GEWALTPRÄVENTION - Friedensbüro Salzburg

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GEWALTPRÄVENTION - Friedensbüro Salzburg
FRÜHLING
  2020

                                                                  Zeitung

                                GEWALTPRÄVENTION

                                                        GEWALT BEGEGNET UNS IN UNTERSCHIEDLICHEN FORMEN, AUSPRÄGUN-
I N T E R V I E W
                                                        GEN UND KONTEXTEN - sei es direkte, physische Gewalt, Mobbing und Aus-
„Es gilt, ein Klima das Mitein-                         grenzungssituationen, strukturelle Gewalt oder sexualisierte Gewalt. Das Frie-
anders zu schaffen“                            S. 04
                                                        densbüro hat es sich seit seiner Gründung vor knapp 35 Jahren zum Anliegen
                                                        gemacht, Gewalt präventiv zu begegnen und konstruktive Möglichkeiten der
                                                        Konfliktbearbeitung zu stärken, und zwar sowohl im persönlichen, beruflichen
S E X U A L I S I E R T E   G E W A L T
Verdacht auf sexuelle Gewalt                  S. 06
                                                        sowie im politischen Kontext. Seit 2015 bieten wir den praxisorientierten Lehr-
                                                        gang „Bevor’s kracht“ in Kooperation mit St. Virgil Salzburg an, der Interessierten
                                                        umfassendes Grundlagenwissen sowie zahlreiche Methoden vermittelt, mit denen
I N T E R K U L T U R E L L E   K O N F L I K T E       Gewalt vorgebeugt werden und bei Konflikten interveniert werden kann. Die vorlie-
Vom Weben kultureller Netze                    S. 08    gende Ausgabe des Kranich gibt einen Einblick in ausgewählte Module des Lehrgangs,
                                                        für die sich Interessierte auch einzeln anmelden können.           Die Redaktion

                                                       Lehrgang „Bevor’s kracht“ | Seite 16
GEWALTPRÄVENTION - Friedensbüro Salzburg
INTERVIEW

                                                                                Barbara Wick, pädagogische Leitung im
                                                                                                Friedensbüro Salzburg

I N H A L T

02 Kommentar

03 Kurz & Bündig

04 „Es gilt, ein Klima des Miteinanders zu
   schaffen“

06 Verdacht auf sexuelle Gewalt

08 Vom Weben kultureller Netze
                                                                          „Und bist du nicht willig... so brauch
10 Gewalt in Medien
                                                                                                   ich Geduld“
                                                                         Öffnet man die Zeitung oder klickt man sich durchs Netz, hat man fast das
12 Zivilcourage: Hinsehen statt Weg-                                     Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen: Gewaltdelikte scheinen allgegenwärtig
                                                                         zu sein und in ihrer Brutalität zuzunehmen. Diese Ausgabe hilft, die vielfältigen
   sehen!
                                                                         Erscheinungsformen der Gewalt differenzierter zu betrachten und beleuchtet
                                                                         aktuelle Ansatzpunkte zur wirksamen Präventionsarbeit.
14 Veranstaltungen
                                                                         Die Juristin und Mediatorin Andrea Holz-Dahrenstaedt, Leiterin der Kinder- und
                                                                         Jugendanwaltschaft Salzburg, gibt im Interview auf den Seiten 4-5 Einblick in ihre
                                                                         Arbeit und reflektiert über Grundpfeiler gelingender Gewaltprävention.
                                                                         Darüber hinaus rücken wir unseren Gewaltpräventionslehrgang „Bevor´s
                                                                         kracht“ in den Fokus. Dabei geben Referent*innen Einblick in ihr Fachwissen:
                                                                         Holger Specht beschreibt auf den Seiten 6-7 das Dilemma von Betroffenen
                                                                         und deren Umfeld sowie das der Beschuldigten, sobald der Verdacht des
                                                                         sexuellen Missbrauchs geäußert wird.
                                                                         Mit gelungenen Good Practice Beispielen im inter- und transkulturellen Kon-
                                                                         text beschäftigt sich Daniela Molzbichler. In ihrem Beitrag auf den Seiten 8-9
              So können Sie uns erreichen:                               geht sie auf den schwer abgrenzbaren Begriff “Kultur“ ein und erläutert dabei
              Friedensbüro Salzburg                                      multi-, inter- und transkulturelle Zugänge.
              Franz-Josef-Str. 3, 5020 Salzburg                          Das Ausmaß und den Stellenwert der digitalen Medien in unserem Alltag
KONTAKT

                                                                         beschreibt Julia Fraunberger auf den Seiten 10-11. In ihrem praxisorientierten
              tel/fax: 0662/87 39 31
                                                                         Seminar „Medienkompetenz“ (Winter 2021) taucht sie dabei mit den Teilneh-
              e-mail: office@friedensbuero.at
                                                                         mer*innen in die Tiefen der Onlinewelt ein.
              www.friedensbuero.at                                       Reinhard Leonhardsberger holt bewährte Strategien zur Deeskalation und zu
              Bankverbindung: Salzburger Sparkasse,                      zivilcouragiertem Handeln vor den Vorhang. Der Referent setzt sich dabei auf
              IBAN: AT102040400000017434                                 den Seiten 12-13 mit Aspekten auseinander, die die Wahrscheinlichkeit
              Öffnungszeiten:                                            beeinflussen, in Konfliktsituationen einzugreifen. Weitere Hinweise zum Lehr-
              Mo & Mi: 9–11 Uhr • Di & Do: 15–18 Uhr                     gang und der Möglichkeit zur Einzelbuchung der Module finden Sie auf Seite 16.

                                                                         Ebenso auf Seite 16 finden Sie Informationen zum neuen Workshop „Out of
                                                                         the box“, wo Teilnehmer*innen eine Cybermobbing Situation simulieren, um
 IMPRESSUM

              DER KRANICH                                                herauszufinden, wie zivilcouragiertes Handeln auch in der digitalen Welt
              Nr. 01/2020                                                funktionieren kann.
              An der Erstellung dieser Ausgabe haben mit-
              gewirkt: Hans Peter Graß, Kristina Langeder, Desirée
                                                                         Wichtiger Hinweis: Aufgrund der Entwicklungen rund um das Corona-Virus kön-
              Summerer, Barbara Wick, Christine Czuma.
              Titelbild: Annette Rollny | fokus visuelle kommunikation   nen wir aktuell nicht mit Sicherheit sagen, ob und in welcher Form die geplanten
              Layout: Kristina Langeder                                  Veranstaltungen abgehalten werden können. Wir informieren dazu regelmäßig
              Grafisches Grundkonzept: Eric Pratter                      auf unserer Homepage (www.friedensbuero.at) und in unserem Newsletter.

                                                                                                                                             Barbara Wick

             02                                                                                                     KRANICH 01/2020 – friedensbüro salzburg
GEWALTPRÄVENTION - Friedensbüro Salzburg
KURZ & BÜNDIG

                                                „Lernsieg“                                       Dass Schüler*innen Feedback geben kön-
                                                                                                 nen, ist also wichtig – dass sie dazu im
                                                Die vom Schüler Benjamin Hadrigan                Schulalltag nur wenige Möglichkeiten
 Kurz& Bündig                                   entwickelte App „Lernsieg“ polarisiert
                                                und erhitzt die Gemüter: Während die
                                                                                                 haben, ein Missstand. Dennoch wird zwei-
                                                                                                 tens deutlich, dass die App selbst mit kon-
                                                einen darin das Bedürfnis der                    struktivem Feedback wenig zu tun hat. Bei
                                                Schüler*innen nach Feedback und Mit-             der Anwendung geht es um Bewertung,
                                                sprache sehen, befürchten die anderen            nicht um Rückmeldung; statt Begründun-
                                                Lehrer*innen-Bashing, ungerechtfertig-           gen zu finden und Argumente zu formulie-
                                                te Beschuldigungen und unfaire Bewer-            ren, vergeben die Schüler*innen Stern-
                                                tungen - von den Sicherheitsbedenken             chen, die einzelnen Lehrpersonen wenig
Frauenhäuser                                    ganz zu schweigen. Die Gewerkschaft              darüber verraten, wo Verbesserungspoten-
                                                überlegt gar, mit einer Klage gegen die          tial liegt. Tatsächlich ist dem Gewerk-
In Bezug auf die Trägerschaft der Salzbur-      App vorzugehen (Stand Ende Februar).             schafter Paul Kimberger zumindest in
ger Frauenhäuser hat sich ein heftiger          In den kontrovers geführten Debatten             dem Punkt Recht zu geben, dass sich
Konflikt zwischen der Salzburger Landesre-      stechen meines Erachtens vor allem 2             wichtige zwischenmenschliche Arbeit,
gierung und den Träger*innen der Frauen-        Punkte hervor: Erstens wird deutlich,            wie sie bspw. an Schulen stattfindet,
häuser in Hallein und der Stadt Salzburg        dass Feedback von Schüler*innen ten-             „nicht einfach mit einer Sternchenskala
entzündet, der von öffentlichen Solidari-       denziell nicht nur unerwünscht ist, son-         einstufen“ (DerStandard, 25.02.2020)
tätsbekundungen, Stellungnahmen und             dern gar als gefährlich wahrgenommen             lässt, die ja stark abstrahiert - ein Argu-
Protestmaßnahmen begleitet wird. Der            wird. Spätestens seit der Hattie-Studie          ment übrigens, das sich auch gegen das
„Runde Tisch Menschenrechte“ hat dies-          (2009) sollte jedoch klar sein, dass eine        Ziffernnotensystem anführen lässt. Es ist
bezüglich eine Stellungnahme veröffent-         konstruktive, gegenseitige Feedbackkul-          schade, dass die (nebenbei gewinnorien-
licht, der wir uns gerne anschließen. Darin     tur zwischen Schüler*innen und                   tierte) App selbst dieser Bewertungslogik
heißt es leicht gekürzt:                        Lehrer*innen eine der einflussreichsten          verhaftet bleibt und auf Leistungsdruck
„[…] Das Vorhaben, neue Konzepte und            Bedingungen für Lernerfolg ist. Ein ent-         setzt. Vielleicht kann die gegenwärtig
Ideen zu entwickeln und umzusetzen, wie         sprechendes Pilotprojekt in Bayern aus           sehr angeregte Diskussion darüber aber
die im Pinzgau geplanten Übergangswoh-          dem Jahr 2016 zeigt, dass                        die Kritik an den Grundlagen und Maß-
nungen, wird begrüßt. Dabei kann es auch        Schüler*innen konstruktives, faires und          stäben für Leistungsbeurteilung aufgrei-
sinnvoll sein, überholte Strukturen zu          angemessenes Feedback geben, das                 fen und einen Impuls dafür setzen, Schü-
überdenken, um den Schutz von Frauen            Lehr- und Lernprozesse verbessern und            ler*innen mehr Räume für Feedback, Mit-
und Kindern noch effektiver zu gestalten.       die beteiligten Akteur*innen besser              sprache und Teilhabe zu eröffnen. Zu
Allerdings sollten bei konzeptionellen Neu-     aufeinander abstimmen kann.                      hoffen wäre es.                          KL
gestaltungen die Expertinnen der beste-
henden Frauenhäuser miteinbezogen wer-
den und nebenbei sollte die bisher übliche
Handhabung einer geheimen Adresse                                               Das Zitat
bestehen bleiben, um den betroffenen

                                                                                                                                            FOTO: Arne Müseler | Wikimedia | zur Wiederverwendung und Veränderung gekennzeichnet
Frauen und Kindern wirklich in allen Fällen
ausreichenden Schutz bieten zu können.
[…] Der Runde Tisch Menschenrechte for-
dert die zuständige Landesrätin Andrea
Klambauer daher auf, vom Vorhaben der
EU-weiten Ausschreibung Abstand zu neh-
men und einen konstruktiven, inhaltlichen
Diskurs zur Neuausrichtung der Salzburger
Frauenhäuser unter Beiziehung der regio-
nal tätigen Expertinnen aufzunehmen, mit
dem gemeinsamen Ziel einer inhaltlichen
Verbesserung des Schutzes vor familiärer
Gewalt.“
Die Auseinandersetzung ist zu Redaktions-
schluss noch sehr dynamisch und ergebni-
soffen. Informationen und Solidaritätsbe-          „Was werden wir unseren Kindern und Enkelkindern antworten, wenn wir eines
kundungen unter:                                   Tages gefragt werden, warum wir damals im März 2020 so lange zugeschaut
https://mein.aufstehn.at/petitions/stoppt-         haben – wissend, wie es zwei Flugstunden von Wien entfernt zugeht?" (Heinz
die-ausschreibung-der-frauenhauser-in-             Fischer über die untragbaren Zustände in den Flüchtlingslagern an den EU-Außengrenzen,
salzburg-1                                         DerStandard, 12. März 2020).

                                          HPG

KRANICH 01/2020 – friedensbüro salzburg                                                                                                                                                                                            03
GEWALTPRÄVENTION - Friedensbüro Salzburg
INTERVIEW

„Es gilt, ein Klima des Miteinanders zu schaffen“
Gewaltprävention bei Kindern und Jugendlichen
Das Gespräch führte Barbara Wick.

                                                                                                                    Drittens versuchen wir, die gesellschaftlichen
                                                                                                                    Rahmenbedingungen positiv im Interesse von
                                                                                                                    Kindern und Jugendlichen zu verändern. Wir
                                                                                                                    geben beispielsweise Stellungnahmen oder
                                                                                                                    Empfehlungen ab, um Gesetzesänderungen
                                                                                                                    zu bewirken. Des Weiteren stellen wir
                                                                                                                    Ressourcen bereit. Zum Beispiel hatten wir
                                                                                                                    das Theaterstück „Selber schuld“ zum Thema
                                                                                                                    Mobbing an Schulen. Damals meldeten sich
                                                                                                                    ganz viele Kinder und Jugendliche bei uns.
                                                                                                                    Und wir helfen den Kindern dabei, Hürden
                                                                                                                    individuell, konkret und unterschiedlich zu
                                                                                                                    überwinden. Aktuell versuchen wir, gemein-
                                                                                                                    sam mit anderen eine Mobbing-Präventions-
                                                                                                                    stelle in Salzburg in die Welt zu bringen.

                                                                                                                    Kranich: Wo sind deiner Meinung nach
                                                                                                                    die wesentlichen Ansatzpunkte für die
                                                                                                                    Prävention von Gewalt?
                                                                                                                    Holz-Dahrenstaedt: Es gibt ein funda-
                                                                                                                    mentales Kinderrecht: Das Recht auf Schutz
                                                                                                                    vor Gewalt. Es ist in der Kinderrechtskon-
                                                                                                                    vention, die jetzt 30 Jahre alt ist, und seit
                                                                                                                    2011 auch in der österreichischen Bundes-
                                                                                                                    verfassung verankert. Es ist wichtig, dieses
                                                                                                                    Recht zum Leben zu erwecken. In der Schule
                                                                                                                    braucht es zum Beispiel gelingende Bezie-
                                                                                           FOTO: BB / S. Schenker

                                                                                                                    hungen und ein Klima, in dem Menschen
                                                                                                                    wachsam und sensibel sind, um frühzeitig
                                                                                                                    jede Form von Gewalt zu erkennen, zu
                                                                                                                    benennen und durch das eigene Vorbildver-
                                                                                                                    halten gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Die Juristin und Mediatorin Andrea Holz-Dahrenstaedt leitet die Kinder- und Jugend-                                 Konflikte sind normal. Man sollte sie nicht
anwaltschaft (kija) des Landes Salzburg. Im Interview spricht sie über Gelingensfakto-                              unterdrücken, aber auf einer konstruktiven
ren in der Gewaltprävention und berichtet aus ihrer beruflichen Praxis.                                             Ebene lenken und kontrollieren.
                                                                                                                    In der Schule braucht es klare Regeln. Dies
Kranich: Was sind die zentralen Auf-          mitunter die höchsten Fallzahlen, rund                                gilt für draußen, wo sich Kinder austoben
gaben der kija?                               600 Fälle pro Jahr.                                                   können, aber auch für Rückzugsräume.
Holz-Dahrenstaedt: Die Kinder- und            Zweitens: Information und Prävention. Das                             Wichtig ist, dass sich jede*r sicher fühlt. Dazu
Jugendanwaltschaft ist eine weisungsfreie     bedeutet, möglichst viele Zielgruppen über                            müssen alle beitragen, denn dieses Klima
Einrichtung des Landes. Uns gibt es seit 27   Kinderrechte zu informieren. Seine Rechte                             kann nicht eine Person alleine schaffen. Es
Jahren. Wir orientieren uns an einer          zu kennen hat eine wichtige präventive                                braucht die Direktion, den Schulwart, die
gesetzlichen Grundlage und haben 3            Funktion. Nicht nur Kinder und Jugendli-                              Lehrer*innen sowie die Kinder und Jugend-
wesentliche Aufgaben.                         che, sondern auch Lehrpersonen, Richter                               lichen selbst. Es gilt, ein Klima des Mitein-
Erstens: Einzelfallhilfe und -beratung für    und Eltern sollen informiert sein. Dies                               anders zu schaffen, in dem soziale Kompe-
Kinder und Jugendliche von 0 bis 21 Jah-      geschieht in Form von Broschüren und                                  tenzen einen hohen Stellenwert einnehmen.
ren - zu allen Themen, die aus Sicht der      interaktiv. Wir machen Workshops, aber
Betroffen ein Problem darstellen: von A       auch Theaterstücke zu Themen mit Pro-                                 Kranich: Was nützt eine engagierte
für Armut über M für Mobbing bis hin          blemcharakter funktionieren wunderbar                                 Schule, wenn der*die Schüler*in aus
zu Z für Zwangsheirat. In Summe gibt es       als Türöffner. Wir haben sehr gute                                    einem von Gewalt belasteten
jährlich 3000 Einzelfälle. Mobbing hat        Erfahrungen damit.                                                    Umfeld kommt?

04                                                                                                                         KRANICH 01/2020 – friedensbüro salzburg
GEWALTPRÄVENTION - Friedensbüro Salzburg
INTERVIEW

Holz-Dahrenstaedt: Jede*r Schüler*in             Wir arbeiten und handeln im Auftrag der          Es ist wichtig, dass ich die Kinder hier stärke,
nimmt seine Erfahrungen in die Schule mit.       Jugendlichen. Wir wollen ihnen Selbst-           stütze, noch feinfühliger agiere und den
Es kann sein, dass er*sie Gewalt erlebt hat.     wirksamkeit vermitteln. Ein Vorschlag wäre,      Fokus auf pädagogisch achtsame Beziehun-
Durch eine Umfrage wissen wir, dass vor          dass wir ein Gespräch mit den Eltern, den        gen lege. Kinder in diesem Alter haben weni-
allem psychische Gewalt noch immer viel zu       Lehrer*innen führen können. Wir können in        ger Vorurteile, das macht den Umgang einfa-
häufig vorkommt. Die „g’sunde Watschn“ ist       die Schule gehen und einen Workshop              cher. Es ist ihnen nicht wichtig, was jemand
noch immer präsent. 85% der Kinder, die in       abhalten. Je älter die betroffene Person ist,    kann oder nicht kann, besitzt oder nicht
der Schule auffällig sind, haben zu Hause        desto mehr kann sie eingebunden werden.          besitzt. Auf gewisse Weise haben wir es
selbst Gewalt erlebt. Es gibt Erkenntnisse und   Je jünger, desto mehr Pflichten haben wir,       daher einfacher, weil sie viel offener auf
Studien, die besagen, dass gewalttätiges Ver-    wenn das Kindeswohl gefährdet ist. Es wird       andere zugehen, egal ob das Kind eine ande-
halten von Schüler*innen reduziert werden        geschaut, wo das Kind untergebracht ist und      re Sprache spricht oder eine Behinderung hat.
kann, wenn die Schule eine Gesamtstrategie       ob die Möglichkeit besteht, bei Großeltern
zur Prävention von Gewalt entwickelt und         oder Verwandten nach Alternativen zu             Kranich: Vielen Dank für das Gespräch!
nicht auf Einzelmaßnahmen setzt.                 suchen. Wenn wir durch unser Tun nichts
                                                 abwenden können, dann haben wir eine             Dr.in Andrea Holz-Dahrenstaedt ist Medi-
Kranich: Welche Aspekte in der Bezie-            Meldepflicht beim Jugendamt. Es ist wichtig,     atorin, Juristin und Leiterin der Kinder- und
hung zwischen Eltern, Pädagog*innen,             Kinder darin zu bestärken, dass der Weg zur      Jugendanwaltschaft des Landes Salzburg.
zwischen Kindern und Jugendlichen sind           Hilfe richtig war und sie zu ermutigen, nicht
deiner Meinung nach am Wichtigsten?              aufzugeben. Wir wollen den Kindern und
Holz-Dahrenstaedt: Der bereits angespro-         Jugendlichen vermitteln: Wir bleiben dran            KINDERRECHTSPREIS
chene Beziehungsaspekt ist das Allerwichtig-     und sind an eurer Seite.
ste. Kinder nur zu mögen macht noch keine                                                                   2020
guten Pädagog*innen aus. Eine freundliche        Kranich: Worin unterscheidet sich
Haltung, verlässlich und gerecht zu sein und     aus deiner Perspektive die Gewalt-                    Wann: Donnerstag, 19. November
alle Kinder gleich zu mögen, ist aber eine       prävention an Kindergärten von                               2020, 16.00 Uhr
gute Zutat. Authentisch zu sein und auch         jenen an Schulen?                                      Wo: ORF-Landesstudio Salzburg
mal Fehler zuzugeben ist wichtig, denn jeder     Holz-Dahrenstaedt: Zum einen natürlich
Mensch macht Fehler. Es braucht Verlässlich-     aufgrund des Alters. Es sollte im Kindergar-
keit, im Sinne von Gerechtigkeit. Diese Orien-   ten viel spielerischer sein. Man sollte sich
tierung muss Kindern und Jugendlichen gut        bewusst sein, dass Kinder in diesem Alter
und klar erklärt werden. Es gibt die Reckah-     noch nicht absichtlich strategisch handeln.
ner Reflexionen, die dazu beitragen sollen,      Mobbing zum Beispiel ist ein bewusstestes
pädagogische Beziehungen menschenwürdig          Verhalten, um den anderen zu schädigen.
zu gestalten. Dort gibt es 10 goldene Regeln     Kinder hauen vielleicht mal zu, um jeman-
zu gelungenen Beziehungen. Ich finde die         dem eine Schaufel wegzunehmen. Sie agie-
Regeln sehr ansprechend. Es wäre wichtig,        ren im Affekt. Das ist kein gezieltes Schädi-      Um den Salzburger Kinderrechtspreis
dass sich jede Schule damit beschäftigt und      gen des anderen. Es gibt schon in diesem           können sich Kinder & Jugendliche,
sie annimmt. Breit angelegte Studien zeigen,     Alter eine Gruppenordnung. Es ist es wich-         Schulklassen & Jugendgruppen,
dass 80% der Pädagog*innen wertschät-            tig, dass diese Rollen nicht zum Dauerzu-          Erwachsene, Vereine & Institutionen
zend sind. 20% sind in einem kritischen          stand werden und sich der*die Stärkere             und Betriebe bewerben.
Bereich. 5% sind in einem abwertenden Ver-       immer durchsetzt. Mithilfe von Puppenspie-
halten. Sie üben damit bereits seelische         len kann man zum Besipiel übern, sich in           Wichtig zu beachten ist, …
Gewalt aus. Seelische Gewalt ist die häufig-     andere hinein zu versetzen. Wir hatten ein         … dass es im Projekt um die Förderung
ste Ursache von Schulabbruch.                    Theaterstück für Kindergärten, „Das hässli-        von zumindest einem Kinderrecht geht;
Pädagog*innen sollten reflektieren, welches      che Entlein“. Die Kinder sind beim Anders-         … dass im Mittelpunkt des Projektes
Verhalten Sie gegenüber Kindern zeigen.          sein des hässlichen Entleins, das nicht dazu       Kinder und/oder Jugendliche stehen;
                                                 gehörte, extrem mitgegangen. Ihre Reak-            … dass das Projekt aktuell ist und einen
Kranich: Was rätst du Kindern und                tionen sind generell unmittelbarer und             klaren Bezug zu Salzburg hat.
Jugendlichen, wenn sie davon erzählen,           weniger absichtlich. Kinder kann man mit
dass sie in der Schule oder zu Hause mit         solchen Spielen wunderbar abholen und              Projekteinreichung bis zum 18. Juli
Gewalt konfrontiert sind?                        sie ins Mitgefühl bringen.                         2020 unter:
Holz-Dahrenstaedt: Es gibt kein Patentre-        Es ist wichtig, dass man mit kleinen Kindern       www.kinderrechte-salzburg.at
zept, man muss individuell darauf eingehen.      viel sensibler umgeht, weil sie sich noch          Tel.: 0662/434216
Vor allem ist es wichtig, zu ermutigen und       nicht so artikulieren können. Deshalb ist viel
Kinder und Jugendliche positiv zu bestärken.     pädagogisches Feingefühl gefordert, denn je        Der Kinderrechtspreis wird verliehen von
Der erste Ausweg ist, darüber zu reden. Es       kleiner sie sind, umso schwerer können sie         akzente Salzburg, dem Verein Spektrum
gehört viel Mut dazu, sich Hilfe zu holen.       sich ausdrücken. Wenn sie Gewalt nicht im          und der Kinder- und Jugendanwaltschaft
Man sollte schauen, ob es im Umfeld jeman-       Kindergarten, sondern zu Hause miterleben,         (kija) Salzburg.
den gibt, der helfen und schützen kann.          dann bringen sie ihr Packerl mit.

KRANICH 01/2020 – friedensbüro salzburg                                                                                                        05
GEWALTPRÄVENTION - Friedensbüro Salzburg
SEXUELLE GEWALT

                                                                        Holger Specht, Mediator & Fachkraft für
                                                                       die strukturelle Prävention sexueller Gewalt

                                                                                                                                              FOTO: Hoffotografen Berlin
Verdacht auf sexuelle Gewalt
Fürsorgepflichten des klärenden Systems
Von Holger Specht. Gekürzt von Kristina Langeder.

Holger Specht, Mediator und Fachkraft für die strukturelle Prävention sexueller Gewalt in der Kinder- und Jugendarbeit, gibt einen
Einblick in seine Sichtweise auf mediative Interventionsarbeit beim Aufkommen eines Verdachtes bzw. Vorwurfs sexueller Gewalt
sowie auf Aspekte gelungener Präventionsarbeit.

Im Zuge meiner Professionalisierung im              Grundsatz. Dennoch: Der Konflikt ist            Rundschreiben Nr. 2/2009, Anlage 5 „Ver-
Bereich der strukturellen Prävention sexueller      bereits eskaliert, der Systemerhalt ist in      dachtsstufen“) zu klären, braucht es klare,
Gewalt (Hölling et al. 2012: 7-8) kam ich zu        Gefahr. Für den Fortbestand des Systems         von den Vertreter*innen des Systems
dem Schluss, dass Konflikttheorien wie das          sind das weitere Handeln und die dem            anerkannte und z.B. durch demokratische
Phasenmodell der Eskalation (Glasl 2002:            Handeln zu Grunde liegende Haltung ent-         Prozesse transparent legitimierte Hand-
215-217), die Drama-Dynamiken (Gührs et             scheidend. Bewertungen und Urteile, die         lungsleitlinien als Richtschnur für gewis-
al. 2014: 108), die Konfliktmanagementkom-          über das Gehörte oder das Beobachtete           senhaftes Vorgehen. Dadurch werden alle
petenzen, das mediative Handwerkszeug und           hinausgehen, wirken eskalierend und wer-        Systemangehörigen ernst genommen und
auch die Mediation für Interventions- und           den recht unvermittelt zur Spaltung des         an den Verfahrensweisen beteiligt. Das
Präventionskonzepte zentral sind – sei es in        Systems führen, also einen Koalitionsdruck      minimiert Unsicherheiten, weil Klärung so
der akuten Klärung, in der Beratung von Füh-        erzeugen, der auch die bisher völlig unbe-      auf eine nachvollziehbare Weise durchläs-
rungskräften und Ansprechpersonen oder in           teiligten und neutralen Menschen im             sig und überprüfbar verläuft. Solche Syste-
der Begleitung von Organisationen und Insti-        System regelrecht „zwingt“, sich auf die        me sind weniger anfällig für Eskalation
tutionen hin zu sichereren Orten für Kinder         eine oder die andere Seite zu stellen.          und können unliebsame Entscheidungen
und Jugendliche.                                                                                    besser akzeptieren. Den meisten System-
                                                    Das klärende System                             angehörigen ist es bei bestehendem Ver-
Die Konfliktdynamik                                                                                 trauen in die klärenden Instanzen mög-
                                                    Eskalation macht verantwortungsbewusste         lich, sich eher ruhig-abwartend als wild-
Hat ein Mensch sein inneres Dilemma über-           Klärung unmöglich. Ein reflexhaft-emotio-       agierend zu verhalten.
wunden und einen Verdacht auf sexuelle              nales Handeln verhindert ein strukturiert-
Gewalt geäußert, setzt eine umfassende              planvolles Vorgehen: Womöglich verstär-         „Im Zweifel für die
Dynamik ein. Das gilt allen voran für den           ken sich die Schuldgefühle des Menschen,        Betroffenen!“
Menschen, der beschuldigt wird und auch             der den Verdacht geäußert hat. Dies trau-
für seine Partner*innen, Freund*innen               matisiert erneut und macht die, die ihm         Grundvoraussetzung für die Klärung ist eine
sowie ihm auf andere Weise Nahestehende             Glauben schenken, angreifbar und verletz-       Parteilichkeit, und zwar mit den Betroffenen.
und andere im System Gebundene.                     lich. Weil Klarheit und Klärung ausbleiben,     Damit ist zunächst ein Mensch gemeint, der
Für den Menschen unter Verdacht ist der             spielt diese Dynamik Täter*innen in die         von sexueller Gewalt berichtet. Parteilichkeit
Vorwurf ein Gesichtsverlust sondergleichen.         Hände! Hinzu kommt: Je eskalierter die          bedeutet, den Aussagen Glauben zu schen-
Er befürchtet den Ausschluss aus dem                Situation, desto kleiner die Möglichkeit der    ken und im Anschluss ein konsequentes,
System, den Verlust von ihm wichtigen               Rehabilitierung und Wiedereingliederung         geordnetes und transparentes Vorgehen ein-
Menschen sowie den Verlust seiner beruf-            zu Unrecht beschuldigter Menschen (vgl.         zuleiten (Unterstützung durch eine Fachbera-
lichen und sozialen Existenz. Dieser Mensch         Kröber 2013). Ein auf fürsorgliche Klärung      tung ist wesentlich!). Darüber hinaus zeigt
geht klar in den Kampf um Anerkennung               ausgerichtetes System muss auf Bewertun-        sich diese Parteilichkeit für alle Betroffenen
und in die Eskalation: Er will Rehabilitierung.     gen des Gehörten und auf Urteile verzich-       eines Systems. Sie werden durch das Erle-
Alle Menschen des Systems fühlen sich               ten. Der Begriff „Klärung“ grenzt sich          ben jedes Klärungsprozesses und durch
unter Druck, sich zu entscheiden: Sollen            bewusst von der „Aufklärung“ ab, die nur        die bestehenden klaren Richtlinien ermu-
sie einen Angehörigen, der sich vermutlich          von Ermittlungsbehörden zu leisten ist und      tigt, ihr Schweigen zu brechen. Das ist
verdient gemacht hat und mit dem sie sich           auch dort oft erfolglos bleibt.                 Wesenszug gelingender Präventionsarbeit!
vielleicht sehr verbunden fühlen, schüt-
zen? Gilt hier also: „Im Zweifel für den            Die transparenten Hand-                         Die Fürsorgepflichten
Beschuldigten“? Oder sollen die ihnen               lungsrichtlinien
anvertrauten Kinder und Jugendlichen                                                                Parteilichkeit mit Betroffenen schließt aller-
geschützt werden und gilt dann: „Im                 Um Menschen im System zu ermächtigen,           dings die Fürsorge ausnahmslos aller
Zweifel für die Betroffenen“?                       wenigstens die Verfahrensweise, den             Systemangehörigen nicht aus. Es ergeben
Systeme, die aufrichtig Prävention betrei-          Umgang mit den Vorwürfen und die dar-           sich klare Fürsorgepflichten.
ben, entscheiden sich für den zweiten               aus folgenden Konsequenzen (Jugend-             Fürsorge für den einen Verdacht äußernden

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SEXUELLE GEWALT

Menschen bedeutet, ihm immer wieder den         Gesamtsystem entsteht. Wichtig ist, dass         Fazit
Klärungsprozess transparent zu machen, ihm      kooperatives Verhalten nicht mit Unschuld
die Möglichkeiten und Grenzen seiner Beteili-   gleichzusetzen ist.                              Die auf breite Akzeptanz angelegten
gung klar aufzuzeigen und ihm ggf. eine                                                          Handlungsleitlinien inklusive eines Kon-
dem System angehörende Vertrauensperson,        Fürsorge für die in der Klärung Handelnden       fliktmanagements, welches externe Fach-
unbedingt aber professionelle Beratung zur      bedeutet, ihnen Unterstützung in Form von        beratung und Fachkräfte einbezieht, der
Seite zu stellen – unabdingbar zur Bearbei-     Supervision, Mediation und kollegialem           immerwährende Perspektivenwechsel in
tung des entstandenen Traumas.                  Austausch zur Verfügung zu stellen. Denn:        alle Protagonist*innen durch die verant-
                                                So gut ein System auch aufgestellt sein          wortlich Handelnden und ein transparen-
Die Sorge vor Fehlbeschuldigung ist ernst       mag, die Intervenierenden werden kritisch        tes Kommunikationsdesign wirken dee-
zu nehmen. Für einen Menschen gibt es           beäugt und vermutlich auch mit Kritik            skalierend und stützen so den Systemer-
mindestens zwei verständliche und               beladen. Um im Sinne des Systemerhalts           halt. Gepaart mit guten und zum System
zugleich kritikwürdige Gründe zum Erzäh-        deeskalierend wirksam zu bleiben bzw.            passenden Präventionskonzepten werden
len der Unwahrheit: Zum einen scheint das       zumindest einer weiteren Eskalation entge-       vornehmlich alle Systemangehörigen in
Beschuldigen des wahren Übergriffigen so        gen zu wirken, bedarf es unbedingt der           dem Konfliktfeld „sexuelle Gewalt“
schwierig und das Erlebte als so trauma-        Reflexion, damit die Handelnden bedacht          geschützt – ob jung, ob alt, ob Erwach-
tisch, dass es erzählt werden will, sodass      auf die Kritik reagieren und ein kompeten-       sener, ob Kind, ob Verantwortungsträ-
sich der Mensch zunächst zu einer Stellver-     tes und den Prozess der Klärung stützen-         ger, ob Schutzbefohlener. Als Folge
treterbeschuldigung (z.B. statt des Vaters      des professionelles Handeln immer wieder         werden die Manipulationsmöglichkeiten
den Onkel) durchringt. Zum anderen gibt         neu ausrichten können.                           für Täter*nnen im System und in der
es ggf. andere hoch eskalierte Konflikte                                                         Klärung enorm minimiert.
oder Krisen (z.B. Adoleszenz-Krisen), in        Fürsorge für die dem „Subsystem“ nahen
denen das Beschuldigen als Strategie            Menschen bedeutet Transparenz und                Literatur:
genutzt wird. In beiden Fällen stützt das       Informationsfluss, durch den sich die Men-       Glasl, F. (2002): Konfliktmanagement.
konsequente Vorgehen den Klärungspro-           schen in ihren Sorgen und Nöten ernst            Ein Handbuch für Führungskräfte, Bera-
zess, denn vor allem der geschützte Raum        genommen fühlen. Erreicht und unter-             terinnen und Berater, 7. Aufl., Stuttgart:
der professionellen Beratungsstelle gibt die    stützt wird das durch ein starkes Signal         Verlag Haupt Freies Geistesleben.
Sicherheit und das Vertrauen, die ganze         der Gesprächsbereitschaft, das Empfehlen         Gührs, M., Novak, C. (2014): Das kon-
Wahrheit sagen zu können.                       von Beratungseinrichtungen und bei stär-         struktive Gespräch. Ein Leitfaden für
                                                kerer Eskalation die ggf. sogar „verordne-       Beratung, Unterricht und Mitarbeiterfüh-
Fürsorge für den Menschen unter Ver-            te“ Mediation, z.B. zwischen den Men-            rung, Meezen: Christa Limmer.
dacht bedeutet, dass ihm nach der Kon-          schen vor Ort selbst, aber auch mit den in       Senatsverwaltung für Bildung, Wissen-
frontation mit den Vorwürfen und über           der Klärung Handelnden.                          schaft und Forschung (Hrsg.) (2009):
dieses Gespräch hinaus zum einen eine                                                            Handlungsempfehlungen bei sexueller
klare und transparente Perspektive der          Fürsorge gegenüber den übrigen Angehö-           Gewalt gegen Mädchen und Jungen,
Klärung sowie die möglichen Konsequen-          rigen des Systems bedeutet, durch einen          Jugend-Rundschreiben, 2.
zen inklusive der Aussicht auf Rehabilitie-     zeitnahen und transparenten Informations-        Hölling, I., Riedel-Breidenstein, D.,
rung vermittelt werden. Und zum anderen         fluss das Vertrauen in die Klärung zu stär-      Schlingmann, T. (2012): Mädchen und
muss ihm eine ggf. dem System angehö-           ken, für Fragen und Kritik jederzeit zur         Jungen vor sexueller Gewalt in Institutio-
rende Vertrauensperson und/oder eine            Verfügung zu stehen und die am Ende auf          nen schützen, Berlin: Der Paritätische
professionelle Beratung an die Seite            allen Ebenen getroffenen Entscheidungen          Berlin.
gestellt bzw. angeboten werden. Das             nachvollziehbar begründen zu können.             Kröber, H.-L. (2013): Die schrittweise
stützt vor allem Menschen unter Verdacht,                                                        interaktive Entstehung einer Fehlbe-
die sich nicht schuldig gemacht haben und       Die Fürsorgepflichten können auf unter-          schuldigung sexuellen Missbrauchs, in:
versetzt sie eher in den Zustand der            schiedlichen Ebenen gewährleistet wer-           Forensische Psychiatrie, Psychologie und
Kooperation als der Eskalation.                 den. Es können Schulungen, Infoveranstal-        Kriminologie, 7/4, 240-249.
In dem vermutlich recht unwahrschein-           tungen, Informationsmails, Plattformen im
lichen Fall, dass sich ein*e Täter*in auf die   Internet, Zusammenarbeit mit Beratungs-          Holger Specht, Mediator (BM & SDM),
Unterstützung einlassen kann, hat diese*r       stellen, Moderation von Sitzungen oder Ver-      Ausbilder für Mediation (BM) und Kon-
die Chance, die Verantwortung für die           anstaltungen sein. Vor allem bei Eskalationen,   fliktmanagement, Fachkraft für struktu-
Missbrauchshandlungen zu übernehmen.            bei Stellvertreterbeschuldigungen o.Ä. und       relle Prävention sexueller Gewalt in der
Im besten Falle könnte das, Einverständnis      Rehabilitierungsbestrebungen kann es Media-      Kinder und Jugendarbeit (BJR PräTect),
und Zumutbarkeit des Betroffenen voraus-        tion sein. Beim Erarbeiten eines sinnvollen      Lehrbeauftragter an verschiedenen
gesetzt, in eine Art Täter-Opfer-Ausgleich      und das System wie auch die Klärung stüt-        Hochschule in der Schweiz;
münden, der auch die Bewältigung des            zenden Kommunikationsdesigns hilft externe       Früher tätig als Erwachsenenpädagoge
Traumas unterstützt. Für das klärende           Beratung durch Fachpersonen der Beratungs-       und pädagogischer Koordinator eines
System ist es selbstverständlich hilfreich,     stellen, Supervisor*innen oder                   Bildungsunternehmens des Internationa-
wenn ein*e Täter*in sich kooperativ ver-        Mediator*innen mit Zusatzqualifikation bzw.      len Bundes (IB e.V.).
hält, da dadurch weniger Unruhe im              Erfahrungen im Feld „sexuelle Gewalt“.           Homepage: www.inmedio.de

KRANICH 01/2020 – friedensbüro salzburg                                                                                                 07
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INTERKULTURELLE KONFLIKTE

                                                                    Daniela Molzbichler, Politikwissenschaftlerin

                                                                                                                                                  FOTO: privat | Daniela Molzbichler
Vom Weben kultureller Netze
Von Daniela Molzbichler.

                                                                                                                                                                                       FOTO: pixabay.com | freie kommerzielle Nutzung
Kultur wird für viele Probleme verantwortlich gemacht. Die Politikwissenschaftlerin Daniela Molzbichler wirft einen kritischen Blick auf unter-
schiedliche Konzepte von „Kultur“ und umreißt deren ambivalente Rolle in Konflikten.

Kultur spielt für die eigene Identität, in der    schneidungen und Vernetzungen, (2) ständi-         spielen bei dieser Auseinandersetzung
Schule oder im JUZ, in der Arbeit und in          ge Veränderungen und (3) vor allem ver-            wesentliche Rollen, beinhalten sie doch sehr
Gesellschaften weltweit eine wichtige Rolle       schiedene Konstrukteur*innen: Wenn Kultur          divergierende Vorstellungen, was Kultur
und wird auch häufig für Missverständnisse,       in dem Sinne begriffen wird, dass sie eine         ausmacht. Prinzipiell geht man bei Multikul-
Streit, Extremismus oder Konflikte verant-        Art „Brille“ ist (Boas 1940), die wir von Kind     tur-Konzepten von einer ethnischen Fundie-
wortlich gemacht. Während die einen vor           an aufgesetzt bekommen, durch die wir              rung aus, die Vorstellung der Homogenität
kulturalistischen Konfliktdeutungen warnen,       blicken und damit lernen, die Welt zu              nach innen und einer klaren Abgrenzung
erklären die anderen (welt-)politische Ereig-     begreifen und zu beurteilen, oder dass „sich       nach außen ist immanent. Hier kann man
nisse oder Auseinandersetzungen in der            Kultur in den Köpfen abspielt“ (Goode-             sich Kulturen als in sich geschlossene Kreise,
Schulklasse mit dem „Kampf der Kulturen“          nough 1964), dann sind wir dem Ziel her-           Inseln oder Kugeln vorstellen, die voneinan-
und der äußerst gefährlichen Feststellung         auszufinden, was Kultur ausmacht, schon            der klar getrennt sind. Dieses Konzept ist oft
„Wir gegen sie“. Abschottung vor dem              um einiges näher gekommen. Denn bei                mit einer Hierarchisierung der Kulturen ver-
Anderen, Grenzziehungen, Angst, Unsicher-         genauerem Hinsehen besitzt jeder Mensch            bunden. Konflikte zwischen Kulturen kön-
heit, aber auch Überheblichkeit oder ganz         eine eigene Kultur, die von seiner Sozialisa-      nen nach dieser Anschauung lediglich ent-
einfach Nicht-Wissen fördern diese Vorstel-       tion und den dazugehörigen Werten                  schärft, aber nicht aufgehoben werden.
lungen starrer Grenzen zwischen „dem              abhängt, aufgrund von diesen gebildet              Auch bei Interkultur-Konzepten erkennen
Eigenen“ und „dem Fremden“. Kultur ist            sowie verarbeitet wird und Wandlungen              wir die Vorstellung der in sich geschlossenen
aber nicht klar zu benennen und abzugren-         unterworfen ist (Molzbichler 2004: 18).            und abgegrenzten Kulturkreise, jedoch kann
zen, denn es gibt (1) eine Fülle an Über-         Begriffe wie Multi-, Inter- und Transkultur        es zu Überschneidungen, zu Einflüssen und

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INTERKULTURELLE KONFLIKTE

dadurch auch zu Veränderungen von Kultu-           machen und auf die eigene Hybridität - die         praxisbezogenen Umsetzung und mit Good
ren kommen. Der Ethnozentrismus ist nicht          individuelle transkulturellen Mischung - hin-      Practice Beispielen für lösungsorientierte
ganz so stark ausgeprägt wie bei Multikul-         zuweisen. Herausfordernd und vor allem             Wege in der Gewaltprävention im inter- und
tur-Konzepten. Einer der wohl bekanntesten         von einigen Kolleg*innen aufgrund einer            transkulturellen Kontext beschäftigen.
und heftig umstrittensten                          möglichen eurozentristischen Sichtweise kri-
Interkulturalist*innen war Geert Hofstede,         tisiert ist unter anderem der stark individuali-   Literatur:
der sich in seinen groß angelegten interna-        stisch geprägte Kulturbegriff – und darüber        Barakat, A., Brock, L. (2015): Intersektiona-
tionalen Studien seit den 1960er Jahren vor        hinaus die Frage, ob nicht die Zugehörigkeit       lität und Transkulturalität in der Gewaltprä-
allem auf unterschiedliche Kulturdimensio-         zu einer Gruppe identitätsstiftend und damit       vention mit Kindern, in: R. Ruschmann/A.
nen fokussierte. Er beschrieb Kultur wie           auch notwendig ist (Lavorano et al. 2016;          Barakat (Hrsg.): Handbuch Transkulturelle
folgt: Kultur ist eine mentale Programmie-         Porsché 2008; Molzbichler 2004).                   Gewaltprävention und Gesundheitsförde-
rung, die wir von klein auf lernen. Sie „[…]                                                          rung, Wien: samara - Verein zur Prävention
bestimmt die verschiedenen Muster im Den-          Transkulturelle Sichtweisen können jedoch          (sexualisierter) Gewalt, 24-44.
ken, im Fühlen und im Handeln. Sie kann            dazu beitragen, das Eigene als nicht in sich       Boas, F. (1940): Race, Language and Culture,
Aufschluss darüber geben, welche Reaktio-          geschlossen zu begreifen, das Verbindende          New York: The Macmillan Company.
nen angesichts der persönlichen Vergangen-         stärker in den Fokus zu rücken und in der all-     Domenig, D. (Hrsg.) (2007): Transkulturelle
heit wahrscheinlich und verständlich sind          täglichen Arbeit nicht in Kulturkreisen oder       Kompetenz. Lehrbuchbuch für Pflege-,
[...]“ (Hofstede 1997: 3). Unterschiede in         Nationalitäten zu denken und zu urteilen.          Gesundheits- und Sozialberufe, Bern: Huber.
den Wertvorstellungen, beispielsweise eine         Transkulturelle Kompetenz, so meint etwa           Goodenough, W. H. (1964): Cultural
individualistische oder kollektivistische Orien-   Dagmar Domenig (2007), richtet den Fokus           Anthropology and Lingusitics, in: Hymes,
tierung, können laut Hofstede zu Missver-          auf die Vielfalt jedes einzelnen Menschen          D. H. (Hrsg.): Culture and Society. A
ständnissen und Unstimmigkeiten beitragen.         und dessen vielfältiger (kultureller) Verflech-    Reader in Linguistics and Anthropology,
Selbstverständlich unternahm Hofstede              tungen. Transkulturelle Kompetenz bedeu-           New York/Evanston/London: Harper &
lediglich einen Versuch, kulturelle Unter-         tet aber auch ein hohes Maß an Selbstrefle-        Row, 36-39.
schiede mithilfe seines Konstruktes und sei-       xion. Gerade hier müssen wir beispielsweise        Hofstede, G. (1997): Lokales Denken, globa-
ner empirischen Forschungen erkennbar              Kinder, Jugendliche, Eltern und                    les Handeln. Kulturen, Zusammenarbeit und
und messbar zu machen und natürlich kann           Pädagog*innen abholen, hier benötigen wir          Management, München: dtv.
seine Untersuchung dementsprechend kriti-          Austausch und Unterstützung, um vor allem          Lavorano, S. (2016): Transkultureller Ras-
siert werden. Dennoch können seine Aus-            Selbstreflexion und die vielfältigen Dimen-        sismus : Zum Diversitätsbegriff bei Wolfgang
führungen dazu beitragen, die eigenen kul-         sionen jeder Person zu erkennen:                   Welsch und Immanuel Kant, in: Lavorano, S.,
turellen Wertvorstellungen, die eigene men-        „Kontext- bzw. Hintergrundwissen ist für           Mehnert, C., Rau, A. (Hrsg.): Grenzen der
tale Programmierung, bewusst zu machen             den Schulalltag und die Elternarbeit von           Überschreitung. Kontroversen um Transkul-
und somit sich selbst zu reflektieren.             enormer Bedeutung. Die Lösungen, die bei           tur, Transgender und Transspecies, Bielefeld:
                                                   Problemen gefunden werden, sind oft ganz           Transcript, 148-161.
Eine völlig andere Perspektive nimmt Wol-          andere als bisher. PädagogInnen haben eine         Molzbichler, D. (2004): Kulturen in Konflikt?
fang Welsch mit seiner Vorstellung über            differenziertere Haltung und können Eltern         Anleitungen für einen konstruktiven Umgang
Kultur ein:                                        wertschätzender und klarer gegenübertre-           mit interkulturellen Konflikten und transkultu-
„Das Konzept der Transkulturalität entwirft        ten. Oft geht es ja gar nicht darum, die           relle Lösungsstrategien, Salzburg: Alois Mock.
ein anderes Bild vom Verhältnis der Kultu-         Erziehungskompetenz von Eltern in Frage zu         Porsché, Y. (2008): Kulturelle Identitäten in
ren. Nicht eines der Isolierung und des Kon-       stellen, sondern eine bestmögliche Lösung          Zwischenräumen: Migration als Chance für
flikts, sondern eines der Verflechtung,            für die Umsetzung schulischer Regeln und           Fremdverstehen und kritische Identitätsaus-
Durchmischung und Gemeinsamkeit. Es                Pflichten zu finden.“                              handlung? COMCAD Arbeitspapiere, Nr. 52.
befördert nicht Separierung, sondern Verste-       (Barakat/Brock 2015: 36)                           Welsch, W. (1995): Transkulturalität. Zur ver-
hen und Interaktion. Gewiss enthält dieses                                                            änderten Verfasstheit heutiger Kulturen, in:
Konzept Zumutungen gegenüber liebge-               Es kommt darauf an,                                Migration und kultureller Wandel. Zeitschrift
wonnenen Gewohnheiten - wie die heutige            - ob wir in der Lage sind, uns selbst und          für Kulturaustausch, 45/3, 39-44.
Wirklichkeit überhaupt. Im Vergleich zu            unsere Wertvorstellungen zu reflektieren,          Welsch, W. (2017): Transkulturalität: Realität
anderen Konzepten skizziert es aber den am         die eigene Kulturbrille erkennen und auch          – Geschichte – Aufgabe, Wien: NAP.
ehesten gangbaren Weg.“                            absetzen zu können.                                Welsch, W. (2018): Wer sind wir?
(Welsch 1995: 44; vgl. auch Welsch 2017;           - unsere Mitmenschen nicht in einer Dimen-         Wien/Hamburg: NAP.
Welsch 2018)                                       sion oder einer Kategorie zu denken, sondern
                                                   das Mehrdimensionale wahrzunehmen.                 Mag.a Dr.in Daniela Molzbichler,
Kulturen sind demnach nicht klar zu tren-          - gemeinsam kulturelle Netze zu weben und          Politikwissenschafterin, ist seit über 20
nen, sie sind charakterisiert durch Vernet-        ein Regelwerk zu finden, dass die bestmögli-       Jahren in der entwicklungspolitischen
zungen, vielfältige Verbindungen und Ver-          che gewaltfreie Lösung für alle beinhaltet.        Zusammenarbeit tätig, Hochschuldozen-
mischungen - ethnozentristische Denkwei-                                                              tin. Sie beschäftigt sich vor allem mit
sen sind somit obsolet.                            Im Rahmen des Lehrgangs „Bevor`s kracht“,          den Themen Transkulturalität, Konflikt-
Positiv hervorzuheben ist der Versuch, auf         dessen Module auch einzeln buchbar sind,           transformation, Diversität, Intersektiona-
kulturelle Gemeinsamkeiten aufmerksam zu           werden wir uns heuer intensiver mit der            lität, Nachhaltigkeit.

KRANICH 01/2020 – friedensbüro salzburg                                                                                                           09
GEWALTPRÄVENTION - Friedensbüro Salzburg
MEDIENGEWALT

                                                                            Julia Sophie Fraunberger, zertifizierte

                                                                                                                                                FOTO: privat | Julia Fraunberger
                                                                                           Saferinternet.at-Trainerin

Gewalt in Medien
Herausforderungen im Alltag von Kindern und Jugendlichen
Von Julia Sophie Fraunberger.

                                                                                                                                                                                   FOTO: Gerd Altmann auf pixabay.com | freie kommerzielle Nutzung
Medien sind Teil unseres Alltags, bergen aber neben reichlich Potential auch einige Gefahren in sich. Die zertifizierte Saferin-
ternet.at-Trainierin Julia Fraunberger umreißt Problemfelder und Handlungsstrategien gegen Mediengewalt.

Im Internet surfen, Musik hören, Videos            Unterhaltung, zum Zeitvertreib und zum              orientieren kann, z.B. durch die Recherche
ansehen, digitale Spiele spielen und sich mit      Austausch mit anderen. Die Mediennutzung            zu Informationen über Stars, Filme oder
anderen austauschen - die Onlinewelt ist           dient aber nicht nur als Freizeitvertreib, son-     Referatsthemen.
vielfältig und ein fixer Bestandteil des alltäg-   dern nimmt im Rahmen des Aufwachsens
lichen Lebens von Kindern, Jugendlichen und        von Kindern und Jugendlichen einen wichti-          Trotz Regeln und technischer Einschrän-
Erwachsenen. Laut der aktuellen Studie von         gen Stellenwert ein (vgl. Fraunberger 2015).        kungen, die in vielen Fällen mit dem
Saferinternet.at (2020) gibt es in Haushalten                                                          ersten Gerätebesitz einhergehen, erwei-
mit Kindern unter sechs Jahren durchschnitt-       Die Motive der Mediennutzung zeigen sich            tern sich die Möglichkeiten der Nut-
lich vier bis fünf internetfähige Geräte. Die      generationsübergreifend und unabhängig              zung. Je neugieriger und ausdifferen-
ersten Medienerfahrungen finden in der             von aktuell beliebten Plattformen in der            zierter die Jugendlichen die Angebote
Regel gemeinsam mit den Eltern statt und           Auseinandersetzung mit                              nutzen, desto mehr kommen sie auch
umfassen das Ansehen von Videos (73%)              • sich selbst als Person, z.B. durch das Einrich-   mit problematischen Inhalten und unan-
und Fotos (61%), Musik hören (61%) oder            ten eines Accounts auf Instagram mit Profil-        genehmen Situationen in Kontakt. Die
später Spiele spielen (51%). Ab einem Alter        bild und passender Personenbeschreibung;            Faszination spiegelt sich im Umgang mit
von zwölf Jahren gehört dann das Smart-            • dem Status innerhalb der Peergruppe,              diesen potentiell gefährlichen Aspekten
phone zur Standardausrüstung von Jugend-           z.B. durch das Verwalten von Kontaktli-             wieder. Zentral ist die Neugierde: Was
lichen. Im Durchschnitt sind 9- bis 17-Jährige     sten oder durch Streaks in Snapchat als             steckt hinter dem Link? Wie sieht
an einem Werktag 2,4 Stunden aktiv auf             eine Art Freundschaftsbeweis;                       Momo aus? Was passiert, wenn ich um
ihrem Smartphone und nutzen dieses zur             • der Frage, wie man sich in der Welt               3 Uhr früh mit Forky telefoniere?

10                                                                                                           KRANICH 01/2020 – friedensbüro salzburg
MEDIENGEWALT

Die Angstlust – also das lustvolle Erleben       Cybermobbing und Hass-                         rung und Expertise als Ansprechpersonen
einer bedrohlichen Situation in sicherer         postings                                       zur Verfügung stehen, wenn sie Probleme
Umgebung – spielt für den Genuss dieser                                                         haben (vgl. Saferinternet.at 2015).
Medieninhalte eine große Rolle. Oftmals          • Cybermobbing – also das absichtliche
ist es den Kindern und Jugendlichen nicht        und über einen längeren Zeitraum anhal-        Tipps, um Kinder und Jugendliche dabei zu
bewusst, dass es sich bei den konsumier-         tende Beleidigen, Bloßstellen, Belästigen      unterstützen, sicher und verantwortungsvoll
ten Inhalten um Mediengewalt handelt, da         und Ausgrenzen anderer über digitale           mit problematischen Inhalten umzugehen:
es so alltäglich für sie geworden ist. Eine      Medien – ist nach § 107c StGB strafbar.        • Vertrauen fördern: Interessieren Sie
differenzierte Betrachtung der unter-            • Hass & Hetze: Menschenverachtende            sich für die Lebenswelt der Kinder und
schiedlichen Formen von Mediengewalt,            Äußerungen können rassistisch, sexistisch,     Jugendlichen, fragen Sie nach, lassen Sie
denen Kinder und Jugendliche begegnen            antisemitisch, homophob oder gewaltver-        sich etwas erklären oder probieren Sie es
können, ist daher nötig:                         herrlichend sein und unterschiedliche          gemeinsam aus!
                                                 Strafbestände wie z.B. Verhetzung, üble        • Problembewusstsein schaffen: Spre-
„Witzige“ Gewalt                                 Nachrede oder Beleidigung erfüllen.            chen Sie über Chancen und mögliche
                                                                                                Gefahren des Internets und wie man diese
• Challenges – Mutproben zwischen                Sexualität und sexuelle                        erkennen kann.
Spaß und Lebensgefahr wie die „Ice Buk-          Belästigung                                    • Aufklären statt Angst machen: Gut
ket Challenge“, in der sich Menschen mit                                                        informierte Kinder lassen sich nicht so
Eiswasser übergossen oder aktuell die            • Cybergrooming: Dabei erschleichen sich       leicht verwirren, daher sollten Sie auch
„Skullbreaker-Challenge“, in denen sich          (v.a. männliche) Erwachsene durch Kompli-      Themen ansprechen, die Angst machen
bereits viele ernsthaft verletzt haben.          mente und falsches Verständnis das Vertrau-    können oder unangenehm sind (z.B. Sexu-
• Kettenbriefe verursachen vor allem bei         en der Nutzer*innen, indem sie sich als        alität oder Pornos).
jüngeren Kindern Angst, da sie befürch-          Gleichaltrige ausgeben und sie anschließend    • Wahr von Falsch unterscheiden: Im
ten, dass die Drohungen wahr werden.             sexuell belästigen und erpressen. Oft geben    Internet ist vieles erfunden oder wird zur
Um Kinder vorzeitig zu entlasten, wurde          sie sich als Modelagent*innen oder Talentsu-   Manipulation von Meinungen oder Kauf-
der Safer Internet-Bot entwickelt, der Ket-      cher*innen aus und versprechen Belohnun-       entscheidungen eingesetzt.
tenbriefe erkennt und Entwarnung gibt            gen in Form von Geld, Gutscheinen oder         • Das Internet ist kein rechtsfreier
(abrufbar unter www.saferinternet.at/pro-        Fotos für Modelverträge.                       Raum – auch hier gibt es Regeln, an die
jekte/kettenbrief-handy/).                       • Sexting: Das Verschicken und Tauschen        man sich halten muss, weil man sich sonst
• Videos, die lustige sowie „grausige“           von Nacktaufnahmen über das Internet           unter Umständen strafbar macht.
Elemente beinhalten, wie z.B. South Park.        und Handy kann sehr unangenehme Fol-
• Digitale Spiele: Spiele wie Fortnite           gen haben, wenn die Aufnahmen in fal-          Und bedenken Sie: Die Chancen digi-
bestehen aus animierter Gewalt und ver-          sche Hände geraten oder öffentlich im          taler Medien übertreffen die Risiken!
folgen das Ziel, andere Spieler*innen            Internet landen. Das Verbreiten und Ver-
umzubringen. Wichtig ist es hier auf             öffentlichen erotischer Fotos Minder-          Literatur:
altersgerechte Angebote zu achten (laut          jähriger gilt als Kinderpornographie und       Fraunberger, J. (2015): Jugendliche und ihr
Jugendschutzgesetz mit PEGI-, FSK- oder          ist somit illegal. Das einvernehmliche         Umgang mit Konflikten in WhatsApp. Unver-
USK-Symbolen gekennzeichnet).                    Tauschen von eigenen pornografischen           öffentlichte Masterarbeit, Universität Salz-
                                                 Fotos und Videos zwischen zwei Jugend-         burg. Verfügbar unter
Gewalt- und Pornokonsum                          lichen ab 14 Jahren ist unter bestimmten       www.saferinternet.at/fileadmin/redakteure/Fo
                                                 Umständen nach § 207a StGB straffrei.          oter/Studien/Fraunberger_Jugendliche_und_ih
• Gewaltvideos: Videos, in denen sich            • Sextortion: Bei dieser Betrugsmasche wer-    r_Umgang_mit_Konflikten_in_WhatsApp.pdf
Jugendliche dabei filmen, wie sie andere         den Personen von Unbekannten aufgefor-         (23.02.2020).
schlagen. Dabei geht es darum, möglichst         dert, in Videochats nackt zu posieren oder     Saferinternet.at (2015): Medien und
viel Anerkennung zu bekommen. Was                sexuelle Handlungen durchzuführen, wäh-        Gewalt. Unterrichtsmaterialien (4. Auflage).
beim Versenden der Inhalte oft vergessen         rend sie die Handlungen heimlich aufzeich-     Verfügbar unter www.saferinternet.at/filead-
wird ist, dass es sich dabei um Beweise für      nen und die Betroffenen anschließend mit       min/categorized/Materialien/Medien_und_Ge
schwerwiegende Straftaten handelt.               der Veröffentlichung erpressen.                walt.pdf (23.02.2020).
• Illegale Inhalte mit kinderpornografi-                                                        Saferinternet.at (2020): Die Allerjüngsten
schen oder nationalsozialistischen sowie         Wenn Kinder und Jugendliche im Internet        (0-6 Jahre) & digitale Medien. Verfügbar
rechtsextremen Inhalten werden oftmals           und in Sozialen Netzwerken aktiv sind, kom-    unter www.saferinternet.at/news-detail/stu-
von Jugendlichen unterschätzt und zur            men sie früher oder später auch mit Inhalten   die-72-prozent-der-0-bis-6-jaehrigen-im-inter-
Provokation eingesetzt.                          in Berührung, die für sie ungeeignet           net/ (23.02.2020).
• Pornovideos: Sie stellen oftmals die           und/oder potenziell problematisch sind.
erste Informationsquelle von Jugendlichen        Umso wichtiger ist es, junge Nutzer*innen      Julia Fraunberger, MA BA, Studium der
dar und prägen ihre Vorstellung von „rich-       schon vorab für problematische Inhalte zu      Kommunikationswissenschaft (Bakk.Komm.
tiger“ Sexualität. Hier ist es wichtig, Unter-   sensibilisieren und sie im kompetenten         MA) und Pädagogik (BA), ist zertifizierte
schiede zwischen gelebter Sexualität und         Umgang zu unterstützen. Dazu bedarf es         Saferinternet.at-Trainerin sowie Psychothera-
Pornografie klar zu machen.                      Erwachsene, die ihnen mit ihrer Lebenserfah-   peutin i. A. unter Supervision.

KRANICH 01/2020 – friedensbüro salzburg                                                                                                    11
ZIVILCOURAGE

                                                               Reinhard Leonhardsberger, Sozialwirt, Politischer
                                                                                          Bildner & Mediator

                                                                                                                                                FOTO: SOS Menschenrechte
Zivilcourage: Hinsehen statt
Wegsehen!
Von Reinhard Leonhardsberger.

Haltung zu zeigen und bei Konflikten sowie bei Angriffen auf die Menschenrechte und Demokratie einzuschreiten - kurzum: Zivil-
courage zu zeigen - fällt uns nicht immer leicht. Welche Faktoren begünstigen oder verhindern zivilcouragiertes Handeln? Wie kön-
nen wir unser Handlungsrepertoire stärken?

Der Begriff „Zivilcourage“ wird mit                takte, niedrige soziale Dominanzorientierung,    bewusst zu machen. Am besten probiert
„Bürger*innenmut“ übersetzt und wurde              Merkmale hilfsbedürftiger Personen (z.B.         und übt man folgende Verhaltensweisen
von Otto von Bismarck geprägt, der bean-           Gruppenzugehörigkeit, Verwandt-                  in Zivilcouragetrainings:
standete, dass zwar viele Menschen Mut auf         schaftsgrad, Attraktivität), physische           • andere Menschen als Unterstützung dazu
dem Schlachtfeld zeigen, nicht aber wenn es        Berührungsängste, die Anzahl der anwe-           holen
darum geht, anderen abseits davon bei              senden Personen, der Umfang der                  • Autoritäten informieren
Unrecht beizustehen. In schwierigen Situatio-      Kenntnisse über die möglichen Hand-              • dazu gehen und das Gespräch suchen
nen gut zu reagieren, in denen andere Men-         lungsoptionen, das Selbstvertrauen in            • die Aufmerksamkeit des*der Täter*in auf
schen verbal oder tätlich angegriffen werden,      die eigenen Kompetenzen usw.                     sich ziehen
kann geübt werden. Der erste Schritt dabei:                                                         • dazwischen gehen
Hinsehen statt Wegsehen.                           Hinzu kommt, dass Hinsehen und Handeln           • Ablenkung erzeugen
                                                   häufig dann gefordert sind, wenn wir es          • das Opfer aus der Situation holen
In unserer Arbeit bei SOS-Menschenrechte           nicht erwarten. In einem solchen Überra-         • Dokumentieren und als Zeug*in zur Verfü-
sprechen wir von „Zivilcourage“, wenn für          schungsmoment gut und angemessen zu              gung stehen
gesellschaftliche Normen und Werte wie             handeln, kann schwierig sein. Genau das          Wer sich darauf einlässt, findet bestimmt
Demokratie, Menschenrechte und Solidarität         lässt sich aber üben: In Zivilcouragetrainings   Möglichkeiten, um sich für andere einzu-
eingestanden und den Menschen, die von             wird anhand von alltäglichen Erfahrungen ein     setzen.
Verletzungen ihrer Menschenwürde und ihrer         nützliches Repertoire an Handlungsmöglich-       3. Leider scheitert Zivilcourage oft schon am
Rechte betroffen sind, beigestanden wird –         keiten und Strategien zur Deeskalation und       ersten und wichtigsten Schritt, dem Hinse-
auch auf die Gefahr hin, selbst dadurch            Konfliktbearbeitung gezeigt, ausprobiert und     hen: Es ist wichtig, Interesse an den Begeben-
Nachteile zu erfahren.                             weitergegeben. „Zivilcourage“ bedeutet aber      heiten in unserer Umwelt zu zeigen und
Die Journalistin Franca Magnani meinte in          auch, beim Versuch sich für Schwächere ein-      Ungerechtigkeiten sehen zu wollen bzw.
diesem Zusammenhang einmal: „Je mehr               zusetzen mögliche nachteilige Folgen in Kauf     unseren Mitmenschen und ihrem Leid nicht
Bürger mit Zivilcourage ein Land hat, desto        zu nehmen. Das kann abschrecken. Die For-        gleichgültig gegenüber zu stehen.
weniger Helden wird es einmal brauchen“            schung zu „Zivilcourage“ zeigt, dass neben       4. Häufig erfinden wir auch Entschuldigun-
(zit. n. Ostermann 2004, S. 52). Ganz in die-      der Hemmung aufgrund erwarteter negati-          gen, um nicht eingreifen zu müssen. Eine der
sem Sinne profitieren von einer zivilcouragier-    ver, persönlicher Folgen die Ursachen fehlen-    perfidesten: Er*Sie ist selbst schuld, in dieser
ten Gesellschaft alle, weshalb es ganz wichtig     der Zivilcourage vielfältiger sind:              Situation zu sein und deshalb dürfe Hilfe
ist, sich für eine offene, tolerante und gleich-                                                    auch verweigert werden. Dies ist aus unserer
berechtigte Gesellschaft einzusetzen, in der       1. Das Gefühl von verbaler wie physi-            Sicht nicht nur gefährlich für den sozialen
die Rechte und Chancen aller geachtet und          scher Unterlegenheit dem*der Täter*in            Zusammenhalt einer Gesellschaft, sondern
gelebt werden und Machtungleichgewichte            gegenüber. Gerade in Situationen, die            auch im Hinblick auf die Akzeptanz von
abgebaut werden.                                   Zivilcourage bedürfen, manifestieren sich        Selbstjustiz in einem auf Menschenrechten
                                                   formelle und informelle Machtungleich-           begründeten Rechtsstaat.
Darüber hinaus gibt es verschiedene Aspekte,       gewichte unserer Gesellschaft am stärk-          5. Zu guter Letzt ist einer der Hauptgründe
die die Wahrscheinlichkeit, in einer Konfliktsi-   sten. Dagegen anzukämpfen bedarf häu-            für mangelndes Handeln, dass es ja auch
tuation tatsächlich einzugreifen entweder          fig großer Überwindung. Nichtsdesto-             noch andere Menschen gibt, die eingreifen
steigern oder senken, wie z.B.: Alter,             trotz muss in diesem Zusammenhang                könnten: „Weshalb soll also gerade ich ein-
Geschlecht, Kultur, Wertehaltungen, Stim-          darauf hingewiesen werden, dass Zivil-           greifen?“ Wie aber u.a. die Theorie der
mungslage, die zu erwartenden negativen            courage nicht bedeutet, sich selbst in           Schweigespirale von Elisabeth Noelle-Neu-
Konsequenzen, Emotionen, soziale Normen,           Gefahr bringen zu müssen.                        mann zeigt, führt das häufig dazu, dass noch
Heroismus- und Altruismus-Tendenzen, Per-          2. Aus Ermangelung an Handlungsoptio-            weniger Menschen bzw. niemand eingreift,
sönlichkeitsmerkmale, der individuelle             nen: Insbesondere um sich nicht selbst zu        weil alle Beobachter*innen vermuten, die
Gerechtigkeitssinn, das Kognitionsbedürfnis,       gefährden, ist es wichtig, sich unterschied-     anderen würden der Situation vielleicht neu-
Qualität und Quantität interethnischer Kon-        liche Möglichkeiten der Zivilcourage             tral bis wohlwollend gegenüberstehen. Die

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