MEDIZIN NACH MASS Mit personalisierter Medizin zur Gesundheit von morgen - ETH Zürich
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NR. 1/2018 MEDIZIN NACH MASS Mit personalisierter Medizin zur Gesundheit von morgen SEITE 12 Im Brettspiel den Auf den Spuren der Die Architektin des Kahlschlag erleben Zürcher Mona Lisa öffentlichen Verkehrs SEITE 8 SEITE 38 SEITE 46 A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 1 08.03.18 09:24
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EDITORIAL GLOBE NR. 1/ 2018 «EINE MEDIZIN FÜR ALLE» HAT BALD AUSGEDIENT Zweifellos, die Menschheit hat in den letzten Dekaden grosse medizinische Fortschritte gemacht. Viele einst tödliche Krankheiten sind heilbar oder zumindest als chronische Krank- heiten behandelbar. Und doch: Gesundheit ist auch heute kein gesicherter Zustand. Gleichzeitig fügen sich die Erkenntnisse der letzten Jahr- zehnte in Molekularbiologie, Genomik, Datenwissenschaft etc. allmählich zu einem Ganzen zusammen, das die Medizin präziser Lino Guzzella, und wirksamer machen wird. Die personalisierte Medizin stützt Präsident der ETH Zürich sich in ihrer datenbasierten Diagnose und Behandlung auf die individuelle genetische Prädisposition jeder einzelnen Patientin und jedes einzelnen Patienten ab. Sie läutet das Ende der «einen Medizin für alle» ein. Die ETH Zürich ist mit ihrer breiten lebens- und ingenieur- wissenschaftlichen Expertise prädestiniert, diese Entwicklung mitzuprägen, in der Grundlagenforschung und in der Translation der Erkenntnisse in die Praxis. Rund 30 Prozent aller ETH- Professuren arbeiten bereits in medizinrelevanten Gebieten, und die ETH wird ihr Engagement noch verstärken. Personalisierte Medizin bietet aufregende Chancen und ist zugleich auf den eite 2 1, Input von Naturwissenschaft und Technik angewiesen. S i e auf S d n Lesen e Ärzte u de Wenn sich ein Fachgebiet so stark verändert, hat das auch wi schen -For d Auswirkungen auf die Ausbildung künftiger Ärztinnen und Ärzte. ETH morboar . u en im T enarbeit Denn es braucht Fachleute, die sich in beiden Welten bewegen s a m m zu können und sowohl die Sprache der Mediziner wie auch die der Techniker verstehen. Dieser Einsicht liegt die neue Bachelor ausbildung der ETH in Medizin zugrunde. Die Herausforderungen der personalisierten Medizin sind zu komplex, um sie allein zu lösen. So arbeiten wir in der Medizin ausbildung mit Partneruniversitäten zusammen, koordinieren die Initiative «Personalized Health and Related Technologies» des ETH-Bereichs und bauen mit der Universität und dem Universi- tätsspital Zürich ein Zentrum für «Precision Medicine» auf. Diese Globe-Ausgabe präsentiert Beispiele aus Forschung und Forschungstransfer, die wichtige Themen der Medizin von morgen ansprechen. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre. Lino Guzzella, ETH-Präsident Globe, das Magazin der ETH Zürich und der ETH Alumni Titel und Fokus: Crafft / Editorial: Giulia Marthaler 18 08:39 A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 3 08.03.18 09:24
INHALT GLOBE NR. 1/ 2018 NEW AND NOTED COMMUNITY 5 News aus der ETH Zürich 33 Verbunden mit der ETH 6 Schneller zu mehr Tempo 34 ETH+, neue Ideen für die Zukunft 8 Im Brettspiel erleben, 37 Kolumne was zum Kahlschlag führt Ein Brettspiel bringt Licht in komplexe Vorgänge um den Regenwald – Seite 8 REPORTAGE FOKUS 38 Auf den Spuren der Zürcher 14 «Wir wollen näher zu den Mona Lisa Patienten kommen» Am Labor für Ionenstrahlphysik Ein Gespräch über aktuelle werden unter anderem Farbpig- Weichen in der personalisierten mente von Gemälden analysiert. Medizin 19 Neue Wege in der Ausbildung CONNECTED Erfahrungen mit dem Medizin- 42 Begegnungen an der ETH studium an der ETH 44 Agenda 21 Mit Gen-Daten gegen Krebs Volle Konzentration: Probennahme Unispital und die ETH-Plattform an der Zürcher Mona Lisa – Seite 38 Nexus im Tumorboard PROFIL 46 Architektin des 23 Proteinanalysen für öffentlichen Verkehrs personalisierte Medizin ETH-Alumna Jeannine Pilloud Das Verständnis von Protein hat sich auch an der Spitze der funktionen ist ein Schlüssel. SBB nie vor unkonventionellen Wegen gefürchtet. 25 Gezielte Diabetestherapie Molekulare Prothesen als Insulinproduzenten im Körper 5 FRAGEN 50 Vincent Tassion 28 «Ohne Vertrauen geht es nicht» Für den Assistenzprofessor Warum in der personalisierten ist Mathematik etwas sehr Per- Medizin Datenschutzfragen so sönliches. wichtig sind. IMPRESSUM — Herausgeber: ETH Alumni / ETH Zürich, ISSN 2235-7289 Redaktion: Martina Märki (Leitung), Roland Baumann, Fabio Bergamin, Isabelle Herold, Corinne Johannssen-Hodel, Nicol Klenk, Karin Köchle, Michael Keller, Peter Rüegg, Samuel Schlaefli, Norbert Staub, Michael Walther Mitarbeit: Claudia Hoffmann Inserateverwaltung: ETH Alumni Communications, globe@alumni.ethz.ch, +41 44 632 51 24 Inseratemanagement: Fachmedien, Zürichsee Werbe AG, Stäfa, info@fachmedien.ch, +41 44 928 56 53 Gestaltung: Crafft Kommunikation AG, Zürich Druck, Korrektorat: Neidhart + Schön Print AG, Schwerzenbach Übersetzung: Burton, Van Iersel & Whitney GmbH, München; Clare Bourne, Nicol Klenk, ETH Zürich Auflage: 34 600 deutsch, 31 600 englisch, viermal jährlich Abonnement: CHF 20.– im Jahr (vier Ausgaben); in der Vollmitgliedschaft bei ETH Alumni enthalten. Bestellungen und Adressänderungen: globe@hk.ethz.ch bzw. für ETH-Alumni www.alumni.ethz.ch/myalumni Kontakt: www.ethz.ch/globe, globe@hk.ethz.ch, +41 44 632 42 52 Kostenlose Tablet-Version. Bilder: ForDev; Daniel Winkler; Victoria Loesch & Christian Gerber A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 4 09.03.18 09:09
NEW AND NOTED Atmosphärenforschung In der unteren Stratosphäre, wo die Ozonschicht am dichtesten ist, OZONSCHICHT DÜNNT schwindet das vor UV-Strahlen schützende Ozon noch immer – SICH WEITER AUS trotz FCKW-Verbot durch das Montrealer Protokoll. Die Ozonschicht schützt das Leben auf der Erde vor energiereicher Strah- lung. Ein internationales Team unter Leitung von ETH-Forschenden stellt nun fest: Die Konzentration von Ozon nimmt im unteren Teil der Stra- tosphäre über den dicht besiedelten mittleren Breiten und den Tropen weiter ab. Die Gründe sind noch un- klar. Durch den Klimawandel verän- derte atmosphärische Luftströmun- gen oder sehr kurzlebige, chlor- und bromhaltige Chemikalien könnten dabei eine Rolle spielen. 5 Asylwesen könnte sich deren Erwerbstätigkeit um Wirkstoffsuche 73 Prozent erhöhen: Im dritten Auf- ALGORITHMUS ERHÖHT enthaltsjahr wären demnach 26 Pro- INS GEHIRN SCHAUEN ERWERBSCHANCEN zent der Asylsuchenden berufstätig. Herzstück des datengestützten Neue Medikamente für Hirnkrank- Ansatzes ist ein Algorithmus, der mit heiten sind schwierig zu finden, denn Asylsuchende und vorläufig Aufge- Methoden des maschinellen Lernens die Wirkungen und Nebenwirkungen nommene dürfen in der Schweiz arbei- entwickelt wurde. Er berechnet, für einer Substanz im Gehirn lassen ten – allerdings nur in dem Kanton, welchen Kanton die individuellen sich nicht einfach nachweisen. ETH- dem sie der Bund im Asylverfahren Eigenschaften und Fähigkeiten der Forschende haben mit einer internati- zuteilt. Für diese Zuteilung gelten po- Geflüchteten (z. B. Alter, Geschlecht, onalen Arbeitsgruppe ein Testmodell litische Kriterien, wie etwa die Bevöl- Herkunft, Sprache) am besten mit den entwickelt, um den Effekt von Wirk- kerungsgrösse eines Kantons, und dass Charakteristiken des Arbeitsmarktes stoffen mit Hilfe von elektrischen sich die Nationalitäten gleichmässig (z. B. Grösse des Landwirtschaftssek- Hirnsignalen genauer zu beurteilen. über alle Kantone verteilen. Überle- tors, Sprachregion, ethnische Netz- Das könnte für neue Medikamente gungen zur Integration in den Arbeits- werke) zusammenpassen. Als Daten- gegen Epilepsie von Nutzen sein. markt stehen dabei nicht im Vorder- basis dienen dem Algorithmus die be- grund. Eine Folge ist, dass im dritten stehenden Daten zu Asylsuchenden Aufenthaltsjahr gerade mal 15 Prozent des Staatssekretariats für Migration. der Geflüchteten erwerbstätig sind. Das Resultat sind konkrete Zu Politikwissenschaftler der Univer- teilungsvorschläge, in welchem Kan- sität Stanford und der ETH Zürich ton Geflüchtete am ehesten eine Ar- schlagen nun einen datengestützten beit finden. ETH-Professor Dominik Ansatz vor, der die Kantonszuteilung Hangartner, der für den Schweizer Teil besser auf die Arbeitsmarktintegration der Studie zuständig war, will den Hirnströme verraten, wie Substanzen der Geflüchteten ausrichtet. Damit Algorithmus nun in der Praxis testen. das Hirn beeinflussen. Bild: cookelma / iStock; Montage Colourbox ETH GLOBE 1/2018 A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 5 08.03.18 09:25
NEW AND NOTED |u| [m/s] 5 7.5 10 12.5 15 6 ETH GLOBE 1/2018 A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 6 08.03.18 09:25
NEW AND NOTED Aerodynamik SCHNELLER ZU MEHR TEMPO Wie können Athletinnen und Athle- ten in Wettkämpfen bessere Zeiten erzielen? Am Institut für Fluiddyna- mik wurde zusammen mit dem ETH- Spin-off Streamwise ein Verfahren 7 entwickelt, das Tests im Windkanal vereinfacht und die Resultate sofort sichtbar macht. Konventionelle Methoden geben nur Auskunft über den gesamten Luftwiderstand eines Testobjekts. Das neue Verfahren hingegen erfasst das Strömungsfeld um den Körper und zeigt, wie der Luftwiderstand im Detail entsteht. Die Auswirkungen unterschiedlicher Ausrüstungen oder Positionen lassen sich dabei in Echt- zeit am Bildschirm visualisieren und analysieren. Während für Streamwise die Markteinführung der Methode im Vordergrund steht, forscht die ETH bereits daran, wie Windströme in Zu- kunft über eine Augmented-Reality- Brille dargestellt werden können. Motion Capture of Manually Operated Flow Probes: → www.ethz.ch/procap Bild: Andreas Müller, ETH Zürich, und Andrin Landolt, streamwise gmbh ETH GLOBE 1/2018 A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 7 09.03.18 09:03
NEW AND NOTED Tropenwälder Im Brettspiel erleben, was zum Kahlschlag führt Wie entwickeln sich tropische Regenwälder in Zukunft? Mit einem Brettspiel luden ETH-Forschende Akteure im Kongo- becken dazu ein, die Antworten selber zu finden. er Mittler g e n w ald Re ald liger W Ehema 8 Dichter ald Regenw N ichts ging mehr. Die Verhand- zu bringen, wählte FSC mit Wissen- Wie entstehen Entscheidungen? lungen über den Schutz des schaftlern der ETH Zürich einen un- Ursprünglich wollten Claude Garcia Tropenwalds im Kongobecken konventionellen Ansatz. und seine Kollegen des französischen steckten fest. Der Forest Stewardship Im August 2017 reiste Claude Forschungsinstituts CIRAD verste- Council (FSC) hatte zusammen mit Garcia, Leiter der Forschungsgruppe hen, was in den tropischen Wäldern zertifizierten Waldbewirtschaftungs- ForDev * für Wald-Management und des Kongobeckens geschieht. Eine der unternehmen, Regierungen, Umwelt- Entwicklungszusammenarbeit, nach grössten Herausforderungen dabei sei, schutzorganisationen und lokalen Ge- Brazzaville in der Republik Kongo. die Entscheidungen der zahlreichen meinschaften versucht, sich über neue Mit dabei das Brettspiel «MineSet». Akteure – Holz- und Bergbaufirmen, Indikatoren für seine Nachhaltigkeits- Er versammelte die vom FSC einberu- Umweltorganisationen, Regierungen zertifizierung zu einigen. Doch ein fenen Verhandlungspartner um den und lokale Gemeinschaften – und de- Kompromiss war nicht leicht zu finden. Spieltisch. Vier Tage später hatten sie ren Zusammenspiel zu verstehen. Das Ein Abbruch der Verhandlungen wäre sich in vier von fünf Punkten geeinigt. Brettspiel «MineSet» ist ein Ansatz für niemanden von Vorteil gewesen. Das Spiel hatte geholfen, den Knoten dafür. Es versetzt die Spieler, unabhän- Um die Diskussionen wieder auf Kurs zu lockern. gig von ihrer wirklichen Funktion, in ETH GLOBE 1/2018 Bild: ForDev A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 8 08.03.18 09:26
NEW AND NOTED «Bei einem Brettspiel sind die Regeln die Rolle von CEOs von Waldbewirt- transparent. Es gibt transparent. Es gibt keine versteckten schaftungs- oder Bergbaufirmen. In Mechanismen. Die Spieler können Teams schmieden sie Pläne für ihre keine versteckten sich in die Augen sehen und interagie- Konzessionen und Waldparzellen und Mechanismen. ren direkt miteinander.» Das fördere treffen Entscheidungen über Wirt- auch das Vertrauen untereinander. schaftlichkeit, Arbeitsplätze und Na- Die Spieler können Garcia erhofft sich in erster Linie, turschutz. Dabei interagieren sie mitei- nander, mit internationalen Märkten, sich in die Augen mit dem Spiel die Akteure in Tropen- wäldern zu fundierten Entscheidun- mit Vertretern der nationalen Regie- sehen und inter- gen zu führen. Gleichzeitig gewinnt er rung und mit NGOs. Je nach Spielstra- Erkenntnisse darüber, wie Entschei- tegie entwickelt sich der Wald anders. agieren direkt mit- dungen entstehen, die später zu Kahl- Runde für Runde erkennen die Spieler einander. Das för- schlag oder Waldschutz führen. die Komplexität der Situation. Auf den wabenförmigen Spielfeldern scheitern dert das Vertrauen «Wicked Problems» lösen Pläne und Investitionen gehen verlo- ren. Denn das Spiel lässt zahlreiche untereinander.» Der Erfolg in Brazzaville hat ihn ermu- tigt. Theoretisch kann die Methode Kräfte wirken: Demografie, wirtschaft- nämlich noch bei vielen weiteren Pro- liche und finanzielle Entwicklungen, blemen zu Lösungen verhelfen. Ar- Politik, Technologie und Kultur. beitslosigkeit, Klimawandel, Gesund- Entwickelt haben Forscher rund heit, Wasserbedarf und Energiewende um Claude Garcia das Spiel zwischen hätten ein ähnliches Muster, jenes der 9 2015 und 2017, basierend auf mehre- sogenannten Wicked Problems. Kom- ren Workshops mit Akteuren in Frank- einigen, wie das System tatsächlich plexe, verzwickte Probleme also, de- reich, Kamerun, Gabun und in der funktioniert. Sie lösen sich dabei von ren Ausgang und Folgen immer von Schweiz. der wertenden Betrachtung, wie das einer kollektiven Handlung abhängig Von anderen Rollenspielen unter- System funktionieren sollte.» Das ge- sind, und meist gibt es keine Einig- scheidet sich Garcias Brettspiel darin, linge, weil die Leute ihren Blickwinkel keit darüber, was eigentlich das Prob- dass soziale und ökologische Faktoren erweitern und sich in die Situation ei- lem ist. gleichzeitig berücksichtigt werden. nes anderen versetzen. Spiele eigneten Das nächste Projekt steht bereits Die Spielregeln widerspiegeln wirt- sich besonders dafür, sagt Garcia: «So- an: Die CEOs führender französischer schaftliche, soziale und ökologische bald ich im Spiel eine Rolle einnehme, Unternehmen wollen in einem Grund- Prozesse und beruhen auf Fachwissen verschiebt sich meine Perspektive. Ich lagenpapier gemeinsame Antworten über die Entwicklung von Regenwäl- lese oder höre nicht nur von einer Situ- formulieren, wie Firmen Biodiversität dern, Biodiversität und Marktwirt- ation, ich erlebe sie. Das ändert alles.» in ihre Strategien integrieren können. schaft. Die zugrundeliegende Methode Das Spiel von Claude Garcia soll wieder nennt sich «Companion Modelling»; die Grundlage dafür schaffen. Den Blickwinkel ändern Garcia untersucht damit seit Jahren — Michael Walther Am Verhandlungstisch in Brazzaville Veränderungsprozesse in sozioökolo- gelang der Durchbruch, weil die Ver- gischen Systemen. In diesem Model- handlungspartner die komplexen Zu- lierungsansatz entwickeln die Beteilig- sammenhänge in den tropischen Wäl- ten aus unterschiedlichen politischen * ForDev: dern des Kongobeckens anders zu ver- und gesellschaftlichen Institutionen Forest Management and Development ist stehen begannen. Sie entwickelten ein zusammen mit Forschenden ein Mo- eine Partnerschaft der ETH Zürich und gemeinsames Verständnis für das Sys- dell für ihre spezifische Situation. Der der französischen Forschungsinstitution CIRAD. ForDev erforscht die Wechselwir- tem und konnten sich so in den Ver- Prozess ist für alle Teilnehmenden kungen zwischen ökologischen Prozessen, handlungen auf einen gemeinsamen transparent und nachvollziehbar. Stakeholderstrategien und der Politik in Nenner beziehen. Das sei der Schlüssel Auch deshalb sei «MineSet» ein Brett- Tropenwäldern. der Methode, sagt Claude Garcia: «Das und kein Computerspiel. Garcia sagt: Spiel hilft, dass Akteure sich darüber «Bei einem Brettspiel sind die Regeln → www.fordev.ethz.ch ETH GLOBE 1/2018 A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 9 08.03.18 09:26
NEW AND NOTED 3D-Druck BIOCHEMISCHE MINIFABRIKEN ETH-Forschende entwickelten für den 3D-Druck eine biokompatible Tinte mit lebenden Bakterien. Damit lassen sich biochemische Minifabri- ken mit unterschiedlichen Funktio- nen drucken, je nachdem, welche Bak- terienarten man in der Tinte einsetzt. Das Potenzial ist gross: Denkbar sind 3D-Druck mit bakterienhaltiger Tinte: Mit der neuen zum Beispiel biologische Materialien, Technik lassen sich biochemische Materialien mit verschiedens- die Giftstoffe detektieren und abbau- ten Funktionen auf komplexe Oberflächen drucken. en, oder hochreine Zellulose für bio- medizinische Anwendungen. 10 Katastrophenhilfe Versehrten sollen möglichst an ihren vorherigen Lebensmittelpunkt zurück- WIEDERAUFBAU kehren können. Zehn Jahre nach der SPALTET Flutwelle zeigte sich folgendes Bild: Fast alle neu erstellten Häuser im be- GESELLSCHAFT troffenen Gebiet waren wieder be- wohnt. Aber nur die Hälfte der Bewoh- ner waren Tsunami-Überlebende. Über Eine Elektrode, die hält – auch ohne Vielen ist diese Katastrophe noch in 40 Prozent der Bewohner waren Neu- Rasur oder Gel Erinnerung: Im Dezember 2004 ver- zuzüger mit tieferem Einkommen aus wüstete ein Tsunami die indonesische anderen Regionen. Diese Leute hatten Gesundheitsüberwachung Küstenstadt Banda Aceh. Die Flutwel- die Flutwelle nicht miterlebt. le machte fast die Hälfte des Stadtge- Von den direkt Betroffenen zogen HAFTEN WIE biets dem Erdboden gleich, Unzählige verloren Haus und Habe. Ein interna- es viele vor, sich im Landesinnern nie- derzulassen. Dort setzte die steigende HEUSCHRECKEN tionales Team unter Leitung von Nachfrage nach Grundstücken und ETH-Forschenden untersuchte nun, Häusern in Tsunami-sicheren Lagen Wer schon einmal ein Elektrokardio- wie sich der Wiederaufbau an der eine Preisspirale in Gang. Da der Wie- gramm erstellen liess, etwa um seine Küste langfristig auf die Gemeinschaft deraufbau jedoch vor allem an der Küs- Herzfitness zu überprüfen, weiss: auswirkte. te erfolgte, kam es unwillentlich zu ei- Harte Metallelektroden sind unbe- Hilfsorganisationen bauten damals ner Trennung der Bevölkerung in reich quem, und jene mit Gel verursachen die Häuser auf den küstennahen Parzel- und arm: an der Küste die Armen, die allergische Reaktionen. ETH-For- len rasch wieder auf, um eine erzwunge- sich eine sichere Wohnlage nicht leisten schende schafften nun Abhilfe mit ei- ne Umsiedlung von Menschen zu konnten, ausserhalb der Gefährdungs- ner Elektrode, deren Oberfläche vom vermeiden. Damit folgten sie einem hu- zone die Wohlhabenden. Das Katastro- Fuss der Heuschrecke inspiriert ist: manitären Grundsatz, der nach Natur- phenrisiko wurde damit auf die Armen Das macht sie ähnlich elastisch wie katastrophen zum Tragen kommt: Die übertragen. die Haut und lässt sie bestens haften. ETH GLOBE 1/2018 Bilder: science animated by Bara Krautz; ETH Zürich A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 10 08.03.18 09:26
NEW AND NOTED Canna bis en Wirksto thält den (Tetrah ff T ydroca HC nnabin ol). Wetteranomalien über das offene Meer in die Arktis führte. Einen direkten Zusammen- VERSTÄRKTER hang mit der Klimaerwärmung konn- MEEREISSCHWUND ten die Forschenden dabei nicht her- stellen. Anders verhält es sich beim Ab- Im Winter 2015/16 geschah etwas, schmelzen des arktischen Meereises das es zuvor so nicht gab: In Teilen im Sommer. Hier ist der langjährige der Arktis kletterten Ende Dezember Trend klar: Seit Ende der 1970er Jahre die Temperaturen während mehrerer schrumpfen die minimale Ausdehnung Tage über null Grad Celsius, und das und Dicke des Meereises im Hochsom- THC für die Forschung Meereis begann zu schmelzen. For- mer kontinuierlich. Besonders stark schende der ETH Zürich zeigten auf, abgeschmolzen ist das Meereis in den BERAUSCHEND wie es zu dieser aussergewöhnlichen Wärme kam: Drei verschiedene Luft- Jahren 2007 und 2012, was die Klima- forschung bislang aber nicht vollstän- LICHTEMPFINDLICH strömungen, die über der Nordsee dig erklären konnte. zwischen Schottland und Südnorwe- Auch diese Ausreisser nahmen Viele denken beim Kürzel THC in ers- gen zusammentrafen, führten wie auf ETH-Forschende unter die Lupe: Die ter Linie an Marihuana und an Rausch. einer Autobahn warme Luft mit hoher Ursache für die starke Schmelze lag bei Doch auch die Medizin ist an dieser Geschwindigkeit nach Norden. stabilen Hochdruckgebieten, die sich Substanz interessiert: Der Wirkstoff Möglich wurde diese Autobahn in den Sommermonaten wiederholt THC bindet an Rezeptoren, die eine 11 der Luftströme durch eine spezielle aufgebaut hatten. Während dieser wol- wichtige Rolle bei Gedächtnis, Stim- Konstellation der Drucksysteme über kenlosen Wetterlagen verstärkte die mung und kognitiven Prozessen spie- Nordeuropa. Dadurch stellte sich über hohe Einstrahlung – die Sonne scheint len. der Nordsee zwischen Schottland und in dieser Zeit 24 Stunden am Tag – das Um die Wechselwirkungen von Südnorwegen eine Art Trichter ein, Abschmelzen des Meereises. THC mit seinen Rezeptoren genauer der die Strömungen kanalisierte und zu studieren, schufen Chemiker unter der Leitung von ETH-Professor Erick Carreira Varianten von THC, deren Struktur sich mit Licht verändern lässt. Dazu hängten sie dem Molekül eine lichtempfindliche Antenne an. Bindet nun eine solche THC-Variante an einen Rezeptor, lässt sich dieser gezielt mit Licht ein- und ausschalten. Das Werkzeug eignet sich, um das körpereigene Cannabinoidsystem besser zu untersuchen. Dieses gilt als Ansatzpunkt, um etwa Suchtverhal- ten, Übergewicht, Depression, aber auch Alzheimer oder Parkinson zu behandeln. Mehr Informationen zu diesen und weiteren Forschungsnachrichten Schmilzt Meereis, wie vor zwei Jahren mitten im Winter in der Arktis, aus der ETH Zürich finden Sie unter: bilden sich auf der Oberfläche charakteristische Tümpel. → www.ethz.ch/news Bilder: NASA Goddard Space Flight Center, CC BY 2.0; Colourbox ETH GLOBE 1/2018 A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 11 08.03.18 09:26
Fo k u s Jeder Mensch ist anders – jede Krankheit auch. Personalisierte Medizin verspricht für jeden Einzelnen die genau passende Therapie. Neueste datengetriebene Technologien könnten dies bald möglich machen. Medizin 12 massgeschneidert: Mit Daten zur Gesundheit von morgen A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 12 08.03.18 09:26
Immer mehr Menschen leiden an DIABETES. In der Schweiz gibt es beinahe 500 000 Dia betiker, davon sind rund 40 000 Typ-1-Diabetiker. Personalisierte Medizin könnte helfen, Erkran kungsrisiken prospektiv zu erkennen und Therapien besser an den individuellen Stoffwechsel anzupassen. 13 A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 13 08.03.18 09:26
FO K U S «Wir wollen jetzt näher zu den Patienten kommen» Vor 15 Jahren war die Entschlüsselung des menschlichen Genoms ein Meilenstein für die personalisierte 14 Medizin. Proteomik- Die personalisierte Medizin ist unter For- schenden derzeit ein grosses Thema. Man Pionier Rudolf Aebersold, verspricht sich Behandlungsmöglichkeiten und Medikamente, die besser auf den Einzel- Stoffwechselforscher nen zugeschnitten sind. Warum sprechen wir dabei so oft von Daten, wenn von perso- Markus Stoffel und nalisierter Medizin die Rede ist? MARKUS STOFFEL – Die Fortschritte in der ETH-Vizepräsident personalisierten Medizin haben wir unter Detlef Günther sprechen anderem den Fortschritten in den datenge- triebenen Technologien und Analyseverfah- über Weichen, die ren zu verdanken. Schon immer wollten Ärzte ihren Patienten die für ihren spezifi- heute gestellt werden. schen Fall beste Behandlung anbieten. Das wird jetzt dank solcher Verfahren viel präzi- INTERVIEW Martina Märki und Roland Baumann ser als bisher möglich. RUDOLF AEBERSOLD – Aus meiner Sicht sind die erhobenen Daten allein allerdings unzureichend für die personalisierte Medi- zin. Die Daten werden dann besonders nütz- lich, wenn sie zum besseren Verständnis der einer Krankheit zugrundeliegenden Mecha- nismen führen, um gezielter medizinisch eingreifen zu können. DE TLEF GÜNTHER – Unser Ziel ist es, kom- plexe biologische Prozesse effektiv beschrei- ben zu können. Dabei generieren wir natür- lich eine Menge an Daten, die ein einzelner ETH GLOBE 1/2018 A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 14 08.03.18 09:26
FO K U S desto schneller werden wir Wege finden, «Je mehr Wissen wir vernetzen können, noch mehr Krankheiten zu heilen.» Forscher oder Arzt gar nicht erfassen kann. Deshalb müssen wir zum einen die Informa- tionsverarbeitung vorantreiben und zum anderen das Verständnis der zugrundelie- genden Prozesse erweitern. Und das für möglichst viele Krankheitsbilder. Das geht nicht mehr ausschliesslich im Labor. Dazu müssen wir näher zum Patienten kommen. DETLEF GÜNTHER ist als Vize Welchen konkreten Nutzen wird das präsident für Forschung und Wirt schaftsbeziehungen der ETH Zürich für mich als Patient haben? für die strategische Forschungs AEBERSOLD – Wir wollen beispielsweise steuerung und den Transfer in die mittels molekularer und phänotypischer 15 Wirtschaft zuständig. Daten von Patienten besser voraussagen können, welche der Patienten voraussicht- lich auf bestimmte Therapien gut anspre- chen und welche eher nicht. In der Onkolo- gie werden diese Techniken bereits einge- setzt. Längerfristig erhoffen wir uns so auch Ärzte. Zusätzlich stellt sich die Frage, wie neue Möglichkeiten zur Diagnose und The- Krankenversicherungen mit solchem Wis- rapie. Heute können wir im Genom und im sen umgehen. Das sind grosse Herausforde- Zusammenspiel der zellulären Moleküle rungen, auf die es a priori keine einfachen schon sehr viele Daten erheben, aber wir Antworten gibt. verstehen oft noch nicht so genau, wie sich das im Einzelfall klinisch auswirkt. Gegen- Weshalb sollte ich meine Daten dennoch wärtige Verfahren machen beispielsweise zur Verfügung stellen? statistische Aussagen über Risikofaktoren GÜNTHER – Je mehr Daten wir erzeugen für bestimmte Krankheiten, die in vielen und je mehr Wissen wir vernetzen können, Fällen bedingt nützlich sind. desto schneller werden wir Wege finden, um mehr Krankheiten zu heilen. Übrigens soll- Das so gewonnene Wissen kann auch ten wir nicht nur von Patientendaten spre- sehr belastend sein … chen. Sehr nützlich wären auch Daten von STOFFEL – Deshalb ist Mitbestimmung gesunden Menschen. Es wäre wunderbar, durch die Patienten wichtig. Wenn gene- wenn wir solche Daten über die Zeit sam- tisch getestet wird, ob eine Prädisposition meln und beobachten könnten, um heraus- für eine Krankheit vorliegt, muss sich der zufinden, wie sich die Voraussetzungen für Patient fragen: Will ich dieses Wissen über- Gesundheit und Krankheit im Lauf des Le- haupt haben? Das ist insbesondere deshalb bens entwickeln. Leider ist das Bewusstsein ein Problem, weil wir Risiken für Erkran- für die Bedeutung solcher Daten, aber auch kungen testen können, für die wir noch kei- für die Rechte im Umgang damit, in der ne Therapien kennen. Das ist ein grosses Schweiz noch nicht so entwickelt wie in Dilemma, für die Patienten und auch für die manchen anderen Ländern. Bild: Markus Bertschi ETH GLOBE 1/2018 A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 15 08.03.18 09:26
FO K U S nationale Forschung nicht sinnvoll.» «Für viele Krankheiten ist eine nur Welche Daten sind heute für eine personali- sierte Medizin schon verfügbar? AEBERSOLD – Die meisten molekularen Daten, die wir in grosser Menge und guter Qualität heute zur Verfügung haben, sind genomische Daten. Aber wir haben noch kein theoretisches Modell, das uns erlaubt, präzise vorherzusagen, wie sich eine geneti- sche Veränderung auf die Physiologie einer Zelle oder einer Person auswirkt. Die Erar- beitung solcher Modelle, ausgehend von den erhobenen Daten, ist eine grosse Herausfor- derung. MARKUS STOFFEL, Professor am STOFFEL – Es gibt zwar viele Daten welt- Institut für Molecular Health Sciences, befasst sich mit der Erforschung von weit, die dazu geführt haben, dass wir inzwi- Stoffwechselkrankheiten und schen beispielsweise 5000 Erkrankungen unterstützt die strategische Ausrich kennen, die von einzelnen Genen erzeugt tung der ETH im Bereich Medizin. werden. Um als Forscher eigene Hypothesen 16 in klinischen Studien testen zu können, rei- chen diese aggregierten Daten aber nicht. Dafür müssen wir auf Daten einzelner Pati- enten innerhalb eines geografischen Um- felds zugreifen können. Dabei werden heikle Themen wie Datenaustausch, Datenschutz, mik-Datenbanken verbinden können. Da- Verbindungen zwischen Kliniken und For- mit wir möglichst schnell erste Daten in die schungsanstalten extrem wichtig. Die Vor- Forschungspraxis überführen können, ha- aussetzungen dafür werden in der Schweiz ben wir sogenannte Treiberprojekte für be- gerade geschaffen. stimmte Krankheitsbilder definiert. Sie sprechen die zwei grossen Initiativen an, In welchen Gebieten finden diese an denen die ETH beteiligt ist. Projekte statt? GÜNTHER – Die Initiativen Swiss Persona- AEBERSOLD – Ein sehr geeignetes Gebiet lized Health Network (SPHN) und Persona- ist die Onkologie. Dort werden schon seit lized Health and Related Technologies einigen Jahren sehr intensiv genomische (PHRT) zielen darauf ab, in der Schweiz eine und klinische Daten gesammelt. Letztere Zusammenarbeit der verschiedenen medizi- geben Aufschluss darüber, wie Patienten auf nisch forschenden Institutionen zu initiie- Therapieansätze ansprechen. ren und Datenaustausch zu ermöglichen. So geht es beispielsweise darum, dass Schwei- Und welche Erfahrungen haben Sie mit den zer Spitäler und Kliniken für bestimmte Initiativen bereits gemacht? Krankheitsbilder ein Minimum an Daten AEBERSOLD – In Gebieten, wo es vor allem definieren, die so erfasst werden, dass man um technische Probleme geht, können wir sie aus verschiedenen Spitälern in Bezie- relativ schnell Fortschritte erzielen. Schwie- hung zueinander setzen kann. Diese Infor- rig wird es bei klinischen Daten. Hier geht es mationen sollen in elektronischen Dossiers um ganz grundsätzliche inhaltliche und zur Verfügung stehen, so dass wir sie etwa ethische Fragen: Wie soll beispielsweise das mit Daten aus Genomik- oder Proteo- Formular aussehen, mit dem die Patienten ETH GLOBE 1/2018 Bild: Victoria Loesch & Christian Gerber A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 16 08.03.18 09:26
FO K U S ihr Einverständnis zur Nutzung der Daten Kann die Gemeinschaft der Forschenden an geben? In manchen Kliniken besagen diese diesem Punkt alleine agieren? Müssen nicht Formulare, dass coincidential findings, also wichtige Entscheide mit Spitälern und der beispielsweise neue Krankheitsrisiken, die Gesellschaft gemeinsam getroffen werden? man zufällig entdeckt, dem Patienten mitge- GÜNTHER – Das stimmt. Solche Fragen sind teilt werden «müssen», bei anderen Klini- für die Initiativen zentral. Dieser Prozess ken heisst es «können». Was ist die bessere braucht allerdings Zeit. Wir haben schon et- Praxis? Solche Fragen bedingen intensive was Zeit gebraucht, um nur einen Konsens Diskussionen mit den verschiedenen Instan- zu finden, worüber wir reden und was wir zen und Betroffenen. wollen. Es geht ja auch darum, welche Rol- GÜNTHER: Ein anderes Problem: Was pas- len die einzelnen Partner in diesem interdis- siert beispielsweise, wenn ein Spital seine ziplinären Feld einnehmen werden, und da Daten weitergibt und dabei ein Leck ent- müssen wir umdenken. Wenn wir nicht steht? In solchen Fragen versuchen wir, den rechtzeitig erkennen, dass es nicht um die allersichersten Weg zu gehen, der dann na- Positionierung der einzelnen Disziplinen, türlich nicht immer der schnellste ist. sondern um das Zusammenspiel im ganzen Uhrwerk geht, wird es nicht funktionieren. Zurzeit ist es nach meiner Erfahrung noch schwierig, die Institutionen dazu zu brin- gen, für das gemeinsame Ziel die Einzelinte- Wie sinnvoll ist es, so ein Projekt auf ressen etwas zurückzunehmen. nationaler Ebene anzupacken? STOFFEL – Diese Frage ist insbesondere für Betrifft das auch die Medizinausbildung? die Schweiz berechtigt. Für viele Krankhei- GÜNTHER – Ja, wenn mehr und mehr Diag- ten ist eine nur nationale Forschung nicht nosen computergeneriert werden, müssen sinnvoll, weil sie keinen ausreichenden Zu- wir auch Ärzte ausbilden, die verstehen, gang zu den nötigen Patientenzahlen hat. 17 Denken wir an die grosse Gruppe der ver- schiedenen seltenen Erkrankungen, die man nur auf internationaler Ebene erforschen kann. Umso wichtiger ist es, dass in einem kleinen Land wie der Schweiz die Daten INITIATIVEN nicht zersplittert bleiben. GÜNTHER – Es gibt viele Länder, die uns Zwei grosse Initiativen sollen die einiges voraushaben. England zum Beispiel Forschung der Schweiz im Bereich führt jetzt gerade eine grosse Populations- personalisierte Medizin weiter studie durch, bei der eine halbe Million stärken und koordinieren: Menschen prospektiv, also ohne konkreten Das Swiss Personalized Health Verdacht auf eine Erkrankung, untersucht Network (SPHN) ist eine nationale wird. Initiative, um die Voraussetzungen AEBERSOLD – Die Frage ist, wie man sich für den Austausch von gesundheits als relativ kleines Land so organisieren kann, bezogenen Daten zwischen Hoch dass man als wertvoller und ernsthafter schulen und Kliniken zu schaffen. Partner in internationale Verbünde und Ko- → www.sphn.ch operationen miteinbezogen wird. Können Personalized Health and Related wir hier einfach warten, bis in England diese Technologies (PHRT) ist eine Initiative Populationsdaten alle erhoben sind? Wenn des ETH-Bereichs unter der Leitung man nichts beizutragen hat, ist man immer der ETH Zürich. Im Fokus stehen in der zweiten Reihe. Diese schmerzliche Technologien für die personalisierte Erfahrung haben Schweizer Forschende be- Medizin und die Entwicklung grosser reits einmal gemacht, nämlich als die und hochspezialisierter Forschungs Schweiz bei der Entzifferung des Genoms infrastrukturen auf dem Gebiet abseits stand. Das Ziel unserer Initiativen der translationalen medizinischen ist, in der Schweiz eine starke Community Forschung. zu bilden, die sich in das internationale → www.sfa-phrt.ch Netzwerk einbringen kann. ETH GLOBE 1/2018 A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 17 08.03.18 09:26
FO K U S wie diese Diagnosen zustande kommen und Was ist für die Zukunft besonders wichtig? was sie daraus ableiten können. Ich bin über AEBERSOLD – Ich hoffe, dass die aktuellen zeugt, dass sich auch in der Ausbildung von Programme helfen, dass ein kultureller Pharmazeuten und Biologen noch manches Wandel entsteht, der zu besserer Vernet ändern wird, damit man die Möglichkeiten zung und Kooperation führt. der Informationstechnologien richtig nut GÜNTHER – Ich wünsche mir, dass die Me zen kann. Als technische Hochschule kön thoden, die wir erarbeiten, möglichst schnell nen wir hier natürlich einen besonders gro in die Kliniken kommen. Die Nähe zum Pa Man muss auch die zugrundeliegenden ssen Beitrag leisten. tienten ist für uns enorm motivierend. STOFFEL – Die Medizinstudierenden, die STOFFEL – Die grössten Erfolge verzeich an der ETH ausgebildet werden, lernen bei nete die personalisierte Medizin bisher bei spielsweise wesentlich mehr über Genetik seltenen Krankheiten und teilweise in der und Statistik als in der klassischen Medizin Onkologie. Sie sind oft auf innovative For «Daten allein sind unzureichend. ausbildung. Sie werden auch früher und in schende zurückzuführen, die es gewagt ha tensiver an moderne Technologien, wie bild ben, ihre Lösungen in kleinen Firmen wei gebende Verfahren, herangeführt. Wenn sie terzuentwickeln. Innovationen kommen aus beispielsweise in der Anatomie Leichen se den Universitäten. Ich hoffe, dass die Politik zieren, wird die Struktur auch computer dies erkennt und uns auf diesem Weg weiter tomografisch abgebildet. So sehen die Stu unterstützt. Mechanismen verstehen.» dierenden gleich, wie sie sich in natura und im bildgebenden Verfahren präsentiert. MEDIZINFORSCHUNG FÖRDERN Die Starr International Foundation 18 unterstützt seit 2014 Forschung von Markus Stoffel, dem die Entschlüsselung des Auslösers für Altersdiabetes gelang. Mit einer erneuten Donation fördert sie nun die Fettleibigkeits- und Metabo- lismusforschung von Rössler-Preisträger Christian Wolfrum und Markus Stoffel. Mit dem Dr. Walter und Edith Fischli Fonds der ETH Zürich Foundation wird ein Projekt am Lehrstuhl des Molekular- und Zellbiologen Wilhelm Krek zum Fruktosemetabolismus vorangetrieben. Es gelang, einen Zusammenhang von hohem Fruktosekonsum und Krebs- wachstum aufzuzeigen. «Prostate Cancer Digital Biobanking» ist ein Pionierprojekt der «Personalized Medicine»-Initiative der ETH Zürich, des Universitätsspitals und der Universität Zürich. Unterstützt wird das Projekt von der Lotte und Adolf Hotz-Sprenger Stiftung. Zusätzlich unterstützt die Sprenger-Hotz Stiftung zusammen mit der Nomis Foundation eine neue RUDOLF AEBERSOLD ist Professor Professur in Genom-Biologie. für Systembiologie an der ETH Zürich und an der Universität Zürich. Er gilt Aktuelle Fördermöglichkeiten: als einer der weltweit führenden → www.ethz-foundation.ch/ Proteomik-Forscher und ist ein Pionier medizin-nach-mass der Systembiologie. ETH GLOBE 1/2018 Bild: Victoria Loesch & Christian Gerber A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 18 12.03.18 11:09
FO K U S Neue Wege in der Ausbildung gen sich eher die Köpfe neigen. «Das hat mich am Anfang fast ein wenig überrum- pelt», erzählt er lachend. Am Freitagabend seien die Studierenden um 18.30 Uhr immer 100 junge Leute haben im Herbst das noch am Diskutieren. «Von der Motivation der ETH-Medizinstudierenden und der In- Medizinstudium an der ETH aufgenommen. teraktion im Unterricht schwärmen alle Do- Erste Erfahrungen sind vielversprechend. zierenden, auch jene, die an anderen Univer- sitäten lehren», weiss der Studiendirektor. TEXT Roland Baumann STOFF IST, WAS MAN SPÄTER BRAUCHT Entwickelt wurde das neue Lehrkonzept in enger Zusammenarbeit mit Manu Kapur, Professor für Lernwissenschaften, der vor einem Jahr aus Hongkong an die ETH Zü- Die erste Studienwoche im Spital: an Bana- rich gekommen ist. «Manu Kapur bringt mit nen das Nähen von Wunden üben. Das war seinem Hintergrund nicht nur neue Konzep- eine der Aufgaben für die Studierenden des te ein, sondern auch einen anderen Blick auf ETH-Medizinbachelors. Ein ungewohntes die Medizinausbildung», sagt Jörg Gold- Bild, aber durchaus exemplarisch für den hahn, Projektleiter für das Medizinstudium. Weg, den die ETH bei der Medizinausbil- So soll das ETH-Medizinstudium vor allem dung einschlägt. «Wir haben den Studien- Stoff beinhalten, den die jungen Leute spä- gang von Grund auf neu konzipiert», sagt ter als Arzt oder Ärztin auch brauchen. «Es 19 ETH-Rektorin Sarah Springman. «Dazu geht uns nicht darum, die Köpfe der Studie- gehört, dass die Studierenden in der ersten renden mit möglichst vielen Fakten zu füt- Studienwoche Spitalluft schnuppern.» tern», erklärt Goldhahn den neuen Ansatz. Entsprechend wurde der ganze Stu IM KONTE X T LERNEN diengang rückwärts strukturiert, geleitet Dahinter steckt das Konzept des «Contex von den Fragen: Was brauchen die Studie- tual Learning», das auf der «Productive Fai- renden am Ende? Wie muss der Inhalt ver- lure»-Theorie beruht und das im neuen Stu- mittelt werden? Um den Stoff authentisch diengang der ETH Zürich eine besondere abfragen zu können, wurden zudem erst- Rolle spielt. Ein konkretes Beispiel: Mon- mals an der ETH Prüfungen auf Tablets tagmorgen, 8 Uhr, Start der Themenwoche; durchgeführt. Die ETH hat den Vorteil, dass ein Bandscheibenvorfall wird dargestellt. sie den Medizinbachelor gleichsam auf der Die Studierenden haben sich im Vorfeld an- grünen Wiese bauen und dabei neue Ideen hand von Videos und weiteren Materialien ausprobieren kann. «Und wir können auf die die theoretischen Grundlagen zur Wirbel- Mitarbeit von überdurchschnittlich moti- säule erarbeitet, hauptsächlich Anatomie. vierten Kolleginnen und Kollegen in unse- Im Laufe der Woche wird das Thema von ren Partnerinstitutionen zählen», sagt Rek- verschiedenen Dozierenden aus unter- torin Springman. Dazu gehören die Spitäler schiedlichen Blickwinkeln behandelt. Frei- und Kliniken, vor allem aber auch die Uni- tagnachmittag, 15 bis 17 Uhr: Zum Ab- versitäten Zürich, Basel und die Università schluss findet eine klinische Flagshipvorle- della Svizzera italiana, wo die Bachelor sung mit anschliessender Diskussion statt. absolventen den Master machen werden. Diese Art von Unterricht, die Verknüp- «Die Partnerinstitutionen unterstützen uns fung von Theorie und klinischer Anwen- tatkräftig, und wir profitieren gegenseitig dung, kommt an. Studiendirektor Christian von den Erfahrungen», sagt Springman. So Wolfrum ist begeistert: «Am Montagmor- kann, was sich an Neuem bewährt, auch von gen waren alle Studierenden pünktlich um anderen Studiengängen übernommen wer- acht Uhr da.» Stellte er eine Frage, schnell- den – nicht nur innerhalb der ETH, sondern ten 30 Arme hoch, wo in anderen Vorlesun- auch ausserhalb. ETH GLOBE 1/2018 A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 19 08.03.18 09:26
Rund jede dritte Person erkrankt im Lauf ihres Lebens an KREBS. Jährlich gibt es in der Schweiz 40 000 neu Erkrankte. Personali sierte Medizin hilft bereits heute, bei bestimmten Krebsarten gezieltere Therapie entscheide zu treffen. A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 20 08.03.18 09:26
FO K U S Die ETH-Technologieplattform Nexus ermöglicht Ärzten am Universitätsspital Zürich, vollständige Gen-Daten zu nutzen, um Krebspatienten die bestmögliche Therapie zukommen zu lassen. TEXT Fabio Bergamin und Martina Märki Mit Gen-Daten gegen Krebs «Das Tumorgenom von Frau A. ist sehr stark «Bei Tumoren handelt es sich um genetisch verändert, es enthält fast 800 Mutationen», verändertes und dadurch entartetes Kör- sagt Nora Toussaint, Bioinformatikerin bei pergewebe, wobei es buchstäblich unzählige der ETH-Technologieplattform Nexus, mit verschiedene Varianten solcher Genverän- Blick auf die ausgewerteten Genomdaten derungen gibt, die zu Krebs führen kön- 21 auf dem Bildschirm ihres Laptops. Zu- nen», erklärt Reinhard Dummer, Stellver- sammen mit ihrer Kollegin Anja Irmisch, tretender Direktor der Dermatologischen Molekularbiologin an der Dermatologi- Klinik und Leiter des Tumorboards. «Viele schen Klinik des Universitätsspitals Zürich, der modernen Krebsmedikamente wirken ist sie daran, einen Bericht zu Krebspatien- jedoch nur bei einer Mutation in einem be- tin A. zu verfassen. Irmisch weiss: «Bei Tu- stimmten Gen oder bei bestimmten ande- moren mit derart vielen Mutationen ist eine ren genetischen Anomalien.» Krebsimmuntherapie oft erfolgreich.» Dummer beschloss daher, bei Frau A. Vor drei Jahren diagnostizierten die eine Biopsie einer Metastase in der Leber zu Ärzte bei der damals 68-jährigen Frau A. entnehmen und eine Analyse des komplet- mehrere Krebsgeschwüre in der Bauchhöh- ten Genoms vornehmen zu lassen. Möglich le, bei denen es sich um Ableger eines bösar- ist dies dank der Analyse-Pipeline, die Wis- tigen Hautkrebses (Melanom) handelte. Auf senschaftler der ETH-Technologieplattform eine konventionelle Chemotherapie sprach Nexus entwickelt haben. A. zunächst an. Später bildeten sich jedoch neue Krebsableger. Ihr Körper ist voll von NE XUS IM EINSAT Z Metastasen in Lymphknoten, Lunge und Le- Für die Genomanalyse mit Nexus wurden ber; die Krankheit schreitet aggressiv voran. zuerst die DNA der Biopsie und die DNA einer Blutprobe der Patienten sequenziert. EIN FALL FÜRS TUMORBOARD Dann fügte Bio informatikerin Toussaint Der Fall von Frau A. wurde daher im Tumor- mehrere hundert Millionen sich überlap- board der Dermatologischen Klinik bespro- pende kurze Sequenz-Bruchstücke – die chen, einem wöchentlich stattfindenden Rohdaten aus der Sequenziermaschine – Treffen, an dem Ärzte mehrerer Fachdiszip- wie bei einem Puzzle zu den Sequenzen aller linen besonders schwierige Fälle diskutie- 20 000 menschlichen Gene zusammen. Die- ren. Das Ergebnis der Besprechung: Zusätz- se Prozedur muss sie zweimal durchführen: liche genetische Informationen zum Tumor für das Metastasengenom und das Genom waren nötig, um über die weiteren Schritte der gesunden Körperzellen. Anschliessend zu entscheiden. verglich Toussaint die beiden Genome ETH GLOBE 1/2018 A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 21 08.03.18 09:26
FO K U S SW I SSM T B wird in Zukunft helfen, die und erfuhr so, wo genau der Tumor Muta Das Projekt SwissMTB wurde im Eine nationale Datenbank tionen trägt. Den Grossteil der Arbeit Frühjahr 2016 durch Nexus in Krebsbehandlung weiter Zusammenarbeit mit der Dermato übenimmt zwar der Computer, die Analyse- logie am Universitässpital Zürich ergebnisse bedürfen jedoch einer sorgfälti- ins Leben gerufen. Die entwickelte gen Qualitätskontrolle. Aus der Liste der Methode berücksichtigt alle Mutationen filtert Toussaint nun zusammen Gene des Patienten, um aufgrund mit der Molekularbiologin Irmisch all jene von Mutationen die Einflüsse heraus, die bekannte Angriffspunkte für auf den Krebs und geeignete Medi- Krebsmedikamente sind. Dies und die Tat kamente zu bestimmen. Insbeson sache, dass die Metastasen von Frau A. eine zu verbessern. dere beschränkt sich die Suche grosse Zahl an verschiedenen Mutationen der Medikamente nicht nur auf tragen, sind wichtige Informationen für die den konkreten Krebstyp, sondern behandelnden Ärzte. Toussaint und Irmisch sucht auch in anderen Krebsarten halten die Ergebnisse in ihrem Bericht fest. nach Behandlungsoptionen. Um eine gute Kommunikation zu gewährlei- SwissMTB soll demnächst publi ten und die Informationsbedürfnisse der ziert werden, die Arbeit von Nexus Onkologen zu verstehen, hatten Bioinforma- und den klinischen Partnern tikerinnen von Nexus in den vergangenen ist aber noch lange nicht abge zwei Jahren auch Einsitz im Tumorboard. schlossen. Unterstützt von den Ergebnissen der → www.nexus.ethz.ch Genomanalyse entscheiden die Ärzte, dass Frau A. mit einer neuartigen Krebsimmun- therapie behandelt wird. «Das Wissen um die hohe Zahl an Mutationen wies uns darauf hin, dass diese Therapie aller Voraussicht Analysen würden dank der Forschritte im technischen 22 nach erfolgreich verlaufen wird. Da die ge- Bereich immer unaufwändiger und kostengünstiger. wählte Therapieform sehr nebenwirkungs- Bald werde es möglich sein, allen Patienten vollständige reich ist, lieferte uns die Analyse mit Nexus Genanalysen anzubieten, ist der Biostatistiker über- eine wichtige Bestätigung», sagt Dummer. zeugt. So will Nexus die Analysen in den nächsten Jahren Nicht bei allen Patienten werden die noch stärker automatisieren. Derzeit wählt die Moleku- molekularen Marker so umfassend be- larbiologin Irmisch beispielsweise von Hand aus einer stimmt wie bei Frau A. Standard in der Der- langen Liste von möglichen Zusammenhängen, die durch matologischen Klinik ist heute, dass von al- die Analyse von Nexus gesammelt wurden, die vielver- len Patienten mit metastasierendem Krebs sprechendsten aus. Dabei beachtet sie insbesondere, wel- einige bestimmte Tumor-Gene sequenziert che Mutationen schon früher klinisch beschrieben wor- werden, sofern Biop sien vorhanden sind. den sind und bei welchen erfolgreiche Therapieversuche Ein an der Klinik entwickelter Gentest zur durchgeführt worden sind. «Dieser Ablauf könnte in kostengünstigen Sequenzierung von rund Zukunft durch geschicktes Auswerten existierender Da- 200 krebsrelevanten Genen soll bald zur tenquellen weiter automatisiert werden, so dass sich die Verfügung stehen. Die komplette Analyse Handarbeit auf die Einschätzung der klinischen Rele- aller 20 000 Gene des menschlichen Genoms vanz durch die Ärzte beschränkt», sagt Toussaint. In den mit Nexus wird in einzelnen begründeten nächsten Jahren wird Nexus im Rahmen des Swiss Perso- Fällen eingesetzt. «Das ist sinnvoll bei spezi- nalized Health Network (SPHN) mit anderen Gruppen fischen Fragestellungen, die nur mit den um- des Swiss Institute of Bioinformatics eine nationale Da- fangreichen molekularen Daten beantwor- tenbank aufbauen, in der alle molekularen Krebsvarian- tet werden können», sagt Dummer. Dazu ten abgelegt werden sollen, die in Schweizer Spitälern gehören in seinem Gebiet seltene Melanom- vorkommen. Alle teilnehmenden Onkologen werden da- formen oder Fälle, in denen sich Standard- rauf Zugriff haben. therapien als nicht wirksam zeigten. Der Entscheid, Frau A. mit einer Immuntherapie zu behandeln, liegt inzwischen über ein Jahr zurück. Sie MÖGLICHKEITEN AUSBAUEN sprach auf die Therapie an, musste wegen Nebenwirkun- «Die Arbeit von Nexus ist der Weg in die gen der Therapie jedoch eine Medikamentenpause einle- Zukunft», sagt D aniel Stekhoven, Head gen. Derzeit wird sie mit einer anderen Immuntherapie Clinical Bioinformatics bei Nexus. Solche behandelt, unter der die Krankheit stabil verläuft. ETH GLOBE 1/2018 A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 22 08.03.18 09:26
FO K U S Proteinanalysen für personalisierte Medizin Neues Wissen zu Proteinen ermöglicht Forschenden die Entwicklung innovativer und klinisch nutzbarer Techniken zum Wohle des Patienten. TEXT Peter Rüegg 23 logies» (PHRT) ansetzen. Die Professorin für molekulare Systembiologie plant ein Projekt zur Entwicklung von Biomarkern für die Früherkennung und Klassifizierung Therapien, die sämtlichen Patienten, die an von Subtypen der Parkinson-Krankheit. Die zugrunde- derselben Krankheit leiden, gleich gut die- liegende Technologie stammt aus der Proteomik (siehe nen, gibt es bis heute nicht. Viele konventio- Kasten). Denn das Proteom (die Gesamtheit aller Pro nelle Therapien sind oft nur bei einem Teil teine) ist, anders als das Genom (die Gesamtheit aller der Betroffenen wirksam. Und manche Pa Gene), dynamisch. Es ändert sich aufgrund von Reizen tienten sprechen zwar zuerst auf ein Medi- aus der Umwelt, Krankheiten oder Wirkstoffen laufend. kament an, erleiden später aber unerklär «An spezifischen Proteinen lässt sich häufig ablesen, ob bare Rückfälle. Die «One size fits all»-Pille ein Organismus gesund oder krank ist», sagt Picotti. bleibt bis heute eine Illusion. Die Grundlagen für ihr neues Projekt schuf die Forsche- So etwa bei der Parkinson-Krank- rin vor wenigen Jahren. Sie entwickelte eine Protein- heit: Das Medikament Levodopa, das Ärzte messtechnik, um in beliebigen biologischen Proben dagegen einsetzen, schlägt bei einigen Pa neben allen «normalen» Proteinen auch jene zu analysie- tienten gut an und unterdrückt das Zittern. ren, deren Struktur sich verändert hat. Dies ist eine Bei anderen hingegen verstärkt es den Ab- wichtige Voraussetzung, um Parkinson frühzeitig diag- bau kognitiver Funktionen des Gehirns und nostizieren zu können. verschlimmert damit den Zustand der Be- Bisher gingen die Forschenden davon aus, dass sich troffenen. Mit gängigen Diagnosemethoden bei an Parkinson Erkrankten sogenannte Amyloid-Pla- können Mediziner jedoch nicht im Voraus ques bilden, welche die Nervenzellen schädigen. Amyloi- erkennen, ob und wie Patienten auf verab- de entstehen aus Proteinen, deren Struktur sich verän- reichte Medikamente reagieren oder ob sie dert. Die entarteten Proteine stecken weitere an und eine alternative Therapie brauchen. verklumpen zu unauflöslichen Amyloiden. Picotti konn- te in ihrer Vorstudie in Proben von Parkinson-Patienten BIOMARKER FÜR PARKINSON solche entarteten Proteine messen. Allerdings war ihre Hier will die Proteinforscherin Paola Picotti Testgruppe damals zu klein, um statistisch relevant zu im Rahmen der ETH-Bereichsinitiative sein. Auf der Suche nach Biomarkern für die Früherken- «Personalized Health and Related Techno- nung und Diagnose von Parkinson wird Picotti nun ETH GLOBE 1/2018 A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 23 08.03.18 09:26
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