DISPUT - Der Mord an Karl und Rosa - Die Linke
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
DISPUT ISSN 0948–2407 | 67485 MITGLIEDER ZEITSCHRIF T DER PARTEI DIE LINKE JANUAR 2019 2 EURO Der Mord an Karl und Rosa Vor 100 Jahren starben die Köpfe der Revolution Grafik: Martin Heinlein
INHALT große Empörungswelle, die darauf- und Bundestagsfraktion der LIN- hin durch das Land ging. Auf Sei- KEN anlässlich der Tagung »Flucht te 28 präsentiert der Historiker Jörn und Migration«. Schütrumpf sein Buch zum Sparta- In einem Interview auf Seite 12 kusaufstand, in dem er belegt, dass erklärt die neue Leiterin des Be- die Kommunisten an der Planung reichs Politische Bildung, Sophie nicht federführend beteiligt waren. Dieckmann, warum die Seminare Aber wir schauen nicht nur zurück, an Bedeutung gewonnen haben. sondern auch nach vorn. Auf den Sei- Ich wünsche euch eine spannende ten 6 und 7 stellen sich die vom Bun- Lektüre, frohe Weihnachten und desausschuss der LINKEN vorge- einen guten Rutsch ins neue Jahr! schlagenen Spitzenkandidaten zur V or einhundert Jahren Europawahl, Özlem Alev Demirel und Thomas Lohmeier ist Leiter des wurden Rosa Luxem- Martin Schirdewan, den Fragen des Bereichs Medien, Öffentlichkeitsar- burg und Karl Lieb- DISPUTs. beit, Bürgerdialog in der Bundesge- knecht von der Re- Die jüngsten Zahlen zu häuslicher Ge- schäftsstelle der LINKEN in Berlin aktion ermordet. Ihr walt schreckten auch unsere Autorin Tod war ein großer Verlust für die Kersten Artus auf. In ihrem Beitrag deutsche Linke. Ab Seite 20 erin- »Keine mehr!« kritisiert sie auf den nern wir in einem Beitrag von Dr. Seiten 8 und 9 das Fehlen von Plät- DISPUT 01/2019 Ronald Friedmann, Mitglied der zen in Frauenhäusern. Historischen Kommission der LIN- In voller Länge dokumentieren wir ab KEN, an die dramatischen Um- Seite 16 zudem die gemeinsame Er- VOR-GELESEN VON stände der Ermordung und die klärung der Vorsitzenden von Partei THOMAS -GELESEN VORLOHMEIER VON ??? REGIONALKONFERENZEN DIESEL SK ANDAL Diskussionen über Europa 4 Warum die Linksfraktion den Abschlussbericht nicht mitträgt 15 EUROPAWAHLEN Die vorgeschlagenen GEMEINSAME ERKL ÄRUNG Spitzenkandidaten Partei- und Fraktionsspitze sind der LINKEN im Gespräch 6 sich einig 16 GE WALT GEGEN FR AUEN MIGR ATIONSKONFERENZ In Deutschland fehlen Sachliche Debatten in Berlin 19 Frauenhausplätze 8 100. JAHRESTAG FR AUENSTREIK Im Januar 1919 wurden Karl und Ein Plädoyer für mehr JEDEN MONAT Rosa ermordet 20 Widerstand 10 AUS DEM HAUS 5 PRES SEDIENST 24 CL AR A - ZE TKIN - PREIS P OLITISCHE BILDUNG DAS KLEINE BL ABL A 25 Die Bewerbungsfrist läuft 26 Warum die Wissensvermittlung FEUILLE TON 27 wichtiger wird 12 NEU IM KINO 29 GESCHICHTE KULTUR 30 Spartakusaufstand in neuem SCHWAR ZFAHREN JANUARKOLUMNE 31 Licht 29 Fachleute stützen Antrag der LINKEN 14 Foto: Martin Heinlein IMPRESSUM DISPUT ist die Mitgliederzeitschrift der Partei DIE LINKE, herausgegeben vom Parteivorstand, und erscheint einmal monatlich über Neue Zeitungsverwaltung GmbH, Weydingerstraße 14–16, 10178 Berlin VERÖFFENTLICHUNG gem. § 7A Berliner Pressegesetz Gesellschafter der NDZ GmbH Föderative Verlags-, Consulting- und Handelsgesell- schaft mbH – FEVAC –, Gesellschafter der FEVAC GmbH: Uwe Hobler, Diplom-Agraringenieur, Berlin (5,52 Prozent); Dr. Ruth Kampa, Diplomjuristin, Berlin (4,13 Prozent); Thomas Nord, Kulturwissenschaftler, Berlin (90,35 Prozent) REDAKTION Fabian Lambeck, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin, Telefon: 030 24009510, disput@die-linke.de GRAFIK UND LAYOUT Thomas Herbell DRUCK EVERSFRANK BERLIN GmbH | Ballinstraße 15 | Postfach 470355 | 12359 Berlin ABOSERVICE Neues Deutschland, Druckerei und Verlag GmbH, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, Telefon: (030) 29 78 18 00 ISSN 0948-2407 REDAKTIONSSCHLUSS HEFT 1: 10. Dezember 2018. DISPUT 2/2019 erscheint am 24. Januar 2019 2 DISPUT Januar 2019
FRAGEZEICHEN Maria, was ist für Dich links? Foto: privat Das Streben nach einer gerechteren Gesellschaft durch Realpolitik umzuset- zen. Durch das praktische Angehen der großen sozialen Frage unserer Zeit – bezahlbares Wohnen. Oder durch offene Migrationspolitik und durch ein kon- sequentes »Nein« zu Krieg und Waffenexporten. Links sein heißt auch immer, sich Faschisten und Rassisten in den Weg zu stellen. Was hat Dich in letzter Zeit am meisten überrascht? Die Einfälle unseres Gesundheitsministers. Seine Idee, dass alle Bürger Organspender sein sollen, es sei denn, sie wider- sprechen in ihrem Organspendeausweis, fand ich sogar radikal gut. Andere Vorschläge, wie die höheren Sozialabgaben für Kinderlose, halte ich für hoch- gradig absurd. Manchmal weiß man im konservativ-rechten Parteienspekt- rum nicht mehr, ob man es mit Satire oder tragischem Ernst zu tun hat. Was regt Dich auf? Die permanente Beschäftigung der GroKo mit sich selbst, täg- lich zu Hunderttausenden geschredderte Küken, die Verdrängung von Men- schen mit niedrigem Einkommen durch Gentrifizierung, die bloße Existenz der AfD und ihre Wahlergebnisse, das Wetter … Wovon träumst Du? Ich träu- me davon, dass meine Freunde, die in der Pflege arbeiten, angemessen bezahlt werden und einmal von ihrer Rente leben können. Davon, dass meine alleiner- ziehenden Freundinnen und ihre Kinder nicht mehr unter der Armutsgrenze leben müssen. Wovor hast Du Angst? Ich habe Angst davor, dass durch den Rechtsruck viele unserer freiheitlichen und demokratischen Errungenschaf- ten, wie etwa die Ehe für alle und Aspekte der Gleichberechtigung, rückgän- gig gemacht werden. Ich weiß nicht, ob ich in so einem Deutschland noch leben wollen würde. Wenn Du Parteivorsitzende wärst … würde ich darauf ach- ten, dass andere Parteien uns nicht die klassischen linken Themen wegneh- men. Auch auf dem Gebiet Netzpolitik könnten wir uns noch sicherer zeigen. Maria Bischof ist Mitglied im Bezirksvorstand der LINKEN in Friedrichshain-Kreuzberg. DISPUT fragt jeden Monat ein Mitglied unserer Partei nach dem vollen Ernst im richtigen Leben. DISPUT Januar 2019 3
REGIONALKONFERENZEN Europa anders machen Bei drei Regionalkonferenzen haben Mitglieder und Interessierte über die europapolitische Ausrichtung der LINKEN diskutiert. I n Mannheim, Berlin und Bielefeld für Europa. Die Rechte mobilisiert. Entwurf des Europawahlprogramms haben sich im Herbst mehr als Das neoliberale Lager präsentiert eingeflossen, das schließlich auf dem 300 Mitglieder und Interessierte sich als Gegenpol, will aber keinen Europaparteitag vom 22. – 24. Febru- im Vorfeld der Europawahlen Ende neuen Entwicklungspfad einschla- ar in Bonn verabschiedet wird. Mai 2019 über die europapolitische gen. Eine linke Alternative ist nötig. Neben den inhaltlichen Fragen ging Ausrichtung der LINKEN und den Was das konkret bedeutet, wurde an- es auch darum, wie ein guter Wahl- Entwurf des Europawahlprogramms geregt diskutiert. Nach der Debatte kampf gelingen kann. Wie schaf- ausgetauscht. Einige sind Gründungs- im Plenum besprachen die Teilneh- fen wir Dynamik, welche guten Er- mitglieder der LINKEN, andere erst menden jeweils in kleineren Run- fahrungen haben Teilnehmende be- seit Kurzem dabei. Manche sind von den einzelne Themen vertiefter: Zu reits gemacht, welche Methoden und weit her angereist, um mitdiskutie- Arbeit und Sozialem, Klima und Öko- Ideen könnten ausprobiert werden? ren zu können. Dazu gab es viel Ge- logie, Migration, Frieden, Demokra- Auch dazu sind in kleineren Arbeits- legenheit. Es ist eine Zeit der Rich- tie wurde ausführlich diskutiert. Er- gruppen viele Anregungen zusam- tungsentscheidungen für die EU und gebnisse und Anregungen sind in den mengekommen. Sarah Nagel Fotos: Martin Heinlein 4 DISPUT Januar 2019
AUS DEM HAUS W enn ihr diese Ausga- delsüberschüssen und Steuervermei- be des DISPUTs in der dungspraktiken profitieren: die Groß- Hand haltet, dann nä- konzerne. Unser Wahlkampf wird kein hert sich ein ereig- inhaltsarmer Wohlfühlwahlkampf wer- nisreiches Jahr sei- den, sondern kämpferisch sein: Für nem Ende. Wir haben viel gemacht und ein anderes solidarisches Europa, ge- viel erreicht: Wir haben mit zwei Kam- gen ein Europa der Rechten, der Rei- pagnen »Bezahlbare Miete statt fet- chen und Konzerne. Dafür brauchen ter Rendite« und »Menschen vor Profi- wir alle! te: Pflegenotstand stoppen« weiter an Zugleich droht uns in Deutschland den heißen Themen Wohnen und Pfle- durch die Stärke der AfD und die ge gearbeitet. Themen, um die wir uns JÖRG SCHINDLER Schwäche der Groko-Parteien ei- schon vor Jahren gekümmert haben, ne politische Zeitenwende: Ein mas- als sie für die Öffentlichkeit und ande- siver Rechtsruck, der sogar in einer re Parteien noch keine Bedeutung hat- Rechtsregierung gipfeln könnte. Füh- ten. Der Pflegenotstand war lange nur Dafür rende CDU-Politiker haben Koalitio- unter Pflegekräften, Gewerkschaften, nen mit der AfD nicht ausgeschlos- Fachleuten und eben in der LINKEN ein kämpfen sen. Es ist unsere Aufgabe, in Thürin- Thema. Wir haben einen Beitrag dazu wir! gen die Linksregierung gegen Rechts geleistet, dass jetzt die breite Öffent- zu verteidigen – »Bodo oder Barbarei« lichkeit darüber diskutiert und Bundes- brachten es die Genossen vor Ort auf gesundheitsminister Jens Spahn ge- den Punkt. Auch in Brandenburg steht zwungen ist, endlich etwas gegen den eine Regierung mit linker Beteiligung Pflegenotstand zu unternehmen. Das also für dieses andere Europa kämp- zur Wahl, und in Sachsen treten wir zeigt: politischer Druck wirkt. Gemein- fen, bedeutet das zweierlei: Erstens – gegen die stärkste AfD und die rech- sam können wir etwas erreichen. Auch, die EU ist eines der wichtigsten Felder teste CDU Deutschlands an. wenn das bisher Erkämpfte vorne und der politischen Auseinandersetzung, Doch bevor es mit den Wahlkämp- hinten noch nicht reicht. und zwar ohne Wenn und Aber. Zwei- fen im kommenden Jahr richtig los- Unsere Genossinnen und Genossen tens – wir kämpfen für andere Priori- geht, wird erstmal gefeiert: Natürlich in Hessen und Bayern haben bei den täten in der EU: Frieden, Demokratie zunächst Weihnachten und Silvester. Landtagswahlen Großartiges geleistet. und sozialen Fortschritt. Das unter- Aber ich meine vor allem unseren po- Sie haben Achtungserfolge erzielt. Da- scheidet uns von allen anderen Partei- litischen Jahresauftakt im Januar, der rauf wollen wir aufbauen: in Bayern mit en, selbstverständlich von Merkels Po- direkt vor dem stillen Gedenken an unserer Vertretung in allen bayerischen litik des »Totsparens« Griechenlands Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Bezirkstagen und einer breiteren kom- und der egoistischen Exportüber- deren Ermordung dann hundert Jahre munalpolitischen Präsenz 2020. Und in schüsse, die in anderen Staaten nur her sein wird, stattfindet. Hessen mit einer gestärkten Fraktion Arbeitslosigkeit und Schulden produ- im Landtag. Das Superwahljahr 2019 ziert. Das unterscheidet uns natürlich steht vor der Tür mit der Europawahl, von der rassistischen Politik der AfD Jörg Schindler ist Bundesgeschäfts- vier Landtags- und neun Kommunal- und auch der CSU. Aber das unter- führer der LINKEN wahlen. Die Vorbereitungen für die Eu- scheidet uns auch von der Politik der ropawahl laufen auf Hochtouren. Un- Grünen und der SPD. Zwei Beispiele: ser Wahlprogramm wird in den Kreis- So befürworten die Grünen den Auf- Fotos: Mark Mühlhaus/attenzione, verbänden diskutiert. Und wir haben bau einer EU-Armee und freuen sich DIE LINKE unser nominiertes Spitzen-Duo Özlem dabei über die Sparpotentiale beim Alev Demirel und Martin Schirdewan gemeinsamen Waffenkauf, weil es we- der Öffentlichkeit vorgestellt. Ich finde: niger unterschiedliche Panzer-, Sturm- Sie präsentieren unser anderes Europa gewehr- oder Kriegsschiffmodelle gä- – ein solidarisches Europa, ein Euro- be. Und die Sozialdemokratie ist nicht pa der Menschenrechte. Dafür kämp- bereit, eine echte europäische Säu- fen wir! le für eine Absicherung bei Arbeitslo- Dieses Europa soll ein anderes Euro- sigkeit zu schaffen, die diejenigen zur pa sein, als das bestehende. Wenn wir Kasse bittet, die von den Außenhan- DISPUT Januar 2019
EUROPAWAHL »Probleme aufzeigen, Lösungen Foto: Martin Heinlein präsentieren« Der Bundesausschuss wählte MARTIN SCHIRDEWAN und ÖZLEM ALEV DEMIREL auf die ersten beiden Plätze der Vorschlagsliste zur Europawahl. DISPUT traf beide zum Gespräch. Özlem und Martin, Ihr seid die der Förderung von Privatisierungen bel bewegen, um die daraus resultie- vorgeschlagenen Spitzenkan- und Liberalisierungen durch die EU. rende Spirale der Militarisierung zu didaten der LINKEN im Europa- Martin: Wir setzen uns für einen stoppen. wahlkampf. Mit welchen The- europaweiten Mindestlohn ein, der Wo seht Ihr eure Arbeits- men wollt Ihr bei den Wählerin- ein Leben in Würde garantiert, na- schwerpunkte in Brüssel? nen und Wählern punkten? türlich gemessen an den Einkom- Özlem: Als Gewerkschafterin wird Özlem: Wir stehen gleichermaßen mensniveaus der Mitgliedsstaaten. es mir darum gehen, dass die The- gegen die autoritären Rechten wie DIE LINKE ist die einzige Partei in men Arbeit und Soziales in das Zent- auch gegen die neoliberale Politik, Deutschland, die sich konsequent rum der politischen Auseinanderset- die in den europäischen Institutio- gegen die Militarisierung der Euro- zungen gestellt werden und gemein- nen dominiert. Die Folge dieser Po- päischen Union einsetzt. Neben ei- sam mit unseren Bündnispartnern litik ist, dass die Schere zwischen ner europäischen Armee, die derzeit auch öffentlich diskutiert werden. Arm und Reich immer weiter ausei- von Merkel und Macron gefordert Gleichzeitig ist es angesichts der zu- nanderklafft. Wir wollen endlich so- wird, plant die europäische Kommis- nehmenden Militarisierung der EU ziale Sicherheit für Menschen und sion einen neuen europäischen Mi- eine wichtige Aufgabe einer linken Schluss machen mit der Austeritäts- litärfonds und verstößt damit, unse- Partei, sich für antimilitaristische politik. Es muss soziale Mindeststan- rer Ansicht nach, gegen geltendes Politik einzusetzen. dards geben, die auch durchgesetzt europäisches Recht. DIE LINKE wird Martin: Ich bin zurzeit Mitglied im werden. Es muss Schluss sein mit alle juristischen und politischen He- Ausschuss für Wirtschaft und Wäh- 6 DISPUT Januar 2019
Ich habe immer auf darauf geachtet, dass die Interessen derjenigen Menschen, die in unserem System ausgebeutet und marginalisiert werden, im Mittelpunkt stehen. rung. Neben wichtigen steuerpoliti- eine wichtige Rolle. Sobald die Herr- die komplette Autoflotte. Kosten in schen Fragen, wie etwa der Einfüh- schenden registrieren: Da haben wir Höhe von 150 Millionen Euro jähr- rung einer Digitalsteuer, geht es in etwas gemacht, was unseren Wähle- lich werden dadurch verschwendet. diesem Ausschuss um die zukünfti- rinnen und Wählern gar nicht passt, Darüber hinaus sehe ich die Proble- ge Politik in der Eurozone und der rudern sie zurück und ändern ihre me tiefer: Ob ich mir auf Lesbos in EU. Zusätzlich bin ich Koordinator Politik. Griechenland einen Einblick über des Sonderausschusses für Finanz- Özlem, Du warst Landtagsab- die Situation von Geflüchteten ge- kriminalität. Hier geht es um den geordnete in Nordrhein-West- macht habe, ob ich auf Einladung Kampf gegen Geldwäsche, Betrug, falen und Bundesvorsitzen- der Genossinnen und Genossen im Steuerhinterziehung und Steuerver- de der Föderation Demokrati- Valle de los Caidos in Spanien auf meidung, also um den Einsatz für scher Arbeiterverein (DIDF). hunderte von Nazis treffe, weil ich Gerechtigkeit. Was nimmst Du von Deinen Er- mich dort mit einer spanischen De- Probleme gibt es also zur Ge- fahrungen mit nach Brüssel? legation des Europaparlamentes nüge, doch linke Mehrheiten Ich habe in verschiedenen Orga- für die Abschaffung der rechten auf europäischer Ebene sind nisationen immer auf darauf ge- Pilgerstätte eingesetzt habe, ob an in weiter Ferne. Was kann eine achtet, dass die Interessen derjeni- der Seite von französischen Fern- Linksfraktion im Parlament be- gen Menschen, die in unserem Sys- fahrern oder den Kolleginnen und wirken? tem ausgebeutet und marginalisiert Kollegen von Siemens in Erfurt, es Özlem: Zur Wahrheit gehört auch, werden, im Mittelpunkt stehen. Sie gibt sehr viel zu tun, und sowohl dass das Europaparlament ein eher müssen zusammengebracht wer- Deutschland als auch Europa ha- schwaches Parlament ist. Viele Men- den und sich ihrer Macht bewusst ben eine starke DIE LINKE im Par- schen bekommen auch gar nicht werden. Das galt bei der Durchset- lament verdient. mit, was dort alles verhandelt, dis- zung einer neuen Gesamtschule als kutiert oder beschlossen wird. Un- Kommunalpolitikerin in Köln, das sere Aufgabe ist zunächst einmal, galt bei der Abschaffung der Stu- Aufklärungsarbeit zu betreiben. Wir diengebühren in NRW, an der wir Die Vorschlagliste müssen deutlich machen, was die als Landtagsfraktion einen wesent- Politik der EU für die Menschen in lichen Anteil hatten, und das galt, Der Bundesausschuss hat auf Städten wie Gelsenkirchen und Ge- als wir als DIDF für die gleichen seiner Sitzung am 17. Novem- ra bedeutet. Gleichzeitig müssen wir Rechte für Migrantinnen und Mig- ber 2018 Özlem Alev Demirel auch dafür sorgen, dass von diesen ranten gekämpft haben. Dies wird aus Nordrhein-Westfalen und Menschen auch Druck auf die eu- im EU-Parlament sicher nicht ganz Martin Schirdewan aus Berlin ropäischen Institutionen aufgebaut einfach, aber es wird meine Hand- als Spitzen-Duo für die Europa- wird, damit ihre Interessen über- lungsmaxime sein. wahl nominiert. Der Europaab- haupt wahrgenommen werden. In Martin, Du hast als wissen- geordnete Schirdewan soll auf Brüssel laufen sehr viele Lobbyisten schaftlicher Mitarbeiter im Platz 1 kandidieren. Die Politik- herum, aber die normale Verkäufe- Bundestag gearbeitet und bist wissenschaftlerin Demirel auf rin aus Dortmund kommt dort nicht seit 2015 in Brüssel. Erst als Platz 2. Insgesamt wurden 14 vor. Deshalb ist es unsere Aufgabe, Büroleiter der Rosa-Luxem- Listenplätze vergeben: auch deren Interessen im EU-Parla- burg-Stiftung, nun als Europa- 3. Cornelia Ernst ment zu vertreten. abgeordneter. Was unterschei- 4. Helmut Scholz Martin: Wir müssen die Probleme det die Arbeit im Bundestag 5. Martina Michels aufzeigen und unsere Lösungen prä- von der im Europaparlament? 6. Ali Al-Dailami sentieren. Eine Öffentlichkeit schaf- Im Gegensatz zum Bundestag hat 7. Claudia Haydt fen, worüber wir eine Mehrheit ge- man im Europäischen Parlament 8. Malte Fiedler winnen für gerechte Veränderun- nur alle zwei Monate sogenann- 9. Judith Benda gen. So können auch kleine Fraktio- te grüne Wochen, d.h. eine Woche, 10. Jens Neumann nen viel erreichen, wie wir auch mit in der man seinen Wahlkreis besu- 11. Susanne Steffgen dem Beschluss zur Digitalsteuer zei- chen kann. Einmal im Monat gibt 12. Hannes Nehls gen konnten. Aber natürlich ist es man sich dem finanziellen und öko- 13. Johanna Scheringer-Wright einfacher, Dinge aus einer Position logischen Wahnsinn hin, das Parla- 14. David Schwarzendahl der Stärke durchzusetzen. Mehrhei- ment von Brüssel nach Straßburg ten spielen nicht nur im Parlament zu verlegen: Züge, Sattelschlepper, DISPUT Januar 2019 7
GE WALT GEGEN FR AUEN Keine mehr! In der Bundesrepublik fehlen Tausende Plätze in Frauenhäusern – ein mitunter tödlicher Mangel, wie Studien belegen VON KERSTEN ARTUS D ie diamantene Hochzeit ist paart sein dürfte: An beinahe jedem ein Jubiläum, das zu Recht ein Tag stirbt eine Frau durch die Hand Grund zum Feiern ist. 60 Jah- ihres Partners oder Ex-Partners. 40 re Ehe – das erreichen nur 0,1 Pro- Prozent aller Frauen erfahren seit ih- zent aller Paare. Welches die Geheim- rem 16. Lebensjahr körperliche und / nisse einer glücklichen Ehe sind, fra- oder sexuelle Gewalt, 25 Prozent der gen sich dennoch viele: Wie schafft in Deutschland lebenden Frauen er- man das bloß? Eine 56-Jährige Köl- leben Gewalt durch gegenwärtige nerin stellt sich derzeit wahrschein- oder aktuelle Beziehungspartner. So lich eine ganz andere Frage: Warum ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, hatten sich meine Eltern nicht schon dass sich auch unter Politikerinnen längst getrennt? Denn dann würde ih- und Politikern sowie Journalistinnen re Mutter noch leben. Laut Mordan- und Journalisten Täter befinden. Und klage wollte die 88-jährige ihren ein Trauriger Alltag: Immer wieder werden möglicherweise auch (schweigende) Jahr älteren Mann nach fast 60 Jah- Frauen von ihren Partnern so schwer Opfer. ren wegen eines anderen verlassen. misshandelt, dass sie im Krankenhaus Man fragt sich dennoch in Anbe- Da brachte er sie um. Die Tatwerkzeu- landen Foto: Pixabay tracht dieser Zahlen, warum es im- ge: Hammer und Küchenmesser. Sie mer noch zu wenige Plätze in Frau- verblutete. Der Fall ist keine Einzel- enhäusern gibt. Frauenhäuser kön- tat und schon gar keine Ausnahme. ner durch ihre Partnerinnen? Gewalt nen nämlich nicht nur Gewalt ver- Er ist – trotz des hohen Alters von ist die größte Gesundheitsgefähr- hindern, sie retten oft Leben. Sie Opfer und Täter – typisch. Das er- dung für Frauen. Männer verhalten ermöglichen Betroffenen – Frauen gibt sich aus dem Gutachten über Ge- sich hingegen gesundheitsgefährden- wie Kindern – die Chance auf einen walt in Paarbeziehungen von Monika der und risikoreicher – etwa durch Neuanfang, einen Ausweg aus der oft Schröttle aus dem Jahr 2017. Sie stellt ihren Alkohol- und Drogenkonsum, jahrelangen Gewaltspirale und eine gleich eingangs fest: Auch in westli- Suizide oder gefährliche Arbeitsplät- Rückkehr in ein normales Leben. chen Demokratien gibt es ein sehr ze. Wer demnach Gewalt gegen Frau- Aber es gibt zu wenige davon: hohes Ausmaß von Gewalt gegen en mit der Gewalt gegen Männer ver- Der Europarat empfahl den Ländern Frauen, welche insbesondere durch gleicht, relativiert die Ausmaße für 2006, einen Frauenhausplatz je 7.500 männliche Partner und Ex-Partner die weiblichen Opfer, und erschwert Einwohner zur Verfügung zu stellen. verübt wird. Sie sei Ausdruck fort- letztlich auch von Gewalt betroffenen 2012 lag der Maßstab in Deutschland bestehender Ungleichheiten und Hi- Männern, sich Unterstützung zu ho- aber nur bei 1:12.000; fünf Jahre spä- erarchien im Geschlechterverhältnis len. ter sogar nur noch bei 1:12.500. Es ist und ein maßgeblicher Hinderungs- daher unzureichend, dass es jetzt in grund für die volle Gleichstellung der Hamburg und Köln weitere Frauen- Geschlechter auf allen gesellschaftli- Verharmlosen und häuser geben wird. Vielmehr müsste chen Ebenen. Ökonomische, kultu- verleugnen grundlegend investiert werden: 500 relle und soziale Ungleichheiten zwi- Millionen Euro wären nötig, um ge- schen den Geschlechtern trügen zur Doch ist der Drang zu unsachlichen nügend Frauenhausplätze zur Ver- Aufrechterhaltung ungleicher Macht- Vergleichen, Vereinfachungen bis fügung zu stellen. Die Finanzierung verhältnisse zwischen Frauen und hin zur totalen Verleugnung oder von Frauenhäusern gehört zudem Männern bei. Schuldumkehr unverändert groß: verstetigt. Manche Frauen müssen Schröttle macht keinen Unter- Auf allen Ebenen finden Relativie- für den Verbleib im Frauenhaus so- schied, wie alt Täter und Opfer sind, rungen und Beschönigungen von Ge- gar selbst zahlen. Beziehen sie Leis- welcher Nationalität sie angehören walt an Frauen statt. Entweder wird tungen nach dem SGB, werden die- und welchen Bildungsgrad sie ha- sie auf bestimmte Tätergruppen re- se in einigen Bundesländern immer ben. Gewalt gegen Frauen, insbeson- duziert oder mit Begriffen wie »Fami- noch angerechnet. dere in Paarbeziehungen, gibt es in lientragödie« oder »erweitertem Sui- Mangelfinanzierung, Verharmlo- allen Milieus, Ethnien, Generationen. zid« umschrieben. Auch wenn Fach- sen und Verleugnen bilden ein fatales Ebenso ist sie eindeutig geschlechts- kreise und Feministinnen konstant Trio. Das trägt auch dazu bei, dass die spezifisch. Und so wirkt es auch eher dagegen halten. Es ist wohl eher ei- wirkliche Ursache hinter den mittler- hilflos, wenn stereotyp gefragt wird: ne interessengeleitete Debatte, die zu- weile schon fast katalogartigen Emp- Und was ist mit Gewalt gegen Män- dem oft mit eigenen Erfahrungen ge- fehlungen und Forderungen von inter- 8 DISPUT Januar 2019
nationalen Gremien und Institutionen Es darf keine Toleranz geben. Die wie Europarat oder WHO, von Fach- Initiative #keinemehr thematisiert kreisen aus Justiz und Forschung wie daher zu Recht seit einigen Jahren auch von LINKEN, Grünen und vielen den Femizid als Verbrechen gegen Feministinnen unerkannt bleibt: Män- die Menschlichkeit. Aber nur, wer GEWALT IST MÄNNLICH ner können es nämlich nach wie vor sich der Hauptursache von Gewalt nicht ertragen, Macht und Kontrolle gegen Frauen bewusst ist und zum über ihre Partnerin zu verlieren. Agie- Leitprinzip des Handelns macht, ren also bei Trennungsgefahr nach stellt auch die erforderlichen Mittel Opfer von Partnerschaftsge- dem Motto: Lieber tot – als getrennt bereit, um effektiv zu helfen. walt sind zu über 82 Prozent weiterlebend. Obwohl ihnen dann in Frauen. Fast die Hälfte von ih- der Regel Kurzschlusshandlung oder Kersten Artus ist Mitarbeiterin von nen hat in einem gemeinsamen Affekt unterstellt wird, was unter an- Cornelia Möhring, der frauen- Haushalt mit dem Tatverdäch- derem mit unserem Strafrechtsystem politischen Sprecherin der Bundes- tigen gelebt. Das zeigt die ak- zu tun hat: Bei einer Verurteilung auf- tagsfraktion DIE LINKE tuelle Polizeiliche Kriminalsta- grund von Mord nach § 211 StGB müs- tistik (PKS). Demnach wurden sen dem Täter Heimtücke und niedere 2017 insgesamt 138.893 Per- Beweggründe nachgewiesen werden. sonen erfasst, die Opfer von Partnerschaftsgewalt wurden. Knapp 113.965 Opfer wa- Notwendig und ren weiblich. Bei Vergewalti- überfällig gung und sexueller Nötigung in Partnerschaften sind die Opfer Dass sich aber vor allem die Herr- zu fast 100 Prozent weib- schaftsstruktur dieser Gesellschaft lich, bei Stalking und Bedro- auf Männermacht gegenüber Frauen hung in der Partnerschaft sind und deren massive körperliche At- es fast 90 Prozent. Die PKS er- tacken erklären, wollen dann viele fasste folgende versuchte oder doch nicht wahrhaben. Es ist aber tat- vollendete Delikte gegen Frau- sächlich der Hintergrund, wenn Frau- en: Vorsätzliche, einfache en durch die Hand ihrer Männer ster- Körperverletzung: knapp ben oder gesundheitlich lebenslang 69.000; Bedrohung: über beeinträchtigt sind. 16.700; Gefährliche Körper- Eine ausreichende Finanzierung verletzung: rund 11.800 und angemessener Ausbau der nach- Bedrohung, Stalking, Nö- gewiesenermaßen wirksamen Schutz- tigung: knapp 29.000; Frei- einrichtungen ist überfällig. Seit Jah- heitsberaubung: über 1.500 ren stemmen sich aber alle Landesre- Mord und Totschlag: 364 gierungen und auch die Bundesregie- Quelle: BMFSFJ rung dagegen, auch wenn jedes Jahr am 25. November, dem internationa- len Tag gegen Gewalt, gute und rich- tige Worte sowie Ankündigungen von Maßnahmen von Ministerinnen und Ministern ausgesprochen werden. Mit 500 Millionen Euro ließen sich die derzeit fehlenden 4.250 Frauen- hausbetten bzw. 3.180 Frauenhaus- zimmer finanzieren. Es ist in Anbe- Grafik: Pixabay tracht der Ausmaße von lebensbe- drohlichen Situationen, in die Frau- en alltäglich geraten, notwendig und längst überfällig. DISPUT Januar 2019 9
FEMINISMUS Der 8. März ist Frauenkampf- tag. 2019 wird es an diesem Tag einen bundesweiten Frauenstreik geben VON KATHARINA KIRCHHOFF UND BIANCA THEIS V ielen Frauen* reicht es nicht mehr, nur auf die Straße zu ge- hen und Gleichberechtigung einzufordern. Dass in Deutschland bis heute keine Geschlechtergerech- Foto: Christian Mang tigkeit erreicht wurde, liegt auf der Hand. Gerade auf dem Arbeitsmarkt ist die Diskriminierung besonders deutlich. Frauen* verdienen bundes- weit durchschnittlich 22 Prozent we- niger als Männer. Dazu kommt, dass der deutsche Arbeitsmarkt stark se- gregiert ist. Er ist klar zwischen Ge- schlechtern aufgeteilt und macht Neben der geringer entlohnten gab es weltweit 177 Demonstrationen. auch monetär einen Unterschied zwi- Arbeit, kommt die gar nicht entlohn- Feministische Bewegungen wie »Ni schen Frauen*- und Männerarbeit. te Sorgearbeit. Dazu zählen unter una menos« wurden in die ganze Welt Die Arbeit von Frauen* ist bei glei- anderem reproduktive Tätigkeiten, hinausgetragen. Dabei fiel 2018 beson- cher Qualifizierung durchschnittlich wie Kindererziehung und Haushalt. ders der spanische Frauen*streik auf. fünf Prozent weniger wert, als die Trotz steigender Frauenerwerbsquo- Am 8. März kam es in Spanien zu ei- von Männern. Diese strukturelle Dis- te wird diese Arbeit immer noch nem Generalstreik, an dem sich über kriminierung weiblicher Arbeitskraft hauptsächlich von Frauen* geleis- fünf Millionen Menschen beteiligten. zieht andere sozioökonomische Fak- tet, ohne Entlohnung und deshalb Dieser Streik legte viele Bereiche des toren nach sich. Frauen* sind einem meist unsichtbar. öffentlichen Lebens lahm und war da- höheren Armutsrisiko ausgesetzt, vor rum deutlich für »jederMann« zu spü- allem mit Kindern und im höheren ren. Mit Mut und einer beispielhaften Alter. Sie arbeiten oft in sozial konno- Kreativ streiken aktivistischen Infrastruktur konnte ei- tierten Tätigkeitsbereichen, wie der ne breite Masse für den Streik mobili- Sozial- und Pflegearbeit. Der geringe- Aus diesem Grund ist der Kampf um siert werden, nicht zuletzt, da die Fe- re Verdienst in Frauen*berufen geht Geschlechtergerechtigkeit auch ein ministinnen auch große Gewerkschaf- auf die Zuschreibung von Frauen* in Kampf um das Sichtbarmachen von ten für ihren Aufruf gewinnen konn- der häuslichen Sphäre zurück. Die jener Arbeit, die nicht zur Lohnarbeit ten. Arbeit wird als erweiterte Hausarbeit zählt. »Die Arbeit, die Frauen im Haus- In Deutschland ist die Situation angesehen, die unentgeltlich statt- halt leisten, nicht zu sehen, bedeutet anders. Deutsche feministische Bünd- findet. Tatsächlich stehen Frauen* blind zu sein für die Arbeit und die nisse haben kaum Erfahrungen mit aber an zentralen Stellen im Produk- Kämpfe der überwiegenden Mehrheit Streiks, zudem lassen sich die Ge- tionsprozess. Die meisten arbeiten der Bevölkerung, die nicht entlohnt werkschaften nur schwer überzeugen, im Dienstleistungssektor, der stetig wird«, so die Feministin Silvia Federi- da er als politischer Streik nicht im wächst und mittlerweile 70 Prozent ci. Die Frage des Wertes von Frauen- deutschen Streikrecht verankert ist. der Bruttowertschöpfung ausmacht. arbeit ist auch immer eine Frage von Aus diesem Grund gilt es, Druck auf Diese Ungleichheit der Geschlechter Machtverhältnissen und muss somit die Gewerkschaften zu machen. Eine auf dem Arbeitsmarkt ist tief in der auf politischer Ebene gestellt werden. erweiterte Sichtweise auf Streiks ist Gesellschaft verankert. Es ist ein Per- Der Kampf für Geschlechtergerech- dringend notwendig. Denn die Forde- spektivwechsel auf weibliche Arbeit tigkeit ist längst ein internationaler rungen des Frauen*streiks betreffen nötig. Kampf geworden. Am 8. März 2018 nicht nur einzelne Arbeitgeber, son- 10 DISPUT Januar 2019
einen Effekt haben«, so Alex. Wichtig ist, dass nicht nur Frauen* in Lohn- arbeit sich beteiligen, sondern auch jene, die unbezahlte Hausarbeit leis- Räder ten. Dazu hat das Frauen*bündnis auch viele kreative Anreize, wie Alex beschreibt: »Es ist natürlich schwie- riger, in der Pflege oder Hausarbeit zu streiken. Kinder oder Pflegebe- stehen dürftige können nicht einfach bei- seitegelegt werden. Man kann aber zum Beispiel Tücher aus dem Fenster hängen, um seine Zustimmung zu si- still ... gnalisieren, oder eine Nachbarinnen- versammlung einberufen. Auf unse- rer Website gibt es auch Lohnzettel für Hausarbeit. Dann gibt es natür- lich noch die Demos zum Frauen*- kampftag, wo alle herzlich willkom- men sind«. Der Frauen*streik ist si- cherlich ein Prozess, der in Deutsch- land noch ganz am Anfang steht. dern das gesamte Feld der Arbeit. Die rungen sichtbar zu machen und das Alex aber ist zuversichtlich: »Ich ha- gesellschaftliche Entgeldlücke, zum nicht trotz, sondern wegen aller Un- be wirklich das Gefühl, wir sind gra- Beispiel, ist eine Abwertung ganzer terschiede. de am Anfang der dritten Welle der Arbeitsbereiche. Darum ist ein politi- Frauen*bewegung.« scher und kreativer Streik notwendig – auf allen Ebenen. Alex Wischnew- Lohnzettel für Katharina Kirchhoff und Bianca ski, eine der Organisatorinnen des Hausarbeit Theis arbeiten im Bereich Medien, Frauenstreiks, ist sich sicher: »Wir Öffentlichkeitsarbeit, Bürgerdialog in könnten das auch, wenn wir uns ein- Zum Beispiel ist die meist von Frau- der Bundesgeschäftsstelle der fach trauen würden. Hier können wir en* geleistete Reproduktionsarbeit LINKEN noch viel von anderen Ländern ler- eng mit weiblicher Arbeitsmigration nen«. Gute Vernetzung ist daher der verbunden. Die Erhöhung der Frau- Die Autor*innen verwenden das *, um erste wichtige Schritt hin zu einem er- enerwerbsquote in den Industrielän- alle Geschlechtsidentitäten abzubilden folgreichen Frauen*streik.« dern, lässt die Beschäftigten meist mi- und orientieren sich damit am aktuel- Auf den Vernetzungstreffen des grantischer Arbeiterinnen im Sorgebe- len Feminismusdiskurs. Frauen*streiks wird deutlich, dass reich steigen. Der Frauen*streik soll der Kampf um Frauen*rechte in auch den sich durch Migration ver- Deutschland längst auf globalem Ter- ändernden Arbeitsmarkt in den Blick rain angekommen ist. In Göttingen tra- nehmen und Frauen* den Raum ge- Info fen im November Organisator*innen ben, auf ihre eigene Situation auf- des deutschen und des spanischen merksam zu machen und sich zu ver- Weitere Informationen zum Frau- Frauen*streiks aufeinander. Auch netzen. Darum ist die Organisation enstreik, wie den Aufruf und Frauen* aus der kurdischen Befrei- auch dezentral angelegt und zielt auf Downloadmaterial findest Du ungsbewegung sowie selbstorgani- viele verschiedene Aktionsformen ab. auf frauenstreik.org. Aktiv wer- sierte Sexarbeiterinnen aus Thai- Der Frauen*streik soll zum Bei- den kannst Du entweder in be- land, Frauen* aus Afghanistan, Sy- spiel auch Personen erreichen, die es stehenden Ortsgruppen, oder rien, von der Elfenbeinküste und sich nicht leisten können, einen gan- Du gründest einfach selber eine. aus dem Iran kamen mit linken zen Tag ausfallen zu lassen. »Auch Dafür schreibst Du eine Mail an: Gewerkschafter*innen zusammen. kleine Aktionen, wie das Einberu- frauenstreik@gmail.com. Es ging vor allem darum, die unter- fen einer Betriebsversammlung oder schiedlichen Positionen und Forde- kämpferische Mittagspausen können DISPUT Januar 2019 11
WAS UND WIE WAS »Der Bedarf ist groß« UND SOPHIE DIECKMANN vom Bereich Politische Bildung über die gestiegene Bedeutung von Seminaren und neue Herausforderungen WIE Sophie, Du wirst ab Januar einen weil gerade die Europawahl Woran liegt das? den Bereich Politische Bildung ansteht und wir mit unseren Wahl- Vor allem daran, dass eine Generati- leiten. Dein Bereich soll, so kampf-Seminaren viele Landesver- on von kritischen Wissenschaftler*- hat es der Parteivorstand be- bände unterstützen. Zum anderen innen, die mit und nach 1968 an die schlossen, »die Voraussetzun- haben wir in den letzten Jahren un- Hochschulen gelangt ist, in Rente gen schaffen, dass sich mög- glaublich viele Neumitglieder ge- gegangen oder bereits verstorben lichst viele Mitglieder an der wonnen, von denen viele unter 30 ist. Zudem haben die Bologna-Refor- Weiterentwicklung unserer Al- sind. Diese jungen Leute erhoffen men die Lehrpläne extrem verdich- ternativen beteiligen und qua- sich, dass wir ihnen Antworten auf tet. Da bleibt kaum noch Zeit für lifiziert in politische Debat- die großen gesellschaftlichen Fra- selbstorganisierte Marx-Seminare ten eingreifen können«. Klingt gen liefern. Bei vielen der jünge- oder die Beteiligung an Studenten- nach großer Verantwortung ... ren Leute beobachten wird, dass streiks. Außerdem kommen viele Ja, aber wir sind hier im Bereich linke Selbstverständlichkeiten kei- Menschen in die Partei, die kein ein hoch motiviertes Team. Des- ne Selbstverständlichkeiten mehr Studium absolviert oder keine Zeit halb freue mich auf die neue Auf- sind. Dass man etwa »Das Kapital« fürs Selbststudium haben. Auch hier gabe. Ich glaube, dass wir als Par- gelesen hat oder durch einen kri- gibt es Bedarf an Seminaren – etwa tei gerade in einer Situation sind, in tischen Professor an der Universi- über die Geschichte der Arbeiter*- der es politische Bildung besonders tät an linkes Denken herangeführt innenbewegung oder marxisitische braucht. Der Bedarf ist groß. Zum wurde. Theoretiker*innen. 12 DISPUT Januar 2019
Ich glaube, dass wir als Partei gerade in einer Situation sind, in der es politische Bildung besonders braucht. Das heißt, wer eines Eurer Se- kutiert. Aber bei uns wird tatsäch- minare besucht, muss vor allen lich in solidarischer Atmosphäre Dingen büffeln? über die Sache gestritten. Die meis- Es geht uns nicht nur um reine Wis- ten Teilnehmer*innen fahren da- sensvermittlung. Es geht auch dar- nach mit einem guten Gefühl nach um, wie wir eine Parteikultur schaf- Hause. Ein Seminar kann so auch fen können, in der wir aufeinander die Atmosphäre im Kreisverband zugehen und Verständnis für die Po- verbessern. sitionen der anderen entwickeln. Ge- Wo kann ich mich als Partei- rade in so einer pluralen Partei wie mitglied über Eure Angebote der LINKEN ist die Bildungsarbeit ein Ort, an dem eine gewisse Partei- informieren? Auf unserer Webseite findet man Wir brauchen kultur von Solidarität und Akzep- viele Informationen – etwa zu unse- Deine tanz anderer Standpunkte gelernt rer Frühlingsakademie, vom 30. Mai werden kann. bis zum 2. Juni im EJB am Werbel- Unterstützung Das sind ja dann offenbar sehr linsee. Das Thema diesmal: »Krasse harmonische Veranstaltun- Zeiten – Wie linke Mehrheiten orga- DIE LINKE ist die einzige der gen ... nisieren?«. Gedacht für alle, die sich im Bundestag vertretenen Par- Es wird schon auch energisch dis- die Verhältnisse nicht bieten lassen teien, die keine Großspenden wollen. Wir wollen vier Tage lang von Konzernen, Banken, Versi- miteinander diskutieren, lernen, cherungen und Lobbyisten er- analysieren – und wenn die Köpfe hält. Unsere wichtigste Ein- rauchen, eine Runde in den Werbel- nahmequelle sind unsere Mit- linsee springen. gliedsbeiträge. Das macht uns Können sich die Genossinnen unabhängig vom Einfluss Drit- und Genossen auch direkt an ter. Wir sind nicht käuflich. Für Euren Bereich in der Bundesge- Spenden von Genossinnen und schäftsstelle wenden? Genossen, Sympathisantin- Ja, wir haben immer ein offenes Ohr nen und Sympathisanten sind für euch und kommen sehr gerne, wir aber dankbar. Durch diese wenn ihr uns ruft. Allerdings kön- Spenden ist es möglich, Pro- nen wir nicht garantieren, dass das jekte und Kampagnen zu finan- immer sofort geschieht. Schließ- zieren, die wir uns sonst nicht Die Berlinerin lich hat DIE LINKE 350 Kreisver- oder nicht in diesem Maße leis- Sophie Dieckmann bände und wir sind hier im Bereich ten könnten. wird ab Januar nur zu viert. Jeder Kreisverband Das Spendenkonto des Partei- 2019 die sollte zudem eine*n Bildungsver- vorstandes lautet: Nachfolge von antwortlichen haben. Auf alle Fäl- Heinz Hillebrand le gibt es diese aber bei den Lan- DIE LINKE. Parteivorstand antreten und den desverbänden und die sind da eure IBAN: DE38 1009 0000 Bereich Politische Ansprechparter*innen. 5000 6000 00 Bildung der Klingt so, als bist Du oft unter- BIC: BEVODEBB Bundesgeschäfts- wegs? Berliner Volksbank eG stelle leiten. Ja, wir sind als Bereich ständig un- Kennwort: Spende Foto: Bianca Theis terwegs. Die Wochenenden sind unsere Hauptarbeitszeit. Denn die Bitte gib bei allen Spenden je- meisten Genossinnen und Genossen weils Deinen Namen, Vornamen in den Kreisverbänden haben natür- und die Anschrift an. Deine Da- lich nur am Wochenende Zeit. Einen ten behandeln wir vertraulich. positiven Nebeneffekt hat die viele Auf Wunsch stellen wir gern Reiserei aber auf jeden Fall: Die Par- Spendenbescheinigungen aus. teibasis lernt man so wirklich ganz toll kennen. 13
RECHTSP OLITIK Raus aus dem Strafgesetzbuch! DIE LINKE will das »Schwarzfahren« entkriminalisieren. Während einer Anhörung des Bundestages stellten sich viele Fachleute hinter diese Forderung VON NIEMA MOVASSAT O hne Ticket Bus fahren und im entwurf die Straffreiheit für das Fah- sich das »Schwarzfahren« mit dem Gefängnis landen? Deshalb vom ren ohne Ticket gefordert. Falschparken vergleichen. Das gilt neugeborenen Kind getrennt In der Anhörung des Bundestages nicht als Straftat, sondern nur als werden? Ja, das gibt es, wie man vor am 7. November forderte die Mehrheit Ordnungswidrigkeit. Vielfach ist zu kurzem bei »Stern TV« sehen konnte. der Sachverständigen, das »Schwarz- hören, dass die »ehrlichen Fahrgäs- Eine junge Frau wurde wegen Fahrens fahren« in seiner jetzigen Form aus te« die »Schwarzfahrerinnen« und ohne Fahrschein gemäß § 265a StGB dem Strafgesetzbuch zu streichen. Da- »Schwarzfahrer« subventionieren. verurteilt. Zunächst wurde ihr eine runter der Deutsche Anwaltsverein, Dieses Argument geht fehl. Denn tat- Geldstrafe vom Gericht auferlegt. Weil der Deutsche Richterbund, ein ehe- sächlich zahlen wir alle dafür, dass sie diese jedoch von ihrem mageren maliger BGH-Strafrichter, ein Straf- der Staat Menschen, die ohne Ti- Hartz IV-Satz nicht aufbringen konn- rechtsprofessor und die Leiterin ei- cket fahren, strafrechtlich verfolgt. te, musste sie eine Ersatzfreiheitsstra- nes Gefängnisses. Das zentrale juristi- So werden 200 Millionen Euro jähr- fe im Gefängnis absitzen und wurde sche Argument: Das Strafrecht soll im lich für die Vollstreckung der Ersatz- von ihrem gerade geborenen Kind freiheitlichen Rechtsstaat Ultima Ra- freiheitsstrafe durch den Staat ver- getrennt. Jährlich sitzen etwa 7.000 tio – das letzte Mittel – sein, um un- schwendet. Ein Tag Gefängnis kostet Menschen wegen »Schwarzfahrens« erwünschtes Verhalten zu verhindern. ca. 150 Euro. Das alles für eine Baga- in deutschen Gefängnissen. Meistens Im Leben werden Verträge oft verletzt. telle wie »Schwarzfahren«. erstatten die Verkehrsbetriebe Straf- Doch wer seine Telefon- oder Strom- anzeige, wenn die Person mehrmals rechnung nicht bezahlt, muss nicht ohne Ticket fährt. den Staatsanwalt fürchten, sondern Nicht schlimmer allenfalls zivilrechtliche Folgen wie als Falschparken Schadenersatzforderungen. Anders Experten gegen ist dies beim Fahren mit öffentlichen Die Entkriminalisierung des Schwarz- Strafbarkeit Verkehrsmitteln: Mit dem Einstieg in fahrens ist ein Etappenziel zum fahr- ein öffentliches Verkehrsmittel wird scheinfreien ÖPNV, welcher unter so- Wichtig für das Verständnis ist, dass ein zivilrechtlicher Vertrag begründet. zialen wie ökologischen Aspekten not- die Strafverfolgung das »erhöhte Be- Aber die Folgen eines Verstoßes gegen wendig ist. Mobilität darf nicht abhän- förderungsentgelt« von derzeit 60 Eu- diesen Vertrag, laut dem man mit ei- gig vom Geldbeutel sein. In Zeiten des ro für Fahren ohne Fahrschein tritt. nem gültigen Ticket fahren muss, ha- Klimawandels kann nur ein attrakti- Je ärmer jemand ist, desto wahr- ben nicht nur zivilrechtliche, sondern ver und fahrscheinfreier ÖPNV den scheinlicher ist es, dass er sich kein wegen § 265a StGB auch strafrechtli- Individualverkehr reduzieren. Mit der Ticket leisten kann. Eine kriminolo- che Folgen. Im schlimmsten Fall lan- Streichung der »Beförderungserschlei- gische Statistik aus Nordrhein-West- det man im Gefängnis. Die Experten chung« in § 265a StGB wird auf indi- falen verdeutlicht dies: 58 Prozent stellten klar, dass das »erhöhte Beför- vidueller Ebene das schlimmste Un- der Menschen, die wegen »Schwarz- derungsentgelt« die Schäden der Ver- recht gestrichen: Dass Menschen, weil fahrens« verurteilt wurden, waren kehrsunternehmen ausgleicht. sie sich kein Ticket leisten können, im Hartz IV-Empfängerinnen und -emp- Ein relevanter Unrechtsgehalt ist Gefängnis landen. fänger. 21 Prozent waren obdachlos. zudem nicht erkennbar. Denn eine er- 13 Prozent waren alkohol- und/oder höhte »kriminelle Energie«, wie bei- Niema Movassat ist verfassungs- drogenabhängig. DIE LINKE im Bun- spielsweise bei einem Dieb oder Be- politischer Sprecher der Fraktion destag hat deshalb in einem Gesetz- trüger existiert nicht. Vielmehr lässt DIE LINKE im Bundestag. 14 DISPUT Januar 2019
ABGASSK ANDAL Kultur des Wegschauens DIE LINKE im Bundestag wollte den beschönigenden Abschlussbericht zum Dieselskandal nicht mittragen und veröffentlichte ein Sondervotum VON INGRID REMMERS W ieso konnten Autoherstel- gen Automobilkonzerne auf Ministe- Sondervotum. Darin fordern wir, die ler über Jahre hinweg Au- rien und Behörden wurde überdeut- Zuständigkeiten für die Zulassung tos verkaufen, die bestimm- lich. und die Überwachung der Fahrzeuge te Grenzwerte nur auf dem Prüfstand Die Regierungsfraktionen von zu trennen. Die Kumpanei zwischen einhielten, nicht aber auf der Stra- CDU/CSU und SPD wollten im Ab- dem seit Jahren von der CSU gelei- ße? Wie war es möglich, dass weder schlussbericht des Untersuchungs- teten Verkehrsministerium und der das Kraftfahrtbundesamtes (KBA) ausschusses das Bild einer Politik Autoindustrie muss beendet werden. noch das Verkehrsministerium ein- malen, die im Umgang mit den Au- Die Kontrolle der Fahrzeuge sollte da- schritten, als es deutliche Hinweise toherstellern alles richtig gemacht her beim Umweltbundesamt liegen. von Umweltverbänden wie der Deut- hat. Der Skandal sei alleine das Prob- Eine weitere Forderung ist die Ver- schen Umwelthilfe gab? Dies sind ei- lem eines betrügenden Konzerns und pflichtung der Hersteller auf Hard- nige der wichtigen Fragen, die sich nicht der Politik. Genau in diesem ware-Nachrüstungen an den mani- nach dem Auffliegen der Betrügerei- Sinne äußerte sich auch die Bundes- pulierten Diesel-Fahrzeugen. Es darf en bei VW im September 2015 stell- kanzlerin vor dem Ausschuss »Wir nicht sein, dass die Besitzer von Die- ten. Der Dieselskandal zeigte ein haben ja keinen Skandal, VW hat ei- sel-Fahrzeugen für die Manipulati- massives Versagen des KBAs und nen Skandal«. Es scheint, die Regie- onen der Hersteller mit Fahrverbo- der Bundesregierung, weshalb der rungsfraktionen im Bundestag haben ten büßen müssen, obwohl sie die Deutsche Bundestag auf Antrag von vergessen, dass das KBA eigentlich Fahrzeuge in gutem Glauben an de- DIE LINKE und Bündnis 90/Die Grü- eine kontrollierende Rolle spielen ren Umweltverträglichkeit gekauft nen in der letzten Legislaturperiode sollte. Die Realität stellt sich anders haben. Mit Hardware-Nachrüstun- einen Parlamentarischen Untersu- dar: Die Verklärung des Regierungs- gen können Fahrverbote und Wert- chungsausschuss zum Abgasskandal handelns hatte Vorrang vor der Auf- verlust von Diesel-Fahrzeugen ver- unter Vorsitz von Herbert Behrens klärung eines Skandals. Betrogen mieden werden. Das Abgasproblem (LINKE) einsetzte. Die achtmonatige haben nicht nur VW, BMW, Daim- in unseren Städten würde deutlich Aufklärungsarbeit des Parlaments ler, Opel und Renault. Auch anderen entschärft. zeigte auf, dass erhebliche struktu- Herstellern konnte mittlerweile die Zudem fordern wir, dass die Her- relle Defizite bei der behördlichen Verwendung illegaler Abschaltein- steller für den betrügerischen Ein- Aufsicht durch das KBA über die Au- richtungen nachgewiesen werden. satz von Abschalteinrichtungen Buß- tomobilindustrie bestehen. Darüber Einen Abschlussbericht, in dem gelder zahlen müssen. Es ist skanda- hinaus belegte sie eine Kultur des sich Regierung und Autoindustrie lös, dass die Regierung die gesetzlich Wegschauens innerhalb der Bundes- mit blütenweiser Weste präsentier- vorgesehenen Bußgelder in Höhe behörde und des Verkehrsministeri- ten, konnte DIE LINKE nicht mittra- von 5.000 Euro pro Fahrzeug bisher ums. Die Einflussnahme der mächti- gen und erstellte daher ein eigenes nicht verhängt hat. Diese Ungleichbe- handlung stellt die Legitimation des Rechtsstaates in Frage: Jeder Laden- dieb wird angeklagt, die Autoindust- rie lässt man aber laufen. Ingrid Remmers ist verkehrs- politische Sprecherin von DIE LINKE. im Bundestag. Info Sondervotum im Internet: https://www.linksfraktion.de/ fileadmin/user_upload/ Publikationen/Broschueren/ 180919_Sondervotum_Abgas.pdf Foto: Pixabay DISPUT Januar 2019 15
FLUCHT UND MIGR ATION »Gleiche Rechte für alle« Gemeinsame Erklärung von Katja Kipping, Sahra Wagenknecht, Dietmar Bartsch und Bernd Riexinger anlässlich der Tagung »Flucht und Migration« am 30. November 2018 A uf Grundlage des Wahlpro- Wir halten deshalb gemeinsam 2. Asyl ist ein gramms der LINKEN zur Bun- fest: destagswahl 2017 und des Be- Grundrecht schlusses »Partei in Bewegung« auf der 1. Tagung des 6. Parteitags der 1. Niemand Im Gegensatz zu allen anderen im Partei DIE LINKE vom 8. bis 10. Juni flüchtet Bundestag vertretenen Parteien ha- 2018 in Leipzig stellen wir fest: ben wir als DIE LINKE jede Ein- Flucht und Vertreibungen sind freiwillig schränkung des Asylrechts geschlos- ein globales Phänomen und eine di- sen abgelehnt. Denn das Recht auf rekte Folge von Kriegen, Gewalt und Jede Flucht ist ein Versuch, sich Schutz und Asyl ist eine zivilisatori- politischer Verfolgung, von Hunger- in eine bessere Zukunft zu retten. sche Errungenschaft. Insbesondere und Klimakatastrophen. Die aktuel- Flüchtlinge sind die Botschafter nach dem Schrecken des 2. Weltkrie- le Debatte u.a. in Deutschland zeigt, der Ungerechtigkeiten, der Krie- ges stehen wir unbeirrt für Asyl als wie weit es der Rechten gelungen ist, ge und anderer Gewaltverhältnis- Grundrecht. Es ist mittlerweile nor- die gesellschaftlichen Herausforde- se, einer ungerechten Handelspo- mal geworden, Asyl nicht mehr als rungen der Flucht- und Migrations- litik, von Waffenlieferungen, dik- Grundrecht zu verteidigen. Wir wol- frage zu besetzen. Die rechtspopu- tatorischen Regimen und Verfol- len dagegen das Grundrecht auf Asyl listischen Nationalisten verknüpfen gung. Menschen, die um ihr Leben vollständig wiederherstellen. Wir for- gezielt soziale Ungerechtigkeiten mit kämpfen, die Hand zu reichen, ist dern, dass der Zugang zum individu- rassistischen Parolen für ihren chau- für uns LINKE selbstverständlich. ellen Asylrecht in Europa erhalten vinistischen Kulturkampf, sie spal- Der Schutz von Geflüchteten und bleibt und lehnen jede automatische ten die Gesellschaft und vergiften die Wahrung ihrer Menschenwür- Rückführungsregelung in Transitlän- den demokratischen Zusammenhalt. de müssen an erster Stelle stehen. der bzw. »Drittstaaten« ab. Flucht und Migration sind emotiona- Anstatt die Flüchtlingsabwehr wei- Der EU-Türkei-Deal und jede wei- le und zugleich hoch politische The- ter auszudehnen, müssen legale und tere Zusammenarbeit mit Diktatu- men, denn es geht hier nicht nur um gefahrenfreie Wege nach Europa er- ren und Unrechtsregimen zur »Mig- Menschen, die zu uns kommen, son- öffnet werden. Seenotrettungen dür- rationskontrolle« sind sofort zu be- dern auch um die Frage, wie wir le- fen nicht weiter kriminalisiert wer- enden. Das Konstrukt der »sicheren ben wollen. Denn der Kampf um den den. Wir treten dafür ein, die Genfer Herkunftsstaaten« darf nicht ausge- gesellschaftlichen Zusammenhalt ist Flüchtlingskonvention und die Eu- weitet werden. Es gehört abgeschafft. eine Wesensfrage unserer Demokra- ropäische Menschenrechtskonventi- tie selbst. DIE LINKE hat den Auf- on uneingeschränkt gelten zu lassen trag, diese gesellschaftliche Debatte und die UN-Kinderrechtskonvention 3. Fluchtursachen verantwortungsvoll zu führen. vollständig umzusetzen. bekämpfen Um Fluchtursachen weltweit nach- haltig bekämpfen zu können, brau- chen wir den Mut und den Realismus einer strukturverändernden Global- politik. Das geht nicht ohne einen echten Paradigmenwechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik. Die Interventionskriege mit ihren katas- trophalen Folgen für die Stabilität in ganzen Regionen müssen sofort be- endet werden. Aber auch in der Kli- ma- und Außenwirtschaftspolitik so- wie in den internationalen Handels- beziehungen und der Entwicklungs- hilfe muss es einen grundlegenden Wandel geben. Bereits 1970 hatten die Länder des globalen Nordens zu- Foto: Bianca Theis gesagt, 0,7 Prozent ihres Bruttonati- 16 DISPUT Januar 2019
»Jede Flucht ist ein Ver- such, sich in eine bessere Zukunft zu retten. Flücht- linge sind die Botschaf- ter der Ungerechtigkeiten, der Kriege und anderer Gewaltverhältnisse, einer ungerechten Handels- politik, von Waffenliefe- rungen, diktatorischen Regimen und Verfolgung.« »Europa ist längst ein Kontinent der Einwande- rung wie Deutschland eine Einwanderungs- gesellschaft ist. Die individuelle Entschei- dung zur Auswanderung ist gespeist durch die Foto: Bianca Theis Hoffnung auf ein besseres Leben.« onaleinkommens (BNE) für die Ent- gungsleistung der UN-Hilfswerke für hungen und Einkommensverteilung wicklungszusammenarbeit aufzu- Flüchtlinge künftig garantiert wer- eine gerechte globale Entwicklung wenden. Angesichts der globalen Kri- den kann. zu ermöglichen. Dem Bestreben in- sen und Notlagen bedarf es zugleich ternationaler Konzerne, sich die Ar- einer menschenwürdigen Versor- beitsmigration zu Nutze zu machen, gung von Geflüchteten. Das Budget 4. Rechte für um die Arbeitskraft billig zu halten, des »Flüchtlingshilfswerks der Ver- Arbeitsmigrant*innen gewerkschaftliche Mindeststandards einten Nationen« (UNHCR) darf nicht zu unterlaufen und die Arbeitenden länger hauptsächlich durch freiwil- Arbeitsmigration ist eine globale Re- selbst zu entrechten, erteilen wir ei- lige Beiträge von Regierungen, zwi- alität. Nach Schätzung der Internati- ne klare Absage. schenstaatlichen Akteuren, Stiftun- onalen Arbeitsorganisation (ILO) sind Wir begrüßen, dass die Verein- gen oder Privatpersonen bestritten mehr als 150 Millionen Menschen ten Nationen mit dem UN-Migrati- werden. Wir fordern die Bundesre- Arbeitsmigrant*innen. Arbeitsmig- onspakt Flucht und Migration als gierung auf, sich im Rahmen der ration bzw. wirtschaftlich bedingte globales Problem anerkennen und zweijährigen Mitgliedschaft Deutsch- Flucht oder Migration sind eine indi- unterstützen grundsätzlich alles Be- lands im UN-Sicherheitsrat für ver- viduelle Antwort auf die bestehende streben, die Rechte von Geflüchteten bindliche Pflicht-Beitragsumlagen globale Ungleichheit. Es sind Reakti- und Arbeitsmigrant*innen zu stär- für das UNHCR einzusetzen, damit onen auf die Weigerung der reichen ken. Gleichzeitig bilden sich in der eine umfassende Hilfe- und Versor- Länder, durch faire Handelsbezie- Vereinbarung die derzeitigen Weltun- DISPUT Januar 2019 17
Sie können auch lesen