Grünes Fliegen - gibt es das? - Stay Grounded
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Grünes Fliegen – gibt es das? Fliegen ist der schnellste Weg, die Erde aufzuheizen. Doch der Flugverkehr wächst rasant, hunderte von Flughäfen befinden sich derzeit in Planung – trotz vielfältiger lokaler Widerstände und trotz der Notwendigkeit, eine Klimakrise zu verhindern. Die Flugindustrie kündigt an, zukünftig grüner zu werden. Halten die Strategien, was sie versprechen? Ist CO2-neutrales Wachstum realistisch? Oder muss der Luftfahrt ein Limit – eine rote Linie – gesetzt werden? 1
IMPRESSUM Herausgeber: Finance & Trade Watch, c/o GLOBAL 2000, Neustiftgasse 36, 1070 Vienna, Austria www.ftwatch.at Autorin: Magdalena Heuwieser Lektorat: Mira Kapfinger Illustration/ Layout: Sarah Heuzeroth Druck: Gugler, Vienna Erscheinung: November 2017 Download unter: www.ftwatch.at/gruenes_fliegen (deutsch) und www.ftwatch.at/flying_green (englisch) Kontakt: magdalena.heuwieser@ftwatch.at / norunway3@systemchange-not-climatechange.at Ein großes Dankeschön an Jutta Kill für die inhaltliche Unterstützung. Danke an Paco Yoncaova für die Grafikrecherche, und an alle anderen für ihr hilfreiches Feedback. Danke für die finanzielle Unterstützung der Heinrich-Böll-Stiftung, Lush und der Dreikönigsaktion (Hilfswerk der katholischen Jungschar).
Grafik 1: Neue Flughäfen und Landebahnen im Anflug Derzeit sind 423 neue Flughäfen in Planung oder im Bau, davon 223 im asiatisch-pazifi- schen Raum und 58 in Europa. Hinzu kommen weltweit 121 zusätzliche Start- und Landebah- nen (28 in Europa). Vielen Projekten begegnen Anwohner*innen aus verschiedensten Gründen mit Protesten – die Umsetzung der Pläne ist somit noch umkämpft. Nicht abgebildet sind hier weitere 205 geplante Erweiterungen bestehender Pisten sowie 262 neue Terminals und 175 Terminalerweiterungen. Quelle: CAPA 2017 Bauprojekte neue Flughäfen: 423 neue Pisten: 121
Ungebremstes Wachstum mit grünem Deckmantel Genau jetzt, in diesem Moment, befinden sich mindestens Denn dies bliebe nicht ohne Auswirkungen auf die Profi- eine halbe Million Menschen in der Luft.1 In den letzten te der Flugindustrie. Fluggesellschaften, Flughäfen, Trans- drei Jahrzehnten entwickelte sich das Flugzeug vom Lu- portministerien und ein ganzer Tross von Lobbyisten xus- zum gängigen Transportmittel. Billigflieger ermög- geben deshalb vor, den perfekten Ausweg gefunden zu ha- lichen eine erschwingliche, schnelle Entdeckung der Welt ben: Grünes Wachstum. und verhelfen Wochenend-„Ausflügen“ zu einem anhal- tenden Boom. Die Errungenschaft ist kaum wegzudenken Über den Wolken: Die Branche steigt auf aus Urlaubsplänen, der Wahl des Wohn- und Arbeitsorts Von 1990 bis 2010 stieg der Ausstoß von CO2 weltweit oder der (Fern-)Beziehung. Für Viele gehört Fliegen in- um etwa 25 % an. Währenddessen wuchsen die CO2-Emis- zwischen zum Berufsleben.Doch wie normal ist Fliegen sionen aus dem internationalen Flugverkehr um 70 %.2 wirklich und für wen? Wer spürt die Konsequenzen? Auch innerhalb der EU nahmen Emissionen aus dem Flugverkehr stärker zu als in anderen Wirtschaftszweigen.3 In den nächsten 20 Jahren soll sich Fliegen ist die klima- In den nächsten 20 Jahren soll sich die Zahl an Flugzeu- die Zahl an Flugzeugen und geflogenen schädlichste Transport- gen und geflogenen Passagierkilometern verdoppeln – wo- Passagierkilometern verdoppeln [...]« form: Pro 1 000 Perso- für es auch weltweit hunderte neuer Infrastrukturprojek- nenkilometer verursacht te braucht (siehe Grafik 1). Die internationale Luftfahrt ein Flug im Schnitt 18 erwartet für die nächsten Jahrzehnte ein Wachstum von Mal so viel Kohlendioxid (CO2) wie die Bahn (siehe Gra- 4,3 % jährlich.4 Bis 2050 könnten sich dadurch die Treib- fik 5). Dennoch wächst der Luftverkehr schneller als jeder hausgasemissionen der Luftfahrt vervier- bis achtfachen.5 andere Sektor. Die Industrie sträubt sich bisher erfolgreich gegen eine absolute Begrenzung des Flugaufkommens. Sulfatpartikel Methanreduktion Wasserdampf Rußpartikel Lineare Kondensstreifen wird von CORSIA nicht beachtet Abkühlungseffekte Ozon Produktion (26,3 mW/m2) Induzierte Zirrusbewölkung (Schätzun g) wird von CORSIA beachtet CO2 (28 mW/m2) Erwärmungseffekte Grafik 2: Klimawirkung der Luftfahrt Beim Fliegen werden neben CO2 weitere Substanzen freigesetzt, die eine unterschiedlich hohe erwärmende oder kühlende Wirkung haben. In der Summe erhöhen sie jedoch die Klimawirkung des Fliegens. Wie hoch ihr Anteil ausfällt, hängt von Annahmen ab, die bei der Berechnung zugrunde gelegt werden. Eine wichtige Variable ist der Zeithorizont, der berücksichtigt wird, denn die meisten Substanzen haben eine kürzere Verweildauer in der Atmosphäre als CO2, doch während dieser Zeit beeinflussen sie das Klima besonders stark. Das österreichische Umweltbundesamt empfiehlt, diese anderen Effekte mit einem RFI (Radiative Forcing Index) Faktor von 2,7 zu berechnen, also 2,7 mal die Wirkung von CO2. Das deutsche Umweltbundesamt verwendet inzwischen den EWF (Emission Weighting Factor) mit dem Faktor 2. Quellen: Lee/ Fahey et al. 2009, UBA Deutschland 2012, UBA Deutschland 2016, UBA Österreich 2016 4
Flugverkehr: Der schnellste Weg, Flughäfen und Pisten belasten immer mehr Lebensraum die Erde aufzuheizen von Menschen, Tieren und Pflanzen (siehe dazu S. 21-22). Das Problem ist, dass für jede weitere Tonne CO2 rund Die wirtschaftlichen Folgen für eine Region sind dabei drei Quadratmeter arktisches Sommereis verschwinden, nicht nur positiv – Verkehr und Hotelketten verdrängen so eine neue Studie.6 Fliegt eine Person zum Beispiel von kleine Läden und Landwirtschaft, Landpreise steigen.14 Wien auf die Kanarischen Inseln und zurück, folgt da- Gleichzeitig häufen sich Proteste in vom Massentouris- raus, dass rund viereinhalb Quadratmeter Arktiseis ab- mus überrollten Regionen, der von Billigfliegern und schmelzen.7 Doch beim Klimawandel geht es nicht nur Luxus-Kreuzschiffen angetrieben wird. Wasserreserven um Gletscher und Eisbären. Es handelt sich um kein ne- schrumpfen dort durch die doppelte Belastung von Kli- bensächliches Umweltproblem, um kein lästiges Ärgernis. makrise und Tourismus, Müllberge wachsen, Mieten stei- Klimawandel bedeutet steigende Meeresspiegel und bald gen, kulturelle Besonderheiten werden zur Attraktion und unbewohnbare Regionen, erzwungene Migrationsbewe- Ware.15 Auf 3,6 Milliarden summiert sich inzwischen die gungen, extreme Wetterereignisse, eine Gefährdung der Zahl der Flugreisen pro Jahr16 – doch das bedeutet nicht, Landwirtschaft und Ernährung, Konflikte um Zugang zu dass die Hälfte der Weltbevölkerung fliegt. Wasser und fruchtbarem Land und eine drohende Ge- sundheitskrise.8 Klimawandel entwickelt sich zunehmend Wer fliegt, wer nicht? zur Klimakrise, und damit zur Krise für unsere Wirtschaft Ungerechtigkeit im Luftraum und unser Leben. Schätzungen vom Beginn des 21. Jahrhunderts gehen von einem Anteil von weniger als 5 % der Weltbevölke- Die Industrie verweist gerne darauf, dass Emissionen aus rung aus, der überhaupt je in einem Flugzeug saß.17 Auf dem Luftverkehr nur 2 % des weltweit freigesetzten CO2 Lateinamerika und Afrika entfallen nur 11 % des Flugver- ausmachen, und dass nur 1,3 % auf den internationalen kehrs, während Nordamerika und Europa bei niedrigerer Flugverkehr entfallen. Unerwähnt bleibt dabei, dass der Gesamtbevölkerung über die Hälfte für sich verbuchen.18 Anteil der Flugemissionen rasant wächst: Das Öko-Insti- Auch Produkte wie Elektroartikel, verderbliche Lebens- tut warnt 2015 in einem Bericht für das Europäische Par- oder Genussmittel, Schnittblumen oder „Fast Fashion“ lament, dass die CO2-Emissionen aus dem internationalen werden vermehrt per Flieger transportiert und vielfach im Flugverkehr im Jahr 2050 einen Anteil von bis zu 22 % der Globalen Norden konsumiert.19 weltweiten Emissionen ausmachen könnten.9 Für einige Länder ist sogar ein deutlich höherer Anteil wahrschein- Wer den Flugverkehr nutzt oder nicht ist auch innerhalb lich: Berechnungen für Großbritannien gehen davon aus, von Ländern sehr unterschiedlich und steht in direktem dass, wenn das 1,5-Grad-Ziel der maximalen Erderwär- Zusammenhang zum Einkommensgefälle in der Gesell- mung ernst genommen wird, im Fall der umstrittenen Er- schaft. Darum ist es weniger paradox als es scheint, dass weiterung des Londoner Flughafens Heathrow allein der Wähler*innen der Grünen im deutschen Parteienvergleich Luftverkehr im Jahr 2050 bis zu 71 % des nationalen Emis- am häufigsten Flugreisen machen.20 Sie gehören oft zu den sions-Budgets verbrauchen könnte.10 Besserverdienenden. Menschen in der höchsten Einkom- mensgruppe in Deutschland fliegen im Schnitt 6,6 Mal pro Es geht nicht nur um CO2 Die Flugindustrie ignoriert nicht nur den wachsenden Anteil der Emissionen im Vergleich zu anderen Sekto- ren. Unerwähnt bleibt in ihren Beispielbox 1: Statistiken und Klimastrategien Flughafen London City: Wer spürt die Konsequenzen? ebenso, dass CO2 nur einen Teil der Klimawirkung des Fliegens ausmacht Am 6. September 2016 blockierte ein Dutzend (siehe Grafik 2). Die aktuellen wissen- Aktivist*innen der Gruppe „Black Lives Matter“ eine schaftlichen Schätzungen gehen davon aus, Landebahn am London City Airport. „Climate Crisis is dass die Luftfahrt im Jahr 2005 mit 5 % zur a Racist Crisis“ lautete ihre Botschaft. Die Aktion des vom Menschen verursachten Klimaverände- zivilen Ungehorsams richtete sich gegen den Aus- rung beitrug.11 bau des Business-Flughafens, der in einem Londoner Arbeiter*innenviertel liegt. In den Einflugschneisen der Auch weitere Auswirkungen des Flugverkehrs Flugzeuge wohnen Menschen – ein großer Anteil von werden oft totgeschwiegen: Die Verbrennung von ihnen Black British Africans – deren Einkommen um ein Erdöl ist nicht nur eine der Hauptursachen der Klimakrise, Vielfaches niedriger ist als das der Flugpassagiere.1 In ihre Gewinnung trägt auch zu Umweltschäden, geopoliti- Großbritannien sind Black British einer um 27 % höhe- schen Konflikten und Kriegen bei. Unmengen von Mate- ren Feinstaubbelastung ausgesetzt als Weiße, die sich rialien wie Metalle und Zement werden zudem benötigt, eher Wohnungen in weniger belasteten Vierteln leisten wenn die Hunderten von Flughäfen gebaut und die beste- können.2 „Black Lives Matter“ zeigten in ihrer Aktion hende Flugzeugflotte sich wie geplant in den nächsten 20 zudem auf: Großbritannien trägt in erheblichem Maß Jahren verdoppeln soll: von 21 633 auf 43 560 Flugzeuge.12 zur Verschärfung der Klimakrise bei und ist kaum von deren Auswirkungen betroffen. Afrika hingegen ist der Menschen, die in der Umgebung von Flughäfen wohnen, von der Klimakrise am stärksten gefährdete Kontinent.3 sind zudem einem erhöhten Risiko für Gesundheitsschä- den, insbesondere Bluthochdruck oder Herzerkrankun- 1 The Guardian 2016 2 The Endsreport 2011 3 UN 2006 gen, ausgesetzt – Auswirkungen des Fluglärms sowie der hohen Feinstaubbelastung.13 Die geplanten zusätzlichen 5
Jahr, die der niedrigsten hingegen 0,6 Mal – was im Welt- Den grünen Deckmantel lüften: maßstab immer noch enorm viel ist.21 Ausblick auf die Broschüre Normal ist das Fliegen also bei Weitem nicht. Das vorherr- Auf den folgenden Seiten werden die verschiedenen Stra- schende Mobilitätssystem ist höchst exklusiv und imperi- tegien, die die UN-Sonderorganisation für zivile Luftfahrt al: Es beruht darauf, dass diejenigen, die sich schnell fort- ICAO (siehe Infobox 1) sowie Fluggesellschaften und bewegen oder stets auf Überseeprodukte zugreifen, dies Flughäfen derzeit als ihren Beitrag zum Klimaschutz pro- auf Kosten anderer tun. Auf Kosten der von Lärm, Ver- pagieren, untersucht. Setzen sie an den Problemen an, die schmutzung oder Umsiedelung betroffenen Anrainer*in- das Massentransportmittel Flugzeug verursacht? Weisen nen, auf Kosten der Umwelt, zukünftiger Generationen sie den Weg in eine Zukunft, die wir wollen? Die Broschü- und derjenigen im Globalen Süden, die von den Klimafol- re zeigt, dass die Flugindustrie vor allem auf technologi- gen schon jetzt besonders stark betroffen sind.22 sche Innovationen und grünen Flugtreibstoff setzt – Er- wartungen, die sich als höchst unrealistisch erweisen (S. Wie Fliegen billig gemacht wird 7). Aus diesem Grund wird die Kompensation von Emis- Durch niedrigere Preise wird der Flugverkehr demo- sionen, das sogenannte Offsetting, eine immer größere kratischer, so die Lobby der Flugindustrie. Die Flugver- Rolle in den Klimamaßnahmen der Flugindustrie spielen kehrs-Kosten sind heute um 60 % niedriger als 1970 – (S. 9). Und zwar auf verschiedenen Ebenen: UN-Gremi- durch Effizienzgewinne, Billigflug-Airlines, Lohndumping en propagieren ein „CO2-neutrales Wachstum” der inter- und vor allem durch die Deregulierung des Sektors ab den nationalen Luftfahrt (S. 11), Flughäfen präsentieren sich 1980ern.23 Während die Flugindustrie immer höhere Ge- zunehmend als grün und nachhaltig (S. 14) und Flugpas- winne einstreicht, steigt der Druck auf Arbeitnehmer*in- sagieren werden gegen einen kleinen Aufpreis angeblich nen. Am 1. Juni 2016 protestierten dagegen Beschäftigte klima-neutrale Flüge angeboten (S. 17). an über 30 Flughäfen weltweit. In den USA fielen bei- spielsweise die Löhne von Flughafen-Angestellten zwi- Die Broschüre zeigt: Die kleinen, durch diese Maßnah- schen 1991 und 2001 um 19 %. Ausgebildete Arbeitskräfte men erzielten Effizienzgewinne und Emissionseinsparun- werden zunehmend durch unerfahrene, billigere Teilzeit- gen werden angesichts der geplanten Wachstumsraten den kräfte ersetzt. Während Qualität und Sicherheit sinken, massiven Anstieg von Emissionen nicht verhindern kön- steigen Stress und Burnout.24 nen. Die steigende Nachfrage nach Agrartreibstoffen und Kompensationsgutschriften läuft Gefahr, Ungerechtigkeit Niedrigere Flugpreise hängen auch damit zusammen, dass zu vergrößern und neue ökologische Probleme und Kon- Staaten Flugverkehr massiv subventionieren: Kerosin ist flikte zu verursachen. Dass es auch anders geht – und ge- neben dem im Schiffsverkehr verwendeten Schweröl der hen muss –, zeigen Initiativen, die an den Ursachen der einzige fossile Treibstoff, der nicht besteuert wird. Viele Klimakrise ansetzen und auf wirksamen Klimaschutz im Regierungen erheben keine Mehrwertsteuer auf Flugti- Flugverkehr, also einer Reduzierung des Flugaufkom- ckets und keine Grundsteuer für Flughäfen. mens, drängen (S. 21). Allein in der EU belaufen sich die Endnoten staatlichen Einnahmeverluste durch solche Subventionen auf 30 bis 1 The Guardian 2014 – Zahl von 2014, aufgrund des Wachstums im Flugverkehr 40 Milliarden Euro jährlich.25« gehen wir davon aus, dass die Zahl 2017 genauso hoch, wenn nicht höher ist. 2 Öko-Institut 2015 a: 12 3 EEA [o. A.] Auch Flugzeugbauer und Fluggesellschaften erhalten hohe 4 ATAG 2016: 18; ICCT 2017: 1 Subventionen.26 Subventionen, die alle – auch diejenigen, 5 European Commission 2017 6 Notz/ Stroeve 2016 die nie oder selten fliegen – zahlen, damit das Transport- 7 Atmosfair [o. A.] mittel von Besserverdienenden billig bleibt. Die genann- 8 Watts et al. 2017 ten Schattenseiten – von Klimawandel bis zur Verdrän- 9 Öko-Institut 2015 a: 28 gung durch Flughafenausbau – werfen die Frage auf, ob 10 Carbon Brief 2016 es wirklich das Ziel sein kann, alle zu Vielflieger*innen zu 11 Fahey/ Lee 2009 12 ATAG 2016: 66 machen, oder Flugverkehr nicht generell begrenzt werden 13 Schlenker/ Walder 2016; Göschke 2015 muss. 14 Bridger 2015; Gössling/ Peeters 2009 15 The Guardian 2017; TWN 2017 16 ATAG 2016: 5 17 Wuppertal Institut 2005: 81; Gössling/ Peeters 2007: 408 18 ATAG 2016: 5 19 ATAG 2016: 21 20 Heinrich-Böll-Stiftung / Airbus 2016: 14 f 21 Aamaas/ Borken-Kleefeld 2013 22 ILA-Kollektiv 2017 23 ATAG 2016: 22 24 ITF 2009; ITF 2016; Airports United 2016 25 Korteland/ Faber 2013 26 Gössling/ Fichert 2017 6
Von fantastischen Technologien und grünem Kerosin Ende Juli 2016 knallten die Sektkorken, als die letzte Etap- pe der Weltumrundung des Solarflugzeugs SI2 geschafft war. Die Botschaft der Initiative: Fliegen kann sauber und geräuschlos sein. Doch die leichte Maschine hatte gerade mal Platz für die beiden Piloten. Die geglückte Weltum- rundung als Vorzeichen für Solarflugzeuge im Personen- und Frachtverkehr zu interpretieren, wäre deshalb verwe- gen. Dennoch nutzten Flugindustrie und Medien in den letzten Jahrzehnten immer wieder solche spektakulären Ereignisse, um die Hoffnung auf große grüne Fluginno- Infobox 1: vationen zu nähren. Was ist also dran an super-effizienten Flugzeugen oder dem geplanten Ersatz von erdölbasier- ICAO - Die UN-Sonderorganisation tem Kerosin durch „nachhaltige alternative Kraftstoffe”? für internationale Luftfahrt Die Organisation für Internationale zivile Luftfahrt Technologischer Wunderglaube (ICAO) wurde 1944 von 52 Staaten mit dem Ziel ge- Eine Studie aus dem Jahr 2016 wertete Medienberichte gründet, weltweit einheitliche Regeln für die zivile Luft- im Hinblick auf die dominanten Diskurse über techno- fahrt zu entwickeln. Die Gründungsmitglieder verab- logische Fluginnovationen aus.1 Sie kommt zum Ergeb- schiedeten 1944 ebenfalls das Chicagoer Abkommen. nis, dass sich die Versprechungen vom grünen Fliegen als Es legt Standards und Verfahren für die zivile Luftfahrt Illusionen entpuppten und die Erwartungen stets weiter fest. Diese haben keine Gesetzeswirkung, aber Mit- in die Zukunft hinausgeschoben werden. Für grüne Flü- gliedsländer sind angehalten, diese für verbindlich zu ge wären Quantensprünge notwendig, zum Beispiel kom- erklären. Die inzwischen 191 Mitglieder zählende Or- plett neue leichte Energiespeicher für eine Elektrifizierung ganisation wurde 1947 zur Sonderorganisation der UN oder die Supraleitfähigkeit von Flugzeugen. Inzwischen ernannt und hat ihren Sitz im kanadischen Montreal. geht selbst die Industrie von wenigstens 25 Jahren bis zur technischen Reife von Neuerungen dieser Art aus. Da Nahezu alle Länder, die an den UN-Klimaverhandlun- Flugzeuge eine Lebensdauer von etwa 25 Jahren haben, gen teilnehmen, sind auch Mitglieder der ICAO und bleiben energieintensive Maschinen also mindestens bis vertreten dort häufig Positionen, die mit ihrem Be- in die 2060er Jahre im Einsatz – oder länger, falls sich die kenntnis zum 1,5- bis 2-Grad-Ziel im UN-Klimaabkom- erhofften Quantensprünge auch weiterhin nur als Utopi- men von Paris unvereinbar sind. Lobbyorganisationen en erweisen.2 Realistischer sind die geplanten Effizienzge- der Flugindustrie spielen in der ICAO eine zentrale Rol- le. Auch, wenn sie keine formale Position als ICAO-Mit- winne im Kerosinverbrauch neuer Flugzeuge von jährlich glieder inne haben, üben sie durch Entsendung von 1,5 %. Doch das ist im Vergleich zur jährlichen Wachs- Expert*innen in Arbeitsgruppen vergleichsweise große tumsrate der Luftfahrt von 4,3 % wenig.3 Zu wenig. Mitsprache in Diskussionen und Entscheidungen aus. Flugzeugbauer hatten zum Beispiel großen Einfluss Lebensmittel im Flugzeugtank? auf die Arbeitsgruppen, die 2016 unambitionierte Mit den realistischen technologischen Neuerungen sind CO2-Standards für neue Flugzeuge festlegten: Sie also nur minimale Einsparungen zu erzielen. Deshalb stellten alle Daten zur Verfügung und bestanden auf hofft die Flugindustrie auf den vermehrten Ersatz des strikter Vertraulichkeit der Debatten. klimaschädlichen erdölbasierten Kerosins durch „Bio- kerosin”, also Agrartreibstoff. Bis vor kurzem plante die Die „International Coalition for Sustainable Aviation“ ICAO (siehe INFOBOX 1) noch, dass bis 2050 die Hälf- (ICSA) ist die einzige zivilgesellschaftliche Organisation te des Kerosins aus sogenannten „nachhaltigen alternati- mit Beobachterstatus in der ICAO. ICSA ist eine Allianz ven Treibstoffen” bestehen solle.4 Allein die internationale von Umweltgruppen, darunter WWF und der „Environ- Luftfahrt würde damit jährlich dreimal so viel Agrartreib- mental Defense Fund“ aus den USA, die den Handel stoff verbrennen wie derzeit der gesamte Transportsektor.5 mit Kompensationsgutschriften propagieren, im Glau- Im Oktober 2017 unterzeichneten 97 Organisationen ei- ben, dieser sei „besser als gar nichts“. Der Beobachter- nen offenen Brief an die ICAO, um diesen Plan zu verur- status ist mit Restriktionen verbunden. Unter anderem dürfen Positionen unterschiedlicher Mitgliedsstaaten teilen und aufzuzeigen, wie unrealistisch und gefährlich oder Argumente der Industrie nicht publik gemacht dieser ist.6 Nicht zuletzt aufgrund des Widerstands aus werden. Die ICAO selbst veröffentlicht nur spärliche Zivilgesellschaft und einiger Mitgliedsstaaten nahm die Informationen über den Verlauf der Verhandlungen. ICAO inzwischen von dem Plan Abstand. Genaue Ziel- Häufig werden Informationen erst bekannt gegeben, vorgaben gibt es nun nicht mehr, dennoch soll „ein mög- wenn die Entscheidungen bereits getroffen sind. lichst hoher Anteil“ konventionellen Treibstoffs ersetzt werden.7 7
Kurz darauf entschied die ICAO, zehn von ursprünglich Weniger klimafreundlich als gedacht zwölf Nachhaltigkeitskriterien für Agrartreibstoffe zu Nicht alle alternativen Treibstoffe sind zudem klima- streichen, darunter Regeln für Landrechte, Ernährungssi- freundlicher als konventionelles Kerosin.13 Viele Agrar- cherheit, Arbeitsrechte und Biodiversitätsschutz.8 treibstoffe weisen im Vergleich nur minimale Emissions- einsparungen auf (wie bei den Zucker- und Stärkepflanzen Mais und Zuckerrohr). Ölpflanzen wie Ölpalme, Raps, Ja- Schon bei der bisherigen Nutzung tropha oder Soja führen gar zu höheren Emissionen, wenn von Agrartreibstoffen waren die die veränderte Landnutzung und die damit verbundenen negativen Folgen nicht zu übersehen: Emissionen sowie der Einsatz von Düngemitteln und Pes- schädliche industrielle Monokulturen, tiziden beim Anbau der Pflanzen, der Transport und die Landraub, Verlust von Ernährungssou- Verarbeitung eingerechnet werden. Insbesondere für Pal- veränität und Verteuerung von mölplantagen wird weiterhin oft Regenwald zerstört. Die Nahrungsmitteln.9« Folgen sind der Verlust von Biodiversität und bis zu sieben mal so viele Treibhausgasemissionen im Vergleich zur Ver- Deshalb betonen inzwischen industrielle Verbraucher, brennung von erdölbasiertem Kerosin.14 man wolle nur „nachhaltige alternative Kraftstoffe” för- dern. Doch weniger schädliche Treibstoffe aus landwirt- Eines ist klar: Ob mit oder ohne Agrartreibstoffe, die in- schaftlichen Abfallprodukten (wie Maiskolben und Getrei- ternationale Luftfahrt wird das Ziel eines CO2-neutralen destroh) stehen schon jetzt nicht in ausreichender Menge Wachstums durch tatsächliche Vermeidung und Minde- zur Verfügung, um die hohe Nachfrage aus unterschied- rung von Emissionen weit verfehlen. Die Idee der Kom- lichen Sektoren zu erfüllen.10 Auch Kraftstoffe aus Algen, pensation von Emissionen bleibt für sie daher die einzige auf die die Flugindustrie gerne als Alternative verweist, Möglichkeit, die Illusion vom grünen Fliegen aufrecht zu sind ferne Zukunftsmusik. Außerdem wären auch hierfür erhalten. große Flächen notwendig. Würde der gesamte Kerosin- bedarf in der EU aus Algen gedeckt werden, bräuchte das Endnoten etwa eine Fläche wie die von Portugal.11 Werden genmani- pulierte Algen im Meer angebaut, können sie gefährliche 1 Peeters/ Higham 2016 Folgen auf das Meeresökosystem haben.12 2 Heinrich-Böll-Stiftung/ Airbus 2016: 16 f 3 ATAG 2016: 18, 29 Eine Substitution durch wirklich nachhaltige Treibstoffe 4 ICAO 2017 5 Biofuelwatch 2017 b ist somit nicht realistisch. Es besteht damit die Gefahr, dass 6 Biofuelwatch 2017 b Kerosin-Beimischungen doch überwiegend aus besonders 7 Transport & Environment 2017 b umstrittenen Rohstoffen wie Palmöl bestehen. 8 Transport & Environment 2017 c 9 European Commission 2013; Boysen/ Lucht 2017; Malins 2017 10 Valin/ Peters et al. 2015; ICCT 2017: i, 9 f 11 Heinrich-Böll-Stiftung/ Airbus 2016: 13 12 Biofuelwatch 2017 a; Friends of the Earth 2017 13 Valin/ Peters et al. 2015; ICCT 2017 14 ICCT 2017: 9 f Grafik 3 Kompensation: Wenn Äpfel mit Birnen verglichen werden Über den Markt für Kompensationsgutschriften können Wälder und deren Kohlenstoff-Speicherfunktion mit den Emissionen von Flügen gleichgesetzt werden. Zumindest auf dem Papier. CO HC NO CO ? SO2 CH X CH O X 4 O2 = 4 HC N HC NOx CO 2 SO 2 NOX C SO 2 O CHH4 C HC C H2C CO NOX O2 CO2 NO X S HC HCCOCO CO CO2 CO O S 2 HC SO 2 CH 4 NOX C HC CO SO2 NOx NOx 2 4 SO C CH 8
Kompensation von Emissionen: Eine Lizenz zum Verschmutzen Da laut Prognosen das Wachstum des Flugaufkommens die minimalen Verbesserungen in der Treibstoffeffizienz übersteigen, können die CO2-Ziele der Industrie nur durch den Kauf von Kompensationsgutschriften erreicht werden.« Green Air Online1 Jahrelang zögerte die Flugindustrie die Vorlage konkreter Der Handel mit Kompensationsgutschriften wird oft mit Pläne zur Minderung von Treibhausgasemissionen im in- dem Ablasshandel der katholischen Kirche verglichen. ternationalen Luftverkehr hinaus. Im Oktober 2016 verab- „Der Gülden in den Beutel sprint, die Seele in den Himmel schiedete die 39. Generalversammlung der ICAO dann ein schwingt”, so die Parole des berüchtigten Ablasspredigers Maßnahmenpaket mit dem englischen Kürzel CORSIA. Tetzel Anfang des 16. Jahrhunderts.5 Gegen Geld konnte Es steht für Carbon Offsetting and Reduction Scheme man sich von Sünden freikaufen. Verhindert wurden die for International Aviation (siehe S. 11). Im Zentrum die- Sünden dadurch selbstverständlich nicht, doch konnte das ser Klimastrategie steht das Konzept der Kompensation Geld in den Bau von Kathedralen und den Unterhalt des der Emissionen durch Einsparungen Anderer anderswo. Vatikans gesteckt werden. Auch Flughäfen (siehe S. 14) und Fluggesellschaften (siehe S. 17) betreiben Kompensation und werben mit grünem, Ähnlich verhält es sich beim Flugverkehr. Letzten Endes CO2-neutralem Flugverkehr. reduziert Kompensation keine Emissionen. Die zusätzli- che Freisetzung an einer Stelle wird bestenfalls durch zu- Kompensation – was steckt dahinter? sätzliche Emissionsvermeidung anderswo ausgeglichen. Die Kompensation oder das „Offsetting“ von Emissionen Kompensation ist also im besten Fall ein Nullsummen- wird meist in Länder des Globalen Südens ausgelagert. Bei spiel. Häufiger ist sogar ein Anstieg der Treibhausgaskon- vielen Projekten handelt es sich um Einsparungen oder zentration in der Atmosphäre die Folge. Das hängt damit Nutzung von Abwärme in Industrieanlagen, Energie- zusammen, wie die Gutschriften generiert werden. erzeugung aus Methan, das bei der industriellen Viehhal- tung in großen Mengen anfällt, oder dem Bau von Was- Versprechen aus der Kristallkugel serkraftwerken, die vorgeben, die Energieerzeugung aus Ein Kompensationsprojekt muss nachweisen, dass es fossilen Brennstoffen zu verhindern. Auch Waldschutz- zusätzlich ist und eine geplante Treibhausgasemissi- projekte oder Betreiber von Baumplantagen können on verhindert. Die Emissionsminderung wäre also ohne die angeblich vorgenommenen Emissionseinsparungen Kompensationsprojekt nicht erfolgt – so die Theorie.6 als Gutschriften an die Flugindustrie verkaufen. Beliebt Die Kompensationsgutschrift steht stellvertretend für die sind zudem Gutschriften von Organisationen, die klima- Emissionen, die durch eine angeblich unterlassene Akti- freundliche Kocher an Frauen in ländlichen Regionen im vität eingespart wurden. Kompensationsgutschriften re- Globalen Süden verteilen oder verkaufen (siehe S. 17). präsentieren also immer eine Einsparung im Vergleich zu den Emissionen in einer hypothetischen Zukunft: Tonnen In Folge wird gezeigt, wie selten Kompensations- bzw. CO2, die ohne Projekt freigesetzt worden wären; Bäume, Offset-Projekte tatsächlich zusätzliche Emissionen re- die nicht gepflanzt worden wären, hätte es das Kompen- duzieren. Zudem verursachen sie häufig lokale Konflikte sationsprojekt nicht gegeben. Das bedeutet: Die Zusätz- oder führen gar zu Landraub. Auf Englisch wird der Be- lichkeit einer Kompensation ist grundsätzlich nicht veri- griff „Green Grabbing“ dafür verwendet.2 Letzten Endes fizierbar, weil sie auf dem Vergleich mit hypothetischen ist Kompensation im Kern ungerecht. Damit ein kleiner Annahmen beruht. Teil der Weltbevölkerung weiterhin immer öfter mit gu- tem Klimagewissen fliegen kann, sollen andere die Treib- Pikant sind dabei zwei weitere Punkte: Erstens werden hausgase reduzieren: Menschen, deren Emissionen in der externe Prüfer*innen, die eben diese Zusätzlichkeit be- Regel sehr niedrig sind, deren historischer Beitrag zum stätigen sollen, in der Regel vom Projektbetreiber bezahlt. Klimawandel vernachlässigbar ist und die die Folgen der Und zweitens kann ein Projekt umso mehr Gutschriften Klimakrise bereits heute spüren.3 verkaufen, je höher die hypothetischen Emissionen ohne Kompensationsprojekt angeblich gewesen wären. Es über- Moderner Ablasshandel rascht daher nicht, dass viele Projektbetreiber eine sehr hohe Freisetzung von Treibhausgasen oder Zerstörung von Tropenwäldern für eine hypothetische Zukunft vor- Die Flugzeuge verschmutzen die hersagen. Diese Zukunft wird mit der Umsetzung des Atmosphäre, aber mit einem Bruchteil Kompensationsprojekts nicht eintreten, die Prognose ist der Summe des Ticketpreises werden dann damit nicht überprüfbar. Bäume gepflanzt, um den angerichteten Schaden zu kompensieren. [...]. Eine Studie des Öko-Instituts für die Europäische Kom- Das ist Heuchelei.« mission untersuchte bestehende Kompensationsprojek- Papst Franziskus4 te auf ihre Wirksamkeit. Sie analysierte dabei spezifisch Projekte des bekanntesten Kompensationsinstruments im 9
Kyoto Protokoll (siehe Infobox 2), dem „Clean Develop- brennung von Erdöl, Kohle oder Gas, und damit Jahrmil- ment Mechanism“ CDM. Der Kauf von CDM-Gutschrif- lionen alter Kohlenstoffdepots unter der Erde, entsteht? ten erlaubte bislang Unternehmen im Globalen Norden, Dazu müsste der Kohlenstoff im Baum mindestens solange die aus dem Kyoto Protokoll resultierenden Emissions- fixiert werden, wie der verbrannte fossile Kohlenstoff das begrenzungen legal zu überschreiten. Das Ergebnis der Klima beeinflusst – und das sind Tausende von Jahren.10 Studie: Bei mehr als 80 % der untersuchten Projekte ist es Wird er früher freigesetzt, ist die Kompensation aufgeho- höchst unwahrscheinlich, dass sie zusätzliche Emissionen ben. Doch was, wenn nach ein paar Jahren des Gutschrif- reduzieren. Nur bei 2 % der Kompensationsprojekte ist die tenverkaufs der Wald plötzlich abbrennt? Oder die nächste Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie zu zusätzlicher Emissi- Generation andere Pläne für den Wald hat? Auch, wenn onsminderung geführt haben.7 der Baum auf natürliche Weise abstirbt, wird der Kohlen- stoff freigesetzt. Besonders problematisch: Kompensation durch Wälder und Plantagen Studien belegen daher, dass Kohlenstoff in Bäumen und Bei Kompensationsgutschriften aus land-basierten Pro- in fossilen Brennstoffen hinsichtlich ihrer Klimawirkung jekten kommen weitere Gefahren für das Klima und für nicht gleichzusetzen sind.11 Eine Garantie für die Kohlen- die Bevölkerung im Projektgebiet hinzu. Es geht dabei stoffspeicherung über solch lange Zeiträume ist weder rea- meist um die Vermeidung von Entwaldung, das Pflanzen listisch noch unter dem Aspekt der Verantwortung gegen- neuer Bäume oder um sogenannte klimasmarte Landwirt- über zukünftigen Generationen vertretbar. schaft.8 Die bekannteste Form solcher land-basierten Pro- jekte wird unter der Kategorie REDD+-Projekte zusam- Kleinbäuerliche Landnutzung wird eingeschränkt mengefasst. REDD+ steht für „Reducing Emissions from REDD+-Projekte führen dazu, dass die im oder vom Deforestation and Forest Degradation“9 und wird in sehr Wald lebenden Menschen diesen nicht mehr nutzen kön- vielen Ländern des Globalen Südens implementiert (siehe nen wie zuvor. Häufig wird das Sammeln von Feuerholz Beispielbox 4). zur Nahrungszubereitung, das Schlagen von Bäumen für den Bau von Kanus oder für kleinstrukturierte Landwirt- Gutschriften aus REDD+-Projekten stehen für das Verspre- schaft verboten, um die Kohlenstoffspeicherung nicht chen, durch Unterlassen von Raubbau am Wald Emissio- zu gefährden. Das kann soweit gehen, dass Drohnen die nen vermieden zu haben. Der in den Bäumen gespeicherte Landnutzung im Projektgebiet aus der Luft kontrollieren, Kohlenstoff wird also aufgrund der REDD+-Maßnahmen wie es etwa bei einem Projekt der Umweltschutzorgani- nicht freigesetzt, so die Idee. Doch wie kann dieser Koh- sation WWF und Air France der Fall ist.12 Auch haben lenstoff mit dem ausgeglichen werden, der durch die Ver- REDD+-Projekte in einigen Fällen zur Vertreibung von Familien geführt.13 Während die Schuld der Waldzerstö- rung häufig auf Gemeinden im Globalen Süden geschoben Infobox 2: wird, bleiben die Hauptverursacher der Abholzung un- Der Sonderstatus internationaler Luftfahrt angetastet. Denn kein einziges REDD+-Projekt, das Gut- schriften auf dem freiwilligen Emissionsmarkt verkauft, Emissionen aus der internationalen Luftfahrt sind aus dem Kyo- schränkt die großflächige Entwaldung durch industrielle to-Protokoll ausgenommen und werden im UN-Klimaabkommen Landwirtschaft, illegalen Holzeinschlag, Bergbau, Palmöl- von Paris nicht explizit erwähnt. Stattdessen beauftragten Re- plantagen oder Infrastruktur ein. Ähnliches gilt für viele gierungen 1998 die UN-Behörde ICAO (siehe INFOBOX 1) damit, Maßnahmen zur Minderung der Emissionen aus der internatio- Projekte, die Kompensationsgutschriften durch das Pflan- nalen Luftfahrt zu erarbeiten. Die Sonderstellung wird oft mit der zen von Bäumen – oft in industriellen Monokulturplanta- historischen Rolle der Luftfahrtindustrie für nationale Sicherheit- gen – generieren.14 sinteressen begründet. Tatsächlich sind diese eng miteinander verknüpft. Beim Flugzeughersteller Airbus entfallen 20 % des Neue Klimaschutzinstrumente wie REDD+ und generell Umsatzes auf Rüstungsverkäufe, bei Boeing sind es sogar 50 %.1 Kompensationsmaßnahmen ermöglichen, dass wir uns Die beiden Konzerne dominieren den internationalen zivilen der Verantwortung für Naturzerstörung systematisch ent- Flugzeugbau, deren Flugzeuge für den Großteil – immerhin 92 % ziehen können, indem wir uns freikaufen. Verhindert wird – der Emissionen im Luftverkehr verantwortlich sind.2 die Klimakrise dadurch jedoch nicht. Rund 65 % des Treibstoffbedarfs aus der zivilen Luftfahrt kommt von der internationalen Luftfahrt.3 Regierungen rechtfertigen die Sonderstellung der internationalen zivilen Luftfahrt (und der maritimen Schifffahrt) damit, dass sich die Minderungsziele der Endnoten UN-Klimaabkommen auf Emissionen beziehen, die innerhalb der 1 Green Air Online 2017 Grenzen eines Nationalstaates freigesetzt werden. Die Emissio- 2 Fairhead/ Leach 2012 nen internationaler Flüge entzögen sich somit einer Zuteilung 3 WRM 2015; GRAIN 2016; Heinrich-Böll-Stiftung 2017 auf nationale Territorien, heißt es. Doch das Argument ist wenig 4 Süddeutsche Zeitung 2017 schlüssig, schließlich werden viele national hergestellte Produkte 5 DGDB [o. A.] exportiert und deren Emissionen dennoch dem Produktionsland 6 WRM 2017 zugerechnet. Berechnet werden könnte somit auch das auf Flug- 7 Öko-Institut 2016 häfen getankte Kerosin. Bei entsprechendem politischen Willen 8 FDCL/ FT Watch 2015: 15 ff 9 WRM 2017; Fern 2017 hätte sich also auch im UN-Rahmen, der auf nationalstaatliche 10 Becken/ MacKey 2017: 6 Verantwortung für Emissionen ausgerichtet ist, eine plausible 11 Fern 2014; Boysen/ Lucht 2017 und praktikable Lösung finden lassen. 12 Basta! 2013 13 WRM 2015, GRAIN/ WRM 2016, Chomba 2016 1 Heinrich Böll Stiftung/Airbus 2016: 32; Akkerman 2016 2 Transport & Environment 2017a: 2 14 REDD-Monitor 2013 3 ICAO 2016 b: 79 10
Der Klimaplan der internationalen Luftfahrt: CORSIA Die Industrie glaubt, dass ein simples CO2-Kompensationsschema am schnellsten umsetzbar, am einfachsten zu verwalten und am kosteneffizientesten wäre. « Air Transport Action Group (ATAG)1 Am 7. Oktober 2016 beschloss die 39. Konferenz der ICAO Ländern starten oder landen, nicht berücksichtigt werden. (siehe Infobox 1) eine globale Klimastrategie für die Luft- Fliegt zum Beispiel ein TUI-Charterflug voller Tourist*in- fahrt. Endlich, 18 Jahre, nachdem die Organisation beauf- nen von Berlin nach Nepal oder Haiti, muss TUI für die- tragt worden war, Wege zu finden, um die Emissionen aus sen Flug keine Emissionsgutschriften nachweisen. Bisher dem internationalen Flugverkehr zu verringern (siehe In- haben 72 Staaten eine freiwillige Teilnahme ab 2021 zuge- fobox 2). Damit verkündete die ICAO das „angestrebte sichert, was 87,8 % der internationalen CO2-Flugemissio- Ziel, die globalen netto CO2-Emissionen internationaler nen abdeckt.7 Luftfahrt ab 2020 auf demselben Niveau zu halten”.2 Von vielen Seiten kam Lob. Nicht wenige Flugzeughersteller, Betont sei: CORSIA berücksichtigt nur den Klimaeffekt Fluggesellschaften, Flughäfen und Ministerien werben von CO2, der übrige wissenschaftlich belegte Klimaeffekt schon jetzt mit dem geplanten „CO2-neutralen Wachstum“ der Flugemissionen, der mindestens doppelt so groß ist, und lehnen weitergehende regionale Regulierungen daher wird von der ICAO weiterhin außer Acht gelassen (siehe ab. Grafik 2 und 4b). Doch nicht alle jubelten. In Mexiko Stadt, Wien, London, Zu billig, um wirksam zu sein Istanbul, Notre Dame des Landes, Frankfurt, Montreal Die durch den Gutschriftenkauf erhöhten Kosten sol- und Sydney schickten Gegner*innen von Flughafen-Infra- len einen Anreiz für Fluggesellschaften darstellen, weni- strukturprojekten und Klima-Aktivist*innen mit ihren ger klimaschädigende Technologien einzusetzen oder zu Aktionen eine klare Nachricht an die ICAO: „Stay groun- höheren Ticketpreisen und einer sinkenden Flugnachfra- ded. Aviation growth cancelled due to climate change!”3 ge führen – so argumentieren zumindest Befürworter*in- Über 100 Organisationen lehnten zudem in einem offenen nen des Emissionshandels. Doch um einen solchen Effekt Brief und einer Petition die neue ICAO-Klimastrategie auszulösen, sind Kompensationsgutschriften viel zu billig. ab.4 Worum geht es? CDM-Gutschriften der UN kosten seit Jahren im Durch- schnitt weniger als 1 US-Dollar pro Tonne Emissionen, „Carbon Offsetting and Reduction Scheme for und auch im freiwilligen Emissionshandel liegen die Prei- International Aviation“ se im Durchschnitt bei 3-5 US-Dollar.8 Ein signifikanter Verschiedene Maßnahmen sollen das proklamierte Ziel Kostenanstieg für die Umsetzung von CORSIA ist un- des CO2-neutralen Wachstums ermöglichen: wahrscheinlich: Mit einem eigenen Paragraphen9 deckelt a) neue Technologien, b) Verbesserungen im CORSIA die Kosten und prognostiziert für 2025 Betrei- Betriebsablauf und Flugverkehrsmanagement, c) berkosten in Höhe von 0,2 bis 0,6 % der Gesamteinnah- vermehrter Ersatz von Kerosin durch Agrartreibstoffe und men der internationalen Luftfahrt, für 2030 wären es 0,5 d) ein marktbasierter Mechanismus, der den Handel mit bis 1,5.10 Das ist deutlich weniger als die Kosten, die sich Kompensationsgutschriften beinhaltet.5 Da die ersten drei aus den normalen Schwankungen des Kerosinpreises er- Maßnahmen kaum Einsparpotential haben, baut der ICAO- geben.11 Plan fast vollständig auf Kompensationsmaßnahmen (siehe Grafik 3). So sollen Fluggesellschaften für den CO2-neutral ab 2020: Schwache und Zuwachs ihrer Emissionen ab 2021 pro Tonne CO2 eine problematische Zielsetzung Kompensationsgutschrift vorlegen. Diese können sie von Emissionen müssen in allen Ländern und Sektoren dras- verschiedenen staatlichen und privaten Betreibern von tisch reduziert werden, um die Zielvorgaben des UN-Kli- Kompensationsprojekten kaufen. maabkommens von Paris zu erreichen. Die internationale Luftfahrt erlaubt sich jedoch, weitgehend uneingeschränkt CORSIA beginnt 2021 mit einer freiwilligen Pilotphase. weiterzuwachsen, bis 2020 gar ohne den grünen Deck- Erst ab 2027 startet die verpflichtende Phase (und läuft bis mantel der Kompensation. Dass Kompensationsprojekte 2035). Doch auch dann ist sie nicht verpflichtend für alle: in der Summe keine Emissionen reduzieren oder kom- Ausgenommen sind immerhin 118 von 191 Ländern, ins- pensieren und zudem oft Menschenrechte verletzen oder besondere „Least Developed Countries“, „Small Island De- lokale Konflikte schüren, wurde im vorigen Kapitel schon veloping States“ und „Landlocked Developing Countries“.6 gezeigt. CO2-neutrales Wachstum wird es also nicht geben, Aus Klimagerechtigkeits-Perspektive klingt das vorerst es geht kein Weg an einer Begrenzung des Flugverkehrs nachvollziehbar, schließlich tragen diese Länder des Glo- vorbei. Wie ungenügend der ICAO-Vorschlag ist, zeigen balen Südens kaum historische Verantwortung für die Zahlen des Öko-Instituts12: Um den durchschnittlichen Erderwärmung. Doch diese Ausnahmeregelung bedeu- globalen Temperaturanstieg auf deutlich weniger als zwei tet, dass alle Flüge aller Fluggesellschaften, die in diesen Grad Celsius zu begrenzen, müssen Emissionen aus dem 11
internationalen Flugverkehr bis 2030 wenigstens 39 % schriften im Rahmen von CORSIA gelten, ist noch offen. niedriger sein als 2005. Expert*innen gehen davon aus, dass sich die ICAO für ein breites Spektrum an Projektkategorien und Anbietern ent- Es ist zu erwarten, dass die Umsetzung von CORSIA ab scheiden wird. Das würde bedeuten, dass Fluggesellschaf- 2021 zu einer immensen Nachfrage nach Kompensati- ten sowohl Gutschriften aus Projekten des CDM (siehe onsgutschriften führen wird. Ob beziehungsweise welche S. 10) als auch von Anbietern auf dem sogenannten frei- Kriterien für die Anerkennung von Kompensationsgut- willigen Emissionsmarkt nutzen können. Ohne klare Aus- GRAFIK 4. Geplante Emissionsreduzierung durch CORSIA Quellen: ICAO 2016 e; ICAO 2016 b: 17, 97; UBA Deutschland 2016 Grafik a: Offizielle Darstellung von CORSIA Beitrag der Maßnahmen zur Reduzierung der netto CO2 Emissionen der internationalen Luftfahrt 6000 NeLo CO2 Emisssionen der internationalen Luftfahrt in Mt 5000 4000 3000 Verbesserte Betriebsabläufe 2000 Flugzeugtechnologie 1000 Nachhaltige alternative Treibstoffe und marktbasierte Mechanismen 400 2010 2012 2014 2016 2018 2020 2022 2024 2026 2028 2030 2032 2034 2036 2038 2040 Jahr Grafik b: Eigene Darstellung zur Kontextualisierung aller unberücksichtigter Emissionen Beitrag der Maßnahmen im Kontext aller Luftfahrtemissionen 6000 nicht über ICAO reguliert Weltweite Luftfahrtemissionen in Mt CO2 Äquivalente (nationale Luftfahrt inkl. aller Klimaeffekte) 5000 nicht reguliert (Klimaeffekte abseits von CO2) 4000 Verbesserte Betriebsabläufe 3000 Flugzeugtechnologie 2000 Nachhaltige alternative Treibstoffe und marktbasierte Mechanismen 1000 nicht reguliert (weil vor 2020) 0 2010 2012 2014 2016 2018 2020 2022 2024 2026 2028 2030 2032 2034 2036 2038 2040 Jahr Die offizielle ICAO-Darstellung (etwa beim CORSIA-Erklärungsvideo) lässt das Emissionswachstum erst ab 400 Megatonnen CO2-Emissionen beginnen, wodurch nicht sichtbar wird, wie hoch die CO2-Emissionen sind, die von CORSIA nicht berücksichtigt werden. Auch vernachlässigt die ICAO-Klimastrategie alle weiteren klimawirksamen Emissionen abseits von CO2, sie werden in Grafik b mit dem Faktor 2 berechnet. Grafik b beinhaltet zudem die Emissionen nationaler Flüge. Insgesamt wird deutlich, wie wenig wirksam aktuelle Klimapläne für die Luftfahrt sind – ganz abgesehen davon, dass die geplante Reduzierung durch „alternative Treibstoffe“ und Kompensation nicht zu CO2-Neutralität führen. Nicht berücksichtigt werden auch in Grafik b die Luftfahrtemissionen aus nicht-ziviler, also militärischer Luftfahrt. 12 12
Es ist notwendig, sowohl Emissionen dort zu mindern, schlusskriterien läuft CORSIA auch Gefahr, einen neuen gegen die geplan- wo sie entstehen, als auch Maßnahmen Absatzmarkt für besonders umstrittene Projektkategorien te Einführung ei- zur Minderung von Treibhausgas- wie REDD+ zu schaffen (siehe S. 10 und Beispielbox 4). ner Flugticketsteuer: emissionen umzusetzen und Wälder zu Viele Indigenen-Organisationen und soziale Bewegungen „Letztes Jahr haben im Globalen Süden fordern einen klaren Ausschluss sol- die ICAO-Mitglieds- schützen – statt den dort gespeicherten cher Kompensationsgutschriften von CORSIA oder leh- staaten inklusive Kohlenstoff als Gutschrift zu verkaufen, nen das Instrument generell ab. Sie wollen damit unter Schweden vereinbart, um das Wachstum schmutziger anderem verhindern, dass CORSIA dem umstrittenen Ins- dass CO2-Emissionen Sektoren zu ermöglichen.« trument neuen Schwung gibt. am besten durch ei- nen einheitlichen globalen marktbasierten Mechanismus Die Gefahr der „doppelten Anrechnung“ bearbeitet werden und CORSIA dieser Mechanismus für Der Handel mit Kompensationsgutschriften wird durch internationale Luftfahrt sein soll. Die Einführung nati- das Klimaabkommen von Paris nicht weniger problema- onaler oder regionaler Steuern zusätzlich zu CORSIA ist tisch. So steigt die Gefahr, dass Emissionen nur auf dem nicht nur überflüssig, sondern steht der ICAO-Vereinba- Papier ausgeglichen werden. Das hängt damit zusammen, rung entgegen und gefährdet die Implementierung von dass ab 2021 alle Länder, nicht nur die Industriestaaten, CORSIA”, so Rafael Schvartzman, europäischer Vizepräsi- dazu angehalten sind, nationale Reduktionsziele umzuset- dent der IATA.15 Vermutlich wird die Steuer nun dennoch zen – die sogenannten „Nationally Determined Contribu- eingeführt, allerdings deutlich niedriger als geplant.16 An- tions“ NDCs. Alle sollen dazu nationale Treibhausgasbi- dere Regierungen wie in Österreich oder Schottland redu- lanzen erstellen, um den Beitrag des jeweiligen Landes zur zieren derzeit bestehende Ticketsteuern sogar wieder, in Minderung von Treibhausgasen nachzuweisen. Deutschland wird ein ähnlicher Vorschlag diskutiert.17 Nun braucht es aber einen Kontrollmechanismus, der ga- In der Europäischen Union wiederum werden Flugemis- rantiert, dass sich nicht sowohl das Kompensationsprojekt sionen teilweise im europäischen Emissionshandel (EU- als auch die nationalen Buchhalter die Emissionsminde- EHS) geregelt. Fluggesellschaften müssen für Flüge inner- rung gutschreiben. Wenn dies passiert, kommt es zu einer halb der EU Emissionszertifikate vorlegen. Ausgenommen doppelten Anrechnung („double counting”).13 Beispiels- wurden allerdings internationale Flüge außerhalb der EU. weise könnte ein Investor aus Kalifornien, der in Brasilien Ab 2017 hätten diese ebenso einbezogen werden sollen. ein REDD+-Projekt betreibt, Gutschriften an eine europä- Nun wird diese Ausnahmeregelung bis 2021 verlängert – ische Fluggesellschaft verkaufen, während sich Brasilien eventuell sogar länger, wenn die EU mit der Umsetzung gleichzeitig die Emissionsreduzierung in der nationalen von CORSIA zufrieden ist. Auch hier wird deutlich, wie Treibhausgasbilanz gutschreibt. Derzeit ist kein Mechanis- eine bestehende regionale Maßnahme durch CORSIA er- mus in Sicht, der diese doppelte Anrechnung verhindert. setzt werden könnte. Dennoch darf nicht unerwähnt blei- ben, dass das EU-EHS viele grundlegende Probleme und CORSIA verhindert effektiven Klimaschutz Widersprüche aufweist und andere Maßnahmen wie eine Das unerreichbare Versprechen vom CO2-neutralen Kerosinsteuer, Ticketsteuern und feste Begrenzungen von Wachstum im internationalen Flugverkehr lenkt ab von Flugwachstum blockiert.18 tatsächlich notwendigen Maßnahmen, zum Beispiel den Neubau und Ausbau von Flughäfen zu stoppen und die Regionale Regulierungen von Flugverkehr durch ein ein- Subventionierung des Flugverkehrs drastisch zu redu- ziges schwaches globales Instrument wie CORSIA zu er- zieren. Debatten um die umstrittene Erweiterung des setzen, wäre kontraproduktiv. CORSIA behindert die Flughafens Heathrow in London, nationale Steuern auf Umsetzung effektiver Maßnahmen, gibt problematischen Flugtickets und die Rolle des EU-Emissionshandels im Kompensationsprojekten neuen Aufschwung und wird Flugverkehr zeigen bereits jetzt, dass CORSIA dazu dient, nicht zu CO2-neutralem Wachstum führen. Zudem lässt effektivere regionale und nationale Maßnahmen zu behin- der Fokus auf Kompensation unberücksichtigt, dass die dern und bestehende Regelwerke abzuschaffen oder zu be- aktuelle Situation der Klimakrise kein „Entweder-Oder“ schneiden: zulässt: Es ist notwendig, sowohl Emissionen dort zu min- dern, wo sie entstehen, als auch Maßnahmen zur Minde- Nach heftigen Protesten entschied die britische Regierung rung von Treibhausgasemissionen umzusetzen und Wäl- vor einigen Jahren gegen den Bau einer dritten Piste am der zu schützen – statt den dort gespeicherten Kohlenstoff Flughafen Heathrow. Durch den Bau der Piste und die da- als Gutschrift zu verkaufen, um das Wachstum schmutzi- durch ermöglichten zusätzlichen Flugbewegungen wür- ger Sektoren zu ermöglichen. den laut Berechnungen der Regierung die CO2-Emissio- nen des Vereinigten Königreichs um 15 % über dem vom Endnoten 5 ICAO 2016 a: 2 13 Fern 2016; Öko- nationalen Klimarat für 2050 vorgesehenen Limit liegen. 6 ICAO 2016 a: 4f; CE Institut 2015 b 2017 stellte das Verkehrsministerium die Entscheidung ge- 1 ATAG 2013 Delft 2016: 6f 14 WWF-UK 2017 gen den Ausbau mit dem Argument in Frage, die zusätz- 2 ICAO [o. A.] 7 ICAO [o. A.] 15 IATA 2017 3 System Change, lichen Emissionen könnten durch CORSIA kompensiert not Climate Change 8 World Bank 2016: 16 Magnusson 2017 werden.14 Der Flughafen rührt zudem die Werbetrommel 11, 37 17 FT Watch 2017; BBC 2016a 9 ICAO 2016 a: 5 News 2017; und preist die neue Piste als besonders grün an (siehe Bei- 4 System Change, 10 ICAO 2016 c: 19 BMVI 2017: 23 f spielbox 2). not Climate Change 11 ICAO 2016 d: 142 18 TNI et al. 2013 2016b 12 Öko-Institut 2015 a: 40 In Schweden lobbyierte die International Air Transport Association (IATA), die 265 Fluglinien repräsentiert, 13
Grüne Flughäfen? Kompensation von Emissionen und Biodiversität 219 Flughäfen – 117 allein in Europa – versuchen derzeit, fentlichkeit den falschen Eindruck – nicht zuletzt, weil sich als nachhaltig zu präsentieren. Airport Carbon Accre- öffentlichkeitswirksame Formulierungen eine solche Ver- ditation macht’s möglich. Auch das sogenannte Biodiver- wechslung befördern. Ein Beispiel ist die Auszeichnung sitäts-Offsetting, die vorgebliche Kompensation der durch von London Gatwick als CO2-neutraler Flughafen durch Flughafeninfrastruktur zerstörten Pflanzen- und Tier- die Airport Carbon Accreditation-Initiative. In der Pres- arten, ermöglicht ein gutes Image in der Öffentlichkeit. semeldung vom Mai 2017 ist zu lesen, dass der jährliche Doch die Programme klingen besser, als sie sind. Energieverbrauch „pro Passagier” gesenkt wurde. Nicht etwa „pro Flughafenbesucher”, sondern „pro Passagier”. „Airport Carbon Accreditation” Diese Initiative des internationalen Dachverbands der Dem Widerstand Wind aus den Segeln nehmen Flughafenbetreiber (ACI, Sprachrohr und Interessenver- Bei den grünen Maßnahmen der Flughäfen geht es zum tretung weltweit für über 600 Mitglieder) wurde 2009 ins Beispiel um den Betrieb von Solaranlagen oder Blockheiz- Leben gerufen und wird von den UN-Institutionen Klima- kraftwerken zur Energieversorgung der Flughafengebäu- rahmenkonvention, Umweltprogramm und ICAO, sowie de, den Austausch von Glühbirnen durch LED-Lampen, von der EU unterstützt. den Einsatz von Elektrofahrzeugen auf dem Flughafenge- lände oder verbesserte Angebote für die Anreise der Flu- Das Zertifizierungssystem bewertet Maßnahmen zur greisenden mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Unbezahlbar Minderung von CO2-Emissionen und bietet vier Stufen ist dabei der Imagegewinn, den das Marketing als grüner unterschiedlicher Ambition an. Zunächst werden in der Flughafen mit sich bringt. Dies gilt insbesondere für Be- „Mapping”-Stufe Treibhausgasemissionen am Flughafen treiber, die wegen der Erweiterung des Flughafens öffent- erfasst. In einer nächsten Stufe können Flughäfen dann lich in der Kritik stehen. damit werben, dass sie einen Minderungsplan erstellt ha- ben und Maßnahmen zur Emissionsreduktion umsetzen. Dies zeigen die Beispiele Heathrow in London (siehe Bei- In den letzten beiden Stufen erfassen sie auch Emissionen spielbox 2) und Schwechat bei Wien. In beiden Fällen anderer Unternehmen am Flughafen (zum Beispiel Cate- verweisen die Flughafenbetreiber und Unterstützer*innen ring-Firmen und Lieferanten) und arbeiten auf das Ziel eines Flughafen- oder Pisten-Ausbaus auf ihre Teilnahme eines angeblich CO2-neutralen Flughafens hin. Von den an Airport Carbon Accreditation, um der Kritik an den Ex- teilnehmenden 117 europäischen Flughäfen haben 2017 pansionsplänen den öffentlichen Wind aus den Segeln zu bereits 28 das Ziel der angeblichen CO2-Neutralität er- nehmen. Ein Gerichtsgutachter in Wien hatte gar vorge- reicht, wobei stets auf den Mechanismus der Kompensa- schlagen, die Genehmigung einer dritten Piste daran zu tion zurückgegriffen wird.1 koppeln, dass der Flughafen den Status CO2-neutral er- reicht.3 Um CO2-Neutralität vorgeben zu können, greifen Flugha- fenbetreiber unter anderem auf den Kauf von Kompen- Biodiversitäts-Kompensation: sationsgutschriften der „Climate Neutral Now“ zurück Wie einzigartige Natur austauschbar gemacht – eine UN-Initiative, die Kompensationsgutschriften aus wird, um sie zerstören zu können CDM-Projekten auf dem sogenannten freiwilligen Kom- Flughäfen beanspruchen große Flächen Land, oft in so- pensationsmarkt anbietet (siehe Fake-Webseite S. 17). Zu zial benachteiligten Stadtteilen mit wenigen grünen Flä- den konkreten Kompensationsprojekten fehlen meist In- chen oder in Stadtrandbereichen, in denen verbliebene formationen auf den Webseiten der Flughäfen sowie der Natur eine wichtige Rolle für Naherholung, Luftquali- Airport Carbon Accreditation. tät und Wohlbefinden spielt. Die Grünflächen sind nicht nur Lebensraum für Tiere und Pflanzen, sondern erfüllen Größte Emissionsquelle bleibt außen vor: Flüge auch eine wichtige soziale Funktion. Entsprechend groß ist der Druck auf Flughafenbetreiber, den Verlust an Natur auszugleichen. Insbesondere, wenn biologisch vielfältige Rund 5 % der CO2-Emissionen des Flugverkehrs entfallen auf den Lebensräume wie Feuchtwiesen dem Flughafen weichen sollen, besteht oft auch eine gesetzliche Verpflichtung zur Flughafenbetrieb2 – und bei der Kompensation, bzw. ist die Zusage für den Flughafen an Zertifizierung im Rahmen der Airport das Vorhandensein von Ausgleichsflächen geknüpft. Carbon Accreditation-Initiative geht es nur um diese zirka 5 %!« Ähnlich wie die angebliche Kompensation vom Emissio- nen, ist auch der Ansatz der Kompensation von biologi- Problematisch ist das unter anderem deshalb, weil die scher Vielfalt umstritten. Methodische Ungereimtheiten breite Öffentlichkeit in der Regel nicht unterscheidet zwi- sind weit verbreitet, führen aber selten dazu, dass Kom- schen Emissionen am Flughafen und Emissionen, die pensationspläne von Behörden abgelehnt werden (siehe beim Fliegen freigesetzt werden. Wirbt ein Flughafenbe- Beispielbox 3). Zudem ist der Ansatz generell wider- treiber also mit CO2-Neutralität, erweckt das in der Öf- sprüchlich und beruht auf reduktionistischen Annahmen 14
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