L - E LAA N Magazin für Lehramtsanwär ter/-innen und Referendare/-innen - VBE NRW

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L - E LAA N Magazin für Lehramtsanwär ter/-innen und Referendare/-innen - VBE NRW
E[LAA]N
                                                                                          n
                                                   wärter/-inne   n und Referendare/-inne
                           Magazin für Lehr amtsan
Nr. 77   Ok tober 2021

                                                   L
L - E LAA N Magazin für Lehramtsanwär ter/-innen und Referendare/-innen - VBE NRW
Hallo          liebe Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter,
               liebe Junglehrerinnen und Junglehrer,
                                                                                        Aus dem Inhalt
                                                                                        2

                                                                                        3
                                                                                              Hallo

                                                                                              All inclusive ?!

                                                                                        8 Interviews mit Lehrkräften

                                                                                        13 Interviews mit weiteren Professionen
               diese Ausgabe der E[LAA]N beschäftigt sich mit dem Thema „Inklusion“.
               Als Zeitschrift für angehende und junge Lehrkräfte liegt der Fokus       19 Interview Kita
               hier natürlich auf dem schulischen Bereich und seinen Baustellen.
                                                                                        20 Interviews Schüler
               Inklusion ist jedoch grundsätzlich viel weiter zu fassen. Aus soziolo-
               gischer Sicht geht es darum, alle Menschen in ihrer Vielfalt in die      22 Interviewpartner
               Gesellschaft einzubeziehen, sie „mitzudenken“ oder besser noch sie          Besonderheiten der Pandemie
               selbst mitdenken und machen – sprich teilhaben – zu lassen. Dies         26 Netzwerk Schule 2021 – Fortbildungstag
               betrifft unterschiedliche Geschlechter, Hautfarben, die Herkunft der
                                                                                        28 Berichte aus dem JVBE-Landesvorstand
               Menschen, sexuelle Orientierung, Religionen, Handicaps, Altersgrup-
               pen und vieles mehr. Inklusion ist dabei nicht bloß eine Theorie oder    30 Ansprechpartner JVBE
               gar auf den schulischen Bereich beschränkt.
                                                                                        31 Rezensionen
               Wir haben zahlreiche Beteiligte unterschiedlicher Professionen, aber
               auch Betroffene interviewt, um einen Einblick in die Umsetzung der
               Inklusion in anderen Schulformen oder Professionen zu geben. Natür-
               lich gibt es noch zahlreiche weitere wichtige Akteure wie Eltern,
               MPTs, Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter, Schulbeglei-
               terinnen und Schulbegleiter etc. die beim Thema Inklusion, auch an
                                                                                        Impressum
                                                                                        E[LAA]N
               Schulen beteiligt sind. Insgesamt ist das Thema so groß und umfas-       Zeitschrift für Lehramtsanwärter/-innen und Referendare/-innen
                                                                                        der Arbeitsgemeinschaft der Junglehrer/-innen (Junger VBE) im
               send, dass es innerhalb dieser E[LAA]N nur ausschnitthaft beleuchtet     Verband Bildung und Erziehung e. V. (VBE) erscheint viermal im Jahr im
                                                                                        VBE Verlag NRW GmbH, Westfalendamm 247, 44141 Dortmund
                                                                                        Telefon (0231) 420061, Fax (0231) 433864
               werden kann. Sie soll aber dazu beitragen, das Interesse anzuregen,      Internet: www.vbe-verlag.de, E-Mail: info@vbe-verlag.de

               sich mit Vielfalt auseinanderzusetzen und in die Diskussion um eine      Herausgeber:
                                                                                        Junger VBE im Verband Bildung und Erziehung e. V. (VBE)
               gemeinsame Zukunft aktiv einzusteigen. Gerne auch als aktives Mit-       Landesverband Nordrhein-Westfalen
                                                                                        Westfalendamm 247, 44141 Dortmund
               glied im (Jungen) VBE.                                                   Telefon (0231) 425757-0, Fax (0231) 425757-10
                                                                                        Internet: www.vbe-nrw.de
               Wie immer könnt ihr in unserer Ausgabe auch wieder nachlesen, was
                                                                                        Schriftleitung: S. Gänsel (V. i. S. d. P.), M. Kürten, I. Rosenberg
               beim Jungen VBE unterwegs passiert ist, und wir haben wieder tolle,      Redaktion: Y. Dickmeis, S. Gänsel (V. i. S. d. P.), J. von Hoegen,
                                                                                        S. Hörstrup, M. Kürten, N. Meinholz, M. Mohr, S. Rausch,
               zum Titelthema passende Rezensionen für euch abgedruckt.                 I. Rosenberg, V. Schmidt
                                                                                        ­Layout: my-server.de -GmbH in Zusammenarbeit mit
                                                                                         Kirsch Kürmann Design, Dortmund
                                                                                         Gehirngrafik Titel, S. 3: © Katrina Lee / shutterstock.com
                                                                                         Druck: L.N. Schaffrath GmbH & Co. KG Druckmedien,
               Viel Spaß beim Lesen,                                                     Marktweg 42–50, 47608 Geldern

                                                                                        Verlag: DBB Verlag GmbH, Friedrichstraße 165, 10117 Berlin,
                                                                                        Telefon (030) 7261917-0, Fax (030) 7261917-40,
               Suna Rausch, Erasmus Mehlmann                                            Internet: www.dbbverlag.de, E-Mail: kontakt@dbbverlag.de
                                                                                        Jahresabonnement: 25,20 Euro zzgl. 4,75 Euro Versandkosten
                                                                                        inkl. MwSt.; Mindestlaufzeit 1 Jahr.
                                                                                        Einzelheft: 8,40 Euro zzgl. 1,40 Euro Versandkosten, inkl. MwSt.
                                                                                        Abonnementkündigungen müssen bis zum 1. Dezember in Textform
                                                                                        beim DBB Verlag eingegangen sein, ansonsten verlängert sich der
                                                                                        Bezug um ein weiteres Kalenderjahr.

                                                                                        Anzeigen:
                                                                                        DBB Verlag GmbH, Mediacenter, Dechenstr. 15 A, 40878 Ratingen
                                                                                        Telefon (02102) 74023-0, Fax (02102) 74023-99,
                                                                                        E-Mail: mediacenter@dbbverlag.de
                                                                                        Anzeigenleitung: Petra Opitz-Hannen, Telefon (02102) 74023-715
                                                                                        Anzeigenverkauf: Andrea Franzen, Telefon (02102) 74023-714
                                                                                        Anzeigenverwaltung: Britta Urbanski, Telefon (02102) 74023-712
                                                                                        Preisliste 15, gültig ab 1. Oktober 2020

     Sonja Gänsel                                            Iris Rosenberg             Die Artikel werden nach bestem Wissen veröffentlicht und erheben
                                                                                        keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Rechtsansprüche können aus den
     (Landessprecherin Junger VBE NRW)                       (Redaktion ELAAN)          Informationen nicht hergeleitet werden.

                                                                                        Die Artikel sind urheberrechtlich geschützt. Ein Nachdruck, ganz oder
                                                                                        teilweise, ist nur mit der Genehmigung der Redak­tion, die wir gern er-
                                                                                        teilen, zu gezeichneten Beiträgen mit der des Verfassers, bei Zu­
                                                                                        sendung eines Belegexemplars gestattet.
                                                                                        Die Redaktion freut sich über Beiträge in Form von Unterrichts­­ent­würfen,
                                                                                        Arbeitsblättern, Berichten, Leserbriefen, Karikaturen, Fotos etc. zwecks
                                                                                        Abdruck in E[LAA]N.
                                                                                        Für unverlangt eingesandte Manuskripte übernehmen wir keine Ge-
                                                                                        währ. Die Einsender erklären sich mit einer redaktio­nellen Prüfung und
             In eigener Sache:                                                          Bearbeitung der Vorlage einverstanden.
                                                                                        Die Rücksendung erfolgt nur, wenn ausreichendes Rückporto beiliegt.
     Junger VBE NRW jetzt bei Facebook                                                  Die Besprechung ohne Aufforderung zugesandter Bücher bleibt der
                                                                                        Redaktion vorbehalten.
                                                                                        Die namentlich gekennzeichneten Artikel geben die Ansicht der Verfas-
        facebook.com/jungervbe.nrw                                                      ser wieder und entsprechen nicht in jedem Fall der Redaktionsmeinung.
                                                                                        Alle in den vorliegenden Texten verwendeten Personen­­be­zeich­nungen
                                                                                        – weiblicher oder männlicher Form – meinen stets auch das jeweils
                                                                                        andere Geschlecht.
 2         VBE – E[LAA]N Nr. 77/2021
                                                                                        Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier.
                                                                                        ISSN-Nr.: 1860-7403
L - E LAA N Magazin für Lehramtsanwär ter/-innen und Referendare/-innen - VBE NRW
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                                           in c l u s i v
                                                        L e

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                     Von Suna Rausch und Erasmus Mehlmann
                                                                            In Artikel 24 wird festgelegt, dass
                                                                            Menschen mit Behinderung nicht
              er Begriff Inklusion ist heute in allen Schulformen
              bekannt, wenngleich er unterschiedlich umge-
                                                                            aufgrund ihrer Behinderung vom
              setzt wird. Doch der Weg dorthin war ein weiter.            allgemeinen Bildungssystem ausge­
              Auf die Anfänge der Sonderpädagogik und die                  schlossen werden dürfen und dass
              Einrichtung erster Hilfs- oder Sonderschulen seit
                                                                           sie gleichberechtigten Zugang zum
Beginn des 19. Jahrhunderts können wir an dieser Stelle
natürlich nicht eingehen.                                                   Unterricht an Grundschulen und
Stattdessen möchten wir einen kurzen Überblick über die
                                                                            weiter­führenden Schulen haben.
Entwicklung der Inklusion in den letzten Jahrzehnten geben.
Im Juni 1994 trafen sich Vertreterinnen und Vertreter aus              Vor der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention
92 Regierungen und 25 internationalen Organisationen in                gab es natürlich ebenfalls Bestrebungen, Menschen mit
Salamanca, Spanien, um das Ziel „Bildung für alle“ zu unter-           Behinderung im Schulsystem zu integrieren. Nicht wenige
stützen. In dieser von der spanischen Regierung und der                Kindergärten und Grundschulen haben Kinder mit unter-
UNESCO organisierten Konferenz wurden grundlegende                     schiedlichen Behinderungen aufgenommen. Was hier und
politische Änderungen besprochen, die zur Förderung einer              dort im Sinne von Integration geschah, wurde nun zu einem
integrativen Pädagogik zwingend notwendig waren.             1
                                                                       allgemeinen Recht.

Der entscheidende Schritt in Richtung Inklusion war dann               Am 01.12.2010 verabschiedete der nordrhein-westfälische
die 2006 von der Generalversammlung der Vereinten                      Landtag den Antrag „UN-Konvention zur Inklusion in der
Nationen (UN) verabschiedete UN-Behindertenrechtskon-                  Schule umsetzen“. 3, 4
vention über die Rechte von Menschen mit Behinderung.
          2                                                            Es wurde eine „Projektgruppe Inklusion“ eingerichtet, de-
Diese trat 2008 in Kraft und wurde von Deutschland 2009                ren Aufgabe die Entwicklung eines Inklusionsplans und die
ratifiziert. In ihr wird das Recht auf gleichberechtigte Teil-         Vorbereitung einer Schulgesetz­novelle war. Dazu wurden
habe von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbe-                   mit dem Gutachten „Auf dem Weg zur schulischen Inklu­
reichen als Menschenrecht festgelegt. Dies betrifft auch               sion in Nordrhein-Westfalen“ (Klemm/Preuss-Lausitz 2011)
den Bereich Bildung und Schule.                                        wissenschaftliche Expertise eingeholt.
                                                                       Am 3. Juli 2012 trat der daraus folgende Aktionsplan zur
                                                                       konkreten Umsetzung der Inklusion in Kraft. 3

1   vgl. https://www.unesco.de/sites/default/files/2018-03/1994_salamanca-erklaerung.pdf
2   vgl. https://www.behindertenbeauftragter.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Broschuere_UNKonvention_KK.pdf
3   vgl. http://library.fes.de/pdf-files/studienfoerderung/12388.pdf
4   vgl. https://www.mags.nrw/sites/default/files/asset/document/121115_endfassung_nrw-inklusiv.pdf

                                                                                                           VBE – E[LAA]N Nr. 77/2021   3
L - E LAA N Magazin für Lehramtsanwär ter/-innen und Referendare/-innen - VBE NRW
Im Bereich Bildung wurden fünf Handlungsfelder definiert.          Hier heißt es:

    1. Inklusion fängt in den Köpfen an
    Durch öffentliche Veranstaltungen und Fachvorträge sollte
                                                                         „Die Schule fördert die vorurteilsfreie
    die Akzeptanz für inklusive Bildung gesteigert werden. Es
    wurden auch 53 Inklusionskoordinatoren/-innen bei den                Begegnung von Menschen mit und ohne
    Schulämtern eingestellt.
                                                                          Behinderung. In der Schule werden sie
    2. Verankerung des Rechts­anspruchs auf inklusive Bildung           in der Regel gemeinsam unterrichtet und
    Das gemeinsame Lernen von Schülern/-innen mit und ohne
    Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung wird zum
                                                                       erzogen (inklusive Bildung). Schülerinnen
    gesetzlichen Regelfall. Einen Antrag auf Feststellung eines         und Schüler, die auf sonder­pädagogische
    sonderpädagogischen Förderbedarfs sollen, bis auf Aus-
    nahmefälle, nur die Eltern stellen dürfen.                          Unterstützung angewiesen sind, werden
                                                                         nach ihrem individuellen Bedarf beson­
    3. Inklusion braucht Qualität
    Dies umfasst Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung von                 ders gefördert, um ihnen ein möglichst
    Lehrkräften und auch einen Ausbau der Studienkapazitäten
    für das grundständige sonderpädagogische Studium.
                                                                           hohes Maß an schulischer und beruf­
                                                                         licher Eingliederung, gesellschaftlicher
    4. Inklusion braucht regionale Verantwortung
         und planvolle Schritte
                                                                           Teilhabe und selbstständiger Lebens­
    Das inklusive Schulsystem soll auf Grundlage regionaler                    gestaltung zu ermöglichen.“ 5
    Inklusionspläne ausgebaut werden.

    5. Inklusion braucht einen verlässlichen flexiblen
         Unterstützungsrahmen                                          Mit Zustimmung des Schulträgers kann an allgemeinen
    Das Ministerium für Schule und Weiterbildung hat 2011              Schulen das Angebot des Gemeinsamen Lernens eingerich-
    einen Inklusionsfonds eingerichtet, aus welchem die regio-         tet werden.
    nalen Bildungsbüros Mittel abrufen können.
                                                                       Die Schulträger können auch Schwerpunktschulen bilden,
    Im Gutachten von Klemm/Preuss-Lausitz wird die Schlie-             in denen Kinder mit und ohne sonderpädagogischen För-
    ßung der Förderschulen mit den Förderschwerpunkten                 derbedarf gemeinsam unterrichtet werden. Sollte ein
    Lernen, Emotionale und Soziale Entwicklung und Sprache             Schulträger seine Förderschulen in den Bereichen Lernen,
    gefordert. Der Aktionsplan hingegen geht von einer Weiter­         Emotionale und Soziale Entwicklung und Sprache aufgelöst
    führung aller Förderschwerpunkte aus und erweitert dies            haben, ist die allgemeine Schule Ort der sonderpädago-
    auch für den Bereich der beruflichen Bildung. Für die Um-          gischen Förderung. 5
    setzung der Inklusion in der beruflichen Bildung holte NRW
    drei Gutachten ein, welche 2015 vorgestellt wurden.                Demnach sind den Eltern der in den Eingangsklassen der
                                                                       Grundschule und der weiterführenden Schulen anzumel-
    Der nordrhein-westfälische Landtag verabschiedete am 16.           denden Kinder mit Bedarf an sonderpädagogischer Unter-
    Oktober 2013 das „Erste Gesetz zur Umsetzung der VN-Be-            stützung mit Zustimmung des Schulträgers mindestens
    hindertenrechtskonvention“, auch Neuntes Schulrechtsän-            eine allgemeine Schule mit dem Angebot des Gemein-
                                5,   in welchem auch der Begriff der
    derungsgesetz genannt                                              samen Lernens vorzuschlagen.
    inklusiven Bildung Eingang fand. Dieses trat zum Schuljahr
    2014/15 in Kraft.

    5   vgl. https://www.schulministerium.nrw/sites/default/files/documents/NeuntesSchulrechtsaenderungsgesetz.pdf

4   VBE – E[LAA]N Nr. 77/2021
L - E LAA N Magazin für Lehramtsanwär ter/-innen und Referendare/-innen - VBE NRW
2018 folgte der Runderlass des                                ßenverordnung von Förderschulen 7 geschlossenen oder
                                                                    zusammengelegten Förder­schulen nun wieder eröffnet
  Ministeriums für Schule und Bildung                               bzw. die Teilstandorte werden wieder eigenständige För-
  des Landes NRW „Neuausrichtung der                                derschulen.

Inklusion in den öffentlichen allgemein­                           Es besteht weiterhin ein hoher Bedarf an sonderpädago-
   bildenden weiterführenden Schulen“. 6                           gischen Lehrkräften in allen Schulformen.

                                                                    Hinzu kommt, dass mit der Neuausrichtung der Inklusion
 In diesem Erlass wurde neben den notwendigen Rahmen-               jährlich für je einen weiteren Jahrgang an den Regelschulen
 bedingungen für die Einrichtung des Gemeinsamen Ler-               des Gemeinsamen Lernens, bis auf die Förderschwerpunkte
 nens auch festgelegt, dass an Regelschulen, an denen pro           Hören und Kommunikation (HK) sowie Sehen (SE), in der Re-
 Eingangsklasse drei Schüler/-innen mit sonderpädago-               gel keine Abordnungen mehr von den Förderschulen erfol-
 gischer Unterstützung aufgenommen werden, je eine hal-             gen und die Regelschulen ihren Bedarf durch eigene Einstel-
 be zusätzliche Stelle aus dem Bereich der Lehrkräfte für           lungen von Sonder­pädagogen/-innen decken müssen. (Ab
 sonderpädagogische Unterstützung, aber auch Stellen an-            diesem Schul­jahr werden in NRW rein rechnerisch z. B. von
 derer Lehrämter oder Stellen für multiprofessionelle Teams         Förderschulen nur Sonderpädagogen/-innen für den Bedarf
 zugewiesen werden.                                                 ab Klasse 8 abgeordnet.) Lediglich an den Regelschulen, die
                                                                    nicht Schulen des Gemeinsamen Lernens sind, wie es bei
 Wurden vorher Sonderpädagogen/-innen von den Förder-               den meisten Gymnasien der Fall ist, erfolgen weiterhin Ab-
 schulen an die Regelschulen abgeordnet, um dort Kinder             ordnungen von den Förder­schulen.
 mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu unterstützen,
 konnten nun auch die Regelschulen, wie bereits die Grund-          Dem bestehenden Bedarf an Sonderpädagogen/-innen wird
 schulen vorher, eigene Stellen für Sonderpädagogen/-innen          langfristig durch die Erhöhung der Studienkapazitäten für
 oder anteilig auch Stellen für Multiprofessionelle Teams           das grundlegende Studium der Sonderpädagogik und der
 (MPT) ausschreiben.                                                Möglichkeit der berufsbegleitenden VOBASOF-Ausbildung
                                                                    Rechnung getragen. Kurzfristig wird der Bedarf auch durch
 Da die Anzahl der zur Verfügung stehenden Sonder­päda­             die Einstellung von Vertretungslehrkräften, die häufig noch
 gogen/-innen nicht gleichzeitig mit dem Bedarf an ihnen            im Studium sind, andere Lehrämter innehaben oder auch
 gestiegen ist, führte und führt dies dazu, dass zahlreiche         kein Lehramt innehaben, gedeckt. Diese Lehrkräfte können
 Stellen für Sonderpädagogen/-innen an den Regelschulen             dann natürlich nicht alle Aufgaben einer sonderpädago-
 (aber auch an Förderschulen in ländlichen Randbereichen)           gischen Lehrkraft erfüllen und auch nicht an die Regelschu-
 unbesetzt bleiben. Dies kann an Regelschulen etwas durch           len abgeordnet werden. Dies führt auch zu einer Erhöhung
 die MPT-Stellen ausgeglichen werden, wenngleich natürlich          der Arbeitsbelastung der Sonderpädagogen/-innen an den
 nicht alle Aufgaben einer sonderpädagogischen Lehrkraft            Förderschulen und dazu, dass, paradoxerweise, die sonder-
 übertragbar sind. Gleichzeitig konnten und haben sich viele        pädagogische Förderung an den Förderschulen nicht immer
 sonderpädagogische Lehrkräfte die vorher an Regelschulen           durch Sonderpädagogen/-innen erfolgt. Der Mangel an Lehr-
 nur abgeordnet waren, von der Förderschule an die Regel-           kräften an allen Schulen und die seit vielen Jahren übliche
 schule versetzen lassen. Die Bereitschaft dazu wird maß-           Einstellung von Vertretungslehrkräften führt zunehmend
 geblich auch von den vor Ort vorhandenen Konzepten der             dazu, dass diese einen Anspruch auf Entfristung haben und
 sonderpädagogischen Förderung beeinflusst.                         somit dauerhaft auf Lehrerstellen eingestellt werden, ohne
                                                                    tatsächlich das Lehramt innezuhaben. Diese gesamte Ent-
 Da die Zahl der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbe-           wicklung muss man sicherlich aus politischer und gewerk-
 darf nicht den prognostizierten sinkenden Schüler/-innen-          schaftlicher Sicht sehr kritisch betrachten, da hier neben den
 zahlen gefolgt ist, wurden teilweise die aufgrund der 2013         Fragen bezüglich der fachlichen Qualifikation, auch stati-
 verabschiedeten und der 2018 angepassten Mindestgrö-               stisch der Lehrkräfte­mangel verdeckt wird.

 6   vgl. https://www.schulministerium.nrw/eckpunkte-zur-neuausrichtung-der-inklusion-der-schule
     https://www.land.nrw/de/pressemitteilung/ministerin-gebauer-inklusion-umsteuern-durch-eindeutige-qualitaetskriterien-und
 7   vgl. https://www.schulministerium.nrw/mindestgroessenverordnung-fuer-die-foerderschulen

                                                                                                           VBE – E[LAA]N Nr. 77/2021   5
L - E LAA N Magazin für Lehramtsanwär ter/-innen und Referendare/-innen - VBE NRW
Die in dieser Zeitschrift aufgenommenen Interviews bilden,          Auffällig ist, dass in den Förderschwerpunkten Geistige Ent-
    wie bereits erwähnt, nur einen kleinen Teil der aktuellen           wicklung (GG), Sehen (SE), Hören und Kommunikation (HK)
    Situation ab. Sie sind, wie man es von Interviews erwartet,         sowie Körperliche und Motorische Entwicklung (KM) ein
    subjektiv gefärbt. Nichtsdestotrotz lassen sie erkennen,            überdurchschnittlicher Anteil der Schüler/-innen nicht im
    dass sich im Schul- und Bildungssystem von der Kita bis zur         Gemeinsamen Lernen, sondern an den Förderschulen unter-
    Uni und dem ZfsL viel getan hat. Aber auch die Baustellen           richtet wird. Im Jahr 2020 besuchten in den Förderschwer-
    treten deutlich zutage. Das beginnt schon bei strukturellen         punkten SE und HK rund zwei Drittel, in KM etwas weniger
    Dingen wie, dass der ÖPNV immer noch nicht durchgängig              als zwei Drittel und in GG rund fünf Sechstel eine Förder-
    Menschen mit Behinderung berücksichtigt, wie es Julia               schule 11 . Die Gründe, warum sich bei einzelnen Förder-
    Fertig in ihrem Interview beschreibt, und führt weiter zu           schwerpunkten immer noch große Teile der Eltern für die
    räumlichen bzw. baulichen Voraussetzungen an Schulen.               jeweilige Förderschule entscheiden, gehen aus den Statis­
    Ganz deutlich tritt zutage, dass die Aus- und Fortbildungs-         tiken nicht hervor.
    situation in Bezug auf Inklusion oft als unzureichend be-
    schrieben wird. Es endet bei nahezu allen Interviewpartnern
    darin, dass sie eine ausreichende personelle Aus­stattung            Vor diesem Hintergrund erscheint es
    vermissen, die aber von den meisten als essenziell angese-
    hen wird. Hier lässt sich als Beispiel die gerade vom VBE
                                                                          sinnvoll, den Eltern weiterhin eine
    durchgeführte Umfrage anlässlich des DKLK 2021 anführen.8           Wahlmöglichkeit zwischen Gemeinsamem
    Diese offenbart eine dramatische Personalunterdeckung in
    den Kitas, die sich natürlich auch auf die Inklusionsbe­               Lernen und Förderschule zu geben.
    mühungen in diesem Bereich auswirkt.
                                                                        Ebenso muss das System des Gemeinsamen Lernens weiter
    IT.NRW bescheinigt NRW für das Schuljahr 2019/2020 eine             durch bauliche und personelle Maßnahmen gestärkt und
    Inklusionsquote von 43,9 % sprich 43,9 % aller Schüler/-innen       durch gute Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten flankiert
    mit diagnostiziertem Förderbedarf besuchten eine allge-             werden. Als dringend geboten erscheint es, statistische
    meine Schule. Noch im Jahr 2010/2011 lag diese erst bei
                      9
                                                                        Fragen zu klären. So müssen die Gründe für den enormen
    16,5 %. Hält man allerdings die Zahlen der KMK 10 von 2009          Anstieg der diagnostizierten Förderschwerpunkte ebenso
    bis 2018 sowie die Zahlen aus dem Schuljahr 2019/2020 für           gefunden wie auch die Gründe der Eltern eruiert werden,
    NRW 11 daneben, so ergibt sich ein anderes Bild. Die Anzahl         ihre Kinder in über 50 % der Fälle nicht dem allgemeinen
    an Schüler/-innen mit Förderschwerpunkt lag in NRW im               Schulsystem anzuvertrauen. Der Schweregrad einer Behin-
    Jahr 2009 bei rund 117.000. Im Jahr 2020 hatten rund                derung hat sicherlich auch Einfluss darauf, ob einem Kind
    151.000 Schülern/-innen einen diagnostizierten Förderbe-            weiterhin das Recht zugestanden wird, eine Förderschule
    darf. Die einzige Förderschulform, die nachhaltig Schüler/          besuchen zu dürfen. Inklusion bedeutet das Recht auf
    -innen in die inklusive Beschulung abgegeben hat, ist die           gleichberechtigte Teilhabe, unabhängig vom Förderort.
    Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen. Wobei                Daher kommt dem Elternwahlrecht eine große Bedeutung
    auch hier die Anzahl der Schüler/-innen die eine Förder-            zu. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass es auch weiter-
    schule besuchen, langsam wieder steigt. Alle Förderschulen          hin eine Auswahlmöglichkeit gibt, und daher haben auch
    der anderen Förderschwerpunkte haben ihre Schüler/-innen-           die Förderschulen in der Inklusion einen nicht ersetzbaren
    zahlen weitestgehend gehalten oder diese sind gestiegen.            Anteil und müssen fortbestehen. Hier darf die UN-Behin-
    Ebenso sind aber auch die Zahlen der Schüler/-innen mit             dertenrechtskonvention nicht, wie zeitweise geschehen,
    Förderschwerpunkt an den allgemeinen Schulen gestiegen.             fälschlich dahingehend ausgelegt werden, dass die Förder-
                                                                        schulen geschlossen werden müssen.

    8    vgl. https://www.deutscher-kitaleitungskongress.de/assets/documents/pressemitteilungen/dklk/DKLK_Studie_2021.pdf
    9    vgl. www.it.nrw/inklusionsquote-im-schuljahr-2019-20-allgemeinbildenden-schulen-nrw-auf-439-prozent-gestiegen-99971
    10   vgl. https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Statistik/Dokumentationen/Dok223_SoPae_2018.pdf
    11   vgl. https://www.schulministerium.nrw/system/files/media/document/file/quantita_2020.pdf

6   VBE – E[LAA]N Nr. 77/2021
Um es bildlich zu beschreiben: Die ersten Kilometer des
     Weges sind wir als Gesellschaft und als Teile des Bildungs-   Inklusion ist eine gesamtgesellschaftliche
     systems gegangen. Auch haben wir schon einige Höhen-
                                                                    Aufgabe auf vielen Ebenen, die sich nicht
     meter gemacht. Die Alpen haben wir aber noch lange nicht
     überquert. Das Gelingen der Inklusion hängt von vielen          nur auf Menschen mit Behinderungen
     Faktoren ab. Dazu gehört neben der personellen und sach-
     lichen Ausstattung der Schulen auch die landesweite Qua-
                                                                      beschränken darf und der wir uns in
     lifizierung aller Lehrkräfte durch verpflichtende sonderpä-     rechtlicher, materieller, geistiger und
     dagogische Inhalte in Aus- und Fortbildung. Alle Lehrkräfte
     müssen zur Zusammenarbeit untereinander und mit den
                                                                     philosophischer Weise stellen müssen.
     Eltern bereit sein.

                                Suna Rausch,                                     Erasmus Mehlmann,
      Sonderpädagogisches Referat VBE NRW,                               Sonderpädagogische Fraktion
                Sonderpädagogische Fraktion                                           VBE Bezirk Köln
                              VBE Bezirk Köln

DBV, Motiv Lehrerin, mit FM-Siegel und dbb Störer, E(LAA)N, ET 27.04./04.10.2021
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Interviews mit Lehrkräften

Robert Dittrich          Marcel Kremer           Inga Häfker               Sandra Rothe           Hans-Werner                Michelle
41 Jahre,                38 Jahre,               36 Jahre,                 41 Jahre,              Weber                      Vorberg
Realschullehrer          Quereinsteiger          Oberstudienrätin          Grundschullehrerin     64 Jahre,                  27 Jahre,
                         als Sonderpädagoge      an einem Gymnasium,                              Sonderpädagoge,            Gymnasiallehrerin
                         und Sek.-I-Lehrer an    unterrichtet ab Kl. 5                            unterrichtet seit          an einem Berufs­
                         einer Hauptschule       bis einschl. der Quali­                          11 Jahren an einer         kolleg
                                                 fika­tionsphase                                  Gesamtschule

                  Inga Häfker, GY                                              Hans-Werner Weber, GeS
              Inklusion bedeutet für mich, dass alle Kinder mit                Eine Schule für alle, ohne Stempel und Schublade.
              und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf ge-                    Ich habe an der Förderschule die Erfahrung gemacht,
             meinsam lernen und gleichzeitig gemeinsam von-                    dass sich die Schülerinnen und Schüler an der Schule stets
            einander lernen. Hierbei ist es mir wichtig, dass                 wohl fühlten, aber alle ausnahmslos ein Problem mit der
             Schülerinnen und Schüler mit einem Förderbe-                     Stigmatisierung hatten: „Ich bin an einer Sonderschule
              darf selbstverständlich gleichwertige Klassen-                 und an keiner normalen Schule.“
                  mitglieder sind.

                                                                                                         Michelle Vorberg, BK
                                                                                                         Inklusion bedeutet für mich in
                                                                                                          ers­ter Linie ein ganz wichtiges
            Sandra Rothe, GS                                                                              Recht auf soziale Teilhabe, das
             Eine Schule/Lernort für                     Was bedeutet                                      durch die UN-Konvention ab-
             alle Kinder, egal welche                                                                         gesichert ist. Inklusion ist die
            Voraus­setzungen
            sie mitbringen.
                                                           für dich                                           Anerkennung , dass jeder
                                                                                                              Mensch ungeachtet seiner
                                                         Inklusion?                                           individuellen Bedarfe ganz
                                                                                                          natürlich dazugehört. In der
                                                                                                    Schule bedeutet Inklusion für mich,
                                                                                                   dass jede Schülerin und jeder Schüler
                                                                                                     entsprechend der persönlichen Be-
                      Marcel Kremer, HS                                                                darfe und Möglichkeiten indivi-
                      Ganz allgemein bedeutet Inklusion für mich, das Andersar-                          duell gefördert wird.
                      tige als etwas Natürliches/Normales wahrzunehmen und
                     statt Probleme zu sehen lieber Wege zu finden, wie wir
                     alle gemeinsam gut zusammenleben können. Konkret auf                 Robert Dittrich, RS
                     die Schule bezogen bedeutet es aber auch eine große He-              Inklusion ist für mich eine Top-down-
                     rausforderung, getrieben von der richtigen Idee, aber teil-          Vorgabe der Bildungspolitik an die Schul-
                     weise sehr lückenhaft umgesetzt und somit noch einen                 praxis, mit der Aufforderung, die grund-
                     langen Weg, bis wir für alle bestmögliche Bedingungen                sätzlich richtige Idee des gemeinsamen
                      an allen Schulen herstellen können.                                Lernens in allen Schulformen schnellst-
                                                                                          möglich umzusetzen.

   8        VBE – E[LAA]N Nr. 77/2021
Inga Häfker, GY                            Hans-Werner Weber, GeS
   An meinem Gymnasium erle-                  Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf (aber auch viele andere,
  be ich schwerpunktmäßig den                 bei denen kein AO-SF zugrunde liegt) haben individuelle Befindlichkeiten, auf die in be-
  Umgang mit Kindern, die zwar                sonderem Maße einzugehen ist. Für die meisten gilt: ankommen, anfangen, durchhalten,
  einen sonderpädagogischen För-              bei Widerständen nicht aufgeben und eine Aufgabe zu Ende bringen. Dabei ist es zu-
  derbedarf haben, aber zielgleich            nächst unerheblich, ob sie lesen, schreiben, rechnen oder malen. Der Unterricht an einer
  unterrichtet werden. Somit wer-             allgemeinbildenden Schule ist jedoch sehr getaktet und fachorientiert, mit verschie-
   den wir an unserem Gymnasium               denen Lehrkräften. Das heißt, auf individuelle Befindlichkeiten des Kindes oder Jugend-
   aktuell nicht vor die komplexe             lichen kann gar nicht richtig eingegangen werden. Das Kind oder der Jugendliche ist
   Aufgabe der Inklusion zieldiffe-           vielleicht durchaus in der Lage, die Anforderungen des Unterrichtes zu bewältigen, aber
   renter Kinder gestellt.                    nicht unbedingt in der vorgegebenen Taktung des Stundenplans, der zu schreibenden
                                               Klassen- und Vergleichsarbeiten. Da ist die Förderschule viel flexibler und kann sich
                                               nach dem richten, was das Kind oder der Jugendliche gerade braucht. Mit anderen
   Sandra Rothe, GS                             Worten: das auf Bildungsabschlüsse streng curricular ausgerichtete allgemeine Schul-
  In den Grundschulen erlebe ich,               system ist für die individuellen Anforderungen des Kindes mit Förderbedarf zu unbe-
  dass wir viele besondere Kinder in               weglich. Am System Gesamtschule, und das gilt m. E. für alle allgemeinbildenden
  den Klassen haben. Sie kommen mit                Schulen, sind daher die Gelingensbedin-
  verschiedenen Vorerfahrungen, Ent-                gungen der Inklusion schwierig.
  wicklungsstufen, familiären Hinter-                                                                   Michelle Vorberg, BK
 gründen, Migrationshintergründen etc.                                                                 Hierfür ist es wichtig, die Struktur
 Diese Vielfalt ist Realität und bereichert                                                           des Berufskollegs zu verstehen. Das
 den Schulalltag in vielen Bereichen. Es                                                             Berufskolleg ist ein stark ausdifferen-
 gehört für mich unbedingt dazu, dass                    Wie                                        ziertes System, in welchem je nach
 jeder akzeptiert wird, wie er ist, und in                                                          Schwerpunkt eher die praxisorientierte
 seinen Besonderheiten unterstützt wird.
Dies ist leider nicht immer möglich und
                                                       erlebst du                               Ausbildung oder eher eine theoretische
                                                                                                Ausbildung mit dem Erwerb eines höher-
besonders die Kinder mit Förderschwer-
punkten wie Lernen oder emotional-so-
                                                       Inklusion                                wertigen Abschlusses möglich ist. Jede
                                                                                               Schülerin und jeder Schüler führt vorab ein
ziale Entwicklung erhalten aufgrund von
sehr viel Bürokratie und fehlendem
                                                   im Schulalltag?                             persönliches Beratungsgespräch, um daraus
                                                                                               den besten Bildungsgang zu ermitteln und
Fachpersonal erst viel zu spät oder zu                                                         ggf. benötigte Unterstützungsmaßnahmen
wenig Unterstützung, sodass manch-                                                            mit den Inklusionsbeauftragten zu bespre-
 mal ein Schulwechsel an eine För-                                                            chen. Bei Bedarf können auch zeitliche, tech-
  derschule unvermeidlich ist.                                                                nische, räumliche oder personelle Nachteils-
                                                                                                ausgleiche gewährt werden.

                                                         Robert Dittrich, RS
  Marcel Kremer, HS                                       Da diese Umsetzung ohne vorherige Aus- oder
  Im Rahmen meiner unterschiedlichen Ausbil-              Weiter­bildung der betroffenen Lehrkräfte in unserer Schule
  dungen und Tätigkeiten konnte ich einen brei-           erfolgte, wird die Inklusion bislang immer im Modus der Im-
  ten Eindruck verschiedenster Inklusionsmodel-           provisation umgesetzt. An der Improvisationsinklusion hat
 le kennenlernen. Diese reichten von „so gut              sich bis heute nicht viel geändert, obwohl mittlerweile Sonder-
 wie nicht vorhanden“ bis zu „individuelle Kon-           pädagoginnen und -pädagogen an unsere Schule gekommen
  zepte passgenau für alle Schülerinnen und               sind, um die Umsetzung zu professionalisieren. Allerdings kom-
  Schüler“. Im Endeffekt steht und fällt die In-          men diese von Förderschulen und müssen das Regelschulsystem
  klusion aber genau wie jeder Unterricht mit             erst kennenlernen. Das führt dazu, dass es streng genommen kei-
  dem Engagement der Lehrkraft. Diese wei-               nen echten Experten dafür gibt, Inklusion in der Regelschule umzu-
   terhin zu unterstützen und fortzubilden,              setzen. Denn auch die Sonderpädagoginnen und -pädagogen müs-
   sehe ich als elementar für Inklusion an.             sen Schritt für Schritt Neuland betreten.

                                                                                                            VBE – E[LAA]N Nr. 77/2021         9
Interviews mit Lehrkräften

      Inga Häfker, GY                                                     Hans-Werner Weber, GeS
     Während meiner Ausbildungszeit war ich überwiegend                   Im Studium gab es erste Ansätze von Integration im
     an einer Gesamtschule tätig und konnte einen Einblick in            Schulleben. Die integrativ beschulten Kinder und Ju-
      das zieldifferente Unterrichten bekommen. Meine Aus-               gendlichen waren aber so etwas wie eine geschlos-
       bildungslehrerinnen und Ausbildungslehrer haben                sene Gruppe im allgemeinen Schulsystem.
        mich dabei gut unterstützt, sowohl hinsichtlich der
        Differenzierung der Unterrichtsmaterialien als auch
        bei der Umsetzung im unterrichtlichen Kontext.

                                                  Konntest du dich
         Sandra Rothe, GS                   bereits in deiner Ausbildung
        Nein.
                                                    mit dem Thema
                                                  auseinandersetzen?
        Michelle Vorberg, BK
                                                     Wenn ja, wie?
       Da ich als Gymnasiallehrerin
       ausgebildet wurde, war mein
       Studium eher fachwissenschaft-
       lich ausgerichtet, sodass Inklusi-
       on ein Randthema darstellte. Erst
       im Verlauf des Referendariats ge-          Marcel Kremer, HS                      Robert Dittrich, RS
      wann das Thema Inklusion für                Inklusion ist inzwischen                Mit 25 Jahren habe ich, nach
      mich an Relevanz, da ich in einer          auch im Referendariat für                einer Ausbildung zum Indus-
      Inklusionsklasse mit zwei Schülern         Regelschulkräfte ein wich-               triekaufmann, angefangen, auf
      mit den Förderschwerpunkten                tiger Teilbereich und für ange-          Lehramt für Haupt-, Real- und
      Geistige Entwicklung und Lernen            hende Sonderpädagoginnen                  Gesamtschulen zu studieren.
      Deutsch unterrichtete. Vor allem           und Sonderpädagogen logi-                 Von Inklusion war damals nicht
      zu Beginn des Referendariats stell-        scherweise sowieso. In der Pla-           die Rede, eher von Kompetenz-
      te die Berücksichtigung der doch           nung der Unterrichtsstunden                 orientierung.
       sehr verschiedenen Bedarfe eine           hat Inklusion einen hohen Stel-
       Herausforderung dar. Es gelang           lenwer t. Neue Eindrücke und
       mir jedoch zunehmend, die Vor-           Ideen sammelt man durch Hospi-
       stellung meiner Stundenvarian-          tationen und externe Lehrveran-
       te zugunsten der Individualität         staltungen etwa an Förder- oder
       zu verändern.                           Projektschulen sowie anderen
                                               sozialen Einrichtungen.

10     VBE – E[LAA]N Nr. 77/2021
Interviews mit Lehrkräften

 Inga Häfker, GY                                            Hans-Werner Weber, GeS
 Ich würde mir wünschen, dass es während                   Ich wünsche mir eine besondere sonderpädagogische Sicht-
 der Ausbildung für alle Schulformen die Mög-              weise. Ich meine damit eine pädagogische Haltung, dass ein
 lichkeit gibt, einen Einblick in die verschie-             Kind mit Förderbedarf nicht einfach nur langsam ist und ein
 denen sonderpädagogischen Förderschwer-                     bisschen Unterstützung oder Förderunterricht benötigt,
 punkte zu bekommen. Hierbei wäre es hilfreich,              sondern die Einsicht, dass es bestimmte Dinge einfach
 wenn es Fortbildungs- bzw. Weiterbildungsan-                  nicht kann und andere als standardisierte Bildungs- und
 gebote für Lehrerkräfte gäbe, in denen auch                      Unterrichtsangebote benötigt.
  konkrete Unterrichtssituationen dargestellt
  werden und die sich am Bedarf der Schulen
  orientieren. Folglich hätten die Lehrer­
   innen und Lehrer eine andere Chance,
   auf die spezifischen Bedürfnisse der                                                        Michelle Vorberg, BK
   Kinder einzugehen und sich gleich-                                                          Offenheit gegenüber in-
    zeitig nicht mehr überfordert zu
    fühlen, welches an der einen
                                                 Was würdest                                   klusiven Konzepten bei al-
                                                                                              len Lehrenden. Ärzte wis-
     oder anderen Stelle immer
     wieder anklingt.
                                                 du dir für                                   sen am besten, was ihre
                                                                                              Klienten brauchen. Deshalb

                                             die Ausbildung/                                 wäre es hilfreich, wenn be-
                                                                                             reits ärztliche Atteste oder
   Sandra Rothe, GS
   Von Anfang an wäre es                       Fortbildung                                    Diagnosen mit entspre-
                                                                                               chenden Möglichkeiten
  hilfreich, auch als norma-                                                                      zum Nachteilsausgleich
  le Lehrkraft mehr Wissen                  von Lehrkräften                                       zur Verfügung ge-
  und Input zu bekommen.                                                                           stellt würden.
 Eine Art Grundbildung viel-                (und/oder anderen
 leicht. Man ist nach der Aus-
 bildung nicht darauf vorberei-
tet, mit Kindern umzugehen, die
                                                Professionen)
über Tische und Bänke gehen,
autistisch sind oder Ähnliches. Al-
                                               in Bezug auf das
leine zu erkennen, was das Kind
hat und braucht, ist besonders
                                              Thema wünschen?
für Berufseinsteiger schwierig.
Und man ist de facto die meiste
Zeit alleine im Klassenraum. Die
Unsicherheit ist da oft groß. Die
Einstellung von Sozialpädago-                                                         Robert Dittrich, RS
gen für die Schuleingangs-               Marcel Kremer, HS                             Ich würde mir wünschen, dass
 phase ist da sicherlich ein            Ich würde mir wünschen, dass Räu-               Sonder­pädagoginnen und -päda-
 Schritt in die richtige Rich-         me und Möglichkeiten geschaffen                  gogen in geringem Maße den Re-
 tung, um Unterstützung                werden, gute Ideen und Konzepte                   gelschulunterricht als Lehrkraft
  zu erfahren.                         auch umzusetzen. Hier sehe ich die Po-             kennenlernen und nicht nur in be-
                                      litik in der Pflicht. Aber auch regelmäßige         gleitender Funktion die Inklusion
                                      Auffrischung, Evaluation und Weiterent-             vorantreiben. Sie geraten manch-
                                      wicklung mit dem gesamten Kollegium                 mal in eine defensive Position,
                                       an Fortbildungstagen.                              wenn sie nur „mitlaufen“.

                                                                                                      VBE – E[LAA]N Nr. 77/2021   11
Interviews mit Lehrkräften

      Inga Häfker, GY                                          Hans-Werner Weber, GeS
     An den Gymnasien in NRW werden die Kinder                 Die Chancen sehe ich darin, dass die allermeisten Lehrkräfte hoch
     zukünftig hinsichtlich der sonderpädagogischen            engagiert und bereit sind, sich einer veränderten Schülerschaft zu
     Förderung zielgleich unterrichtet. Das Gymnasi-           stellen. Es bilden sich mehr und mehr individuelle Unterrichts-
      um kann durch die Schulkonferenz der Schul-              formen heraus, die den Kindern und Jugendlichen mit Förderbe-
       aufsichtsbehörde das Angebot unterbreiten               darf zunehmend gerechter werden. Ausreichendes Personal auch
       zieldifferentes Gemeinsames Lernen anzubie-             anderer Professionen (z. B. aus dem Bereich Musik, Kunst, Hand-
       ten. Dabei ist es wichtig, dass optimale Rah-           werk, Sport, Heilpädagogik) ist nötig, welches unterstützen oder
       menbedingungen, beispielsweise hinsichtlich              Angebote über den reinen Unterricht hinaus anbietet. Die gerade
       der Personalausstattung, der Berufsorientie-             neu eingestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im multi-
       rung, der Dauer der Beschulungsjahre, ge-                 professionellen Team sind hierbei ein guter Ansatz, aber nur der
       schaffen werden, um eine bestmögliche Schul-               berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Oft fehlen die räum-
       ausbildung gewährleisten zu können.                         lichen und personellen Ressourcen leider.

     Sandra Rothe, GS
     Ich empfinde es oft als sehr berei-
     chernd, Inklusionskinder in der Klas-
     se zu haben. Oft birgt der Umgang               Welche Chancen                                    Robert Dittrich, RS
     mit diesen Kindern große Chancen für
     das soziale Lernen der ganzen Klasse.             und Grenzen                                      Ich sehe die Chance,
                                                                                                        dass Inklusion an un-
     Toleranz, menschliche Vielfalt, Stärken                                                            serer Schule immer bes-
     hervorheben, Rücksicht nehmen, Grenzen              siehst du                                      ser umgesetzt wird. Aller-
     zeigen, Empathie und vieles mehr wird so                                                           dings nur eine Inklusion
     automatisch gelernt und ist so, so wichtig
     für uns alle. Die Grenzen liegen für mich
                                                       im Bezug auf                                     „light“ mit ausgewählten
                                                                                                        Förderschwerpunkten, die
     vor allem in den Ressourcen. Fehlendes
     Fachpersonal ist da die Hauptschwierig-
                                                       die inklusive                                    am besten zielgleich unter-
                                                                                                        richtet werden. Wir haben
     keit. Ohne besondere Unterstützung,
     auch durch entsprechende Räumlich-
                                                      Beschulung an                                     nicht die Infrastruktur und
                                                                                                        auch nicht das Personal
     keiten etc., ist es als Grundschullehrerin
     und -lehrer sehr schwer, guten inklusiven
                                                    deiner Schulform?                                  für alle Förderbedarfe.

     Unterricht zu bewerkstelligen und alle
      Kinder in ihren Möglichkeiten zu för-
       dern und zu unterstützen.

       Marcel Kremer, HS                                                  Michelle Vorberg, BK
      Durch die Schließung und Zusammenlegung vieler                      Als Chance sehe ich, dass es einen Fokus auf individu-
      Förderschulen sind viele Hauptschulen zu inoffiziellen              elle Förderung gibt, von dem alle Schülerinnen und
      neuen Förderschulen geworden. Mit den vorhandenen                   Schüler profitieren können. Ferner zeigt sich, dass die
      Lehrkräften, Mitteln und Räumen ist eine ähnlich effek-             Schülerinnen und Schüler basierend auf ihren eigenen
      tive Förderung aber kaum zu schaffen. So besteht an Re-             Mitwirkungspflichten selbstständig werden können. Au-
      gelschulen zwar die große Chance einer deutlich einfache-          ßerdem erleben die Lernenden Inklusion als gelebte
      ren und schnelleren Aufhebung des Förderschwerpunktes,             Selbstverständlichkeit. Einige Behinderungsbilder, wie z. B.
      gleichzeitig bleibt aber genau abzuwägen, für welche              eine Autismus-Spektrum-Störung, erfordern jedoch ein
      Schüler*innen ein klassisches Förderschulkonzept nicht            besonderes Augenmerk sowie eine Beratung, z. B. bei der
       der bessere Weg für die individuelle Entwicklung ist.             Wahl des Praktikums.

12   VBE – E[LAA]N Nr. 77/2021
Interviews mit weiteren Professionen
                                                                  Was würdest du dir für die Aus­bildung/
                   Jana Bresch,
                   26 Jahre,
                                                                  Fortbildung von Lehrkräften (und/oder
                   LAA Grundschule                                  anderen Professionen) in Bezug auf
                                                                           das Thema wünschen?
                                                                Ich würde mir wünschen, dass viel mehr Austausch statt-
                                                                findet – auch berufsfeldübergreifend und auch mit Eltern.
      Was bedeutet für dich Inklusion?
                                                                Ich kenne viele, die Inklusion zwar gut finden, aber Angst
Für mich bedeutet Inklusion, dass die Vielfalt aller Menschen   haben, etwas falsch zu machen oder einfach nicht wissen,
wertgeschätzt und gefördert wird. Viele Definitionen spre-      wie man das eigentlich macht. Auch kleinere Klassen und
chen davon, behinderte Menschen gleichzustellen und nicht       Doppelbesetzungen können dazu führen, dass viel besser
zu benachteiligen. Aber allein die Unterscheidung in behin-     auf Schülerinnen und Schüler eingegangen werden kann
dert und nicht behindert widerspricht dem Gedanken der          und somit Inklusion besser funktionieren kann.
Inklusion. Jeder Mensch ist einzigartig, hat Schwächen und
Stärken. ALLE jedoch zu akzeptieren, respektieren und wert-
zuschätzen ist Inklusion.
                                                                  Welche Chancen und Grenzen siehst du
                                                                  in Bezug auf die inklusive Beschulung
                                                                          an deiner Schulform?
 Wie erlebst du Inklusion im Schulalltag?
                                                                Ich bin der Meinung, dass Grundschule eine sehr gute Aus-
Inklusion im Schulalltag findet bei jeder Differenzierung, in   gangslage für Inklusion hat, da Schülerinnen und Schüler
jedem Unterricht und in jedem Gespräch statt. Es gibt wun-      in diesem Alter noch viel offener und toleranter sein kön-
dervolle Menschen, die sehr viel dafür tun, dass die Beson-     nen. Gleichzeitig müssen jedoch das System und die Er-
derheiten jeder Person wertgeschätzt werden. Und doch           wachsenen genau dies unterstützen und nicht aufgrund
gibt es ebenso noch sehr viel Potenzial nach oben. Verschie-    von Personalmangel, Vorschriften, Ängsten oder anderen
dene Perspektiven zu entdecken und in einen Austausch zu        Schwierigkeiten Selektion und Gleichheit fördern, sondern
kommen, ist dabei meiner Meinung nach sehr wichtig und          Individualität, Toleranz und Respekt für alle.
das kommt noch viel zu kurz.

    Kannst du dich in deiner Ausbildung
       (Studium/ZfsL) mit dem Thema
     auseinandersetzen? Wenn ja, wie?
Es gibt sehr viele Berührungspunkte mit dem Thema Inklu-
sion in Schule, Uni und ZfsL und viele Beteiligte geben sich
große Mühe. Dennoch ist das Wissen oft nur angelesen, aus
zweiter Hand oder nicht erprobt, da Inklusion in Schule nur
selten 100%ig gelebt wird. Von der Erfahrung anderer zu
profitieren ist hier meiner Meinung nach richtig, und die
Entwicklung dahingehend, das Thema Inklusion zu vermit-
teln, ist richtig, wichtig und auf einem guten Weg.

                                                                                                      VBE – E[LAA]N Nr. 77/2021   13
Interviews mit weiteren Professionen
                          Jana Simon,
                          24 Jahre, Studentin im 8. Semester,                  Was würdest du dir für
                          Lehramt für Haupt-, Real- und                  das Studium in Bezug auf das Thema
                          Gesamtschulen
                                                                           schulische Inklusion wünschen?
                                                                     Generell würde ich mir wünschen, dass auch im Bachelorstu-
                                                                     dium schon das Thema Inklusion für jeden verpflichtend ist.

            Was bedeutet für dich Inklusion?                         Mindestens eine Veranstaltung pro Studienfach wäre ange-
                                                                     messen, um uns wenigstens ein bisschen auf das Thema
     Inklusion bedeutet für mich, dass jede/-er individuell ver-     vorzubereiten und uns zu sensibilisieren. Darüber hinaus
     schieden sein darf und dass niemand ausgeschlossen wird.        wäre es wichtig, dass in jedem Fach das Thema Inklusion
     Es bedeutet für mich, dass auf jedes Kind individuell ge-       bezogen auf Inhalte und Methoden Berücksichtigung findet.
     schaut wird und gemeinsam beobachtet wird, wie man das          Neben dem Orientierungspraktikum gibt es noch das Be-
     Kind bestmöglich fordern und fördern kann. Inklusion            rufsfeldpraktikum. Eines davon müsste an einem Ort absol-
     bringt uns alle ein Stückchen näher.                            viert werden, an dem inklusiv gearbeitet wird.

              Erlebst du Inklusion im Alltag                              Hast du im Studium praktische
                       an der Uni?                                    Erfahrungen (Praktikum oder ähnliches)
     Im Alltag an der Uni habe ich das Gefühl, dass immer mehr
                                                                          mit dem Thema machen können?
     Inklusion stattfindet und die Menschen dafür auch sensibi-      Ich durfte mein Orientierungspraktikum an einer GL-Schule
     lisiert werden. Im Bereich bauliche Maßnahmen wie Bar­          absolvieren und bin für diese Erfahrung sehr dankbar. Ich
     rierefreiheit gelingt es der Uni schon, eine inklusive Atmos­   fand es sehr schön zu beobachten, dass es zwischen den
     phäre zu schaffen. An der Universität, an der ich studiere,     Kindern keine Unterschiede gab. Die Kinder haben sich un-
     gibt es auch eine Beratung und Unterstützung für Men-           tereinander so respektiert und angenommen, wie sie sind.
     schen mit Behinderung und chronischen Krankheiten. Hier         Diese Schule hatte aber auch ausreichende personelle und
     finde ich es sehr gut, dass auch auf Menschen mit psychi-       sachliche Ausstattung.
     schen Krankheiten geachtet wird. Oft werden diese Krank-        Ich habe lange einen Jungen mit Downsyndrom begleiten
     heiten nicht berücksichtigt und unterschätzt.                   dürfen. Er fühlte sich sehr wohl in einem inklusiven Kinder-
                                                                     garten. Als es dann zur Schulauswahl kam, haben sich die
                                                                     Eltern schließlich doch für eine Förderschule entschieden.
                 Wie wird das Thema der                              Dort fühlte er sich sehr wohl, hatte viele Freunde gefunden
                schulischen Inklusion im                             und Spaß am Unterricht. An einer GL-Schule mit ausrei-
             Lehramtsstudium aufgegriffen?                           chender personeller und sachlicher Ausstattung wäre dies
                                                                     vermutlich auch möglich gewesen. Oft fehlt es aber genau
     In meinem Bachelorstudiengang kommt das Thema Inklu-            daran und daher sind GL-Schulen nicht immer für alle Kin-
     sion zu kurz. Es gibt immer mal wieder einzelne Kurse, die      der geeignet.
     man zu dem Thema besuchen kann, wovon aber keiner
     verpflichtend ist. Im Masterstudiengang wird das Thema
     Inklusion ein bisschen konkretisiert und es werden dazu
     auch Kurse angeboten. Generell muss man sich die Veran-
     staltungen zum Thema Inklusion eher selbst heraussuchen
     und aus eigenem Interesse teilnehmen, da es keinen festen
     Platz im Studienverlaufsplan hat.

14   VBE – E[LAA]N Nr. 77/2021
Interviews mit weiteren Professionen
                    Nicole Böddeker,                              konkret wählen. Das Arbeitsfeld Inklusion in der Schule
                    45 Jahre,                                     wurde hier nicht speziell behandelt bzw. thematisiert. Hier
                    seit 2005 Diplom-Sozialpädagogin              sollte noch dringend im Bereich der Sozialen Arbeit und
                    in der Schuleingangsphase                     auch im Lehramtsstudium nachgebessert werden.

                                                                       Was sind deine Aufgaben an Schule
      Was bedeutet für dich Inklusion?                                 in Bezug auf das Thema Inklusion?
Inklusion bedeutet für mich, dass jeder Mensch mit seinen         Um die Ressourcen zu bündeln, haben wir ein pädago-
individuellen Stärken und Schwächen angenommen wird. Es           gisches Team verschiedener Professionen gebildet und eine
ist ganz normal verschieden zu sein. Alle haben das gleiche       pädagogische Fachkonferenz ins Leben gerufen.
Recht auf aktive Teilhabe in Schule und Gesellschaft. Schulen     Die Schulleitung, die Sonderpädagoginnen und -pädagogen
müssen personell und materiell so ausgestattet sein, dass         und ich sind für den Übergang vom Kindergarten zur Schu-
Kinder mit besonderen Bedarfen gemeinsam mit anderen              le zuständig. Ich habe ein gut funktionierendes Netzwerk
gut lernen können. Für mich ist ein Teilziel der Inklusion er-    und führe gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen
reicht, wenn jeder akzeptiert wird, wie er ist und wir vom        die Elterngespräche. Wir stellen gemeinsam die Klassen
defizitären Blick zunehmend zum kompetenzorientierten             zusammen. Ich lerne die Kinder kennen und unterstütze die
Blick kommen. Eine bunte Gesellschaft ist richtig und wichtig!    Kinder und Kolleginnen/Kollegen in den ersten und zwei-
                                                                  ten Klassen. Ein weiterer Schwerpunkt meiner Arbeit ist die
                                                                  Förderung basaler Fähigkeiten und Fertigkeiten der Kinder
Wie erlebst du Inklusion im Schullalltag?                         und deren sozial-emotionale Förderung und Unterstützung
                                                                  im Unterricht.
Wir arbeiten bei uns an der Schule größtenteils auf Augen-
höhe mit allen anderen Professionen zusammen. Das erlebe
ich als sehr bereichernd. Für mich ist es wichtig, professions-            Was würdest du dir für die
spezifisch und nicht nur als Feuerwehr eingesetzt zu werden.            Ausbildung/Fortbildung in Bezug
Leider sind die Klassen häufig viel zu groß und Lehrerkräfte,
                                                                           auf das Thema wünschen?
Sonderpädagoginnen/Sonderpädagogen, Diplom-Sozialpä-
dagoginnen/Diplom-Sozialpädagogen in der Schuleingangs-           Ich würde mir wünschen, dass das Thema fest verankert wird
phase, MPTs und Schulsozialarbeiterinnen/Schulsozialarbei-        in allen Ausbildungen bzw. im Studium. Einen Einblick/Über-
ter sind leider Mangelware. Das führt dazu, dass man den          blick zu den einzelnen Förderschwerpunkten wäre auch hilf-
Kindern häufig nicht gerecht werden kann, die wenigen Son-        reich gewesen. Die einzelnen Akteure benötigen auch eine
derpädagoginnen und Sonderpädagogen oft an mehreren               Fachberatung im Schulamt. Gerade wenn man viele neue
Schulen eingesetzt werden müssen und die Klassenlehr­             Kolleginnen und Kollegen einstellt, sollten die Bezirksregie-
kräfte irgendwann mit den Kräften am Ende sind. Dieser            rungen entsprechende Fortbildungen anbieten.
Zustand muss sich dringend ändern.

                                                                    Welche Chancen und Grenzen siehst du
      Konntest du dich bereits in deiner                            im Bezug auf die inklusive Beschulung
          Ausbildung mit dem Thema                                          an deiner Schulform?
      auseinandersetzen? Wenn ja, wie?                            Die große Chance sehe ich darin, dass die Kinder voneinan-
Inklusion ist Mehrwert und insgesamt richtig wichtig. Un-         der und miteinander Lernen.
sere Ausbildung zeichnet aus, dass im Studium die Grund-          Grenzen finden sich bei der personellen und materiellen
haltung gegenüber dem Thema Inklusion gelegt worden               Ausstattung und im pädagogischen Bereich, wenn es um
ist. Diese innere Haltung ist ein wichtiges Fundament             Selbst- und Fremdgefährdung geht oder wenn es im Be-
meines beruflichen Handelns. Was etwas zu kurz kam, ist           reich Lernen für das Kind schwierig wird. Auch wenn Kinder
ehrlich gesagt die konkrete Ausgestaltung des Themas. Es          das Gefühl haben oder bekommen, dass sie das an der Re-
gab eine Vertiefung zum Thema Heilpädagogik und Behin-            gelschule nicht schaffen, muss man gemeinsam gut über-
derungen im Studium, aber das musste man dann schon               legen, was für das Kind die beste Lösung ist.

                                                                                                        VBE – E[LAA]N Nr. 77/2021   15
Interviews mit weiteren Professionen
                          Astrid Petry,
                          53 Jahre,                                  Welche besonderen Heraus­forderungen
                          Sonderpädagogin,                                        sehen Sie?
                          Dezernentin Realschulen
                                                                    In der Primarstufe haben wir große Herausforderungen
                                                                    beim Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwick-
                                                                    lung durch die teilweise sehr hohe Impulsivität der Schüle-

             Was bedeutet für Sie Inklusion?                        rinnen und Schüler. In der weiterführenden Schule gibt es
                                                                    noch Fragen, auf die uns noch Antworten fehlen im Förder-
     Schulische Inklusion bedeutet für mich, dass alle am Schul-    schwerpunkt GG. Als Schlaglichter seien hier die Peergroup-
     leben Beteiligten möglichst barrierefrei am Schulleben teil-   Problematik und die Vereinzelung genannt. Im Förder-
     nehmen können. Dies gilt für alle gesellschaftliche Themen     schwerpunkt Lernen sind die Realschulen vor besondere
     wie z. B. „Bildung“, „Gender/Diversität“ und „Sprache“ glei-   Herausforderungen gestellt, wenn z. B. Regelschülerinnen
     chermaßen. Es geht hierbei aber nicht um ein „Gleichset-       und Regelschüler, die die Ziele der Erprobungsstufe nicht
     zen“ sondern darum, dem Individuum bezogen auf seine           erreichen, an eine Hauptschule gehen, die zieldifferent ge-
     legitimen Bedarfe gerecht zu werden und die passenden          förderten Schülerinnen und Schüler aber im System bleiben.
     Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen. Einer meiner Leit-      Das Prinzip des Anspruchs auf eine gewisse Leistungshomo-
     sprüche im Kontext Inklusion heißt: „Zielgleich heißt nicht    genität, dass durch die Versetzungsordnung geschaffen
     wegegleich und zieldifferent heißt nicht ziellos“.             wird, wird durch die Beschulung im Bildungsgang „Lernen“
                                                                    erst einmal irritiert. Eine weitere Herausforderung ist, dass
                                                                    die Eltern oft die sogenannte Behinderungsverarbeitung
           Wie beurteilen Sie die Entwicklung                       nicht so intensiv erleben, da die Zäsur beispielsweise beim
           der inklusiven Beschulung in den                         Bildungsgangwechsel gar nicht so deutlich wird. Des Weite-
              verschiedenen Schulformen?                            ren herrschen auch viele Sprachbarrieren zwischen Eltern
                                                                    und Schule. Die Schule ist für Eltern oft eine Blackbox und
     Ich glaube, wir sind nach der „Zeit der Abwehr“ und des        sie erhalten die meisten Informationen durch ihr Kind.
     „Durchschreitens des Tals der Tränen“ (vergleiche Phasen
     des Changemanagements) in allen Schulformen auf einem          Wenn das Kind nun eine andere Wahrnehmung als die Lehr-
     guten Weg zu einem neuen Selbstverständnis. Die meisten        kraft hat, was eigentlich in der Natur der Sache liegt, bei
     Schulen haben sich schon lange auf den Weg gemacht. Die        Schülerinnen und Schülern mit Wahrnehmungsstörungen
     Grundschulen wurden beispielsweise viel früher in den GL-      aber selbstverständlich verstärkt zutage tritt, kommt es
     Status versetzt als die Realschulen. Und des Weiteren muss     fast zwangsläufig zu Missverständnissen. Hinzu kommen
     festgehalten werden, dass, wie es in der Inklusion halt ist,   auch immer öfter Sprachbarrieren, die kulturell bedingt,
     nicht jede Schulform die gleichen Bedarfe hat. Auch hier       aber auch abhängig von den Lebensumständen sind. Eltern
     muss es heißen, „zielgleich heißt nicht wegegleich“. Die       erwarten einen individuellen Blick auf das eigene Kind. Sie
     Gesamtschule beispielsweise scheint durch das Angebot          führen sich nicht vor Augen, dass eine Fachlehrkraft an ei-
     der vielen Bildungsgänge und dem Primat der Versetzung         ner weiterführenden Schule mit ca. 120 Schülerinnen und
     – was bedeutet, dass jede Schülerin und jeder Schüler bis      Schülern täglich im Unterrichtskontakt ist. Bei Lehrkräften
     zur 9. Klasse unabhängig von den Leistungen zu versetzen       mit Fächern, die nur einstündig unterrichtet werden, steigt
     ist – vermeintlich perfekte Voraussetzung zu haben. Aller-     die Zahl auch auf bis zu 180 Schülerinnen und Schüler. Des-
     dings sind diese Schulen meist sehr groß und stehen damit      halb ist der gemeinsame Blick der Lehrerinnen und Lehrer
     vor anderen Herausforderungen als Haupt- oder Realschu-        und die gemeinsame Förderplanung aller, die mit dem Kind
     len, wo oft noch ein familiärer Umgang miteinander             arbeiten, von so enormer Bedeutung. Hier sind wir bei der
     herrscht und jede Einzelne und jeder Einzelne auch von der     nächsten Herausforderung.
     Schulleitung besser gesehen werden kann.

16   VBE – E[LAA]N Nr. 77/2021
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