QUOTENREGELUNGEN IN DER PRIVATWIRTSCHAFT
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QUOTENREGELUNGEN Eingereicht von Barbara Krenn, BA MSc IN DER Angefertigt am Institut für Arbeitsrecht PRIVATWIRTSCHAFT und Sozialrecht Beurteiler / Beurteilerin Ass.-Prof.in Mag.a Dr.in Johanna Naderhirn EIN RECHTSVERGLEICH Mai 2021 ZWISCHEN ÖSTERREICH UND NORWEGEN Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magistra der Rechtswissenschaften im Diplomstudium Rechtswissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wört- lich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Luftenberg, 06. Mai 2021 2
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung .............................................................................................................................. 8 1.1. Ausgangslage und Problemstellung .............................................................................. 8 1.2. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit............................................................................... 10 1.3. Fragestellung............................................................................................................... 10 1.4. Abgrenzungen ............................................................................................................. 11 2. Zentrale Begriffsdefinitionen ............................................................................................... 12 2.1. Gleichbehandlung und Gleichstellung ......................................................................... 12 2.2. Diskriminierung............................................................................................................ 12 2.3. Quotenregelung........................................................................................................... 14 3. State of the Art – Österreich im europäischen Vergleich ..................................................... 16 3.1. Frauen in wirtschaftlichen Führungspositionen ............................................................ 16 3.2. Geschlechterquoten in Europa .................................................................................... 17 4. Gleichstellungspolitik in Österreich ..................................................................................... 20 4.1. Geschlechtertheoretische Grundpositionen ................................................................. 20 4.2. Strategien zur Erreichung der Gleichstellung ............................................................... 22 4.2.1. Frauenförderung ............................................................................................... 22 4.2.2. Gender Mainstreaming ..................................................................................... 23 4.3. Europarechtliche Zulässigkeit nationaler Quotenregelungen ....................................... 24 4.3.1. Fall Kalanke / Rechtssache C-450/93 ............................................................... 25 4.3.2. Fall Marschall / Rechtssache C-409/95 ............................................................ 26 4.3.3. Folgeurteile....................................................................................................... 27 5. Rechtliche Bestimmungen zur Gleichstellung in Österreich ................................................ 29 5.1. Verfassungsrechtliche Gleichheitsgarantien ................................................................ 29 5.2. Einfachgesetzliche Grundlagen ................................................................................... 30 5.2.1. Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) .................................................................... 31 5.2.2. Bundesgesetz über die Gleichbehandlungskommission und die Gleichbehandlungsanwaltschaft (GBK/GAW-Gesetz) ....................................... 32 5.3. Gesetzliche Geschlechterquoten zur beruflichen Gleichstellung .................................. 32 5.3.1. Die Quote für KapitalvertreterInnen .................................................................. 33 5.3.2. Die Quote für ArbeitnehmervertreterInnen ........................................................ 35 5.4. Geschlechterquoten im kollektiven Arbeitsrecht .......................................................... 37 5.4.1. Regelungen in Kollektivverträgen (KollVen) ...................................................... 37 5.4.2. Regelungen in Betriebsvereinbarungen (BVen) ................................................ 38 6. Rechtliche Bestimmungen zur Gleichstellung in Norwegen ................................................ 40 3
6.1. Verfassungs- und einfachgesetzliche Grundlagen ....................................................... 40 6.1.1. Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgesetz .............................................. 41 6.1.2. Gleichstellungs- und Antidiskriminierungs-Ombudsgesetz................................ 42 6.2. Gesetzliche Geschlechterquoten zur beruflichen Gleichstellung .................................. 43 6.2.1. Einführung der Geschlechterquote ................................................................... 43 6.2.2. Geschlechterquoten in privaten Aktiengesellschaften ....................................... 45 7. Gleichstellung in Österreich und Norwegen – ein Vergleich ................................................ 47 8. Zusammenfassung und Ausblick ........................................................................................ 50 Abbildungsverzeichnis ............................................................................................................... 52 Tabellenverzeichnis ................................................................................................................... 53 4
Abkürzungsverzeichnis Abs Absatz Act Gesetz (englisch) AktG Aktiengesetz BGBl 1965/98 ArbVG Arbeitsverfassungsgesetz BGBl 1974/22 Art Artikel AR-VO Verordnung über die Entsendung von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichts- rat BGBl 1974/343 BGBl Bundesgesetzblatt B-GlBG Bundes-Gleichbehandlungsgesetz BGBl I 1993/100 BV Betriebsvereinbarung B-VG Bundes-Verfassungsgesetz BGBl 1930/1 bzw beziehungsweise CGC Corporate Governance Codes DRdA „Das Recht der Arbeit“ DWI Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung EIGE European Institute for Gender Equality EGVG Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008 BGBl I 2008/87 EMRK Europäische Menschenrechtskonvention BGBl 1958/210 etc et cetera EU Europäische Union EuGH Europäischer Gerichtshof f; ff folgend(e) FS Festschrift GAW Gleichbehandlungsanwaltschaft GBK Gleichbehandlungskommission GBK/GAW-G Bundesgesetz über die Gleichbehandlungskommission und die Gleichbehand- lungsanwaltschaft BGBl 1979/108 GenG Genossenschaftsgesetz RGBl 1873/70 GesRZ „Der Gesellschafter“ GFMA-G Gleichstellungsgesetz von Frauen und Männern im Aufsichtsrat BGBl I 2017/104 GlBG Gleichbehandlungsgesetz BGBl I 2004/66 GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GP Gesetzgebungsperiode 5
GRC Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 18.12.2000 Abl C 2000/345, 1 grds grundsätzlich hL herrschende Lehre Hrsg HerausgeberIn idF in der Fassung iHv in Höhe von IJLLIR The International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations IMAG GMB Interministerielle Arbeitsgruppe für Gender Mainstreaming/Budgeting iSd im Sinn der/s iSe im Sinn einer/s iVm in Verbindung mit iZm im Zusammenhang mit JAP Juristische Ausbildung und Praxisvorbereitung JBl „Juristische Blätter“ JKU Johannes Kepler Universität Linz JRP Journal für Rechtspolitik KollV Kollektivvertrag lit litera (Buchstabe) Nr Nummer OGH Oberster Gerichtshof ÖCGK Österreichischer Corporate Governance Kodex ÖZP Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft RdW „Recht der Wirtschaft“ RGBl Reichsgesetzblatt RL Richtlinie RS Rechtssache Rz Randziffer S Satz, Seite SE Societas Europaea; Europäische (Aktien-)Gesellschaft SE-Gesetz Gesetz über das Statut der Europäischen Gesellschaft sog sogenannt StGB Strafgesetzbuch BGBl 1974/60 StGG Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger RGBl 1867/142 tw teilweise ua unter anderem, und andere 6
VersVG Versicherungsvertragsgesetz BGBl 1959/2 VfGH Verfassungsgerichtshof VfSlg Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des Verfassungsge- richtshofes Vgl vergleiche WEF Weltwirtschaftsforum Z Zahl, Ziffer ZellKomm Zeller Kommentar zum Arbeitsrecht ZfRV Zeitschrift für Europarecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung 7
1. Einleitung Dieses Kapitel beinhaltet eine allgemeine Einführung in die Thematik, eine Beschreibung der Problemstellung und die Zielsetzung der Arbeit. Daran anschließend werden die der Arbeit zu- grunde liegenden Forschungsfragen erörtert und notwendige Abgrenzungen vorgenommen. 1.1. Ausgangslage und Problemstellung Frauen sind in Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert. Trotz einer sukzessiv steigen- den Erwerbsquote von Frauen, sind diese weiterhin „systematisch aus einflussreichen, prestige- trächtigen sowie gewinnbringenden Gesellschaftsbereichen“1 ausgeschlossen. Wichtige Positio- nen werden überwiegend von Männern besetzt – in der Wirtschaft gleichermaßen, wie auch in den Bereichen Politik, Bildung und Gesundheit. Die Ursachen für diese geschlechtsbezogene Un- gleichheit und Maßnahmen zur Steigerung des Frauenanteils wurden in den letzten Jahrzehnten sowohl wissenschaftlich erforscht, als auch politisch und medial intensiv diskutiert. Die Gründe für die geringe Teilhabe von Frauen in Spitzenfunktionen sind vielseitig und struktu- reller Natur. In der Gesellschaft verankerte klassische Geschlechterrollen, eine in Unternehmen allgemein dominierende Männerkultur sowie ein überwiegend männlich geprägtes Rollenbild bei Rekrutierungsprozessen im Top-Mangement sind mitunter ursächlich für die asymmetrische Re- präsentation von Frauen in leitenden Positionen.2 Diese unterschiedlichen Phänomene, Faktoren und Prozesse, die hochqualifizierte Frauen effektiv vom Zugang zu Führungspositionen abhalten, werden in der Literatur häufig auch als Phänomen der „Gläsernen Decke“ bezeichnet.3 Ausgehend von den Frauenbewegungen, gefolgt von einer feministisch fundierten Rechtswissen- schaft und dem verfassungsrechtlich verankerten Gleichheitsgrundsatz, bis hin zur Gleichstel- lungspolitik als Oberbegriff für alle Mittel und Maßnahmen zur Erreichung einer formalen und ma- teriellen Gleichstellung, wurden laufend neue Aspekte aufgegriffen und rechtlich umgesetzt. Alle diese Maßnahmen und Strategien zum Abbau geschlechtsspezifischer Ungleichheiten basieren auf dem Begriff Gleichheit. Als zentrale Forderung und Ziel dieser Maßnahmen kann eine rechtli- che Gleichstellung von Frauen und Männern einerseits und gleiche Zugangschancen andererseits abgeleitet werden.4 Bedingt durch den Umstand, dass Frauen und Männer in der Realität unglei- che gesellschaftliche Ausgangsbedingungen vorfinden, sind zur Gewährleistung einer Chancen- 1 Wieser/Werni, Frauen.Management.Report.2020, Die Aufsichtsratsquote wirkt - was jetzt? (2020), https://www.arbei- terkammer.at/frauen.management.report (23.03.2021). 2 Vgl Hanappi-Egger/Mensi-Klarbach, Diversität in Aufsichtsräten - Über den Mehrwert formalisierter Profilerstellung und strukturierter Suche, Aufsichtsrat aktuell 6/2014, 5 (5). 3 Vgl Morrison/White/van Velsor, Breaking the glass ceiling. Can woman reach the top of America’s largest corporati- ons? (1992). Übersetzung zitiert nach Folini, Das Ende der gläsernen Decke. Die Entwicklung der Geschlechtergleich- stellung am Beispiel eines Dienstleistungsunternehmens (2007) 15. 4 Vgl Künzel, Feministische Theorien und Debatten, in Foljanty/Lembke (Hrsg), Feministische Rechtswissenschaft. Ein Studienbuch2 (2012) 52 (52f). 8
gleichheit und Verhinderung jeglicher Form der Diskriminierung auch unterschiedliche Maßnah- men zur Zielerreichung erforderlich.5 Klassische gleichstellungspolitische Maßnahmen sind, ne- ben einer rechtlichen Verankerung von Gleichbehandlung, insbesondere auch eine adäquate Frauenförderung zur Beseitigung bestehender Benachteiligungen und Gewährleistung einer Gleichstellung der Geschlechter.6 Die Frage der Verbesserung der beruflichen Gleichstellung wird überwiegend über familienpolitische Regulierungen definiert. Die Vereinbarkeit von Beruf und Fa- milie als zentrales Kriterium und Grundlage politischer Diskussionen hat sich in den letzten Jahren zunehmend auf eine Debatte über Quotenregelungen verlagert. Die im Berufsleben bestehenden Ungleichheiten sollen durch die Einführung einer Geschlechterquote beseitigt werden und zur Steigerung des Frauenanteils in Führungspositionen beitragen.7 Rückblickend betrachtet hat der Bestand an gesetzlichen Geschlechterquoten in der Privatwirt- schaft deutlich zugenommen. Beginnend mit Norwegen als Ausgangspunkt im Jahr 2006, haben seither mehrere europäische Länder8 eine derartige Quotenregelung zugunsten von Frauen ein- geführt. In Österreich besteht eine gesetzliche Quotenverpflichtung seit 1. Jänner 2018 für Auf- sichtsratsgremien großer und börsennotierter Unternehmen; nicht jedoch für die Unternehmens- führung (Vorstand, Geschäftsführung).9 Nach dem zuletzt veröffentlichten Global Gender Gap Report 2020 des Weltwirtschaftsforums (WEF) liegt Österreich in Bezug auf eine Gleichstellung von Frauen in der Wirtschaft im internati- onalen Vergleich weit zurück und belegt lediglich Platz 86 von gesamt 153 Ländern.10 Im Vergleich zu Österreich weniger Aufholbedarf, und damit einen weitaus größeren Fortschritt in der Ge- schlechtergleichstellung, haben die skandinavischen Länder. Den ersten Platz belegt Island – ge- folgt von Norwegen, Finnland und Schweden.11 Neben dieser generellen Vorbildfunktion hat Nor- wegen – wie bereits oben erwähnt – als weltweit erstes Land eine gesetzliche Geschlechterquote für Führungspositionen in staatlichen und börsennotierten Unternehmen eingeführt.12 5 Vgl Kreimer, Ökonomie der Geschlechterdifferenz: Zur Persistenz von Gender Gaps (2009) 269f. 6 Vgl Rosenberger, Frauen- und Gleichstellungspolitik, in Dachs (Hrsg), Politik in Österreich. Das Handbuch (2006) 743 (744). 7 Vgl Bothfeld/Rouault, Was macht eine effiziente Gleichstellungspolitik aus? Das Instrument Frauenquote im internati- onalen Vergleich, WSI Mitteilungen 2015, 25 (28). 8 Aktuell: Norwegen, Spanien, Island, Italien, Frankreich, Belgien, Niederlande, Deutschland, Portugal, Österreich. 9 Siehe dazu näher Subkapitel 5.3. 10 Ein ähnliches Bild zeigt sich bezüglich Gesundheit und Politik. Im Bereich Gesundheit belegt Österreich nur Platz 82 und im Bereich Politik Platz 34. Anders im Bereich Bildung; hier liegt Österreich gemeinsam mit 34 anderen Nationen auf Platz 1. 11 Vgl World Economic Forum, Global Gender Gap Report 2020, 12 (371), http://www3.weforum.org/docs/WEF_ GGGR_2020.pdf (23.03.2021). Der Global Gender Gap Report ist ein vom Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum) seit 2006 jährlich erstellter umfangreicher wissenschaftlicher Bericht, der den Gender Gap („Lücke, Kluft“) in der Gleichstellung der Geschlechter in 153 Länder analysiert. Der Report ist in die vier Bereiche Wirtschaft, Bildung, Gesundheit und Politik untergliedert und ordnet dabei die Staaten jeweils nach dem Rang. 12 Vgl Seierstad/Huse, Gender Quotas on Corporate Boards in Norway: Ten Years Later and Lessons Learned, in Seierstad/Gabaldon/Mensi-Klarbach (Hrsg), Gender Diversity in the Boardroom. Volume1: The Use of Different Quota Regulations (2017) 11 (25). 9
1.2. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Rechtslage zur Gleichstellung von Frauen in Führungs- positionen in Österreich und Norwegen. Primäres Ziel der Arbeit ist eine kritische Analyse und Bewertung der jeweiligen nationalen (Quoten-)regelungen für die Privatwirtschaft. Durch Aufzei- gen der Vorteile einerseits und der Defizite andererseits, soll im Ergebnis eine Handlungsempfeh- lung im Umgang mit Quoten erarbeitet und allfällige Verbesserungsvorschläge dargelegt werden. Die Auswahl Norwegen als Vergleichsstaat basiert auf dem Umstand, dass Norwegen als weltweit erstes Land eine gesetzliche Geschlechterquote für Frauen in wirtschaftlichen Führungspositio- nen eingeführt hat. Im Gegensatz dazu bildet Österreich – neben Portugal – aktuell das Schluss- licht. Die Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, sich einen Überblick über die Wirkung und Effek- tivität der einzelnen nationalen Bestimmungen zu verschaffen und in weiterer Folge dazu dienen, mögliche Alternativen zur gesetzlichen Quotenverpflichtung aufzuzeigen. Zu Beginn der Arbeit wird mittels elementarer Begriffsdefinitionen ein grundlegendes Verständnis für verwendete Termini erzeugt. Der aktuelle Stand der Forschung wird im dritten Kapitel veran- schaulicht dargestellt. In weiterer Folge widmet sich das vierte Kapitel theoretischen Grundlagen zur Gleichstellungspolitik. Die rechtlichen Bestimmungen zur Gleichstellung von Frauen in Öster- reich und Norwegen werden in Kapitel fünf und sechs detailliert erörtert. In den beiden letzten Kapiteln der Arbeit erfolgt ein Vergleich und die Zusammenfassung der Resultate. 1.3. Fragestellung Das Hauptaugenmerk der Arbeit liegt in einem Vergleich der österreichischen und norwegischen Rechtslage in Bezug auf eine Gleichstellung von Frauen und Männern. Durch die Arbeit soll fol- gende untersuchungsleitende Fragestellung beantwortet werden: • Welche Rechtsgrundlagen existieren in Österreich und Norwegen als Vergleichsstaat zu Geschlechterquoten in der Privatwirtschaft und wie erfolgt deren Umsetzung? Im Hinblick auf die Beantwortung der Hauptfrage ergeben sich folgende Unterfragen: • Welche wesentlichen Unterschiede bestehen zwischen Österreich und Norwegen? • Worin liegen die Vorteile und welche Defizite sind mit den Regelungen verbunden? • Mit welchen alternativen Möglichkeiten zur gesetzlichen Quotenregelung kann eine Unter- repräsentanz von Frauen in Führungspositionen ausgeglichen werden? • Inwiefern können gesetzliche Regelungen zur Durchsetzung einer beruflichen Gleichstel- lung durch freiwillige Vereinbarungen und Selbstverpflichtungen ersetzt werden? 10
1.4. Abgrenzungen Gleichstellungspolitik als Oberbegriff für alle Mittel und Maßnahmen zur Erreichung einer formalen und materiellen Gleichheit der Geschlechter wird in der Literatur sehr ausführlich behandelt. Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, entsprechende Abgrenzungen zu setzen. Die vorliegende Arbeit befasst sich ausschließlich mit Quotenregelungen respektive der Gleich- stellung von Frauen in der (Privat-)wirtschaft; auf die ebenfalls im Global Gender Gap Report angeführten Bereiche Bildung, Gesundheit und Politik wird hier nicht eingegangen. Der Schwer- punkt der Arbeit liegt in einer Darlegung der jeweiligen nationalen verfassungsrechtlichen Rege- lungen und einfachgesetzlichen Bestimmungen. Auf Gleichheitsgarantien im Unionsrecht bzw in der EMRK wird nur auszugsweise eingegangen. Eine detaillierte Darstellung der internationalen Rechtsgrundlagen in Bezug auf eine arbeitsrechtliche Gleichbehandlung bzw -stellung erfolgt nicht. Gleiches gilt für die Entstehungsgeschichte der Gleichberechtigung von Mann und Frau; ein historischer Rückblick ist nicht Ziel bzw Teil dieser Arbeit. 11
2. Zentrale Begriffsdefinitionen Dieses Kapitel soll einen Überblick über zentrale und themenspezifische Begriffe der gegenständ- lichen Arbeit geben. Die Ausführungen stellen keineswegs eine abschließende Erklärung der Be- griffe dar; vielmehr wird versucht ein einheitliches Grundverständnis zu schaffen. 2.1. Gleichbehandlung und Gleichstellung In Verbindung mit der gegenständlichen Arbeit tauchen immer wieder die vielfach synonym ver- wendeten Begriffe Gleichberechtigung, Gleichstellung, Gleichbehandlung und Chancengleichheit auf. Dem hinzu kommt die meist damit verbundene Vorstellung der Gerechtigkeit. Im allgemeinen Sprachgebrauch als gerecht oder ungerecht beurteilt wird zum einen die Handlung/der Prozess an sich, aber auch das hieraus entstandene Ergebnis. Von diesem Verständnis ausgehend unter- scheidet Kreimer in seiner Konzeption der „gleichen Behandlung“ zwischen einer distributiven (prozessorientierten) und einer kompensatorischen (ergebnisorientierten) Gleichheit. Während der Grundsatz der Gleichberechtigung und die rechtliche Gleichstellung das Ergebnis einer allfäl- ligen Benachteiligung darstellen, beschreiben die Begriffe Gleichbehandlung und Chancengleich- heit die Handlungsebene. Durch die gebotene Gleichbehandlung soll im Ergebnis eine Gleichbe- rechtigung und eine rechtliche Gleichstellung verwirklicht werden.13 Das Wort Gleichbehandlung kann aus der Zusammensetzung seiner Wortteile im Umkehrschluss auch als Verbot der Un- gleichbehandlung bzw Diskriminierung übersetzt werden. Ein zur Erklärung der Begriffe Gleich- berechtigung und rechtliche Gleichstellung wesentliches Abgrenzungsmerkmal ist ihr Adressaten- kreis. Während sich der Erstgenannte an alle Individuen als Rechtspersonen richtet und besagt, dass alle Menschen gleich an Rechten sind und eine gleiche Behandlung erfahren, hat die Gleich- stellung einen gruppenbezogenen Zugang und umfasst gezielte Ausgleichs- und Förderungsmaß- nahmen zur Beseitigung bestehender Benachteiligungen von Gruppen.14 2.2. Diskriminierung Unter dem Begriff Diskriminierung wird im alltäglichen und tw wissenschaftlichen Sprachgebrauch eine Benachteiligung bzw Schlechterbehandlung verstanden. Etymologisch leitet sich das Wort Diskriminierung vom lateinischen Wort „discrimen“ ab und bedeutet Unterscheidung, Abstand, aber auch Gefahr bzw Bedrängnis und lässt somit eine gewisse negative Behaftung verorten.15 Eine juristische Definition wurde erstmals im Gleichbehandlungsgesetz 197916 als „jede benach- teiligende Differenzierung, die ohne sachliche Rechtfertigung vorgenommen wird“ verankert. Eine 13 Vgl Kreimer, Ökonomie der Geschlechterdifferenz 270. 14 Vgl Hopf/Mayr/Eichinger/Erler, GlBG2 (2021) § 2 Rz 14f. 15 Vgl https://www.navigium.de/latein-woerterbuch.html?form=vocum (24.03.2021). 16 Bundesgesetz vom 23. Feber 1979 über die Gleichbehandlung von Frau und Mann bei Festsetzung des Entgelts (Gleichbehandlungsgesetz) BGBl 1979/108. 12
Diskriminierung ist demzufolge gleichzusetzen mit einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung bzw Benachteiligung einer Person oder Gruppe aufgrund eines (oder auch mehrerer) geschützten Statusmerkmals. Diese kommt durch das Verhalten einer Person, durch eine Vorschrift oder auch eine Maßnahme zum Ausdruck. Als Resultat der (unsachlichen) Relevanz die diesen Merkmalen zugeschrieben wird, werden bestimmte Menschen entweder in eine Gruppe ein- oder aus einer solchen ausgeschlossen.17 Zu den geschützten Merkmalen gehören neben dem Geschlecht ua auch die Aspekte Hautfarbe, ethnische oder soziale Herkunft, Behinderung, Sprache, Religion, Weltanschauung, politische oder sonstige Anschauung, Zugehörigkeit zu einer nationalen Min- derheit, sexuelle Orientierung, Geburt oder genetische Merkmale, Alter und Vermögen.18 Die Frage ob und bejahendenfalls welche Form der Diskriminierung vorliegt, beurteilt sich nach dem sog Antidiskriminierungsrecht. Nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlungen sollen durch diverse nationale Antidiskriminierungsgesetze verhindert werden. Grundsätzlich wird zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung unterschieden. Die un- mittelbare Diskriminierung befasst sich mit einer Vergleichbarkeit und Gerechtigkeit und wird dann als gegeben angenommen, wenn eine Person wegen eines geschützten Statusmerkmals in einer vergleichbaren Situation weniger günstig behandelt wird.19 Im Gegensatz dazu stellt die mittelbare Diskriminierung nicht auf eine Benachteiligung einer Person aufgrund ihres Geschlechts oder ei- nes anderen Statusmerkmals ab, sondern liegt dann vor wenn scheinbar neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen benachteiligen können und kein gesetzlicher Rechtfertigungs- grund hierfür vorliegt.20 Als solche Gründe kommen ua die Rechtsgüter zum Schutz der Interessen des Einzelnen bzw der Allgemeinheit sowie das Verfassungsgebot der Gleichheit der Geschlech- ter in Betracht.21 Zudem muss die beabsichtigte Regelung zur Zielerreichung angemessen und erforderlich sein und dem Verhältnismäßigkeitsgebot entsprechen.22 In Österreich gibt es kein einzelnes bzw ganzheitliches Antidiskriminierungsgesetz. Vielmehr sind die Diskriminierungsverbote – als Folge der kompetenzrechtlichen Zersplitterung – in diversen Gesetzen verankert, die zusammen das nationale Antidiskriminierungsrecht bilden. Neben dem einheitlich geregelten Diskriminierungsschutz des Bundes existieren auch Gleichbehandlungs- und Antidiskriminierungsgesetze der Länder mit jeweils unterschiedlichen Anwendungsberei- chen.23 Das Antidiskriminierungsrecht des Bundes beinhaltet das GlBG, das B-GlBG sowie 17 Vgl Antidiskriminierungsstelle Steiermark, https://www.antidiskriminierungsstelle.steiermark.at/cms/ziel/ 72108500/DE/ (24.03.2021). 18 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) Abl C2000/364, 13. https://www.europarl.europa.eu/char- ter/pdf/text_de.pdf. 19 Vgl Greif/Ulrich, Legal Gender Studies und Antidiskriminierungsrecht1 (2017) Rz 418. 20 Vgl Bundesministerium für Arbeit, Familie und Jugend (2020), https://www.oesterreich.gv.at/themen/doku- mente_und_recht/gleichbehandlung/Seite.1860100.html (26.03.2021). 21 OGH 23.4.2009, 8 ObA 11/09i. 22 Vgl Hopf/Mayr/Eichinger/Erler, GlBG2 (2021) § 5 Rz 145f. 23 Vgl Greif/Ulrich, Legal Gender Studies Rz 390ff. 13
diverse Spezialgesetze24 zum Schutz vor einer behindertenspezifischen Diskriminierung. Ergän- zende Normen finden sich im Strafrecht, im Verwaltungsstrafrecht und anderen Bereichen wie insbesondere im Privatversicherungsrecht.25 Die für den Bereich der Privatwirtschaft geltenden Diskriminierungsverbote in und außerhalb der Arbeitswelt sind im GlBG geregelt. Das B-GlBG hingegen ist von Relevanz für öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Dienstverhältnisse zum Bund – also für BeamtInnen und Vertragsbedienstete. Das B-GlBG enthält einerseits Regelungen zur beruflichen Gleichbehandlung von Frauen und Männern und zum anderen Bestimmungen zur beruflichen Förderung von Frauen im Bereich des Bundes.26 2.3. Quotenregelung Die Quotenregelung zählt zu den sog „Affirmative-Action“-Maßnahmen und hat zum Ziel, eine Unterrepräsentation von Frauen und Männern – insbesondere im Arbeitsleben, in der Wirtschaft und in der Politik – zu beseitigen.27 Bis zum Ausgleich einer bestehenden Unterrepräsentation soll eine bevorzugte Berücksichtigung erfolgen. Eine einheitliche Legaldefinition für den Begriff an sich existiert nicht. Je nachdem welcher Bereich von der Regelung betroffen ist, wird in der Literatur allgemein zwischen politischen Quoten und Erwerbsquoten unterschieden.28 Wenngleich mit Quo- tenregelungen als ausgleichende Förderungsmaßnahme der Staatszielbestimmung des Art 7 Abs 2 B-VG entsprochen wird, sind diese auch als problematisch anzusehen. Durch die Anknüpfung am Statusmerkmal Geschlecht bilden sie die Grundlage für allfällige Diskriminierungen konkret Betroffener und können zu Stereotypisierungen und Essentialisierungen im Bereich der unterre- präsentierten Gruppe führen.29 Politische Quoten existieren in vielen Staaten und haben dort zwischenzeitlich auch eine gewisse Selbstverständlichkeit erlangt.30 Der allgemein geringe Frauenanteil in der Politik soll durch eine Quotenverpflichtung erhöht werden. Die rechtliche Grundlage zur Einführung von gesetzlichen Quoten für Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern bildet der Gleichstellungsauftrag des Art 7 Abs 2 B-VG.31 Mit Ausnahme der Universitäten wurde eine politische Quote in Österreich bis dato allerdings nicht umgesetzt; eine gesetzliche Verpflichtung hierfür besteht aktuell nicht.32 24 Behinderteneinstellungsgesetz BGBl I 1970/22, Bundesgesetz über die Gleichstellung von Menschen mit Behinde- rungen BGBl I 2005/82, Bundesgesetz vom 17. Mai 1990 über die Beratung, Betreuung und besondere Hilfe für behin- derte Menschen BGBl 1990/283. 25 § 283 StGB, Art III Abs 1 Z 3 EGVG, VersVG ua. 26 Vgl Greif/Ulrich, Legal Gender Studies Rz 390ff. 27 Vgl Greif/Schobesberger, Einführung in die Feministische Rechtswissenschaft. Ziele, Methoden, Theorien 2 (2007) 190f. 28 Vgl zur Ausdifferenzierung der Quotenmodelle im Überblick Greif/Schobesberger, Einführung 192ff. 29 Vgl Foljanty/Lembke, Strategien und Politiken, in Foljanty/Lembke (Hrsg), Feministische Rechtswissenschaft. Ein Studienbuch2 (2012) 310 (314). 30 Vgl Foljanty, Demokratie und Partizipation, in Foljanty/Lembke (Hrsg), Feministische Rechtswissenschaft. Ein Stu- dienbuch2 (2012) 287 (299ff). 31 Vgl Sonntag/Waitz, Frauen im österreichischen Wahlrecht. Von der Entwicklung des Frauenwahlrechts zum Gender Mainstreaming, in Gamper (Hrsg), Entwicklungen des Wahlrechts am europäischen Fallbeispiel (2010) 335 (348ff). 32 Vgl Greif/Ulrich, Legal Gender Studies Rz 211. 14
Im Gegensatz zur politischen Quote zielen Erwerbsquoten auf eine Beseitigung von Unterreprä- sentation im Arbeitsleben ab und widersprechen laut Judikatur des EuGH nicht dem Gleichheits- grundsatz. Vorrangregeln zum Ausgleich struktureller Benachteiligungen in Form einer Erwerbs- quote sind zulässig, wenn sie zur Zielerreichung geeignet sind und dem Verhältnismäßigkeitsge- bot entsprechen.33 Dies kann nicht zuletzt mit einer Öffnungsklausel sichergestellt werden, welche allfällige soziale Gründe zugunsten von männlichen Mitbewerbern berücksichtigt.34 Für den Be- reich der Privatwirtschaft sieht das GFMA-G35 seit 1. Jänner 2018 eine verpflichtende Geschlech- terquote von 30 Prozent in Aufsichtsratsgremien vor. Demzufolge müssen zumindest 30 Prozent Frauen und mindestens 30 Prozent Männer – bei sonstiger Nichtigkeit der Wahl/Entsendung – in den jeweiligen Gremien vertreten sein.36 Im Bundesdienst besteht eine Quotenregelung bereits seit dem Jahr 1993. Konzipiert als Erwerbsquote sieht das B-GlBG beim Berufszugang und bei Karriereentscheidungen eine leistungsgebundene Vorrangregel vor. 33 Vgl Blauensteiner/Oswald/Weinhandl in Holoubek/Lienbacher, GRC-Kommentar (2014) Art 23 Rz 19ff. 34 Vgl EuGH 11.11.1997, C-409/95, Marschall Rz 33; OGH 1 Ob 80/00x, DRdA 2001/42, 442. 35 Mit diesem Sammelgesetz wurden die einschlägigen Rechtsgrundlagen des Gesellschaftsrechts, das Genossen- schaftsgesetz und das Arbeitsverfassungsgesetz geändert. 36 Nähere Ausführungen siehe Kapitel 5.3. 15
3. State of the Art – Österreich im europäischen Vergleich Eine europaweit einheitliche Regelung zum Abbau geschlechtsspezifischer Ungleichheiten in Form einer Quotenregelung für Frauen in Führungspositionen besteht nicht. Vielmehr haben ein- zelne Staaten Maßnahmen auf nationaler Ebene umgesetzt. Der vom Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen veröffentlichte Gleichstellungsindex 202037 zeigt erhebliche Defizite in Be- zug auf eine Gleichstellung von Frauen und Männern innerhalb der Europäischen Union. Der er- reichte Durchschnittswert liegt bei 67,9 Punkten (von gesamt 100 möglichen Punkten). Demzu- folge ist eine Gleichstellung europaweit aktuell nur zu rund zwei Drittel verwirklicht. Im Rückblick betrachtet ist dieser Wert seit 2010 lediglich um 4,1 Punkte und um nur 0,5 Punkte seit dem Jahr 2017 angestiegen. Bei einem Fortschritt von nur einem Punkt binnen zwei Jahren, würde eine Gleichstellung der Geschlechter erst nach über 60 Jahren erzielt werden. Bezogen auf Österreich liegt der Wert bei 66,5 Punkten. Der europaweit größte Handlungsbedarf liegt in der gleichberech- tigten Teilnahme von Frauen in Führungspositionen in Wirtschaft und Politik. Hier ist der ange- strebte Wert von 100 lediglich zur Hälfte erreicht.38 3.1. Frauen in wirtschaftlichen Führungspositionen Ein ähnliches Bild wie bereits oben dargestellt, zeigt die von Statista veröffentlichte Grafik im Hin- blick auf den Frauenanteil in Führungspositionen innerhalb der Europäischen Union. Abbildung 1: Frauenanteil in Führungsposition in EU-Ländern im Jahr 2019 (Quelle: EU - Anteil von Frauen in Führungspositionen 2019 | Statista, 30.03.2021) 37 Der Gleichstellungsindex (Gender Equality Index) wird jährlich veröffentlicht und untersucht gleichstellungspolitische Fortschritte in den (noch) 28 EU-Staaten. Der Index setzt sich aus den sechs Kernbereichen Macht, Zeit, Wissen, Gesundheit, Geld und Arbeit zusammen. 38 Vgl European Institute for Gender Equality (EIGE), Gender Equality Index (2020), Gender Equality Index | European Institute for Gender Equality (europa.eu) (30.03.2021). 16
Die oben abgebildete Grafik umfasst die ursprünglichen 28 Mitgliedstaaten der EU39 sowie die potentiellen Beitrittskandidaten im Jahr 2019. Der Anteil der erwerbstätigen Frauen in Führungs- positionen betrug im EU-Durchschnitt 34,7 Prozent – etwas mehr als jede dritte Führungskraft war also weiblich. Gesamt 14 Staaten, angeführt von Lettland mit einem prozentuellen Anteil von 45,8 Prozent, liegen über dem Durchschnittswert. Österreich reiht sich mit 33,4 Prozent im unteren Bereich auf Platz 19 ein und liegt 1,3 Prozent unterhalb dem EU-Durchschnitt.40 3.2. Geschlechterquoten in Europa Mangels einer gesamteuropäischen Regelung existieren unterschiedliche Formen einer Quoten- regelung respektive haben die europäischen Länder jeweils unterschiedliche Maßnahmen auf na- tionalstaatlicher Ebene getroffen – die Einführung einer gesetzlich verbindlichen Geschlechter- quote, freiwillige Empfehlungen zu Gender Diversity im Corporate Governance Codex oder als dritte mögliche Alternative keine Quote und keine Empfehlung. Aktuell bestehen in zehn europäischen Ländern gesetzliche Geschlechterquoten für hohe Kon- troll- und/oder Entscheidungsgremien (Aufsichtsrat, Verwaltungsrat, Vorstand). Zuletzt eingeführt wurde eine solche in Österreich und Portugal – jeweils im Jahr 2017. Die nationalen Regelungen der Länder weichen nicht nur im Hinblick auf die jeweiligen Prozentsätze der Quoten und dessen Adressaten- und Anwendungsbereich ab, sondern auch was die Art der Sanktionierung bei Nicht- einhaltung betrifft.41 Wie die nachstehende Grafik zeigt, sieht etwa ein Drittel der Länder harte Sanktionen bei Nichterfüllung der Quote vor, wohingegen die restlichen Länder moderate oder gar keine Sanktionen haben. Abbildung 2: Geschlechterquoten im europäischen Vergleich (Quelle: DIW Wochenbericht 38/2019, 693) 39 Großbritannien hat die Europäische Union (EU) am 31. Januar 2020 verlassen (Brexit). 40 Vgl Urmersbach (2020), https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1098311/umfrage/frauenanteil-in-fuehrungspo- sitionen-in-der-eu/#professional (30.03.2021). 41 Vgl Arndt/Wrohlich, Geschlechterquoten im europäischen Vergleich: Harte Sanktionen bei Nichteinhaltung sind am wirkungsvollsten, DIW Wochenbericht 38/2019, 691 (693). 17
Im Gegensatz zu den eben angeführten verbindlichen und in Gesetzen geregelten Geschlechter- quoten sind Empfehlungen zu Gender Diversity in Führungspositionen in den jeweiligen nationa- len Corporate Governance Codes (CGC) festgelegt.42 Der Österreichische Corporate Governance Kodex (ÖCGK) wurde erstmals im Jahr 2002 erstellt und beinhaltet internationale/nationale Stan- dards und freiwillige Regeln für eine gute Unternehmensführung am Kapitalmarkt. Der Kodex be- ruht auf einer freiwilligen Selbstverpflichtung bei deren Anerkennung durch Unternehmen drei un- terschiedliche Regelkategorien zur Anwendung kommen. Umfasst sind einerseits zwingend ein- zuhaltende Rechtsvorschriften (Legal Requirement), zum anderen Vorschriften deren Nichtein- haltung erklärt und begründet werden muss (Comply or Explain) und Regeln mit lediglich Emp- fehlungscharakter ohne Notwendigkeit einer Erklärung oder Begründung (Recommendation).43 Die dritte mögliche bzw in Betracht kommende Variante findet überwiegend in ost- und südosteu- ropäischen Ländern44 Anwendung, wo weder eine gesetzlich verbindliche Quote, noch Corporate Governance Codes als Maßnahmen festgelegt sind.45 Die nachstehende Grafik zeigt den prozentuellen Anteil von Frauen in Aufsichts- oder Verwal- tungsräten großer börsennotierter Unternehmen in Europa. Österreich liegt mit 31 Prozent knapp über dem EU-Durchschnitt von 28,8 Prozent. In der letzten Hälfte der Reihung sind ausschließlich Länder ohne Quotenregelungen angesiedelt. Abbildung 3: Anteil von Frauen in Aufsichts- oder Verwaltungsräten (Quelle: Arbeiterkammer Wien, https://www.arbeiterkammer.at/frauen.management.report (23.03.2021) Im zuletzt von der Arbeiterkammer Wien veröffentlichten Frauen.Management.Report.2020 wird der österreichischen Quotenregelung allgemein eine positive Wirkung zugeschrieben. Binnen nur zwei Jahren seit Einführung der gesetzlichen Geschlechterquote ist der Frauenanteil auf mehr als 42 Empfehlungen für Gender Diversity in Corporate-Governance-Kodizes in Europa (Stand 2020): Schweden, Finnland, Luxemburg, Slowenien, Dänemark, Großbritannien, Griechenland, Türkei, Polen, Rumänien, Irland. 43 Vgl Österreichischer Arbeitskreis für Corporate Governance, Österreichischer Corporate Governance Kodex (2020), https://www.corporate-governance.at/uploads/u/corpgov/files/kodex/corporate-governance-kodex-012020.pdf (02.04.2021). 44 Bulgarien, Tschechische Republik, Estland, Kroatien, Zypern, Litauen, Malta, Slowakei, Lettland. 45 Vgl Arndt/Wrohlich, DIW Wochenbericht 38/2019, 694. 18
30 Prozent gestiegen, wohingegen dieser bei nicht von der Quote betroffenen österreichischen Unternehmen bei lediglich 15 Prozent liegt. Wenngleich sich ein insgesamt positiver Trend ab- zeichnet und der Frauenanteil aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung in Aufsichtsräten sukzes- sive ansteigt, sind höher bewertete Führungspositionen in Unternehmen jedoch weiterhin über- wiegend männlich dominiert. Mit steigender Hierarchieebene in der Organisation nimmt der Anteil an weiblichen Beschäftigten ab. In den Vorständen quotenpflichtiger, börsennotierter Unterneh- men sind aktuell nur 5,8 Prozent Frauen vertreten.46 In der vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DWI) auf Basis der Datensätze des Euro- pean Institute for Gender Equality (EIGE) erstellten und nachstehend abgebildeten Grafik, ist die europäische Entwicklung des Frauenanteils in Spitzengremien dargestellt. Die Abbildung umfasst einen Beobachtungszeitraum von gesamt 16 Jahren und zeigt den Verlauf der oben beschriebe- nen alternativen nationalstaatlichen Maßnahmen, wobei die Maßnahme einer verbindlichen Quote zudem nach den jeweils möglichen Sanktionen aufgeschlüsselt ist. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass in Ländern mit einer verbindlichen Geschlechterquote und harten Sanktionen so- wohl der Anstieg als auch der prozentuelle Anteil an Frauen am höchsten ist. Quotenregelungen mit moderaten bzw gar keinen Sanktionen liegen prozentuell zwar unterhalb einer verpflichtenden Quote mit harten Sanktionen, aber deutlich über den beiden weiteren möglichen Maßnahmen wie der Empfehlung einerseits und ohne Quote/Empfehlung andererseits.47 Abbildung 4: Geschlechterquote und deren Sanktionierung (Quelle: DIW Wochenbericht 38/2019, 696) 46 Vgl Wieser/Werni, Frauen.Management.Report.2020, 1ff. 47 Vgl Arndt/Wrohlich, DIW Wochenbericht 38/2019, 696. 19
4. Gleichstellungspolitik in Österreich Gleichstellungspolitik war lange Zeit überwiegend Frauenpolitik. Von zentralem Interesse war eine gezielte Förderung und Verbesserung der gesellschaftlichen Situation von Frauen aus frauenspe- zifischer Perspektive. Sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene gehen die Bestre- bungen heutzutage jedoch zunehmend in Richtung integrierter Ansätze – die Einbeziehung von Frauen UND Männern als AkteurInnen und AdressatInnen einer effektiven Gleichstellungspolitik.48 Als zentrales und übergeordnetes Ziel verfolgt die Gleichstellungspolitik eine gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft und die Herstellung einer Chancengleichheit durch Abbau genderspezifischer Diskriminierungen.49 Das Konzept der Gleich- stellungspolitik beruht auf einer im Gesetz verankerten Gleichbehandlung von Frauen und Män- nern einerseits und spezifischen Maßnahmen zur Beseitigung einer ungleichen Ressourcenver- teilung zwischen den Geschlechtern andererseits.50 Vor dem Hintergrund der Existenz unterschiedlicher geschlechtertheoretischer Grundpositionen erscheint es an dieser Stelle zweckmäßig, zunächst einen Überblick über die in der Literatur an- erkannten Geschlechtertheorien zu geben respektive deren zentrale Inhalte und Abgrenzungs- merkmale darzustellen. Daran anschließend wird die in Österreich seit Änderung des B-VG 1998 bestehende Doppelstrategie einer effektiven Gleichstellungspolitik – Frauenförderung und Gender Mainstreaming – näher erörtert. 4.1. Geschlechtertheoretische Grundpositionen Aus den theoretischen Diskussionen hinsichtlich Schaffung und Gewährleistung einer gleichstel- lungspolitischen Praxis haben sich – bedingt durch unterschiedliche Interpretationsweisen von Geschlecht und voneinander abweichenden Gleichheitsvorstellungen – im Laufe der letzten Jahr- zehnte drei Konzepte herausgebildet. Diese auf den Vorstellungen Gleichheit, Differenz und De- konstruktion beruhenden Ansätze und die jeweils damit verbundenen gleichstellungspolitischen Orientierungen bilden die ideologische Basis für Gleichstellungsstrategien.51 Strategien zur Gleichstellung und -behandlung welche sich am Konzept Gleichheit (gleichheits- theoretischer Ansatz) orientieren, verlangen eine unbedingte Gleichstellung beider Geschlechter. Aus dieser Perspektive betrachtet ist Gleiches gleich zu behandeln. Ziel ist die Herstellung einer 48 Vgl Bergmann/Sorger, Gleichstellungspolitik in Europa: Frauen UND Männer als AdressatInnen und AkteurInnen von Gleichstellung, Integrierte Ansätze in Ergänzung zu spezifischen Einzelinitiativen (2014) 1. 49 Vgl GenderKompetenzZentrum, http://www.genderkompetenz.info/genderkompetenz-2003- 2010/gendermainstreaming/Strategie/Gleichstellungspolitik.html (02.04.2021). 50 Vgl Rosenberger/Sauer, Politikwissenschaft und Geschlecht. Konzepte - Verknüpfungen - Perspektiven (2004) 260. 51 Vgl Hericks, Entkoppelt und institutionalisiert, Gleichstellungspolitik in einem deutschen Konzern (2011) 72ff. 20
Chancengleichheit die dann gegeben ist, wenn Frauen und Männer in Führungspositionen zah- lenmäßig im gleichen Ausmaß vertreten sind.52 Dies erfordert nach Knapp eine „konsequente Ver- folgung einer Politik der Antidiskriminierung in allen Bereichen, egalitäre Verteilung der Familien- arbeit und Quotierungen politischer und beruflicher Positionen.“53 Strukturelle Benachteiligungen und sozialisationsbedingte Nachteile von Frauen sollen abgebaut werden. Kritisiert an dieser An- nahme einer allgemeinen Gleichheit wird von Hericks die de facto Anpassung an eine männlich dominierte Norm sowie die „Verlagerung struktureller Defizite auf Individuen und Dissoziation von stattfindender Diskriminierung.“54 In gleicher Weise argumentiert Wallner und spricht in diesem Zusammenhang von einer „Maskulinisierungsstrategie“.55 Im Gegensatz dazu steht bei der Differenz-Perspektive (differenztheoretischer Ansatz) das biolo- gische Geschlecht und daraus resultierende Unterschiede zwischen Mann und Frau im Vorder- grund. In Abgrenzung zum gleichheitstheoretischen Ansatz ist hier – für die Herstellung von Gleichheit – Ungleiches ungleich zu behandeln. Unterschiedliche Lebenssituationen erfordern un- terschiedliche Regelungen. Als weiblich geltende Fähigkeiten und Kompetenzen sollen wertge- schätzt und aufgewertet werden.56 Kritik äußern Gildemeister/Wetterer hinsichtlich der diskursiven Dramatisierung der Geschlechterdifferenz, welche letztendlich nur zu einer Tradierung klischee- hafter Vorstellungen weiblicher Kompetenzen und einer Verfestigung von Ungleichheit führt.57 Wie sich zeigt sind beide Ansätze mit Kritik behaftet. In der Literatur wird vereinzelt die Dekon- struktions-Perspektive (dekonstruktionstheoretischer Ansatz) als Ausweg für dieses Dilemma ge- sehen. Diesem Ansatz zufolge kann eine Gleichberechtigung erst durch eine Dekonstruktion der Zweigeschlechtlichkeit erzielt werden. Unterschiede zwischen Mann und Frau werden „nicht mehr als biologisch/natürlich gegeben […], sondern als situative, soziale Identitätskonstruktionen ver- standen.“58 Trotz unterschiedlicher Strömungen die sich aus dieser grundlegenden Annahme ent- wickelt haben, werden global die auf einer Konstruktion von Gruppeneigenschaften basierenden gleichstellungspolitischen Forderungen abgelehnt. Der dekonstruktivistische Ansatz hat zum Ziel geschlechtertypisierende Zuschreibungen zu destabilisieren.59 52 Vgl Nentwich, Gleichheit, Differenz, Diversity oder Dekonstruktion? Verschiedene Geschlechter-Theorien und ihre Konsequenzen für die Gleichstellungsarbeit, Rote Revue Nr 1/2006, 84. Jahrgang, 2 (3). 53 Knapp, Gleichheit, Differenz, Dekonstruktion und Intersektionalität: Vom Nutzen theoretischer Ansätze der Frauen- und Geschlechterforschung für die gleichstellungspolitische Praxis, in Krell/Ortleb/Sieben (Hrsg), Chancengleichheit durch Personalpolitik (2011) 71 (74). 54 Hericks, Entkoppelt und institutionalisiert 73. 55 Vgl Wallner, Theorien der Geschlechterverhältnisse (2004) 3 (7), http://www.claudia-wallner.de/pdf/gd/theo- rien_der_geschlechterverhaeltnisse.pdf (02.04.2021). 56 Vgl Nentwich, Gleichheit, Differenz, Diversity oder Dekonstruktion 3. 57 Vgl Gildemeister/Wetterer, Wie Geschlechter gemacht werden: die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit und ihre Reifizierung in der Frauenforschung, in Knapp (Hrsg), TraditionenBrüche: Entwicklungen feministischer Theo- rie (1992) 201 (223). 58 Nentwich, Gleichheit, Differenz, Diversity oder Dekonstruktion 3. 59 Vgl Knapp in Krell/Ortleb/Sieben 75. 21
4.2. Strategien zur Erreichung der Gleichstellung Mit der Ratifikation des Amsterdamer Vertrages 1999 wurde die Herstellung einer Chancengleich- heit von Mann und Frau – und damit eine Geschlechterdemokratie – verpflichtend für alle Mitglied- staaten der EU festgeschrieben.60 Seit Änderung des B-VG 1998 beruht die Gleichstellungspolitik in Österreich auf einer Doppelstrategie von Frauenförderung und Gender Mainstreaming.61 Der Abbau von Ungleichheiten durch eine adäquate Förderung von Frauen einerseits und das voraus- schauende Erkennen und Verhindern potentieller Benachteiligungen von Männern und Frauen durch das Gender Mainstreaming andererseits. Ein wesentlicher Unterschied dieser Ansätze liegt im zeitlichen Aspekt. Während bei der Frauenförderung schon bestehende Ungleichheiten im Nachhinein im Sinne einer Reparaturarbeit korrigiert werden sollen, ist das Gender Mainstreaming auf die Zukunft gerichtet.62 Strategien zur Förderung von Frauen basieren auf einem spezifischen Ansatz. Sie richten sich gezielt an Frauen und zielen direkt auf bestehende Ungleichheiten, wel- che insbesondere durch kurzfristig wirksame Maßnahmen ausgeglichen werden sollen. Gender Mainstreaming als relationaler Ansatz hingegen umfasst in seiner Perspektive sowohl Männer als auch Frauen. Zur Erreichung einer langfristigen strukturellen Veränderung und Gleichstellung der Geschlechter zielt Gender Mainstreaming primär auf die Rahmenbedingungen und Strukturen die Ungleichheit hervorbringen.63 Primäres Ziel der Gender-Mainstreaming-Strategie ist ein ausgegli- chenes Geschlechterverhältnis und soziale Gerechtigkeit.64 4.2.1. Frauenförderung Das Konzept der Frauenförderung hat zum Ziel bestehenden Benachteiligungen von Frauen ent- gegenzuwirken und eine Chancengleichheit von Männern und Frauen herzustellen. Konzipiert als geschlechterpolitische Strategie ist sie auf eine kollektive Förderung von Frauen ausgerichtet. Strukturelle Defizite und bisherige Diskriminierungen von Frauen wegen ihres Geschlechts sollen durch korrigierende Förderungsprogramme abgebaut werden. Zur Verwirklichung einer Gleich- stellung ist nach Stiegler eine direkte Bevorzugung erforderlich, welche gleichermaßen als ein „Nachholen vorenthaltener Chancen gegenüber Männern“65 anzusehen ist. Um eine in Organisa- tionen bestehende Benachteiligung von Frauen auszugleichen und einen gleichwertigen Anteil beider Geschlechter in allen Hierarchieebenen zu schaffen, kommen unterschiedliche Maß- 60 Vgl Europäisches Parlament, Die Rechte der Frau und der Vertrag von Amsterdam über die europäische Union, http://www.demokratiezentrum.org/fileadmin/media/pdf/frauen_amsterdam.pdf (05.04.2021). 61 Vgl GenderKompetenzZentrum, Gleichstellungspolitik in Österreich (2008) 9, http://www.genderkompetenz.info/gen- derkompetenz-2003-2010/w/files/gkompzpdf/gleichstellungspolitik_in_sterreich.pdf (05.04.2021). 62 Vgl Olthoff, Gender Mainstreaming - von der Implementierung zum Alltagsgeschäft, in Krell (Hrsg), Chancengleichheit durch Personalpolitik5 (2008) 115 (116). 63 Vgl Universität Innsbruck, Bereich Gleichstellung - Büro für Gleichstellung und Gender Studies, https://www.uibk.ac.at/leopoldine/gleichstellung/gender_mainstreaming/gm_ff.html (06.04.2021). 64 Vgl Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, Gender Mainstreaming. Grundlagen und Leit- faden (2014) 14, https://broschuerenservice.sozialministerium.at/Home/Download?publicationId=230 (21.04.2021). 65 Stiegler, Antidiskriminierung. Erschöpfung in der Geschlechterpolitik? (2005) 12. 22
nahmen in Betracht. Neben der Einführung und Festlegung gesetzlicher Quotenregelungen kann einer Unterrepräsentanz von Frauen auch durch innerbetriebliche Frauenförderungsmaßnahmen, wie etwa Gleichstellungs- oder Frauenförderpläne, entgegengewirkt werden.66 Die Intention zur Planung und Umsetzung korrigierender Maßnahmen obliegt eigenen für Frauenpolitik zuständi- gen Organisationen und Institutionen.67 Diese am differenztheoretischen Ansatz aufbauende Strategie respektive spezifische Maßnahme der Gleichstellungspolitik, wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Nach Becker-Schmidt kann eine auf einer hierarchischen Geschlechterordnung basierende Macht- und Herrschaftsstruktur mit derartigen Maßnahmen nicht verhindert werden. Es werde nicht die Ursache an sich bekämpft, sondern vielmehr nur die Symptome der Differenz behandelt.68 Kritisch äußert sich auch Rosen- berger, zumal frauenfördernde Bestimmungen nicht adäquat auf die Komplexität der Herstellung von Diskriminierung reagieren, sondern diese nur punktuell greifen. Der bestehenden Segregation in der Berufsarbeit könne hierdurch nicht effizient bzw ausreichend entgegengewirkt werden.69 4.2.2. Gender Mainstreaming Als ganzheitliche Politik- und Organisationsstrategie zielt Gender Mainstreaming darauf ab, eine gleichberechtigte Teilhabe beider Geschlechter in allen gesellschaftlichen Bereichen (Politik, Wirt- schaft, Recht und Soziales) und auf allen Ebenen sicherzustellen. Während die oben angeführten Unterstützungs- und Fördermaßnahmen für Frauen eine bedarfsorientierte Politik und Reaktion auf konkrete Benachteiligungen darstellen, ist Gender Mainstreaming auf eine langfristige Integra- tion geschlechterspezifischer Sichtweisen und Prävention ausgerichtet.70 Gender Mainstreaming setzt an bestehenden spezifischen Maßnahmen der Gleichstellungspolitik an und ergänzt diese um männliche Strukturen und Werthaltungen. Allfällige Diskriminierungsverbote und positive Maß- nahmen – wie die oben angeführte Frauenförderung – werden hierdurch nicht ersetzt, sondern im Sinne einer Doppelstrategie ergänzt.71 Die unterschiedlichen sozialen Interessen und Erfahrun- gen beider Geschlechter und die Auswirkungen beabsichtigter Maßnahmen sollen bei allen poli- tischen Planungs- und Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden. Die Strategie des Gen- der Mainstreamings umfasst also beide Geschlechterperspektiven. Sie wirkt im Vorfeld von Ent- scheidungen und zielt auf eine Veränderung der Rahmenbedingungen ab. Ziel dieser politischen Querschnittsaufgabe ist eine rechtliche und faktische Gleichstellung zwischen Männern und 66 Vgl Europäische Kommission, Mehr Frauen in Führungspositionen - Ein Schlüssel zur Wirtschaftlichen Stabilität und Wachstum (2010) 45. 67 Neben dem jeweils zuständigem Ministerium für Frauenangelegenheiten auch die LandesrätInnen für Frauenange- legenheiten und Frauenbeauftragte. 68 Vgl Becker-Schmidt, Einheit-Zweiheit-Vielheit: Identitätslogische Implikationen in feministischen Emanzipationskon- zepten, Zeitschrift für Frauenforschung (1+2) 1996, 5 (8). 69 Vgl Rosenberger, Gender Mainstreaming und Gleichstellungspolitik, Juridicum Heft 3/2000, 136 (136). 70 Vgl Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, Gender Mainstreaming, 15. 71 Vgl Ulrich, Gender Mainstreaming - Neue Perspektiven durch eine integrative Gleichstellungsstrategie, in FS Funk 2003, 597 (613f). 23
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