Gesundheitspress - Gesundheitstreffpunkt Mannheim

 
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Gesundheitspress - Gesundheitstreffpunkt Mannheim
gesundheitspress         Magazin für und über Selbsthilfe in Mannheim, Heidelberg und der Region
                                                                     Ausgabe 63 – Frühjahr 2022

Vier Kliniken erneut selbsthilfefreundlich
Neue Technik ermöglicht hybride Treffen
Neue RAG-Sprecherinnen gewählt

                              Schwerpunkt: Selbsthilfe trifft Forschung1
Gesundheitspress - Gesundheitstreffpunkt Mannheim
Inhalt

                                                                                                                      5

                                              4                                         16

Schwerpunkt: Selbsthilfe trifft Forschung                      Gesundheitstreffpunkt Mannheim aktuell
Einleitung_____________________________________ 4              Plakatkampagne für die Selbsthilfe___________________18
Leichte Sprache_________________________________ 5             Neue Publikationen des Gesundheitstreffpunkts__________18
Forschung zur Wirksamkeit der Selbsthilfe______________ 6      Veranstaltungsprogramm 2022_____________________19
Patientenbeteiligung in der Krebsselbsthilfe_____________ 7    Neue Technik für hybride Treffen_____________________19
Forschung über Selbsthilfe_________________________ 8          Selbsthilfefreundlichkeit in der Pandemie______________20
Studie der Münchner Angstselbsthilfe_________________ 8
Forschungen zur Krebsselbsthilfe____________________ 8
                                                               Heidelberger Selbsthilfebüro aktuell
Selbsthilfe in Gesundheitseinrichtungen_______________ 9       Selbsthilfefreundlichkeit am NCT_____________________21
Nakos-Umfrage_________________________________ 9               Selbsthilfefreundlichkeit Rehaklinik __________________21
Selbsthilfebeteiligung an der Forschung: Jürgen Matzat____10   Seminar Telefonberatung__________________________22
Förderkriterium Patientenbeteiligung _________________11       Ankündigung Newsletter___________________________22
Beteiligung in allen Forschungsphasen________________12        Neue Sprecherinnen in der RAG______________________22
Erfahrungen mit Studien: Marianne Simon______________13
Kontaktstellen als Partner in der Forschung_____________14     Nachrichten
Zur Patientenbeteiligung: Günter Kupke________________15       Bundesverdienstkreuz für Martin Dreßler_______________23
Zur Patientenbeteiligung: Christina Reiß_______________16      Engagierte Stadt Heidelberg________________________24
Erfahrungen mit Studien: Annette Hans________________17        Handlungskonzept Inklusion in Mannheim______________24
Was ist nötig, damit es gut läuft?_____________________17
                                                               Selbsthilfe aktuell
Was machen die Nachbarn?
                                                               Bürgerplaketten für die Selbsthilfe___________________25
Selbsthilfekontaktstelle Frankfurt____________________23       Nachruf Dr. Henning Gerhardt_______________________26
                                                               10 Jahre Migräneselbsthilfegruppe HD_________________26
                                                               Infos
                                                               Selbsthilfebörse________________________________27
                                                               A-Z der Selbsthilfegruppen in der Region _______________28
                                                               Termine_______________________________________30
                                                               Nachruf Veronika Arnold___________________________30
                                                               Impressum____________________________________31
                                                               Abschied von langjährig Aktiven_____________________31

                               18                                        23                                          24

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Gesundheitspress - Gesundheitstreffpunkt Mannheim
Vorwort

Ihr Kunstwerk ist gefragt
Genauso vielfältig und abwechslungs-           Liebe Leserin, lieber Leser,
reich wie der Inhalt einer jeden Ausgabe
der gesundheitspress soll auch die             seit vielen Jahren beteiligen wir uns
Gestaltung der Titelseite ausfallen. Mal       an Forschungsprojekten. Es freut
ein Foto, mal ein gemaltes Bild, mal           uns, dass wir bei wichtigen Fragen
eine Zeichnung. Oft haben wir schon            der Versorgungsforschung mitwirken
Künstler:innen aus der Region für die          können. Unser Interesse daran ist
Abbildung auf der Titelseite gewinnen          es, den Aktiven aus Selbsthilfe-
können. Manchmal greifen wir aber              gruppen die Möglichkeit zu geben,
auch auf eine Bilddatenbank zurück. So         mit dabei zu sein. Daher bilden wir
stammt die Grafik „Women supporting            projektbegleitend Beiräte, wir geben
female scientists“ auf der Titelseite von      den Aktiven Informationsmaterial
Donna Grethen, gefunden in der Online-         für Patient:innen zur Korrektur und
                                               beteiligen sie an Interviews oder        lange Fragebögen durchzugehen und zu
Bilddatenbank IKON Images.
                                               anderen Aufgaben. Für uns selbstver-     beantworten? Manchmal überschätzen
Wir möchten zukünftig gerne verstärkt          ständlich ist, dass dafür die Aktiven    Aktive aus den Gruppen die Bereitschaft
Künstler:innen aus dem Kreis der Selbst-       aus den Selbsthilfegruppen ebenso        der Forschenden, auf ihre Erfahrungen
hilfe für eine Abbildung auf unserer Ti-       eine Aufwandsentschädigung erhal-        einzugehen und diese zu berücksichti-
telseite gewinnen. Neben der Abbildung         ten wie wir als Einrichtungen eine       gen. Und allzu häufig spielen die For-
des eigenen Werks auf der Titelseite           Erstattung der zur Verfügung gestell-    schungsergebnisse der Studien im Alltag
porträtieren wir die Kunstschaffenden          ten Ressourcen.                          keine Rolle mehr, sobald die Laufzeit
auf Seite 3 der entsprechenden Ausgabe                                                  zu Ende ist. Das frustriert, soll doch die
der gesundheitspress. Gerne nennen wir         Das Erfahrungswissen der Menschen        Arbeit nicht umsonst gewesen sein.
dort auch Kontaktdaten wie die Internet-       in Selbsthilfegruppen ist ein Schatz,
                                               den die Wissenschaft sich zu eigen       Dennoch: Viele Anregungen von Betroffe-
seite der Kunstschaffenden, sodass sich
                                               machen kann und sollte. Ein weites       nen sind im letzten Jahrzehnt in Studien
interessierte Leser:innen umfassender
                                               Lernfeld liegt hier vor beiden: den      eingeflossen, insbesondere auch die
informieren können.
                                               Forschenden und den Aktiven aus          Themen Barrierefreiheit oder einfach
                                               den Selbsthilfegruppen. Manchmal         verständliche Sprache wurden im Sinne
KONTAKT
                                               sind die Anforderungen an die Mit-       aller vorwärts bewegt. Die kleinen Erfol-
Interessierte Künstler:innen melden sich                                                ge sind es wert, diesen Weg gemeinsam
                                               arbeit der Aktiven der Selbsthilfe
per E-Mail beim Gesundheitstreffpunkt                                                   weiterzugehen.
                                               extrem unrealistisch. Denn wer hat
Mannheim unter medien@
                                               schon Zeit, ein ganzes Wochenende
gesundheitstreffpunkt-mannheim.de.                                                      Ihre Bärbel Handlos, Geschäftsführerin

                            Inklusion und Zusammenleben im Quartier
                            für Menschen mit unterschiedlichem und komplexen Unterstützungsbedarf
                                                        Am 5. Mai, dem Europäischen Protesttag zur Gleichstellung der Menschen
                                                        mit Behinderung, veranstaltet der PARITÄTISCHE Kreisverband Mannheim
                                                        einen Fachtag.

                                                       Was erwartet Sie? Aktuelle Vorträge zum Thema Inklusion im Quartier und
                                                       gute Beispiele PARITÄTISCHER Mitgliedsorganisationen aus den Bereichen
                                                       Pflege und Alter, Menschen mit Behinderung, Teilhabe am Arbeitsplatz,
                                                       Selbsthilfe und Inklusion in KITAs. Treten Sie in Austausch, entwickeln Sie
                                                       neue Ideen und bilden Sie Netzwerke. Denn die große Herausforderung
                                                       „Inklusion“ können wir nur gemeinsam bewältigen.
Ausschreibung und Anmeldung: Homepage des Kreisverbands unter „Veranstaltungen“: www.paritaet-bw.de/mannheim
Ansprechpartnerin: Sonja Lingelbach, Referentin der Kreisgeschäftsstelle, Telefon: 0621/33 83 72-6, gs.kv-ma@paritaet-bw.de

Nächster Redaktionsschluss: 1­ 3. Mai 2022 – Thema: Grenzerfahrungen

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Gesundheitspress - Gesundheitstreffpunkt Mannheim
Selbsthilfe trifft Forschung

Zwischen Lust und Frust: Selbsthilfe und Forschung

Die Selbsthilfe ist gefragt.
Auch seitens der                                                                                           Mädchen beim Roboting. Foto: i-stock
Forschung. Es wird
einerseits über die
Selbsthilfe geforscht.                       Entsprechend häufig richten sich Anfragen     Wie verschiedene Interessen und Gege-
                                             an die Aktiven. Wer sich in der Selbsthilfe   benheiten aufeinandertreffen, zeigt sich
Andererseits sind ihre                       engagiert, freut sich darüber und möchte      besonders am Zeitrahmen einer Studie:
Mitglieder aktiv in etliche                  sich mit seinem Engagement einbringen.        Bei allem Vorantreiben eines Forschungs-
Forschungsprojekte                           Möchte Einfluss nehmen und damit              projekts dauern die Datenerhebung,
eingebunden.                                 Verbesserungen erreichen. Etwa bei der        -analyse und -auswertung bis hin zur Pub-
                                             öffentlichen Wahrnehmung der Selbsthilfe      likation der Studie. Dem gegenüber steht
                                             und der einzelnen Betroffenen, es geht um     der Wunsch der Teilnehmenden nach
                                             den Abbau von Vorurteilen, um Fortschritte    schnellen Ergebnissen, die seitens der
Die Fragestellungen der Projekte sind        in der Behandlung und in den Versorgungs-     Forschung so nur selten geliefert werden
vielfältig. Wie wirkt sich Selbsthilfe auf   strukturen.                                   können. Hinzu kommt, dass die Beteilig-
den Einzelnen aus? Welche Auswirkun-                                                       ten gerne über die Forschungsergebnisse
gen hat sie auf die Gesundheitspolitik,      Zur Lustseite gesellt sich nicht selten die   informiert werden möchten, was oft sehr
das Gesundheitssystem, die Versorgung        Frustseite. Sowohl die Forschungsanfra-       spät erfolgt oder sogar ganz unterbleibt.
von Betroffenen? Aber auch: Was brau-        gen als auch die Einbindung in Forschungs-
chen Selbsthilfegruppen und –organi-         projekte fordern die Selbsthilfe und ihre     Um die Situation zu verbessern und die
sationen, um ihre Ziele zu erreichen?        Mitglieder zeitlich manchmal über Gebühr.     Zufriedenheit aller Beteiligten zu steigern,
Welche Rahmenbedingungen brauchen            Auch bei der Anerkennung hakt es mitun-       wären hier wünschenswert: Offenheit,
die Kontaktstellen?                          ter. Diejenigen, die an der Forschung teil-   Transparenz und eine Zusammenarbeit,
                                             nehmen, fühlen sich nicht immer gehört,       die von gegenseitigem Respekt und ge-
Vielen Forschungsaktivitäten gemeinsam       einbezogen und wertgeschätzt. Sie fühlen      genseitiger Anerkennung geprägt ist.
ist das Interesse am Erfahrungswissen        mitunter sich wie ein Feigenblatt, das an
der Betroffenen aus der Selbsthilfe.         der Forschung teilnehmen darf.                Die Redaktion

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Gesundheitspress - Gesundheitstreffpunkt Mannheim
Selbsthilfe trifft Forschung

   Zusammen∙arbeit von Selbst∙hilfe und Forschung
                                         In Selbst∙hilfe∙gruppen treffen sich Menschen.

                                         Diese Menschen haben oft etwas gemeinsam:
                                         • ein bestimmtes Problem oder eine schwierige Lebens∙situation
                                         • eine körperliche Krankheit oder Behinderung
                                         • eine seelische Krankheit oder Behinderung
                                         Menschen in Selbst∙hilfe∙gruppen haben oft viel Erfahrung mit einer bestimmten
                                         Krankheit oder Behinderung.

                                         Forschung und Wissenschaft können bei vielen Krankheiten helfen:
                                         • Krankheiten besser verstehen
                                         • Krankheiten verhindern oder heilen
                                         • Neue Medikamente und Heil∙verfahren entwickeln

                                         Selbst∙hilfe∙gruppen und Forschung können zusammen∙arbeiten.

                                         Beispiel:
                                         Forscher entwickeln ein neues Medikament gegen eine Krankheit.
                                         Die Forscher machen deswegen Studien.
                                         Studien sind wissenschaftliche Untersuchungen über eine bestimmte Sache.
                                         Für die Studien brauchen die Forscher viele Menschen mit der gleichen Krankheit.
                                         Dadurch können die Forscher die Wirkung von einem Medikament beobachten.

                                         Bei bestimmten Studien können Menschen in Selbst∙hilfe∙gruppen und
                                         Forscher gut zusammen∙arbeiten:
                                         • Probleme gemeinsam lösen
                                         • Sich gegenseitig helfen

                                         Aber:
                                         Für die Menschen in den Selbst∙hilfe∙gruppen kann die Zusammen∙arbeit mit den
Verfasser: AK ZLS, Arbeitskreis Zugang
durch Leichte Sprache, Mannheim.         Forschern auch mühsam sein.
Tel. 0172-75 06 109                      Die Menschen in den Selbst∙hilfe∙gruppen brauchen nämlich viel Zeit für

zugangleichtesprache@vodafonemail.de     • Untersuchungen
mannheim.de/de/service-bieten/           • Befragungen
gesundheit/kommunale-gesundheits-
konferenz/arbeitskreis-zugang-durch-
                                         • Messungen
leichte-sprache-ak-zls
Zeichnungen: Reinhild Kassing
                                         Deswegen haben auch die Menschen in Selbst∙hilfe∙gruppen Wünsche:
Text verfasst nach den Regeln des
Hildesheimer Modells von
                                         • Die Forscher sollen den Selbst∙hilfe∙gruppen Geld für ihre Mitarbeit geben
Frau Prof. Maaß.                         • Die Forscher sollen den Menschen in den Selbst∙hilfe∙gruppen die Ergebnisse
                                           von den Studien sagen
                                         • Die Menschen in den Selbst∙hilfe∙gruppen sollen Anerkennung für die Mitarbeit
                                           bekommen

                                                                                                                      5
Gesundheitspress - Gesundheitstreffpunkt Mannheim
Selbsthilfe trifft Forschung

SHILD-Studie belegt: Selbsthilfe ist wirksam
Schon lange wünschten sich Selbst-           dass die Heilungschancen und damit die    Verantwortung für die eigene Gesundheit
hilfeakteure einen wissenschaftlichen        Lebensqualität der Betroffenen steigen.   zu übernehmen und fürsorglich mit sich
Nachweis über die Wirksamkeit der            8 von 10 Teilnehmenden in Selbsthilfe-    umzugehen, stärkt zudem das Selbstbe-
Selbsthilfe. Sie spürten die wohltuende      gruppen schätzen die Unterstützung        wusstsein der Betroffenen. Sie sind es
Wirkung ja selbst – sonst wären seit den     durch die Gruppe positiv ein.             sich selbst wert, etwas für sich zu tun. Sie
1980er Jahren nicht so viele Selbsthil-                                                hören auf, ihre Erkrankung zu verstecken
fegruppen entstanden: Deutschlandweit        Durch das Kennenlernen vielfältiger Be-   oder still zu leiden. Sie kommen aus der
gibt es inzwischen ca. 100.000 Selbsthil-    wältigungsstrategien anderer Gruppen-     Isolation heraus, die sich des Öfteren
fegruppen. Immer noch jedoch grassierte      mitglieder können Betroffene Lösungen     ergibt, wenn Erkrankte mit niemandem
die Vorstellung, dass Menschen in einer      bzw. Verbesserungen ihres Problems /      mehr sprechen können, weil die eigene
Selbsthilfegruppe sich im Stuhlkreis         ihrer Erkrankung finden, die zu ihrer     Umgebung „es nicht mehr hören kann“.
zusammenfinden und gemeinsam                 eigenen individuellen Situation passen.
jammern. Dieser Mythos gehörte ausge-        8 von 10 Befragten schätzen dies als      Die Selbstsicherheit, die durch den
räumt!                                       hilfreich ein.                            Rückhalt in der Gruppe und die guten

Einen wertvollen Beitrag hierfür leistete
die SHILD-Studie von Dr. Christopher
Kofahl, Universitätsklinikum Hamburg
Eppendorf (UKE) im Forschungsteam
mit Prof. Dr. Marie-Luise Dierks (Medizi-
nische Hochschule Hannover) und Prof.
Dr. Frank Schulz-Nieswandt (Universität
zu Köln). Mit der 2012 bis 2018 vom
Bundesministerium für Gesundheit geför-
derten Studie wurde die Wirksamkeit der
Selbsthilfe erstmals umfassend unter-
sucht. In vier unterschiedlichen Modulen
äußerten sich 5.000 Menschen rund
um die gemeinschaftliche Selbsthilfe zu
folgenden Fragen:
• Welche Ziele hat die Selbsthilfe und
welche Aufgaben stellen sich ihr?
• Wie wird die Selbsthilfe unterstützt und
mit wem arbeitet sie zusammen?
• Und schließlich: Was bewirkt Selbst-
hilfe?

Die Ergebnisse zeigen die positive Wir-
kung der Teilnahme an Selbsthilfegrup-
pen: 9 von 10 Befragten gaben an, von
der Erfahrung anderer zu profitieren.                                                       Grafiken: uke.de/extern/shild/Materialien_
8 von 10 konnten ihre Erkrankung                                                            Dateien/SHILD-Fact-Sheets-
dadurch besser bewältigen. 96% der Be-       Befragt wurden:
fragten beschrieben, dass sie sich durch     1.192 Selbsthilfegruppensprecher:innen
das Treffen mit Gleichbetroffenen nicht        243 Selbsthilfeorganisationen
alleine mit ihren Themen fühlten.            		       (Dachverbände, Bundesorganisationen, Landesvertretungen),
                                               133 Selbsthilfeunterstützungseinrichtungen
Weitere wichtige Kriterien der Befragung        73 Verantwortliche aus der Selbsthilfe und der gesundheitlichen Versorgung
waren Zuversicht, die Krankheit zu bewäl-    3.163 Betroffene von chronischen Erkrankungen und ihre Angehörigen,
tigen und Motivation, diese Bewältigung      		       mit und ohne Selbsthilfegruppenerfahrungen.
selbst aktiv anzugehen. Deutlich wurde,

6
Gesundheitspress - Gesundheitstreffpunkt Mannheim
Selbsthilfe trifft Forschung

Informationen entstehen kann, hilft auch,
im Umgang mit medizinischen Fachkräf-
ten gezielt nach Angeboten zu fragen, die
die eigene Gesundheit positiv beeinflus-
sen können. Ein weiterer Aspekt ist es,
Gesundheitsangebote generell besser
beurteilen zu können. 6 von 10 Befragten
äußern sich dahingehend.

Selbsthilfe ist laut Studie oft mehr als
nur die Gruppe, nämlich auch Interessen-
vertretung. Mitglieder beraten andere
chronisch Erkrankte und sie tragen durch
Beteiligung an Qualitätszirkeln und
Leitlinien zur Qualitätssicherung im Ge-
sundheitswesen bei. Sie ist zunehmend
beteiligt in Gremien der Gesundheitsver-
sorgung (Stichwort Patientenbeteiligung
im Gesundheitswesen). Die Zunahme an
Anforderungen stellt auch eine Heraus-
forderung dar: 8 von 10 Ehrenamtlichen
kommen an ihre Grenzen. Die Professio-
nalisierung der Selbsthilfe, so beschreibt
es Marie-Luise Dierks, gehe „mit dem
Risiko einher, dass sie sich durchaus ein
Stück von ihren Wurzeln entfernt“ und sie
ihr Ziel „im Sinne einer Verantwortung
nicht nur für die eigenen Mitglieder,
sondern für die Gesellschaft als Ganzes“
erweitert habe.
Marion Duscha

Hohe Anforderungen an die Selbsthilfe
Studienergebnisse zur Patientenbeteiligung und -vertretung in der Krebsselbsthilfe
Die Zunahme an selbst gewählten oder         örtlicher Ebene wahrzunehmen. 37,3 %       als Patientenvertreter zu gewinnen. Und
extern gestellten Anforderungen an           sind in einem Gremium oder Arbeitskreis    weniger als 20 % meinten, dass ihre
Selbsthilfegruppen in den Gesundheits-       eines Krankenhauses oder onkologischen     Selbsthilfegruppenarbeit so aufwändig
einrichtungen stellen auch eine Heraus-      Zentrums aktiv. Für mehr Beteiligung in    sei, dass zu einer Patientenvertretung
forderung dar. 2020 hat Dr. Christopher      Krankenhäusern, onkologischen Zentren      keine Zeit bliebe.
Kofahl eine Studie zum Thema Patien-         und Rehakliniken plädierten gleichwohl
tenbeteiligung und -vertretung durch die     über 50 %.                                 Hauptergebnisse: Es gibt eine hohe
Krebs-Selbsthilfe durchgeführt. An der                                                  Motivation in den Gruppen, sich dieser
Umfrage beteiligten sich 204 Leiter:innen    Knapp 40 % nehmen gern die Möglichkeit     Aufgabe anzunehmen. Typisch dafür sind
von Krebsselbsthilfegruppen.                 der Patientenbeteiligung wahr. Nur etwas   genauso hohe personelle wie zeitliche
                                             über 20 % waren allerdings der Meinung,    Anforderungen.
Gefragt wurde u.a. nach ihrer Aktivität:     den Akteuren aus den Gesundheitsinstitu-
Hierbei gaben 33,3 % an, eine Pati-          tionen auf Augenhöhe zu begegnen.          Kofahl, C., Houwaart, S., Kerek-Bodden, H., Stark, M.,
                                                                                        Wiegand, N. und Ziegler, E. (2021): Patientenbeteili-
entenvertretung (PV) in Gremien oder         50 % der Gruppenleiter:innen betonten,     gung und –vertretung durch die Krebs-Selbsthilfe. In:
Arbeitskreisen auf kommunaler oder           dass es schwer sei, andere Mitglieder      selbsthilfegruppenjahrbuch 2021, S. 98-107.

                                                                                                                                            7
Gesundheitspress - Gesundheitstreffpunkt Mannheim
Selbsthilfe trifft Forschung

                                           Forschung über Selbsthilfe
                                           Angstselbsthilfegruppen per Interview
                                           und mit Fragebögen zweimal ausgiebig                         Forschungsschwerpunkt
Zunehmend wird über die                    befragt: bei ihrem Gruppeneintritt und                    Krebsselbsthilfe
Selbsthilfe geforscht.                     sechs Monate später.
Fragestellungen sind zum                                                                             Prof. Dr. Joachim Weis ist seit 2017 der
Beispiel: Wie werden Betrof-               Es zeigte sich eine statistisch deutli-                   erste Stiftungsprofessor für Selbsthilfe-
fene erreicht? Wie effektiv                che Verringerung der Angststärke der                      forschung an der Medizinischen Fakultät
sind Selbsthilfegruppen? Wie               Teilnehmenden in diesem Zeitraum.                         der Universität Freiburg mit Förderung
                                           Auch die Erwartungen an die Selbsthilfe-                  der Deutschen Krebsselbsthilfe.
können Erfolge gesichert wer-              gruppe hatten sich seit Beginn verringert
den? Auf dieser Doppelseite                – und damit der Leidensdruck. Offen                       Im internationalen Vergleich liegen nur
stellen wir Studien dazu vor.              über ihre Ängste sprechen zu können,                      wenige deutschsprachige Arbeiten zur
                                           half den Aussagen der Teilnehmenden                       Selbsthilfeforschung vor. Die Studien
                                           zufolge am meisten.                                       zu nichtprofessionellen Angeboten der
                                                                                                     gemeinschaftlichen Krebsselbsthilfe sind
                                                                                                     einzuordnen in drei Bereiche:
                                                                                                     Im Bereich Prozessmerkmale wer-
                                                                                                     den Motivationen zum Besuch einer
                                                                                                     Selbsthilfegruppe sowie die Bedeutung
                                                                                                     von Gruppenleitungen untersucht. Im
                                                                                                     Vordergrund für die Betroffenen stehen
                                                                                                     durchweg die Suche nach Information,
                                                                                                     emotionaler Unterstützung und persönli-
                                                                                                     chem Austausch zur Krankheitsverarbei-
                                                                                                     tung. Erste Ergebnisse zeigen auch, dass
                                                                                                     Erkrankte auf Selbsthilfeangebote hinge-
                                                                                                     wiesen werden möchten. Medizinisches
                                                                                                     Personal und psychosoziale Dienste
                                                                                                     sind also eine wichtige Schnittstelle zur
                                                                                                     Information über Selbsthilfe. Gruppenlei-
                                                                                                     tungen wünschen sich mehr Schulungen
                                                                                                     oder andere Unterstützung.

                                                                                                     Die Wirkung von Selbsthilfeangeboten
                                                                                     Foto: i-stock   auf Betroffene zeigt sich am stärksten
     Die Münchner Angstselbst-             Diese positiven Ergebnisse legen weitere                  in den Bereichen Wissensstand, indivi-
hilfe (MASH)                               Evaluationen nahe, beispielsweise mit                     duelle Lebensqualität und psychische
                                           einer Kontrollgruppe von Menschen                         Gesundheit. Selbsthilfeorganisationen
In den Jahren 2010 bis 2018 unternahm      mit Angststörungen, die keine Selbst-                     beschreiben als Wirkfaktoren die Qua-
die seit 1989 bestehende Münchner          hilfegruppe besuchen. Es müsste auch                      lität der Angebote, die Integration ins
Angstselbsthilfe eine Wirksamkeitsstu-     berücksichtigt werden, dass viele Mit-                    Gesundheitssystem und die Güte der
die, unterstützt von ihrem wissenschaft-   glieder von Selbsthilfegruppen parallel in                Kooperation mit Ärzt:innen und Kliniken.
lichen Beirat und der Deutschen Gesell-    psychotherapeutischer Behandlung sind                     Erste Ergebnisse der bisher wenigen
schaft für Verhaltenstherapie.             und/oder Psychopharmaka einnehmen.                        Studien zu Onlineangeboten von Selbst-
                                           Die Autor:innen der Studie werten diese                   hilfeverbänden zeigen, dass sich aktiv in
Fragestellung war: Stellt sich während     Tatsache gleichzeitig als gutes Beispiel                  Foren einbringende Nutzende subjektiv
der Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe   für die konstruktive Vernetzung zwischen                  mehr von den Angeboten profitieren als
für die Betroffenen eine wahrnehmbare      Selbsthilfe und Gesundheitssystem.                        passiv Beobachtende.
Verbesserung ein? Leistet die Angst-
                                           Stefanie Dupp, Christian Zottl, Angstselbsthilfe          Joachim Weis, Andrea Kiemen, Rene Markovits-
selbsthilfe einen Beitrag dazu? Dazu                                                                 Hoopii, Forschung im Bereich Krebsselbsthilfe. DAG
                                           beleuchtet ihre Wirksamkeit
wurden 180 Teilnehmende aus den 17                                                                   SHG, selbsthilfegruppenjahrbuch 2019

8
Gesundheitspress - Gesundheitstreffpunkt Mannheim
Selbsthilfe trifft Forschung

   Selbsthilfe im Qualitäts-
management von
Gesundheitseinrichtungen

Die Schaffung eines selbsthilfefreundli-
chen Klimas in Gesundheitseinrichtungen
ist eine Kernaufgabe für Selbsthilfeorgani-
sationen und -kontaktstellen. Ein Meilen-
stein auf diesem Weg ist das Netzwerk
Selbsthilfefreundlichkeit, mit dem ein
Verfahren zur Umsetzung entwickelt wur-
de. Den Stand der Etablierung verfolgt seit
Jahren der Mediziner und Soziologe Prof.
Dr. Alf Trojan.

Studienergebnisse zeigen, dass die
Verankerung der Selbsthilfe in den
Qualitätsmanagementsystemen (QMS)
der Einrichtungen zentral ist. In den am      Foto: i-stock
häufigsten verwendeten Systemen im
ambulanten und stationären Bereich ist        des Qualitätsmanagements und der                     Der vertraute Halt in der Selbsthilfe-
die Zusammenarbeit mit der Selbsthilfe        Zertifizierung angewendet werden,                    gruppe fehlte oder war erschwert. Eine
festgeschrieben. Unterstützungsformen         muss noch erforscht werden.                          Folge davon war ein großer Digitalisie-
werden immer erwähnt, selten jedoch                                                                rungsschub unter den Selbsthilfeaktiven.
                                              Alf Trojan, Selbsthilfe im Qualitätsmanagement von
Kontrollmechanismen und nie Kriterien                                                              Vor allem junge Menschen können sich
                                              Gesundheitseinrichtungen verankern!
der Partizipation. Eine kontinuierliche                                                            leicht auf digitale Formate einlassen, für
konstruktive Mitarbeit von Selbsthilfe-                                                            Ältere stellt das oft eine größere Heraus-
aktiven in Einrichtungsgremien war und           Selbsthilfe in Zeiten der                         forderung dar. Für die meisten Gruppen
ist also hier noch ein Ziel.                  Pandemie                                             können Video- oder Telefonkonferenzen
                                                                                                   persönliche Treffen nur teilweise erset-
Die Qualitätsmanagementsysteme der            Im Frühjahr 2021 befragte die Natio-                 zen, auch weil die Einbindung neuer
Kassenärztlichen Bundesvereinigung            nale Kontaktstelle zur Unterstützung                 Mitglieder schwieriger ist.
allerdings haben im „Manual für Praxen        von Selbsthilfegruppen (NAKOS) 340
und Medizinische Versorgungszentren“          Selbsthilfe-Unterstützungsstellen zu                 Einige Gruppen hielten nur telefonisch
bis in einzelne Formulierungen hinein die     deren Arbeit, insbesondere unter den                 Kontakt. Viele entfalteten Kreativität:
Kriterien der Selbsthilfefreundlichkeit       Pandemiebedingungen.                                 Parks, Schrebergärten, Scheunen wurden
übernommen.                                                                                        zu Treffpunkten, Kleingruppengespräche
                                              Die wichtigsten Themenfelder waren                   und Zweierteams bildeten sich. Diese
An der Aufgabe, vor allem Krankenhäuser       seelische Gesundheit, Generationen-                  machten sogar den Austausch intensiver.
und Rehakliniken selbsthilfefreundlich zu     wechsel in den Selbsthilfegruppen und
gestalten, haben etwa 300 Selbsthilfezu-      neue Austauschformate.                               Die Pandemie hat einen Transformations-
sammenschlüsse mitgewirkt. In welchem                                                              prozess beschleunigt: Neue Formen der
Umfang die Kriterien tatsächlich im Alltag    Die Corona-Pandemie verstärkte be-                   Kommunikation und eine auch digitale
                                              reits bekannte Tendenzen: Anfragen zu                Selbstorganisation entwickeln sich und
INFOs aus                                     Einsamkeit, Depression, Angst, Abhän-                müssen gefördert werden.
Deutsche Arbeitsgemeinschaft                  gigkeit, Existenzängsten und häuslicher
                                              Gewalt nahmen zu. Sie führten auch zu                A. Goldin, J. Hundertmark-Mayser, Entwicklungen
Selbsthilfegruppen e.V. (DAG SHG)                                                                  und Herausforderungen der Selbsthilfeunterstützung
selbsthilfegruppenjahrbuch 2019               entsprechenden Gruppengründungen.                    in Zeiten der Corona-Pandemie. Deutsche Arbeits-
dag-shg.de                                    Das befürchtete Gruppensterben blieb                 gemeinschaft Selbsthilfegruppen e.V. (DAG SHG):
                                              dagegen bisher aus.                                  selbsthilfegruppenjahrbuch 2021.

                                                                                                                                                        9
Gesundheitspress - Gesundheitstreffpunkt Mannheim
Selbsthilfe trifft Forschung

„Ein gemeinsamer Lernprozess steht an“

                                                                                                                               Foto: istock.com
                                           an den Universitäten Hamburg, Hannover    medizinischer Forschung verbessern. Die
                                           und Köln 2012 bis 2017 stellen Meilen-    konkrete Umsetzung dieses im Prinzip
                                           steine diesbezüglich dar.                 natürlich begrüßenswerten Ansatzes stößt
                                                                                     allerdings auf Fragen, die im Einzelfall
                                           Die Befunde waren in der Regel positiv,   nicht immer leicht zu beantworten sind:
                            Foto: privat

                                           was die ursprünglich für viele Fachleute  Welche Personen können in angemes-
                                           suspekte Selbsthilfe zunehmend salon-     sener Weise die Patientenvertretung
                                           fähig machte. Es folgte ihre Akzeptanz    wahrnehmen? Welche „Qualifikationen“
                                           und teilweise Integration zunächst in das müssen sie mitbringen (z.B. Betroffenen-
Jürgen Matzat über die                                                               Kompetenz oder gar -Expertise, aber auch
                                           Versorgungssystem (mit der gesetzlich
Rolle der Selbsthilfe in der               geregelten Förderung durch die Gesetz-    Basiswissen über Forschungsmethodik
Forschung. Er war einer der                liche Krankenversicherung), später die    und kommunikative Fähigkeiten)? Welche
Gründer und langjähriges                   Mitwirkung an der Patientenvertretung in Hilfestellungen benötigen sie zum Ausfül-
Vorstandsmitglied der                      gesundheitspolitischen Entscheidungs-     len dieser Rolle? Inwieweit repräsentieren
Deutschen Arbeitsgemeinschaft              gremien (wie z.B. im „Gemeinsamen Bun- sie die Gesamtheit der Betroffenen – und
                                           desausschuss“) sowie in Arbeitsgruppen nicht nur ihre persönliche Geschichte?
Selbsthilfegruppen und
                                           zur Erstellung von Behandlungsleitlinien, Wie können auf der anderen, der For-
Leiter der Kontaktstelle für               und seit neuestem auch in Planung und     schungsseite, Bereitschaft, Toleranz,
Selbsthilfegruppen in Gießen.              Durchführung von Forschungsvorhaben.      vielleicht sogar Interesse an einer solchen
                                                                                     Kooperation mit „Laien“ wachsen – über
In der Verbreitung, gesellschaftlichen     Die relevantesten öffentlichen For-       die Verpflichtung durch die Geldgeber hin-
Anerkennung und finanziellen Förderung     schungsförderer, DFG und BMBF, gehen      aus? „It takes two to tango“, wie man auf
von Selbsthilfegruppen, Selbsthilfeorga-   dazu über, die Beteiligung von Patien-    Englisch so schön sagt; ein gemeinsamer
nisationen und Selbsthilfekontaktstellen   tenvertretern als ein Bewertungskrite-    Lernprozess steht an.
ist Deutschland allen anderen Ländern      rium bereits bei ihren Ausschreibungen
Europas weit voraus. Zu dieser äußerst     vorzugeben. Die antragstellenden For-     Eine Frage immerhin lässt sich in Deutsch-
positiven Entwicklung haben Forschung      schergruppen müssen aufzeigen, wie        land vergleichsweise gut beantworten: Wie
und Wissenschaft ganz wesentlich beige-    sie Patientenvertretung möglichst in      sollen die Forscher denn nach geeigneten
tragen. Die ersten Forschungsprojekte in   allen Phasen von der Formulierung der     Patientenvertretern suchen? Dafür haben
den 1970er Jahren an den Universitäten     Fragestellung über Planung und Durch-     wir hierzulande eine gut organisierte
Gießen, Hamburg und Heidelberg, die Be-    führung ihrer Studie bis zur Auswertung   Selbsthilfelandschaft, die sich als `erste
gleitforschung zu den Modellversuchen      und Publikation umsetzen wollen. Dies     Wahl´ anbietet. Ob die Selbsthilfe auch
des Bundesgesundheitsministeriums zur      soll Praxisnähe und Versorgungsrelevanz immer in der Lage ist, die angebotenen
Erprobung von Selbsthilfekontaktstellen     KONTAKT                                  Plätze in angemessener Weise zu beset-
in den 1980er und 1990er Jahren und         juergen.matzat@                          zen, wird sich zeigen.
                                                                                      Dipl.-Psych. Jürgen Matzat
zuletzt die SHILD-Studie eines Verbundes   psycho.med.uni-giessen.de

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Selbsthilfe trifft Forschung

Patientenbeteiligung gefordert                                                                   INFOS

Aktive Beteiligung Betroffener an Studien nun Förderkriterium                                   ALLGEMEIN
                                                                                                - Patientenbeteiligungsverordnung
Patientenbeteiligung in der Forschung                                                         		 § 140f Sozialgesetzbuch V (2004)
gab es in Deutschland lange Zeit nicht.                                                         - Behindertenrechtskonvention der
Hinderungsgründe waren auf allen Seiten                                                       		 Vereinten Nationen (2008)
vorhanden: Forschende zweifeln, ob                                                              - Patientenrechtegesetz (2013)
Betroffene ausreichend Wissen über
                                            Die meisten Studien werden vom Innovationsfonds     ANFORDERUNGEN VON
wissenschaftliches Arbeiten haben und       des Gemeinsamen Bundesausschusses gefördert.
einen sinnvollen Beitrag leisten kön-                                                           FORSCHUNGSFÖRDERNDEN
nen. Patient:innen befürchten, mit ihrer    fenen, pflegenden Angehörigen sowie                 Bundesministerium für Bildung und
Betroffenheit nicht ernst genommen oder     weiteren relevanten Nutzenden einge-                Forschung (BMBF): Das Rahmen-
nur beteiligt zu werden, wenn sie uner-     fordert. Betroffene sollen bereits an der           programm Gesundheitsforschung der
lässlich sind für einen Antrag. Patien-     Planung und Konzeption klinischer For-              Bundesregierung fordert unter
tenbeteiligung ist im angelsächsischen      schungsprojekte beteiligt werden. Die               dem Punkt „Gesundheitsforschung
Raum bereits etabliert, in Deutschland      Perspektive von Betroffenen soll in die             gemeinsam gestalten“ die Beteiligung
gibt es noch Verbesserungsbedarf bei der    Identifizierung wichtiger Forschungs-               der Gesellschaft an Forschung.
Umsetzung. Wenn überhaupt, dann waren       fragen, Auswahl der Interventionen und
Patient:innen an klinischer Forschung in    Entwicklung des Forschungsdesigns                   Bundesministerium für Bildung und
der Regel nur passiv beteiligt. Einfluss    einfließen.                                         Forschung (BMBF): In der Richtlinie zur
auf die Gestaltung der Studien hatten sie                                                       Förderung klinischer Studien mit hoher
selten.                                     Um die großen Herausforderungen und                 Relevanz für die Patientenversorgung
                                            die Zusammenarbeit im Gesundheits-                  ist die Beteiligung von Patient:innen
Forschungsförderer wie das Bundes-          wesen weiter zu stärken, ist Forschung              eine besondere Zuwendungsvoraus-
ministerium für Bildung und Forschung       unerlässlich. Dazu müssen Bedarfe und               setzung.
haben die Patientenbeteiligung zum          Bedürfnisse der Patient:innen in den                Deutsche Forschungsgemeinschaft
Kriterium für die Förderung klinischer      Forschungsprozess mit aufgenommen                   (DFG): Der Leitfaden für die Antrag-
Studien gemacht. In der „Richtlinie zur     und abgestimmt werden mit den Struk-                stellung im Programm Klinische
Förderung klinischer Studien mit hoher      turen im Gesundheitswesen und an den                Studien fragt unter Punkt 5 die
Relevanz für die Patientenversorgung“       Schnittstellen zwischen den Versor-                 Patient:innenbeteiligung ab.
wird eine aktive Beteiligung von Betrof-    gungsbereichen.
                                            Kerstin Gieser                                      LITERATUR
                                                                                                - Jilani, H.; Rathjen, K.I.; Schilling, I.;
                                                                                              		 Herbon, C.; Scharpenberg, M.;
                                                                                              		 Brannath, W.; Gerhardus, A.,
                                                                                              		 2020: Handreichung zur
                                                                                              		 Patient:innenbeteiligung an klinischer
                                                                                              		 Forschung, Version 1.0, Universität
                                                                                              		Bremen.
                                                                                                - Ausschuss „Reha-Forschung“ der
                                                                                              		 Deutschen Vereinigung für Rehabilita-
                                                                                              		 tion (DVfR) und der Deutschen
                                                                                              		 Gesellschaft für Rehabilitationswissen-
                                                                                              		 schaften (DGRW)
                                                                                              		 Prof. Dr. Erik Farin-Glattacker (Univer-
                                                                                              		 sitätsklinikum Freiburg), Dr. Silke
                                                                                              		 Kirschning (DRV Bund), Prof. Dr.
                                                                                              		 Thorsten Meyer (Medizinische Hoch-
                                                                                              		 schule Hannover),
                                                                                              		 Dr. Rolf Buschmann-Steinhage (DRV
                                                                                              		 Bund), Partizipation an der Forschung –
                                                                                              		 eine Matrix zur Orientierung (2014)
Foto: istock.com

                                                                                                                                       11
Selbsthilfe trifft Forschung

Realität der Menschen in den Blick nehmen
Patientenbeteiligung
in allen Forschungs-
phasen von Nutzen

Patientenbeteiligung in allen Phasen der   sie sind bei Gutachtersitzungen beteiligt    Patient:innen haben eine gleichberech-
Forschung hat einen positiven Nutzen.      und wirken in einem Projektbeirat mit. Für   tigte oder eine eigenständige Rolle bei
Betroffene werden mit ihren Wünschen,      Publikationen werden sie zur Durchsicht      Projektaufgaben. Forschungsergebnisse
Erfahrungen und Meinungen gehört           und um Kommentierung gebeten.                werden gemeinsam publiziert.
und berücksichtigt. Den Forschenden
ermöglicht die Beteiligung, eine andere    Bei der Mitwirkung sind Betroffene           Geht die Initiative von Betroffenen aus
Sichtweise auf ihr Forschungsgebiet        mehr als nur beratend tätig, aber noch       und übernehmen diese auch die Steue-
kennenzulernen. Eine aktive Beteiligung    nicht gleichberechtigt eingebunden. Sie      rung eines Forschungsprojektes, dann
von Betroffenen ermöglicht diesen,         nehmen als Expert:innen an Fachgesprä-       liegen Planung, Ausschreibung und
Einfluss nehmen zu können auf alle         chen teil, wirken an der Erstellung von      Förderentscheidung bei den Betroffenen.
wichtigen Entscheidungen und Phasen        Unterlagen oder einzelnen Bestandtei-        Wissenschaftler:innen arbeiten ihnen
im Forschungsprozess.                      len im Rahmen des Projektes mit. Sie         dann zu und unterstützen.
                                           nehmen Stellung zum Antrag, haben ein
Durch die unterschiedlichen Rahmen-        Stimmrecht bei Förderentscheidungen          Dr. rer. nat. Kristina Hoffmann aus der
bedingungen von Projekten variieren        und beteiligen sich an einzelnen Projekt-    Abteilung für Public Health, Sozial- und
Zeitpunkt und Grad der Beteiligung.        aufgaben oder der Publikation.               Präventivmedizin des Zentrums für Prä-
Diese kann von der Beratung über die                                                    ventivmedizin und Digitale Gesundheit
Mitwirkung bis hin zur Zusammenarbeit      Bei einer gleichberechtigten Zusammen-       Baden-Württemberg meint zum Thema
und Steuerung reichen: Wenn Betroffene     arbeit wird der Forschungsbedarf zwi-        Patientenbeteiligung in der Forschung:
beratend hinzugezogen werden, dann         schen Förderer, Betroffenen und Wissen-      „Das, was wir beforschen, darf einfach
nehmen sie an Fachgesprächen teil, wer-    schaftlern gleichberechtigt abgestimmt       nicht an der Realität der Menschen
den gebeten, Materialien zu sichten und    und gemeinsam geplant. Notwendige            vorbeigehen.“
Fragestellungen zu kommentieren. Oder      Gutachterkreise sind paritätisch besetzt.    Kerstin Gieser

12
Selbsthilfe trifft Forschung

Über Ihre Erfahrungen mit Studien spricht:
Marianne Simon

DSL-Selbsthilfegruppen „Schmerz lass nach“
Weinheim und Mannheim, Vizepräsidentin
der Deutschen Schmerzliga e.V., Sprecherin
der Regionalen Arbeitsgemeinschaft
Selbsthilfegruppen Mannheim

Wir erhalten häufig Anfragen zu Studien.
Bislang haben wir (Mitglieder der Selbst-
hilfegruppe „Schmerz lass nach!“ und
ich) leider wenig positive Erfahrungen
gemacht.

An einer Studie des ZI Mannheim zu „Rüc-
kenschmerz“ nahm ein Mitglied meiner
Selbsthilfegruppe teil. Sie war anfangs
positiv überrascht, wie viel Zeit sich die
Ärzte nahmen. Ein Teil der Studie war ein
MRT. Eine Woche danach rief dann – am
Gründonnerstag – ein Arzt bei ihr an und
teilte ihr auf dem Anrufbeantworter mit,
dass beim MRT eine Geschwulst im Kopf
gefunden wurde, sie möchte sich doch
unbedingt dringend im ZI melden. Das          Marianne Simon
Mitglied kam nach 18 Uhr nach Hause und       äußert sich konkret zur
erreichte niemanden mehr.                     Patientenbeteiligung.
                                              Foto: Marianne Simon
So saß sie bis Dienstag nach Ostern auf
glühenden Kohlen, bis der Arzt ihr mitteil-
te, dass das „in ihrem Alter häufiger der
Fall ist, man solle es nur im Blick behal-
ten“.                                         Tag lang Fragen am PC. Beiläufig erfuh-     ersten 4 Stunden zum Studienauftakt Zeit
                                              ren wir, dass die Mediziner für die Be-     und vereinbarte auch den Folgetermin.
Eine Studie, an der ich teilgenommen          antwortung der Fragen ein Mehrfaches        Kurz vor dem 2. Termin kam ein Anruf, dass
habe, wurde vom Uniklinikum Heidelberg        unserer Aufwandsentschädigung beka-         sie nicht weiter in die Studie einbezogen
in Verbindung mit der Klinik Hamburg-         men. Und: Die Ärzte erhielten jeweils       wird und der Termin ausfällt. Warum, hat
Eppendorf durchgeführt. Wir waren drei        einen Ausdruck der Auswertung für die       sie nicht erfahren.
Patientenvertreterinnen bei der MULTI-        anschließende Diskussion zum Verbleib.
qual-Studie. Bereits beim Auftakt zeigte      Wir bekamen einen zu dritt und mussten      Dies sind drei Beispiele, die schlecht
sich unser „Stellenwert“: Als ein Professor   diesen danach abgeben. Die versproche-      verliefen. Wir Patienten sollen zwar Zeit
hörte, dass wir „nur“ Patientenvertrete-      ne Auswertung des ersten Teils haben wir    und Wissen einbringen, aber leider ohne
rinnen sind, meinte er, dass seine Stimme     nie erhalten. Wir haben daher an Folge-     anschließend Ergebnisse zu erhalten. In-
„mehrfach zählen müsse, da er ja vom          studien nicht mehr teilgenommen.            zwischen sind wir sehr kritisch, wenn Einla-
Fach“ sei. Wir waren uns einig, dass wir                                                  dungen kommen. Schade!
unter diesen Voraussetzungen nicht weiter     Bei einer weiteren Studie der Universität
mitwirken würden. Schnell wurde danach        HD ging es um neue „Behandlungsver-         KONTAKT
entschieden, dass alle Stimmen gleich         fahren und -strategien für chronische       Tel. 06201 - 604 94 10 (AB)
zählen. Wir blieben und bearbeiteten einen    Schmerzen“. Ein Mitglied nahm sich die      info@schmerz-lass-nach-weinheim.de

                                                                                                                                 13
Selbsthilfe trifft Forschung

Partner der Forschung: eine Übersicht über Projekte
Der Gesundheitstreffpunkt Mannheim
und das Heidelberger Selbsthilfebüro
arbeiten seit Jahren in Forschungspro-
jekten mit, seit 2012 sind sie Partner des
Zentrums für Versorgungsforschung des
Universitätsklinikums Heidelberg. Ziel der
Kooperation ist, den Blickwinkel von Ak-
tiven aus der Selbsthilfe in die Forschung
einfließen zu lassen und dort die Inter-
essen der Betroffenen zu vertreten. Wo
möglich, wird für Forschungsprojekte ein
begleitender Beirat aus Mitgliedern der
Selbsthilfegruppen gebildet, um ihr Er-
fahrungswissen in Studien zu integrieren
und damit für die Versorgung zugänglich
zu machen.

   LONG-COVID
Wissen teilen für gute Versorgung – das
Long-COVID-Netzwerk Rhein Neckar             Foto: i-stock
Hausarztpraxen, Physio- und Psycho-
                                             zu entwickeln, mit dem die hausärztliche
therapeuten und weitere im Gesund-                                                            LANGZEITBEATMUNG
                                             Versorgung der Betroffenen individueller
heitswesen aktive Einrichtungen wie                                                        Invasive Langzeitbeatmung vermeiden –
                                             gestaltet und so eine Verbesserung mög-
das Selbsthilfebüro haben sich im                                                          PRiVENT
                                             lich werden soll. Der Gesundheitstreff-
Long-COVID-Netzwerk Rhein Neckar                                                           Viele Menschen überleben eine längere
                                             punkt als Studienpartner organisiert und
zusammengeschlossen. Im Rahmen                                                             intensivmedizinische Behandlung, können
                                             koordiniert einen Patientenbeirat.
einer Studie wurde eine Onlineerhebung                                                     dann aber oft nur schwer von der künstli-
                                             Infos über den Gesundheitstreffpunkt.
unter Patient:innen und Hausärzt:innen                                                     chen Beatmung entwöhnt werden. Durch
in der Region durchgeführt und nach                                                        Früherkennung von Risikofaktoren für eine
                                                CHRONISCHE WUNDEN                          Langzeitbeatmung sollen fachübergreifend
persönlichen Eindrücken und Erfahrun-
                                             Chronische Wunden richtig behandeln –         Vorgehensweisen zur Vermeidung von invasi-
gen Betroffener mit der Versorgung bei
                                             Ulcus Cruris Care                             ver Langzeitbeatmung entwickelt werden.
einem Long-COVID-Syndrom gefragt. Die
                                             Das vom Innovationsfonds geförderte           Das Projekt unter Leitung der Thoraxklinik in
Ergebnisse sollen im Frühjahr 2022 zur
                                             Projekt Ulcus Cruris Care will die Ver-       Heidelberg und mit Bundesmitteln gefördert
Verfügung stehen.
                                             sorgung von Patient:innen mit venös           hat eine Laufzeit von 2020 bis 2024.
Longcovidnetz.de
                                             bedingten chronischen Wunden verbes-          wieder-selbst-atmen.de
                                             sern. Über digitale Schulungen und mit
                                             Hilfe standardisierter Behandlungsemp-
                                             fehlungen und digitaler Wunddokumen-
                                             tationen erhalten Hausärzt:innen einen
                                             schnellen Überblick über die Wundhei-
   CHRONISCHE SCHMERZEN
                                             lung. Ein E-Learning-Modul und Informa-
Den Alltag mit chronischen Schmerzen                                                          VERSORGUNGSKONTINUITÄT
                                             tionsschriften für Patient:innen sollen die
besser bewältigen – RELIEF                                                                 Persönliche Versorgungskontinuität schaf-
                                             Selbstversorgungskompetenzen fördern.
Viele Menschen mit chronischen Schmer-                                                     fen und sichern – Vespeera
                                             Das Projekt wird erstmals in 20 Haus-
zen sind täglich auf Schmerzmittel ange-                                                   Unter den jährlich rund 20 Millionen im
                                             arztpraxen erprobt.
wiesen, die ihren Alltag sehr einschrän-                                                   Krankenhaus behandelten Menschen in
                                             shorturl.at/ikzG6
ken. Informiertheit und gute Selbst-                                                       Deutschland werden viele unnötig wieder
fürsorge können helfen, Medikamente                                                        aufgenommen. Denn häufig werden Er-
zu reduzieren. Ziel der auf fünf Jahre                                                     krankte aus dem Krankenhaus entlassen
projektierten Studie ist es, ein Programm                                                  ohne Abstimmung über die Weiterversor-

14
Selbsthilfe trifft Forschung

 gung mit ihnen, ihren Angehörigen oder        ELEKTRONISCHE PATIENTENAKTE
 ihrer Hausarztpraxis. Ziel von Vespeera    Patientensouveränität über die
 war daher, zuverlässige Kommunikati-       eigenen Daten schaffen und sichern –
 onsstrukturen zwischen Krankenhaus         INFOPAT
 und Hausarztpraxis zu schaffen.            Patient:innen standen im Zentrum
 vespeera.org                               des Projekts, das von 2012 bis 2017
                                            in der Metropolregion Rhein-Neckar
                                            durchgeführt wurde. Es war das erste
                                            Forschungsprojekt, in das Gesund-
                                            heitstreffpunkt und Selbsthilfebüro
    SELBSTWIRKSAMKEIT                       einbezogen waren. Mittels einer per-
 Kraftquellen, soziale Kontakte und         sönlichen, einrichtungsübergreifenden
 Selbstfürsorge aktivieren – HoPES3         elektronischen Patientenakte (PEPA)
 Zur Verbesserung der hausärztlichen        sollten Patient:innen allein entschei-
 Betreuung von älteren Menschen wurde       den, wer auf welche Daten Zugriff hat,
 von 2018 bis 2020 die Studie HoPES3        wer etwas lesen oder etwas einstellen
 durchgeführt. Gemeinsam mit chronisch      darf. Diese Patientenakte konnten
 erkrankten Patientinnen und Patienten      sie auch mit eigenen Informationen
 jenseits der 70 sowie mit Hausarztpra-     ergänzen, z.B. Ansprechpersonen für
 xen in Heidelberg und Tübingen wurde       den Notfall oder Patientenverfügung.
 nach Möglichkeiten gesucht, die Selbst-    infopat.eu
 fürsorge zu stärken und soziale Kontakte
 zu (re)aktivieren.
 hopes3.de

                                                                                            Foto: i-stock

                                                                                                Die Beteiligungsplattform:

                                                                                                Betroffene können ihre Sichtweise
                                                                                                nun in die krebsmedizinische For-
„fragdiepatienten.de“ mitgestaltet                                                              schung einbringen: Die neue Umfra-
                                                                                                geplattform des DKFZ www.fragdie-
 Günter Kupke, Selbsthilfegruppe Prostatakrebs Rhein-Neckar,                                    patienten.de lädt Krebspatient:innen
 über Patientenbeteiligung an einer Studienplattform des DKFZ                                   ein, an Umfragen zu aktuellen
                                                                                                Forschungsprojekten teilzunehmen.
                                                                                                Sie bringt Krebspatient:innen und For-
                                                                                                schende zu diesem Zweck zusammen.
                                                                                                Wie funktioniert das?

                                                                                                Wissenschaftlerinnen und Wissen-
                                                                                                schaftler präsentieren ihr Forschungs-
                                                                                                projekt aus der Krebsmedizin auf
 „Wir onkologischen Patienten haben         www.fragdiepatienten.de mitzuarbeiten,              fragdiepatienten.de und stellen eine
 uns schon immer gewünscht, beim            was ich gerne übernahm. Man präsen-                 Meinungsumfrage dazu ein.
 Design von Studien eingebunden zu          tierte uns einen Vorschlag für diese
 werden. Im Sommer 2021 kam eine            Webseite, den Vertreter verschiedener               Krebsbetroffene können die Umfrage
 Anfrage des Krebsinformationsdienstes      Selbsthilfegruppen beurteilten und mit              anonym und zeitlich ungebunden
 auch an den Bundesverband Prosta-          eigenen Vorschlägen verbesserten. Im                ausfüllen. Freitextfelder bieten Raum,
 takrebs Selbsthilfe e.V., ob wir bereit    Herbst 2021 ging die Seite nun online“.             um eigene Sichtweisen darzulegen.
 wären, an der Gestaltung der Webseite      Günter Kupke

 KONTAKT                                    Grafik: fragdiepatienten.de © Krebsinformati-       INFO
                                            onsdienst, Deutsches
 selbsthilfegruppe-prostatakrebs.de/                                                            fragdiepatienten.de/
                                            Krebsforschungszentrum DKFZ

                                                                                                                                     15
Selbsthilfe trifft Forschung

Ein Blick zurück – und nach vorn

                                                                                                          Christina Reiß, Soziologin, ist seit
                                                                                                          2016 Kommunale Behinderten-
                                                                                                          beauftragte der Stadt Heidelberg
                                                                                                          und war lange in der Selbsthilfe-
                                                                                                          unterstützung tätig.
                                                                                                          Heute erinnert sie sich an das
                                                                                                          Forschungsprojekt INFOPAT, bei
                                                                                                          dem eine patientengesteuerte
                                                                                                          Patientenakte entwickelt werden
                                                                                                          sollte.
                                                                                                          Foto: Marcus Schwetasch

Seit einigen Jahren ist es bei vielen        des Projekts INFOPAT, bei dem eine            motion / Dissertation und Veröffentli-
Forschungsprojekten verpflichtend, die       patientengesteuerte Patientenakte entwi-      chungen voranbringen.
Sicht der Anwendenden miteinzubezie-         ckelt werden sollte, heißt das: Wenn bis-
hen. So auch in der Gesundheits- und         her in der Patientenversorgung niemand        Häufig bleibt unberücksichtigt, dass
Versorgungsforschung. Im Zuge der            Zeit hat, vorhandene Befunde zu sichten,      Menschen mit schweren Erkrankungen
Digitalisierung gibt es hier eine Reihe an   dann hat es wenig Sinn, diese digital zur     keine „Kundschaft“ sind, sondern spe-
Forschungsvorhaben, die versprechen,         Verfügung zu stellen. Wenn die Fachdis-       zifische Bedürfnisse haben. Sie können
die Versorgung zu verbessern (und im         ziplinen nicht zusammenarbeiten und in        nicht x-beliebig die Behandlung wech-
Idealfall Kosten zu sparen). Um dies zu      Erwägung ziehen, dass auch ein Befund         seln, sie haben keine „Marktmacht“, sind
ermöglichen, arbeiten sehr unterschied-      aus einem anderen Bereich wichtig sein        Kostenträgern ausgeliefert. Sie brauchen
liche Wissenschaftsdisziplinen zusam-        könnte (was leider oft genug der Fall ist),   Information und Zuwendung. Ersteres
men. Allein dies ist schon nicht einfach.    dann hilft es niemandem, diese Befunde        kann digital unterstützt werden, letzteres
Kommt noch Patientenvertretung dazu,         in einer elektronischen Patientenakte         nicht. Das braucht Zeit des Personals,
wird schnell die Hierarchie zwischen Wis-    vorzuhalten. Fragen von Datenschutz           und die ist Mangelware.
senschaft und Anwendenden spürbar.           und –sicherheit sind bei einem solchen
An zwei solcher Projekte war ich seit        Vorhaben ebenfalls zentral. Im Projekt        Es ist begrüßenswert, dass die Patien-
2009 beteiligt. Mit mehreren Jahren          wurde das gut umgesetzt, was davon in         tensicht eingebracht wird. Wünschens-
Abstand bin ich noch immer ziemlich          der Realität landen wird, weiß niemand.       wert wäre für die Zukunft, dass dies auf
ernüchtert. Ein wirklicher Gewinn für die                                                  Augenhöhe geschieht. Eine finanzielle
Situation von Patientinnen und Patienten     Zwei Eindrücke, die ich gewonnen habe:        Ausstattung von Beteiligten aus der
konnte nicht erreicht werden. Meiner         In vielen Forschungsprojekten geht            Selbsthilfe dafür ist zwingend erforder-
Ansicht nach liegt das daran, dass nur       es darum, dass Institute Fördermittel         lich, denn ehrenamtlich kann so etwas
Prozesse, die analog funktionieren, auch     erhalten und ihre Mitarbeitenden ihre         nicht erfolgen. Aber auch die Haltung der
digitalisiert werden sollten. Am Beispiel    wissenschaftliche Karriere über Pro-          Forschenden muss passen.

16
Selbsthilfe trifft Forschung

Über Ihre Erfahrungen mit Studien spricht:
                                                                                                Ich habe auch an verschiedenen Studien
Annette Hans, Selbsthilfe-                                                                      zum Thema Lungenkrebs in bestimmten
gruppe in der Metropolregion                                                                    Stadien teilgenommen und wie man am
Rhein-Neckar für Lungen-                                                                        besten über Behandlungen aufklären
krebskranke und Angehörige                                                                      kann. Oder beim Erstellen von Broschü-
und Vorsitzende des Landes-                                                                     ren mitgearbeitet, damit Betroffene
                                                                                                und Angehörige verständlich informiert
verbands Baden-Württemberg
                                                                                                werden.

Ich habe an so vielen Studien teilgenom-                                                        Was mich motiviert? Ich beteilige mich
men… Eine Studie war die MULTIqual                                                              an Studien, um dazu beizutragen, dass
Studie, in der es um Morbidität ging. Die                                                       anderen Betroffenen vielleicht besser
Studie wurde mit Ärzten, Forschern und                                                          geholfen werden kann. Ich habe ja selbst
Patientenvertretern gemeinsam durch-                                                            die Erfahrungen gemacht und weiß, was
geführt. Man musste über 300 Fragen                                                             hilfreich sein kann und was nicht. Mir ist
ausfüllen und dann gab es ein Auswer-                                                           wichtig, dass Ärzte und Forscher ver-
tungstreffen. Leider wurden die Patien-                                                         stehen, wie ein Patient sich in manchen
                                            Annette Hans äußert sich konkret zur Patientenbe-
tenvertreter nicht richtig berücksichtigt   teiligung.
                                                                                                Situationen fühlt, was man Patienten
und ich habe mir auch etwas anderes von     Foto: UMM                                           zumuten kann oder warum manche
der Studie erhofft.                                                                             Behandlungen abgelehnt werden.
                                            tienten im Krankenhaus stellen kann,                KONTAKT
Eine Studie hieß Intakt, da ging es um      welche man dann auf einem Fragebogen                Annette Hans, annette.hans@live.de
Fragen, die man an betroffene Krebspa-      aufgeführt hat.

Beteiligung der Selbsthilfe an der Forschung: Was braucht es, damit es gut läuft?!

Viele Aktive aus Selbsthilfegruppen sind    titute und Forschende davon ausgehen,               Aktiven aus der Selbsthilfe
hilfsbereit, wenn es darum geht, die        dass Aktive aus Selbsthilfegruppen ihr                Information der Mitwirkenden über
Versorgungsstrukturen für alle Betroffe-    Engagement umsonst anbieten (sollen).               Forschungsvorhaben und -ergebnisse
nen zu verbessern. In den letzten Jahren                                                          eine wertschätzende Kultur für das
häufen sich die Anfragen an Selbsthilfe-    Die Mitarbeit in Forschungsprojekten                Erfahrungswissen, das die Aktiven
gruppen, sich bei Studien zu beteiligen.    zählt nicht zur originären Selbsthilfear-           mitbringen
Was im Sinne der Betroffenen ist: dass      beit. Sie sollte daher über adäquate                  eine Gleichbehandlung mit anderen
ihr Erfahrungswissen in Forschungser-       Aufwandsentschädigungen erfolgen.                   Beteiligten und „Augenhöhe“ während
gebnisse einfließt.                                                                             des Projekts
                                            Für eine gelingende Kooperation braucht               Verbindlichkeit in der Kooperation
Viele Gelder werden für diese Vorhaben      es darüber hinaus:                                    Transparenz darüber, was mit den
zur Verfügung gestellt. Umso erstaunli-       eine präzise Klärung der Erwartungen              Ergebnissen weiter geschieht.
cher ist es für uns, dass zahlreiche Ins-   und Aufgaben vor der Rekrutierung von               Bärbel Handlos

                                                                                                                                       17
Gesundheitstreffpunkt Mannheim aktuell

„Du bist nicht allein!“                                                             Neue Publikationen des
                                                                                    Gesundheitstreffpunkts
 Plakataktion in Mannheim
                                                                                    Um alle wichtigen Informationen über
                                                                                    den Gesundheitstreffpunkt mit der Kon-
                                                                                    taktstelle für Selbsthilfe und der Patien-
                                                                                    tenberatung Rhein-Neckar zu bündeln,
                                                                                    hat der Gesundheitstreffpunkt ein neues
                                                                                    Faltblatt erstellt. In diesem werden kurz
                                                                                    und knapp die Arbeitsschwerpunkte des
                                                                                    Gesundheitstreffpunkts vorgestellt und
                                                                                    Kontaktmöglichkeiten genannt. Das
                                                                                    Faltblatt wird auf den eigenen Informati-
                                                                                    onsständern ausgelegt, es ist auch direkt
                                                                                    beim Gesundheitstreffpunkt erhältlich.

                                                Foto oben: Wall Decaux
                                                Foto unten: Gesundheitstreffpunkt
 Der Gesundheitstreffpunkt startete ins
 Jahr 2022 mit der Plakatkampagne „Du
 bist nicht allein!“. Auf digitalen Displays,
 den Citylights, und an Straßenbahnhalte-                                           Ebenso erhältlich ist die Ende 2021 er-
 stellen in Mannheim lenkten die großfor-                                           schienene Jubiläumsbroschüre zum 40.
 matigen Plakate im Laufe des Januars die                                           Geburtstag des Gesundheitstreffpunkts,
 Aufmerksamkeit auf die Selbsthilfe und                                             der ältesten Selbsthilfekontaktstelle
 hier vor allem auf einsame Menschen.                                               in Baden-Württemberg. Die Broschüre
 Die Aktion „Du bist nicht allein!“ weist                                           bietet in aller Kürze einen Überblick über
 auf die gegenseitige Unterstützung hin,                                            die Arbeit des Gesundheitstreffpunkts
 die sich Betroffene und deren Angehörige                                           und die vergangenen 40 Jahre.
 in Selbsthilfegruppen geben können,
 und sie will Mut machen, eine Gruppe zu
 finden oder sogar selbst eine zu gründen.
 „Besonders angesprochen werden Men-
 schen, die einsam sind. Ihnen soll Hoff-
 nung auf Besserung vermittelt werden.
 Gerade nach fast zwei Jahren Pandemie
 sehen wir, wie wichtig es ist, mit ande-
 ren im Austausch und im Gespräch zu
 bleiben“, sagt Geschäftsführerin Bärbel
 Handlos, die die Idee zu dieser Kampa-
 gne hatte und für die Umsetzung den
 Außenwerbungsanbieter Wall GmbH und
 die BKK Pfalz gewinnen konnte, die seit
                                                                                    Die Titelseiten der beiden neuen Publikationen des
 Jahren Selbsthilfeangebote in der Region                                           Gesundheitstreffpunkts: Das Faltblatt (oben) und die
 verlässlich unterstützt.                                                           Jubiläumsbroschüre (unten).

 18                                                                                  gesundheitstreffpunkt-mannheim.de
Gesundheitstreffpunkt Mannheim aktuell

Seminare und Veranstaltungen 2022: Schauen Sie rein
Der Gesundheitstreffpunkt hat erneut ein      Am 17. September lautet das Thema:          schiedenen Themen wird mit unseren
vielfältiges Seminar- und Veranstaltungs-     „Telefonische Erstberatung – wie geht es    Kooperationspartner:innen in bewährter
programm für Mitglieder aus Selbsthilfe-      richtig?“. Diskutiert wird, wie man gene-   Zusammenarbeit fortgeführt. Am 13.
gruppen zusammengestellt. Die Semina-         rell eine Beratung am Telefon durchführt    Mai geht es um das Thema „Psychische
re sollen helfen, die Arbeit in der eigenen   und wie man es schafft, dass Ratsuchen-     Erkrankung bei Kindern und Jugendli-
Selbsthilfegruppe zu erleichtern.             de nach einem ersten Telefonat auch in      chen“. Die Teezeit am 12. Juli beschäftigt
                                              die Selbsthilfegruppe kommen (verbun-       sich mit dem Thema „Frauengesundheit“,
Beim Seminar „Entspannung in der              den mit der Frage, wie man am Telefon       während am 16. November das Thema
Gruppe bei Qigong“ am 7. Mai soll die         seine Selbsthilfegruppe „attraktiv“ für     „COPD – Chronisch obstruktive Lungener-
Übungsmethode Qigong sowohl für die           Ratsuchende machen kann).                   krankung“ behandelt wird. Alle Teezeiten
eigene Anwendung als auch als Entspan-                                                    sind kostenfrei und werden bei Bedarf
nungselement bei der Arbeit in Selbsthil-     Das Veranstaltungsjahr 2022 endet mit       simultan ins Türkische übersetzt.
fegruppen vorgestellt werden.                 dem Onlineseminar „Erstellung eines
                                              barrierefreien PDF-Dokuments“ am 18.        Bei allen Veranstaltungen werden die
Das Seminar „Nach Corona: Wie bringe          November. Bei diesem Seminar wird er-       aktuell gültigen Hygienevorgaben umge-
ich meine Selbsthilfegruppe wieder ins        klärt, wie man PDF-Dokumente erstellt,      setzt. Gegebenenfalls finden die Präsenz-
Laufen“ am 16. Juli beschäftigt sich mit      die mit Hilfe einer Software blinden oder   veranstaltungen auch virtuell statt, der
den Auswirkungen der Coronapandemie.          sehbehinderten Menschen vorgelesen          Gesundheitstreffpunkt informiert in die-
Es geht um verschiedene Methoden, mit         werden können.                              sem Fall immer rechtzeitig. Die Seminare
denen der eigenen Selbsthilfegruppe                                                       und Teezeiten werden ermöglicht durch
nach der langen Coronazeit wieder neuer       Die Veranstaltungsreihe Teezeiten mit       die gesetzlichen Krankenkassen.
Schwung verliehen werden kann.                Gesundheitsinformationen zu ver-

Neue Technik ermöglicht hybride Treffen

                                                                                          Zwei Gruppenräume, die seit Ende Januar hybride
Mit freundlicher Unterstützung der ge-        Präsenztreffen der Gruppen beliebig viele   Treffen ermöglichen: Raum 3 und Raum 7.
                                                                                          Fotos: Gesundheitstreffpunkt
setzlichen Krankenkassen wurden zwei          Personen von außerhalb online dazu-
Gruppenräume des Gesundheitstreff-            schalten können. Durch eine unter dem       Notebook oder Tablet, das bei Bedarf
punkts mit großen Flachbildschirmen           Flachbildschirm eingebaute Kamera kön-      auch beim Gesundheitstreffpunkt ausge-
und Technik für virtuelle Konferenzen         nen diese das Geschehen im Raum mit-        liehen werden kann. Eine Anmietung der
ausgestattet. In Raum 3 und Raum 7            verfolgen und sich aktiv an den Gruppen-    Räume und die Nutzung der neuen Tech-
können daher ab sofort hybride Treffen        treffen beteiligen. Die Nutzung der neuen   nik sind auch für andere externe Nutzer
von Selbsthilfegruppen durchgeführt           Technik ist kostenfrei. Notwendig für ein   möglich. Bei Interesse melden Sie sich
werden: Das bedeutet, dass sich zu den        hybrides Gruppentreffen ist lediglich ein   gerne beim Gesundheitstreffpunkt.

gesundheitstreffpunkt-mannheim.de                                                                                                           19
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