Handelsszenarien Nordrhein-Westfalen 2030 - Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen im digitalen Zeitalter - Herausforderungen und Empfehlungen ...
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1 Handelsszenarien Nordrhein-Westfalen 2030 Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen im digitalen Zeitalter – Herausforderungen und Empfehlungen www.wirtschaft.nrw
2 Inhalt 01 Vorwort 4 02 Management Summary 6 03 Einführung 10 04 Handelsstandort Nordrhein-Westfalen: Status Quo, Rahmenbedingungen und Entwicklungen 14 4.1 Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen im Status Quo 15 4.2 Rahmenbedingungen und Entwicklungen des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen 18 05 Szenarien für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen 2030 26 5.1 Entwicklungen und Annahmen 27 5.2 Handelsszenarien Nordrhein-Westfalen 2030 34 5.3 Bewertung der Handelsszenarien Nordrhein-Westfalen 2030 52 06 Handelsszenarien Nordrhein-Westfalen 2030 - Herausforderungen und Empfehlungen 54 6.1 Empfehlungen für den Handel 55 6.2 Empfehlungen für Innenstädte und andere Handelsstandorte 57 6.3 Empfehlungen im Bereich Handelsimmobilien und Handelslogsitik 65 6.4 Empfehlungen für Politik und Interessenvertretungen 67 07 Fazit 70 08 Weiterführende Informationsangebote 72
5 Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, Angetrieben durch die Digitalisierung durchläuft der Die vorliegende Veröffentlichung präsentiert nicht nur Einzelhandel seit einigen Jahren einen Strukturwandel. mögliche Szenarien des Einzelhandels in Nordrein- Hierbei stellt sich zwangsläufig die Frage, wohin dieser Westfalen, sondern bietet darüber hinaus entsprechen- führen wird. Mit welchen Veränderungen müssen wir in de Handlungsempfehlungen, um sich frühzeitig auf die der Handelslandschaft von Nordrhein-Westfalen lang- Veränderungen einzustellen. fristig rechnen? Welche Handlungsempfehlungen leiten sich daraus heute ab? Ich bin mir sicher, dass dies den handelsorientierten Ent- scheidern eine sehr gute Hilfestellung bietet, um zu prü- Was wir jetzt schon wissen: Das stationäre Geschäft löst fen, ob das eigene Unternehmen, die eigene Institution für sich aus seiner lokalen Umgebung, der Onlinehandel ist die Zukunft gut aufgestellt ist und ob Maßnahmen bereits der Wachstumstreiber des Einzelhandels. Die Möglich- jetzt initiiert werden sollten. keiten des neuen Vertriebs und neuer digitaler Lösungen beleben den Handel, stellen jedoch viele Händlerinnen Ich wünsche Ihnen viele Ideen, spannende Erkenntnisse, und Händler auch vor neue Herausforderungen. Gerade Diskussionsstoff und einen hoffentlich optimistischen durch den Onlinehandel verstärkt sich der Kampf um die Blick auf das Jahr 2030! Kundschaft, indem nicht nur die bekannten Marktbetei- ligten eine Konkurrenz darstellen, sondern auch neue Marktteilnehmer und branchenfremde Unternehmen auf das Parkett treten. Dies verändert bereits heute etablierte Strukturen. Prof. Dr. Andreas Pinkwart Diese Entwicklungen führen bei vielen Händlerinnen und Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung Händlern, aber auch in Städten und Gemeinden sowie in und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen eng mit dem Handel verwobenen Wirtschaftsbereichen, wie der Immobilienwirtschaft oder der Logistikbranche, zu Handlungsdruck bei gleichzeitiger Unsicherheit. Das Tempo des Wandels im wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Umfeld hat sich stark beschleu- nigt, die Komplexität zugenommen. Lineare Prognosen zur Zukunft des Handels in Nordrhein-Westfalen, die eine Orientierungshilfe für Unternehmen bei der Strategiefin- dung und Maßnahmenplanung liefern könnten, sind daher kaum möglich. Visionäre Szenarien über die Zukunft des Handels gibt es viele – jedoch keine, die die spezifischen nordrhein-westfälischen Einflussfaktoren berücksichtigen. Daher wollen wir allen Handelsinteressierten mit der vorliegenden Studie mögliche Szenarien des Handels in Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2030 aufzeigen. Natür- lich nicht mit dem Anspruch, dass die Zukunft genau so eintreffen wird. Vielmehr sollen die Szenarien das mögliche Spektrum der Entwicklung aufzeigen und zum Denken und Diskutieren anregen.
7 Management Summary D emografischer Wandel und Urbanisierung, neue Händlerinnen und Händler erwirtschaften in diesem Be- Technologien und verändertes Konsumentenverhalten, reich lediglich einen Umsatzanteil von zehn Prozent. Strukturwandel und neue Geschäftsmodelle sind Ent- wicklungen, die die Einzelhandelslandschaft in Nord- Onlinehandel und Verstädterung rhein-Westfalen in den kommenden Jahren nachhaltig lassen deutliche Veränderungen der verändern werden. Wie genau diese Veränderungen aus- nordrhein-westfälischen Handels- sehen, ist bislang weitgehend offen. landschaft erwarten Vor diesem Hintergrund hat das Kölner Institut für Han- Einkaufen ohne Internet ist mittlerweile für Konsumenten delsforschung (IFH Köln) im Auftrag des Ministeriums fast undenkbar. Mehr als zwei Drittel der Konsumenten für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie shoppen online – Tendenz steigend. Der Anteil der „tradi- (MWIDE) des Landes Nordrhein-Westfalen auf Basis tionellen Handelskäufer“, d. h. der Konsumenten, die nicht umfangreicher Datenanalysen und Expertengespräche gerne im Internet einkaufen, ist bereits deutlich gesunken. realisitische Szenarien zur zukünftigen Entwicklung des Der Onlinehandel ist weiter auf Wachstumskurs, wohinge- Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen entwickelt. Im gen sich innenstadttypische Handelsformate unter Druck Folgenden wird ein Überblick über die wichtigsten Ergeb- befinden. Mit zunehmender Onlineaffinität der Konsu- nisse dargestellt. menten wachsen auch die Onlineumsätze stark. Dies gilt insbesondere im Bereich der innenstadtrelevanten Nordrhein-Westfalen – Händlerstandort Sortimente. mit bundesweiter Strahlkraft Profiteure des Onlinewachstums sind vor allem bekannte Mehr als jedes fünfte Einzelhandelsunternehmen in Onlineplattformen und -Player sowie Multi-Channel- Deutschland ist in Nordrhein-Westfalen beheimatet – der Konzepte stationärer Händlerinnen und Händler. Innen- Anteil dieser Unternehmen am gesamten Einzelhandels- stadttypische Handelsformate wie der kleinbetriebliche umsatz in Deutschland liegt bei knapp einem Drittel. Fachhandel profitieren – abgesehen von Erfolgen als Marktplatzverkäufer – vom Onlinewachstum bislang Unter den eintausend umsatzstärksten Händlerinnen kaum. und Händlern in Deutschland haben rund dreißig Prozent ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen. Besonders umsatz- Der Verstädterungsgrad nimmt weiter zu: Korrespon- stark ist der Händlerstandort Nordrhein-Westfalen im dierend mit seiner hohen Bevölkerungsdichte leben in Lebensmitteleinzelhandel und im Bereich der Kauf- und Nordrhein-Westfalen im Bundesvergleich überdurch- Warenhäuser. Zusammengefasst vereint der Handel in schnittlich viele Bürgerinnen und Bürger in Groß- und Nordrhein-Westfalen in diesen beiden Segmenten mehr Mittelstädten – dies gilt insbesondere im Bereich der als vierzig Prozent des deutschen Einzelhandelsumsatzes Rheinschiene. Trendfortschreibungen, Bevölkerungspro- auf sich. gnosen und Experteneinschätzungen signalisieren, dass Großstädte und ihre Speckgürtel in Nordrhein-Westfalen Bei Internet- und Versandhändlern besteht hingegen in den kommenden Jahren weiter wachsen werden. In Nachholbedarf. Die in Nordrhein-Westfalen ansässigen kleineren Städten und Gemeinden abseits der Ballungs-
8 gebiete hingegen werden voraussichtlich – vorausgesetzt schiedensten analogen und digitalen Touchpoints optimal es wird nicht merklich gegengesteuert – immer weniger aktivieren, bedienen und binden zu können. Menschen leben. Städte und Gemeinden sollten insbesondere ihre Rolle Deutlicher Rückgang an Geschäften erwartet: Onlinehan- als Handelsstandort festlegen und ein attraktives Einzel- del und Verstädterung werden weiterhin deutliche Spuren handelsangebot gestalten und dabei ebenfalls Kunden- in der nordrhein-westfälischen Handelslandschaft hinter- mehrwerte und die Nahversorgung im Blick behalten. lassen. Realistisch ist bis zum Jahr 2030 mit einem Rück- Außerdem sollte an Handelsstandorten gleichermaßen gang der Anzahl der Geschäfte um 13.000 bis 20.000 zu Ambiente und Flair sowie Erlebnis und Bequemlichkeit rechnen. Aktuell befinden sich in Nordrhein-Westfalen geschaffen und Leerständen aktiv begegnet werden. noch knapp 110.000 Einzelhandelsgeschäfte. Analog zur Weiterhin sollte die Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren regionalen Bevölkerungsverteilung wird Handel – soweit ausgebaut und die logistischen Fragestellungen in der er über die klassischen Versorgungsfunktionen hinaus- Stadtplanung stärker und weitsichtiger berücksichtigt geht – voraussichtlich vorrangig in attraktiven und hoch- werden. frequentierten Standortlagen größerer Städte in Nord- rhein-Westfalen stattfinden. Auch die Landespolitik ist gefordert, den Wandel im Handel in Nordrhein-Westfa- Händlerinnen und Händler sowie Städte len aktiv zu unterstützen und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen müssen schnell auf unterschiedlichen Auch wenn sich der Trend zur Verstädterung kaum mehr Ebenen aktiv werden umkehren lässt, so können auf politischer Ebene doch Impulse gesetzt werden, um das Leben abseits der Konsumenten werden zukünftig immer bewusster zwi- Großstädte und Ballungsgebiete attraktiver zu machen. schen Versorgungs- und Erlebniskäufen unterscheiden Nordrhein-Westfalen hat in diesem Bereich bereits einige und alternative Einkaufskanäle, Handelsstandorte und Initiativen ergriffen, diese gilt es fortzuführen und auszu- Handelsunternehmen sehr differenziert wahrnehmen bauen. und bewerten. Vor diesem Hintergrund sollten Händlerin- nen und Händler sowie Städte und Gemeinden in Nord- Zudem sollten Maßnahmen ergriffen werden, die darauf rhein-Westfalen auf verschiedenen Ebenen aktiv werden. abstellen, die von den Veränderungen „betroffenen“ Ak- teure über die anstehenden Entwicklungen zu informieren Für die Zukunftssicherung der Handelsbetriebe wird dem und sie zu eigenem Handeln zu motivieren und unter An- Themenfeld „Kundenverständnis, Kundenbeziehung und wendung spezifischer Beratungsangebote zu befähigen. Kundenbindung“ eine überragende Bedeutung zukom- men. Weiterhin sollten Fördermöglichkeiten transparenter dargestellt und besser nutzbar gemacht werden. Auf Händlerinnen und Händler sollten insbesondere ihre Kern- Bundes- und EU-Ebene sollte sich die Landesregierung kompetenzen in Abgrenzung zum Onlinehandel stärken, für faire Rahmenbedingungen zwischen Onlinehandel und das Einkaufserlebnis und die Einkaufsbequemlichkeit ver- stationärem Handel aktiv einbringen. bessern, sowie ihre Onlinepräsenz erhöhen und digitale Services implementieren. Dazu sind Daten online und Auch sollten Möglichkeiten für (rechtliche) „Experimen- offline zu generieren und im Sinne einer konsequenten tierräume“ geschaffen werden, um es den Akteuren zu Kundenzentrierung auch unter Einsatz von Künstlicher ermöglichen, Lösungsansätze schneller und unbürokrati- Intelligenz zu nutzen, um Kunden Mehrwerte zu bieten scher erproben zu können. und personalisiert und situationsbezogen über die ver-
11 Einführung Handel ist Wandel – nie zuvor hat diese Aussage besser Vor diesem Hintergrund hat das Ministerium für Wirt- zugetroffen als heute. Maßgeblich hierfür sind neben schaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes demografischen Entwicklungen sowie strukturellen und Nordrhein-Westfalen (MWIDE NRW) die vorliegende Stu- konzeptionellen Veränderungen im Handel vor allem die die initiiert. Ziel ist es zum einen, realistische Szenarien zunehmende Digitalisierung von Wirtschaft und Gesell- zur zukünftigen nordrhein-westfälischen Einzelhandels- schaft. So zeigt sich immer deutlicher, dass die Konsu- landschaft zu entwickeln. Zum anderen soll aufgezeigt menten die Vorteile des Onlinehandels zunehmend ge- werden, welche Implikationen und Empfehlungen sich aus nießen und damit die Einzelhandelslandschaft nachhaltig den Szenarien für den Handel, die Städte und die eng mit verändern. dem Handel verbundenen Sektoren ergeben. Prognosen des IFH Köln gehen im Einzelhandel (nachfol- Die Entwicklung der Szenarien zur zukünftigen Entwick- gend auch als Handel bezeichnet) von einem Onlineanteil lung des Einzelhandels in NRW und die Ableitung daraus bis 2022 von 13 Prozent und allein bezogen auf die Non- hervorgehender Implikationen und Empfehlungen erfolgte food-Sortimente von 19 Prozent aus. Als Konsequenz sind in drei Schritten. weitere Schließungen von Geschäften zu erwarten, wobei voraussichtlich insbesondere der kleinbetriebliche Fach- Schritt 1: Analyse der Ist-Situation und handel betroffen sein wird. Schon in den letzten Jahren retrospektive Entwicklung des Einzel- hat der Fachhandel, als das die Einzelhandelslandschaft handels in Nordrhein-Westfalen prägende Format, deutliche Umsatzanteile eingebüßt. Zu- dem vollzieht sich innerhalb des Fachhandels selbst eine Grundlage für die Entwicklung der Handelsszenarien ist Verschiebung vom kleinbetrieblichen Fachhandel hin zu die Analyse der einzelhandelsrelevanten Rahmendaten für Filialisten und Fachmärkten. NRW im Status quo und in der Retrospektive. Besonderes Augenmerk gilt dabei den Raum- und Bevölkerungs- Auch in absehbarer Zukunft werden Konsumenten in strukturen, sowie der Situation im Einzelhandel. Im Detail stationären Geschäften einkaufen. Dabei wird sich das werden regionale Unterschiede auf Ebene der 53 Kreise Kaufverhalten weiter verändern und zunehmend durch und kreisfreien Städte ermittelt. Kern der Analyse ist die die ständige Onlineverfügbarkeit von (Produkt-)Infor- heutige und retrospektive Anzahl der Ladengeschäfte im mationen, die Möglichkeit an jedem Ort einzukaufen, stationären Einzelhandel in NRW und deren regionale Ver- sowie Impulse durch soziale Medien (Blogs, Videos und teilung auf Kreisebene. Influencer usw.) beeinflusst. In diesem Umfeld wird es für den Handel immer wichtiger, die Konsumenten in ihren Datenquelle für die demografischen Merkmale sowie vielfältigen Bewegungsräumen abzuholen und dabei alle Umsatz und Anzahl der Handelsunternehmen stellen Möglichkeiten auszuschöpfen, die etwa eine Mehrka- die verschiedenen Veröffentlichungen des Statistischen nal-Vertriebsstrategie bietet. Bundesamtes und des Statistischen Landesamtes NRW dar. Weitere regionale Kennzahlen wie die einzelhandels- Die angeführten Veränderungen machen sich auch in relevante Kaufkraft, Einzelhandelszentralität, regionale Nordrhein-Westfalen (nachfolgend auch kurz als NRW be- Nachfragepotenziale oder Onlineaffinitäten sowie all- zeichnet) bemerkbar. Konkrete Szenarien zur zukünftigen gemeine Handels- und Konsumententrends beruhen im Handelsentwicklung in NRW gibt es bislang aber nicht. Wesentlichen auf Datenquellen des IFH Köln.
12 Schritt 2: Entwicklung der Handelssze- Schritt 3: Ableitung von Implikationen narien für Nordrhein-Westfalen 2030 und Empfehlungen Auf Basis der ermittelten Rahmendaten werden die für Im Rahmen von vier Workshops wurden basierend auf die zukünftige Einzelhandelsentwicklung in NRW maßgeb- den entwickelten Handelsszenarien unterschiedliche lichen Einflussfaktoren herausgearbeitet. Außer auf die Herausforderungen und Empfehlungen für den Handel in ermittelten Daten wurde dabei auch auf die Einschätzun- NRW und die mit ihm eng verbundenen Akteure heraus- gen von namhaften Experten aus Wissenschaft und Praxis gearbeitet. Ergänzt wurden diese um Erkenntnisse, die im zurückgegriffen. Auch die eigentliche Entwicklung der Rahmen der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Szenarien, deren Beschreibung und die Bewertung ihrer Energie (BMWi) initiierten „Dialogplattform Einzelhandel“ Eintrittswahrscheinlichkeiten erfolgte bezugnehmend auf sowie in der vom IFH Köln durchgeführten Untersuchung der Einschätzungen der Experten. Im Ergebnis wurden „Vitale Innenstädte 2018“ gewonnen wurden. vier Handelsszenarien formuliert, die die Bandbreite vor- geben, innerhalb der sich der Handel in NRW bis 2030 voraussichtlich entwickeln wird.
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14 04 Händler- und Handelsstandort Nordrhein-Westfalen
15 Handelsstandort Nordrhein-Westfalen Status Quo, Rahmenbedingungen und Entwicklungen 4.1 Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen im Status Quo D ie überdurchschnittliche Bedeutung Nordrhein-West- rinnen und Händlern in Deutschland haben rund dreißig falens als Händlerstandort dokumentiert sich auf ver- Prozent ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen. schiedenen Ebenen. Mehr als jedes fünfte Einzelhandels- unternehmen in Deutschland ist in Nordrhein-Westfalen Insgesamt vereint der in NRW ansässige Handel knapp ein beheimatet. Laut Umsatzsteuerstatistik sind dies rund Drittel des gesamten deutschen Einzelhandelsumsatzes 76.000. Unter den eintausend umsatzstärksten Händle- auf sich. Diese Umsätze aus der Umsatzsteuerstatistik folgen dem Umsatzschwerpunktprinzip und beziehen sich auf den Einzelhandel im engeren Sinne, d. h. ohne Tank- stellen und Apotheken. Das bedeutet, dass alle Einzelhan- delsunternehmungen mit ihrem Zentralsitz in NRW mit dem gesamten Umsatz und unabhängig von dem Stand- ort ihrer Filialen erfasst werden. So wird das komplette Filialnetz und der Gesamtumsatz dem Handelsumsatz von NRW zugerechnet, auch wenn ein Teil der Filialen in anderen Bundesländern angesiedelt ist und dort vor Ort Filialumsätze erwirtschaftet. Besonders stark ist der Händlerstandort NRW im Lebens- mitteleinzelhandel (LEH) sowie im Bereich der Kauf- und Warenhäuser. Insgesamt entfallen 62,5 Prozent der Umsätze der Handelsunternehmen in NRW auf diese Bereiche. Die in NRW ansässigen Handelsunternehmen erwirtschaften damit 42,7 Prozent des deutschen Ge- samtumsatzes in diesen beiden Segmenten. Quelle: Statistisches Bundesamt, IT.NRW, Umsatzsteuerstatistik 2016, Quelle: Statistisches Bundesamt, IT.NRW, Umsatzsteuerstatistik 2016, Hochrechnung 2017 IFH Köln Hochrechnung 2017 IFH Köln
16 Mit der Umsatzstärke des stationären Einzelhandels in Fast alle Regionen in NRW sind vom Rückgang der Ge- NRW können die dort ansässigen Internet- und Versand- schäfte betroffen. Besonders deutlich fällt der Rückgang händler nicht mithalten. Sie realisieren lediglich 10,1 in den ländlichen Regionen im Nordosten aus. Prozent der in diesem Bereich in Deutschland realisier- ten Umsätze. Hier besteht Nachholbedarf – sowohl im Hinblick auf die Stärkung der in NRW ansässigen Inter- net- und Versandhändler, als auch mit Blick auf mögliche Neuansiedlungen. In den folgenden Ausführungen wird das Umsatzschwer- punktprinzip nicht weiter angewendet. Es werden nur die tatsächlich in NRW realisierten Umsätze des Einzel- handels betrachtet. Das bedeutet, dass die Umsätze, die Handelsunternehmen aus NRW mit Filialen in anderen Bundesländern erwirtschaften, nicht mit einbezogen wer- den. Umgekehrt werden die Umsätze, die Unternehmen aus anderen Bundesländern mit Filialen in NRW erwirt- schaften, hinzugerechnet. Anzahl der Geschäfte rückläufig Die Anzahl der Geschäfte im Einzelhandel lag in NRW im Jahr 2018 bei rund 108.000. Analog zur Bevölkerungsver- teilung liegt der Schwerpunkt der Geschäfte in der Region des Regionalverbands Ruhr bzw. der Rheinschiene. Wie in Deutschland insgesamt, so ist auch in NRW die Anzahl der Geschäfte rückläufig. Insgesamt ist die Anzahl der Geschäfte zwischen 2010 und 2018 um ca. 6.600 ge- sunken (-5,8 %). Besonders stark vom Rückgang betrof- fen sind ländliche Kreise (-8,0 %). Aber auch in städti- schen Kreisen (-6,1 %) sowie in kreisfreien Großstädten Quelle: IFH Köln nach Statistisches Bundesamt, IT.NRW, Standortzählung (-5,2 %) sinkt die Anzahl der Geschäfte. Aufgrund der des IFH Köln der TOP 1.000 Handelsunternehmen, IFH Berechnungen dort generell eher höheren Anzahl an Geschäften fällt dort der Rückgang bei absoluter Betrachtung sogar besonders deutlich aus.
17 Kreiskategorien nach Anzahl der Geschäfte in Nordrhein-Westfalen 2018 Kreiskategorien nach Veränderung der Anzahl der Geschäfte 2018, durchschnittliche Jährliche Wachstumsrate (CAGR) 2010-2018 in % Quelle: IFH Köln nach Statistisches Bundesamt, IT.NRW, Standortzählung des IFH Köln der TOP 1.000 Handelsunternehmen, IFH Berechnungen
18 Handelsstandort Nordrhein-Westfalen Status Quo, Rahmenbedingungen und Entwicklungen 4.2 Rahmenbedingungen und Entwicklungen des Einzel- handels in Nordrhein-Westfalen Bevölkerungsreichstes Bundesland Mit 17,9 Millionen Einwohnern leben 21,6 Prozent der Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt in der Metropolre- deutschen Bevölkerung in NRW. Damit ist NRW das bevöl- gion Rhein-Ruhr, die zu den am dichtesten besiedelten Re- kerungsreichste Bundesland und durch eine stark über- gionen Europas zählt. Eher dünn besiedelt sind dagegen durchschnittliche Bevölkerungsdichte gekennzeichnet. der Nordosten und die Eifelregion im Süden. Der Bevöl- Eine höhere Bevölkerungsdichte weisen in Deutschland kerungszuwachs fällt in NRW seit 2011 mit 2,1 Prozent in lediglich die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen Relation zu Deutschland (3,1%) etwas schwächer aus. auf. Quelle: IFH Köln nach Statistisches Bundesamt, 2017
19 Urbane Strukturen überwiegen Die Raumkategorien in NRW sind dabei wie folgt definiert: Korrespondierend mit seiner hohen Bevölkerungsdichte Ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen: Kreise ist NRW durch einen hohen Anteil städtischer Verdich- mit einem Bevölkerungsanteil in Groß- und Mittelstädten tungsräume geprägt. Die Kreise in NRW werden mehrheit- von mindestens 50%, aber einer Einwohnerdichte unter lich als „Städtische Kreise“ bzw. „Kreisfreie Großstädte“ 150 Einwohner pro km², sowie Kreise mit einem Bevöl- definiert. Besonders häufig ist dies im Regionalverband kerungsanteil in Groß- und Mittelstädten unter 50% mit Ruhr bzw. entlang der Rheinschiene der Fall. Keiner der einer Einwohnerdichte ohne Groß- und Mittelstädte von Kreise in NRW fällt in die Kategorie „dünn besiedelte länd- mindestens 100 Einwohnern pro km². liche Kreise“ und der Kategorie „ländliche Kreise mit Ver- dichtungsansätzen“ sind nur drei Kreise zuzuordnen. Der Städtische Kreise: Kreise mit einem Bevölkerungsanteil hohe Verstädterungsgrad in NRW spiegelt sich auch auf in Groß- und Mittelstädten von mindestens 50% und Ebene der Gemeindetypen wider. Während in Deutschland einer Einwohnerdichte von mindestens 150 Einwohnern 60 Prozent der Bevölkerung in Groß- und Mittelstädten pro km², sowie Kreise mit einer Einwohnerdichte ohne lebt, sind es in NRW über 85 Prozent. In Landgemeinden Groß- und Mittelstädte von mindestens 150 Einwohnern wohnen lediglich 0,1 Prozent der Bevölkerung von NRW pro km². (Deutschland insgesamt: 10,4%). Insgesamt befinden sich 29 der 80 deutschen Großstädte mit über 100.000 Ein- Kreisfreie Großstädte: Kreisfreie Städte mit mind. wohnern in NRW. 100.000 Einwohnern. Quelle: IFH nach BBSR, Thünen-Institut
20 Kaufkraft insgesamt im Bundesdurch- schnitt – Rheinschiene überdurch- schnittlich Das Kaufkraftniveau in NRW liegt mit 99 Prozent etwa Während sich entlang der Rheinschiene Kaufkraftwerte im Bundesdurchschnitt. Bezogen auf die Bevölkerung in von bis zu knapp 120 finden, weisen Kreise entlang der NRW entfällt damit etwas mehr als ein Fünftel (21,5%) nördlichen Grenze von NRW eher unterdurchschnittliche der absoluten Kaufkraft in Deutschland auf NRW. Kaufkraftwerte auf. Quelle: IFH Köln 2018 Quelle: IFH Köln 2018
21 Einkaufen ohne Internet – für Konsumenten fast undenkbar Mit der zunehmenden Digitalisierung von Wirtschaft und Der Anteil der „traditionellen Handelskäufer“, d. h. der Gesellschaft hat sich auch das Informations- und Kaufver- Konsumenten, die nicht (gerne) im Internet einkaufen, halten der Konsumenten deutlich verändert. Rund jeder ist in den vergangenen Jahren deutlich gesunken. Lag zweite Konsument (49 %) zählt zur Gruppe der „selekti- er 2012 noch bei über 50 Prozent, hat sich der Wert bis ven Onlineshopper“, die je nach Produkt oder Situation heute mehr als halbiert. Der Anteil der „begeisterten On- zwischen On- und Offlinekanälen wechseln und diese lineshopper“ liegt bei 28 Prozent und ist im Vergleich zu vielfach miteinander kombinieren. 2017 wieder deutlich gestiegen. Dazu verändern mobiles Internet und mobile Endgeräte wie Smartphones und Tab- lets das Kommunikations- und Einkaufsverhalten. Von der Informationssuche bis zum Kauf kommt das Smartphone immer häufiger zum Einsatz. Hierdurch werden für Konsu- menten spontane Onlinerecherchen und -käufe ermög- licht – ortsunabhängig, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Diese Entwicklung fördert das Onlineshopping. 45 Prozent der Käufe in Geschäften (ohne den Kauf von Gütern des täglichen Bedarfs wie Lebensmitteln) geht eine Informationssuche im Internet voraus. Und auch Innenstadtbesucher schätzen die Vorteile des Internets, wenn es um das Thema Einkaufen geht. So möchten sich der Untersuchung „Vitale Innenstädte 2018“ zufolge über 40 Prozent der Innenstadtbesucher online über Geschäfte, Angebote und Warenverfügbar- keiten informieren. Quelle: IFH Köln, Institut für Demoskopie Allensbach: ACTA 2012
22 Über ein Drittel der Besucher möchte Produkte zwar on- der Onlinekäufer mit dem Durchschnittsalter der jeweili- line bestellen, aber vor Ort im Geschäft abholen. Knapp gen Bevölkerung – je höher das Durchschnittsalter, desto jeder Dritte möchte Waren bei Händlerinnen und Händlern niedriger der Anteil der Onlineshopper. Anschließend vor Ort online bestellen und zu sich nach Hause liefern werden die durchschnittlichen Onlineausgaben je Online- lassen können. shopper mit dem regionalen Kaufkraftniveau gewichtet. Aus dem Anteil der Onlineshopper und den gewichteten Die Onlineaffinität der Konsumenten in NRW liegt im Bun- Onlineausgaben ergibt sich die Onlineaffinität je Region. desdurchschnitt. Höhere Werte sind im Süden Deutsch- lands sowie in den Stadtstaaten zu beobachten, niedrige- re Werte vor allem in den neuen Bundesländern. Onlinehandel mit hoher Marktbedeutung Mit der zunehmenden Onlineaffinität der Konsumenten Onlineaffinität nach HDE Onlinemonitor: Grundlage für wachsen auch die Onlineumsätze stark und haben die die Ermittlung der Onlineaffinitäten ist der Anteil der On- Schwelle von 60 Milliarden Euro p. a. überschritten. Zwar lineshopper je Bundesland gemessen an der jeweiligen ist der Onlinehandel 2018 voraussichtlich mit über neun Gesamtbevölkerung. Tendenziell korrespondiert der Anteil Prozent etwas schwächer gewachsen als in den vergange- nen Jahren, dennoch liegen die absoluten Umsatzzuwäch- se nahezu unverändert zwischen vier bis fünf Milliarden Euro. Das stetige Nachfragewachstum online ist unter anderem auf eine zunehmende Onlineaffinität bei den älteren Gene- rationen (ab 60) oder auch in Großstädten über 100.000 Einwohner zurückzuführen. Mit etwa zehn Prozent ist der Onlinehandel mittlerweile ein etablierter Teil der deut- schen Handelslandschaft. Besonders hoch sind die Onlineanteile in innenstadtre- levanten Branchen, wie Fashion & Accessoires oder CE/ Elektro. Hier sind Onlineanteile von fast 30 Prozent zu beobachten. Vom Onlinewachstum profitieren insbesondere reine On- linehändler und Händlerinnen und Händler, die erfolgrei- che Multi-Channel-Konzepte etabliert haben. Gleiches gilt für die bekannten Onlineplattformen: So entfällt beispiels- weise nahezu die Hälfte der Onlineumsätze in Deutsch- land auf die Plattform Amazon – mehrheitlich mittlerweile davon auf den Marktplatz. Innenstadttypische Handels- formate wie der kleinbetriebliche Fachhandel profitieren – abgesehen von Erfolgen als Marktplatzverkäufer – vom Onlinewachstum bislang kaum. Quelle: HDE Onlinemonitor 2018, IFH Köln
23 Quelle: IFH Köln nach HDE Onlinemonitor 2018, IFH Branchenreport Onlinehandel 2018 Quelle: HDE Onlinemonitor Umrechnung Netto- in Bruttowerte 2000-2017, IFH Hochrechnung 2018*
24 Frequenzverluste im stationären Einzel- handel Die Entwicklung hin zu immer mehr begeisterten bzw. 1A-Lagen in Metropolen kaum betroffen sind, leiden ins- selektiven Onlineshoppern und immer weniger traditio- besondere Klein- und Mittelstädte sowie Nebenlagen in nellen Handelskäufern wirkt sich tendenziell negativ auf den Großstädten. die Frequenzen in den stationären Geschäften aus: Wie in der Studie „Vitale Innenstädte 2018“ deutlich wird, kaufen Und selbst in Städten und Standortlagen, die nicht unter 65 Prozent der Innenstadtbesucher auch online ein. Rund Frequenzverlusten leiden, verzeichnen Händlerinnen und jeder Vierte davon besucht Innenstädte zum Einkaufen Händler bisweilen rückläufige Frequenzen in den Geschäf- deshalb seltener. Unter den 25 bis 44-Jährigen ist dies ten. So ist die Anzahl der durchschnittlich während eines bei fast jedem Dritten der Fall, bei den unter 25-Jährigen Innenstadtbesuchs aufgesuchten Geschäfte im Zeitablauf sogar bei beinahe jedem Zweiten. Der daraus hervorge- gesunken: Während 2014 gut jeder dritte Innenstadtbesu- hende Frequenzrückgang trifft Städte und Standortlagen cher beim Gang in die City nicht mehr als zwei Geschäfte in unterschiedlichem Ausmaß: Während beispielsweise aufgesucht hat, traf dies 2018 bereits auf jeden Zweiten zu. Die beschriebenen Entwicklungen sprechen aus Konsu- mentensicht für immer zielgerichtetere Innenstadtbesu- che. Auch wenn Shopping für Konsumenten immer noch das Hauptmotiv eines Innenstadtbesuchs ist, stehen Innenstädte und stationärer Handel somit mehr denn je vor der Herausforderung, Frequenz zu schaffen und best- möglich zu nutzen. Positiv ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass sich die Durchschnittsbons im Einzel- handel im Zeitablauf tendenziell erhöht haben. Quelle: IFH Köln Vitale Innenstädte 2014, 2016, 2018 Quelle: IFH Köln Vitale Innenstädte 2018
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26 05 Wie sich der Einzelhandel Zukünftig verändert
27 Szenarien für den Einzelhandel in NRW 2030 5.1 Entwicklungen und Annahmen Wie werden sich der Onlinehandel und das veränderte 2000 und 2018 lag die durchschnittliche jährliche Einkaufsverhalten der Konsumenten auf die Handelsland- Steigerungsrate lediglich bei 1,2 Prozent. schaft in NRW auswirken? Welche Konsequenzen zieht die Verstädterung nach sich? Welche Vertriebskanäle und Unter Berücksichtigung der zu erwartenden Bevölke- Handelsformate gewinnen, welche verlieren? Wie viele rungsentwicklungen, Trendfortschreibungen und Exper- Geschäfte wird es geben und wo? Um Antworten auf diese teneinschätzungen ist davon auszugehen, dass die guten und ähnliche Fragen zu finden und die Zukunft des Einzel- wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in NRW und die da- handels in NRW bis 2030 greifbarer zu machen, wurde raus hervorgehende positive Konsumstimmung zunächst sich für die Szenariotechnik entschieden. anhalten werden. Uneinigkeit herrscht unter den Experten darüber, wann mit einem Abschwung zu rechnen ist. Im Expertendialog wurden dazu zunächst die für die zu- künftige Entwicklung des Einzelhandels in NRW relevan- Insgesamt gehen die Experten über alle Branchen und ten Faktoren und Trends herausgearbeitet. Anschließend Formate hinweg bundesweit und bezogen auf NRW von wurden auf Basis von Trendfortschreibungen, Entwick- einem durchschnittlichen jährlichen Einzelhandelswachs- lungsanalysen und Experteneinschätzungen mögliche tum von 1,5 Prozent bis 2030 aus. Das heißt, das Handels- zukünftige Entwicklungen dieser Einflussfaktoren bis in wachstum in NRW sinkt gegenüber dem Betrachtungs- das Jahr 2030 prognostiziert und in vier Handelsszena- zeitraum 2010 bis 2018 um rund einen Prozentpunkt. rien überführt. Abschließend erfolgte die Bewertung der Innerhalb der Handelsszenarien wird diese Wachstums- Handelsszenarien im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit rate übergreifend zu Grunde gelegt. Das Umsatzvolumen ihres Eintretens. des Einzelhandels in NRW steigt unter dieser Annahme von rund 130 Mrd. Euro im Jahr 2018 auf knapp 160 Mrd. Auf Basis von Trendfortschreibungen und Entwicklungs- Euro im Jahr 2030. analysen wurden im Expertendialog folgende Faktoren und Trends als besonders wichtig für die zukünftige Entwicklung des Einzelhandels in NRW herausgearbeitet: Die konjunkturelle Entwicklung des Einzelhandels, die Ent- wicklung des Onlinehandels und der stationären Handels- formate im Zusammenspiel mit den Verhaltensweisen, Präferenzen und Anforderungen der Konsumenten sowie die zunehmende Verstädterung. Mittelfristiges Umsatzwachstum zu erwarten Die Rahmenbedingungen für den Handel in NRW waren in den letzten Jahren positiv. Bevölkerung und Wirtschafts- leistung sind stetig gewachsen, gleichzeitig waren die Beschäftigungszahlen hoch und der Anteil an Arbeits- suchenden gering. Das wirkte sich positiv auf die Kon- sumlaune aus. So ist der Umsatz im Einzelhandel nach HDE-Angaben zwischen 2010 und 2018 bundesweit im Durchschnitt um jährlich 2,6 Prozent gestiegen; zwischen Quelle: IFH Köln nach Statistisches Bundesamt, IT.NRW, Standortzählung des IFH Köln der TOP 1.000 Handelsunternehmen, IFH Berechnungen
28 Onlinehandel weiter auf Wachstumskurs tionsstau). Im Vergleich zu diesen innenstadttypischen Handelsformaten wird sich nach Einschätzung der – innenstadttypische Handelsformate Experten vornehmlich der Umsatz im Onlinehandel unter Druck „ bundesweit weiter überdurchschnittlich entwickeln. Als Gründe hierfür werden vor allem die stetig steigende An- Mit Blick auf den Wettbewerb der Vertriebskanäle und zahl der Onlineshopper über alle Altersgruppen hinweg Handelsformate ist zu erwarten, dass sich die in den sowie die Zunahme des Onlineanteils an der individuellen letzten Jahren abzeichnenden Entwicklungen fortsetzen Bedarfsdeckung genannt. werden und nicht alle Kanäle und Formate gleichermaßen an der positiven Umsatzentwicklung in NRW partizipieren werden. Vor allem der kleinbetriebliche Fachhandel sowie die Kauf- und Warenhäuser werden weiter unter Druck Es werden immer mehr Branchen vom Online- stehen. handel penetriert. Gleichzeitig sind aber auch Sättigungstendenzen bei Branchen (Technik, Das ist zum einen auf das Wachstum im Onlinehandel Bücher) zu erkennen. In Summe wird es On- “ zurückzuführen, an dem diese Handelsformate (bislang) nur unterdurchschnittlich partizipieren. Hinzu kommen line kein unbegrenztes Wachstum geben. gerade im kleinbetrieblichen Fachhandel häufig Nach- folgeprobleme und ausbleibende Investitionen (Investi- Quelle: IFH Köln Handelsszenario 2019, Angaben Onlinehandel nach HDE-Onlinemonitor 2018, IFH Hochrechnung 2018
29 Uneinigkeit herrscht unter den Experten jedoch über stellt, dass „neue“, zuvor wenig onlineaffine Branchen für das Tempo und die Stärke des Onlinewachstums in den den Onlinehandel erschlossen werden (z. B. Zunahme der kommenden Jahren. So unterscheiden sich die Einschät- Onlinebestellung von Lebensmitteln), Sättigungstenden- zungen beispielsweise darüber, ob sich Onlineshopping zen eine Ausnahme darstellen und die Herausforderungen in Branchen etabliert, die bislang niedrige Onlineanteile rund um „die letzte Meile“ immer besser gelöst werden aufweisen (z. B. Lebensmittel) und inwieweit sich – ins- können. Viele Konsumenten können als „Heavy Online- besondere in Branchen mit hohen Onlineanteilen wie shopper“ bezeichnet werden. (Unter Heavy Onlineshop- „ Fashion und Consumer Electronics – Sättigungstenden- pern werden Personen verstanden, die mindestens einmal zen einstellen. pro Woche online einkaufen und mindestens 50% ihrer durchschnittlichen Einkäufe (ohne Lebensmittel) online Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Einschät- tätigen.) zungen der Experten zum zukünftigen Onlinewachstum werden im Rahmen der Handelsszenarien drei mögliche Wachstumsraten unterschieden. Online fungiert immer mehr als schneller Pro- “ blemlöser. Die Folge ist, dass Onlineeinkäufe zunehmend bevorzugt werden. Mittleres Onlinewachstum: Das Onlinewachstum ist wei- terhin hoch, verlangsamt sich aber sukzessive analog der Trendfortschreibung auf ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 7,2 Prozent. Bei der Kanalpräfenz der Kon- sumenten ergeben sich zwei Optionen je nachdem, ob die Konsumenten schwerpunktmäßig eher der Gruppe der „begeisterten Onlineshopper“ (Kanalpräferenz „Online“) „ oder der Gruppe der „selektiven Onlineshopper“ (Kanal- präferenz „Multi-Channel“) zuzuordnen sind. Im Rahmen der Handelsszenarien werden die Auswirkungen beider Optionen untersucht. Mittelfristig werden Sättigungsgrenzen er- reicht und das Wachstum verlangsamt sich. Quelle: IFH Köln Der Onlinehandel pendelt sich dann auf einem “ bestimmten Niveau in den jeweiligen Starkes Onlinewachstum: Unter der Annahme, dass die Branchen ein. Onlineaffinität der Konsumenten in NRW branchenüber- greifend und altersgruppenübergreifend weiter zunimmt, wird ein starkes durchschnittliches jährliches Online- wachstum von 9,5 Prozent erwartet. Dabei wird unter-
30 Niedriges Onlinewachstum: Die in den vergangenen Doch auch mit Blick auf die Kernkompetenzen des Jahren zu beobachtenden Wachstumsraten im Onlinehan- stationären Handels wachsen die Anforderungen und Er- del schwächen sich bis 2030 aufgrund von Sättigungsten- wartungen der Konsumenten: Gerade in Abgrenzung zum „ denzen und einer „Rückbesinnung“ auf den stationären Onlinehandel gewinnen Einkaufserlebnisse im stationären Einzelhandel deutlich auf ein durchschnittliches jähr- Handel an Bedeutung. Hierzu zählen beispielsweise ein liches Wachstum von 4,7 Prozent ab. Die Kanalpräfenz umfassendes und inspirierendes Sortiment, freundliche, der Konsumenten ist in weiten Teilen als „Stationär“ zu kompetent-individuelle Beratung, ansprechende Laden- bezeichnen. gestaltung und Warenpräsentation, einladende Schau- fensterdekoration sowie eine entspannte und zugleich stimulierende Einkaufsatmosphäre. Alles Faktoren, die in Der Onlinehandel wird an Hype verlieren. Bis- den Bereich der Kernkompetenzen des stationären Han- dels fallen. Und auch mit Blick auf die Einkaufsbequem- her spielten beim Konsumenten Punkte wie lichkeit (Convenience) hat der Onlinehandel bisweilen Neugierde, Entdeckung von neuen Möglich- neue Standards definiert, denen zunehmend auch statio- “ keiten, Testen von Entwicklungen eine beson- näre Händlerinnen und Händler gerecht werden müssen dere Rolle. (z. B. Verfügbarkeit umfassender Produktinformationen, Angebot vielfältiger Bezahlmöglichkeiten, problemloser Umtausch von Produkten). Wachsende Anforderungen der Konsu- menten an den stationären Handel und Auch werden Konsumenten zukünftig immer bewusster zwischen Versorgungs- und Erlebniskäufen unterschei- an Handelsstandorte den und alternative Einkaufsmöglichkeiten differenziert bewerten. Beim Versorgungskauf rückt die Einkaufsbe- Mit den zunehmenden Onlineaffinitäten und -erfahrungen quemlichkeit als kaufentscheidendes Merkmal in den Vor- der Konsumenten verändern sich auch deren Präferenzen dergrund. Generell zum Tragen kommt dies im Onlinehan- und Anforderungen beim Einkauf im stationären Einzel- del und bei der klassischen Nahversorgung mit Gütern handel. So müssen Handelskonzepte im zunehmenden „ des täglichen Bedarfs im stationären Handel. Zu denken Maße deutliche Mehrwerte für Konsumenten bieten und ist aber auch an (halb-)automatisierte Bestellprozesse, alltagstauglich sein. Die Verknüpfung von Online- und Off- beispielsweise per Sprachsteuerung, Abo-Modellen, auto- linekanälen wird dabei als grundlegende Basis gesehen – matischer Bestandserkennung oder dem gegenwärtig Multi-Channel-Konzepte werden für den stationären Han- nicht zugelassenen Dash-Button. del unabdingbar: Konsumenten erwarten, dass auch der stationäre Handel im Internet präsent ist (Google-Suche, Händlerwebseite, Social-Media-Kanäle etc.) und digitale Services anbietet (Onlinekatalog, Onlinewarenverfügbar- Auf der einen Seite sind die Konsumenten keitsanzeige, Click & Collect, Online-Shop etc.). Zudem sehr bequem. Auf der anderen Seite sind ver- gewinnen „Mobile Commerce“, also die Einbeziehung des meintlich alte Tugenden noch vorhanden: Stö- “ Smartphones in den Einkaufsprozess, sowie automatisier- bern, Inspiration, Neugierde, Erlebnisbedarf. te und sprachgesteuerte Einkaufsprozesse an Bedeutung.
31 Erlebniskäufe sind von Mehrwertfaktoren geprägt, Verstädterung nimmt weiter zu die sich vom Produkt auf den Einkauf selbst (z. B. das Geschäft) verlagern. Aus Sicht der Experten wird das Ein- In den letzten Jahren sind in NRW Großstädte im Vergleich kaufserlebnis zukünftig noch stärker in den Fokus treten, zu Landgemeinden, Klein- und Mittelstädten deutlich vor allem was den innenstadtrelevanten Handel angeht. gewachsen. Im Jahr 2018 haben 46,2 Prozent der Bevöl- Ein Allheilmittel werden erlebnisorientierte Konzepte aber kerung in Großstädten gewohnt. Absolut gesehen ist die nicht sein. Sicher ist aber, dass auch beim Erlebniseinkauf Einwohnerzahl in den rund dreißig Großstädten in NRW vor dem Hintergrund einer zunehmenden Convenience- seit 2011 um rund 300.000 Einwohner angestiegen. Orientierung der Konsumenten die Einkaufsbequemlich- keit nicht aus den Augen verloren werden darf. Die zunehmende Onlineaffinität sowie die wachsende Er- lebnis- und Convenience-Orientierung der Konsumenten führen dazu, dass – insbesondere abseits der Nahversor- gung – immer seltener stationär eingekauft wird. Zudem werden auch Handelsstandorte von den Konsumenten immer differenzierter hinsichtlich ihrer Besuchsattrak- tivität beurteilt. Begünstigt wird die Attraktivität eines Handelsstandorts beispielsweise durch ein vielfältiges Einzelhandelsangebot mit einem breiten Mix aus bekann- ten Filialisten und inhabergeführten Fachhändlern sowie ergänzenden Gastronomie-, Freizeit- und Dienstleistungs- „ angeboten. Aber auch das Ambiente des Handelsstandor- tes und die Einkaufsbequemlichkeit fließen in die Attrakti- vitätsbeurteilungen der Konsumenten ein. Der Hauptgrund in eine Innenstadt zu gehen, liegt nicht im Erlebnis. Der Hauptgrund ist der Produktbedarf. Nur halb so relevant ist das “ Motiv der Inspiration. Quelle: IFH Köln nach Statistisches Bundesamt, IT.NRW Landgemeinden sind Ortschaften mit bis zu 5.000 Einwohnern. In Klein- städten leben bis zu 20.000 Einwohner, in Mittelstädten bis 100.000 Einwohner. Gemeinden mit mehr als 100.000 Einwohnern sind als Groß- städte definiert.
32 Vor dem Hintergrund der Entwicklungen in den vergan- gewachsenen Städte und Speckgürtel wachsen weiter. genen Jahren und den Einschätzungen der Experten ist Der Rückgang der Bevölkerung in anderen Gebieten fällt davon auszugehen, dass die Verstädterung in NRW bis moderater aus als im Falle einer starken Verstädterung. zum Jahr 2030 weiter zunehmen wird. Im Hinblick auf das Ausmaß der Verstädterung sind sich die Experten Niedrige Verstädterung: Beispielsweise aufgrund hoher jedoch uneinig. Unter Berücksichtigung der für NRW Mieten und überhitzter Immobilienmärkte wird der bis zum Jahr 2030 prognostizierten Bevölkerungsent- enorme Bevölkerungszuwachs in den stark gewachse- wicklung, den in der Vergangenheit im Hinblick auf die nen Großstädten und Speckgürteln gehemmt. Städte im Verstädterung zu beobachtenden Entwicklungen sowie Umland profitieren von dieser Entwicklung und wachsen den Einschätzungen der Experten werden im Rahmen der ebenso wie Städte abseits der Metropolen. Handelsszenarien deshalb drei mögliche Entwicklungs- pfade unterschieden. Die unterschiedlichen Verstädterungsgrade haben einen direkten Einfluss auf die Anzahl der Geschäfte in den Starke Verstädterung: Die Verstädterung hält unvermin- verschiedenen Regionen NRWs und damit auch auf die dert an. Insbesondere die in den letzten Jahren stark ge- Filialnetze der Filialunternehmen. Ein niedrigerer Ver- wachsenen Großstädte sowie deren Speckgürtel wachsen städterungsgrad führt zu einem geringeren Rückgang der weiter. Abseits dieser Regionen nimmt die Bevölkerung örtlichen Einheiten. Grund ist der flächendeckende Bedarf deutlich ab. an Handelsstrukturen. Ein hoher Verstädterungsgrad „ führt demgegenüber zu einer hohen räumlichen Konzen- „ Mittlere Verstädterung: Fortschreibung der in der tration der Verkaufsstandorte. In der Konsequenz leiden Vergangenheit zu beobachtenden Entwicklungen bezug- insbesondere periphere Regionen unter dem Verlust an nehmend auf die prognostizierten Bevölkerungsent- Geschäften. wicklungen. Insbesondere die in den letzten Jahren stark Der urbane Raum wird größer, Speckgürtel bzw. Bald müsste ein Gegentrend zur Urbanisierung eintre- Außenbereiche und -bezirke werden dichter besiedelt “ ten. Die Folge sind Landbewegungen bzw. die Fokussie- “ und wachsen. Gleichzeitig wird das Umland allmählich rung auf das Umfeld. genauso teuer wie die Stadt selbst. „ Die Urbanisierung wird langsamer und nicht mehr so „ stürmisch verlaufen. Der Trend wird aber beibehalten Wir werden eine Konzentration in den TOP Städten [...] wenn Leute aus ländlichen Regionen wegziehen, NRWs beobachten. Randlagen werden aus Handels- wird sich auch zwangsläufig der Handel zurückziehen. sicht über Onlinekonzepte versorgt und nicht stationär.
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34 Szenarien für den Einzelhandel in NRW 5.2 Handelsszenarien Nordrhein-Westfalen 2030 Die skizzierten Entwicklungen und Einschätzungen Vor allem an hochfrequenten Standorten werden Konzep- signalisieren, dass sich die Handelslandschaft in NRW bis te zunehmen, die Emotionen und Inspiration in Form von zum Jahr 2030 deutlich verändern wird. Der Wandel wird Showrooms, Präsenzkonzepten auf kleiner Fläche oder dabei sowohl auf Ebene der Handelsformate, -konzepte wechselnden Pop-Up-Stores bieten. In Erscheinung treten und -akteure als auch auf Ebene der Handelsstandorte dabei neben Herstellern immer häufiger auch ehemals rei- spürbar sein. ne Onlinehändler mit eigenen Outlets und Pick-Up-Stores. Handelsformate, -konzepte und -akteure Pick-Up-Points für Onlinebestellungen werden in allen Gebieten verbreitet sein, entweder in Form von Stand-Alo- Insbesondere der kleinbetriebliche Fachhandel wird ne-Konzepten oder als in andere Nutzungen (z. B. Handel, zurückgedrängt werden, aber auch etablierte Filialunter- Dienstleistungen) integrierte Abholpunkte. nehmen werden ihre Filialnetze auf den Prüfstand stellen. Schwertun werden sich auch regionale Platzhirsche, wenn Insgesamt wird es zu einer Fokussierung auf weniger sie den digitalen Wandel nicht aktiv mitgestalten und sich Handelsakteure als im Status Quo kommen. Erfolgreich die Einzugsgebiete ihrer Standorte negativ entwickeln. werden jene Akteure sein, die fest im „relevant set“ der Konsumenten verankert sind – online wie offline. Da- Funktionierende Geschäftskonzepte im stationären Han- bei sind jene im Vorteil, die hochprofessionell agieren, del werden jene sein, die sich im digitalen wie analogen bekannt sind und einen starken Wiedererkennungswert Sichtfeld der Konsumenten befinden und den jeweiligen mit sich bringen. Erfolgreich werden generell jene Unter- Einkaufsmotiven gerecht werden. Dazu gehören neben nehmen sein, die am schnellsten und besten darin sind, Nahversorgungsformaten des Lebensmitteleinzelhandels sich an Kundenwünschen zu orientieren (vom Produkt bis insbesondere Nonfood-Discounter, Fachmarktkonzepte zu den Prozessen) und in digitale Konzepte investieren. (insbesondere mit starken Eigenmarken), händler- und Veraltete Unternehmensstrukturen mit geringer Ent- herstellergetriebene (filialisierte) Vertikalisten mit ihren scheidungsflexibilität und eingeschränktem Kundenfokus Mono-Label-Stores und – auch im Bereich des kleinbe- werden modernen Unternehmen mit konsequenter Kun- trieblichen Fachhandels – spezialisierte Nischenplayer, denzentrierung sowie flexiblen und schnellen Entschei- die auf Qualität, Exklusivität und Individualität setzen. dungsprozessen online wie offline unterlegen sein. Nicht-spezialisierte Multi-Label-Händler werden bis auf wenige Ausnahmen zurückgedrängt. Handelsstandorte Erfolgreiche stationäre Handelsformate werden durch Die wachsenden Anforderungen der Konsumenten an eine umfassende Convenience-Orientierung und eine Handelsstandorte und die zunehmende Verstädterung starke Erlebniskomponente gekennzeichnet und sowohl werden dazu führen, dass die Trennung „attraktiver“ und online als auch offline als Multi-Channel-Händler aktiv „unattraktiver“ Handelsstandorte in NRW zukünftig weiter sein. In besonderer Weise gilt dies in Branchen, die bereits voranschreiten wird: Immer mehr Handelsstandorte, heute durch hohe Onlineanteile gekennzeichnet sind. sowohl in ländlicheren Regionen als auch in Stadtteilzen- tren und Quartieren von Großstädten, werden sich auf die Nahversorgung fokussieren müssen. Eine Rolle über die
35 Nahversorgung hinaus werden am ehesten Handelsstand- rooms in hochfrequentierten Innenstadtlagen betreiben. orte mit hinreichend großem Einzugsgebiet und breitem Auch der Lebensmitteleinzelhandel wird zukünftig deut- Angebotsspektrum aus Handel, Gastronomie, Dienst- lich stärker in Innenstädten vertreten sein. leistungen etc. sowie angenehmem Ambiente und guter Erreichbarkeit einnehmen können. Dies wird insbesondere Um die Veränderungen der Handelslandschaft in NRW bis in Haupteinkaufsstraßen von Großstädten und Shop- zum Jahr 2030 greifbarer zu machen, werden im Folgen- ping-Centern mit hoher Verweil- und Freizeitqualität der den vier Handelsszenarien vorgestellt. Diese unterschei- Fall sein. Entsprechend wird sich auch der Einzelhandel den sich im Grad der Verstädterung, im Onlinewachstum auf diese hochfrequentierten Handelsstandorte fokussie- und in den Kanalpräferenzen der Konsumenten. ren. Zunehmend werden dabei auch großflächige Anbieter aus der Peripherie (Möbel, Elektronik, DIY) kleinere Show-
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37 Handelsszenario I Urbaner Handel Im Handelsszenario „Urbaner Handel“ zieht es die Bevöl- Treiber für das weitgehend ungebremste Onlinewachs- kerung noch stärker in die beliebtesten nordrhein-west- tum ist die von den Konsumenten beim Online-Shopping fälischen Großstädte als dies gegenwärtig schon der Fall geschätzte Einkaufsbequemlichkeit. Die in heutiger ist. Infolgedessen wachsen diese Großstädte und die sie Zeit bekannten Herausforderungen im Zuge der letzten umgebenden Speckgürtel sukzessive. Städte und Ge- Meile werden gelöst, beispielsweise durch den Einsatz meinden abseits dieser Ballungsgebiete verzeichnen von E-Lastenrädern und ein flächendeckendes Netz von starke Bevölkerungsrückgänge. Pick-up-Points. Dabei führt auch der Verzicht auf das eigene Auto zu einer weiteren Wertschätzung von Online- Die Bevölkerung lebt und arbeitet zunehmend in urbanen bestellungen und der damit verbundenen Lieferung an die Verdichtungsräumen. Gearbeitet wird häufig im Homeoffi- Haustür oder den nächstgelegenen Pick-up-Point. Auch in ce oder in sogenannten Coworking-Spaces. Insbesondere dünn besiedelten Gebieten schätzen die Konsumenten die in dicht besiedelten Großstädten und Ballungsgebieten mit dem Onlinehandel verbundene Einkaufsbequemlich- verzichten immer mehr Menschen auf ein eigenes Auto keit, doch treibt dort oftmals auch das vor Ort begrenzte – Carsharing-Angebote, E-Bikes & Co haben Hochkon- Angebot die Konsumenten in den Onlinekanal. junktur. Gleiches gilt für alle Themen rund um die Digita- lisierung: Smart home ist selbstverständlich geworden, Infolge der weitgehend ausbleibenden Onlinesättigung Sprachsteuerung, Künstliche Intelligenz (KI) und Internet und der neuen Impulse für das Onlinegeschäft wird im of Things (IoT) sind keine Schlagwörter und Spielereien Handelsszenario „Urbaner Handel“ ein hohes durch- mehr, sondern aus dem Alltag der Bevölkerung nicht mehr schnittliches jährliches Onlinewachstum von knapp zehn wegzudenken. Prozent erreicht. Der Anteil des Onlinehandels in Nord- rhein-Westfalen wird bis 2030 infolgedessen auf über Auch beim Einkaufen setzen weite Teile der Bevölkerung fünfundzwanzig Prozent ansteigen, einige Branchen insbesondere auf das Internet. Und natürlich auf ihre weisen dann Onlineanteile von über fünfzig Prozent auf. Smartphones, denn kommuniziert, gesurft, bestellt und Online bestellt wird dann im Regelfall bei den Anbietern, bezahlt wird fast ausschließlich mobile. Folglich wächst die online die besten Leistungen zu akzeptablen Preisen die Gruppe der „begeisterten Onlineshopper“, also der bieten. Ob diese Anbieter auch stationär vertreten sind, Personen, die Online-Käufe stationären Käufen eindeutig ist den „begeisterten Onlineshoppern“ weitgehend egal. vorziehen, stark. Zusehends werden dabei auch „neue“ Branchen für den Onlinehandel erschlossen, die bislang Im stationären Handel kaufen Konsumenten überwiegend als weniger onlineaffin galten (z. B. Zunahme der Online- zum Zwecke der Nahversorgung ein. Darüber hinaus- bestellung von Lebensmitteln). Gleicherweise bleiben gehender Handel findet vor allem in hochfrequentierten „etablierte“, onlineaffine Branchen (z. B. Fashion und Con- Standortlagen statt. Das sind vor allem attraktive Haupt- sumer Electronics) weitgehend von Sättigungstendenzen einkaufsstraßen in Großstädten, bequem zu erreichende verschont. Fachmarktzentren oder Shopping-Center mit einer hohen Erlebnis- und Verweilqualität.
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