Hans Jürgen Wulff / Olaf Schumacher Warner, Fox und die Anfènge des Tonfilms (20er Jahre)

Die Seite wird erstellt Diana Michels
 
WEITER LESEN
Hans Jürgen Wulff / Olaf Schumacher
Warner, Fox und die Anfènge des Tonfilms (20er Jahre)
Eine erste Fassung dieses Artikels erschien in: Medienwissenschaft. Ein internationales Handbuch der Medientechnik,
Mediengeschichte, Medienkommunikation und Medienästhetik. / Media: Technology, History, Communication, Aesthe-
tics. A Handbook of International Research. 2. Berlin/New York: de Gruyter 2001, S. 1197-1208.
Bibliographische Angabe der Online-Fassung: http://www.derwulff.de/6-6.

1. Tonbilder                                                reicht, die das Publikum zufriedenstellte" (Jossé
                                                            191). Doch in der Zwischenzeit hatte man durch
Die Idee, im Film die Natur nicht nur visuell, son-         bahnbrechende Erfindungen die meisten technischen
dern audiovisuell nachzuahmen, ist so alt wie die Ki-       Probleme der Vorkriegsversuche bewältigen können.
nematographie selbst. Von Anbeginn an gab es Be-
strebungen, sowohl aufnahme- als auch wiedergabe-           Insbesondere in der Verstärkertechnik hatte man
technisch eine Einheit von Bild und Ton herzustellen        große Fortschritte erzielt. In Deutschland war von
(vgl. Fielding 5f). Während die Praxis der musikali-        Robert von Lieben bereits im Jahre 1906 eine Ver-
schen Untermalung, der Einbeziehung von Ge-                 stärkerröhre vorgelegt worden. Doch erst nachdem
räuschen und Sprache durch Orchester und Erzähler           die Rechte an Liebens Patent 1912 von einem Kon-
von Kino zu Kino und von Vorstellung zu Vorstel-            sortium erworben wurden, dem Siemens & Halske,
lung individuell verschieden war, hatte es um die           AEG, Telefunken sowie Felten & Guillaume ange-
Jahrhundertwende auch Versuche gegeben, Systeme             hörten, gelang es, "die Lieben-Röhre zu einem
zu lancieren, die aus einer "Kombination des photo-         brauchbaren Verstärker-Instrument zu entwickeln"
graphischen mit dem phonographischen Apparat"               (Siemens 1949, 254). Siemens & Halske stellte be-
bestanden (Bächlin 54). Die "primitive Vorwegnah-           reits vor dem 1. Weltkrieg Verstärkerröhren her, bis
me des im ‚Nadeltonfilm‘ verwirklichten Verfah-             schließlich 1914 kurz vor Kriegsausbruch der erste
rens" (Mühl-Benninghaus 344) durch Thomas Alva              leistungsfähige Tonfrequenzverstärker präsentiert
Edison in den USA, Léon Gaumont in Frankreich               werden konnte (vgl. Bratke 3). Schließlich entwi-
und Oskar Messter in Deutschland, die sogenannte            ckelte in den Jahren 1915/16 Walter Schottky bei
Bildtonfilme oder Tonbilder herstellten und vorführ-        Siemens & Halske die sogenannte Schutznetzröhre,
ten, scheiterte jedoch primär an der technischen Un-        die "zur Grundlage der vielseitig brauchbaren
zulänglichkeit der Apparate. Die zunehmende                 Schirmgitterröhre sowohl für den Fernsprechweit-
Spieldauer der Filme, unzufriedenstellende mechani-         verkehr als auch für drahtlose Telefonie und damit
sche Synchronvorrichtungen, die Beschallung der             für den künftigen Rundfunk" wurde (Weiher/Goetze-
immer größer werdenden Kinos durch Trichtergram-            ler 69).
mophone sowie der Ausbruch des 1. Weltkrieges tru-
gen dazu bei, daß sich das Interesse am Bildtonfilm         Daneben trat die rüstungsbedingte Entwicklung von
erschÜpfte (vgl. Gomery 1985, 6f; Jossé 102ff;              Mikrophonen und Lautsprechern für die Übertra-
Bächlin 54) [1].                                            gung von Schallwellen in der Funktechnik, die dann
                                                            Anfang der zwanziger Jahre zunächst für das entste-
                                                            hende Medium Rundfunk gefertigt und in den dar-
2. Technische Voraussetzungen                               auffolgenden Jahren immer weiter verbessert wur-
                                                            den.
Erst nach dem 1. Weltkrieg wurde das Projekt Ton-
film wieder ernsthaft aufgegriffen. Verschiedene Er-
finder und Erfindergruppen in Deutschland und den           3. Triergon-Verfahren
USA wandten ihre gesamte kreative und finanzielle
Energie zu einem Zeitpunkt auf, als "grundsätzlich          Im Oktober 1918 begann die Triergon-Erfindergrup-
der Anlaß" fehlte, "ein neues Medium einzuführen.           pe um Hans Vogt, Jo Engl und Joseph Massolle mit
Sowohl in Deutschland als auch in den USA hatte             der Arbeit, ein Tonfilmverfahren zu entwickeln. Sie
man mit dem Stummfilm gute Geschäfte gemacht.               stützten sich dabei nicht, wie man hätte erwarten
Die Qualität der Darstellung hatte eine Stufe er-           können, auf die Erfahrungen, die man bereits mit
den Tonbildern gemacht hatte, sondern auf eine Er-       kaufen und agierten von jetzt an lediglich als techni-
findung des deutschen Physikers Ernst Ruhmer aus         sche Berater der Triergon AG St. Gallen (vgl. Jossé
dem Jahre 1901. Er hatte entdeckt, daß es möglich        169, Kreimeier 210f). "Damit war Vogt, Massolle
war, Schallwellen photographisch auf Film aufzu-         und Engl die Erfindung weitgehend entglitten, sie
zeichnen. Ruhmer arbeitete mit der von Hermann           waren nur noch jederzeit kündbare Angestellte der
Theodor Simon 1897 konstruierten "sprechenden            durch ihre Ideen und Arbeiten entstandenen Firma"
Bogenlampe" als Lichtsteuergerät. Die dabei entste-      (Jossé 169).
hende Sprossenschrift zeichnete sich dadurch aus,
daß die "Schwärzungsdichte in Abhängigkeit von
der Schallamplitude verändert wurde" (Jossé 137).        4. Lee De Forest

(Nach diesen auf dem photographischen Prinzip der        In den USA verlief die Entwicklung des Tonfilms
Tonaufnahme und -wiedergabe beruhenden Erfin-            nahezu parallel. Im Januar 1907 wurde Lee De Fo-
dungen entwickelte der Franzose Eugène Augustin          rest in den USA das Patent auf seine Audion genann-
Lauste ein "Sprechfilmverfahren", auf das ihm 1907       te erste elektronische Verstärkerröhre erteilt (vgl.
in England ein Patent erteilt wurde (vgl. Jossé 110-     Jossé 128, Beijerinck 58). Darauf aufbauend begann
118, Beijerinck 55 f). Doch wie bei den (Nadel-)         er 1919 als erster, mit Lichtton zu experimentieren.
Tonbildern war auch hier die Schwierigkeit der Ver-      Nachdem es ihm im Juli 1921 gelungen war, einen
stärkung gegeben, "so dass von einer Ausbeutung          ersten Tonfilm nach eigenem Verfahren herzustellen,
auf wirtschaftlicher Basis keine Rede sein konnte"       kam es im April 1923 zur Uraufführung dreier kurz-
(Beijerinck 56). Dem Ungarn Dénes v. Mihàly ge-          er Tonfilmszenen nach seinem Phonofilm-Verfahren.
lang im Jahre 1916 mithilfe seines Projektophons die     "Since the musical accompaniment for each was
erste Herstellung und Vorführung eines Tonfilms, bei     nonsynchronous, De Forest [...] generated little inte-
dem sich Bild und Ton synchron auf einem Film-           rest" (Gomery 1985, 8). Auch De Forest blieb letzt-
band befanden (vgl. Zielinski 128, Jossé 133).)          endlich keine andere Wahl, als seine Firma zu veräu-
                                                         ßern. Im August 1923 kam ein Vertrag zwischen
Vogt, Engl und Massolle machten es sich zur Aufga-       ihm, Theodore Case und Earl Sponable zustande.
be, sämtliche Komponenten für ein Lichttonverfah-        Doch die technisch treibenden Kräfte waren von nun
ren inclusive der dazu benötigten Verstärker, Laut-      an Case und Sponable. "Es ist daher irreführend und
sprecher und Mikrophone selbst zu entwickeln. Sie        unzutreffend, wenn De Forest auch und gerade in
konstruierten als Aufnahmeorgan ein neuartiges Mi-       neuesten Werken eine zentrale Rolle in der techni-
krophon, das sogenannte Kathodophon, eine speziel-       schen Entwicklung zugeschrieben wird" (Jossé 173).
le schallempfindliche Glimmlampe, die sie Ultrafre-
quenzlampe nannten, eine geeignete photoelektri-
sche Zelle als Licht-Strom-Umwandler für die Wie-        5. Vitaphone-Verfahren (Western Electric)
dergabe, sowie einen neuartigen trichterlosen Laut-
sprecher, das Statophon. Darüber hinaus entwickel-       Während in Deutschland Nadeltonverfahren nach
ten und fabrizierten die Erfinder Verstärkerröhren,      dem 1. Weltkrieg nur noch eine untergeordnete Rolle
deren Herstellung später an Siemens & Halske abge-       spielten, begann die Western Electric Co. (WE) zu-
geben wurde (vgl. Triergon 5 ff, Zglinicki 620 f,        sammen mit ihrer Stammfirma American Telephone
Beijerinck 59 ff).                                       & Telegraph Co. (AT & T) Anfang der zwanziger
                                                         Jahre ein Verfahren zu entwickeln. WE hatte 1912
Am 17. September 1922 kam es im Berliner Licht-          die Rechte für De Forests Audion erworben, zu-
spieltheater "Alhambra" zur ersten deutschsprachi-       nächst um Verstärker für Telefon-Übertragungen zu
gen Lichttonfilm-Vorführung nach dem Triergon-           bauen. "Western Electric [...] needed a better method
Verfahren. Die Premiere, an der rund 1000 Personen       to test sound quality, [...] concentrating on impro-
teilnahmen, war ein voller Erfolg (vgl. Jossé 158 ff).   ving the disc method" (Gomery 1985, 8). 1922 lagen
Doch weder Filmgesellschaften noch andere Geldge-        Mikrophone, Verstärkerröhren und Lautsprecher für
ber zeigten Interesse an dem neuen Medium. Die Er-       Rundfunkzwecke vor, doch man erkannte, "that
finder sahen sich schließlich gezwungen, ihre Erfin-     more lucrative markets existed in ‚improved‘ phono-
dung mitsamt Gerätschaften und Patentbesitz im           graphs and sound movies" (Gomery 1985, 9).
Juni 1923 an eine Schweizer Finanzgruppe zu ver-
Neben den Erfolgen in der Verstärkertechnik hatte         man Massolle übertragen. Doch als "Das Mädchen
man Fortschritte bei der Schallplattenaufnahme und        mit den Schwefelhölzern" unter der künstlerischen
-wiedergabe zu verzeichnen. Die Synchronizität            Ägide von Guido Bagier am 20. Dezember zur Ur-
wurde jetzt nicht mehr durch mechanische, sondern         aufführung kam, konnte er "akustisch nicht im ent-
elektromagnetische Kopplungsvorrichtungen er-             ferntesten mit den von den Erfindern selbst vorher
reicht (vgl. Jossé 129). Eine erste öffentliche Vorfüh-   gezeigten Filmen verglichen werden" (Schneider
rung des Vitaphone-Verfahrens konnte mit Erfolg im        210). Trotz des Mißerfolgs lief der Film noch einige
Oktober 1922 stattfinden (vgl. Jossé 182). Ende           Tage im Theater am Nollendorfplatz (vgl. Jossé
1924 waren die Entwicklungsarbeiten zu ihrem vor-         208). Danach begann die Ufa ihre Aktivitäten auf
läufigen Abschluß gekommen. Man entschied sich,           dem Tonfilmgebiet zu drosseln, in erster Linie auf-
für die Auswertung des Verfahrens eine eigene Fir-        grund der finanziellen Situation des Filmkonzerns
ma zu gründen. Die Bell Telephone Laboratories be-        (vgl. Jossé 233). Es gab jedoch "keine Kündigung
gannen am 1. Januar 1925 mit ihrer Arbeit (vgl.           des Lizenzvertrages, es gab 1926 kein Desinteresse
Jossé 188, 209). Doch es gelang auch ihnen zunächst       seitens der Ufa, das Projekt ‚Tonfilm‘ wurde nicht
nicht, Filmkreise für das neue Tonfilmverfahren zu        fallengelassen und die Ufa verzichtete nicht aus frei-
interessieren (vgl. Jossé 209ff).                         en Stücken auf die Nutzung des Triergon-Systems"
                                                          (Jossé 232). Erst nach der Übernahme der Ufa durch
                                                          den Hugenberg-Konzern am 5. März 1927 wurde die
6. Photophone-Verfahren (General Electric)                Triergon-Abteilung aufgelöst und "erst jetzt - und zu
                                                          keinem früheren Zeitpunkt - ‚desinteressierte‘ sich
Die General Electric Co. begann in Zusammenarbeit         die Ufa am Tonfilm" (Jossé 236).
mit ihrem Tochterunternehmen RCA etwa 1920, ein
eigenes Tonfilmverfahren auf Lichttonbasis zu ent-
wickeln. Charles A. Hoxie hatte bereits während des       8. Vitaphone Corporation (Warner Brothers)
1. Weltkrieges ein Gerät zur photographischen Auf-
nahme von Funksignalen auf Film hergestellt (vgl.         1925 begannen die "noch nicht zu den wichtigen
Gomery 1985, 19; Jossé 137). Nach dem Krieg setz-         Filmkonzernen" (Jossé 213) zählenden Warner Brot-
te Hoxie seine Arbeiten fort. Die Apparatur war zu-       hers sich um den Tonfilm zu bemühen. Die in der äl-
nächst als "marketable substitute for the phono-          teren Filmgeschichtsschreibung vertretene Auffas-
graph" gedacht. Doch schon wenig später traf man          sung, die Brüder seien kurz vor dem Konkurs ge-
Überlegungen für die Verwendung des Pallo-Photo-          standen (vgl. z.B. Zglinicki 613; Beijerinck 66) und
phone in einem zu entwickelnden Tonfilmverfahren.         hätten sich nur deshalb dem Tonfilm zugewandt, ist
                                                          mittlerweile revidiert worden:
Im November 1923 kam zu einer ersten Demonstra-
tion des Verfahrens, aber "De Forest‘s failure to in-     "Es handelte sich bei der Firma keineswegs um
novate sound motion pictures proved no market             einen ruinösen Konzern [...], sondern um das genaue
existed for Hoxie‘s invention" (Gomery 1985, 19).         Gegenteil eines schon fast aggresiv expandierenden
Erst nach dem Erfolg der Warner Brothers im Jahre         Unternehmens, das zur Finanzierung seiner vielfälti-
1926 entschloß man sich, am Photophone-Verfahren          gen Investitionen eine gewollte, exakt kalkulierte
weiterzuarbeiten.                                         kurzfristige Verschuldung in Kauf nahm" (Jossé
                                                          216).

7. Ufa-Triergon-Sprechfilmabteilung                       Am 20. April 1926 erwarb die von den Warners
                                                          frisch gegründete Vitaphone Corporation offiziell
In Deutschland wurde die Ufa angesichts der erfolg-       das Alleinrecht zur Nutzung des von Western Elec-
reichen Tourneen durch die Schweiz, die vom jetzi-        tric patentierten Verfahrens (vgl. Jossé 217). Bereits
gen Besitzer der Triergon AG, Dr. Curti, angeregt         am 6. August des Jahres fand die Premiere des Spiel-
worden waren, auf das Verfahren der drei Erfinder         films "Don Juan" statt. "The musical accompaniment
aufmerksam. Am 30. Januar 1925 kam es zwischen            (sound-on-disc) caused no great stir because it ‚sim-
beiden Firmen zum Abschluß eines Lizenzvertrags.          ply replaced‘ an absent live orchestra" (Gomery
Am 1. Juli begann die Ufa-Triergon-Sprechfilmab-          1985, 13). Dennoch wurden diese und weitere Auf-
teilung ihre Arbeit. Die technische Leitung hatte         führungen ein großer Erfolg (vgl. Jossé 221ff).
schau lief am 30. April 1927 an und konnte bereits
Der Vertrag zwischen Western Electric und den War-      drei Wochen später mit Aufnahmen des Lindbergh-
ner Brothers währte hingegen nicht lange. John E.       Fluges einen Sensationserfolg verbuchen (vgl. Jossé
Otterson, der von Western für die Betreuung aller       228ff, 242f).
"non-telephone inventions" eingesetzt worden war,
wollte mit den Filmproduktionsfirmen direkt verhan-
deln. Er organisierte eine Kampagne, die die Appa-      10. RKO (General Electric)
rate-Preise derart in die Höhe trieb, daß die Ge-
schäftsbeziehungen zwischen beiden Firmen zum           Im Mai 1928 entschieden sich die führenden Film-
Erliegen kamen. Gleichzeitig gründete er die Electri-   produktionsfirmen aufgrund ihres Big Five Agree-
cal Research Products Inc. (ERPI). Im April 1927        ment (vgl. Gomery 1985, 13) für das Vitaphone-Sys-
zahlte ERPI den Warners eine Ablösesumme und            tem, der Vorsprung von Western Electric schien
schloß mit ihnen das New License Agreement. "Vi-        kaum mehr einzuholen zu sein. General Electric ge-
taphone [...] became merely a licensee of ERPI.         lang es dennoch, sich als letztes Unternehmen im
Warner Bros. had given up the exlusive franchise to     Tonfilmgeschäft zu etablieren. Im Oktober 1928
exploit ERPI sound equipment" (Gomery 1985, 14).        kam es zur Gründung der Dachgesellschaft Radio-
                                                        Keith-Orpheum (RKO). Sie umfaßte eine Lichtspiel-
Mit "Don Juan" begann in den USA die Innovations-       theaterkette, eine Radiostation (NBC) sowie Film-
phase des Tonfilms. Bereits Ende 1926 waren etwa        produktion (Radio Pictures). Die ersten RKO-Tonfil-
100 Lichtspieltheater mit Vitaphone-Anlagen ausge-      me liefen im Frühjahr 1929 an. Ein Jahr später hatte
stattet. Ausschlaggebend waren vor allem ökonomi-       sich das Verfahren gleichberechtigt durchgesetzt
sche Erwägungen: es war nun möglich, die populä-        (vgl. Gomery 1985, 21f).
ren Vaudeville-Stars überall dort zu "erleben", wo
sich Kinos für die Installierung eines Tonfilm-Equip-
ments entschlossen hatten. "These performers would      11. Siemens & Halske-Verfahren
have charged more than any single theater owner
could have afforded, if presented live" (Gomery         Anders als die Triergon-Erfindergemeinschaft, die
1985, 13). Den großen Durchbruch, der die gesamte       bereits Anfang der zwanziger Jahre elektroakusti-
Filmindustrie revolutionierte, erzielten die Warner     sche Geräte für ihr Tonfilmverfahren konstruierte,
Brothers schließlich mit dem am 6. Oktober 1927         begann Siemens & Halske mit der Entwicklung von
uraufgeführten "part-talkie" "The Jazz Singer" mit      Lautsprechern, Mikrophonen und Verstärkern zu-
Al Jolson in der Hauptrolle (vgl. Jossé 239 ff).        nächst für die aufkommende Schallplatten- und
                                                        Rundfunkindustrie. Der erste Verstärker, der unter
                                                        der Leitung von Georg Gruschke zu dieser Zeit ent-
9. Movietone-Verfahren (Fox-Case-Corporation)           stand, konnte als Endstufe für Rundfunkempfänger,
                                                        Plattenspieler oder Mikrophone verwendet werden
Auch Case und Sponable waren unterdessen nicht          (vgl. Siemens 1951, 98). Daneben entstanden leis-
untätig geblieben. Im September 1925 hatten sie sich    tungsfähige Mikrophone und elektrodynamische
von De Forest getrennt. Ihr System hatten sie soweit    Großlautsprecher wie z.B. der Bandlautsprecher, der
entwickelt, daß dessen Einführung nichts mehr im        Blatthaller und der Riffellautsprecher.
Wege stand (vgl. Jossé 173, 227). Im Mai 1926 be-
gann der Filmindustrielle William Fox sich für die      Ab 1926 begann man bei den großen deutschen
Arbeiten der beiden Forscher zu interessieren, um       Elektrokonzernen, unter Vermeidung der Triergon-
der Vitaphone Corporation Konkurrenz zu machen.         Patente eigene Lichttonverfahren zu entwickeln,
Die eigens hierfür gegründete Fox-Case-Corporation      "nachdem die ersten Schallplattenfilme in Amerika
zeigte im Januar 1927 den ersten im Movietone-Ver-      einen ungeheuren Erfolg hatten" (Narath 108). Dar-
fahren hergestellten Spielfilm. Fox-Direktor Court-     über hinaus hatte die Elektroindustrie die finanziel-
land Smith mußte jedoch einsehen, daß gegen die         len Mittel, um großangelegte Forschungsarbeiten
Überlegenheit der Warner Brothers auf dem Spiel-        auch in verwandten Arbeitsgebieten durchzuführen.
filmsektor nicht mehr anzukommen war. So verlegte       Die technische Durchführbarkeit eines synchronen
man sich auf ein Anwendungsgebiet, das die War-         Tonfilmverfahrens muß bei Siemens & Halske be-
ners noch nicht besetzt hielten: die Fox-Tonwochen-     reits bekannt gewesen sein, hatte man doch schon
vor Jahren Verstärkerröhren für Triergon gefertigt        boratorium der AEG (Grüntaler Straße), ebenfalls
(vgl. Beijerinck 59). Um sich einen Marktvorteil zu       auf Karolus‘ Anregung hin, die drei jungen Inge-
verschaffen, ging man bei den Konzernen folgender-        nieure Dr. Albert Narath, Dr. Horst Tischner und
maßen vor:                                                F.W. Dustmann mit der Entwicklung eines Lichtton-
                                                          verfahrens auf der Grundlage der Kerrzelle. Dort
"Die meisten Patente werden nicht etwa angemeldet,        und ab 1. April 1928 im Forschungsinstitut der AEG
weil eine Fabrikation an Hand der Erfindung alsbald       in Berlin-Reinickendorf entstand unter der Leitung
beabsichtigt ist, [...] sondern vor allem, um sich eine   von Dr. Hugo Lichte eine Versuchsapparatur, "mit
weitgehende Freiheit in der Ausnutzung aller Mög-         der Erfolg versprechende Probeaufnahmen erzielt
lichkeiten einschließlich der Möglichkeit, die Kon-       wurden." Damit war "die technische Brauchbarkeit
kurrenz zu behindern, unter allen Umständen zu si-        dieses Verfahrens" bewiesen (Hehlgans 11; vgl.
chern" (Gottscho 298; vgl. Gomery 1985, 9).               Wohlrab 532f).

Der Tonfilm wurde zum "Schrittmacher" der Elek-
troakustik (Kammerer 8), weil er höhere Anforde-          13. Gründung der Tobis
rungen an das Zusammenwirken von "Musik und
Sprache, Gesang und Geräusche[n]" stellte (ebd. 6).       Durch die immensen Tonfilm-Erfolge jenseits des
Auf Anregung Fritz Lüschens begann man im Zen-            Atlantiks wurde den Vertretern der deutschen Ton-
trallaboratorium und der 1926 gegründeten Elektro-        filmverfahren bewußt, "der amerikanischen Interes-
akustischen Abteilung des Wernerwerks für Fern-           sengruppe nur durch Zusammenfassung aller Kräfte
meldetechnik in Berlin-Siemensstadt unter der Lei-        wirksam" entgegentreten zu können (Bächlin 60).
tung von Erwin Gerlach und Dr. F. Fischer ein Ver-        Außerdem sollte etwaigen Streitigkeiten der deut-
fahren zu entwickeln. Die Apparatur arbeitete nach        schen Patenthalter untereinander Einhalt geboten
dem Amplitudenverfahren mit einem Spiegelgalva-           werden.
nometer als Aufzeichnungsorgan, das auf eine Erfin-
dung Arthur Korns aus dem Jahre 1903 zurückging.          Am 18. Juli 1928 rief Generalkonsul Heinrich
Unabhängig von Ruhmer hatte auch er eine Methode          Brückmann, Hauptaktionär der Deutschen Tonfilm
gefunden, Schallwellen kraft eines Oszillographen         AG, im Berliner Hotel "Kaiserhof" zur Gründung ei-
photographisch auf Film aufzuzeichnen. Ergebnis           nes Tonbild-Syndikates auf. Der Einladung Folge
war eine Zackenschrift, bei der "die Schwärzungs-         geleistet hatten Vertreter aller bekannten deutschen
dichte konstant" blieb, aber " entsprechend der           Tonfilmverfahren, der Film- sowie der Elektroindus-
Schallamplitude in der Breite" wechselte (Jossé           trie. Dennoch gelang es Brückmann nicht, alle Betei-
137).                                                     ligten von seinem Konzept zu überzeugen, so daß
                                                          am 30. August schließlich nur das Triergon-Verfah-
                                                          ren, das Petersen-Poulsen-Verfahren, das Küchen-
12. AEG-Verfahren                                         meister-Verfahren und ein neues Synchronisierungs-
                                                          verfahren von Oskar Messter in die Tonbildsyndikat
Auch die AEG begann 1927, sich mit dem Tonfilm            AG, kurz Tobis, eingebracht werden konnten.
zu befassen. Ausgangspunkt bildeten die Arbeiten
des Leipziger Professors August Karolus über die          Die Ufa, Siemens & Halske und AEG hatten sich
Kerrzelle. Karolus, der im Oktober 1924 "regelrecht       nicht an der Gründung beteiligt, in erster Linie weil
von Telefunken eingekauft" worden war (Zielinski          die letztgenannten nicht willens waren, ihren Patent-
135), benutzte die Kerrzelle zunächst in den Ver-         besitz der neuen Gruppe zu überlassen. Die beiden
wendungszusammenhängen Fernsehen und Bildtele-            Elektrokonzerne hatten schließlich eigene Tonfilm-
graphie, schlug dieses Strom-Licht-Wandlungsorgan         verfahren entwickelt und waren überzeugt, von den
dann aber auch für den Tonfilm vor.                       anderen Systemen "technisch völlig unabhängig zu
                                                          sein" (Siemens 1951, 110). Insbesondere die Sie-
Karolus bestimmte seinen langjährigen Mitarbeiter         mens-Verstärkerpatente gewährleisteten eine überaus
Hans Christoph Wohlrab mit einer Dissertation über        starke Position gegenüber den anderen Verfahren.
"Ein Verfahren zur photographischen Aufzeichnung
elektrischer und akustischer Vorgänge" mittels der
Kerrzelle. Parallel dazu begannen im Forschungsla-
14. Gründung der Klangfilm GmbH                         Damit war über Nacht ein gesamteuropäisches Ton-
                                                        filmkartell entstanden, denn die ausländische Film-
Was Brückmann eigentlich hatte vermeiden wollen:        produktion und -organisation wurde einem Firmen-
AEG und Siemens & Halske entschlossen sich zur          konsortium übertragen, das aus N.V. Küchenmeisters
gemeinsamen Gründung eines Konkurrenzunterneh-          Int. Mij. voor Sprekende Films sowie der Heinrich J.
mens, um die Tonfilminteressen der beiden Konzer-       Küchenmeister Kommanditgesellschaft bestand und
ne zu vertreten. Die Klangfilm GmbH wurde am 8.         das die Auslandsrechte für das Tobis-Verfahren be-
Oktober 1928 ins Handelsregister eingetragen. Die       saß. Im Verlauf der nächsten Monate wurden die in-
beiden Elektroriesen waren daran zu je 45% betei-       ternationalen Verflechtungen weiter ausgebaut, so
ligt, 10% des Gesellschaftskapitals über 3 Millionen    daß nur ein Jahr später ein ganzes Netz von Firmen
Reichsmark wurde von der Schallplattenfirma Poly-       in verschiedenen Ländern Europas die Rechte der
phonwerke AG eingebracht. Bei der Wahl des Sys-         Tobis-Klangfilm-Gruppe wahrnahm, darunter Ligno-
tems entschied man sich für das Kerrzellen-Verfah-      se Hörfilm, British Phototone, French Phototone,
ren der AEG. Die von Siemens & Halske entwickel-        Klangfilm Ltd. (Great Britain), British Talking Pic-
te Anordnung wurde erst 1935 wieder aufgegriffen,       tures, Asfi, S.A. Films Sonori in Rom, die Compa-
als Klangfilm die Eurocord-Apparatur auf den Markt      gnie Française Tobis und die Société des Films So-
brachte und mit dem sogenannten Lichthahn "an alte      nores Tobis in Paris-Âpinay. Die Verbindungen
Traditionen anknüpt[e]" (Hatschek). Noch Anfang         reichten über den englischen Schlesinger-Konzern
der siebziger Jahre befand sich Eurocord im Ver-        bis hin zu General Talking Pictures in den USA (vgl.
triebsprogramm der Siemens AG.                          Irby 745f; Beijerinck 90ff). Darüber hinaus hatte das
                                                        zwischen AEG und General Electric im Jahre 1922
                                                        geschlossene Abkommen, das den beiderseitigen Pa-
15. Tobis-Klangfilm-Vertrag                             tentaustausch zum Inhalt hatte, beim Abschluß des
                                                        Tobis-Klangfilm-Vertrags ein "sehr wesentliches in-
Es sollte nicht lange dauern, bis die beiden deut-      direktes Aktivum fuer die Tobis-Gruppe" dargestellt
schen Tonfilmblöcke aneinandergerieten. Am 8. Fe-       (BAA R 109 I/ 996). Diese Bindung wurde weiter
bruar 1929 kam es zur ersten Üffentlichen Auffüh-       vertieft, als General Electric 1929 25% des AEG-
rung eines Tonfilm-Programms der Klangfilm              Aktienkapitals übernahm (vgl. Gomery 1980, 86;
GmbH, die von Tobis mit einer einstweiligen Verfü-      Hautsch 34; Kallmann 45).
gung vereitelt wurde. (Klangfilm wäre letztendlich
wahrscheinlich gezwungen gewesen, ihr gesamtes
Verfahren auf die getrennte Wiedergabe von Ton und      16. Ufa-Klangfilm-Vertrag
Bild umzustellen. Andererseits wäre es für die Tobis
schwierig geworden, die Verstärkerpatente Klang-        Die Ufa hatte bis zum Frühjahr 1929 ihre abwarten-
films auf Dauer zu umgehen). Die beiden Firmen er-      de und beobachtende Stellung beibehalten. Bereits
kannten, daß es effektiver war, eine Einigung herbei-   vor Abschluß des Tobis-Klangfilm-Vertrages hatte
zuführen, was schließlich am 13. März mit der Un-       sie zwar Klangfilm-Aufnahmeapparaturen käuflich
terzeichnung des Tobis-Klangfilm-Interessenge-          erworben. Dennoch bestand die Gefahr, den größten
meinschafts-Vertrags geschah. In den Vereinbarun-       deutschen Filmkonzern an amerikanische Interessen-
gen wurden in erster Linie die künftigen Betäti-        gruppen zu verlieren. Da die Zeit drängte, wurden
gungsbereiche abgegrenzt: Klangfilm war von nun         die Verhandlungen ohne Hinzuziehung der Tobis-
an für die Herstellung der Aufnahme- und Wiederga-      Entscheidungsträger geführt. Ludwig Klitzsch be-
beapparaturen sowie den Vertrieb der Wiedergabeap-      fand sich in der günstigen Lage, "das Vorgehen der
paraturen zuständig, während Tobis die Filmproduk-      Warner-Gruppe und das drohende Eindringen der
tion, das Lizenzgeschäft und der Vertrieb der Auf-      Amerikaner" zum Vorteil der Ufa auszubauen, u.a.
nahmeapparaturen zufiel. Aufgrund einer Ausnah-         konnte er den Verzicht auf Lizenzen für die Vorfüh-
meregelung war der Tobis allerdings die Verwen-         rung ausländischer Filme in Ufa-Theatern durchset-
dung von eigenen Triergon-Aufnahmeapparaturen           zen und sich auch sonst "überall Meistbegünstigung"
gestattet. Trotz eines zwischen den beiden Firmen       sichern. Der Vertrag vom 8. April 1929 rief bei der
1935 abgeschlossenen Verschrottungsabkommens            Tobis Empörung hervor. Die Klangfilm-Delegierten,
wurden diese bis 1945 in den Studios der Tobis be-      Lüschen und Birnholz, rechtfertigten die besonderen
nutzt (vgl. BAA RH 23.01/ 7030; Webers 609).            Zugeständnisse an die Ufa als "Kriegskosten", die
man eben nicht habe vermeiden können. Tobis-Vor-        es Tobis-Klangfilm am 22. Juli endlich gelang, vor
standsmitglied Auerbach bezeichnete den Vertrag als     dem Berliner Kammergericht ein Aufführungsverbot
"Dolchstoß des Herrn Klitzsch", die Ufa als "halba-     für Vitaphone-Filme auf Western-Apparaturen zu er-
merikanische Firma" habe "die deutsche Filmindus-       zwingen. Western Electric mußte sich geschlagen
trie ruiniert", eine im Eifer des Gefechts sicherlich   geben und verlegte daraufhin ihre deutsche Vertre-
etwas kurzsichtige Betrachtungsweise. Sicherlich        tung ins Ausland (vgl. v. Lölhöffel 512). Die ameri-
war der Vertrag eine Verletzung des Tobis-Klang-        kanische Gruppe reagierte mit der Boykottierung des
film-Abkommens und warf erste Schatten auf die          deutschen Marktes, indem sie den Verleih amerika-
Geschäftsbeziehungen zwischen beiden Firmen.            nischer Filme unterband.
Doch Klangfilm hatte es immerhin geschafft, das
"Rückgrat" der deutschen Filmindustrie für den eu-      Fortgesetzt wurde der Patentkrieg außerhalb
ropäischen Tonfilmblock zu gewinnen. Klitzschs          Deutschlands. Besonders in England, wo die "Be-
Entscheidung für Klangfilm lag nicht ausschließlich     reitwilligkeit zur Ausrüstung der Kinos mit Tonfilm-
"im Interesse der deutschen Industrie" (Kreimeier       apparaturen am weitesten vorgerückt" war, "bot sich
214), wurde nicht nur aus "nationalen Gründen" ge-      eine gute Gelegenheit, die Konkurrenzfähigkeit der
troffen, wie bisher in der Filmgeschichtsschreibung     deutschen Tonfilmapparate-Industrie auf dem Welt-
wiederholt behauptet wurde. Die Ufa hatte es viel-      markte zu zeigen" (Beijerinck 91f). Im "Filmkurier"
mehr verstanden, die beiden konkurrierenden Inter-      deutete Klangfilm-Mitarbeiter Robert Schultz vage
essengruppen gegeneinander auszuspielen, als drin-      die Praktiken an, die die Amerikaner anwendeten,
gender Handlungsbedarf bestand. (BAA R 109 I/           um ihre Kontrahenten zu behindern:
249)
                                                        "Selbstverständlich fanden die Klangfilm-Ingenieure
Unverzüglich begann Klangfilm damit, alle 99 Ufa-       überall, wo sie erschienen, starke Widerstände vor,
Kinos in 41 Städten, meist Erstaufführungstheater,      d.h. die bereits anwesenden Vertreter der [...] Wes-
mit Wiedergabeapparaturen auszustatten. Daneben         tern versuchten alles mögliche, um die Klangfilmar-
begann die Ufa auf ihrem Babelsberger Filmgelände       beit zu erschweren. Daß sie sich als zuerst am Platze
mit dem Bau eines modernen Tonfilmstudios, das in       Erschienenen die besten Bauplätze und die am bes-
seiner architektonischen Form vÜllig neuartig war       ten geeignetesten Ateliers heraussuchten, wie z.B.
und als "Tonkreuz" in die Filmgeschichte einging.       bei Pathé, ist zu erklären, aber man spricht in den
Die gesamte elektrische Ausstattung sowie die In-       nahestehenden Kreisen doch noch von ganz anderen
stallation der Aufnahmeapparaturen erfolgte durch       Mitteln, die deutsche Konkurrenz auszuschalten."
Siemens & Halske und Klangfilm.
                                                        Im restlichen Europa hingegen konnte die Tobis-
                                                        Klangfilm-Gruppe Erfolge auf breiter Basis verbu-
17. Auseinandersetzungen mit Western Electric           chen. Sie gewann von Western Electric angestrengte
                                                        Patentverletzungsklagen in der Tschechoslowakei,
Die USA waren an Europa als Absatzmarkt bren-           Holland, Ungarn, Schweiz und Österreich (vgl. Go-
nend interessiert, um die hohen Amortisierungskos-      mery 1976, 56; Mühl-Benninghaus 347).
ten für ihre Tonfilmproduktionen einspielen zu kön-
nen. Im Frühjahr 1929 begannen Western Electric
und Warner Brothers sich den zeitlichen Vorteil zu-     18. Paris Agreement
nutze zu machen, den sie in der Apparate- und Film-
produktion aufgrund der weit vorgelagerten Tonfilm-     Seit Juni 1929 versuchten Vertreter beider Patentblö-
entwicklung in den USA besaßen. So begannen die         cke, sich auf dem Verhandlungswege näherzukom-
Warners im Mai 1929 eine Vitaphone-Wiedergabe-          men. In erster Linie wollte man die Aufteilung des
apparatur im von der Ufa gemieteten Berliner Glo-       Weltmarktes in Patentzonen und die ‚interchangeabi-
ria-Palast einzubauen. Für die deutsche Urauffüh-       lity‘ durchsetzen. Dieser Begriff faßte die internatio-
rung des Al Jolson-Films "The Singing Fool" war         nalen Bemühungen zusammen, Filmformate und
der 31. Mai vorgesehen. Trotz einer einstweiligen       Apparaturen so zu vereinheitlichen, daß weltweit die
Verfügung durch Siemens & Halske und Telefunken         Vorführung aller Tonfilme auf allen Wiedergabege-
fand die Premiere am 3. Juni statt. Über sieben Wo-     räten möglich ist. Doch die Gespräche führten zu-
chen konnte der Film ungestört gezeigt werden, bis      nächst zu keinen nennbaren Ergebnissen. ERPI-Chef
Ottersons Forderung des Alleinrechts über alle eng-       Doch generell gesehen war das Agreement ein Kom-
lischsprachigen Länder war für Tobis-Klangfilm un-        promiß. Denn die USA hatten "sich Sowjetrußland
akzeptabel, und die Klangfilm-Quotenregelung, ein         als einen besonders ausbaufähigen Markt gesichert
Lizenzschema zur Abrechnung der auf Klangfilm-            [...], während in den elektrotechnischen Interessen-
Gerät gespielten US-Filme, stieß wiederum bei Ot-         gemeinschaften der Vorkriegszeit Rußland immer
terson auf Ablehnung (vgl. Jossé 274).                    das ausschließliche Geschäftsgebiet der deutschen
                                                          Vertragspartner gewesen war!" (BAA 61 Re 1). Au-
Aufgrund des New License Agreements hatten die            ßerdem zeigte sich (dem "Vorwärts" zufolge) die
Warner Brothers "little incentive to cooperate with       "Überlegenheit des amerikanischen Partners" da-
Western Electric" (Gomery 1980, 86). Im September         durch, daß es den US-Gruppen gelungen war, sich
1929 führten sie erste Verhandlungen mit Tobis-           ein großes einheitliches Sprachgebiet (USA, Kana-
Klangfilm. Im April 1930 erwarben die Warners             da, Indien, Australien) zu sichern (Vorwärts Nr. 341
einen 20-prozentigen Anteil an N.V. Küchenmeisters        vom 24.7.1930).
Int. Mij. voor Sprekende Films. Aufgrund dieser
Verträge konnten sie nun wieder damit beginnen,           Wie bereits angedeutet, hatte man aber nur einen
amerikanische Filme an europäische Kinos zu ver-          "Vorvertrag" unterzeichnet (vgl. Mühl-Benninghaus
leihen (vgl. Mühl-Benninghaus 348; Gomery 1980,           349, Beijerinck 131f; Irby 747). "The Hollywood
85f; Jossé 275f). Der Boykott war durchbrochen.           monopolists never formally ratified the ‚Paris Agree-
                                                          ment‘" (Gomery 1980, 86), in erster Linie, weil kur-
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Haltung der füh-       ze Zeit später von deutscher Seite aus eine straffere
renden US-Filmkonzerne Western Electric gegen-            Quotenregelung eingeführt wurde. In einem Brief
über entscheidend geändert. Rückläufige Exportzah-        der Tobis an RCA vom 31.12.1931 hieß es: "Abrech-
len, die sich durch den Fortfall des europäischen         nungen erfolgen nur unvollkommen, zum Teil gar
Marktes langsam bemerkbar machten, bewirkte un-           nicht, mit dem Hinweis darauf, dass die endgültige
ter ihnen eine allmählich sich abzeichnende Opposi-       Formulierung der Verträge noch nicht vorliegt"
tionshaltung gegen Otterson. Denn durch den Boy-          (BAA R 109 I/990). Im Februar 1932 wurde in Paris
kott verloren sie "die letzte Chance, die sie noch hat-   wieder eine Konferenz einberufen, ohne Erfolg. Der
ten: das Tonfilmgeschäft mit ihren fremdsprachigen        Vorstandsvorsitzende der Klangfilm, Emil Mayer,
Filmen auszunutzen, ehe die deutsche Produktion           schrieb am 2. Januar 1933: "Ich bin mir nicht dar-
den Markt voll befriedigen" konnte (v. Lölhöffel          über klar, welches Ziel die Amerikaner verfolgen, in-
512).                                                     dem sie zum x-ten Mal eine europäische Konferenz
                                                          vorschlagen. Die Erfahrung lehrt, daß man dabei
Unter dem Druck der amerikanischen Filmindustrie          nicht weiter kommt" (BAA R 109 I/980). Erst nach
sah sich Otterson gezwungen zu agieren. Am 19.            sechs Jahren gelang es den Parteien, zu einer zufrie-
Juni 1930 begannen in Paris die Verhandlungen, an         denstellenden Einigung zu gelangen. Das endgültige
denen neben Otterson und Lüschen u.a. C.J. Ross           Paris Agreement wurde am 18. März 1936 unter-
von RCA Photophone Inc., J.C. Graham von der Pa-          zeichnet (vgl. Gomery 1980, 87f; BAA R 109 I/996).
ramount, Emil Mayer von AEG, Tobis-Aufsichts-
ratsmitglied Milton Diamond, Küchenmeister und
Klangfilm-Direktor Kirn teilnahmen. Erst nach ei-         19. Ästhetische Aspekte
nem Monat konnte eine Einigung herbeigeführt wer-
den. Am 22. Juli wurde das (vorläufige) Paris Agree-      Für die Entwicklung der ästhetischen Ausdrucksmit-
ment unterzeichnet. Im wesentlichen hatte man die         tel des Films bedeutete der Tonfilm einen sehr
‚interchangeability,‘ den gegenseitigen Patentaus-        grundlegenden Einschnitt (Carroll, Prümm). Aus-
tausch sowie die Aufteilung des Weltmarktes in drei       gangs der 20er Jahre war die Montage zu jenem
Patentzonen vereinbart.                                   Schlüsselkonzept geworden, das in Filmtheorie und
                                                          -praxis zentrale Stellung innehatte und auf die ande-
In der Filmgeschichtsschreibung wurde das Paris           ren Künste einwirkte. Mit dem Tonfilm drohten die
Agreement wiederholt als großer Sieg des europäi-         Erfindungen der Montagekunst, die Dynamisierung
schen Tonfilmblocks gefeiert. Zweifellos hatte To-        von Raum und Kamera usw. wieder verloren zu ge-
bis-Klangfilm ein Hauptziel erreicht, die Sicherung       hen - weil die ersten all-talkies aus den USA eine
des europäischen Festlandes als Exclusivgebiet.           Rückentwicklung zu den statischen Formen des
"canned theatre" der Frühzeit andeuteten, die auf ei-        Gomery, Douglas (1976): Tri-Ergon, Tobis-Klangfilm and
ner theaterhaften kinematographischen Illusion be-           the Coming of Sound. In: Cinema Journal 16,1/ 1976, S.
                                                             51-61.
ruhte, nicht aber auf den Bild- und Gedankenbewe-
gungen der Montage (Hartmann 200). Das Tonfilm-              Gomery, Douglas (1980): Economic Struggle and Holly-
Manifest von Eisenstein, Pudowkin und Alexandrow             wood Imperialism: Europe Converts to Sound. In: Yale
(1928) postulierte schon sehr früh eine Verwendung           French Studies 60, 1980, S. 80-93.
des Tons im Rahmen der Montage, eine radikale Ab-
                                                             Gomery, Douglas (1985): The Coming of Sound: Techno-
setzung von der puren Tonwiedergabe hin zu einer
                                                             logical Change in the American Film Industry. In: Weis/
künstlerischen Inszenierung des Tons. Filme wie Pu-          Belton a.a.O. S. 5-24.
dowkins "Desertir" (1933), aber auch Langs "M"
oder die Tonfilme von Pabst zeigten dann, daß der            Gottscho: Großindustrie und Patentschutz. In: Kinotech-
Tonfilm ein eigenes künstlerisches Ausdrucksregis-           nik v. 5.6.1927, S. 298.
ter erforderte und sich keinesfalls in naturalistischer      Hartmann, Britta: Pudowkins "Desertir" als Beispiel für
Tonwiedergabe erschöpfte, sondern sich vielmehr an           das Konzept der Asynchronität von Bild und Ton im frü-
Montagekonzeptionen anlehnte oder einen besonde-             hen sowjetischen Tonfilm. In: 3. Film- und Fernsehwis-
ren Ton-Realismus ausentwickelte (vgl. Hartmann,             senschaftliches Kolloquium / Marburg 1990. Münster
Carroll).                                                    1991, S. 200-205.

                                                             Hatschek, Paul: "Lichthahn" der neue deutsche Zacken-
                                                             schreiber. In: Filmkurier v. 2.3.1935.
Anmerkung
                                                             Hautsch, Gert: Das Imperium AEG-Telefunken. Frankfurt
[1] Das Meßtersche Biophon, das 1903 im Rahmen eines         a.M. 1979.
Variete-Programms vorgeführt wurde, spielte auf die
Handlung abgestimmte Schallplatten. Vor allem Opern-         Irby, Franklin S.: International Relations in the Sound Pic-
und Operettenaufnahmen wurden eigens im Biophon-Ver-         ture Field. In: Journal of the Society of Motion Picture
fahren eingespielt.                                          Engineers, Vol. XV, Number 6 (December 1930),          S.
                                                             739-748.

Literatur                                                    Jossé, Harald: Die Entstehung des Tonfilms. Beitrag zu
                                                             einer faktenorientierten Mediengeschichtsschreibung.
Bächlin, Peter: Der Film als Ware. Inaugural-Dissertation.   Freiburg/ München 1984.
Basel 1945.
                                                             Kallmann, Alfred: Die Konzernierung in der Filmindus-
Beijerinck, Frits Hendrik: Die Entwicklung der Tonfilm-      trie, erläutert an den Filmindustrien Deutschlands und
industrie. Ein Beitrag zur Weltelektrovertrustung. Inaugu-   Amerikas. Inaugural-Dissertation. Würzburg 1932.
ral-Dissertation. Bern 1933.
                                                             Kammerer, Ernst: 35 Jahre Elektroakustik im Tonfilm. In:
Bratke: Wir beherrschen den Schall. 10 Jahre Ela-Tech-       Frequenz Bd. 15, Oktober 1961.
nik. In: Telefunken-Kamerad, Heft 1/ 1937, S. 2-7.
                                                             Kreimeier, Klaus: Die Ufa-Story. Geschichte eines Film-
Cameron, Evan William (Ed.): Sound and the Cinema.           konzerns. München/ Wien 1992.
The Coming of Sound to American Film. New York 1980.
                                                             Lichte, Hugo und Albert Narath: Physik und Technik des
Carroll, Noel: Lang, Pabst, and Sound. In: Cine-Tracts 2.    Tonfilms. Leipzig 1941.
Jg., H.1, 1978, S. 15-23.
                                                             Lölhöffel, Erich von: Die Front im Tonfilmkampf. In:
Dibbets, Karel: Sprekende films. De komst van de ge-         Filmtechnik v. 21.12.1929, S. 512f.
luidsfilm in Nederland 1928-1933. Amsterdam 1993.
                                                             Mühl-Benninghaus, Wolfgang: Die Einführung des Ton-
Erbring, Lutz (Hg.): Kommunikationsraum Europa. Kon-         films in Deutschland. Zur technischen und ökonomischen
stanz 1995.                                                  Umwälzung der Filmindustrie am Ende der 20er und zu
                                                             Beginn der 30er Jahre unter besonderer Berücksichtigung
Fielding, Raymond: The Technological Antecedents of the      der internationalen Verflechtungen. In: Kommunikations-
Coming of Sound: An Introduction. In: Cameron: a.a.O.        raum Europa a.a.O. S. 344-354.
S. 3-23.
                                                             Narath, Albert: 70 Jahre Deutsche Filmtechnik. In: Kino-
Fischer, F. und Hugo Lichte: Tonfilmaufnahme und -wie-       technik 5/ 1965, S. 106ff.und 6/ 1965, S. 136 ff.
dergabe nach dem Klangfilm-Verfahren. Leipzig 1931.
Prümm, Karl: Der frühe Tonfilm als intermediale Konfi-
guration. In: Jahrbuch zur Literatur der Weimarer Repu-    Webers, Johannes: 100 Jahre Film, 60 Jahre Tonfilm (IV).
blik 1, 1995, S. 278-290.                                  In: Fernseh- und Kino-Technik 11/ 1989, S. 607ff.

Schneider, Alfred: 10 Jahre deutscher Tonfilm. In: Film-   Weiher, Sigfrid von und Herbert Goetzeler: Weg und Wir-
technik v. 16.9.1933, S. 209ff.                            ken der Siemens-Werke im Fortschritt der Elektrotechnik
                                                           1847-1980. Berlin/ München 1981.
Schultz, Robert: Klangfilm auf dem Auslandsmarkt. In:
Filmkurier v. 30.9.1929.                                   Weis, Elizabeth and John Belton (eds.): Film Sound.
                                                           Theory and Practice. New York 1985.
Siemens, Georg (1949): Geschichte des Hauses Siemens.
Bd. 2: Technik als Schicksal 1903-1922. München 1949.      Wohlrab, Hans Christoph: Highlights of the History of
                                                           Sound Recording on Film in Europe. In: SMPTE Journal
Siemens, Georg (1951): Geschichte des Hauses Siemens.      Volume 85, July 1976, S. 531ff.
Bd. 3: Die Dämonie des Staates 1922-1945.
Freiburg/München 1951.                                     Zglinicki, Friedrich von: Der Weg des Films. Berlin 1956.

Strohm, Walter: Die Umstellung der deutschen Filmwirt-     Zielinski, Siegfried: Audiovisionen. Kino und Fernsehen
schaft vom Stummfilm auf den Tonfilm unter dem Ein-        als Zwischenspiele in der Geschichte. Reinbek bei Ham-
fluß des Tonfilmpatentmonopols. Inaugural-Dissertation.    burg 1989.
Freiburg i. Br. 1934.
                                                           BAA = Bundesarchivakte
Triergon: Der sprechende Film. Nach den Erfindungen
von Joseph Massolle, Hans Vogt und Dr. Jo Engl. Berlin
1924.
Sie können auch lesen