STRA E INS NICHTS Angefangen, aber niemals fertig gebaut: Hinter dem Nordcampus liegt eine Geisterstraße. Kurt enträtselt mysteriöse Orte an der ...
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APRIL 2020 Studierendenmagazin für Dortmund STRAẞE INS NICHTS Angefangen, aber niemals fertig gebaut: Hinter dem Nordcampus liegt eine Geisterstraße. Kurt enträtselt mysteriöse Orte an der Uni.
Eins vorab Bambus- statt Einwegbecher, Glas- statt Plastikflaschen und Waschnüsse statt Waschmittel. Die Verheißungen für mehr Umweltschutz sind man- nigfaltig. Kurt erklärt, was sie tat- sächlich bringen. 8 TEXTANTONIA RÜLLER FOTODANIELA ARNDT L iebe Leser*innen, so häufig haben wir uns schon längere Semesterferien gewünscht. Denn meist sind wir mit Hausarbeiten und Klausuren gerade fertig und schon geht das neue Semester wieder los. Jetzt heißt es erst einmal Zwangspause: keine Vorlesungen, keine Seminare und die Uni dürfen wir nicht mehr betreten. Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. Auf einmal wird mir das Privileg, studieren zu dürfen, viel bewusster. Denn selbst wenn ich manch- mal das Gefühl habe, wir würden an der Uni gar nichts lernen, bin ich sehr froh, dass ich studiere. Vor der Corona-Krise hat sich unser Autor Daniel Böhne die Frage nach dem 20 Manchmal hat Kurt das Sinn des Studiums gestellt. Die Ökonomie liefert ihm eine Antwort: War- um es so wichtig ist, den Abschluss zu machen, sogar wenn man nichts im Gefühl, dass alle nur noch Studium lernt, lest ihr ab Seite 16. Für manche war in ihrem Studium der vegetarisch essen. Tat- Auslandsaufenthalt der größte Lerneffekt. Oder das Work-and-Travel-Jahr in sächlich ist Fleisch nach Australien vor dem Studium, bei dem sie das erste Mal auf sich allein gestellt waren. Wenn unsere Autorin Rika Kulschewski von ihren Auslands-erfahrun- wie vor sehr beliebt. Das gen erzählt, kommt ihr vor allem eines entgegen – ein Haufen Vorurteile. Mit Problem: Kaum jemand will denen räumt sie in ihrem Kommentar auf Seite 26 auf. Metzger*in werden. Obwohl wir derzeit unseren Alltag umstellen müssen, gibt es einiges, was wir 28 tun können. Vielleicht wirklich einmal rechtzeitig anfangen, für Klausuren zu lernen. Die wurden ja nur verschoben. Ich nehme es mir auf jeden Fall vor – so wie jedes Semester. Für die Wartezeit haben wir euch als Ablenkung ein paar Geschichten ohne Corona zusammengestellt. Natürlich alles kurz vor Was haben eine Gleitsichtbrille, ein dem Lockdown recherchiert. Cerankochfeld und Babynahrung miteinander zu tun? Raumfahrtfor- Viel Spaß beim Lesen. schung prägt diese Produkte. Eine Weltraumforscherin erklärt, wie viel All in unserem Alltag steckt.
Inhalt 4 MOMENTE In einem Land vor Kurts Zeit 8 ALLES GRETA ODER WAS? Bioplastik und Co. – was der Umwelt wirklich hilft 12 VERBORGENE ORTE AN DER TU An diese Stellen kommen Studierende selten 16 HÖRT IHR DIE SIGNALE? Auch ohne Lerneffekt soll ein Uni-Abschluss helfen 19 SAG MAL, PROF …? Warum soll ich Alkohol und Schmerzmittel nicht mischen? 20 KEIN RINDERSPIEL Vielen Fleischereien fehlt der Nachwuchs 25 HIER GEHT'S UM DIE WURST Wie kann man jemand so kross vermissen? 26 LOST IN TRANSLATION Unsere Autorin kämpft gegen Kritik am Auslandsjahr 28 VÖLLIG LOSGELÖST Wo Weltraumtechnik im Alltag zu finden ist 31 KURTS MITTEILUNG Für bessere Mülltrennung im Studierendenwohnheim 32 »UND DANN HALT FICKEN« Eine Nacht in Düsseldorfs Stricherszene 37 KURT DAHEIM Kulturgebiet Ruhrgebiet: Klopapier und Manta 38 KURTS TRIP Der beste Blick übers Revier 39 IMPRESSUM Wer was wann wie gemacht hat und Rätsel FOTODANIELA ARNDT, MAGNUS TERHORST & NASA COVERFOTODANIELA ARNDT
⁄ ⁄ MOMENTE Noch älter als Oma Was die Wissenschaftler*innen in Jurassic Park können, kann Kurt schon lange: Wir haben Dinos und Flugsau- rier zum Leben erweckt – übrigens ganz ohne fossiles Blut, DNA-Sequenzierung und all das komplizierte Zeug. Alles, was wir brauchten, war eine große Kiste Spielzeug-Dinos und eine Kamera. Und ein bisschen Zeit. FOTODANIELA ARNDT
GRÜNER WIRD‘S NICHT Ob Bambusbecher, Bioplastik oder Kokosöl: Ökologische Produkte liegen im Trend. Sind diese Alternativen wirklich so nachhaltig, wie wir glauben? Philip Heldt von der Verbraucherzentrale NRW klärt für Kurt fünf Umweltmythen auf. TEXTROBIN VORNHOLZ FOTODANIELA ARNDT & BUFKA STOCK.ADOBE.COM Mythos 1 geeignet“, sagt Philip Heldt von der Ver- Der Bambusbecher braucherzentrale NRW. J ährlich werden in Deutschland fast drei Milliarden Coffee-to-go-Becher benutzt. Ob aus Papier mit Kunst- stoff beschichtung oder aus reinem Plastik, die Herstellung der Becher ver- In fast allen Bechern wurden die gesetz- lichen Richtwerte für Melamin in Bam- busbechern überschritten. Das haben die Stiftung Warentest 2019 und das Chemi- sche und Veterinär-Untersuchungsamt braucht viel Energie. Schon nach kurzer Stuttgart bereits 2018 herausgefunden. Zeit landen sie im Müll. Die vermeintli- Fast immer trat zu viel Kunststoff in die che Lösung: Mehrweg-Becher aus Bam- enthaltene Flüssigkeit aus. bus. Der Rohstoff wächst sehr schnell und ist besonders widerstandsfähig. „Ein weiteres Problem ist die irrefüh- rende Werbung. Die Becher sind nicht Das Problem: Die natürlichen Bestand- wie angegeben zu 100 Prozent abbau- teile wie kleingemahlenes Bambusholz- bar, sie werden nicht einmal wieder- pulver und Maisstärke werden nur als verwertet“, sagt Heldt. „Melamin lässt Füllstoff verwendet. Zusätzlich geben sich nur schlecht recyceln und fällt in so die Hersteller den Kunststoff Melamin geringen Mengen an, dass sich das Aus- dazu, der den Becher in Form halten sortieren und Umsetzen in Recycling- soll. Melamin ist nicht hitzebeständig. fabriken gar nicht lohnt. Das heißt, der Partikel lösen sich aus dem Becher und Becher geht in den Restmüll und wird vermischen sich zum Beispiel mit Kaf- dann verbrannt.“ fee oder Tee. Als Alternative schlägt Heldt Porzellan- Das ist gefährlich, weil Melamin unter oder Edelstahlbecher vor: „Bei diesen anderem in Formaldehyd zerfällt, das Materialien findet kein Stoffaustausch krebserregend ist. In größeren Mengen statt.“ Wem diese Becher zu schwer sind, können Melaminpartikel außerdem zu der kann Kunststoff becher aus Polypro- Nierenschäden führen. „Für Heißge- pylen nehmen. Diese eignen sich für tränke sind die Becher eigentlich nicht Heißgetränke, sagt Heldt. 8
Mythos 2 Dazu kommt es nicht: Der Müll wird Erdöl hergestellt, das keine erneuerba- Der Biokunststoff früher weiterverarbeitet. Außerdem re Ressource ist. Und auch Biokunst- lassen sich die Biotüten nicht von stoffe können zum Teil aus fossilen Plastik ist nicht biologisch abbaubar. normalen Plastiktüten unterscheiden, Rohstoffen wie Erdöl hergestellt sein. In Form von Mikropartikeln gelangt sodass die Maschinen sie in den Rest- es häufig in den Boden und das Grund- müll aussortieren. Wegen der gerin- Trotzdem dürfen die Tüten als bio wasser. Biokunststoffe sollen hingegen gen Menge lohnt sich Recycling nicht. beworben werden. „Bio ist nur für Le- abbaubar sein. Die Tüten werden also verbrannt. Die bensmittel ein geschützter Begriff “, Entsorgung Dortmund GmbH weist sagt Heldt. „Wir versuchen, ihn auch in Produkte wie zum Beispiel Mülltüten deshalb darauf hin, sie direkt im Rest- anderen Bereichen gesetzlich schützen können biobasiert sein. Das bedeutet, abfall und nicht in der Biotonne zu zu lassen, damit es Auflagen gibt, die dass sie aus nachwachsenden Materia- entsorgen. Reguläres Plastik wird aus dafür erfüllt werden müssen.“ lien wie Maisstärke hergestellt werden. Um die Rohstoffe herzustellen, werden allerdings meist Dünger und Pestizide verwendet. Die Produktion der Tüten verbraucht außerdem viel Energie, die beim Verrotten verloren geht. „Die Ökobilanz ist damit nicht besser als die einer normalen Plastiktüte“, sagt Heldt. Biokunststoff kann außerdem bedeu- ten, dass er kompostierbar ist. Das heißt aber nicht, dass Tüten aus Biokunststoff auf einem Komposthaufen zerfallen. Nach EU-Norm bedeutet kompostier- bar, dass die Tüten nach spätestens 90 Tagen in einer industriellen Kompos- tierungsanlage zu 90 Prozent abgebaut sein müssen. UNSER EXPERTE Philip Heldt ist Ökotoxikologe bei der Verbraucherzentrale Nordrhein- Westfalen in Düsseldorf. Als solcher kennt er sich mit Umweltgiften und ih- ren Wirkungen aus. Die Verbraucher- zentralen sind gemeinnützige Ver- eine, die sich mit Verbraucherschutz beschäftigen. Wer sich beim Wechsel des Stromanbieters unsicher ist oder Fragen zur Mieterhöhung hat, kann sich dort an die Mitarbeiter*innen wenden. Heldt gehört zur Gruppe Umwelt und Nachhaltigkeit, in der er sich hauptsächlich mit Ressourcen- schutz beschäftigt.
Mythos 3 benötigt wird. „Außerdem verdienen Die Glasflasche die Händler mehr bei den Flaschen, die nicht zurückgegeben werden, am Pfand- Eine PET-Flasche braucht bis zu 450 schlupf“, sagt Heldt. Das Pfand beträgt Jahre, bis sie zerrieben ist. Herstellung, 8 Cent bei Glas-Mehrwegflaschen und Transport und Verkauf von 1000 Litern 15 Cent bei PET-Mehrwegflaschen. Bei Getränken in PET-Einwegflaschen ver- Einwegflaschen sind es 25 Cent. Dieser ursachen etwa 139 Kilogramm CO2- höhere Betrag soll dazu führen, dass Emissionen – so viel wie eine Autofahrt Kund*innen häufiger Mehrwegflaschen von Dortmund nach Wien. Glasflaschen kaufen. Stattdessen hat es den gegentei- gelten als Alternative zu Plastik. ligen Effekt: Die Händler kaufen mehr Einwegflaschen, um beim Pfandschlupf Es gibt Mehr- und Einwegflaschen. mehr Geld zu verdienen. Mehrwegflaschen werden gespült und neu befüllt. Das kann bei einer Glasfla- „In den meisten Fällen ist Mehrweg sche bis zu 50 Mal sein, PET-Flaschen besser als Einweg“, sagt Heldt. „Ob PET lassen sich bis zu 25 Mal neu befüllen. oder Glas, entscheidet sich nach der Einweg, sowohl Plastik als auch Glas, Länge des Transports.“ Je weiter die Fla- wird nach einmaliger Verwendung ge- schen transportiert werden, umso öko- schreddert oder eingeschmolzen und logischer wird die PET-Flasche durch dann neu hergestellt. Durch den hohen ihr leichteres Gewicht. Ab ungefähr 50 Energieverbrauch beim Einschmelzen Kilometern Transport schneidet sie der Flaschen haben Glas-Einwegfla- besser ab als die Glas-Mehrwegflasche. schen die höchsten CO2-Emissionsra- Mythos 4 ten. Sie schneiden also schlechter ab. Heldt sagt: „Am besten ist Wasser aus Die Waschnuss der Leitung. Wenn wir in Deutschland Mittlerweile gibt es in fast allen Dis- das gesamte Mineralwasser durch Lei- Im Abwasser von Waschmaschinen countern nur noch Einwegflaschen. Sie tungswasser ersetzen würden, könnten befindet sich eine große Menge an En- lohnen sich finanziell für die Händler, wir das 600fache an CO2-Emissionen zymen, Tensiden, Bleichmitteln, Duft- weil weniger Logistikfläche für das Pfand einsparen.“ und weiteren Stoffen. Diese sorgen für die Wirkung der Waschmittel. „Zwar sind Kläranlagen darauf ausgerichtet, diese Stoffe herauszufiltern, das gelingt aber nicht immer komplett“, sagt Heldt. Kleine Anteile der Stoffe gelangen so in unsere Gewässer. Seit einigen Jah- ren werden deswegen Waschnüsse und -kastanien verkauft. In ihren Schalen befinden sich Saponine, natürlich vor- kommende Tenside. Tenside sind che- mische Verbindungen, die die Vermi- schung von zwei Stoffen erleichtern. In diesem Fall soll der Schmutz mit dem Wasser verbunden werden, um die Wä- sche zu reinigen. Die Leistung von Waschnüssen ist umstritten. Die Stiftung Warentest be- zeichnet sie sogar als „enttäuschend“. Flecken würden auf der Wäsche blei- ben und durch die fehlenden Bleich-
Mythos 5 auf, ob ihr gekauftes Kokosöl zertifiziert Das Kokosöl ist, also ob Nachhaltigkeitskriterien und gute Arbeitsbedingungen erfüllt Abgeholzter Regenwald, aussterbende werden. Bei Palmöl hingegen würde Tierarten und schlechte Arbeitsbedin- auf zertifiziertes Öl geachtet. Das er- gungen auf den Plantagen: Palmöl ist gab eine Analyse des WWF. „Wenn man in den vorigen Jahren so stark in Kritik Pflanzenöl aus guter Herkunft kauft, geraten, dass viele Käufer*innen es boy- also Bioöl, macht die Sorte wenig Un- kottierten. Kokosöl ist die vermeintli- terschied“, sagt Heldt. che Alternative, weil es umweltverträg- licher und gesünder sein soll. Das Hauptproblem besteht darin, dass Palmöl häufig als vermeintlicher „Auch wenn Kokosöl häufig als gesun- Biotreibstoff verbrannt wird. Würde des Superfood beworben wird, gibt es man darauf verzichten, müsste viel we- keine wissenschaftlichen Nachweise niger angepflanzt werden, erklärt Heldt. dazu, dass es gesünder ist als andere In der Kosmetik oder in Waschmitteln Öle“, sagt Heldt. Es ist außerdem nicht hingegen sind Palm- und Kokosöl uner- ökologischer als Palmöl: Kokospalmen, setzlich. Im Lebensmittelbereich wären aus denen das Kokosöl hergestellt wird, regionale Pflanzenöle wie Raps eine Al- benötigen das gleiche tropische Klima ternative. wie die Ölpalme, aus der Palmöl ge- macht wird. So müssen auch für Kokos- Das sieht Heldt kritisch. „Es ergibt kei- öl Regenwaldflächen abgeholzt werden. nen Sinn, das Ölproblem zu uns zu mittel ergraue weiße Wäsche sehr verlagern. Dann haben wir hier viele schnell. Die Nüsse seien nicht ökolo- Allerdings sind Kokospalmen nicht so Raps-Monokulturen, die mit Pestiziden gisch: Es sei davon auszugehen, dass ertragreich wie Ölpalmen. Das bedeu- besprüht werden“, sagt er. „Die Frage ist die verschmutzte Wäsche häufiger ge- tet: Eine größere Fläche wird für die nicht, ob wir Palmöl oder Kokosöl kaufen waschen oder schneller weggeworfen gleiche Menge Öl benötigt. Unterneh- sollten. Es geht darum, generell weniger und neu gekauft werden würde. Viele men achten außerdem häufig nicht dar- von beidem zu verwenden.“ Öko-Blogger*innen berichten dagegen von guten Waschergebnissen. Heldt erklärt: „Waschnüsse benutzen nur einfache Tenside, damit kann man keine umfassende Waschleistung errei- chen. Für leicht verschmutze Wäsche funktionieren sie. Dann stellt sich al- lerdings die Frage, ob diese überhaupt gewaschen werden muss.“ Wer Waschnüsse ausprobieren möchte, sollte lieber Kastanien aus dem Garten sammeln. Ursprünglich kommen die Waschnüsse nämlich aus Indien, wo in den vergangenen Jahren die Preise stark angestiegen sind. Die dortige Be- völkerung kann sich die Nüsse so nicht mehr leisten und verwendet stattdes- sen sehr giftige, chemische Stoffe, die von den Kläranlagen nicht ausgefiltert werden können. Dazu kommt der lange Transportweg nach Deutschland.
Der Mathetower Ausblick nur mit Genehmigung SOWAS HASTE ü ber dem Campus muss die Frei- heit wohl grenzenlos sein – zu- mindest für alle, die keine Hö- NOCH NICHT henangst haben. Das Mathetower-Dach bietet eine gute Sicht auf den Campus und Dortmund, in der Ferne sind sogar GESEHEN die Kraftwerke in Hamm-Uentrop und Datteln zu sehen. 44 Meter über dem Boden sieht die Welt aus wie ein Mini- aturwunderland. Warum führt die Universitätsstraße eigentlich ins Nichts? Eva Risse hat keine Höhenangst. Die Und welchen Ausblick bietet das Dach des Mathetowers? Dachdeckermeisterin gehört zur Bau- Unsere Autorin hat es herausgefunden und dabei abteilung im Dezernat 6 der Universi- Orte an der TU Dortmund entdeckt, die Studierenden tät. Die Mitarbeiter*innen kümmern normalerweise verborgen bleiben. sich um kleine Umbauten, montieren Whiteboards oder renovieren Büros. TEXTANNA LENA LIPKA FOTODANIELA ARNDT, SIMON JOST & MAGNUS TERHORST Risse ist für die Dächer zuständig. Oben können sich Blätter sammeln, Stürme können Schaden anrichten, und die Blitzschutzanlage muss funktionieren. Für ihre Arbeit klettert Risse über eine steile Leiter aufs Dach, begutachtet den Schaden und sucht eine Firma für die Re- paratur. Jeder Tag bringt neue Aufgaben auf dem Campus. „Ich bin das Mädchen für alles“, sagt sie und lacht. Auf dem
Dach zu arbeiten, ist für sie immer be- sonders – vor allem wegen der Aussicht. Um die Sicherheit von Mitarbeiter*innen wie Risse kümmert sich Andreas Schlem- mer vom Referat für Arbeits- und Um- weltschutz der Universität. Nur wer eine Genehmigung hat, darf aufs Dach klet- tern. Niemand darf ungesichert an der Dachkante stehen und nach Möglichkeit geht niemand allein hinauf. Trotz all dieser Vorkehrungen kommt ein unerfreuliches Hindernis bei jedem Aufstieg aufs Mathetower-Dach auf die beiden zu: Der Weg führt direkt an der Lüftung der Toiletten vorbei. Aber der Ausblick entschädigt. „Es ist das tollste Dach, um Dortmunds Silhouette zu se- hen“, sagt Schlemmer. Manchmal wollen auch Studierende mit nach oben. Sie müssen Schlemmer und seine Kolleg*innen mit einem guten Grund überreden. Neugier reicht nicht, denn generell bekommen Studierende keine Genehmigung. Eine Ausnahme gab es etwa mal für einen Heiratsantrag. Die Glaswerkstatt Glasgeräte aus echter Handarbeit Mara Schwanke hält ein dünnes Glas- Glasapparatebau ist Handarbeit. Ma- rohr in eine Flamme. Langsam beginnt schinen können nur einfache Glasap- das Glas zu schmelzen. Dann biegt sie parate herstellen, und auch 3D-Drucker das Rohr, bläst hinein – sie formt das sind noch nicht so weit. Deshalb haben Logo der TU. Die Arbeitsschritte sind viele Unis mit Chemiefakultäten eige- Routine für Schwanke. Seit dreieinhalb ne Glasapparatebauer*innen. Doch nur Jahren arbeitet sie an der Uni als Glas- wenige bilden selbst aus – unter ande- apparatebauerin. rem die TU. Auch Mara Schwanke hat hier gelernt. Ihr Arbeitsplatz ist eine Werkstatt im Chemiegebäude: Wenn sie nicht gerade Vor einem Jahr sind die Glasapparate das TU-Logo formt, repariert Schwan- bauer*innen außerdem in eine neue ke für Chemiestudierende Kolben, Werkstatt umgezogen. Dort ist deut- Kühler und andere Geräte aus Glas lich mehr Platz als in der alten, es gibt oder stellt sie selbst her. „Das ist so ein zwei Drehbänke, mehr Öfen und zu- bisschen wie Stricken“, sagt sie. „Weil sätzliche Schleifgeräte. Schwanke fin- das Glas flüssig wird, kann man Löcher det es klasse: „Es ist ein entspannteres wieder zumachen.“ Arbeiten.“ 13
Der graue Kasten Die Universitätsstraße Auf dem Weg zur Energiewende Eine einsame Straße ins Nichts Grau, 25 Meter hoch, ein Metall-Donut tragung (HGÜ). Damit sind die Verluste Bäume brechen durch den Asphalt, die ragt aus der Wand heraus: Die Halle in über lange Strecken deutlich geringer. Straße führt ins Nichts – kein Wunder, der Nähe der Bushaltestelle Emil-Figge- dass Studierende hier immer mal wieder Straße sieht aus wie ein riesiger grauer „Wenn man das flächendeckend macht, kleine Apokalypse-Filme drehen. Das Kasten und wirkt erst einmal wenig kann man ein kleines Kohlekraftwerk tote Ende der Universitätsstraße ist ein beeindruckend. Das täuscht, denn das abschalten“, sagt Jochen Berns. Der unheimlicher Ort. Wer mit der H-Bahn Gebäude könnte bei der Energiewende Ingenieur ist technischer Mitarbeiter vom Campus Nord zum Campus Süd helfen. Wissenschaftler*innen der TU an der TU Dortmund und zuständig fährt, hat auf halber Strecke für ein paar Dortmund arbeiten hier an der Lösung für das Hochspannungs-Gleichstrom- Sekunden freien Blick auf die Straße – für ein großes Problem. Übertragungs-Testzentrum. So heißt genug Zeit, um zu erwarten, dass einem der graue Kasten. gleich Zombies entgegenkommen. Über lange Strecken kann Strom aktuell nur mit großen Verlusten transportiert Das Problem: Gleichstrom hat gegenüber Ursprünglich endete die Straße nicht werden. Ist die Strecke länger als einige Wechselstrom andere Nachteile und zur im Nichts, sondern schloss an die hundert Kilometer, lässt sich gar keine Übertragung von Gleichstrom ist noch Baroper Straße an. Mit dem Bau einer Energie mehr übertragen. Das liegt an nicht viel geforscht worden. Deshalb ist neuen Straße, der Marie-Curie-Allee, den Eigenheiten des Wechselstroms, die Arbeit der Wissenschaftler*innen an musste die Universitätsstraße weg. Sie der durch die Hochspannungsleitun- der TU wichtig. Sie testen hier, ob Isola- wurde so weit zurückgebaut, dass Platz gen fließt. Eine Herausforderung, denn toren und andere Bauteile für die HGÜ war für ein Regenrückhaltebecken. Der ein Großteil der grünen Energie wird tauglich sind. in Windparks in Norddeutschland er- zeugt, der meiste Strom aber im Ruhr- Berns baut zur Zeit einen Impulsgene- gebiet oder im Süden Deutschlands be- rator auf, der Blitze erzeugen kann. Im nötigt. Er muss also über weite Strecken April soll er fertig sein. Dass Blitze in transportiert werden. Strommasten und -leitungen einschla- gen, geschieht oft. Nun kann die TU tes- Hier kommt eine alternative Strom- ten, ob Isolatoren, Hochspannungsseile übertragung ins Spiel, an der die und andere Betriebsmittel den Blitzen Wissenschaftler*innen der TU arbeiten: standhalten. Und trägt so ein Stück die Hochspannungs-Gleichstrom-Über- zum Gelingen der Energiewende bei. 14
Die Versorgungsschächte Ein Tunnelsystem im Untergrund Rest blieb stehen – denn ein weiterer 22 Stufen führen in die Unterwelt. An Chemiegebäude braucht sogar eine ei- Rückbau war der Stadt zu teuer und zu der Decke flackern Leuchtstoffröhren, gene Luftzufuhr, weil dort häufig giftige aufwendig. auf dem Boden sind ab und zu Pfützen, Dämpfe entstehen. All diese Rohre und lange Rohre laufen an den Wänden ent- Kabel verlaufen an den Tunnelwänden. Später habe es Pläne gegeben, die Stra- lang. Es sind die Versorgungsschächte Die Rohre knacken immer mal wieder. ße wieder auszubauen, sagt Christian der Uni: ein Tunnelnetz, das im Verbor- Wer hier arbeitet, gewöhnt sich dran. Schön, Pressesprecher der Stadt Dort- genen unter dem Campus liegt. mund. 1992 habe der Rat sich aber da- „Versorgungstunnel bieten sich an bei gegen entschieden. Mittlerweile ist ein Vom Internationalen Begegnungszent- einer Campus-Uni“, sagt Thomas Timp- Ausbau wieder denkbar: Ein Konzept der rum in der Emil-Figge-Straße 59 bis zur te. Ansonsten müsste jedes Gebäude Stadt sieht genau das vor, wenn der Ver- Informatik in der Otto-Hahn-Straße 14 einzeln versorgt und gewartet werden. kehr rund um die Uni zunehmen sollte. beim Seminarraumgebäude II verlaufen Der Diplom-Ingenieur gehört zu denen, Noch sei es nicht so weit. Fürs Erste soll die Tunnel. Die Mensa, das Max-Planck- die sich um die Schächte kümmern. Ein die Straße so bleiben, wie sie ist. und das Fraunhofer-Institut werden weiterer Vorteil: Im Tunnel sind die Lei- auch über diese Versorgungsschächte tungen frei zugänglich für Reparaturen. Sie ist übrigens nicht nur als apokalyp- erreicht. Vier Kilometer lang ist dieses So muss die Erde nicht aufgebaggert wer- tische Filmkulisse nützlich: Ende 2016 Netz unter dem Campus. den. Wenn Timpte den Tunnel schnell wurde das stillgelegte Stück als Testge- verlassen muss, kann er dafür einen der lände für autonomes Fahren genutzt. Denn die etwa 100 Gebäude müssen 32 Notausgänge nutzen. Dann kommt er mit Strom, Internetzugang, Wasser, irgendwo auf der Wiese heraus – oder an Wärme und Kälte versorgt werden. Das der Mensa.
WARUM HAST DU NICHTS GELERNT? Diese Frage hat wohl alle von uns schon einmal beschäftigt. Nach den Klausuren ist doch eh alles vergessen. Ökonom*innen haben eine Theorie, warum der Abschluss auch ohne Lerneffekt sinnvoll ist. TEXTDANIEL BÖHNE ILLUSTRATIONNANNA ZIMMERMANN 16
I hr lernt hier fürs Leben und nicht für eine Klausur.“ Diesen Spruch haben wohl viele schon in der Schu- le gehört. Und im Studium geht es so weiter. Die Realität sieht oft anders aus: bestimmte Stelle qualifiziert sind. Aller- dings: Wenn es nach dem Modell von Spence geht, hätte das Studium über dieses Signal hinaus keinerlei Lernef- fekt. „Würde man das Modell so auf die Da lernen Studierende ein Semester für Realität übertragen“, sagt Lars Metzger, eine Klausur und schreiben eine solide „würden die Studierenden in meiner Note. Ein paar Monate später geht es in Mikroökonomie-Vorlesung nichts ler- einer anderen Vorlesung um den glei- nen, was sie später einmal benötigen.“ chen Stoff. Vielen ist es dann ein Rätsel, was sich dahinter verbirgt. Häufig ler- SIGNALE MÜSSEN nen wir eben doch nur für den Moment. ETWAS KOSTEN In Deutschland sind etwa 2,9 Millionen Der Grund, warum wir all die Strapa- Menschen an einer Hochschule einge- zen eines Studiums auf uns nehmen, schrieben – mehr als jemals zuvor, zei- ist recht einfach: Unternehmen kön- gen Zahlen des Statistischen Bundes- nen ohne Nachweis der Qualifikati- amts. Warum studieren sie eigentlich, on vor der Einstellung nicht erken- wenn sie nach den Prüfungen wieder nen, wer produktiv ist und wer nicht. vieles vergessen? Diese Frage muss Volkswirt*innen wie Lars Metzger auch den US-amerikanischen Ökonom sprechen in diesem Fall von asymmet- Michael Spence beschäftigt haben, als rischen Informationen. „Unterschied- er 1973 sein Paper „Job Market Signa- lichen Entscheidungsträgern stehen ling“ veröffentlichte. Spence beantwor- unterschiedliche Informationen zur tet die Frage, warum wir uns über Jahre Verfügung“, erklärt er. hinweg Bachelor- und Masterstudium, womöglich eine Doktorarbeit und ab Auf dem Arbeitsmarkt können asymme- und an ein paar Nervenzusammenbrü- trische Informationen dazu führen, dass che antun. Spence begründete die Theo- Unternehmen ihren Mitarbeiter*innen rie des Signaling. kein angemessenes Gehalt überweisen. Sie zahlen nur einen Durchschnitts- Lars Metzger, Juniorprofessor für lohn, da sie gar nicht wissen, ob die Volkswirtschaftslehre an der TU Dort- neuen Mitarbeiter*innen aufgrund mund, erklärt, was dieses Wort bedeu- guter Leistungen einen höheren Lohn tet: „Wie wir uns kleiden oder wie wir verdienen würden. Dieses Problem löst uns verhalten, kann man als Signal se- zum Beispiel die Uni auf: Denn Bildung hen. Wir senden damit in den meisten sendet den Unternehmen wichtige In- Fällen Informationen an andere.“ Mit ei- formationen – wer also einen guten nem Hochschulabschluss verhält es sich Uniabschluss hat, ist vermeintlich pro- ähnlich. Denn damit können wir Unter- duktiv und sollte der Theorie nach ein nehmen signalisieren, dass wir für eine höheres Gehalt bekommen. 17
Weitere Beispiele für Signaling Übrigens ist nicht nur das Studium ein Signal. Auch im Alltag stoßen wir auf viele von ihnen – etwa im Supermarkt oder vor dem Fernseher. Hier ein kleiner Überblick: Damit das funktioniert, muss das Signal etwas kos- 1 – Garantien auf Produkte ten. „Signale, die nichts kosten, bezeichnen wir in Trotz unzähliger Online-Rezensionen können Kund*innen beim der Wirtschaftswissenschaft als ‚cheap talk‘ – also Kauf eines Produkts oftmals Qualität und Lebensdauer nicht er- ‚billiges Gerede‘“, sagt Metzger. „Könnte ich jeden kennen. Deshalb bieten viele Unternehmen Garantien auf ihre Abschluss, den ich kenne, in meinen Lebenslauf Produkte an. Falls es in einem gewissen Zeitraum kaputt geht, schreiben, hätte das keine Aussagekraft.“ kommt das Unternehmen für den Schaden auf – das kostet Geld. Je länger die Garantie läuft, desto mehr signalisiert das Unterneh- SELBST OHNE LERNEFFEKT men, dass die Produkte hohe Qualität aufweisen. WÄRE EIN STUDIUM SINNVOLL Je mehr ein Signal kostet, desto besser ist es. Dabei 2 – Kleidung und Lebensstil Durch die Wahl der Kleidung versuchen wir, unsere Persönlich- muss das Signal nicht zwangsläufig Geld kosten. Im keit oder Zugehörigkeit zum Ausdruck zu bringen. So trägt eine Fall von Bildung kann auch der Schwierigkeitsgrad Führungskraft im Job womöglich Kostüm oder Anzug und teuren eines Abschlusses „teuer“ sein. Würde man etwa Schmuck, um sich von den Mitarbeiter*innen abzuheben. Aller- die Anzahl der Prüfungsversuche von drei auf vier dings müssen diese Signale nicht immer formell sein: Da reicht erhöhen, so würde das die Signalwirkung des Hoch- auch ein BVB-Trikot, um sich als Fan zu outen. schulabschlusses schwächen, sagt Metzger. Durch den weiteren Versuch würden mehr Studierende den Abschluss schaffen. Das Studium wäre einfa- 3 – Siegel cher, sprich billiger. Das heißt: Signaling kommt be- Viele Firmen kennzeichnen ihre Produkte mit Siegeln. Sie verse- sonders leistungsstarken Menschen zugute. Ihnen hen beispielsweise Schokolade oder Obst gerne mit Aufschriften fällt es leichter, Signale – wie etwa den Bachelorab- wie „Fair Trade“ oder „Bio“. Um diese Siegel verwenden zu dür- schluss – zu erreichen. fen, müssen die Firmen strenge Auflagen befolgen – das kostet Geld. Einige Unternehmen kreieren deshalb eigene Tierwohl- oder Das bedeutet jedoch nicht, dass Signaling für Nachhaltigkeitslabel. Da diese oftmals nicht den strengen Vorga- Schwächere unfair ist. Glaubwürdige Signale wie ben anderer Siegel unterliegen, dämpft das die Signalwirkung. der Abschluss an einer Universität oder Schule ver- hindern, dass sich Menschen für etwas ausgeben, 4 – Werbung das sie gar nicht sind. Das bedeutet: Schwächere Unternehmen investieren viel Geld in Werbung, um über neue können sich nicht auf legalem Weg zu einer höhe- Produkte zu informieren oder ein Image aufzubauen. Doch sie ren Bezahlung schwindeln. kann auch ein Indiz für Qualität sein. Etwa ein Spot während des Super-Bowls: In diesem Jahr kostete eine gerade einmal 30 Sekun- Wer nun denkt, dass sein Studium umsonst wäre, den lange Werbeanzeige bis zu 5,6 Millionen US-Dollar. Das zeigt den kann Lars Metzger beruhigen. Denn Michael eine Berechnung des Marktforschungs-Unternehmens Kantar Spence lässt den Lerneffekt der Bildung in seinem Media. Wären die beworbenen Produkte von schlechter Qualität, Modell bewusst außen vor, um sich auf die Signal- könnten die Firmen die Werbung gar nicht finanzieren. wirkung von Bildung zu konzentrieren. Metzger interpretiert es so: „Selbst wenn unser Studium überhaupt keinen Lerneffekt hätte, wäre es sinn- 5 – Made in Germany voll. Nämlich um ein besseres Match zwischen Ar- Auch der Standort der Produktion kann ein Signal sein. Über Jahre beitgeber und -nehmer zu finden. Natürlich wird hinweg haben sich deutsche Produkte international einen Ruf auf- das Studium noch sinnvoller, wenn wir dabei tat- gebaut. Die Produktion in Deutschland ist im Vergleich zu anderen sächlich etwas lernen.“ Wer im weiteren Studien- Ländern ziemlich teuer. Das Signal lautet hier: Wer es sich leisten verlauf das Gefühl hat, häufig nur für Klausuren kann, in Deutschland zu produzieren, stellt Produkte von hoher zu lernen, hat nun immerhin die Gewissheit, ein Qualität her. Gleiches gilt für Geschäfte, die in Vierteln mit höhe- wichtiges Signal zu senden. So fällt das Lernen rer Ladenmiete ihre Ware verkaufen – etwa auf der Königsallee in doch deutlich leichter. Düsseldorf. 18
⁄⁄ SAGMALPROF Warum soll ich Alkohol und Schmerzmittel nicht mischen? PROTOKOLLROBIN VORNHOLZ FOTOSIMON JOST ILLUSTRATIONNANNA ZIMMERMANN A lkohol und Schmerzmittel sollten wir nicht mischen, da sich die Wirkungen gegenseitig verstärken. Tun wir es dennoch, leidet am wahrscheinlichsten der Magen. ihres Gewebes noch überlebensfähig. In der Leber wird das Blut entgiftet. Schmerzmittel wie Paracetamol können bei hoher Dosierung die Leber schädigen, genau wie Alkohol. Wenn der Mensch weniger als zwei Gramm Paracetamol am Alkohol, vor allem Wein, sorgt dafür, dass der Magen mehr Tag einnimmt, passiert nichts. Der Alkohol verursacht aller- Säure produziert. Dadurch kann er übersäuern. Wer bei dings ähnliche Schäden in der Leber. Wie stark die Kombina- Schmerzmitteln schon einmal auf die tion von Paracetamol und Alkohol Liste der Nebenwirkungen geschaut dann unsere Leber belastet und hat, wird bemerkt haben, dass eini- schädigt, lässt sich pauschal ge davon ebenfalls auf den Magen nicht sagen, da dies von Fakto- schlagen. Tatsächlich sind gar nicht ren wie der körperlichen Verfas- die Medikamente an sich das Prob- sung oder Genetik abhängt. Aber lem, sondern ihre unerwünschten je mehr Alkohol oder Schmerz- Nebenwirkungen: Vor allem Aspirin mittel, desto größer der Schaden. und Ibuprofen sorgen für einen An- Das kann schon nach zwei bis drei stieg der Magensäure. Kombinieren Gläsern Bier relevant sein. Einen wir also Alkohol und diese Schmerz- Schaden an der Leber bemerken wir mittel, steigt durch die erhöhte durch gelblich verfärbte und jucken- Menge an Magensäure das Risiko, de Haut sowie Müdigkeit erst, wenn dass die Schleimhaut angegriffen es zu spät ist. oder sogar geschädigt wird. Das merken wir an Übelkeit und stechenden Bauchschmerzen. Besonders gefährlich wird die gleichzeitige Einnahme von Unser Körper lässt uns direkt wissen, dass er Alkohol und Medikamenten bei Opiaten. Diese wer- über diese doppelte Vergiftung unglücklich ist. den nur bei extremen Schmerzen eingesetzt und wirken beruhigend. Alkohol beruhigt ebenfalls Wer einen starken Magen hat, muss und wirkt auf ähnliche Rezeptoren im Gehirn. nach der Einnahme von Schmerz- Die verstärkte Beruhigung sorgt dafür, dass mitteln, die den Magen angreifen, wir dämmerig oder sogar ohnmächtig werden. nicht zwingend komplett auf Alkohol Ist die Wirkung zu stark, schläft auch der Be- verzichten. Empfohlen ist der Kon- reich im Gehirn ein, der für die Atmung zu- sum von Alkohol natürlich trotzdem ständig ist – es kommt zur Atemlähmung. nicht. Bei einem empfindlichen Magen hingegen ist das Risiko erhöht und wir Tatsächlich dauert es ein bis zwei Tage, bis die sollten vorsichtshalber nichts Alkoho- meisten Schmerzmittel wieder vollständig aus- lisches trinken. geschieden sind. Währenddessen sollten wir keinen Alkohol trinken. Wie bestimmte Bei der Leber wird Schmerzmittel wirken und ob sie Ne- ein Schaden nicht benwirkungen haben, die sich durch immer gleich Alkohol verstärken, steht auf der bemerkt. Sie Verpackungsbeilage. ist äußerst robust und Prof. Dr. Jan Hengstler ist Lei- wir sind ter des Forschungsbereichs sogar mit Toxikologie und Systemtoxi- nur fünf kologie am Leibniz-Institut bis zehn für Arbeitsforschung an Prozent der TU Dortmund.
GANZ SCHON TOTE BRANCHE Fleisch gehört in vielen Haushalten zum klassischen Mittagstisch. Gleichzeitig beeinflussen Veggie- und Biotrends den Fleischmarkt. Für Metzgereien wird die Nach- wuchssuche immer schwieriger. TEXTMARIE VANDENHIRTZ FOTOMAGNUS TERHORST 20
M indestens 20 Schweine hän- gen kopfüber von der De- cke, als Theresa Kampmann die große Tür zur Kühlung öffnet. Als würden sie nur darauf warten, abgeholt zu werden. Der unangenehme Geruch des Raumes steigt einem erst Sekunden später in die Nase. Eine Mischung aus Muff und Reinigungsmittel. Über die Schienen an der Decke zieht sie eins der Schweine zu sich und dann in Richtung Tisch. Hier zerlegt sie das Tier in seine Einzelteile. Vieles erinnert an einen OP-Saal: die weißen Fliesen an der Wand, der Tisch in der Mitte, The- resa in ihrer weißen Kleidung und das grelle Licht. Alltag für die 21-Jährige. Seit eineinhalb Jahren macht sie eine Ausbildung zur Metzgerin. Die Zahl der Metzgereien in Dortmund hat sich in den vergangenen 15 Jahren halbiert. 2004 waren es noch 61, 2019 nur noch 29 Betriebe. Ihre Zukunft ist unbestimmt. Denn es fehlt an Nach- wuchs. Gerade einmal vier Auszubil- dende haben laut Handwerkskammer Dortmund 2018 ihre Ausbildung als Metzger*in abgeschlossen. Zeitgleich änderte sich das Essverhalten der Deut- schen nicht sonderlich. Der klassische Mittagstisch mit Fleisch ist immer noch beliebt. Rund 60 Kilo- gramm Fleisch isst jede*r Deutsche im Jahr. Seit 2004 hat sich daran nichts geändert. So haben es das Statistische Bundesamt, das Thünen-Institut und die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung herausgefunden. Die Metzgereien merken jedoch, dass die Nachfrage nach Biofleisch steigt. Das berichtet ein Branchenreport der Öko- 21
» Wer auf einem landwirtschaftlichen Betrieb groß wird, dem macht der Beruf nichts aus. « Theresa wird Metzgerin. hat seine spezielle Funktion. In dem ei- nen wird Wurst hergestellt, im nächs- ten das Fleisch verpackt und in einem anderen das Fleisch für die Lieferung fertiggestellt. TIERSCHUTZVEREINE TRAUEN DEN SIEGELN NICHT logischen Lebensmittelwirtschaft aus beit anfangs ein Problem. Auch das frü- Rund 200 Landwirt*innen beliefern 2020. Wie soll das produziert werden, he Aufstehen macht ihr nichts aus. Zwi- den Hof von Biofleisch NRW. Die wenn niemand mehr Metzger*in wer- schen fünf und sechs Uhr ist für Theresa Mitarbeiter*innen wissen, woher das den will? Schichtbeginn. Tier kommt, das sie gerade verarbeiten. Bis zum Schlachter in Unna dürfen die „Wer auf einem landwirtschaftlichen Nach dem Abitur fing die heute 21-Jäh- Tiere nicht länger als 200 Kilometer un- Betrieb groß wird, dem macht der Be- rige 2018 ihre Ausbildung an. Die Be- terwegs sein. Von da aus sind es noch ruf nichts aus“, sagt Theresa. Sie ist auf rufswahl stand lange fest. Heute arbei- 20 Minuten bis zu Biofleisch NRW. einem Hof in Dortmund-Mengede auf- tet sie auf dem Hof von Biofleisch NRW. Dort werden sie dann verarbeitet. Über gewachsen. Dem Hof ihrer Familie, auf Der Hof möchte für qualitativ hochwer- 100 verschiedene Wurstsorten, sagt dem vor allem mit Milchvieh gearbeitet tiges Fleisch stehen – passend zu The- Theresa, produziere ihr Betrieb. Das wird. Theresa wusste schon immer, wo resas Vorstellungen. Gute Haltung und fertige Fleisch verkauft Biofleisch NRW das Fleisch herkommt, das sie isst. Aufzucht mit viel Platz, regelmäßiger an ausgewählte lokale Metzgereien oder Fütterung und Stroh sind ihr wichtig. an eine Biomarktkette. Es ist genau SCHICHTBEGINN ZWISCHEN Und die Schlachtung oder Tötung, wie gekennzeichnet: entweder durch das FÜNF UND SECHS UHR sie es ausdrückt, muss unter richtiger Biofleisch NRW Symbol oder durch das Betäubung geschehen. der Neuland GmbH. Das Tier, das gerade am Haken von der Decke hängt, scheint sie nicht als Lebe- Das Gelände von Biofleisch NRW sieht Gabi Bayer vom Tierschutzverein Arche wesen zu sehen und schubst es förmlich aus wie ein alter Bauernhof: Fach- in Dortmund vertraut diesen Siegeln durch den Raum. Bis September hat werkhäuser, Holzställe und Hütten. nicht. Sie selbst hat miterlebt, dass Theresa noch Leistungssport betrieben. Dazwischen ein modernes Gebäude. Landwirt*innen, die zwar angeben, Rudern – deswegen ist das Zerlegen der Von außen ist es weiß und passt nicht Fleisch aus guter Haltung zu verkaufen, Knochen für sie nicht schwer. Für die zum restlichen Charme des Hofs. Das ihre Tiere doch nicht immer nach den meisten Auszubildenden ist diese Ar- ist Theresas Arbeitsplatz. Jeder Raum Vorgaben behandeln – auch in Dort- 22
mund. Sie glaubt, dass das vor allem Metzgereibetriebe wie der, in dem The- Mitte. In ländlichen Betrieben stehe am Personal liege. Die Landwirt*innen resa arbeitet, können gute Bedingungen der Beruf vor keiner Herausforderung. seien überfordert, die Veterinärämter für ihre Tiere garantieren, sagt sie. Sie Im städtischen Bereich schon. Daran überlastet. „Wir sagen nicht umsonst: und andere Betriebe müssen sich an ge- sei vor allem die Konkurrenz durch die Deutschland ist ein Paradies für Tier- naue Richtlinien halten. Und sie werden Supermärkte Schuld. Auch das Image quäler“, sagt Bayer. regelmäßig kontrolliert. Auf dem Hof ist in der Stadt anders. Junge Men- von Biofleisch NRW steht ein Stall. Hier schen streben laut Niklas viel eher ei- „Die Leute fordern immer mehr. Früher leben Schweine unter denselben Bedin- nen digitalen Bürojob an – ein generel- gab es zwei Sorten Fleisch und das war gungen wie auf den Bauernhöfen. Die les Handwerksproblem. ausreichend.“ Heute sind die Fleischthe- Tiere können sich sowohl draußen als ken überfüllt mit Fleisch aus aller Welt. auch im Stall aufhalten. Sie haben Stroh „Wer heute junge Menschen nach dem Die Salami aus Italien, der Schinken aus in ihrem Gehege, werden regelmäßig Image vom Beruf des Fleischers fragt, Spanien. Welche Bedingungen es in den gefüttert und irgendwann unter Betäu- wird nichts mehr von einem Lebens- Ländern für die Tiere gebe, das könne bung in Unna geschlachtet. mittelveredler hören, sondern von man in Deutschland nicht genau über- einem Verkäufer möglichst billigen prüfen. Bayer ist keine Vegetarierin. DAS IMAGE IST Hackfleischs“, sagt Niklas. Das sei ein Sie achtet darauf, nur Fleisch aus der IN DER STADT ANDERS Problem. Denn Fleisch werde auch in Region zu essen, oder zumindest aus Zukunft immer gefragt sein. Ohne Deutschland. Denn so weiß sie, dass der In dem Betrieb von Biofleisch NRW Nachwuchs ist das schwierig. „Ein Flei- Transportweg der Tiere nicht zu lang gab es zwei Jahre lang keine Auszubil- scher sollte als jemand bekannt sein, war. Auch wenn hier eben vieles nicht denden mehr, sagt Theresa. Und das, der seine Ware kennt und mit seinem nachvollziehbar sei, wie zum Beispiel obwohl die Ausbildung hier hoch gelobt Wissen als professioneller Verarbeiter die Stresssituation für die Tiere vor der wird. Theresa selbst hat damals mit vier für sein Produkt einsteht. Ein Fleischer Schlachtung. Azubis angefangen. Sie alle schließen ist kein Killer, sondern ein Lebensmit- ihre Ausbildung in diesem Jahr ab. In telproduzent. Er reiht sich in die Berufs- Das müsse sich ändern. Bayers Kolle- der Berufsschule in Dortmund hat The- kette direkt nach dem Landwirt ein.“ gin Heike Beckmann fordert Amtstier resas Jahrgang gerade einmal einen ärzt*innen in den Schlachthäusern, um Klassenraum gefüllt. Zu Theresas alltäglichen Aufgaben ge- zu überprüfen, wie gestresst die Tiere hört es vor allem, die Tiere zu zerlegen sind. Mehr Personal und damit schnel- „Wir brauchen Fleischereien, weil sie und die Wurst zu produzieren. Erst lere Einsätze durch das Veterinäramt. am Markt durch zunehmend qualitäts- zum Ende ihrer Ausbildung durfte sie Regelmäßige Überprüfung der Bauern- und ernährungsbewusste Kunden ge- das erste Mal selbst kuttern – also das höfe. Oder sogar eine Tierschutzpolizei fordert werden“, sagt Ludgerus Niklas Fleisch, das vorher zerkleinert und zu wie in den USA. von der Fleischer-Innung Westfalen einer Masse verarbeitet wurde, in ei- 23
2004 gab es 61 Fleischereien in Dortmund. 2019 waren es nur noch 29. Quelle: Handwerkskammer Dortmund nen Darm pressen und zu einer Wurst dass das in nächster Zeit mehr wird. Ge- was Gutes. Antibiotika zum Beispiel, die formen. Das wird mit einer großen Ma- rade kleinere Betriebe müssten diesen dem Tier verabreicht werden, nehme schine gemacht. Am Fuß ist ein Pedal. Weg einschlagen, sagt sie. der Mensch zu sich, der das Fleisch am Wenn Theresa das betätigt, wird das Ende isst. Fleisch durch den Kutter gepresst. So Claudia Jehmlich arbeitet als Ernäh- kann sie ihre Hände benutzen, um den rungsberaterin. Sie sagt: „Immer mehr Dabei können die Verbraucher*innen Darm zu halten und in die richtige Form Kundinnen und Kunden interessieren bei einem Blick in die Kühltheke nicht zu bringen. sich für die vegetarische Ernährung.“ erkennen, welche Qualität das Fleisch Wer auf Fleisch verzichtet, sollte beson- hat. Bio- und konventionelles Fleisch Am Ende ergibt sich eine lange Wurst- ders darauf achten, genug Eiweiß und sind nicht unbedingt voneinander zu kette. Die wird auf einem Wagen auf- Vitamin B12 zu sich zu nehmen. Kein unterscheiden. Da könne man nur auf gehängt, der aussieht wie eine Klei- anderes Nahrungsmittel liefere dem die Verpackung vertrauen. Claudia derstange, und in eine Art Ofen zum Körper diese Inhaltsstoffe so gut wie Jehmlich hat einen Tipp: „Je kürzer Brühen gerollt. Wie am Fließband arbei- Fleisch. „Der Verzicht auf Fleisch heißt die Inhaltsliste, desto besser.“ Auch wer ten Theresa und ihre Kolleg*innen hier. trotzdem nicht gleich, dass es einem an teures Fleisch kauft, könne nicht davon Den ganzen Tag. Denn die Nachfrage Eisen oder Vitaminen fehlt“, sagt Clau- ausgehen, dass es sich dabei um Bio- nach Bio-Fleisch und -Wurst ist groß, dia Jehmlich. Ein weiterer Irrtum: Wer Fleisch handelt. Der Preis sage nichts sagt Theresa. Gerade an Weihnachten Fleischersatzprodukte isst, gleicht die darüber aus, wie das Tier gelebt hat. „Es – da musste sie sogar schon mal eine Nährstoffe aus, die durch den Fleisch- kann sich auch nur um ein besonders Nachtschicht einlegen. verzicht fehlen. Lediglich Produkte auf gutes Stück vom Tier handeln.“ Sojabasis oder Erbsenprotein kommen Die Metzger*innen bei Biofleisch NRW dem nahe, seien aber kein Ersatz. Um 15 Uhr ist für Theresa meistens arbeiten in Schichten, um der Nachfrage Feierabend. Dann geht es zurück auf gerecht zu werden. Trotzdem: Theresa DIE DEUTSCHEN ihren Hof in Dortmund-Mengede. hofft, dass immer mehr Kund*innen auf ESSEN ZU VIEL FLEISCH Nach Hause, in die Umgebung, die so Qualität achten, statt im Supermarkt ähnlich ist wie ihr Arbeitsplatz. In der nach der Wurst für 30 Cent zu suchen. Auch zum Fleischkonsum hat sie eine auch Tiere zu Nahrung werden. Ob Meinung. Die Deutschen essen zu viel Theresa den Beruf nach ihrer Ausbil- Theresa sieht die Chancen des Berufs davon. 600 Gramm pro Woche emp- dung weiter machen will, das ist für sie aber nicht nur auf dem Bio-Markt, son- fiehlt die deutsche Gesellschaft für noch nicht klar. Sie möchte studieren dern auch bei den Vegetarier*innen. In Ernährung. Der*die Durchschnitts- und in die Lebensmitteltechnologie. den eineinhalb Jahren ihrer Ausbildung deutsche isst gut das Doppelte. Wer Dann würde sie als Lebensmittelkont- hat sie auch vegetarische Wurst herge- Fleisch aus Massenproduktion kauft, rolleurin auf genau das achten, was ihr stellt – erstmal zur Probe. Sie glaubt, tue seinem Körper nicht unbedingt et- bei Fleisch so wichtig ist. 24
20 Zentimeter Glück Fleisch als Grundnahrungsmittel: So ernährte sich unsere Autorin seit dem Babybrei. Nun hat sie sich entschieden, vegetarisch zu leben. Der perfekte Zeitpunkt für einen aufrichtigen Dank an ihren Lieblingssnack: die Bratwurst. TEXTSOPHIA STAHL ILLUSTRATIONAURÉLIEN GUILLERY M anche Menschen bewerten Städte nach der Architek- tur, den Bewohner*innen oder Parks. Amateur*innen! Ich habe sie jahrelang anhand von Imbissbuden oder, genauer In den letzten Jahren probierte ich mich durch das gesamte Bratwurst-Sortiment. Auf dem letzten Platz meines Rankings landete die Riesenkrakauer. Speck in einer Bratwurst? Das ist gesagt, Bratwürsten beurteilt. selbst mir zu viel. Meine absolute Lieblingswurst ist und bleibt die Thüringer Rostbratwurst. Schon als Kind aß ich meinen Babybrei nur in der pürierten Fleischvariante. Apfel-Bananen-Brei? Nicht mit mir! Später EIN AUFRICHTIGER DANK versuchte meine Mutter, mir Tofu schmackhaft zu machen. „Können wir das nächste Mal bitte nicht wieder Radiergummi Nun ist das vorbei: Meine Tests sind Vergangenheit. Ich liebe essen?“, fragte ich. Während andere Kinder Gummibärchen Fleisch und die Bratwurst besonders. Aber wenn Menschen aus dem Schrank stahlen, aß ich Schinken – natürlich pur, unter dem Klimawandel und dessen Folgen leiden, schmeckt ohne Brot. Das war noch nicht der Höhepunkt meiner Fleisch- die leckerste Thüringer Rostbratwurst frisch vom Grill und mit Zuneigung. Das Schicksal schenkte mir die Bratwurst. extra viel Knoblauch nicht mehr. Deswegen mache ich jetzt Schluss. Das tut weh – gerade im Magenbereich. STATT EIS EINE BRATWURST Es bleibt ein Dankeschön. Ich werde sie sehr vermissen und Es war in der italienischen Stadt Meran. Mir stieg ein Duft aus die gemeinsame Zeit stets in Erinnerung behalten – noch gebratenem Fett und Fleisch in die Nase. Meine Familie holte eine gewisse Zeit auf meinen Hüften und danach für immer sich lieber ein Eis, naheliegend bei 30 Grad. Doch ich folgte im Herzen. dem Geruch und landete vor einer Imbissbude. Auf dem Grill lagen drei Bratwürste: braun gebrannt unter roten Sonnen- schirmen – wie aus einer Grillzeitschrift. Am liebsten hätte ich alle drei gegessen. Mit meiner Meraner in der Hand und einem triumphierenden Lachen im Gesicht kehrte ich zurück. Außer unserem Hund hatte allerdings niemand besonderes Interes- se. Egal. Es kann ja nicht jede*r Feinschmecker*in sein. Für mich war es Liebe auf den ersten Bissen: In Bamberg, Ber- lin und Palma, in jeder Stadt probierte ich seitdem Bratwürst- chen. Auf die Größe kam es dabei nicht an: 20 bis 50 Zentime- ter, ich gab allen eine Chance. Ich gewann in meiner Bratwurst-Zeit nicht nur ein paar Kilos dazu – nein – auch wichtige Erkenntnisse. Gerne überlasse ich als langjährige Expertin die zentralen Punkte der Nachwelt, ehe ich das Bratwurst-Business endgültig verlasse: 1 Eine 50 Zentimeter lange Bratwurst ist bei einer Körpergrö- ße von 1,56 Metern zu viel. 2 Man kann Bratwürste in der Hälfte durchschneiden, dann passen sie ganz in das Brötchen und es bleibt kein Brötchen ohne Wurst übrig. 3 Eine Bratwurst schmeckt um 18 Uhr abends genauso gut wie um 9 Uhr morgens. 25
LASST MICH EINE LISA SEIN Lisa. Ein Vorname. Ein Vorurteil. Die junge Frau, die nach dem Abitur ein Jahr in Australien oder Neusee- land war. Dadurch ist sie irgendwie zur Lachnummer geworden. Unsere Autorin Rika ist selbst eine Lisa und möchte mit den Klischees aufräumen. TEXTRIKA KULSCHEWSKI FOTO DANIELA ARNDT & PRISM LABS INC. ILLUSTRATIONNANNA ZIMMERMANN D ie Welt entdecken, offen für Neues sein und verschiedene Kulturen kennenlernen – das sind wichtige Erfahrungen für junge Menschen. Schließlich leben Jugendli- en. Frauen können kein Auto fahren. Deutsche sind humorlos. Nun kommt noch die Ausland-Lisa hinzu. Es ist fast schon zu banal, über Menschen zu ur- teilen, die versuchen, anderorts Erfah- che doch Toleranz und Vielfalt. So hat rungen zu sammeln. Niemand sollte es die Shell-Jugendstudie 2019 heraus- sich durch Anfeindungen wie „Wow, du gefunden. Doch wenn junge Frauen den bist ja so international“ oder „Wir wis- Schritt nach Australien oder Neusee- sen mittlerweile, dass du im Ausland land gewagt haben, werden sie bei der warst“ besser fühlen. Warum gönnt Rückkehr mit einem Namen konfron- man mir meinen Aufenthalt in Neusee- tiert: Lisa. Simpel und hochgeschaukelt land und die Veränderung meines Cha- zu einer fiktiven Klischeefigur. Witz rakters nicht einfach? Ist da vielleicht und Aussagekraft hat der Name in den jemand neidisch? vergangenen Jahren längst verloren. RAUS AUS DEM Ähnlich wie Jura-Justus, der ständig WINZIGEN RADIUS Chino-Shorts mit eingestecktem Hemd trägt, muss auch Lisa gegen Vorurteile Warum fühlen sich so viele angegriffen, kämpfen: Sie hat Zeit im Ausland ver- wenn jemand aus seinem 13-Millime- bracht, um sich selbst zu finden. Die ter-Radius gesprungen ist und etwas Lieblingsbeschäftigungen einer Lisa Neues kennenlernt? Ob das nun im waren dort Feiern und Trinken. Sie Heimatdorf oder am Ende der Welt schmückt sich damit, wie viele tasmani- passiert, 18.000 Kilometer entfernt, ist sche Bären sie gesehen hat. Und muss doch allen selbst überlassen. allen zeigen, wie gut sie Englisch spre- chen kann. Fakt ist: Meine innere Lisa war mutig genug, den Schritt in die Ferne zu wa- Ist unsere Gesellschaft nicht von ge- gen und hat dabei einiges gelernt. Nicht nug Vorurteilen geprägt? Polen klau- nur über Neuseeland, sondern auch 26
selbstständig zu sein. Etwas, das sich len Kontakt weiterbringt, sondern auch Es darf nicht sein, dass die Ausland-Lisa viele Studierende erst zu Beginn ihres auf dem akademischen Weg. in Gesprächen aufgrund ihrer Erfah- Studiums aneignen. Ich habe Menschen rung zurückgedrängt wird. Oft kommt kennengelernt, die ich sonst niemals REISEN MACHT SICH sie nicht mal mehr so weit, etwas von getroffen hätte. Und eine zweite Heimat GUT IM LEBENSLAUF ihrer Reise zu erzählen. Vorher wird ihr gefunden, in der ich mich so wohlfühle schon der Satz abgeschnitten. Sie hat wie in Deutschland. Englischkenntnisse werden wegen Glo- nämlich das böse „Aus-Wort“ benutzt: balisierung und Digitalisierung für Un- Ob dahinter nun Ausland oder Austra- KANNST DU DENN ternehmen immer wichtiger, besagt der lien steckt, kann man sich aussuchen. KEIN DEUTSCH MEHR? English Proficiency Index des Unterneh- Oder sie hält sich von vornherein lieber mens Education First, der weltweit größ- zurück, um nicht wieder dem Klischee Manchmal fällt der Ausland-Lisa ein ten privatwirtschaftlichen Bildungsinsti- zu entsprechen. deutscher Begriff nicht sofort ein. Und tution. Demnach ist es mittlerweile bei es ist natürlich nervig, wenn sie das den meisten Bewerbungen erforderlich, Ich will und werde mich nicht zurückhal- bewusst zur Schau stellt. Den meis- über sehr gute Englischkenntnisse zu ten, nur weil jemand neidisch ist, dass ten passiert das jedoch unabsichtlich. verfügen. Außerdem erachten 64 Pro- ich diese Erfahrungen gesammelt habe Natürlich verankern sich durch den zent der deutschen Arbeitgeber Aus- und sie oder er nicht. Daher bleibt locker Sprachgebrauch im Ausland viele eng- landserfahrung als wichtig, berichtet und gönnt. Dann können Lisas einfach lische Wörter im Kopf. Da ist es doch der Deutsche Akademische Austausch- Lisas sein. Und der Vorname ist einfach nur logisch, dass sich beide Sprachen dienst. Für dieses zusätzliche Wissen wieder nur ein Vorname. vermischen. Und passiert uns das und die Pluspunkte im Lebenslauf neh- nicht allen? Den einen mehr, den an- me ich gerne in Kauf, im Alltag englische deren weniger. Unsere Sprache wandelt Begriffe einzuwerfen, die alle an- sich und fremdsprachige Begriffe sind deren auch benutzen. fester Bestandteil. Das spricht für ein Auslandsjahr. Die Sprachkenntnisse zu verbessern, ist et- was Tolles. Etwas, das mich nicht nur im Alltag, auf Reisen und im internationa- 27
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