GEWALTPRÄVENTION - Friedensbüro Salzburg
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FRÜHLING 2020 Zeitung GEWALTPRÄVENTION GEWALT BEGEGNET UNS IN UNTERSCHIEDLICHEN FORMEN, AUSPRÄGUN- I N T E R V I E W GEN UND KONTEXTEN - sei es direkte, physische Gewalt, Mobbing und Aus- „Es gilt, ein Klima das Mitein- grenzungssituationen, strukturelle Gewalt oder sexualisierte Gewalt. Das Frie- anders zu schaffen“ S. 04 densbüro hat es sich seit seiner Gründung vor knapp 35 Jahren zum Anliegen gemacht, Gewalt präventiv zu begegnen und konstruktive Möglichkeiten der Konfliktbearbeitung zu stärken, und zwar sowohl im persönlichen, beruflichen S E X U A L I S I E R T E G E W A L T Verdacht auf sexuelle Gewalt S. 06 sowie im politischen Kontext. Seit 2015 bieten wir den praxisorientierten Lehr- gang „Bevor’s kracht“ in Kooperation mit St. Virgil Salzburg an, der Interessierten umfassendes Grundlagenwissen sowie zahlreiche Methoden vermittelt, mit denen I N T E R K U L T U R E L L E K O N F L I K T E Gewalt vorgebeugt werden und bei Konflikten interveniert werden kann. Die vorlie- Vom Weben kultureller Netze S. 08 gende Ausgabe des Kranich gibt einen Einblick in ausgewählte Module des Lehrgangs, für die sich Interessierte auch einzeln anmelden können. Die Redaktion Lehrgang „Bevor’s kracht“ | Seite 16
INTERVIEW Barbara Wick, pädagogische Leitung im Friedensbüro Salzburg I N H A L T 02 Kommentar 03 Kurz & Bündig 04 „Es gilt, ein Klima des Miteinanders zu schaffen“ 06 Verdacht auf sexuelle Gewalt 08 Vom Weben kultureller Netze „Und bist du nicht willig... so brauch 10 Gewalt in Medien ich Geduld“ Öffnet man die Zeitung oder klickt man sich durchs Netz, hat man fast das 12 Zivilcourage: Hinsehen statt Weg- Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen: Gewaltdelikte scheinen allgegenwärtig zu sein und in ihrer Brutalität zuzunehmen. Diese Ausgabe hilft, die vielfältigen sehen! Erscheinungsformen der Gewalt differenzierter zu betrachten und beleuchtet aktuelle Ansatzpunkte zur wirksamen Präventionsarbeit. 14 Veranstaltungen Die Juristin und Mediatorin Andrea Holz-Dahrenstaedt, Leiterin der Kinder- und Jugendanwaltschaft Salzburg, gibt im Interview auf den Seiten 4-5 Einblick in ihre Arbeit und reflektiert über Grundpfeiler gelingender Gewaltprävention. Darüber hinaus rücken wir unseren Gewaltpräventionslehrgang „Bevor´s kracht“ in den Fokus. Dabei geben Referent*innen Einblick in ihr Fachwissen: Holger Specht beschreibt auf den Seiten 6-7 das Dilemma von Betroffenen und deren Umfeld sowie das der Beschuldigten, sobald der Verdacht des sexuellen Missbrauchs geäußert wird. Mit gelungenen Good Practice Beispielen im inter- und transkulturellen Kon- text beschäftigt sich Daniela Molzbichler. In ihrem Beitrag auf den Seiten 8-9 So können Sie uns erreichen: geht sie auf den schwer abgrenzbaren Begriff “Kultur“ ein und erläutert dabei Friedensbüro Salzburg multi-, inter- und transkulturelle Zugänge. Franz-Josef-Str. 3, 5020 Salzburg Das Ausmaß und den Stellenwert der digitalen Medien in unserem Alltag KONTAKT beschreibt Julia Fraunberger auf den Seiten 10-11. In ihrem praxisorientierten tel/fax: 0662/87 39 31 Seminar „Medienkompetenz“ (Winter 2021) taucht sie dabei mit den Teilneh- e-mail: office@friedensbuero.at mer*innen in die Tiefen der Onlinewelt ein. www.friedensbuero.at Reinhard Leonhardsberger holt bewährte Strategien zur Deeskalation und zu Bankverbindung: Salzburger Sparkasse, zivilcouragiertem Handeln vor den Vorhang. Der Referent setzt sich dabei auf IBAN: AT102040400000017434 den Seiten 12-13 mit Aspekten auseinander, die die Wahrscheinlichkeit Öffnungszeiten: beeinflussen, in Konfliktsituationen einzugreifen. Weitere Hinweise zum Lehr- Mo & Mi: 9–11 Uhr • Di & Do: 15–18 Uhr gang und der Möglichkeit zur Einzelbuchung der Module finden Sie auf Seite 16. Ebenso auf Seite 16 finden Sie Informationen zum neuen Workshop „Out of the box“, wo Teilnehmer*innen eine Cybermobbing Situation simulieren, um IMPRESSUM DER KRANICH herauszufinden, wie zivilcouragiertes Handeln auch in der digitalen Welt Nr. 01/2020 funktionieren kann. An der Erstellung dieser Ausgabe haben mit- gewirkt: Hans Peter Graß, Kristina Langeder, Desirée Wichtiger Hinweis: Aufgrund der Entwicklungen rund um das Corona-Virus kön- Summerer, Barbara Wick, Christine Czuma. Titelbild: Annette Rollny | fokus visuelle kommunikation nen wir aktuell nicht mit Sicherheit sagen, ob und in welcher Form die geplanten Layout: Kristina Langeder Veranstaltungen abgehalten werden können. Wir informieren dazu regelmäßig Grafisches Grundkonzept: Eric Pratter auf unserer Homepage (www.friedensbuero.at) und in unserem Newsletter. Barbara Wick 02 KRANICH 01/2020 – friedensbüro salzburg
KURZ & BÜNDIG „Lernsieg“ Dass Schüler*innen Feedback geben kön- nen, ist also wichtig – dass sie dazu im Die vom Schüler Benjamin Hadrigan Schulalltag nur wenige Möglichkeiten Kurz& Bündig entwickelte App „Lernsieg“ polarisiert und erhitzt die Gemüter: Während die haben, ein Missstand. Dennoch wird zwei- tens deutlich, dass die App selbst mit kon- einen darin das Bedürfnis der struktivem Feedback wenig zu tun hat. Bei Schüler*innen nach Feedback und Mit- der Anwendung geht es um Bewertung, sprache sehen, befürchten die anderen nicht um Rückmeldung; statt Begründun- Lehrer*innen-Bashing, ungerechtfertig- gen zu finden und Argumente zu formulie- te Beschuldigungen und unfaire Bewer- ren, vergeben die Schüler*innen Stern- tungen - von den Sicherheitsbedenken chen, die einzelnen Lehrpersonen wenig Frauenhäuser ganz zu schweigen. Die Gewerkschaft darüber verraten, wo Verbesserungspoten- überlegt gar, mit einer Klage gegen die tial liegt. Tatsächlich ist dem Gewerk- In Bezug auf die Trägerschaft der Salzbur- App vorzugehen (Stand Ende Februar). schafter Paul Kimberger zumindest in ger Frauenhäuser hat sich ein heftiger In den kontrovers geführten Debatten dem Punkt Recht zu geben, dass sich Konflikt zwischen der Salzburger Landesre- stechen meines Erachtens vor allem 2 wichtige zwischenmenschliche Arbeit, gierung und den Träger*innen der Frauen- Punkte hervor: Erstens wird deutlich, wie sie bspw. an Schulen stattfindet, häuser in Hallein und der Stadt Salzburg dass Feedback von Schüler*innen ten- „nicht einfach mit einer Sternchenskala entzündet, der von öffentlichen Solidari- denziell nicht nur unerwünscht ist, son- einstufen“ (DerStandard, 25.02.2020) tätsbekundungen, Stellungnahmen und dern gar als gefährlich wahrgenommen lässt, die ja stark abstrahiert - ein Argu- Protestmaßnahmen begleitet wird. Der wird. Spätestens seit der Hattie-Studie ment übrigens, das sich auch gegen das „Runde Tisch Menschenrechte“ hat dies- (2009) sollte jedoch klar sein, dass eine Ziffernnotensystem anführen lässt. Es ist bezüglich eine Stellungnahme veröffent- konstruktive, gegenseitige Feedbackkul- schade, dass die (nebenbei gewinnorien- licht, der wir uns gerne anschließen. Darin tur zwischen Schüler*innen und tierte) App selbst dieser Bewertungslogik heißt es leicht gekürzt: Lehrer*innen eine der einflussreichsten verhaftet bleibt und auf Leistungsdruck „[…] Das Vorhaben, neue Konzepte und Bedingungen für Lernerfolg ist. Ein ent- setzt. Vielleicht kann die gegenwärtig Ideen zu entwickeln und umzusetzen, wie sprechendes Pilotprojekt in Bayern aus sehr angeregte Diskussion darüber aber die im Pinzgau geplanten Übergangswoh- dem Jahr 2016 zeigt, dass die Kritik an den Grundlagen und Maß- nungen, wird begrüßt. Dabei kann es auch Schüler*innen konstruktives, faires und stäben für Leistungsbeurteilung aufgrei- sinnvoll sein, überholte Strukturen zu angemessenes Feedback geben, das fen und einen Impuls dafür setzen, Schü- überdenken, um den Schutz von Frauen Lehr- und Lernprozesse verbessern und ler*innen mehr Räume für Feedback, Mit- und Kindern noch effektiver zu gestalten. die beteiligten Akteur*innen besser sprache und Teilhabe zu eröffnen. Zu Allerdings sollten bei konzeptionellen Neu- aufeinander abstimmen kann. hoffen wäre es. KL gestaltungen die Expertinnen der beste- henden Frauenhäuser miteinbezogen wer- den und nebenbei sollte die bisher übliche Handhabung einer geheimen Adresse Das Zitat bestehen bleiben, um den betroffenen FOTO: Arne Müseler | Wikimedia | zur Wiederverwendung und Veränderung gekennzeichnet Frauen und Kindern wirklich in allen Fällen ausreichenden Schutz bieten zu können. […] Der Runde Tisch Menschenrechte for- dert die zuständige Landesrätin Andrea Klambauer daher auf, vom Vorhaben der EU-weiten Ausschreibung Abstand zu neh- men und einen konstruktiven, inhaltlichen Diskurs zur Neuausrichtung der Salzburger Frauenhäuser unter Beiziehung der regio- nal tätigen Expertinnen aufzunehmen, mit dem gemeinsamen Ziel einer inhaltlichen Verbesserung des Schutzes vor familiärer Gewalt.“ Die Auseinandersetzung ist zu Redaktions- schluss noch sehr dynamisch und ergebni- soffen. Informationen und Solidaritätsbe- „Was werden wir unseren Kindern und Enkelkindern antworten, wenn wir eines kundungen unter: Tages gefragt werden, warum wir damals im März 2020 so lange zugeschaut https://mein.aufstehn.at/petitions/stoppt- haben – wissend, wie es zwei Flugstunden von Wien entfernt zugeht?" (Heinz die-ausschreibung-der-frauenhauser-in- Fischer über die untragbaren Zustände in den Flüchtlingslagern an den EU-Außengrenzen, salzburg-1 DerStandard, 12. März 2020). HPG KRANICH 01/2020 – friedensbüro salzburg 03
INTERVIEW „Es gilt, ein Klima des Miteinanders zu schaffen“ Gewaltprävention bei Kindern und Jugendlichen Das Gespräch führte Barbara Wick. Drittens versuchen wir, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen positiv im Interesse von Kindern und Jugendlichen zu verändern. Wir geben beispielsweise Stellungnahmen oder Empfehlungen ab, um Gesetzesänderungen zu bewirken. Des Weiteren stellen wir Ressourcen bereit. Zum Beispiel hatten wir das Theaterstück „Selber schuld“ zum Thema Mobbing an Schulen. Damals meldeten sich ganz viele Kinder und Jugendliche bei uns. Und wir helfen den Kindern dabei, Hürden individuell, konkret und unterschiedlich zu überwinden. Aktuell versuchen wir, gemein- sam mit anderen eine Mobbing-Präventions- stelle in Salzburg in die Welt zu bringen. Kranich: Wo sind deiner Meinung nach die wesentlichen Ansatzpunkte für die Prävention von Gewalt? Holz-Dahrenstaedt: Es gibt ein funda- mentales Kinderrecht: Das Recht auf Schutz vor Gewalt. Es ist in der Kinderrechtskon- vention, die jetzt 30 Jahre alt ist, und seit 2011 auch in der österreichischen Bundes- verfassung verankert. Es ist wichtig, dieses Recht zum Leben zu erwecken. In der Schule braucht es zum Beispiel gelingende Bezie- FOTO: BB / S. Schenker hungen und ein Klima, in dem Menschen wachsam und sensibel sind, um frühzeitig jede Form von Gewalt zu erkennen, zu benennen und durch das eigene Vorbildver- halten gar nicht erst aufkommen zu lassen. Die Juristin und Mediatorin Andrea Holz-Dahrenstaedt leitet die Kinder- und Jugend- Konflikte sind normal. Man sollte sie nicht anwaltschaft (kija) des Landes Salzburg. Im Interview spricht sie über Gelingensfakto- unterdrücken, aber auf einer konstruktiven ren in der Gewaltprävention und berichtet aus ihrer beruflichen Praxis. Ebene lenken und kontrollieren. In der Schule braucht es klare Regeln. Dies Kranich: Was sind die zentralen Auf- mitunter die höchsten Fallzahlen, rund gilt für draußen, wo sich Kinder austoben gaben der kija? 600 Fälle pro Jahr. können, aber auch für Rückzugsräume. Holz-Dahrenstaedt: Die Kinder- und Zweitens: Information und Prävention. Das Wichtig ist, dass sich jede*r sicher fühlt. Dazu Jugendanwaltschaft ist eine weisungsfreie bedeutet, möglichst viele Zielgruppen über müssen alle beitragen, denn dieses Klima Einrichtung des Landes. Uns gibt es seit 27 Kinderrechte zu informieren. Seine Rechte kann nicht eine Person alleine schaffen. Es Jahren. Wir orientieren uns an einer zu kennen hat eine wichtige präventive braucht die Direktion, den Schulwart, die gesetzlichen Grundlage und haben 3 Funktion. Nicht nur Kinder und Jugendli- Lehrer*innen sowie die Kinder und Jugend- wesentliche Aufgaben. che, sondern auch Lehrpersonen, Richter lichen selbst. Es gilt, ein Klima des Mitein- Erstens: Einzelfallhilfe und -beratung für und Eltern sollen informiert sein. Dies anders zu schaffen, in dem soziale Kompe- Kinder und Jugendliche von 0 bis 21 Jah- geschieht in Form von Broschüren und tenzen einen hohen Stellenwert einnehmen. ren - zu allen Themen, die aus Sicht der interaktiv. Wir machen Workshops, aber Betroffen ein Problem darstellen: von A auch Theaterstücke zu Themen mit Pro- Kranich: Was nützt eine engagierte für Armut über M für Mobbing bis hin blemcharakter funktionieren wunderbar Schule, wenn der*die Schüler*in aus zu Z für Zwangsheirat. In Summe gibt es als Türöffner. Wir haben sehr gute einem von Gewalt belasteten jährlich 3000 Einzelfälle. Mobbing hat Erfahrungen damit. Umfeld kommt? 04 KRANICH 01/2020 – friedensbüro salzburg
INTERVIEW Holz-Dahrenstaedt: Jede*r Schüler*in Wir arbeiten und handeln im Auftrag der Es ist wichtig, dass ich die Kinder hier stärke, nimmt seine Erfahrungen in die Schule mit. Jugendlichen. Wir wollen ihnen Selbst- stütze, noch feinfühliger agiere und den Es kann sein, dass er*sie Gewalt erlebt hat. wirksamkeit vermitteln. Ein Vorschlag wäre, Fokus auf pädagogisch achtsame Beziehun- Durch eine Umfrage wissen wir, dass vor dass wir ein Gespräch mit den Eltern, den gen lege. Kinder in diesem Alter haben weni- allem psychische Gewalt noch immer viel zu Lehrer*innen führen können. Wir können in ger Vorurteile, das macht den Umgang einfa- häufig vorkommt. Die „g’sunde Watschn“ ist die Schule gehen und einen Workshop cher. Es ist ihnen nicht wichtig, was jemand noch immer präsent. 85% der Kinder, die in abhalten. Je älter die betroffene Person ist, kann oder nicht kann, besitzt oder nicht der Schule auffällig sind, haben zu Hause desto mehr kann sie eingebunden werden. besitzt. Auf gewisse Weise haben wir es selbst Gewalt erlebt. Es gibt Erkenntnisse und Je jünger, desto mehr Pflichten haben wir, daher einfacher, weil sie viel offener auf Studien, die besagen, dass gewalttätiges Ver- wenn das Kindeswohl gefährdet ist. Es wird andere zugehen, egal ob das Kind eine ande- halten von Schüler*innen reduziert werden geschaut, wo das Kind untergebracht ist und re Sprache spricht oder eine Behinderung hat. kann, wenn die Schule eine Gesamtstrategie ob die Möglichkeit besteht, bei Großeltern zur Prävention von Gewalt entwickelt und oder Verwandten nach Alternativen zu Kranich: Vielen Dank für das Gespräch! nicht auf Einzelmaßnahmen setzt. suchen. Wenn wir durch unser Tun nichts abwenden können, dann haben wir eine Dr.in Andrea Holz-Dahrenstaedt ist Medi- Kranich: Welche Aspekte in der Bezie- Meldepflicht beim Jugendamt. Es ist wichtig, atorin, Juristin und Leiterin der Kinder- und hung zwischen Eltern, Pädagog*innen, Kinder darin zu bestärken, dass der Weg zur Jugendanwaltschaft des Landes Salzburg. zwischen Kindern und Jugendlichen sind Hilfe richtig war und sie zu ermutigen, nicht deiner Meinung nach am Wichtigsten? aufzugeben. Wir wollen den Kindern und Holz-Dahrenstaedt: Der bereits angespro- Jugendlichen vermitteln: Wir bleiben dran KINDERRECHTSPREIS chene Beziehungsaspekt ist das Allerwichtig- und sind an eurer Seite. ste. Kinder nur zu mögen macht noch keine 2020 guten Pädagog*innen aus. Eine freundliche Kranich: Worin unterscheidet sich Haltung, verlässlich und gerecht zu sein und aus deiner Perspektive die Gewalt- Wann: Donnerstag, 19. November alle Kinder gleich zu mögen, ist aber eine prävention an Kindergärten von 2020, 16.00 Uhr gute Zutat. Authentisch zu sein und auch jenen an Schulen? Wo: ORF-Landesstudio Salzburg mal Fehler zuzugeben ist wichtig, denn jeder Holz-Dahrenstaedt: Zum einen natürlich Mensch macht Fehler. Es braucht Verlässlich- aufgrund des Alters. Es sollte im Kindergar- keit, im Sinne von Gerechtigkeit. Diese Orien- ten viel spielerischer sein. Man sollte sich tierung muss Kindern und Jugendlichen gut bewusst sein, dass Kinder in diesem Alter und klar erklärt werden. Es gibt die Reckah- noch nicht absichtlich strategisch handeln. ner Reflexionen, die dazu beitragen sollen, Mobbing zum Beispiel ist ein bewusstestes pädagogische Beziehungen menschenwürdig Verhalten, um den anderen zu schädigen. zu gestalten. Dort gibt es 10 goldene Regeln Kinder hauen vielleicht mal zu, um jeman- zu gelungenen Beziehungen. Ich finde die dem eine Schaufel wegzunehmen. Sie agie- Regeln sehr ansprechend. Es wäre wichtig, ren im Affekt. Das ist kein gezieltes Schädi- Um den Salzburger Kinderrechtspreis dass sich jede Schule damit beschäftigt und gen des anderen. Es gibt schon in diesem können sich Kinder & Jugendliche, sie annimmt. Breit angelegte Studien zeigen, Alter eine Gruppenordnung. Es ist es wich- Schulklassen & Jugendgruppen, dass 80% der Pädagog*innen wertschät- tig, dass diese Rollen nicht zum Dauerzu- Erwachsene, Vereine & Institutionen zend sind. 20% sind in einem kritischen stand werden und sich der*die Stärkere und Betriebe bewerben. Bereich. 5% sind in einem abwertenden Ver- immer durchsetzt. Mithilfe von Puppenspie- halten. Sie üben damit bereits seelische len kann man zum Besipiel übern, sich in Wichtig zu beachten ist, … Gewalt aus. Seelische Gewalt ist die häufig- andere hinein zu versetzen. Wir hatten ein … dass es im Projekt um die Förderung ste Ursache von Schulabbruch. Theaterstück für Kindergärten, „Das hässli- von zumindest einem Kinderrecht geht; Pädagog*innen sollten reflektieren, welches che Entlein“. Die Kinder sind beim Anders- … dass im Mittelpunkt des Projektes Verhalten Sie gegenüber Kindern zeigen. sein des hässlichen Entleins, das nicht dazu Kinder und/oder Jugendliche stehen; gehörte, extrem mitgegangen. Ihre Reak- … dass das Projekt aktuell ist und einen Kranich: Was rätst du Kindern und tionen sind generell unmittelbarer und klaren Bezug zu Salzburg hat. Jugendlichen, wenn sie davon erzählen, weniger absichtlich. Kinder kann man mit dass sie in der Schule oder zu Hause mit solchen Spielen wunderbar abholen und Projekteinreichung bis zum 18. Juli Gewalt konfrontiert sind? sie ins Mitgefühl bringen. 2020 unter: Holz-Dahrenstaedt: Es gibt kein Patentre- Es ist wichtig, dass man mit kleinen Kindern www.kinderrechte-salzburg.at zept, man muss individuell darauf eingehen. viel sensibler umgeht, weil sie sich noch Tel.: 0662/434216 Vor allem ist es wichtig, zu ermutigen und nicht so artikulieren können. Deshalb ist viel Kinder und Jugendliche positiv zu bestärken. pädagogisches Feingefühl gefordert, denn je Der Kinderrechtspreis wird verliehen von Der erste Ausweg ist, darüber zu reden. Es kleiner sie sind, umso schwerer können sie akzente Salzburg, dem Verein Spektrum gehört viel Mut dazu, sich Hilfe zu holen. sich ausdrücken. Wenn sie Gewalt nicht im und der Kinder- und Jugendanwaltschaft Man sollte schauen, ob es im Umfeld jeman- Kindergarten, sondern zu Hause miterleben, (kija) Salzburg. den gibt, der helfen und schützen kann. dann bringen sie ihr Packerl mit. KRANICH 01/2020 – friedensbüro salzburg 05
SEXUELLE GEWALT Holger Specht, Mediator & Fachkraft für die strukturelle Prävention sexueller Gewalt FOTO: Hoffotografen Berlin Verdacht auf sexuelle Gewalt Fürsorgepflichten des klärenden Systems Von Holger Specht. Gekürzt von Kristina Langeder. Holger Specht, Mediator und Fachkraft für die strukturelle Prävention sexueller Gewalt in der Kinder- und Jugendarbeit, gibt einen Einblick in seine Sichtweise auf mediative Interventionsarbeit beim Aufkommen eines Verdachtes bzw. Vorwurfs sexueller Gewalt sowie auf Aspekte gelungener Präventionsarbeit. Im Zuge meiner Professionalisierung im Grundsatz. Dennoch: Der Konflikt ist Rundschreiben Nr. 2/2009, Anlage 5 „Ver- Bereich der strukturellen Prävention sexueller bereits eskaliert, der Systemerhalt ist in dachtsstufen“) zu klären, braucht es klare, Gewalt (Hölling et al. 2012: 7-8) kam ich zu Gefahr. Für den Fortbestand des Systems von den Vertreter*innen des Systems dem Schluss, dass Konflikttheorien wie das sind das weitere Handeln und die dem anerkannte und z.B. durch demokratische Phasenmodell der Eskalation (Glasl 2002: Handeln zu Grunde liegende Haltung ent- Prozesse transparent legitimierte Hand- 215-217), die Drama-Dynamiken (Gührs et scheidend. Bewertungen und Urteile, die lungsleitlinien als Richtschnur für gewis- al. 2014: 108), die Konfliktmanagementkom- über das Gehörte oder das Beobachtete senhaftes Vorgehen. Dadurch werden alle petenzen, das mediative Handwerkszeug und hinausgehen, wirken eskalierend und wer- Systemangehörigen ernst genommen und auch die Mediation für Interventions- und den recht unvermittelt zur Spaltung des an den Verfahrensweisen beteiligt. Das Präventionskonzepte zentral sind – sei es in Systems führen, also einen Koalitionsdruck minimiert Unsicherheiten, weil Klärung so der akuten Klärung, in der Beratung von Füh- erzeugen, der auch die bisher völlig unbe- auf eine nachvollziehbare Weise durchläs- rungskräften und Ansprechpersonen oder in teiligten und neutralen Menschen im sig und überprüfbar verläuft. Solche Syste- der Begleitung von Organisationen und Insti- System regelrecht „zwingt“, sich auf die me sind weniger anfällig für Eskalation tutionen hin zu sichereren Orten für Kinder eine oder die andere Seite zu stellen. und können unliebsame Entscheidungen und Jugendliche. besser akzeptieren. Den meisten System- Das klärende System angehörigen ist es bei bestehendem Ver- Die Konfliktdynamik trauen in die klärenden Instanzen mög- Eskalation macht verantwortungsbewusste lich, sich eher ruhig-abwartend als wild- Hat ein Mensch sein inneres Dilemma über- Klärung unmöglich. Ein reflexhaft-emotio- agierend zu verhalten. wunden und einen Verdacht auf sexuelle nales Handeln verhindert ein strukturiert- Gewalt geäußert, setzt eine umfassende planvolles Vorgehen: Womöglich verstär- „Im Zweifel für die Dynamik ein. Das gilt allen voran für den ken sich die Schuldgefühle des Menschen, Betroffenen!“ Menschen, der beschuldigt wird und auch der den Verdacht geäußert hat. Dies trau- für seine Partner*innen, Freund*innen matisiert erneut und macht die, die ihm Grundvoraussetzung für die Klärung ist eine sowie ihm auf andere Weise Nahestehende Glauben schenken, angreifbar und verletz- Parteilichkeit, und zwar mit den Betroffenen. und andere im System Gebundene. lich. Weil Klarheit und Klärung ausbleiben, Damit ist zunächst ein Mensch gemeint, der Für den Menschen unter Verdacht ist der spielt diese Dynamik Täter*innen in die von sexueller Gewalt berichtet. Parteilichkeit Vorwurf ein Gesichtsverlust sondergleichen. Hände! Hinzu kommt: Je eskalierter die bedeutet, den Aussagen Glauben zu schen- Er befürchtet den Ausschluss aus dem Situation, desto kleiner die Möglichkeit der ken und im Anschluss ein konsequentes, System, den Verlust von ihm wichtigen Rehabilitierung und Wiedereingliederung geordnetes und transparentes Vorgehen ein- Menschen sowie den Verlust seiner beruf- zu Unrecht beschuldigter Menschen (vgl. zuleiten (Unterstützung durch eine Fachbera- lichen und sozialen Existenz. Dieser Mensch Kröber 2013). Ein auf fürsorgliche Klärung tung ist wesentlich!). Darüber hinaus zeigt geht klar in den Kampf um Anerkennung ausgerichtetes System muss auf Bewertun- sich diese Parteilichkeit für alle Betroffenen und in die Eskalation: Er will Rehabilitierung. gen des Gehörten und auf Urteile verzich- eines Systems. Sie werden durch das Erle- Alle Menschen des Systems fühlen sich ten. Der Begriff „Klärung“ grenzt sich ben jedes Klärungsprozesses und durch unter Druck, sich zu entscheiden: Sollen bewusst von der „Aufklärung“ ab, die nur die bestehenden klaren Richtlinien ermu- sie einen Angehörigen, der sich vermutlich von Ermittlungsbehörden zu leisten ist und tigt, ihr Schweigen zu brechen. Das ist verdient gemacht hat und mit dem sie sich auch dort oft erfolglos bleibt. Wesenszug gelingender Präventionsarbeit! vielleicht sehr verbunden fühlen, schüt- zen? Gilt hier also: „Im Zweifel für den Die transparenten Hand- Die Fürsorgepflichten Beschuldigten“? Oder sollen die ihnen lungsrichtlinien anvertrauten Kinder und Jugendlichen Parteilichkeit mit Betroffenen schließt aller- geschützt werden und gilt dann: „Im Um Menschen im System zu ermächtigen, dings die Fürsorge ausnahmslos aller Zweifel für die Betroffenen“? wenigstens die Verfahrensweise, den Systemangehörigen nicht aus. Es ergeben Systeme, die aufrichtig Prävention betrei- Umgang mit den Vorwürfen und die dar- sich klare Fürsorgepflichten. ben, entscheiden sich für den zweiten aus folgenden Konsequenzen (Jugend- Fürsorge für den einen Verdacht äußernden 06 KRANICH 01/2020 – friedensbüro salzburg
SEXUELLE GEWALT Menschen bedeutet, ihm immer wieder den Gesamtsystem entsteht. Wichtig ist, dass Fazit Klärungsprozess transparent zu machen, ihm kooperatives Verhalten nicht mit Unschuld die Möglichkeiten und Grenzen seiner Beteili- gleichzusetzen ist. Die auf breite Akzeptanz angelegten gung klar aufzuzeigen und ihm ggf. eine Handlungsleitlinien inklusive eines Kon- dem System angehörende Vertrauensperson, Fürsorge für die in der Klärung Handelnden fliktmanagements, welches externe Fach- unbedingt aber professionelle Beratung zur bedeutet, ihnen Unterstützung in Form von beratung und Fachkräfte einbezieht, der Seite zu stellen – unabdingbar zur Bearbei- Supervision, Mediation und kollegialem immerwährende Perspektivenwechsel in tung des entstandenen Traumas. Austausch zur Verfügung zu stellen. Denn: alle Protagonist*innen durch die verant- So gut ein System auch aufgestellt sein wortlich Handelnden und ein transparen- Die Sorge vor Fehlbeschuldigung ist ernst mag, die Intervenierenden werden kritisch tes Kommunikationsdesign wirken dee- zu nehmen. Für einen Menschen gibt es beäugt und vermutlich auch mit Kritik skalierend und stützen so den Systemer- mindestens zwei verständliche und beladen. Um im Sinne des Systemerhalts halt. Gepaart mit guten und zum System zugleich kritikwürdige Gründe zum Erzäh- deeskalierend wirksam zu bleiben bzw. passenden Präventionskonzepten werden len der Unwahrheit: Zum einen scheint das zumindest einer weiteren Eskalation entge- vornehmlich alle Systemangehörigen in Beschuldigen des wahren Übergriffigen so gen zu wirken, bedarf es unbedingt der dem Konfliktfeld „sexuelle Gewalt“ schwierig und das Erlebte als so trauma- Reflexion, damit die Handelnden bedacht geschützt – ob jung, ob alt, ob Erwach- tisch, dass es erzählt werden will, sodass auf die Kritik reagieren und ein kompeten- sener, ob Kind, ob Verantwortungsträ- sich der Mensch zunächst zu einer Stellver- tes und den Prozess der Klärung stützen- ger, ob Schutzbefohlener. Als Folge treterbeschuldigung (z.B. statt des Vaters des professionelles Handeln immer wieder werden die Manipulationsmöglichkeiten den Onkel) durchringt. Zum anderen gibt neu ausrichten können. für Täter*nnen im System und in der es ggf. andere hoch eskalierte Konflikte Klärung enorm minimiert. oder Krisen (z.B. Adoleszenz-Krisen), in Fürsorge für die dem „Subsystem“ nahen denen das Beschuldigen als Strategie Menschen bedeutet Transparenz und Literatur: genutzt wird. In beiden Fällen stützt das Informationsfluss, durch den sich die Men- Glasl, F. (2002): Konfliktmanagement. konsequente Vorgehen den Klärungspro- schen in ihren Sorgen und Nöten ernst Ein Handbuch für Führungskräfte, Bera- zess, denn vor allem der geschützte Raum genommen fühlen. Erreicht und unter- terinnen und Berater, 7. Aufl., Stuttgart: der professionellen Beratungsstelle gibt die stützt wird das durch ein starkes Signal Verlag Haupt Freies Geistesleben. Sicherheit und das Vertrauen, die ganze der Gesprächsbereitschaft, das Empfehlen Gührs, M., Novak, C. (2014): Das kon- Wahrheit sagen zu können. von Beratungseinrichtungen und bei stär- struktive Gespräch. Ein Leitfaden für kerer Eskalation die ggf. sogar „verordne- Beratung, Unterricht und Mitarbeiterfüh- Fürsorge für den Menschen unter Ver- te“ Mediation, z.B. zwischen den Men- rung, Meezen: Christa Limmer. dacht bedeutet, dass ihm nach der Kon- schen vor Ort selbst, aber auch mit den in Senatsverwaltung für Bildung, Wissen- frontation mit den Vorwürfen und über der Klärung Handelnden. schaft und Forschung (Hrsg.) (2009): dieses Gespräch hinaus zum einen eine Handlungsempfehlungen bei sexueller klare und transparente Perspektive der Fürsorge gegenüber den übrigen Angehö- Gewalt gegen Mädchen und Jungen, Klärung sowie die möglichen Konsequen- rigen des Systems bedeutet, durch einen Jugend-Rundschreiben, 2. zen inklusive der Aussicht auf Rehabilitie- zeitnahen und transparenten Informations- Hölling, I., Riedel-Breidenstein, D., rung vermittelt werden. Und zum anderen fluss das Vertrauen in die Klärung zu stär- Schlingmann, T. (2012): Mädchen und muss ihm eine ggf. dem System angehö- ken, für Fragen und Kritik jederzeit zur Jungen vor sexueller Gewalt in Institutio- rende Vertrauensperson und/oder eine Verfügung zu stehen und die am Ende auf nen schützen, Berlin: Der Paritätische professionelle Beratung an die Seite allen Ebenen getroffenen Entscheidungen Berlin. gestellt bzw. angeboten werden. Das nachvollziehbar begründen zu können. Kröber, H.-L. (2013): Die schrittweise stützt vor allem Menschen unter Verdacht, interaktive Entstehung einer Fehlbe- die sich nicht schuldig gemacht haben und Die Fürsorgepflichten können auf unter- schuldigung sexuellen Missbrauchs, in: versetzt sie eher in den Zustand der schiedlichen Ebenen gewährleistet wer- Forensische Psychiatrie, Psychologie und Kooperation als der Eskalation. den. Es können Schulungen, Infoveranstal- Kriminologie, 7/4, 240-249. In dem vermutlich recht unwahrschein- tungen, Informationsmails, Plattformen im lichen Fall, dass sich ein*e Täter*in auf die Internet, Zusammenarbeit mit Beratungs- Holger Specht, Mediator (BM & SDM), Unterstützung einlassen kann, hat diese*r stellen, Moderation von Sitzungen oder Ver- Ausbilder für Mediation (BM) und Kon- die Chance, die Verantwortung für die anstaltungen sein. Vor allem bei Eskalationen, fliktmanagement, Fachkraft für struktu- Missbrauchshandlungen zu übernehmen. bei Stellvertreterbeschuldigungen o.Ä. und relle Prävention sexueller Gewalt in der Im besten Falle könnte das, Einverständnis Rehabilitierungsbestrebungen kann es Media- Kinder und Jugendarbeit (BJR PräTect), und Zumutbarkeit des Betroffenen voraus- tion sein. Beim Erarbeiten eines sinnvollen Lehrbeauftragter an verschiedenen gesetzt, in eine Art Täter-Opfer-Ausgleich und das System wie auch die Klärung stüt- Hochschule in der Schweiz; münden, der auch die Bewältigung des zenden Kommunikationsdesigns hilft externe Früher tätig als Erwachsenenpädagoge Traumas unterstützt. Für das klärende Beratung durch Fachpersonen der Beratungs- und pädagogischer Koordinator eines System ist es selbstverständlich hilfreich, stellen, Supervisor*innen oder Bildungsunternehmens des Internationa- wenn ein*e Täter*in sich kooperativ ver- Mediator*innen mit Zusatzqualifikation bzw. len Bundes (IB e.V.). hält, da dadurch weniger Unruhe im Erfahrungen im Feld „sexuelle Gewalt“. Homepage: www.inmedio.de KRANICH 01/2020 – friedensbüro salzburg 07
INTERKULTURELLE KONFLIKTE Daniela Molzbichler, Politikwissenschaftlerin FOTO: privat | Daniela Molzbichler Vom Weben kultureller Netze Von Daniela Molzbichler. FOTO: pixabay.com | freie kommerzielle Nutzung Kultur wird für viele Probleme verantwortlich gemacht. Die Politikwissenschaftlerin Daniela Molzbichler wirft einen kritischen Blick auf unter- schiedliche Konzepte von „Kultur“ und umreißt deren ambivalente Rolle in Konflikten. Kultur spielt für die eigene Identität, in der schneidungen und Vernetzungen, (2) ständi- spielen bei dieser Auseinandersetzung Schule oder im JUZ, in der Arbeit und in ge Veränderungen und (3) vor allem ver- wesentliche Rollen, beinhalten sie doch sehr Gesellschaften weltweit eine wichtige Rolle schiedene Konstrukteur*innen: Wenn Kultur divergierende Vorstellungen, was Kultur und wird auch häufig für Missverständnisse, in dem Sinne begriffen wird, dass sie eine ausmacht. Prinzipiell geht man bei Multikul- Streit, Extremismus oder Konflikte verant- Art „Brille“ ist (Boas 1940), die wir von Kind tur-Konzepten von einer ethnischen Fundie- wortlich gemacht. Während die einen vor an aufgesetzt bekommen, durch die wir rung aus, die Vorstellung der Homogenität kulturalistischen Konfliktdeutungen warnen, blicken und damit lernen, die Welt zu nach innen und einer klaren Abgrenzung erklären die anderen (welt-)politische Ereig- begreifen und zu beurteilen, oder dass „sich nach außen ist immanent. Hier kann man nisse oder Auseinandersetzungen in der Kultur in den Köpfen abspielt“ (Goode- sich Kulturen als in sich geschlossene Kreise, Schulklasse mit dem „Kampf der Kulturen“ nough 1964), dann sind wir dem Ziel her- Inseln oder Kugeln vorstellen, die voneinan- und der äußerst gefährlichen Feststellung auszufinden, was Kultur ausmacht, schon der klar getrennt sind. Dieses Konzept ist oft „Wir gegen sie“. Abschottung vor dem um einiges näher gekommen. Denn bei mit einer Hierarchisierung der Kulturen ver- Anderen, Grenzziehungen, Angst, Unsicher- genauerem Hinsehen besitzt jeder Mensch bunden. Konflikte zwischen Kulturen kön- heit, aber auch Überheblichkeit oder ganz eine eigene Kultur, die von seiner Sozialisa- nen nach dieser Anschauung lediglich ent- einfach Nicht-Wissen fördern diese Vorstel- tion und den dazugehörigen Werten schärft, aber nicht aufgehoben werden. lungen starrer Grenzen zwischen „dem abhängt, aufgrund von diesen gebildet Auch bei Interkultur-Konzepten erkennen Eigenen“ und „dem Fremden“. Kultur ist sowie verarbeitet wird und Wandlungen wir die Vorstellung der in sich geschlossenen aber nicht klar zu benennen und abzugren- unterworfen ist (Molzbichler 2004: 18). und abgegrenzten Kulturkreise, jedoch kann zen, denn es gibt (1) eine Fülle an Über- Begriffe wie Multi-, Inter- und Transkultur es zu Überschneidungen, zu Einflüssen und 08 KRANICH 01/2020 – friedensbüro salzburg
INTERKULTURELLE KONFLIKTE dadurch auch zu Veränderungen von Kultu- machen und auf die eigene Hybridität - die praxisbezogenen Umsetzung und mit Good ren kommen. Der Ethnozentrismus ist nicht individuelle transkulturellen Mischung - hin- Practice Beispielen für lösungsorientierte ganz so stark ausgeprägt wie bei Multikul- zuweisen. Herausfordernd und vor allem Wege in der Gewaltprävention im inter- und tur-Konzepten. Einer der wohl bekanntesten von einigen Kolleg*innen aufgrund einer transkulturellen Kontext beschäftigen. und heftig umstrittensten möglichen eurozentristischen Sichtweise kri- Interkulturalist*innen war Geert Hofstede, tisiert ist unter anderem der stark individuali- Literatur: der sich in seinen groß angelegten interna- stisch geprägte Kulturbegriff – und darüber Barakat, A., Brock, L. (2015): Intersektiona- tionalen Studien seit den 1960er Jahren vor hinaus die Frage, ob nicht die Zugehörigkeit lität und Transkulturalität in der Gewaltprä- allem auf unterschiedliche Kulturdimensio- zu einer Gruppe identitätsstiftend und damit vention mit Kindern, in: R. Ruschmann/A. nen fokussierte. Er beschrieb Kultur wie auch notwendig ist (Lavorano et al. 2016; Barakat (Hrsg.): Handbuch Transkulturelle folgt: Kultur ist eine mentale Programmie- Porsché 2008; Molzbichler 2004). Gewaltprävention und Gesundheitsförde- rung, die wir von klein auf lernen. Sie „[…] rung, Wien: samara - Verein zur Prävention bestimmt die verschiedenen Muster im Den- Transkulturelle Sichtweisen können jedoch (sexualisierter) Gewalt, 24-44. ken, im Fühlen und im Handeln. Sie kann dazu beitragen, das Eigene als nicht in sich Boas, F. (1940): Race, Language and Culture, Aufschluss darüber geben, welche Reaktio- geschlossen zu begreifen, das Verbindende New York: The Macmillan Company. nen angesichts der persönlichen Vergangen- stärker in den Fokus zu rücken und in der all- Domenig, D. (Hrsg.) (2007): Transkulturelle heit wahrscheinlich und verständlich sind täglichen Arbeit nicht in Kulturkreisen oder Kompetenz. Lehrbuchbuch für Pflege-, [...]“ (Hofstede 1997: 3). Unterschiede in Nationalitäten zu denken und zu urteilen. Gesundheits- und Sozialberufe, Bern: Huber. den Wertvorstellungen, beispielsweise eine Transkulturelle Kompetenz, so meint etwa Goodenough, W. H. (1964): Cultural individualistische oder kollektivistische Orien- Dagmar Domenig (2007), richtet den Fokus Anthropology and Lingusitics, in: Hymes, tierung, können laut Hofstede zu Missver- auf die Vielfalt jedes einzelnen Menschen D. H. (Hrsg.): Culture and Society. A ständnissen und Unstimmigkeiten beitragen. und dessen vielfältiger (kultureller) Verflech- Reader in Linguistics and Anthropology, Selbstverständlich unternahm Hofstede tungen. Transkulturelle Kompetenz bedeu- New York/Evanston/London: Harper & lediglich einen Versuch, kulturelle Unter- tet aber auch ein hohes Maß an Selbstrefle- Row, 36-39. schiede mithilfe seines Konstruktes und sei- xion. Gerade hier müssen wir beispielsweise Hofstede, G. (1997): Lokales Denken, globa- ner empirischen Forschungen erkennbar Kinder, Jugendliche, Eltern und les Handeln. Kulturen, Zusammenarbeit und und messbar zu machen und natürlich kann Pädagog*innen abholen, hier benötigen wir Management, München: dtv. seine Untersuchung dementsprechend kriti- Austausch und Unterstützung, um vor allem Lavorano, S. (2016): Transkultureller Ras- siert werden. Dennoch können seine Aus- Selbstreflexion und die vielfältigen Dimen- sismus : Zum Diversitätsbegriff bei Wolfgang führungen dazu beitragen, die eigenen kul- sionen jeder Person zu erkennen: Welsch und Immanuel Kant, in: Lavorano, S., turellen Wertvorstellungen, die eigene men- „Kontext- bzw. Hintergrundwissen ist für Mehnert, C., Rau, A. (Hrsg.): Grenzen der tale Programmierung, bewusst zu machen den Schulalltag und die Elternarbeit von Überschreitung. Kontroversen um Transkul- und somit sich selbst zu reflektieren. enormer Bedeutung. Die Lösungen, die bei tur, Transgender und Transspecies, Bielefeld: Problemen gefunden werden, sind oft ganz Transcript, 148-161. Eine völlig andere Perspektive nimmt Wol- andere als bisher. PädagogInnen haben eine Molzbichler, D. (2004): Kulturen in Konflikt? fang Welsch mit seiner Vorstellung über differenziertere Haltung und können Eltern Anleitungen für einen konstruktiven Umgang Kultur ein: wertschätzender und klarer gegenübertre- mit interkulturellen Konflikten und transkultu- „Das Konzept der Transkulturalität entwirft ten. Oft geht es ja gar nicht darum, die relle Lösungsstrategien, Salzburg: Alois Mock. ein anderes Bild vom Verhältnis der Kultu- Erziehungskompetenz von Eltern in Frage zu Porsché, Y. (2008): Kulturelle Identitäten in ren. Nicht eines der Isolierung und des Kon- stellen, sondern eine bestmögliche Lösung Zwischenräumen: Migration als Chance für flikts, sondern eines der Verflechtung, für die Umsetzung schulischer Regeln und Fremdverstehen und kritische Identitätsaus- Durchmischung und Gemeinsamkeit. Es Pflichten zu finden.“ handlung? COMCAD Arbeitspapiere, Nr. 52. befördert nicht Separierung, sondern Verste- (Barakat/Brock 2015: 36) Welsch, W. (1995): Transkulturalität. Zur ver- hen und Interaktion. Gewiss enthält dieses änderten Verfasstheit heutiger Kulturen, in: Konzept Zumutungen gegenüber liebge- Es kommt darauf an, Migration und kultureller Wandel. Zeitschrift wonnenen Gewohnheiten - wie die heutige - ob wir in der Lage sind, uns selbst und für Kulturaustausch, 45/3, 39-44. Wirklichkeit überhaupt. Im Vergleich zu unsere Wertvorstellungen zu reflektieren, Welsch, W. (2017): Transkulturalität: Realität anderen Konzepten skizziert es aber den am die eigene Kulturbrille erkennen und auch – Geschichte – Aufgabe, Wien: NAP. ehesten gangbaren Weg.“ absetzen zu können. Welsch, W. (2018): Wer sind wir? (Welsch 1995: 44; vgl. auch Welsch 2017; - unsere Mitmenschen nicht in einer Dimen- Wien/Hamburg: NAP. Welsch 2018) sion oder einer Kategorie zu denken, sondern das Mehrdimensionale wahrzunehmen. Mag.a Dr.in Daniela Molzbichler, Kulturen sind demnach nicht klar zu tren- - gemeinsam kulturelle Netze zu weben und Politikwissenschafterin, ist seit über 20 nen, sie sind charakterisiert durch Vernet- ein Regelwerk zu finden, dass die bestmögli- Jahren in der entwicklungspolitischen zungen, vielfältige Verbindungen und Ver- che gewaltfreie Lösung für alle beinhaltet. Zusammenarbeit tätig, Hochschuldozen- mischungen - ethnozentristische Denkwei- tin. Sie beschäftigt sich vor allem mit sen sind somit obsolet. Im Rahmen des Lehrgangs „Bevor`s kracht“, den Themen Transkulturalität, Konflikt- Positiv hervorzuheben ist der Versuch, auf dessen Module auch einzeln buchbar sind, transformation, Diversität, Intersektiona- kulturelle Gemeinsamkeiten aufmerksam zu werden wir uns heuer intensiver mit der lität, Nachhaltigkeit. KRANICH 01/2020 – friedensbüro salzburg 09
MEDIENGEWALT Julia Sophie Fraunberger, zertifizierte FOTO: privat | Julia Fraunberger Saferinternet.at-Trainerin Gewalt in Medien Herausforderungen im Alltag von Kindern und Jugendlichen Von Julia Sophie Fraunberger. FOTO: Gerd Altmann auf pixabay.com | freie kommerzielle Nutzung Medien sind Teil unseres Alltags, bergen aber neben reichlich Potential auch einige Gefahren in sich. Die zertifizierte Saferin- ternet.at-Trainierin Julia Fraunberger umreißt Problemfelder und Handlungsstrategien gegen Mediengewalt. Im Internet surfen, Musik hören, Videos Unterhaltung, zum Zeitvertreib und zum orientieren kann, z.B. durch die Recherche ansehen, digitale Spiele spielen und sich mit Austausch mit anderen. Die Mediennutzung zu Informationen über Stars, Filme oder anderen austauschen - die Onlinewelt ist dient aber nicht nur als Freizeitvertreib, son- Referatsthemen. vielfältig und ein fixer Bestandteil des alltäg- dern nimmt im Rahmen des Aufwachsens lichen Lebens von Kindern, Jugendlichen und von Kindern und Jugendlichen einen wichti- Trotz Regeln und technischer Einschrän- Erwachsenen. Laut der aktuellen Studie von gen Stellenwert ein (vgl. Fraunberger 2015). kungen, die in vielen Fällen mit dem Saferinternet.at (2020) gibt es in Haushalten ersten Gerätebesitz einhergehen, erwei- mit Kindern unter sechs Jahren durchschnitt- Die Motive der Mediennutzung zeigen sich tern sich die Möglichkeiten der Nut- lich vier bis fünf internetfähige Geräte. Die generationsübergreifend und unabhängig zung. Je neugieriger und ausdifferen- ersten Medienerfahrungen finden in der von aktuell beliebten Plattformen in der zierter die Jugendlichen die Angebote Regel gemeinsam mit den Eltern statt und Auseinandersetzung mit nutzen, desto mehr kommen sie auch umfassen das Ansehen von Videos (73%) • sich selbst als Person, z.B. durch das Einrich- mit problematischen Inhalten und unan- und Fotos (61%), Musik hören (61%) oder ten eines Accounts auf Instagram mit Profil- genehmen Situationen in Kontakt. Die später Spiele spielen (51%). Ab einem Alter bild und passender Personenbeschreibung; Faszination spiegelt sich im Umgang mit von zwölf Jahren gehört dann das Smart- • dem Status innerhalb der Peergruppe, diesen potentiell gefährlichen Aspekten phone zur Standardausrüstung von Jugend- z.B. durch das Verwalten von Kontaktli- wieder. Zentral ist die Neugierde: Was lichen. Im Durchschnitt sind 9- bis 17-Jährige sten oder durch Streaks in Snapchat als steckt hinter dem Link? Wie sieht an einem Werktag 2,4 Stunden aktiv auf eine Art Freundschaftsbeweis; Momo aus? Was passiert, wenn ich um ihrem Smartphone und nutzen dieses zur • der Frage, wie man sich in der Welt 3 Uhr früh mit Forky telefoniere? 10 KRANICH 01/2020 – friedensbüro salzburg
MEDIENGEWALT Die Angstlust – also das lustvolle Erleben Cybermobbing und Hass- rung und Expertise als Ansprechpersonen einer bedrohlichen Situation in sicherer postings zur Verfügung stehen, wenn sie Probleme Umgebung – spielt für den Genuss dieser haben (vgl. Saferinternet.at 2015). Medieninhalte eine große Rolle. Oftmals • Cybermobbing – also das absichtliche ist es den Kindern und Jugendlichen nicht und über einen längeren Zeitraum anhal- Tipps, um Kinder und Jugendliche dabei zu bewusst, dass es sich bei den konsumier- tende Beleidigen, Bloßstellen, Belästigen unterstützen, sicher und verantwortungsvoll ten Inhalten um Mediengewalt handelt, da und Ausgrenzen anderer über digitale mit problematischen Inhalten umzugehen: es so alltäglich für sie geworden ist. Eine Medien – ist nach § 107c StGB strafbar. • Vertrauen fördern: Interessieren Sie differenzierte Betrachtung der unter- • Hass & Hetze: Menschenverachtende sich für die Lebenswelt der Kinder und schiedlichen Formen von Mediengewalt, Äußerungen können rassistisch, sexistisch, Jugendlichen, fragen Sie nach, lassen Sie denen Kinder und Jugendliche begegnen antisemitisch, homophob oder gewaltver- sich etwas erklären oder probieren Sie es können, ist daher nötig: herrlichend sein und unterschiedliche gemeinsam aus! Strafbestände wie z.B. Verhetzung, üble • Problembewusstsein schaffen: Spre- „Witzige“ Gewalt Nachrede oder Beleidigung erfüllen. chen Sie über Chancen und mögliche Gefahren des Internets und wie man diese • Challenges – Mutproben zwischen Sexualität und sexuelle erkennen kann. Spaß und Lebensgefahr wie die „Ice Buk- Belästigung • Aufklären statt Angst machen: Gut ket Challenge“, in der sich Menschen mit informierte Kinder lassen sich nicht so Eiswasser übergossen oder aktuell die • Cybergrooming: Dabei erschleichen sich leicht verwirren, daher sollten Sie auch „Skullbreaker-Challenge“, in denen sich (v.a. männliche) Erwachsene durch Kompli- Themen ansprechen, die Angst machen bereits viele ernsthaft verletzt haben. mente und falsches Verständnis das Vertrau- können oder unangenehm sind (z.B. Sexu- • Kettenbriefe verursachen vor allem bei en der Nutzer*innen, indem sie sich als alität oder Pornos). jüngeren Kindern Angst, da sie befürch- Gleichaltrige ausgeben und sie anschließend • Wahr von Falsch unterscheiden: Im ten, dass die Drohungen wahr werden. sexuell belästigen und erpressen. Oft geben Internet ist vieles erfunden oder wird zur Um Kinder vorzeitig zu entlasten, wurde sie sich als Modelagent*innen oder Talentsu- Manipulation von Meinungen oder Kauf- der Safer Internet-Bot entwickelt, der Ket- cher*innen aus und versprechen Belohnun- entscheidungen eingesetzt. tenbriefe erkennt und Entwarnung gibt gen in Form von Geld, Gutscheinen oder • Das Internet ist kein rechtsfreier (abrufbar unter www.saferinternet.at/pro- Fotos für Modelverträge. Raum – auch hier gibt es Regeln, an die jekte/kettenbrief-handy/). • Sexting: Das Verschicken und Tauschen man sich halten muss, weil man sich sonst • Videos, die lustige sowie „grausige“ von Nacktaufnahmen über das Internet unter Umständen strafbar macht. Elemente beinhalten, wie z.B. South Park. und Handy kann sehr unangenehme Fol- • Digitale Spiele: Spiele wie Fortnite gen haben, wenn die Aufnahmen in fal- Und bedenken Sie: Die Chancen digi- bestehen aus animierter Gewalt und ver- sche Hände geraten oder öffentlich im taler Medien übertreffen die Risiken! folgen das Ziel, andere Spieler*innen Internet landen. Das Verbreiten und Ver- umzubringen. Wichtig ist es hier auf öffentlichen erotischer Fotos Minder- Literatur: altersgerechte Angebote zu achten (laut jähriger gilt als Kinderpornographie und Fraunberger, J. (2015): Jugendliche und ihr Jugendschutzgesetz mit PEGI-, FSK- oder ist somit illegal. Das einvernehmliche Umgang mit Konflikten in WhatsApp. Unver- USK-Symbolen gekennzeichnet). Tauschen von eigenen pornografischen öffentlichte Masterarbeit, Universität Salz- Fotos und Videos zwischen zwei Jugend- burg. Verfügbar unter Gewalt- und Pornokonsum lichen ab 14 Jahren ist unter bestimmten www.saferinternet.at/fileadmin/redakteure/Fo Umständen nach § 207a StGB straffrei. oter/Studien/Fraunberger_Jugendliche_und_ih • Gewaltvideos: Videos, in denen sich • Sextortion: Bei dieser Betrugsmasche wer- r_Umgang_mit_Konflikten_in_WhatsApp.pdf Jugendliche dabei filmen, wie sie andere den Personen von Unbekannten aufgefor- (23.02.2020). schlagen. Dabei geht es darum, möglichst dert, in Videochats nackt zu posieren oder Saferinternet.at (2015): Medien und viel Anerkennung zu bekommen. Was sexuelle Handlungen durchzuführen, wäh- Gewalt. Unterrichtsmaterialien (4. Auflage). beim Versenden der Inhalte oft vergessen rend sie die Handlungen heimlich aufzeich- Verfügbar unter www.saferinternet.at/filead- wird ist, dass es sich dabei um Beweise für nen und die Betroffenen anschließend mit min/categorized/Materialien/Medien_und_Ge schwerwiegende Straftaten handelt. der Veröffentlichung erpressen. walt.pdf (23.02.2020). • Illegale Inhalte mit kinderpornografi- Saferinternet.at (2020): Die Allerjüngsten schen oder nationalsozialistischen sowie Wenn Kinder und Jugendliche im Internet (0-6 Jahre) & digitale Medien. Verfügbar rechtsextremen Inhalten werden oftmals und in Sozialen Netzwerken aktiv sind, kom- unter www.saferinternet.at/news-detail/stu- von Jugendlichen unterschätzt und zur men sie früher oder später auch mit Inhalten die-72-prozent-der-0-bis-6-jaehrigen-im-inter- Provokation eingesetzt. in Berührung, die für sie ungeeignet net/ (23.02.2020). • Pornovideos: Sie stellen oftmals die und/oder potenziell problematisch sind. erste Informationsquelle von Jugendlichen Umso wichtiger ist es, junge Nutzer*innen Julia Fraunberger, MA BA, Studium der dar und prägen ihre Vorstellung von „rich- schon vorab für problematische Inhalte zu Kommunikationswissenschaft (Bakk.Komm. tiger“ Sexualität. Hier ist es wichtig, Unter- sensibilisieren und sie im kompetenten MA) und Pädagogik (BA), ist zertifizierte schiede zwischen gelebter Sexualität und Umgang zu unterstützen. Dazu bedarf es Saferinternet.at-Trainerin sowie Psychothera- Pornografie klar zu machen. Erwachsene, die ihnen mit ihrer Lebenserfah- peutin i. A. unter Supervision. KRANICH 01/2020 – friedensbüro salzburg 11
ZIVILCOURAGE Reinhard Leonhardsberger, Sozialwirt, Politischer Bildner & Mediator FOTO: SOS Menschenrechte Zivilcourage: Hinsehen statt Wegsehen! Von Reinhard Leonhardsberger. Haltung zu zeigen und bei Konflikten sowie bei Angriffen auf die Menschenrechte und Demokratie einzuschreiten - kurzum: Zivil- courage zu zeigen - fällt uns nicht immer leicht. Welche Faktoren begünstigen oder verhindern zivilcouragiertes Handeln? Wie kön- nen wir unser Handlungsrepertoire stärken? Der Begriff „Zivilcourage“ wird mit takte, niedrige soziale Dominanzorientierung, bewusst zu machen. Am besten probiert „Bürger*innenmut“ übersetzt und wurde Merkmale hilfsbedürftiger Personen (z.B. und übt man folgende Verhaltensweisen von Otto von Bismarck geprägt, der bean- Gruppenzugehörigkeit, Verwandt- in Zivilcouragetrainings: standete, dass zwar viele Menschen Mut auf schaftsgrad, Attraktivität), physische • andere Menschen als Unterstützung dazu dem Schlachtfeld zeigen, nicht aber wenn es Berührungsängste, die Anzahl der anwe- holen darum geht, anderen abseits davon bei senden Personen, der Umfang der • Autoritäten informieren Unrecht beizustehen. In schwierigen Situatio- Kenntnisse über die möglichen Hand- • dazu gehen und das Gespräch suchen nen gut zu reagieren, in denen andere Men- lungsoptionen, das Selbstvertrauen in • die Aufmerksamkeit des*der Täter*in auf schen verbal oder tätlich angegriffen werden, die eigenen Kompetenzen usw. sich ziehen kann geübt werden. Der erste Schritt dabei: • dazwischen gehen Hinsehen statt Wegsehen. Hinzu kommt, dass Hinsehen und Handeln • Ablenkung erzeugen häufig dann gefordert sind, wenn wir es • das Opfer aus der Situation holen In unserer Arbeit bei SOS-Menschenrechte nicht erwarten. In einem solchen Überra- • Dokumentieren und als Zeug*in zur Verfü- sprechen wir von „Zivilcourage“, wenn für schungsmoment gut und angemessen zu gung stehen gesellschaftliche Normen und Werte wie handeln, kann schwierig sein. Genau das Wer sich darauf einlässt, findet bestimmt Demokratie, Menschenrechte und Solidarität lässt sich aber üben: In Zivilcouragetrainings Möglichkeiten, um sich für andere einzu- eingestanden und den Menschen, die von wird anhand von alltäglichen Erfahrungen ein setzen. Verletzungen ihrer Menschenwürde und ihrer nützliches Repertoire an Handlungsmöglich- 3. Leider scheitert Zivilcourage oft schon am Rechte betroffen sind, beigestanden wird – keiten und Strategien zur Deeskalation und ersten und wichtigsten Schritt, dem Hinse- auch auf die Gefahr hin, selbst dadurch Konfliktbearbeitung gezeigt, ausprobiert und hen: Es ist wichtig, Interesse an den Begeben- Nachteile zu erfahren. weitergegeben. „Zivilcourage“ bedeutet aber heiten in unserer Umwelt zu zeigen und Die Journalistin Franca Magnani meinte in auch, beim Versuch sich für Schwächere ein- Ungerechtigkeiten sehen zu wollen bzw. diesem Zusammenhang einmal: „Je mehr zusetzen mögliche nachteilige Folgen in Kauf unseren Mitmenschen und ihrem Leid nicht Bürger mit Zivilcourage ein Land hat, desto zu nehmen. Das kann abschrecken. Die For- gleichgültig gegenüber zu stehen. weniger Helden wird es einmal brauchen“ schung zu „Zivilcourage“ zeigt, dass neben 4. Häufig erfinden wir auch Entschuldigun- (zit. n. Ostermann 2004, S. 52). Ganz in die- der Hemmung aufgrund erwarteter negati- gen, um nicht eingreifen zu müssen. Eine der sem Sinne profitieren von einer zivilcouragier- ver, persönlicher Folgen die Ursachen fehlen- perfidesten: Er*Sie ist selbst schuld, in dieser ten Gesellschaft alle, weshalb es ganz wichtig der Zivilcourage vielfältiger sind: Situation zu sein und deshalb dürfe Hilfe ist, sich für eine offene, tolerante und gleich- auch verweigert werden. Dies ist aus unserer berechtigte Gesellschaft einzusetzen, in der 1. Das Gefühl von verbaler wie physi- Sicht nicht nur gefährlich für den sozialen die Rechte und Chancen aller geachtet und scher Unterlegenheit dem*der Täter*in Zusammenhalt einer Gesellschaft, sondern gelebt werden und Machtungleichgewichte gegenüber. Gerade in Situationen, die auch im Hinblick auf die Akzeptanz von abgebaut werden. Zivilcourage bedürfen, manifestieren sich Selbstjustiz in einem auf Menschenrechten formelle und informelle Machtungleich- begründeten Rechtsstaat. Darüber hinaus gibt es verschiedene Aspekte, gewichte unserer Gesellschaft am stärk- 5. Zu guter Letzt ist einer der Hauptgründe die die Wahrscheinlichkeit, in einer Konfliktsi- sten. Dagegen anzukämpfen bedarf häu- für mangelndes Handeln, dass es ja auch tuation tatsächlich einzugreifen entweder fig großer Überwindung. Nichtsdesto- noch andere Menschen gibt, die eingreifen steigern oder senken, wie z.B.: Alter, trotz muss in diesem Zusammenhang könnten: „Weshalb soll also gerade ich ein- Geschlecht, Kultur, Wertehaltungen, Stim- darauf hingewiesen werden, dass Zivil- greifen?“ Wie aber u.a. die Theorie der mungslage, die zu erwartenden negativen courage nicht bedeutet, sich selbst in Schweigespirale von Elisabeth Noelle-Neu- Konsequenzen, Emotionen, soziale Normen, Gefahr bringen zu müssen. mann zeigt, führt das häufig dazu, dass noch Heroismus- und Altruismus-Tendenzen, Per- 2. Aus Ermangelung an Handlungsoptio- weniger Menschen bzw. niemand eingreift, sönlichkeitsmerkmale, der individuelle nen: Insbesondere um sich nicht selbst zu weil alle Beobachter*innen vermuten, die Gerechtigkeitssinn, das Kognitionsbedürfnis, gefährden, ist es wichtig, sich unterschied- anderen würden der Situation vielleicht neu- Qualität und Quantität interethnischer Kon- liche Möglichkeiten der Zivilcourage tral bis wohlwollend gegenüberstehen. Die 12 KRANICH 01/2020 – friedensbüro salzburg
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