MEDIZIN NACH MASS Mit personalisierter Medizin zur Gesundheit von morgen - ETH Zürich

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MEDIZIN NACH MASS Mit personalisierter Medizin zur Gesundheit von morgen - ETH Zürich
NR. 1/2018

                                    MEDIZIN NACH
                                       MASS
                                     Mit personalisierter Medizin zur
                                         Gesundheit von morgen
                                                   SEITE 12

            Im Brettspiel den               Auf den Spuren der   Die Architektin des
            Kahlschlag erleben              Zürcher Mona Lisa    öffentlichen Verkehrs
            SEITE 8                         SEITE 38             SEITE 46

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MEDIZIN NACH MASS Mit personalisierter Medizin zur Gesundheit von morgen - ETH Zürich
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GF_Anz_ETH_Globe_2018-Jan.indd
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                                                                                                      08.03.18 08:39
MEDIZIN NACH MASS Mit personalisierter Medizin zur Gesundheit von morgen - ETH Zürich
EDITORIAL

                                                                                                                                     GLOBE
                                                                                                                                 NR. 1/ 2018

                                                «EINE MEDIZIN FÜR ALLE»
                                                HAT BALD AUSGEDIENT
                                                Zweifellos, die Menschheit hat in den letzten Dekaden grosse
                                                medizinische Fortschritte gemacht. Viele einst tödliche
                                                Krank­heiten sind heilbar oder zumindest als chronische Krank-
                                                heiten behandelbar. Und doch: Gesundheit ist auch heute
                                                kein gesicherter Zustand.
                                                      Gleichzeitig fügen sich die Erkenntnisse der letzten Jahr-
                                                zehnte in Molekularbiologie, Genomik, Datenwissenschaft etc.
                                                allmählich zu einem Ganzen zusammen, das die Medizin präziser
                                                                                                                         Lino Guzzella,
                                                und wirksamer machen wird. Die personalisierte Medizin stützt
                                                                                                                    Präsident der ETH Zürich
                                                sich in ihrer datenbasierten Diagnose und Behandlung auf die
                                                individuelle genetische Prädisposition jeder einzelnen Patientin
                                                und jedes einzelnen Patienten ab. Sie läutet das Ende der «einen
                                                Medizin für alle» ein.
                                                      Die ETH Zürich ist mit ihrer breiten lebens- und ingenieur-
                                                wissenschaftlichen Expertise prädestiniert, diese Entwicklung
                                                mitzuprägen, in der Grundlagenforschung und in der Translation
                                                der Erkenntnisse in die Praxis. Rund 30 Prozent aller ETH-
                                                Professuren arbeiten bereits in medizinrelevanten Gebieten, und
                                                die ETH wird ihr Engagement noch verstärken. Personalisierte
                                                Medizin bietet aufregende Chancen und ist zugleich auf den                                 eite 2
                                                                                                                                                  1,
                                                Input von Naturwissenschaft und Technik angewiesen.                           S  i e  auf S d
                                                                                                                                             n
                                                                                                                        Lesen e Ärzte u de
                                                      Wenn sich ein Fachgebiet so stark verändert, hat das auch              wi           schen
                                                                                                                                     -For        d
                                                Auswirkungen auf die Ausbildung künftiger Ärztinnen und Ärzte.              ETH morboar .
                                                                                                                                      u           en
                                                                                                                             im T enarbeit
                                                Denn es braucht Fachleute, die sich in beiden Welten bewegen                   s a  m  m
                                                                                                                            zu
                                                können und sowohl die Sprache der Mediziner wie auch die der
                                                Techniker verstehen. Dieser Einsicht liegt die neue Bachelor­
                                                ausbildung der ETH in Medizin zugrunde.
                                                      Die Herausforderungen der personalisierten Medizin sind zu
                                                komplex, um sie allein zu lösen. So arbeiten wir in der Medizin­
                                                ausbildung mit Partneruniversitäten zusammen, koordinieren die
                                                Initiative «Personalized Health and Related Technologies» des
                                                ETH-Bereichs und bauen mit der Universität und dem Universi-
                                                tätsspital Zürich ein Zentrum für «Precision Medicine» auf.
                                                      Diese Globe-Ausgabe präsentiert Beispiele aus Forschung
                                                und Forschungstransfer, die wichtige Themen der Medizin von
                                                morgen ansprechen. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre.

                                                Lino Guzzella, ETH-Präsident

                    Globe, das Magazin der ETH Zürich und der ETH Alumni

                    Titel und Fokus: Crafft / Editorial: Giulia Marthaler

18 08:39   A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 3                                                                                                     08.03.18 09:24
INHALT                                                                     GLOBE
                                                                                                                                                      NR. 1/ 2018

            NEW AND NOTED                                                                                                   COMMUNITY
       5    News aus der ETH Zürich                                                                                    33 Verbunden mit der ETH

       6    Schneller zu mehr Tempo                                                                                    34	ETH+, neue Ideen für die Zukunft

       8	Im Brettspiel erleben,                                                                                       37 Kolumne
          was zum Kahlschlag führt
                                                                            Ein Brettspiel bringt Licht in komplexe
                                                                            Vorgänge um den Regenwald – Seite 8             REPORTAGE
            FOKUS                                                                                                      38 Auf den Spuren der Zürcher
       14	«Wir wollen näher zu den                                                                                       Mona Lisa
           Patienten kommen»                                                                                              Am Labor für Ionenstrahlphysik
           Ein Gespräch über aktuelle                                                                                     werden unter anderem Farbpig-
           Weichen in der personalisierten                                                                                mente von Gemälden analysiert.
           Medizin

       19	Neue Wege in der Ausbildung                                                                                      CONNECTED
           Erfahrungen mit dem Medizin-                                                                                42 Begegnungen an der ETH
           studium an der ETH
                                                                                                                       44	Agenda
       21	Mit Gen-Daten gegen Krebs                                           Volle Konzentration: Probennahme
           Unispital und die ETH-Plattform                                    an der Zürcher Mona Lisa – Seite 38
           Nexus im Tumorboard                                                                                              PROFIL
                                                                                                                       46 Architektin des
       23	Proteinanalysen für                                                                                            öffentlichen Verkehrs
           personalisierte Medizin                                                                                        ETH-Alumna Jeannine Pilloud
           Das Verständnis von Protein­                                                                                   hat sich auch an der Spitze der
           funktionen ist ein Schlüssel.                                                                                  SBB nie vor unkonventionellen
                                                                                                                          Wegen gefürchtet.
       25	Gezielte Diabetestherapie
           Molekulare Prothesen als
           Insulinproduzenten im Körper                                                                                     5 FRAGEN
                                                                                                                       50 Vincent Tassion
       28	«Ohne Vertrauen geht es nicht»                                                                                 Für den Assistenzprofessor
           Warum in der personalisierten                                                                                  ist Mathematik etwas sehr Per-
           Medizin Datenschutzfragen so                                                                                   sönliches.
           wichtig sind.

                                      IMPRESSUM — Herausgeber: ETH Alumni / ETH Zürich, ISSN 2235-7289 Redaktion: Martina Märki (Leitung), Roland Baumann,
                                      Fabio Bergamin, Isabelle Herold, Corinne Johannssen-Hodel, Nicol Klenk, Karin Köchle, Michael Keller, Peter Rüegg, Samuel Schlaefli,
                                      Norbert Staub, Michael Walther Mitarbeit: Claudia Hoffmann Inserateverwaltung: ETH Alumni Communications, globe@alumni.ethz.ch,
                                      +41 44 632 51 24 Inserate­management: Fachmedien, Zürichsee Werbe AG, Stäfa, info@fachmedien.ch, +41 44 928 56 53
                                      Gestaltung: Crafft Kommunikation AG, Zürich Druck, Korrektorat: Neidhart + Schön Print AG, Schwerzenbach Übersetzung: Burton,
                                      Van Iersel & Whitney GmbH, München; Clare Bourne, Nicol Klenk, ETH Zürich Auflage: 34 600 deutsch, 31 600 englisch, viermal
                                      jährlich Abonnement: CHF 20.– im Jahr (vier Ausgaben); in der Vollmitgliedschaft bei ETH Alumni enthalten. Bestellungen und
                                      Adressänderungen: globe@hk.ethz.ch bzw. für ETH-Alumni www.alumni.ethz.ch/myalumni Kontakt: www.ethz.ch/globe,
                                      globe@hk.ethz.ch, +41 44 632 42 52 Kostenlose Tablet-­Version.

       Bilder: ForDev; Daniel Winkler; Victoria Loesch & Christian Gerber

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                                                                                                Atmosphärenforschung
            In der unteren Stratosphäre, wo
            die Ozonschicht am dichtesten ist,                                                  OZONSCHICHT DÜNNT
            schwindet das vor UV-Strahlen
            schützende Ozon noch immer –                                                        SICH WEITER AUS
            trotz FCKW-Verbot durch das
            Montrealer Protokoll.
                                                                                                Die Ozonschicht schützt das Leben
                                                                                                auf der Erde vor energiereicher Strah-
                                                                                                lung. Ein internationales Team unter
                                                                                                Leitung von ETH-Forschenden stellt
                                                                                                nun fest: Die Konzentration von Ozon
                                                                                                nimmt im unteren Teil der Stra-
                                                                                                tosphäre über den dicht besiedelten
                                                                                                mittleren Breiten und den Tropen
                                                                                                weiter ab. Die Gründe sind noch un-
                                                                                                klar. Durch den Klimawandel verän-
                                                                                                derte atmosphärische Luftströmun-
                                                                                                gen oder sehr kurzlebige, chlor- und
                                                                                                bromhaltige Chemikalien könnten
                                                                                                dabei eine Rolle spielen.

                                                                                                                                          5
         Asylwesen                                    könnte sich deren Erwerbstätigkeit um     Wirkstoffsuche
                                                      73 Prozent erhöhen: Im dritten Auf-
         ALGORITHMUS ERHÖHT                           enthaltsjahr wären demnach 26 Pro-        INS GEHIRN SCHAUEN
         ERWERBSCHANCEN                               zent der Asylsuchenden berufstätig.
                                                            Herzstück des datengestützten       Neue Medikamente für Hirnkrank-
                                                      Ansatzes ist ein Algorithmus, der mit     heiten sind schwierig zu finden, denn
         Asylsuchende und vorläufig Aufge-            Methoden des maschinellen Lernens         die Wirkungen und Nebenwirkungen
         nommene dürfen in der Schweiz arbei-           entwickelt wurde. Er berechnet, für     einer Substanz im Gehirn lassen
         ten – allerdings nur in dem Kanton,            welchen Kanton die individuellen        sich nicht einfach nachweisen. ETH-­
         dem sie der Bund im Asylverfahren            Eigenschaften und Fähigkeiten der
                                                      ­                                         Forschende haben mit einer internati-
         zuteilt. Für diese Zuteilung gelten po-      Geflüchteten (z. B. Alter, Geschlecht,    onalen ­Arbeitsgruppe ein Test­modell
         litische Kriterien, wie etwa die Bevöl-      Herkunft, Sprache) am besten mit den      entwickelt, um den Effekt von Wirk-
         kerungsgrösse eines Kantons, und dass        Charakteristiken des Arbeitsmarktes       stoffen mit Hilfe von elektrischen
         sich die Nationalitäten gleichmässig         (z. B. Grösse des Landwirtschaftssek-     Hirnsignalen genauer zu beurteilen.
         über alle Kantone verteilen. Überle-           tors, Sprachregion, ethnische Netz-     Das könnte für neue Medikamente
         gungen zur Integration in den Arbeits-         werke) zusammenpassen. Als Daten-       gegen Epilepsie von Nutzen sein.
         markt stehen dabei nicht im Vorder-            basis dienen dem Algorithmus die be-
         grund. Eine Folge ist, dass im dritten         stehenden Daten zu Asylsuchenden
         Aufenthaltsjahr gerade mal 15 Prozent          des Staatssekretariats für Migration.
         der Geflüchteten erwerbstätig sind.                Das Resultat sind konkrete Zu­
              Politikwissenschaftler der Univer-      teilungsvorschläge, in welchem Kan-
         sität Stanford und der ETH Zürich            ton Geflüchtete am ehesten eine Ar-
         schlagen nun einen datengestützten           beit finden. ETH-Professor Dominik
         Ansatz vor, der die Kantonszuteilung         ­Hangartner, der für den Schweizer Teil
         besser auf die Arbeitsmarktintegration        der Studie zuständig war, will den       Hirnströme verraten, wie Substanzen
         der Geflüchteten ausrichtet. Damit            ­Algorithmus nun in der Praxis testen.   das Hirn beeinflussen.

         Bild: cookelma / iStock; Montage Colourbox             ETH GLOBE 1/2018

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                                                     ETH GLOBE 1/2018

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                                                                                                    SCHNELLER ZU
                                                                                                    MEHR TEMPO
                                                                                                    Wie können Athletinnen und Athle-
                                                                                                    ten in Wettkämpfen bessere Zeiten
                                                                                                    erzielen? Am Institut für Fluiddyna-
                                                                                                    mik wurde zusammen mit dem ETH-
                                                                                                    Spin-off Streamwise ein Verfahren

                                                                                                                                                    7
                                                                                                    entwickelt, das Tests im Windkanal
                                                                                                    vereinfacht und die Resultate sofort
                                                                                                    sichtbar macht.
                                                                                                         Konventionelle Methoden geben
                                                                                                    nur Auskunft über den gesamten
                                                                                                    Luftwiderstand eines Testobjekts.
                                                                                                    Das neue Verfahren hingegen erfasst
                                                                                                    das Strömungsfeld um den Körper
                                                                                                    und zeigt, wie der Luftwiderstand im
                                                                                                    Detail entsteht. Die Auswirkungen
                                                                                                    unterschiedlicher Ausrüstungen oder
                                                                                                    Positionen lassen sich dabei in Echt-
                                                                                                    zeit am Bildschirm visualisieren und
                                                                                                    analysieren.
                                                                                                         Während für Streamwise die
                                                                                                    Markteinführung der Methode im
                                                                                                    Vordergrund steht, forscht die ETH
                                                                                                    bereits daran, wie Windströme in Zu-
                                                                                                    kunft über eine Augmented-Reality-
                                                                                                    Brille dargestellt werden können.

                                                                                                    Motion Capture of Manually
                                                                                                    Operated Flow Probes:
                                                                                                    → www.ethz.ch/procap

         Bild: Andreas Müller, ETH Zürich, und Andrin Landolt, streamwise gmbh   ETH GLOBE 1/2018

A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 7                                                                                                           09.03.18 09:03
NEW AND NOTED

                                                            Tropenwälder

                       Im Brettspiel erleben, was
                         zum Kahlschlag führt
                      Wie entwickeln sich tropische Regenwälder in Zukunft?
                  Mit einem Brettspiel luden ETH-Forschende Akteure im Kongo-
                          becken dazu ein, die Antworten selber zu finden.

                                                                                                                       er
                                                                                                             Mittler
                                                                                                                g e n w ald
                                                                                                             Re

                                 ald
                          liger W
                  Ehema
8

                                                                                                 Dichter
                                                                                                       ald
                                                                                                Regenw

     N
                 ichts ging mehr. Die Verhand-   zu bringen, wählte FSC mit Wissen-        Wie entstehen Entscheidungen?
                 lungen über den Schutz des      schaftlern der ETH Zürich einen un-       Ursprünglich wollten Claude Garcia
                 Tropenwalds im Kongobecken      konventionellen Ansatz.                   und seine Kollegen des französischen
        steckten fest. Der Forest Stewardship         Im August 2017 reiste Claude         Forschungsinstituts CIRAD verste-
        Council (FSC) hatte zusammen mit         Garcia, Leiter der Forschungsgruppe       hen, was in den tropischen Wäldern
       ­zertifizierten Waldbewirtschaftungs-     ForDev * für Wald-Management und          des Kongobeckens geschieht. Eine der
        unternehmen, Regierungen, Umwelt-        Entwicklungszusammenarbeit, nach          grössten Herausforderungen dabei sei,
        schutzorganisationen und lokalen Ge-     Brazzaville in der Republik Kongo.        die Entscheidungen der zahlreichen
        meinschaften versucht, sich über neue    Mit dabei das Brettspiel «MineSet».       Akteure – Holz- und Bergbaufirmen,
        Indikatoren für seine Nachhaltigkeits-   Er versammelte die vom FSC einberu-       Umweltorganisationen, Regierungen
        zertifizierung zu einigen. Doch ein      fenen Verhandlungspartner um den          und lokale Gemeinschaften – und de-
        Kompromiss war nicht leicht zu finden.   Spieltisch. Vier Tage später hatten sie   ren Zusammenspiel zu verstehen. Das
        Ein Abbruch der Verhandlungen wäre       sich in vier von fünf Punkten geeinigt.   Brettspiel «MineSet» ist ein Ansatz
        für niemanden von Vorteil gewesen.       Das Spiel hatte geholfen, den Knoten      dafür. Es versetzt die Spieler, unabhän-
        Um die Diskussionen wieder auf Kurs      zu lockern.                               gig von ihrer wirklichen Funktion, in

                                                           ETH GLOBE 1/2018                                                   Bild: ForDev

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NEW AND NOTED

                                                       «Bei einem Brettspiel
                                                       sind die Regeln
         die Rolle von CEOs von Waldbewirt-            transparent. Es gibt                     transparent. Es gibt keine versteckten
         schaftungs- oder Bergbaufirmen. In                                                     Mechanismen. Die Spieler können
         Teams schmieden sie Pläne für ihre            keine versteckten                        sich in die Augen sehen und interagie-
         Konzessionen und Waldparzellen und            Mechanismen.                             ren direkt miteinander.» Das fördere
         treffen Entscheidungen über Wirt-                                                      auch das Vertrauen untereinander.
         schaftlichkeit, Arbeitsplätze und Na-         Die Spieler können                           Garcia erhofft sich in erster Linie,
         turschutz. Dabei interagieren sie mitei-
         nander, mit internationalen Märkten,
                                                       sich in die Augen                        mit dem Spiel die Akteure in Tropen-
                                                                                                wäldern zu fundierten Entscheidun-
         mit Vertretern der nationalen Regie-          sehen und inter-                         gen zu führen. Gleichzeitig gewinnt er
         rung und mit NGOs. Je nach Spielstra-                                                  Erkenntnisse darüber, wie Entschei-
         tegie entwickelt sich der Wald anders.        agieren direkt mit-                      dungen entstehen, die später zu Kahl-
         Runde für Runde erkennen die Spieler          einander. Das för-                       schlag oder Waldschutz führen.
         die Komplexität der Situation. Auf den
         wabenförmigen Spielfeldern scheitern          dert das Vertrauen                       «Wicked Problems» lösen
         Pläne und Investitionen gehen verlo-
         ren. Denn das Spiel lässt zahlreiche
                                                       untereinander.»                          Der Erfolg in Brazzaville hat ihn ermu-
                                                                                                tigt. Theoretisch kann die Methode
         Kräfte wirken: Demografie, wirtschaft-                                                 nämlich noch bei vielen weiteren Pro-
         liche und finanzielle Entwicklungen,                                                   blemen zu Lösungen verhelfen. Ar-
         Politik, Technologie und Kultur.                                                       beitslosigkeit, Klimawandel, Gesund-
              Entwickelt haben Forscher rund                                                    heit, Wasserbedarf und Energiewende
         um Claude Garcia das Spiel zwischen                                                    hätten ein ähnliches Muster, jenes der

                                                                                                                                               9
         2015 und 2017, basierend auf mehre-                                                    sogenannten Wicked Problems. Kom-
         ren Workshops mit Akteuren in Frank-       einigen, wie das System tatsächlich         plexe, verzwickte Probleme also, de-
         reich, Kamerun, Gabun und in der           funktioniert. Sie lösen sich dabei von      ren Ausgang und Folgen immer von
         Schweiz.                                   der wertenden Betrachtung, wie das          einer kollektiven Handlung abhängig
              Von anderen Rollenspielen unter-      System funktionieren sollte.» Das ge-       sind, und meist gibt es keine Einig-
         scheidet sich Garcias Brettspiel darin,    linge, weil die Leute ihren Blickwinkel     keit darüber, was eigentlich das Prob-
         dass soziale und ökologische Faktoren      erweitern und sich in die Situation ei-     lem ist.
         gleichzeitig berücksichtigt werden.        nes anderen versetzen. Spiele eigneten           Das nächste Projekt steht bereits
         Die Spielregeln widerspiegeln wirt-        sich besonders dafür, sagt Garcia: «So-     an: Die CEOs führender französischer
         schaftliche, soziale und ökologische       bald ich im Spiel eine Rolle einnehme,      Unternehmen wollen in einem Grund-
         Prozesse und beruhen auf Fachwissen        verschiebt sich meine Perspektive. Ich      lagenpapier gemeinsame Antworten
         über die Entwicklung von Regenwäl-         lese oder höre nicht nur von einer Situ-    formulieren, wie Firmen Biodiversität
         dern, Biodiversität und Marktwirt-         ation, ich erlebe sie. Das ändert alles.»   in ihre Strategien integrieren können.
         schaft.                                         Die zugrundeliegende Methode           Das Spiel von Claude Garcia soll wieder
                                                    nennt sich «Companion Modelling»;           die Grundlage dafür schaffen.
         Den Blickwinkel ändern                     Garcia untersucht damit seit Jahren         — Michael Walther
         Am Verhandlungstisch in Brazzaville        Veränderungsprozesse in sozioökolo-
         gelang der Durchbruch, weil die Ver-       gischen Systemen. In diesem Model-
         handlungspartner die komplexen Zu-         lierungsansatz entwickeln die Beteilig-
         sammenhänge in den tropischen Wäl-         ten aus unterschiedlichen politischen       * ForDev:
         dern des Kongobeckens anders zu ver-       und gesellschaftlichen Institutionen           Forest Management and Development ist
         stehen begannen. Sie entwickelten ein      zusammen mit Forschenden ein Mo-               eine Partnerschaft der ETH Zürich und
         gemeinsames Verständnis für das Sys-       dell für ihre spezifische Situation. Der       der französischen Forschungsinstitution
                                                                                                   CIRAD. ForDev erforscht die Wechselwir-
         tem und konnten sich so in den Ver-        Prozess ist für alle Teilnehmenden
                                                                                                   kungen zwischen ökologischen Prozessen,
         handlungen auf einen gemeinsamen           transparent und nachvollziehbar.               Stakeholderstrategien und der Politik in
         Nenner beziehen. Das sei der Schlüssel     Auch deshalb sei «MineSet» ein Brett-          Tropenwäldern.
         der Methode, sagt Claude Garcia: «Das      und kein Computerspiel. Garcia sagt:
         Spiel hilft, dass Akteure sich darüber     «Bei einem Brettspiel sind die Regeln       → www.fordev.ethz.ch

                                                              ETH GLOBE 1/2018

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NEW AND NOTED

                                                                                              3D-Druck

                                                                                              BIOCHEMISCHE
                                                                                              MINIFABRIKEN
                                                                                              ETH-Forschende entwickelten für
                                                                                              den 3D-Druck eine biokompatible
                                                                                              Tinte mit lebenden Bakterien. Damit
                                                                                              lassen sich biochemische Minifabri-
                                                                                              ken mit unterschiedlichen Funktio-
                                                                                              nen drucken, je nachdem, welche Bak-
                                                                                              terienarten man in der Tinte einsetzt.
                                                                                              Das Potenzial ist gross: Denkbar sind
       3D-Druck mit bakterienhaltiger Tinte: Mit der neuen                                    zum Beispiel biologische Materialien,
       Technik lassen sich biochemische Materialien mit verschiedens-                         die Giftstoffe detektieren und abbau-
       ten Funktionen auf komplexe Oberflächen drucken.                                       en, oder hochreine Zellulose für bio-
                                                                                              medizinische Anwendungen.
10

       Katastrophenhilfe                           Versehrten sollen möglichst an ihren
                                                   vorherigen Lebensmittelpunkt zurück-
       WIEDERAUFBAU                                kehren können. Zehn Jahre nach der

       SPALTET                                     Flutwelle zeigte sich folgendes Bild:
                                                   Fast alle neu erstellten Häuser im be-
       GESELLSCHAFT                                troffenen Gebiet waren wieder be-
                                                   wohnt. Aber nur die Hälfte der Bewoh-
                                                   ner waren Tsunami-Überlebende. Über        Eine Elektrode, die hält – auch ohne
       Vielen ist diese Katastrophe noch in        40 Prozent der Bewohner waren Neu-         Rasur oder Gel
       Erinnerung: Im Dezember 2004 ver-           zuzüger mit tieferem Einkommen aus
       wüstete ein Tsunami die indonesische        anderen Regionen. Diese Leute hatten       Gesundheitsüberwachung
       Küstenstadt Banda Aceh. Die Flutwel-        die Flutwelle nicht miterlebt.
       le machte fast die Hälfte des Stadtge-           Von den direkt Betroffenen zogen      HAFTEN WIE
       biets dem Erdboden gleich, Unzählige
       verloren Haus und Habe. Ein interna-
                                                   es viele vor, sich im Landesinnern nie-
                                                   derzulassen. Dort setzte die steigende
                                                                                              HEUSCHRECKEN
       tionales Team unter Leitung von             Nachfrage nach Grundstücken und
       ETH-Forschenden untersuchte nun,            Häusern in Tsunami-sicheren Lagen          Wer schon einmal ein Elektrokardio-
       wie sich der Wiederaufbau an der            eine Preisspirale in Gang. Da der Wie-     gramm erstellen liess, etwa um seine
       ­Küste langfristig auf die Gemeinschaft     deraufbau jedoch vor allem an der Küs-     Herzfitness zu überprüfen, weiss:
        auswirkte.                                 te erfolgte, kam es unwillentlich zu ei-   Harte Metallelektroden sind unbe-
            Hilfsorganisationen bauten damals      ner Trennung der Bevölkerung in reich      quem, und jene mit Gel verursachen
       die Häuser auf den küstennahen Parzel-      und arm: an der Küste die Armen, die       allergische Reaktionen. ETH-For-
       len rasch wieder auf, um eine erzwunge-     sich eine sichere Wohnlage nicht leisten   schende schafften nun Abhilfe mit ei-
       ne Umsiedlung von Menschen zu               konnten, ausserhalb der Gefährdungs-       ner Elektrode, deren Oberfläche vom
       vermeiden. Damit folgten sie einem hu-      zone die Wohlhabenden. Das Katastro-       Fuss der Heuschrecke inspiriert ist:
       manitären Grundsatz, der nach Natur-        phenrisiko wurde damit auf die Armen       Das macht sie ähnlich elastisch wie
       katastrophen zum Tragen kommt: Die          übertragen.                                die Haut und lässt sie bestens haften.

                                                              ETH GLOBE 1/2018                   Bilder: science animated by Bara Krautz; ETH Zürich

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NEW AND NOTED

                                                                                                                    Canna
                                                                                                                           bis en
                                                                                                                        Wirksto thält den
                                                                                                                  (Tetrah       ff T
                                                                                                                         ydroca HC
                                                                                                                                 nnabin
                                                                                                                                        ol).

         Wetteranomalien                                             über das offene Meer in die Arktis
                                                                     führte. Einen direkten Zusammen-
         VERSTÄRKTER                                                 hang mit der Klimaerwärmung konn-

         MEEREISSCHWUND                                              ten die Forschenden dabei nicht her-
                                                                     stellen.
                                                                          Anders verhält es sich beim Ab-
         Im Winter 2015/16 geschah etwas,                            schmelzen des arktischen Meereises
         das es zuvor so nicht gab: In Teilen                        im Sommer. Hier ist der langjährige
         der Arktis kletterten Ende Dezember                         Trend klar: Seit Ende der 1970er Jahre
         die Temperaturen während mehrerer                           schrumpfen die minimale Ausdehnung
         Tage über null Grad Celsius, und das                        und Dicke des Meereises im Hochsom-       THC für die Forschung
         Meereis begann zu schmelzen. For-                           mer kontinuierlich. Besonders stark
         schende der ETH Zürich zeigten auf,                         abgeschmolzen ist das Meereis in den      BERAUSCHEND
         wie es zu dieser aussergewöhnlichen
         Wärme kam: Drei verschiedene Luft-
                                                                     Jahren 2007 und 2012, was die Klima-
                                                                     forschung bislang aber nicht vollstän-
                                                                                                               LICHTEMPFINDLICH
         strömungen, die über der Nordsee                            dig erklären konnte.
         zwischen Schottland und Südnorwe-                                Auch diese Ausreisser nahmen         Viele denken beim Kürzel THC in ers-
         gen zusammentrafen, führten wie auf                         ETH-Forschende unter die Lupe: Die        ter Linie an Marihuana und an Rausch.
         einer Autobahn warme Luft mit hoher                         Ursache für die starke Schmelze lag bei   Doch auch die Medizin ist an dieser
         Geschwindigkeit nach Norden.                                stabilen Hochdruckgebieten, die sich      Substanz interessiert: Der Wirkstoff
             Möglich wurde diese Autobahn                            in den Sommermonaten wiederholt           THC bindet an Rezeptoren, die eine

                                                                                                                                                              11
         der Luftströme durch eine spezielle                         aufgebaut hatten. Während dieser wol-     wichtige Rolle bei Gedächtnis, Stim-
         Konstellation der Drucksysteme über                         kenlosen Wetterlagen verstärkte die       mung und kognitiven Prozessen spie-
         Nordeuropa. Dadurch stellte sich über                       hohe Einstrahlung – die Sonne scheint     len.
         der Nordsee zwischen Schottland und                         in dieser Zeit 24 Stunden am Tag – das         Um die Wechselwirkungen von
         Südnorwegen eine Art Trichter ein,                          Abschmelzen des Meereises.                THC mit seinen Rezeptoren genauer
         der die Strömungen kanalisierte und                                                                   zu studieren, schufen Chemiker unter
                                                                                                               der Leitung von ETH-Professor Erick
                                                                                                               Carreira Varianten von THC, deren
                                                                                                               Struktur sich mit Licht verändern
                                                                                                               lässt. Dazu hängten sie dem Molekül
                                                                                                               eine lichtempfindliche Antenne an.
                                                                                                               Bindet nun eine solche THC-Variante
                                                                                                               an einen Rezeptor, lässt sich dieser
                                                                                                               gezielt mit Licht ein- und ausschalten.
                                                                                                                    Das Werkzeug eignet sich, um
                                                                                                               das körpereigene Cannabinoidsystem
                                                                                                               besser zu untersuchen. Dieses gilt als
                                                                                                               Ansatzpunkt, um etwa Suchtverhal-
                                                                                                               ten, Übergewicht, Depression, aber
                                                                                                               auch Alzheimer oder Parkinson zu
                                                                                                               behandeln.

                                                                                                               Mehr Informationen zu diesen und
                                                                                                               weiteren Forschungsnachrichten
         Schmilzt Meereis, wie vor zwei Jahren mitten im Winter in der Arktis,                                 aus der ETH Zürich finden Sie unter:
         bilden sich auf der Oberfläche charakteristische Tümpel.                                              → www.ethz.ch/news

         Bilder: NASA Goddard Space Flight Center, CC BY 2.0; Colourbox        ETH GLOBE 1/2018

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Fo k u s
                                     Jeder Mensch ist anders –
                                     jede Krankheit auch.
                                     Personalisierte Medizin
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                                     dies bald möglich machen.

                        Medizin
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                        massgeschneidert:
                Mit Daten
                zur Gesundheit
                von morgen

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Immer mehr Menschen
                                     leiden an DIABETES.
                                     In der Schweiz gibt es
                                     beinahe 500 000 Dia­
                                     betiker, davon sind rund
                                     40 000 Typ-1-Diabetiker.
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                                     kungsrisiken prospektiv
                                     zu erkennen und
                                     Therapien besser an
                                     den individuellen
                                     Stoffwechsel anzupassen.

                                                                 13

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      «Wir wollen jetzt
      näher zu den
      Patienten kommen»
                  Vor 15 Jahren war die
                  Entschlüsselung des
                  menschlichen Genoms
                  ein Meilenstein für
                  die personalisierte
14

                  Medizin. Proteomik-                                     Die personalisierte Medizin ist unter For-
                                                                          schenden derzeit ein grosses Thema. Man
                  Pionier Rudolf Aebersold,                               verspricht sich Behandlungsmöglichkeiten
                                                                          und Medikamente, die besser auf den Einzel-
                  Stoffwechselforscher                                    nen zugeschnitten sind. Warum sprechen
                                                                          wir dabei so oft von Daten, wenn von perso-
                  Markus Stoffel und                                      nalisierter Medizin die Rede ist?
                                                                          MARKUS STOFFEL – Die Fortschritte in der
                  ETH-Vizepräsident                                       personalisierten Medizin haben wir unter
                  Detlef Günther sprechen                                 anderem den Fortschritten in den datenge-
                                                                          triebenen Technologien und Analyseverfah-
                  über Weichen, die                                       ren zu verdanken. Schon immer wollten
                                                                          Ärzte ihren Patienten die für ihren spezifi-
                  heute gestellt werden.                                  schen Fall beste Behandlung anbieten. Das
                                                                          wird jetzt dank solcher Verfahren viel präzi-
                  INTERVIEW Martina Märki und Roland Baumann              ser als bisher möglich.
                                                                          RUDOLF AEBERSOLD – Aus meiner Sicht
                                                                          sind die erhobenen Daten allein allerdings
                                                                          unzureichend für die personalisierte Medi-
                                                                          zin. Die Daten werden dann besonders nütz-
                                                                          lich, wenn sie zum besseren Verständnis der
                                                                          einer Krankheit zugrundeliegenden Mecha-
                                                                          nismen führen, um gezielter medizinisch
                                                                          eingreifen zu können.
                                                                          DE TLEF GÜNTHER – Unser Ziel ist es, kom-
                                                                          plexe biologische Prozesse effektiv beschrei-
                                                                          ben zu können. Dabei generieren wir natür-
                                                                          lich eine Menge an Daten, die ein einzelner

                                                       ETH GLOBE 1/2018

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                                                            desto schneller werden wir Wege finden,
                                                            «Je mehr Wissen wir vernetzen können,

                                                            noch mehr Krankheiten zu heilen.»
             Forscher oder Arzt gar nicht erfassen kann.
             Deshalb müssen wir zum einen die Informa-
             tionsverarbeitung vorantreiben und zum
             anderen das Verständnis der zugrundelie-
             genden Prozesse erweitern. Und das für
             möglichst viele Krankheitsbilder. Das geht
             nicht mehr ausschliesslich im Labor. Dazu
             müssen wir näher zum Patienten kommen.
                                                                                                           DETLEF GÜNTHER ist als Vize­
         Welchen konkreten Nutzen wird das                                                                 präsident für Forschung und Wirt­
                                                                                                           schaftsbeziehungen der ETH Zürich
         für mich als Patient haben?
                                                                                                           für die strategische Forschungs­
         AEBERSOLD – Wir wollen beispielsweise
                                                                                                           steuerung und den Transfer in die
         mittels molekularer und phänotypischer

                                                                                                                                                       15
                                                                                                           Wirtschaft zuständig.
         Daten von Patienten besser voraussagen
         können, welche der Patienten voraussicht-
         lich auf bestimmte Therapien gut anspre-
         chen und welche eher nicht. In der Onkolo-
         gie werden diese Techniken bereits einge-
         setzt. Längerfristig erhoffen wir uns so auch                                                  Ärzte. Zusätzlich stellt sich die Frage, wie
         neue Möglichkeiten zur Diagnose und The-                                                       Krankenversicherungen mit solchem Wis-
         rapie. Heute können wir im Genom und im                                                        sen umgehen. Das sind grosse Herausforde-
         Zusammenspiel der zellulären Moleküle                                                          rungen, auf die es a priori keine einfachen
         schon sehr viele Daten erheben, aber wir                                                       Antworten gibt.
         verstehen oft noch nicht so genau, wie sich
         das im Einzelfall klinisch auswirkt. Gegen-                                                  Weshalb sollte ich meine Daten dennoch
         wärtige Verfahren machen beispielsweise                                                      zur Verfügung stellen?
         statistische Aussagen über Risikofaktoren                                                    GÜNTHER – Je mehr Daten wir erzeugen
         für bestimmte Krankheiten, die in vielen                                                     und je mehr Wissen wir vernetzen können,
         Fällen bedingt nützlich sind.                                                                desto schneller werden wir Wege finden, um
                                                                                                      mehr Krankheiten zu heilen. Übrigens soll-
                 Das so gewonnene Wissen kann auch                                                    ten wir nicht nur von Patientendaten spre-
                 sehr belastend sein …                                                                chen. Sehr nützlich wären auch Daten von
                 STOFFEL – Deshalb ist Mitbestimmung                                                  gesunden Menschen. Es wäre wunderbar,
                 durch die Patienten wichtig. Wenn gene-                                              wenn wir solche Daten über die Zeit sam-
                 tisch getestet wird, ob eine Prädisposition                                          meln und beobachten könnten, um heraus-
                 für eine Krankheit vorliegt, muss sich der                                           zufinden, wie sich die Voraussetzungen für
                 Patient fragen: Will ich dieses Wissen über-                                         Gesundheit und Krankheit im Lauf des Le-
                 haupt haben? Das ist insbesondere deshalb                                            bens entwickeln. Leider ist das Bewusstsein
                 ein Problem, weil wir Risiken für Erkran-                                            für die Bedeutung solcher Daten, aber auch
                 kungen testen können, für die wir noch kei-                                          für die Rechte im Umgang damit, in der
                 ne Therapien kennen. Das ist ein grosses                                             Schweiz noch nicht so entwickelt wie in
                 Dilemma, für die Patienten und auch für die                                          manchen anderen Ländern.

         Bild: Markus Bertschi                                  ETH GLOBE 1/2018

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                                                             nationale Forschung nicht sinnvoll.»
                                                             «Für viele Krankheiten ist eine nur
       Welche Daten sind heute für eine personali-
       sierte Medizin schon verfügbar?
       AEBERSOLD – Die meisten molekularen
       Daten, die wir in grosser Menge und guter
       Qualität heute zur Verfügung haben, sind
       genomische Daten. Aber wir haben noch
       kein theoretisches Modell, das uns erlaubt,
       präzise vorherzusagen, wie sich eine geneti-
       sche Veränderung auf die Physiologie einer
       Zelle oder einer Person auswirkt. Die Erar-
       beitung solcher Modelle, ausgehend von den
       erhobenen Daten, ist eine grosse Herausfor-
       derung.                                                                                              MARKUS STOFFEL, Professor am
          STOFFEL – Es gibt zwar viele Daten welt-                                                          Institut für Molecular Health Sciences,
                                                                                                            befasst sich mit der Erforschung von
          weit, die dazu geführt haben, dass wir inzwi-
                                                                                                            Stoffwechselkrankheiten und
          schen beispielsweise 5000 Erkrankungen
                                                                                                            unterstützt die strategische Ausrich­
          kennen, die von einzelnen Genen erzeugt
                                                                                                            tung der ETH im Bereich Medizin.
          werden. Um als Forscher eigene Hypothesen
16

          in klinischen Studien testen zu können, rei-
          chen diese aggregierten Daten aber nicht.
          Dafür müssen wir auf Daten einzelner Pati-
          enten innerhalb eines geografischen Um-
          felds zugreifen können. Dabei werden heikle
          Themen wie Datenaustausch, Datenschutz,                                                        mik-Datenbanken verbinden können. Da-
          Verbindungen zwischen Kliniken und For-                                                        mit wir möglichst schnell erste Daten in die
          schungsanstalten extrem wichtig. Die Vor-                                                      Forschungspraxis überführen können, ha-
          aussetzungen dafür werden in der Schweiz                                                       ben wir sogenannte Treiberprojekte für be-
          gerade geschaffen.                                                                             stimmte Krankheitsbilder definiert.

             Sie sprechen die zwei grossen Initiativen an,                                          In welchen Gebieten finden diese
             an denen die ETH beteiligt ist.                                                        Projekte statt?
             GÜNTHER – Die Initiativen Swiss Persona-                                               AEBERSOLD – Ein sehr geeignetes Gebiet
             lized Health Network (SPHN) und Persona-                                               ist die Onkologie. Dort werden schon seit
             lized Health and Related Technologies                                                  einigen Jahren sehr intensiv genomische
             (PHRT) zielen darauf ab, in der Schweiz eine                                           und klinische Daten gesammelt. Letztere
             Zusammenarbeit der verschiedenen medizi-                                               geben Aufschluss darüber, wie Patienten auf
             nisch forschenden Institutionen zu initiie-                                            Therapieansätze ansprechen.
             ren und Datenaustausch zu ermöglichen. So
             geht es beispielsweise darum, dass Schwei-                                               Und welche Erfahrungen haben Sie mit den
             zer Spitäler und Kliniken für bestimmte                                                  Initiativen bereits gemacht?
             Krankheitsbilder ein Minimum an Daten                                                    AEBERSOLD – In Gebieten, wo es vor allem
             definieren, die so erfasst werden, dass man                                              um technische Probleme geht, können wir
             sie aus verschiedenen Spitälern in Bezie-                                                relativ schnell Fortschritte erzielen. Schwie-
             hung zueinander setzen kann. Diese Infor-                                                rig wird es bei klinischen Daten. Hier geht es
             mationen sollen in elektronischen Dossiers                                               um ganz grundsätzliche inhaltliche und
             zur Verfügung stehen, so dass wir sie etwa                                               ethische Fragen: Wie soll beispielsweise das
             mit Daten aus Genomik- oder Proteo-                                                      Formular aussehen, mit dem die Patienten

                                                             ETH GLOBE 1/2018                                              Bild: Victoria Loesch & Christian Gerber

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            ihr Einverständnis zur Nutzung der Daten                                   Kann die Gemeinschaft der Forschenden an
            geben? In manchen Kliniken besagen diese                                   diesem Punkt alleine agieren? Müssen nicht
            Formulare, dass coincidential findings, also                               wichtige Entscheide mit Spitälern und der
            beispielsweise neue Krankheitsrisiken, die                                 Gesellschaft gemeinsam getroffen werden?
            man zufällig entdeckt, dem Patienten mitge-                                GÜNTHER – Das stimmt. Solche Fragen sind
            teilt werden «müssen», bei anderen Klini-                                  für die Initiativen zentral. Dieser Prozess
            ken heisst es «können». Was ist die bessere                                braucht allerdings Zeit. Wir haben schon et-
            Praxis? Solche Fragen bedingen intensive                                   was Zeit gebraucht, um nur einen Konsens
            Diskussionen mit den verschiedenen Instan-                                 zu finden, worüber wir reden und was wir
            zen und Betroffenen.                                                       wollen. Es geht ja auch darum, welche Rol-
            GÜNTHER: Ein anderes Problem: Was pas-                                     len die einzelnen Partner in diesem interdis-
            siert beispielsweise, wenn ein Spital seine                                ziplinären Feld einnehmen werden, und da
            Daten weitergibt und dabei ein Leck ent-                                   müssen wir umdenken. Wenn wir nicht
            steht? In solchen Fragen versuchen wir, den                                rechtzeitig erkennen, dass es nicht um die
            allersichersten Weg zu gehen, der dann na-                                 Positionierung der einzelnen Disziplinen,
            türlich nicht immer der schnellste ist.                                    sondern um das Zusammenspiel im ganzen
                                                                                       Uhrwerk geht, wird es nicht funktionieren.
                                                                                       Zurzeit ist es nach meiner Erfahrung noch
                                                                                       schwierig, die Institutionen dazu zu brin-
                                                                                       gen, für das gemeinsame Ziel die Einzelinte-
                Wie sinnvoll ist es, so ein Projekt auf                                ressen etwas zurückzunehmen.
                nationaler Ebene anzupacken?
                STOFFEL – Diese Frage ist insbesondere für                             Betrifft das auch die Medizinausbildung?
                die Schweiz berechtigt. Für viele Krankhei-                            GÜNTHER – Ja, wenn mehr und mehr Diag-
                ten ist eine nur nationale Forschung nicht                             nosen computergeneriert werden, müssen
                sinnvoll, weil sie keinen ausreichenden Zu-                            wir auch Ärzte ausbilden, die verstehen,
                gang zu den nötigen Patientenzahlen hat.

                                                                                                                                       17
                Denken wir an die grosse Gruppe der ver-
                schiedenen seltenen Erkrankungen, die man
                nur auf internationaler Ebene erforschen
                kann. Umso wichtiger ist es, dass in einem
                kleinen Land wie der Schweiz die Daten                  INITIATIVEN
                nicht zersplittert bleiben.
                GÜNTHER – Es gibt viele Länder, die uns                  Zwei grosse Initiativen sollen die
                einiges voraushaben. England zum Beispiel                Forschung der Schweiz im Bereich
                führt jetzt gerade eine grosse Populations-              personalisierte Medizin weiter
                studie durch, bei der eine halbe Million                 stärken und koordinieren:
                Menschen prospektiv, also ohne konkreten
                                                                         Das Swiss Personalized Health
                Verdacht auf eine Erkrankung, untersucht
                                                                         Network (SPHN) ist eine nationale
                wird.
                                                                         Initiative, um die Voraussetzungen
                AEBERSOLD – Die Frage ist, wie man sich
                                                                         für den Austausch von gesundheits­
                als relativ kleines Land so organisieren kann,           bezogenen Daten zwischen Hoch­
                dass man als wertvoller und ernsthafter                  schulen und Kliniken zu schaffen.
                Partner in internationale Verbünde und Ko-               → www.sphn.ch
                operationen miteinbezogen wird. Können
                                                                         Personalized Health and Related
                wir hier einfach warten, bis in England diese
                                                                         Technologies (PHRT) ist eine Initiative
                Populationsdaten alle erhoben sind? Wenn
                                                                         des ETH-Bereichs unter der Leitung
                man nichts beizutragen hat, ist man immer
                                                                         der ETH Zürich. Im Fokus stehen
                in der zweiten Reihe. Diese schmerzliche
                                                                         Technologien für die personalisierte
                Erfahrung haben Schweizer Forschende be-                 Medizin und die Entwicklung grosser
                reits einmal gemacht, nämlich als die                    und hochspezialisierter Forschungs­
                Schweiz bei der Entzifferung des Genoms                  infrastrukturen auf dem Gebiet
                abseits stand. Das Ziel unserer Initiativen              der translationalen medizinischen
                ist, in der Schweiz eine starke Community                Forschung.
                zu bilden, die sich in das internationale                → www.sfa-phrt.ch
                Netzwerk einbringen kann.

                                                                 ETH GLOBE 1/2018

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          wie diese Diagnosen zustande kommen und                                               Was ist für die Zukunft besonders wichtig?
          was sie daraus ableiten können. Ich bin über­                                         AEBERSOLD – Ich hoffe, dass die aktuellen
          zeugt, dass sich auch in der Ausbildung von                                           Programme helfen, dass ein kultureller
          Pharmazeuten und Biologen noch manches                                                Wandel entsteht, der zu besserer Vernet­
          ändern wird, damit man die Möglichkeiten                                              zung und Kooperation führt.
          der Informationstechnologien richtig nut­                                             GÜNTHER – Ich wünsche mir, dass die Me­
          zen kann. Als technische Hochschule kön­                                              thoden, die wir erarbeiten, möglichst schnell
          nen wir hier natürlich einen besonders gro­                                           in die Kliniken kommen. Die Nähe zum Pa­

                                                          Man muss auch die zugrundeliegenden
          ssen Beitrag leisten.                                                                 tienten ist für uns enorm motivierend.
       STOFFEL – Die Medizinstudierenden, die                                                   STOFFEL – Die grössten Erfolge verzeich­
       an der ETH ausgebildet werden, lernen bei­                                               nete die personalisierte Medizin bisher bei
       spielsweise wesentlich mehr über Genetik                                                 seltenen Krankheiten und teilweise in der
       und Statistik als in der klassischen Medizin­                                            Onkologie. Sie sind oft auf innovative For­

                                                          «Daten allein sind unzureichend.
       ausbildung. Sie werden auch früher und in­                                               schende zurückzuführen, die es gewagt ha­
       tensiver an moderne Technologien, wie bild­                                              ben, ihre Lösungen in kleinen Firmen wei­
       gebende Verfahren, herangeführt. Wenn sie                                                terzuentwickeln. Innovationen kommen aus
       beispielsweise in der Anatomie Leichen se­                                               den Universitäten. Ich hoffe, dass die Politik
       zieren, wird die Struktur auch computer­                                                 dies erkennt und uns auf diesem Weg weiter
       tomografisch abgebildet. So sehen die Stu­                                               unterstützt.

                                                          Mechanismen verstehen.»
       dierenden gleich, wie sie sich in natura und
       im bildgebenden Verfahren präsentiert.

                                                                                                    MEDIZINFORSCHUNG FÖRDERN

                                                                                                    Die Starr International Foundation
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                                                                                                    unterstützt seit 2014 Forschung von
                                                                                                    Markus Stoffel, dem die Entschlüsselung
                                                                                                    des Auslösers für Altersdiabetes gelang.
                                                                                                    Mit einer erneuten Donation fördert
                                                                                                    sie nun die Fettleibigkeits- und Metabo-
                                                                                                    lismusforschung von Rössler-Preisträger
                                                                                                    ­Christian Wolfrum und Markus Stoffel.
                                                                                                    Mit dem Dr. Walter und Edith Fischli
                                                                                                    Fonds der ETH Zürich Foundation wird
                                                                                                    ein Projekt am Lehrstuhl des Molekular-
                                                                                                    und Zellbiologen Wilhelm Krek zum
                                                                                                    Fruktosemetabolismus vorangetrieben.
                                                                                                    Es gelang, einen Zusammenhang
                                                                                                    von hohem Fruktosekonsum und Krebs-
                                                                                                    wachstum aufzuzeigen.
                                                                                                    «Prostate Cancer Digital Biobanking» ist
                                                                                                    ein Pionierprojekt der «Personalized
                                                                                                    Medicine»-Initiative der ETH Zürich, des
                                                                                                    Universitätsspitals und der Universität
                                                                                                    Zürich. Unterstützt wird das Projekt
                                                                                                    von der Lotte und Adolf Hotz-Sprenger
                                                                                                    Stiftung. Zusätzlich unterstützt die
                                                                                                    Sprenger-Hotz Stiftung zusammen
                                                                                                    mit der Nomis Foundation eine neue
             RUDOLF AEBERSOLD ist Professor
                                                                                                    ­Professur in Genom-Biologie.
             für Systembiologie an der ETH Zürich
             und an der Universität Zürich. Er gilt                                                 Aktuelle Fördermöglichkeiten:
             als einer der weltweit führenden                                                       → www.ethz-foundation.ch/
             Proteomik-Forscher und ist ein Pionier                                                 medizin-nach-mass
             der Systembiologie.

                                                             ETH GLOBE 1/2018                                        Bild: Victoria Loesch & Christian Gerber

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FO K U S

         Neue Wege in
         der Ausbildung                                                             gen sich eher die Köpfe neigen. «Das hat
                                                                                    mich am Anfang fast ein wenig überrum-
                                                                                    pelt», erzählt er lachend. Am Freitagabend
                                                                                    seien die Studierenden um 18.30 Uhr immer
         100 junge Leute haben im Herbst das                                        noch am Diskutieren. «Von der Motivation
                                                                                    der ETH-Medizinstudierenden und der In-
         Medizinstudium an der ETH aufgenommen.                                     teraktion im Unterricht schwärmen alle Do-
         Erste Erfahrungen sind vielversprechend.                                   zierenden, auch jene, die an anderen Univer-
                                                                                    sitäten lehren», weiss der Studiendirektor.
         TEXT Roland Baumann
                                                                                  STOFF IST, WAS MAN SPÄTER BRAUCHT
                                                                                  Entwickelt wurde das neue Lehrkonzept in
                                                                                  enger Zusammenarbeit mit Manu Kapur,
                                                                                  Professor für Lernwissenschaften, der vor
                                                                                  einem Jahr aus Hongkong an die ETH Zü-
                     Die erste Studienwoche im Spital: an Bana-                   rich gekommen ist. «Manu Kapur bringt mit
                     nen das Nähen von Wunden üben. Das war                       seinem Hintergrund nicht nur neue Konzep-
                     eine der Aufgaben für die Studierenden des                   te ein, sondern auch einen anderen Blick auf
                     ETH-Medizinbachelors. Ein ungewohntes                        die Medizinausbildung», sagt Jörg Gold-
                     Bild, aber durchaus exemplarisch für den                     hahn, Projektleiter für das Medizinstudium.
                     Weg, den die ETH bei der Medizinausbil-                      So soll das ETH-Medizinstudium vor allem
                     dung einschlägt. «Wir haben den Studien-                     Stoff beinhalten, den die jungen Leute spä-
                     gang von Grund auf neu konzipiert», sagt                     ter als Arzt oder Ärztin auch brauchen. «Es

                                                                                                                                   19
                     ETH-Rektorin Sarah Springman. «Dazu                          geht uns nicht darum, die Köpfe der Studie-
                     gehört, dass die Studierenden in der ersten                  renden mit möglichst vielen Fakten zu füt-
                     Studienwoche Spitalluft schnuppern.»                         tern», erklärt Goldhahn den neuen Ansatz.
                                                                                          Entsprechend wurde der ganze Stu­
                        IM KONTE X T LERNEN                                          diengang rückwärts strukturiert, geleitet
                        Dahinter steckt das Konzept des «Contex­                     von den Fragen: Was brauchen die Studie-
                        tual Learning», das auf der «Productive Fai-                 renden am Ende? Wie muss der Inhalt ver-
                        lure»-Theorie beruht und das im neuen Stu-                   mittelt werden? Um den Stoff authentisch
                        diengang der ETH Zürich eine besondere                       abfragen zu können, wurden zudem erst-
                        Rolle spielt. Ein konkretes Beispiel: Mon-                   mals an der ETH Prüfungen auf Tablets
                        tagmorgen, 8 Uhr, Start der Themenwoche;                     durchgeführt. Die ETH hat den Vorteil, dass
                        ein Bandscheibenvorfall wird dargestellt.                    sie den Medizinbachelor gleichsam auf der
                        Die Studierenden haben sich im Vorfeld an-                   grünen Wiese bauen und dabei neue Ideen
                        hand von Videos und weiteren Materialien                     ausprobieren kann. «Und wir können auf die
                        die theoretischen Grundlagen zur Wirbel-                     Mitarbeit von überdurchschnittlich moti-
                        säule erarbeitet, hauptsächlich Anatomie.                    vierten Kolleginnen und Kollegen in unse-
                        Im Laufe der Woche wird das Thema von                        ren Partnerinstitutionen zählen», sagt Rek-
                        verschiedenen Dozierenden aus unter-                         torin Springman. Dazu gehören die Spitäler
                        schiedlichen Blickwinkeln behandelt. Frei-                   und Kliniken, vor allem aber auch die Uni-
                        tagnachmittag, 15 bis 17 Uhr: Zum Ab-                        versitäten Zürich, Basel und die Università
                        schluss findet eine klinische Flagshipvorle-                 della Svizzera italiana, wo die Bachelor­
                        sung mit anschliessender Diskussion statt.                   absolventen den Master machen werden.
                             Diese Art von Unterricht, die Verknüp-                  «Die Partnerinstitutionen unterstützen uns
                        fung von Theorie und klinischer Anwen-                       tatkräftig, und wir profitieren gegenseitig
                        dung, kommt an. Studiendirektor Christian                    von den Erfahrungen», sagt Springman. So
                        Wolfrum ist begeistert: «Am Montagmor-                       kann, was sich an Neuem bewährt, auch von
                        gen waren alle Studierenden pünktlich um                     anderen Studiengängen übernommen wer-
                        acht Uhr da.» Stellte er eine Frage, schnell-                den – nicht nur innerhalb der ETH, sondern
                        ten 30 Arme hoch, wo in anderen Vorlesun-                    auch ausserhalb.

                                                               ETH GLOBE 1/2018

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Rund jede dritte Person
                                     erkrankt im Lauf
                                     ihres Lebens an KREBS.
                                     Jährlich gibt es in der
                                     Schweiz 40 000 neu
                                     Erkrankte. Personali­
                                     sierte Medizin hilft
                                     bereits heute, bei
                                     bestimmten Krebsarten
                                     gezieltere Therapie­
                                     entscheide zu treffen.

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FO K U S

             Die ETH-Technologieplattform Nexus ermöglicht Ärzten
             am Universitätsspital Zürich, vollständige Gen-Daten
             zu nutzen, um Krebspatienten die bestmögliche Therapie
             zukommen zu lassen.
             TEXT Fabio Bergamin und Martina Märki

                    Mit Gen-Daten
                    gegen Krebs
                                     «Das Tumorgenom von Frau A. ist sehr stark          «Bei Tumoren handelt es sich um genetisch
                                     verändert, es enthält fast 800 Mutationen»,         verändertes und dadurch entartetes Kör-
                                     sagt Nora Toussaint, Bioinformatikerin bei          pergewebe, wobei es buchstäblich unzählige
                                     der ETH-Technologieplattform Nexus, mit             verschiedene Varianten solcher Genverän-
                                     Blick auf die ausgewerteten Genomdaten              derungen gibt, die zu Krebs führen kön-

                                                                                                                                           21
                                     auf dem Bildschirm ihres Laptops. Zu-               nen», erklärt Reinhard Dummer, Stellver-
                                     sammen mit ihrer Kollegin Anja Irmisch,             tretender Direktor der Dermatologischen
                                     Molekularbiologin an der Dermatologi-
                                     ­                                                   Klinik und Leiter des Tumorboards. «Viele
                                     schen ­Klinik des Universitätsspitals Zürich,       der modernen Krebsmedikamente wirken
                                     ist sie daran, einen Bericht zu Krebspatien-        jedoch nur bei einer Mutation in einem be-
                                     tin A. zu verfassen. Irmisch weiss: «Bei Tu-        stimmten Gen oder bei bestimmten ande-
                                     moren mit derart vielen Mutationen ist eine         ren genetischen Anomalien.»
                                     Krebsimmuntherapie oft erfolgreich.»                        Dummer beschloss daher, bei Frau A.
                                              Vor drei Jahren diagnostizierten die          eine Biopsie einer Metastase in der Leber zu
                                         Ärzte bei der damals 68-jährigen Frau A.           entnehmen und eine Analyse des komplet-
                                         mehrere Krebsgeschwüre in der Bauchhöh-            ten Genoms vornehmen zu lassen. Möglich
                                         le, bei denen es sich um Ableger eines bösar-      ist dies dank der Analyse-Pipeline, die Wis-
                                         tigen Hautkrebses (Melanom) handelte. Auf          senschaftler der ETH-Technologieplattform
                                         eine konventionelle Chemotherapie sprach           Nexus entwickelt haben.
                                         A. zunächst an. Später bildeten sich jedoch
                                         neue Krebsableger. Ihr Körper ist voll von        NE XUS IM EINSAT Z
                                         Metastasen in Lymphknoten, Lunge und Le-          Für die Genomanalyse mit Nexus wurden
                                         ber; die Krankheit schreitet aggressiv voran.     zuerst die DNA der Biopsie und die DNA
                                                                                           einer Blutprobe der Patienten sequenziert.
                                       EIN FALL FÜRS TUMORBOARD                            Dann fügte Bio­  informatikerin Toussaint
                                       Der Fall von Frau A. wurde daher im Tumor-          mehrere hundert Millionen sich überlap-
                                       board der Dermatologischen Klinik bespro-           pende kurze Sequenz-Bruchstücke – die
                                       chen, einem wöchentlich stattfindenden              Rohdaten aus der Sequenziermaschine –
                                       Treffen, an dem Ärzte mehrerer Fachdiszip-          wie bei einem Puzzle zu den Sequenzen aller
                                       linen besonders schwierige Fälle diskutie-          20 000 menschlichen Gene zusammen. Die-
                                       ren. Das Ergebnis der Besprechung: Zusätz-          se Prozedur muss sie zweimal durchführen:
                                       liche genetische Informationen zum Tumor            für das Metastasengenom und das Genom
                                       waren nötig, um über die weiteren Schritte          der gesunden Körperzellen. Anschlies­send
                                       zu entscheiden.                                     verglich Toussaint die beiden Genome

                                                                   ETH GLOBE 1/2018

A180177_ETHZ_Globe_1_18_DE.indd 21                                                                                                  08.03.18 09:26
FO K U S

                                                                                             SW I SSM T B

                                                             wird in Zukunft helfen, die
          und erfuhr so, wo genau der Tumor Muta­                                             Das Projekt SwissMTB wurde im

                                                             Eine nationale Datenbank
          tionen trägt. Den Grossteil der Arbeit                                              Frühjahr 2016 durch Nexus in

                                                             Krebsbehandlung weiter
                                                                                              Zusammenarbeit mit der Dermato­
          übenimmt zwar der Computer, die Analyse-
                                                                                              logie am Universitässpital Zürich
          ergebnisse bedürfen jedoch einer sorgfälti-
                                                                                              ins Leben gerufen. Die entwickelte
          gen Qualitätskontrolle. Aus der Liste der
                                                                                              Methode berücksichtigt alle
          Mutationen filtert Toussaint nun zusammen
                                                                                              Gene des Patienten, um aufgrund
          mit der Molekularbiologin Irmisch all jene                                          von Mutationen die Einflüsse
          heraus, die bekannte Angriffspunkte für                                             auf den Krebs und geeignete Medi-
          Krebsmedikamente sind. Dies und die Tat­                                            kamente zu bestimmen. Insbeson­
          sache, dass die Metastasen von Frau A. eine

                                                             zu verbessern.
                                                                                              dere beschränkt sich die Suche
          grosse Zahl an verschiedenen Mutationen                                             der Medikamente nicht nur auf
          tragen, sind wichtige Informationen für die                                         den konkreten Krebstyp, sondern
          behandelnden Ärzte. Toussaint und Irmisch                                           sucht auch in anderen Krebsarten
          halten die Ergebnisse in ihrem Bericht fest.                                        nach Behandlungsoptionen.
          Um eine gute Kommunikation zu gewährlei-                                            SwissMTB soll demnächst publi­
          ten und die Informationsbedürfnisse der                                             ziert werden, die Arbeit von Nexus
          ­Onkologen zu verstehen, hatten Bioinforma-                                         und den klinischen Partnern
           tikerinnen von Nexus in den vergangenen                                            ist aber noch lange nicht abge­
           zwei Jahren auch Einsitz im Tumorboard.                                            schlossen.
                Unterstützt von den Ergebnissen der                                           → www.nexus.ethz.ch
           Genomanalyse entscheiden die Ärzte, dass
           Frau A. mit einer neuartigen Krebsimmun-
           therapie behandelt wird. «Das Wissen um
           die hohe Zahl an Mutationen wies uns darauf
           hin, dass diese Therapie aller Voraussicht                Analysen würden dank der Forschritte im technischen
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           nach erfolgreich verlaufen wird. Da die ge-               Bereich immer unaufwändiger und kostengünstiger.
           wählte Therapieform sehr nebenwirkungs-                   Bald werde es möglich sein, allen Patienten vollständige
           reich ist, lieferte uns die Analyse mit Nexus             Genanalysen anzubieten, ist der Biostatistiker über-
           eine wichtige Bestätigung», sagt Dummer.                  zeugt. So will Nexus die Analysen in den nächsten Jahren
                Nicht bei allen Patienten werden die                 noch stärker automatisieren. Derzeit wählt die Moleku-
           molekularen Marker so umfassend be-                       larbiologin Irmisch beispielsweise von Hand aus einer
           stimmt wie bei Frau A. Standard in der Der-               langen Liste von möglichen Zusammenhängen, die durch
           matologischen Klinik ist heute, dass von al-              die Analyse von Nexus gesammelt wurden, die vielver-
           len Patienten mit metastasierendem Krebs                  sprechendsten aus. Dabei beachtet sie insbesondere, wel-
           einige bestimmte Tumor-Gene sequenziert                   che Mutationen schon früher klinisch beschrieben wor-
           werden, sofern Biop­    sien vorhanden sind.              den sind und bei welchen erfolgreiche Therapieversuche
          Ein an der Klinik entwickelter Gentest zur                 durchgeführt worden sind. «Dieser Ablauf könnte in
          kostengünstigen Sequenzierung von rund                     Zukunft durch geschicktes Auswerten existierender Da-
           200 krebsrelevanten Genen soll bald zur                   tenquellen weiter automatisiert werden, so dass sich die
           Verfügung stehen. Die komplette Analyse                   Handarbeit auf die Einschätzung der klinischen Rele-
           aller 20 000 Gene des menschlichen Genoms                 vanz durch die Ärzte beschränkt», sagt Toussaint. In den
           mit Nexus wird in einzelnen begründeten                   nächsten Jahren wird Nexus im Rahmen des Swiss Perso-
           Fällen eingesetzt. «Das ist sinnvoll bei spezi-           nalized Health Network (SPHN) mit anderen Gruppen
           fischen Fragestellungen, die nur mit den um-              des Swiss Institute of Bioinformatics eine nationale Da-
           fangreichen molekularen Daten beantwor-                   tenbank aufbauen, in der alle molekularen Krebsvarian-
           tet werden können», sagt Dummer. Dazu                     ten abgelegt werden sollen, die in Schweizer Spitälern
           gehören in seinem Gebiet seltene Melanom-                 vorkommen. Alle teilnehmenden Onkologen werden da-
           formen oder Fälle, in denen sich Standard-                rauf Zugriff haben.
           therapien als nicht wirksam zeigten.                             Der Entscheid, Frau A. mit einer Immuntherapie zu
                                                                        behandeln, liegt inzwischen über ein Jahr zurück. Sie
       MÖGLICHKEITEN AUSBAUEN                                           sprach auf die Therapie an, musste wegen Nebenwirkun-
       «Die Arbeit von Nexus ist der Weg in die                         gen der Therapie jedoch eine Medikamentenpause einle-
       Zukunft», sagt D ­ aniel Stekhoven, Head                         gen. Derzeit wird sie mit einer anderen Immuntherapie
       Clinical Bioinformatics bei Nexus. Solche
       ­                                                                behandelt, unter der die Krankheit stabil verläuft.

                                                             ETH GLOBE 1/2018

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FO K U S

         Proteinanalysen
         für personalisierte
         Medizin
                     Neues Wissen zu Proteinen ermöglicht Forschenden
                     die Entwicklung innovativer und klinisch nutzbarer
                     Techniken zum Wohle des Patienten.
                     TEXT Peter Rüegg

                                                                                                                                 23
                                                                     logies» (PHRT) ansetzen. Die Professorin für molekulare
                                                                     Systembiologie plant ein Projekt zur Entwicklung von
                                                                     Biomarkern für die Früherkennung und Klassifizierung
         Therapien, die sämtlichen Patienten, die an                 von Subtypen der Parkinson-Krankheit. Die zugrunde-
         derselben Krankheit leiden, gleich gut die-                 liegende Technologie stammt aus der Proteomik (siehe
         nen, gibt es bis heute nicht. Viele konventio-              Kasten). Denn das Proteom (die Gesamtheit aller Pro­
         nelle Therapien sind oft nur bei einem Teil                 teine) ist, anders als das Genom (die Gesamtheit aller
         der Betroffenen wirksam. Und manche Pa­                     Gene), dynamisch. Es ändert sich aufgrund von Reizen
         tienten sprechen zwar zuerst auf ein Medi-                  aus der Umwelt, Krankheiten oder Wirkstoffen laufend.
         kament an, erleiden später aber unerklär­                   «An spezifischen Proteinen lässt sich häufig ablesen, ob
         bare Rückfälle. Die «One size fits all»-Pille               ein Organismus gesund oder krank ist», sagt Picotti.
         bleibt bis heute eine Illusion.                             Die Grundlagen für ihr neues Projekt schuf die Forsche-
                 So etwa bei der Parkinson-Krank-                    rin vor wenigen Jahren. Sie entwickelte eine Protein-
         heit: Das Medikament Levodopa, das Ärzte                    messtechnik, um in beliebigen biologischen Proben
         dagegen einsetzen, schlägt bei einigen Pa­                  ­neben allen «normalen» Proteinen auch jene zu analysie-
         tienten gut an und unterdrückt das Zittern.                  ren, deren Struktur sich verändert hat. Dies ist eine
         Bei anderen hingegen verstärkt es den Ab-                    ­wichtige Voraussetzung, um Parkinson frühzeitig diag-
         bau kognitiver Funktionen des Gehirns und                     nostizieren zu können.
         verschlimmert damit den Zustand der Be-                           Bisher gingen die Forschenden davon aus, dass sich
         troffenen. Mit gängigen Diagnosemethoden                      bei an Parkinson Erkrankten sogenannte Amyloid-Pla-
         können Mediziner jedoch nicht im Voraus                       ques bilden, welche die Nervenzellen schädigen. Amyloi-
         erkennen, ob und wie Patienten auf verab-                   de entstehen aus Proteinen, deren Struktur sich verän-
         reichte Medikamente reagieren oder ob sie                   dert. Die entarteten Proteine stecken weitere an und
         eine alternative Therapie brauchen.                         verklumpen zu unauflöslichen Amyloiden. Picotti konn-
                                                                     te in ihrer Vorstudie in Proben von Parkinson-Patienten
            BIOMARKER FÜR PARKINSON                                  solche entarteten Proteine messen. Allerdings war ihre
            Hier will die Proteinforscherin Paola Picotti            Testgruppe damals zu klein, um statistisch relevant zu
            im Rahmen der ETH-Bereichsinitiative                       sein. Auf der Suche nach Biomarkern für die Früherken-
            «Personalized Health and Related Techno-                   nung und Diagnose von Parkinson wird Picotti nun

                                                            ETH GLOBE 1/2018

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