Handel ja, aber nicht so - Über das geplante Freihandelsabkommens der EU mit dem Mercosur von Berit Thomsen - kritischer-agrarbericht.de
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Der kritische Agrarbericht 2020 Handel ja, aber nicht so Über das geplante Freihandelsabkommens der EU mit dem Mercosur von Berit Thomsen Nach 20 Verhandlungsjahren war es am 28. Juni 2019 soweit: Die EU-Kommission verkündete, sie habe eine politische Einigung über ein Handelsabkommen mit dem Mercosur erzielt. Dem südame- rikanischen Staatenbund gehören Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay an. Sobald das Abkommen in Kraft tritt, wäre es das größte der EU. Der gemeinsame Handelsraum würde 780 Mil- lionen Einwohner umfassen und rund ein Viertel des weltweiten Bruttoinlandsprodukts erwirtschaf- ten. Während die EU verarbeitete Güter und Maschinen in den südamerikanischen Handelsraum exportiert und darauf drängt, dass etwa Zölle auf Autos aus Europa abgebaut werden, führt der Mercosur überwiegend Agrarprodukte und Rohstoffe in die EU-Länder aus. Vor allem die geplan- ten Vereinbarungen zur Landwirtschaft und dem Handel mit Agrarprodukten stoßen vielfach auf Ablehnung. Der folgende Beitrag erläutert und diskutiert die zentralen Eckpunkte, auf die sich EU und der Mercosur geeinigt haben, und zeigt die Schwachstellen des geplanten Abkommens auf. Proteste von Vertreterinnen und Vertretern einer bäuerlichen Landwirtschaft, zahlreichen Klima-, Umwelt- und Naturschutzverbänden, aber auch von Menschenrechtsgruppen machen deutlich, dass das Freihandelsabkommen noch längst nicht in trockenen Tüchern ist. Auch in den Parlamen- ten einzelner EU-Mitgliedsländer gibt es massiven Widerstand. Ob der Vertrag in der vorliegenden Form jemals unterzeichnet wird, ist nach wie vor offen. Auch wenn die Eckpunkte für ein gemeinsames Frei- te die EU versuchen, den problematischsten Teil des handelsabkommen zwischen der EU und den Mer- Assoziationsabkommens – das Handelsabkommen – cosur-Ländern unterzeichnet wurde, ist dies bloß ein bereits nach der Zustimmung durch den Rat und das erster Schritt – hin zu einem umfassenden Assozia- Europaparlament vorläufig in Kraft zu setzen.2 Aber tionsabkommen beider Ländergruppen. Als nächstes soweit ist es noch nicht. folgt eine detaillierte Ausarbeitung der Verträge und eine rechtliche Prüfung der Texte sowie in der EU eine Einigung erzielt – aber zu welchem Preis? Übersetzung in alle EU-Amtssprachen, bevor der Ver- trag dann unterzeichnet werden kann. Allein dieser Bereits heute stammt der Großteil der europäischen Prozess kann bis zu einem Jahr (und länger) dauern. Agrar- und Lebensmittelimporte aus dem Mercosur. Erst danach beginnt der entscheidende Ratifizierungs- Die EU importiert jährlich landwirtschaftliche Güter prozess.1 in Höhe von 20 Milliarden Euro aus dem südameri- Da dieses Handelsabkommen kein Kapitel zum kanischen Länderverbund. Diese Importe werden in Investitionsschutz enthält, müssen zunächst nur der Zukunft weiter anwachsen, folgt man den 17 Seiten, EU-Rat und das EU-Parlament dem Abkommen zu- auf denen die EU-Kommission die Eckpunkte des ge- stimmen. Da aber dieses Freihandelsabkommen auch planten Abkommens festgehalten hat.3 Teil eines umfassenderen Assoziationsabkommens Demnach muss Europa weitere 99.000 Tonnen zwischen den beiden Regionen ist und für gewöhn- Rindfleisch jährlich importieren zu einem reduzierten lich ein Assoziationsabkommen Zuständigkeiten der Zollsatz von 7,5 Prozent. Eine bemerkenswerte Men- Mitgliedstaaten mitumfasst, müssen aller Voraussicht ge, wenn man bedenkt, dass in den Jahren von 2014 nach auch alle EU-Mitgliedsländer dem Mercosur- bis 2018 die höher verzollte Importmenge aus den Freihandelsabkommen zustimmen. Allerdings könn- Mercosur-Ländern in die EU jährlich 243.241 Tonnen 114
Welthandel und Ernährung Rindfleisch im Durchschnitt betrug. Insgesamt betru- großer Mehrheit von der UN-Generalversammlung gen die EU-Rindfleischimporte in dem Vierteljahres- angenommen wurde.8 durchschnitt 326.042 Tonnen.4 Neben den bisher ausgehandelten Rindfleischim- Bisher ist der europäische Rindfleischmarkt stark portquoten sehen die Eckpunkte auch eine gegensei- vor Rindfleischimporten geschützt. Aber es gibt wei- tige Öffnung des Milchmarktes innerhalb von zehn tere Freihandelsabkommen, in deren Rahmen die EU Jahren für zollfreie 30.000 Tonnen Käse (bisheriger ihren Markt für Rindfleischeinfuhren öffnen wird. Mit Zoll 28 Prozent), 10.000 Tonnen Milchpulver (bisheri- dem CETA-Abkommen zwischen der EU und Kana- ger Zoll 28 Prozent) und 5.000 Tonnen Babynahrung da hat die EU z. B. bereits 45.000 Tonnen Rindfleisch- (bisheriger Zoll 18 Prozent) vor. Der Europäische importe zugesagt. Die laufenden Verhandlungen mit Milchindustrieverband (EDA) begrüßt die vereinbar- Neuseeland/Australien würden – bei Abschluss – wei- te Marktöffnung. Das vereinbarte Zollkontingent von tere Rindfleischimporte bringen. Und auch die USA 30.000 Tonnen Käse pro Jahr entspreche etwa dem üben Druck auf die EU aus, ihre landwirtschaftlichen Zehnfachen der Mengen, die aktuell in den Mercosur Märkte für US-Rindfleisch weiter zu öffnen. exportiert werden. Allerdings hätte sich EDA eine Die im Mercosur-Deal ausgehandelte Importquote kürzere Übergangsfrist als die vereinbarten zehn Jah- entspricht zwar »nur« 1,2 Prozent der gesamten EU- re gewünscht.9 Rindfleischproduktion. Aber bereits dies kann zu Das Mercosur-Freihandelsabkommen würde die Marktverwerfungen führen, weil der EU-Rindfleisch- Exportoffensive in der Milchwirtschaft zementieren. markt mit einem Selbstversorgungsgrad von 102 Pro- Dass die Milchbäuerinnen und -bauern nicht auto- zent bereits mehr als gesättigt ist.5 matisch an dieser Exportoffensive verdienen, zeigen Der dänische Fleischkonzern Danish Crown (DC) deutlich die aktuell desaströsen Milchpreise. Die erwartet zwar nicht, dass der europäische Rind- größte Molkerei Deutsches Milchkontor (DMK), die fleischmarkt unmittelbar einbricht, weist aber darauf auf Export setzt, zahlt gerade mal 30 Cent Grundpreis hin, dass die Importe aus den Mercosur-Ländern bei für den Liter Milch. Das sind mit die schlechtesten vollständiger Umsetzung und Ausschöpfung aller Preise im Bundesvergleich und sie liegen – zulasten multi- und bilateraler Vereinbarungen sogar bis zu der Milcherzeuger – mehr als zehn Cent unterhalb sechs Prozent der europäischen Rindfleischerzeugung der Kostendeckung je Liter Milch. Außerdem werden entsprechen könnten. Dies werde, so Danish Crown, für diese Exportoffensive auch Futtermittel in Form dann sicher eine nennenswerte Marktwirkung entfal- von Soja – zu großen Teilen aus diesen Mercosur- ten.6 Die dadurch verschärfte Preiskonkurrenz könn- Ländern – importiert. Auch in diesem Fall sind Re- te, so die Kritiker des Abkommens, vor allem jene genwaldabholzung und Menschenrechtsverletzun- Viehbetriebe in der EU treffen, die tier- und umwelt- gen durch aggressive Landvertreibungen die Folge. gerechte Weidehaltung betreiben. Es gibt auch Kritik in den Mercosur-Ländern zu Ein weiterer Kritikpunkt ist die Produktionsweise diesem Abkommen. In Argentinien etwa forderten in Brasilien. Brasilen ist weltweit der zweitgrößte Pro- Milchbetriebe vergeblich, ihre Branche von dem Ab- duzent und der größte Exporteur von Rindfleisch. Die kommen auszuklammern. Derweil fürchten Uruguays Rindfleischexporte stiegen in den letzten 14 Jahren um Milcherzeuger besonders um ihre Absatzmargen im 700 Prozent an. Das ständige Wachstum der Rinder- Nachbarland Brasilien.10 In Brasilien sorgen sich die herden führt zu Landkonflikten. Die extensive Vieh- Milcherzeuger um ihren ohnehin schon für bäuerliche haltung zählt zu den hauptsächlichen Treibern der Betriebe angespannten nationalen Markt (siehe unten Entwaldung (und damit meist auch Brandrodung), das Interview mit dem brasilianischen Milchbauer besonders in Amazonien. Die massiven Waldbrände Joel Dalcin). Das Abkommen würde daher nicht nur der jüngsten Zeit sind zum Großteil auf Brandstiftung eine ökologisch gebotene Verkürzung von Lieferket- zurückzuführen, um Flächen auch für die Viehzucht ten konterkarieren, sondern auch die regionale Inte freizulegen. Allein im Jahr 2017 wurden 70 Menschen gration im Mercosur. ermordet, Kleinbäuerinnen und -bauern sowie Indi- Die vereinbarten Eckpunkte sehen zudem vor, dass gene, weil sie sich gegen die weitere Ausbreitung der 180.000 Tonnen Geflügelfleisch jährlich zollfrei aus Agrarindustrie gewehrt haben.7 den Mercosur-Ländern importiert werden. Die Euro- Somit werden mit den Importen aus den Merco- päische Vereinigung der Geflügelfleischproduzenten sur-Ländern auch Regenwaldabholzung und Men- (AVEC), der auch der deutsche Bundesverband der schenrechtsverletzungen »eingeführt«. Das entspricht Geflügelschlachtereien angehört, erteilt dem Merco- keiner wertebasierten europäischen Handelsagenda, sur-Freihandelsabkommen eine Absage mit der Be- für die sich die EU rühmt, und widerspricht auch gründung, dass Brasilien als der größte Geflügelexpor- den anerkannten internationalen Bauernrechten der teur der Welt bereits 500.000 Tonnen Geflügelfleisch Vereinten Nationen, deren Erklärung Ende 2018 mit jährlich nach Europa exportiere.11 115
Der kritische Agrarbericht 2020 Die Kritik von AVEC suggeriert eine differen- produkte zu erreichen. Exporte steigern zwar in der zierte Betrachtung dieses Freihandelsabkommens – verarbeitenden Industrie und im Handel die Umsät- und täuscht darüber hinweg, dass die Haltung der ze, führen aber auf den landwirtschaftlichen Betrie- Fleisch- und Milchindustrie grundsätzlich dadurch ben nicht automatisch zu mehr Wertschöpfung bzw. gekennzeichnet ist, dass sie für eine exportorientierte sogar zu Marktkrisen im Milch- und Fleischsektor. EU-Agrarpolitik ist und massive Lobbyarbeit betreibt, Das Mercosur-Freihandelsabkommen wäre in der ge- um eine entsprechende Marktöffnung für ihre Export- planten Form lediglich ein Ergebnis dieser aggressiven Alessa Hartmann Uneingelöste Versprechen Unverbindliche Regelungen bei Nachhaltigkeit und Menschenrechten im geplanten Mercosur-Freihandelsabkommen Landwirtschaftsministerin Klöckner erklärte Ende August keitsstandards einzuhalten. Allerdings sucht man diese 2019 gegenüber der WELT großspurig: »Das Abkommen Menschenrechtsklausel, die die EU regelmäßig in ihre [EU-Mercosur] beinhaltet ein Nachhaltigkeitskapitel mit Handelsabkommen integriert, bisher vergeblich in den verbindlichen Regelungen. Wenn diese nicht eingehalten veröffentlichten Texten. Aber selbst wenn es sie gäbe, ist werden, kann es die vereinbarten Zollerleichterungen nicht ihre Wirksamkeit höchst umstritten. Die Klausel verdient geben. Da geht es auch um unsere Glaubwürdigkeit.«1 ihren Namen kaum: Denn ihre Ausgestaltung ist sehr Damit liegt Klöckner falsch: Das EU-Mercosur-Han- unterschiedlich und ihre Anwendung erfolgt sehr selektiv delsabkommen ist kein Druckmittel für mehr Wald- und und nur in Ausnahmefällen (z. B. bei einem Staatsstreich, Klimaschutz in Brasilien. Das Nachhaltigkeitskapitel des nicht aber bei wiederkehrenden Fällen von Menschen- Abkommens, in dem Klima- und Umweltschutz sowie rechtsverletzungen) – und auch dann kam es bisher nie Vereinbarungen über die Einhaltung der Menschenrechte zur Aussetzung der Handelspräferenzen.4 und Arbeitsstandards festgehalten werden sollten,2 ist Die Bilanz sieht also mager aus für Umwelt, Klimaschutz zahnlos. Das Mercosur-Abkommen erlaubt keine Sanktio- und Menschenrechte im EU-Mercosur-Abkommen. nen, wenn ein Vertragsstaat die Bestimmungen des Nach- haltigkeitskapitels bricht. Denn das Nachhaltigkeitskapitel Anmerkungen ist vom Streitschlichtungsmechanismus ausgenommen. 1 »Wir sehen eine Katastrophe bei der Entwicklung des Anders als bei allen anderen Vereinbarungen des Abkom- Waldes«. Interview mit Julia Klöckner in Die WELT vom 27. mens, kann bei Verstößen gegen die Umwelt- und Men- August 2019 (www.welt.de/politik/deutschland/ article199262752/Julia-Kloeckner-Dramatische-Katastrophe- schenrechtsbestimmungen nicht der zwischenstaatliche bei-Entwicklung-des-Waldes.html). Streitschlichtungsmechanismus angerufen werden, der 2 »Trade and sustainable development« (https://trade. wirksame Sanktionen, wie beispielsweise Strafzahlungen ec.europa.eu/doclib/docs/2019/july/tradoc_158166.%20 oder Handelssanktionen, verhängen könnte. Trade%20and%20Sustainable%20Development.pdf). 3 So in der Antwort des Staatssekretärs Ulrich Nußbaum vom Auch in den konkreten Absätzen zu Waldschutz und Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in seiner illegalem Holzeinschlag bleibt das Mercosur-Abkommen Antwort auf die »Schriftliche Frage an die Bundesregierung unverbindlich. Von »Information, Austausch und Voran- im Monat September Frage Nr. 7« des Bundestagsabgeord- bringen« ist die Rede. Auch die deutsche Bundesregierung neten Pascal Meiser vom 9. September 2019. hat auf Anfrage bestätigt, dass es sich lediglich um einen 4 Zum ganzen siehe auch T. Fritz: Menschenrechte als unein- gelöstes Versprechen – Nachhaltigkeit, Arbeits- und »abgestuften dialogorientierten Durchsetzungsmechanis- Sozialstandards in EU-Handelsabkommen. Hrsg.: Brot für mus« handelt.3 Was jedoch fehlt sind konkrete, bindende die Welt et. al., Berlin 2017 (www.forumue.de/wp-content/ Vereinbarungen. Es fehlen Strafmaßnahmen, die ergriffen uploads/2017/02/Menschenrechte-als- werden können, wenn beispielsweise illegaler Holzein- uneingelöstes-Versprechen.pdf). schlag erfolgt oder indigene Gruppen von ihrem Land ver- trieben werden. Die Artikel zum Waldschutz und illegalen Holzeinschlag beinhalten keine Druckmittel, um etwa die klima- und umweltschädliche Politik des brasilianischen Alessa Hartmann Präsidenten Bolsonaro zu sanktionieren. Referentin für internationale Handels- und Investitionspolitik Befürworter des Abkommens halten dem entgegen, bei PowerShift e.V. dass die sog. »Menschenrechtsklausel« neben dem Nachhaltigkeitskapitel dafür sorgen könne, Nachhaltig- alessa.hartmann@power-shift.de 116
Welthandel und Ernährung Lobbyarbeit, die nun auch die europäische Geflügel- aus sieben EU-Mitgliedstaaten an der deutsch-belgi- industrie und andere Branchen wie ein Bumerang schen Grenze gegen Freihandelsabkommen demons treffen würde. triert (damals ging es vor allem um CETA). Im September Im Jahr 2017 gab es in Brasilien den bislang größ- des selben Jahres haben niedersächsische Bäuerinnen ten Lebensmittelskandal. Der brasilianische Konzern und Bauern mit Traktoren den größten Importhafen JBS – der größte Fleischverarbeiter der Welt – und für Futtermittel und Getreide in Brake (Niedersach- andere Konzerne mischten Gammelfleisch unter ihre sen) blockiert und die Bundesregierung aufgefordert, Exportware und bestachen staatliche Inspektoren, um das Mercosur-Freihandelsabkommen abzulehnen. dennoch an Hygienezertifikate zu kommen. Das Frei- Bäuerinnen und Bauern wollen Handel, aber die handelsabkommen könnte die Entdeckung solch be- Bedingungen müssen stimmen. Unqualifizierte Frei- lasteter Lebensmittel künftig noch erschweren.12 Denn handelsabkommen der EU wie etwa das geplante mit in dem Abkommen sieht das Kapitel über Lebensmit- den Mercosur-Ländern, aber auch alle anderen ver- telsicherheit eine Beschleunigung der Exportgenehmi- gleichbaren bilateralen Freihandelsabkommen, sind gungen für tierische Produkte vor. Danach verzichtet klar abzulehnen. Welthandel muss wirksam sozial das Einfuhrland auf Kontrollen einzelner Viehbetrie- und ökologisch qualifiziert sein und nicht nur an rein be, wenn das Ausfuhrland »ausreichende Garantien« ökonomischen Zielgrößen ausgerichtet sein. In der über seine Exportbetriebe erbringt. Ferner soll die europäischen Agrarpolitik ist die derzeitige Export Häufigkeit der Importkontrollen reduziert werden.13 offensive daher durch eine entsprechende Qualitäts- strategie abzulösen. Kritik nimmt zu Deshalb sollte das geplante Abkommen in der vor- liegenden Form verhindert werden.17 Die im Sommer Das Mercosur-Abkommen führt zu unterschiedlichen 2019 erzielte politische Einigung bedeutet weder den Reaktionen in Europa. Die Bundesregierung und das Abschluss der Verhandlungen noch eine Annahme Bundeslandwirtschaftsministerium sprechen sich klar des Vertrags. Im Gegenteil: Die öffentliche Ausein- für das geplante Freihandelsabkommen aus. Sie bezie- andersetzung um dieses Abkommen hat gerade erst hen sich unter anderem auf ein (vermeintlich) wirk begonnen.18 sames Nachhaltigkeitskapitel (siehe Kasten). Deutliche Kritik kommt von Regierungsseite aus Frankreich, Polen, Irland und Belgien. In einem ge- Folgerungen & Forderungen meinsamen Brief an die EU-Kommission fordern diese Länder, vor allem die Sektoren Rindfleisch und ■■ Das geplante EU-Mercosur-Abkommen birgt erheb Ethanol sowie Zucker und Geflügelfleisch besser zu liche soziale wie ökologische Risiken. schützen und sie verbinden insbesondere die Rind- ■■ Durch die Agrarquoten fördert es die Überproduk- fleischimporte mit der Klimafrage.14 tion von Milch und Fleisch, statt sie abzubauen. In Österreich hat am 18. September 2019 der EU- ■■ Dadurch wird die Abholzung des amazonischen Unterausschuss des österreichischen Parlaments eine Regenwaldes weiter vorangetrieben – mit massiven bindende Stellungnahme beschlossen, wonach die Auswirkungen auf das Weltklima. österreichische Regierung zu einem Veto gegen das ■■ Die Handelsausweitung verschärft die bereits Abkommen in den EU-Gremien aufgefordert wird.15 bes tehenden Landkonflikte im Mercosur. Hält sich nach der Wahl am 29. September 2019 die neu ■■ Mit einem Mercosur-Freihandelsabkommen impor- zusammengesetzte Regierung unter Sebastian Kurz tieren wir daher auch Regenwaldabholzung und (ÖVP) an diesen Beschluss, der im übrigen auch von Menschenrechtsverletzungen. der ÖVP mitgetragen wurde, hieße dies: Das Mercosur- ■■ Auf beiden Seiten gehören die Bauernhöfe zu den Abkommen wäre tot. Deshalb versucht man jetzt in der Verlierern dieser Art der Freihandelspolitik. EU-Kommission, Beschlüsse so »umzustricken«, dass ■■ Die europäische Agrarindustrie hat das Mercosur- weder im EU-Rat eine Einstimmigkeit noch eine Be- Freihandelsabkommen mit zu verantworten. teiligung der nationalen Parlamente der Mitgliedstaa- ■■ Die Bundesregierung ist aufgefordert, sich dafür ein- ten in einem Ratifizierungsprozess erforderlich sind. zusetzen, die exportorientierte europäische Agrar- In Irland – wie in Frankreich und Polen – gibt es politik durch ein Qualitätsoffensive abzulösen und Widerstände von Bauernverbänden gegen die Ab- dafür die aktuelle EU-Agrarreform zu nutzen. schaffung der Zölle auf Importe aus Südamerika. Sie ■■ Die Bundesregierung muss ihre Haltung ändern und befürchten die zu günstigen Importe aus Brasilien und dieses Mercosur-Abkommen ablehnen. Welthandel Argentinien.16 muss künftig wirksam ökologisch und sozial quali Aber auch in der Zivilgesellschaft wächst der Wider- fiziert werden. stand: Im Januar 2019 haben 17 Bauernorganisationen 117
Der kritische Agrarbericht 2020 Anmerkungen 11 »EU poultry meat sector says no to the Mercosur agreement.« 1 »EU und Mercosur erzielen Einigung in Handelsfragen.« Presse Press release AVEC dated 19. June 2019 (www.avec-poultry. mitteilung der EU-Kommission vom 28. Juni 2019 (https:// eu/news/eu-poultry-meat-sector-says-no-to-the-mercosur- europa.eu/rapid/press-release_IP-19-3396_de.htm). agreement/). 2 Vgl. European Commission: Negotiating REU trade agreements. 12 Zum Folgenden siehe die Ausführungen bei PowerShift (siehe Who does what and how we reach a final deal. Brussels 2018 Anm. 10), S. 3. (https://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2012/june/tradoc_ 13 European Commission: Trade part of the EU-Mercosur associa 149616.pdf). tion agreement, chapter sanitary and phytosanitary measures, 3 European Commission: New EU-Mercosur trade agreement. article 7 – trade facilitation measures (http://trade.ec.europa. The agreement in principle. Brussels, 1. July 2019 (https://trade. eu(doclib/html(158155.htm). ec.europa.eu/doclib/docs/2019/june/tradoc_157964.pdf). 14 »Vier EU-Staaten gegen weitere Zugeständnisse gegenüber 4 Die zusätzlichen 99.000 Tonnen teilen sich in 55 Prozent Mercosur.« Meldung von Agra-Europe vom 19. Juni 2019. gekühltes und in 45 Prozent gefrorenes Fleisch auf (vgl.www. 15 »Republik Österreich Parlament 2019: SPÖ, FPÖ und JETZT setzen europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2019/640138/EPRS_ sich im EU-Unterausschuss mit Forderung nach Veto gegen BRI(2019)640138_EN.pdf). Das Meat Market Observatory – Beef Mercosur-Abkommen durch.« Meldung der Parlamentskorres- and Veal (letzte Aktualisierung vom 17. Oktober 2019) listet pondenz Nr. 905 vom 18. September 2019. die Top-Ten-Länder für Rind- und Kalbfleisch auf. Brasilien, 16 »Gegenwind für das Mercosur-Paket.« Meldung der Frankfurter Uruguay und Argentinien belegen die ersten drei Plätze. Die Allgemeinen Zeitung vom 13. Juli 2019. angegebene Zahl von 326.042 Tonnen ist der Durchschnitt der 17 So auch die Forderung eines breiten Netzwerks zivilgesellschaft- Fleischimporte aus den Jahren 2015 bis 2018. Der Durchschnitt licher Gruppen in ihrem im September 2019 herausgegebenen beinhaltet auch noch andere Rindfleischprodukte wie Corned Fact Sheet (siehe Anm. 10). Beef (vgl. https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/food-far- 18 Ebd., S. 5. ming-fisheries/farming/documents/eu-bovine-trade_en.pdf). 5 European Commission: Beef. Information on the role of market Das Thema im Kritischen Agrarbericht measures, market monitoring, and the legal bases for the beef X X Jürgen Maier: Wer braucht eigentlich globalisierte Agrarmärk- sector [abgerufen am 1. Oktober 2019] (https://ec.europa.eu/ te? Prozess und Stand der Globalisierung im Agrar- und Ernäh- info/food-farming-fisheries/animals-and-animal-products/ rungssystem. In: Der kritische Agrarbericht 2018, S. 12–16. animal-products/beef_en#marketmonitoring). X X Sven Hilbig und Tobias Reichert: Vom Freihandel zum Fairhan- 6 »Danish Crown pocht wegen Mercosur auf Markterschließung del. Die Agenda 2030 als Leitlinie für eine neue Handelspolitik. durch die Politik.« Meldung von Agra-Europe vom 10. Juli 2019 In: Der kritische Agrarbericht 2018, S. 17–20. (www.agra.de/premiumbereich/ansicht/news/danish-crown- X X Berit Thomsen: Landwirtschaft als sensibles Problem. Geplante pocht-wegen-mercosur-auf-markterschliessung-durch-die- Freihandelsabkommen stehen einer zukunftsfähigen Ausrich- politik/). tung der Landwirtschaft diametral entgegen. In: Der kritische 7 PowerShift et al. (Hrsg.): Das EU-Assoziationsabkommen mit Agrarbericht 2018, S. 86–89. dem Mercosur: Frontalangriff auf bäuerliche Landwirtschaft, X X Alessa Hartmann: Wirtschaftsinteressen vor Demokratie? Bis Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz. Berlin 2018 herige Erfahrungen mit Klagerechten für Konzerne. In: Der kriti- (www.abl-ev.de/uploads/media/factsheet_mercosur_web.pdf). sche Agrarbericht 2015, S. 50–51. 8 United Nations Declaration on the Rights of Peasants and Other People Working in Rural Areas. 30. October 2018 (http:// undocs.org/A/C.3/73/L.30). 9 »EU-Milchindustrie begrüßt Mercosur-Übereinkunft.« Meldung Berit Thomsen von Agra-Europe vom 15. Juli 2019. Referentin für internationale Agrarpolitik 10 PowerShift et al. (Hrsg.): Angriff auf Klimaschutz und Menschen- der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Land rechte. Die Folgen des EU-Assoziationsabkommens mit dem wirtschaft (AbL). Mercosur für Mensch und Natur. Berlin 2019 (https://power- shift.de/wp-content/uploads/2019/09/Angriff-auf-Klimaschutz- Bahnhofstraße 31, 59056 Hamm und-Menschenrechte-webversion-final-16.09.2019.pdf). thomsen@abl-ev.de »Der Deal ist unfair« Ein brasilianischer Milchbauer spricht über das geplante Mercosur-Abkommen Joel Dalcin ist Milchbauer in Brasilien, im südlichen Bun- Druck. Heute arbeiten Dalcin, sein Vater und zwei Mitarbei- desstaat Rio Grande do Sul. Er bewirtschaftet einen Hof ter auf dem Betrieb. Dalcin ist Geschäftsführer der Milch mit 75 Milchkühen, 11,8 Hektar Eigenfläche und weiteren bauernbewegung Construindo Leite Brasil. 30 Hektar Pachtfläche. Seine Eltern hatten 1992 nicht mehr als zehn Milchkühe. Nachdem Dalcin mit eingestiegen ist, Herr Dalcin, wie stellt sich die Situation der Milcherzeuger haben sie den Betrieb vergrößert. Von einem betrieblichen in Brasilien dar? Krisenjahr konnten sie sich nur schwer erholen und Schulden Sehr schwierig. Bisher haben uns die Regierungen immer sind geblieben. Banken und andere Kreditgeber machen versprochen, dass sie sich für die Bäuerinnen und Bauern 118
Welthandel und Ernährung einsetzen wollen. Aber wir mussten erleben, dass die mul- gesteigert werden. Allerdings macht der Staat zurzeit tinationalen Konzerne gestärkt wurden. Die Regierungen noch das Gegenteil. haben in der Vergangenheit beispielsweise die Steuern erhoben, wodurch unsere Produktionskosten gestiegen Wie schätzen Sie das geplante Freihandelsabkommen von sind. Wir zahlen mehr als 30 Prozent Steuern auf die EU und Mercosur für die Milchbauern ein? Milche rzeugung, das betrifft alle Produktionsschritte bis Die brasilianische Milchwirtschaft wurde als Verhand- die Milch im Kühltank ist. Die Erzeuger mussten dras- lungsmasse eingesetzt, indem unsere Märkte geöffnet tische Gewinneinbußen hinnehmen, sodass es immer werden sollen, damit für andere Branchen wiederum schwieriger wird, die Bauernhöfe zu erhalten. Die Märkte die Märkte in der EU geöffnet werden. Unsere Produk- werden von Handel, Industrie und den Supermärkten tionskosten sind viel höher als in der EU. Der Deal ist beherrscht. Sie treiben ihre Gewinne nach oben auf unfair, weil wir nicht die staatlichen Anreizprogramme Kosten der Milche rzeuger. Zudem stehen wir mit Milch und Subventionen erhalten. Wir können nicht mithalten. importen aus den anderen Mercosur-Ländern in Kon- Es ist nicht akzeptabel, wie unsere Regierung sich beim kurrenz, die bessere Wettbewerbsbedingungen haben. Mercosur-Abkommen verhalten hat. Wir, die Erzeuger, Dort sind die Steuern und Produktionskosten wesentlich leiden darunter, weil wir das schwächste Glied in der Lie- niedriger und die Produktionsbedingungen teilweise vor- ferkette sind. Wir müssen in Brasilien erst einmal unsere teilhafter. Brasilianische Milchunternehmen importieren internen Probleme lösen, bevor wir unsere Märkte für Milch hauptsächlich aus Uruguay und Argentinien, weil andere Länder öffnen. Wir Milchbauern brauchen Schutz, die Milch dort billiger ist. sonst müssen wir unsere Produktion einstellen. Wir müssen uns als Milchbauern mehr zusammenschließen, Wie sind die Hofstrukturen in Brasilien? gemeinsam auftreten, mehr an unser Potenzial glauben, Die Betriebe haben unterschiedliche Größen, Topografien um die Schwierigkeiten unseres Sektors zu bewältigen. und Systeme. Es gibt Höfe, die zu 100 Prozent Weidegang Wir sind der Ansicht, dass die europäischen Länder ermöglichen, es gibt Betriebe, die ausschließlich als unsere Produkte dann kaufen, wenn wir einen wettbe- Feedloot-System produzieren, also mit hoher Techno- werbsfähigen Preis haben. Für unsere Bewegung ist es logie und hohen Investitionen. Die Produktionsleistung egal, ob es sich um einen großen oder einen kleinen pro Hof und Tag kann 100 Liter betragen und es gibt Erzeuger handelt. Unser Kampf ist für alle Erzeuger. Betriebe, die 80.000 Liter täglich melken. In Brasilien Zusammen sind wir stärker. gibt es alle Arten von Klima und Böden. Gibt es eine junge Milchbauernbewegung in Brasilien? Das Interview führte Berit Thomsen Ja. Die Erzeugerbewegung, zu der auch Construindo Übersetzung: Dr. Luiz Perrone Massucati und Leite Brasil gehört, wurde über WhatsApp gestartet. Wir Marcos A. da Costa Melo haben darüber Milchbäuerinnen und -bauern mobilisiert, Videos von ihren Betrieben aufzunehmen und über die aktuellen Probleme auf den Höfen zu berichten. Es sind viele Videos eingegangen, die wir auf Facebook geteilt haben. Die Bewegung zielt darauf ab, die Produzenten zu vernetzen, zu organisieren und für bessere Bedingun- gen zu kämpfen, das bedeutet auch, für eine bessere Stellung der Erzeuger in der Milchlieferkette. Wir ver- folgen zwei Stränge: Erstens geht es uns um die Art der Milcherzeugung, die sozial verantwortlich sein muss und den Schutz von Umwelt, Tier und auch Mensch mit ein- bezieht. Zweitens geht es darum, dass der Produzent für den Rohstoff Milch die Preise fristgerecht erhält, die mit dem nachgelagerten Bereich in der Wertschöpfungskette vereinbart wurden, und auch darum, die Zahlungskon- ditionen für die Milchbauern zu verbessern. Darüber hinaus fordern wir die Regierungen auf, einen Rahmen Joel Dalcin Milchbauer auf einem Familienbetrieb in zu schaffen für bessere Wettbewerbsbedingungen und Brasilien im Bundesstaat Riogrande do Logistik sowie niedrigere Steuern und Zinsen. Mittels Sul und Geschäftsführer der Milchbauern Kampagnen muss die Nachfrage des Milchkonsums bewegung Construindo Leite Brasil. 119
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