 1919 formuliert. Dort Machen von akademischen Zwängen. Das wünscht er ausdrücklich die „Pflege ist die Basis, um überhaupt schöpferisch freundschaftlichen Verkehrs zwischen aktiv zu werden. Meistern und Studierenden außerhalb der Daher wird das Spielen am Bauhaus erst- Arbeit, dabei Theater, Vorträge, Dicht- mals als bewusste Lern-methode eingesetzt kunst, Musik, Kostümfeste, Aufbau eines – für erwachsene Studenten wohlgemerkt! heiteren Zeremoniells bei diesen Der rote, aufsteigende Balken „unser Fest“ Zusammenkünften.“ ruht auf dem violetten Block „unsere Ar- Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 23
Bühne 615: Eberhard Schrammen, Fünf Handpuppen, um 1923 (mit Kurt Schwerdtfeger, Reflektorische Lichtspiele) Die Gleichzeitigkeit des Ungleichen – das Performance, eine richtige Bühnenshow, ist typisch für das frühe Bauhaus in Wei- die 1923 auch live in Weimar aufgeführt mar. Verschiedenste Ausdrucksformen und wird. Schwerdtfeger baut dafür eigens Stile können hier nebeneinander existieren. technische Apparate mit Schablonen aus Besonders deutlich lässt sich das an zwei geometrischen Formen. In die Schablonen, Beispielen aus dem Bereich der Bühnen- die ständig in Bewegung gehalten und mit Werkstatt zeigen. Scheinwerfern angestrahlt werden, schiebt Um 1923 entwirft Eberhard Schrammen er abwechselnd farbiges Transparentpapier. die oben auf dem Balken ausgestellten, So verändern sich dauernd Form, Farbe bunt bemalten Handpuppen aus Holz. Es und Licht und werden als bewegte Bilder sind Stabfiguren für ein Puppenspiel, die an die Wand projiziert. Das Schwarz-Weiß urtümlichste Form einer Bühnenauffüh- -Foto hier lässt das Licht-Schauspiel nur rung. Schrammen leitet damals die bau- erahnen. hauseigene Drechslerei. Ursprünglich gibt Diese völlig neuartige Bühnendarbie- es drei Figurenpaare, die sich durch ihre tung entsteht parallel zu ganz traditio- Haltung, Bekleidung und Farbe unterschei- nellen Formen wie dem Puppenspiel den. Der weißen Figur fehlt heute ihr Ge- von Schrammen – und zeigt die kreati- genstück. ve Vielfalt des Bauhauses. Dass solche Zeitgleich zum eher traditionellen Puppen- Innovationsschübe gerade aus der Büh- spiel entwickelt Kurt Schwerdtfeger eine nen-Werkstatt kommen, verwundert ultramoderne Lichtinszenierung: die so nicht: Sie ist das schöpferische Zent- genannten Reflektorischen Lichtspiele. Ein rum am Bauhaus. Mehr dazu hören Sie Szenenfoto sehen Sie hier ganz unten unter 65. rechts. Es handelt sich um eine Art Licht- Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 24
65: Vertiefungsebene zu 615 Die Bühnen-Werkstatt spielt für die Nach Lothar Schreyer übernimmt der Ma- ganzheitliche Erziehung der Bauhaus- ler und Bildhauer Oskar Schlemmer 1923 Schüler eine entscheidende Rolle. Dort die Leitung der Bauhausbühne in Weimar. geht es nicht darum, einen Abschluss zu Er führt sie zu legendären Erfolgen. An erlangen, wie in den anderen Lehrwerk- seinen Theaterprojekten sind Studenten der stätten, sondern um ein freies Experimen- verschiedenen Bauhaus-Werkstätten betei- tieren und Ausprobieren. Die Bühnen- ligt. Wie zum Beispiel bei Schlemmers Werkstatt steht allen Schülern und auch berühmten Triadischen Ballett, das im den Lehrern offen. Jeder kann dort seiner Rahmen der großen Bauhaus-Ausstellung Fantasie freien Lauf lassen und sein Ge- im Sommer 1923 im Deutschen National- fühl für Raum, Bühne und Klang immer theater in Weimar aufgeführt wird. Die wieder aufs Neue erproben. In dieser Art Tänzer steckt Schlemmer dabei in geomet- „Theater-Labor“ entwirft man gemeinsam risch-abstrakte Kostüme und setzt damit Bühnenbilder und Kostüme, studiert Tänze neue Maßstäbe in der Bühnenkunst. und Musik ein und bereitet die legendären Diese Art der Kostümierung greift übrigens Bauhaus-Feste vor. Kreatives Arbeiten im auch Eberhard Schrammen bei seinen ori- Team, das ist das Wesen und der Kern der ginellen Handpuppen oben auf dem Regal Bühnen-Werkstatt. wieder auf. Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 25
Öffentlichkeitsarbeit/Bauhaus-Ausstellung 1923 616: Postkartenserie, 1923 Werbung in eigener Sache – nichts anderes Zwölf dieser Karten gestalten Schüler des sind diese Postkarten hier! Sie gehören zu Bauhauses, acht Exemplare werden von einer Serie von insgesamt 20 Motiven, die berühmten Lehrern entworfen. Links sehen 1923 – gemeinsam mit Plakaten und ande- Sie Beispiele von Oskar Schlemmer und rer Reklame – zur großen Bauhaus- Paul Klee. Auch bei dieser Werbekampag- Ausstellung in Weimar entstehen. An die ne zeigt sich der bauhaus-typische Wille 40.000 Stück werden gedruckt und in alle zur Gemeinschaftsarbeit. Das gilt erst recht Welt verschickt, um für die große Bauhaus für die Bauhaus-Ausstellung selbst. Mehr -Ausstellung zu werben. Vermutlich ist das zu diesem Kraftakt der Weimarer Bauhaus- die erste Mail-Art-Aktion der Welt. Ein zeit, der zugleich als deren schöpferischer absolutes Novum damals! Höhepunkt gilt, hören Sie unter 66. Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 26
66: Vertiefungsebene zu 616 Die Ausstellung von 1923 ist eine echte dustrielle Produktion. Ein Jahr lang berei- Leistungsschau. Das macht sie für das ten die Bauhäusler die Ausstellung mit ver- Bauhaus in Weimar so wichtig – und für einten Kräften vor. Im Sommer 1923 wird uns heute so interessant. Das Thüringer dann an verschiedenen Orten in Weimar Kultusministerium übt schon im Jahr zu- das Bauhaus-Profil präsentiert: Produkte vor einen gewissen politischen Druck auf aus den Werkstätten sind zu sehen und Walter Gropius aus. Er soll der Öffentlich- auch zu kaufen; Arbeiten aus den Vorkur- keit endlich zeigen, was seine Schule bis- sen und künstlerische Werke werden aus- her an Neuartigem entwickelt hat – gestellt, Vorträge gehalten und Theaterstü- schließlich ist das Bauhaus staatlich sub- cke aufgeführt. Parallel dazu veranstaltet ventioniert. Außerdem will man damit den das Bauhaus die erste internationale Archi- deutsch-nationalen Bauhaus-Gegnern den tekturausstellung der Moderne mit Arbei- Wind aus den Segeln nehmen, die eine ten von Frank Lloyd Wright, Le Corbusier kommunistische Gesinnung hinter dem oder Ludwig Mies van der Rohe. Der eige- neuartigen Schulkonzept wittern. Gropius ne Beitrag besteht aus der umfangreichen und sein Lehrerkollegium halten den Zeit- Dokumentation des Baubüros Gropius und punkt für eine Ausstellung zwar eigentlich dem komplett eingerichteten Musterhaus für verfrüht. Andererseits erkennt Gropius Am Horn hier in Weimar, das heute noch die Chance, sich nach außen hin zu präsen- zu besichtigen ist. Finanziell wird die Wei- tieren und zugleich intern den eigenen marer Ausstellung von 1923 kein Erfolg. Ansatz zu überprüfen, sich zu sammeln Aber die Resonanz aus dem In-und Aus- und neu zu orientieren. Denn am Bauhaus land ist enorm: Jetzt ist das Bauhaus inter- steht eine entscheidende Wende an: weg national bekannt und wird weltweit ge- vom handwerklichen Einzelstück hin zur schätzt! Entwicklung von Prototypen für die in- Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 27
Freie Kunst der Studierenden 617: Kurt Schmidt, Form-und Farborgel, 1923 „Form-und Farborgel mit bewegten Farb- schen Werken. Viel Anregung bekommen klängen“ nennt Kurt Schmidt sein Holzre- sie dabei von den Bauhaus-Meistern, ge- lief von 1923. Warum? Ganz einfach: Nur nauer: den Formmeistern wie Paul Klee wenn Sie sich bewegen, kommt das Werk oder Wassily Kandinsky, die alle bildende zur Vollendung. Gehen Sie doch bitte ein- Künstler sind und die unterschiedlichsten mal langsam von rechts nach links an dem Kunstströmungen vertreten. Kurt Schmidts Relief vorbei. (Pause) Sehen Sie? Die war- „Form-und Farborgel“ ist von der holländi- men rot-gelben Farbtöne wandeln sich zu schen De Stijl-Bewegung beeinflusst, die kalten, also Blau, Grün und Violett – in der damals für eine radikal neue, geometrische anderen Richtung ist es umgekehrt. Wie Formensprache eintritt. sich bewegende Farbklänge eben. Die in Theo van Doesburg, einer der Mitbegrün- Schwarz, Weiß und Grau gefassten Flä- der dieser Künstlergruppe, bietet 1922 in chen vermitteln zwischen den beiden Farb- Weimar einen De Stijl-Kurs an, an dem polen. auch viele Bauhaus-Schüler teilnehmen. Dieses Spielen mit Farben und Formen ist Vermutlich hofft van Doesburg auf eine ein gutes Beispiel dafür, wie kreativ die Berufung ans Bauhaus. Doch Gropius sind Weimarer Bauhaus-Schüler auch fern von die formalen Regeln des De Stijl-Künstlers Produktentwicklung und Design sind. wohl zu einseitig und zu starr. Er will Viel- Denn offiziell wird freie Kunst am Weima- falt und Offenheit und holt das gestalteri- rer Bauhaus nicht unterrichtet. Dennoch – sche Multitalent Lázló Moholy-Nagy nach oder vielleicht gerade deswegen – experi- Weimar, als Johannes Itten 1923 das Bau- mentieren die meisten Schüler neben ihrer haus verlässt. eigentlichen Ausbildung mit künstleri- Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 28
Spielzeug 618: Alma Siedhoff-Buscher, Kugelspiel, 1923/24 Für Kinder zu gestalten ist Alma Siedhoff- Buschers Leidenschaft: Ihr Leben lang ent- wirft sie Kindermöbel und Spielzeug, vom Puppentheater über Bauklötze bis hin zum Bastelbogen. Ihr erstes größeres Projekt ist das Kinderzimmer im Haus Am Horn für die Bauhaus-Ausstellung 1923 in Weimar. Dort stellt die junge Bauhäuslerin unter Beweis, dass sie Althergebrachtes völlig neu überdenkt. Ein Schrank ist bei ihr nicht Siedhoff-Buscher, Alma: Kugelspiel, 1923/24 einfach ein Schrank: Er wird mit wenigen © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 Griffen zum Kasperltheater umfunktio- niert. Das Kind kann – und soll! – selbst Das sogenannte Kugelspiel für Kinder ge- mitgestalten und mitentscheiden. Denn hört zu den wichtigsten Kreativleistungen, Alma Siedhoff-Buscher ist überzeugt, dass die das Bauhaus hervorgebracht hat. Es „Kinder einen Raum haben (sollten), in regt die Kinder an, sich Dinge – wie ein dem sie sein können was sie wollen, in Stöckchen aus dem Wald oder Garn aus dem sie herrschen. Jedes Ding darin gehöre Mutters Nähkasten – zu suchen, um die ihnen, ihre Fantasie gestaltet es ...“So ist bunt bemalten Kugeln und Klötzchen im- ihr „Spielschrank“ mit der Typenbezeich- mer wieder neu zu Tieren, Figuren oder nung ti 24 in Wirklichkeit eine multifunkti- Fahrzeugen zusammenzustecken. onale Spiellandschaft. Die gleiche Idee Der Entwurf stammt von Alma Siedhoff- steht hinter dem Kugelspiel. Alma Siedhoff Buscher, eine der innovativsten Frauen am -Buscher entwickelt es als offenes Spiel- Bauhaus in Weimar – und eine der hartnä- system. Dem Kind wird also nicht vorgege- ckigsten: Als sie 1922 ihr Studium be- ben, was es mit den verschiedenen ginnt, wird sie der Weberei zugewiesen, Holzelementen zu tun hat, und auch nicht, wie damals für Frauen üblich. Doch sie was dabei herauskommen soll. Dieser offe- fühlt sich dort fehl am Platz und bittet ne pädagogische Ansatz ist damals etwas Walter Gropius um ihre Versetzung in die fundamental Neues – und Alma Siedhoff- Holzbildhauerwerkstatt. Mit Erfolg – ihre Buscher damit ihrer Zeit weit voraus. Entwürfe überzeugen den Meisterrat. Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 29
Spielzeug 619: Alma Siedhoff-Buscher, Wurfpuppe, um 1924 ist der interaktive Ansatz: Während man mit traditionellen Puppen meist für sich alleine spielt, ist die Wurfpuppe zum Hin- und Herwerfen gedacht. Die Kinder tun also etwas zusammen und trainieren gleichzeitig auch noch ihre Motorik und ihr Wahrnehmungsvermögen: Denn fällt die Puppe einmal herunter, bleibt sie immer wieder anders liegen. Da die Puppe mal mehr oder weniger hef- Siedhoff-Buscher, Alma: Wurfpuppe, um 1924 tig herumgeworfen wird, müssen die Mate- © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 rialien und ihre Verarbeitung besonders robust sein. Alma Siedhoff-Buscher ver- Diese pfiffige Puppe ist ein echtes High- wendet Bast für den Körper, als Kopf, light der Weimarer Bauhauszeit: Sie ist das Hände und Füße sind gedrechselte Holzku- einzige Bauhaus-Produkt, das je als Deut- geln fixiert, und die Kleidung besteht aus sches Reichspatent angemeldet wird. Kein gehäkeltem Garn. Diese Funktionalität anderer Prototyp aus den Bauhaus- überzeugt auch das Reichspatentamt. Dort Werkstätten schafft es, das Reichspatent zu heißt es beim entsprechenden Eintrag im erhalten – und dieses Patent ist begehrt, April 1926: „Die neue Puppe zeichnet sich bestätigt es doch hochoffiziell die Innova- insbesondere durch ihre Beweglichkeit und tionskraft eines Produkts. Der kluge Kopf, Unverwüstlichkeit aus.“ Ein Verkaufs- der hinter der Puppe steckt, ist Alma Sied- schlager wird die Wurfpuppe aber nicht – hoff-Buscher, die bedeutende Bauhäusle- ihre Herstellung in Handarbeit ist einfach rin, von der viele Spielzeuge und Kinder- zu aufwändig. möbel stammen. Doch was macht die Puppe so innovativ, dass sie es sogar bis zum Patent bringt? Es Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 30
Vorläufer – Nachfolger 620: Drei Stühle: Henry van de Velde, Marcel Breuer, Erich Dieckmann der Sitzbretter ist völlig neu und steht be- reits für den Übergang von handwerklichen zu industriellen Technologien. Der mittlere Stuhl stammt von Marcel Breuer, einem der bekanntesten Möbelde- signer, die das Weimarer Bauhaus hervor- gebracht hat. Das traditionelle Sitzmöbel wird hier – typisch fürs Bauhaus – neu durchdacht: zweckmäßig und industriell produzierbar soll es sein. Breuer gelingt dies, indem er alle Bretter für Armlehne, Füße und Rückteil mit gleichem Profil ver- wendet. Nur in der Länge unterscheiden sie sich. Neu ist auch die Textilbespannung anstelle der üblichen Polster. Die geeigne- ten Stoffe dazu entwickelt die Bauhaus- Weberei. Der rechte Stuhl schließlich steht für den direkten Nachfolger des Bauhauses in Wei- Van de Velde, Henry: Stuhl mar: die Staatliche Bauhochschule. Sie © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 wird von Otto Bartning geleitet, bis auch sie 1930 auf Druck der Nazis schließen Die drei Stühle erzählen davon, dass das muss. Der leichte und bequeme Stuhl führt Bauhaus in Weimar 1919 weder einfach so Ideen des Bauhauses fort. Er stammt von aus dem Nichts entsteht, noch dass sich Erich Dieckmann, dem Leiter der Werk- seine Spuren hier vollständig verlieren, als statt für Innendesign an der neuen Bau- die Schule 1925 nach Dessau umzieht. Der hochschule. Dieckmann zählt zu der hoch- linke Stuhl steht für den Vorläufer des begabten Generation von Bauhaus- Bauhauses in Weimar – die Kunstgewer- Schülern, die ihr Studium gerade noch ab- beschule von Henry van de Velde. Schon schließen, bevor das Bauhaus nach Dessau dort bildet der berühmte belgische Jugend- zieht. Zahlreiche Bauhaus-Absolventen stilkünstler die Schüler in Werkstätten aus finden ihre ersten Jobs als Lehrer in wichti- und lässt sie Prototypen für eine Serienpro- gen Ausbildungsstätten und tragen so die duktion entwickeln. Die Verschraubung Ideen des Bauhauses in die Welt. Klassik S tiftu ng Weimar | Bauhaus-Mu seu m | 08.2011 31
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