Hans Jürgen Wulff / Olaf Schumacher Warner, Fox und die Anfènge des Tonfilms (20er Jahre)
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Hans Jürgen Wulff / Olaf Schumacher Warner, Fox und die Anfènge des Tonfilms (20er Jahre) Eine erste Fassung dieses Artikels erschien in: Medienwissenschaft. Ein internationales Handbuch der Medientechnik, Mediengeschichte, Medienkommunikation und Medienästhetik. / Media: Technology, History, Communication, Aesthe- tics. A Handbook of International Research. 2. Berlin/New York: de Gruyter 2001, S. 1197-1208. Bibliographische Angabe der Online-Fassung: http://www.derwulff.de/6-6. 1. Tonbilder reicht, die das Publikum zufriedenstellte" (Jossé 191). Doch in der Zwischenzeit hatte man durch Die Idee, im Film die Natur nicht nur visuell, son- bahnbrechende Erfindungen die meisten technischen dern audiovisuell nachzuahmen, ist so alt wie die Ki- Probleme der Vorkriegsversuche bewältigen können. nematographie selbst. Von Anbeginn an gab es Be- strebungen, sowohl aufnahme- als auch wiedergabe- Insbesondere in der Verstärkertechnik hatte man technisch eine Einheit von Bild und Ton herzustellen große Fortschritte erzielt. In Deutschland war von (vgl. Fielding 5f). Während die Praxis der musikali- Robert von Lieben bereits im Jahre 1906 eine Ver- schen Untermalung, der Einbeziehung von Ge- stärkerröhre vorgelegt worden. Doch erst nachdem räuschen und Sprache durch Orchester und Erzähler die Rechte an Liebens Patent 1912 von einem Kon- von Kino zu Kino und von Vorstellung zu Vorstel- sortium erworben wurden, dem Siemens & Halske, lung individuell verschieden war, hatte es um die AEG, Telefunken sowie Felten & Guillaume ange- Jahrhundertwende auch Versuche gegeben, Systeme hörten, gelang es, "die Lieben-Röhre zu einem zu lancieren, die aus einer "Kombination des photo- brauchbaren Verstärker-Instrument zu entwickeln" graphischen mit dem phonographischen Apparat" (Siemens 1949, 254). Siemens & Halske stellte be- bestanden (Bächlin 54). Die "primitive Vorwegnah- reits vor dem 1. Weltkrieg Verstärkerröhren her, bis me des im ‚Nadeltonfilm‘ verwirklichten Verfah- schließlich 1914 kurz vor Kriegsausbruch der erste rens" (Mühl-Benninghaus 344) durch Thomas Alva leistungsfähige Tonfrequenzverstärker präsentiert Edison in den USA, Léon Gaumont in Frankreich werden konnte (vgl. Bratke 3). Schließlich entwi- und Oskar Messter in Deutschland, die sogenannte ckelte in den Jahren 1915/16 Walter Schottky bei Bildtonfilme oder Tonbilder herstellten und vorführ- Siemens & Halske die sogenannte Schutznetzröhre, ten, scheiterte jedoch primär an der technischen Un- die "zur Grundlage der vielseitig brauchbaren zulänglichkeit der Apparate. Die zunehmende Schirmgitterröhre sowohl für den Fernsprechweit- Spieldauer der Filme, unzufriedenstellende mechani- verkehr als auch für drahtlose Telefonie und damit sche Synchronvorrichtungen, die Beschallung der für den künftigen Rundfunk" wurde (Weiher/Goetze- immer größer werdenden Kinos durch Trichtergram- ler 69). mophone sowie der Ausbruch des 1. Weltkrieges tru- gen dazu bei, daß sich das Interesse am Bildtonfilm Daneben trat die rüstungsbedingte Entwicklung von erschÜpfte (vgl. Gomery 1985, 6f; Jossé 102ff; Mikrophonen und Lautsprechern für die Übertra- Bächlin 54) [1]. gung von Schallwellen in der Funktechnik, die dann Anfang der zwanziger Jahre zunächst für das entste- hende Medium Rundfunk gefertigt und in den dar- 2. Technische Voraussetzungen auffolgenden Jahren immer weiter verbessert wur- den. Erst nach dem 1. Weltkrieg wurde das Projekt Ton- film wieder ernsthaft aufgegriffen. Verschiedene Er- finder und Erfindergruppen in Deutschland und den 3. Triergon-Verfahren USA wandten ihre gesamte kreative und finanzielle Energie zu einem Zeitpunkt auf, als "grundsätzlich Im Oktober 1918 begann die Triergon-Erfindergrup- der Anlaß" fehlte, "ein neues Medium einzuführen. pe um Hans Vogt, Jo Engl und Joseph Massolle mit Sowohl in Deutschland als auch in den USA hatte der Arbeit, ein Tonfilmverfahren zu entwickeln. Sie man mit dem Stummfilm gute Geschäfte gemacht. stützten sich dabei nicht, wie man hätte erwarten Die Qualität der Darstellung hatte eine Stufe er- können, auf die Erfahrungen, die man bereits mit
den Tonbildern gemacht hatte, sondern auf eine Er- kaufen und agierten von jetzt an lediglich als techni- findung des deutschen Physikers Ernst Ruhmer aus sche Berater der Triergon AG St. Gallen (vgl. Jossé dem Jahre 1901. Er hatte entdeckt, daß es möglich 169, Kreimeier 210f). "Damit war Vogt, Massolle war, Schallwellen photographisch auf Film aufzu- und Engl die Erfindung weitgehend entglitten, sie zeichnen. Ruhmer arbeitete mit der von Hermann waren nur noch jederzeit kündbare Angestellte der Theodor Simon 1897 konstruierten "sprechenden durch ihre Ideen und Arbeiten entstandenen Firma" Bogenlampe" als Lichtsteuergerät. Die dabei entste- (Jossé 169). hende Sprossenschrift zeichnete sich dadurch aus, daß die "Schwärzungsdichte in Abhängigkeit von der Schallamplitude verändert wurde" (Jossé 137). 4. Lee De Forest (Nach diesen auf dem photographischen Prinzip der In den USA verlief die Entwicklung des Tonfilms Tonaufnahme und -wiedergabe beruhenden Erfin- nahezu parallel. Im Januar 1907 wurde Lee De Fo- dungen entwickelte der Franzose Eugène Augustin rest in den USA das Patent auf seine Audion genann- Lauste ein "Sprechfilmverfahren", auf das ihm 1907 te erste elektronische Verstärkerröhre erteilt (vgl. in England ein Patent erteilt wurde (vgl. Jossé 110- Jossé 128, Beijerinck 58). Darauf aufbauend begann 118, Beijerinck 55 f). Doch wie bei den (Nadel-) er 1919 als erster, mit Lichtton zu experimentieren. Tonbildern war auch hier die Schwierigkeit der Ver- Nachdem es ihm im Juli 1921 gelungen war, einen stärkung gegeben, "so dass von einer Ausbeutung ersten Tonfilm nach eigenem Verfahren herzustellen, auf wirtschaftlicher Basis keine Rede sein konnte" kam es im April 1923 zur Uraufführung dreier kurz- (Beijerinck 56). Dem Ungarn Dénes v. Mihàly ge- er Tonfilmszenen nach seinem Phonofilm-Verfahren. lang im Jahre 1916 mithilfe seines Projektophons die "Since the musical accompaniment for each was erste Herstellung und Vorführung eines Tonfilms, bei nonsynchronous, De Forest [...] generated little inte- dem sich Bild und Ton synchron auf einem Film- rest" (Gomery 1985, 8). Auch De Forest blieb letzt- band befanden (vgl. Zielinski 128, Jossé 133).) endlich keine andere Wahl, als seine Firma zu veräu- ßern. Im August 1923 kam ein Vertrag zwischen Vogt, Engl und Massolle machten es sich zur Aufga- ihm, Theodore Case und Earl Sponable zustande. be, sämtliche Komponenten für ein Lichttonverfah- Doch die technisch treibenden Kräfte waren von nun ren inclusive der dazu benötigten Verstärker, Laut- an Case und Sponable. "Es ist daher irreführend und sprecher und Mikrophone selbst zu entwickeln. Sie unzutreffend, wenn De Forest auch und gerade in konstruierten als Aufnahmeorgan ein neuartiges Mi- neuesten Werken eine zentrale Rolle in der techni- krophon, das sogenannte Kathodophon, eine speziel- schen Entwicklung zugeschrieben wird" (Jossé 173). le schallempfindliche Glimmlampe, die sie Ultrafre- quenzlampe nannten, eine geeignete photoelektri- sche Zelle als Licht-Strom-Umwandler für die Wie- 5. Vitaphone-Verfahren (Western Electric) dergabe, sowie einen neuartigen trichterlosen Laut- sprecher, das Statophon. Darüber hinaus entwickel- Während in Deutschland Nadeltonverfahren nach ten und fabrizierten die Erfinder Verstärkerröhren, dem 1. Weltkrieg nur noch eine untergeordnete Rolle deren Herstellung später an Siemens & Halske abge- spielten, begann die Western Electric Co. (WE) zu- geben wurde (vgl. Triergon 5 ff, Zglinicki 620 f, sammen mit ihrer Stammfirma American Telephone Beijerinck 59 ff). & Telegraph Co. (AT & T) Anfang der zwanziger Jahre ein Verfahren zu entwickeln. WE hatte 1912 Am 17. September 1922 kam es im Berliner Licht- die Rechte für De Forests Audion erworben, zu- spieltheater "Alhambra" zur ersten deutschsprachi- nächst um Verstärker für Telefon-Übertragungen zu gen Lichttonfilm-Vorführung nach dem Triergon- bauen. "Western Electric [...] needed a better method Verfahren. Die Premiere, an der rund 1000 Personen to test sound quality, [...] concentrating on impro- teilnahmen, war ein voller Erfolg (vgl. Jossé 158 ff). ving the disc method" (Gomery 1985, 8). 1922 lagen Doch weder Filmgesellschaften noch andere Geldge- Mikrophone, Verstärkerröhren und Lautsprecher für ber zeigten Interesse an dem neuen Medium. Die Er- Rundfunkzwecke vor, doch man erkannte, "that finder sahen sich schließlich gezwungen, ihre Erfin- more lucrative markets existed in ‚improved‘ phono- dung mitsamt Gerätschaften und Patentbesitz im graphs and sound movies" (Gomery 1985, 9). Juni 1923 an eine Schweizer Finanzgruppe zu ver-
Neben den Erfolgen in der Verstärkertechnik hatte man Massolle übertragen. Doch als "Das Mädchen man Fortschritte bei der Schallplattenaufnahme und mit den Schwefelhölzern" unter der künstlerischen -wiedergabe zu verzeichnen. Die Synchronizität Ägide von Guido Bagier am 20. Dezember zur Ur- wurde jetzt nicht mehr durch mechanische, sondern aufführung kam, konnte er "akustisch nicht im ent- elektromagnetische Kopplungsvorrichtungen er- ferntesten mit den von den Erfindern selbst vorher reicht (vgl. Jossé 129). Eine erste öffentliche Vorfüh- gezeigten Filmen verglichen werden" (Schneider rung des Vitaphone-Verfahrens konnte mit Erfolg im 210). Trotz des Mißerfolgs lief der Film noch einige Oktober 1922 stattfinden (vgl. Jossé 182). Ende Tage im Theater am Nollendorfplatz (vgl. Jossé 1924 waren die Entwicklungsarbeiten zu ihrem vor- 208). Danach begann die Ufa ihre Aktivitäten auf läufigen Abschluß gekommen. Man entschied sich, dem Tonfilmgebiet zu drosseln, in erster Linie auf- für die Auswertung des Verfahrens eine eigene Fir- grund der finanziellen Situation des Filmkonzerns ma zu gründen. Die Bell Telephone Laboratories be- (vgl. Jossé 233). Es gab jedoch "keine Kündigung gannen am 1. Januar 1925 mit ihrer Arbeit (vgl. des Lizenzvertrages, es gab 1926 kein Desinteresse Jossé 188, 209). Doch es gelang auch ihnen zunächst seitens der Ufa, das Projekt ‚Tonfilm‘ wurde nicht nicht, Filmkreise für das neue Tonfilmverfahren zu fallengelassen und die Ufa verzichtete nicht aus frei- interessieren (vgl. Jossé 209ff). en Stücken auf die Nutzung des Triergon-Systems" (Jossé 232). Erst nach der Übernahme der Ufa durch den Hugenberg-Konzern am 5. März 1927 wurde die 6. Photophone-Verfahren (General Electric) Triergon-Abteilung aufgelöst und "erst jetzt - und zu keinem früheren Zeitpunkt - ‚desinteressierte‘ sich Die General Electric Co. begann in Zusammenarbeit die Ufa am Tonfilm" (Jossé 236). mit ihrem Tochterunternehmen RCA etwa 1920, ein eigenes Tonfilmverfahren auf Lichttonbasis zu ent- wickeln. Charles A. Hoxie hatte bereits während des 8. Vitaphone Corporation (Warner Brothers) 1. Weltkrieges ein Gerät zur photographischen Auf- nahme von Funksignalen auf Film hergestellt (vgl. 1925 begannen die "noch nicht zu den wichtigen Gomery 1985, 19; Jossé 137). Nach dem Krieg setz- Filmkonzernen" (Jossé 213) zählenden Warner Brot- te Hoxie seine Arbeiten fort. Die Apparatur war zu- hers sich um den Tonfilm zu bemühen. Die in der äl- nächst als "marketable substitute for the phono- teren Filmgeschichtsschreibung vertretene Auffas- graph" gedacht. Doch schon wenig später traf man sung, die Brüder seien kurz vor dem Konkurs ge- Überlegungen für die Verwendung des Pallo-Photo- standen (vgl. z.B. Zglinicki 613; Beijerinck 66) und phone in einem zu entwickelnden Tonfilmverfahren. hätten sich nur deshalb dem Tonfilm zugewandt, ist mittlerweile revidiert worden: Im November 1923 kam zu einer ersten Demonstra- tion des Verfahrens, aber "De Forest‘s failure to in- "Es handelte sich bei der Firma keineswegs um novate sound motion pictures proved no market einen ruinösen Konzern [...], sondern um das genaue existed for Hoxie‘s invention" (Gomery 1985, 19). Gegenteil eines schon fast aggresiv expandierenden Erst nach dem Erfolg der Warner Brothers im Jahre Unternehmens, das zur Finanzierung seiner vielfälti- 1926 entschloß man sich, am Photophone-Verfahren gen Investitionen eine gewollte, exakt kalkulierte weiterzuarbeiten. kurzfristige Verschuldung in Kauf nahm" (Jossé 216). 7. Ufa-Triergon-Sprechfilmabteilung Am 20. April 1926 erwarb die von den Warners frisch gegründete Vitaphone Corporation offiziell In Deutschland wurde die Ufa angesichts der erfolg- das Alleinrecht zur Nutzung des von Western Elec- reichen Tourneen durch die Schweiz, die vom jetzi- tric patentierten Verfahrens (vgl. Jossé 217). Bereits gen Besitzer der Triergon AG, Dr. Curti, angeregt am 6. August des Jahres fand die Premiere des Spiel- worden waren, auf das Verfahren der drei Erfinder films "Don Juan" statt. "The musical accompaniment aufmerksam. Am 30. Januar 1925 kam es zwischen (sound-on-disc) caused no great stir because it ‚sim- beiden Firmen zum Abschluß eines Lizenzvertrags. ply replaced‘ an absent live orchestra" (Gomery Am 1. Juli begann die Ufa-Triergon-Sprechfilmab- 1985, 13). Dennoch wurden diese und weitere Auf- teilung ihre Arbeit. Die technische Leitung hatte führungen ein großer Erfolg (vgl. Jossé 221ff).
schau lief am 30. April 1927 an und konnte bereits Der Vertrag zwischen Western Electric und den War- drei Wochen später mit Aufnahmen des Lindbergh- ner Brothers währte hingegen nicht lange. John E. Fluges einen Sensationserfolg verbuchen (vgl. Jossé Otterson, der von Western für die Betreuung aller 228ff, 242f). "non-telephone inventions" eingesetzt worden war, wollte mit den Filmproduktionsfirmen direkt verhan- deln. Er organisierte eine Kampagne, die die Appa- 10. RKO (General Electric) rate-Preise derart in die Höhe trieb, daß die Ge- schäftsbeziehungen zwischen beiden Firmen zum Im Mai 1928 entschieden sich die führenden Film- Erliegen kamen. Gleichzeitig gründete er die Electri- produktionsfirmen aufgrund ihres Big Five Agree- cal Research Products Inc. (ERPI). Im April 1927 ment (vgl. Gomery 1985, 13) für das Vitaphone-Sys- zahlte ERPI den Warners eine Ablösesumme und tem, der Vorsprung von Western Electric schien schloß mit ihnen das New License Agreement. "Vi- kaum mehr einzuholen zu sein. General Electric ge- taphone [...] became merely a licensee of ERPI. lang es dennoch, sich als letztes Unternehmen im Warner Bros. had given up the exlusive franchise to Tonfilmgeschäft zu etablieren. Im Oktober 1928 exploit ERPI sound equipment" (Gomery 1985, 14). kam es zur Gründung der Dachgesellschaft Radio- Keith-Orpheum (RKO). Sie umfaßte eine Lichtspiel- Mit "Don Juan" begann in den USA die Innovations- theaterkette, eine Radiostation (NBC) sowie Film- phase des Tonfilms. Bereits Ende 1926 waren etwa produktion (Radio Pictures). Die ersten RKO-Tonfil- 100 Lichtspieltheater mit Vitaphone-Anlagen ausge- me liefen im Frühjahr 1929 an. Ein Jahr später hatte stattet. Ausschlaggebend waren vor allem ökonomi- sich das Verfahren gleichberechtigt durchgesetzt sche Erwägungen: es war nun möglich, die populä- (vgl. Gomery 1985, 21f). ren Vaudeville-Stars überall dort zu "erleben", wo sich Kinos für die Installierung eines Tonfilm-Equip- ments entschlossen hatten. "These performers would 11. Siemens & Halske-Verfahren have charged more than any single theater owner could have afforded, if presented live" (Gomery Anders als die Triergon-Erfindergemeinschaft, die 1985, 13). Den großen Durchbruch, der die gesamte bereits Anfang der zwanziger Jahre elektroakusti- Filmindustrie revolutionierte, erzielten die Warner sche Geräte für ihr Tonfilmverfahren konstruierte, Brothers schließlich mit dem am 6. Oktober 1927 begann Siemens & Halske mit der Entwicklung von uraufgeführten "part-talkie" "The Jazz Singer" mit Lautsprechern, Mikrophonen und Verstärkern zu- Al Jolson in der Hauptrolle (vgl. Jossé 239 ff). nächst für die aufkommende Schallplatten- und Rundfunkindustrie. Der erste Verstärker, der unter der Leitung von Georg Gruschke zu dieser Zeit ent- 9. Movietone-Verfahren (Fox-Case-Corporation) stand, konnte als Endstufe für Rundfunkempfänger, Plattenspieler oder Mikrophone verwendet werden Auch Case und Sponable waren unterdessen nicht (vgl. Siemens 1951, 98). Daneben entstanden leis- untätig geblieben. Im September 1925 hatten sie sich tungsfähige Mikrophone und elektrodynamische von De Forest getrennt. Ihr System hatten sie soweit Großlautsprecher wie z.B. der Bandlautsprecher, der entwickelt, daß dessen Einführung nichts mehr im Blatthaller und der Riffellautsprecher. Wege stand (vgl. Jossé 173, 227). Im Mai 1926 be- gann der Filmindustrielle William Fox sich für die Ab 1926 begann man bei den großen deutschen Arbeiten der beiden Forscher zu interessieren, um Elektrokonzernen, unter Vermeidung der Triergon- der Vitaphone Corporation Konkurrenz zu machen. Patente eigene Lichttonverfahren zu entwickeln, Die eigens hierfür gegründete Fox-Case-Corporation "nachdem die ersten Schallplattenfilme in Amerika zeigte im Januar 1927 den ersten im Movietone-Ver- einen ungeheuren Erfolg hatten" (Narath 108). Dar- fahren hergestellten Spielfilm. Fox-Direktor Court- über hinaus hatte die Elektroindustrie die finanziel- land Smith mußte jedoch einsehen, daß gegen die len Mittel, um großangelegte Forschungsarbeiten Überlegenheit der Warner Brothers auf dem Spiel- auch in verwandten Arbeitsgebieten durchzuführen. filmsektor nicht mehr anzukommen war. So verlegte Die technische Durchführbarkeit eines synchronen man sich auf ein Anwendungsgebiet, das die War- Tonfilmverfahrens muß bei Siemens & Halske be- ners noch nicht besetzt hielten: die Fox-Tonwochen- reits bekannt gewesen sein, hatte man doch schon
vor Jahren Verstärkerröhren für Triergon gefertigt boratorium der AEG (Grüntaler Straße), ebenfalls (vgl. Beijerinck 59). Um sich einen Marktvorteil zu auf Karolus‘ Anregung hin, die drei jungen Inge- verschaffen, ging man bei den Konzernen folgender- nieure Dr. Albert Narath, Dr. Horst Tischner und maßen vor: F.W. Dustmann mit der Entwicklung eines Lichtton- verfahrens auf der Grundlage der Kerrzelle. Dort "Die meisten Patente werden nicht etwa angemeldet, und ab 1. April 1928 im Forschungsinstitut der AEG weil eine Fabrikation an Hand der Erfindung alsbald in Berlin-Reinickendorf entstand unter der Leitung beabsichtigt ist, [...] sondern vor allem, um sich eine von Dr. Hugo Lichte eine Versuchsapparatur, "mit weitgehende Freiheit in der Ausnutzung aller Mög- der Erfolg versprechende Probeaufnahmen erzielt lichkeiten einschließlich der Möglichkeit, die Kon- wurden." Damit war "die technische Brauchbarkeit kurrenz zu behindern, unter allen Umständen zu si- dieses Verfahrens" bewiesen (Hehlgans 11; vgl. chern" (Gottscho 298; vgl. Gomery 1985, 9). Wohlrab 532f). Der Tonfilm wurde zum "Schrittmacher" der Elek- troakustik (Kammerer 8), weil er höhere Anforde- 13. Gründung der Tobis rungen an das Zusammenwirken von "Musik und Sprache, Gesang und Geräusche[n]" stellte (ebd. 6). Durch die immensen Tonfilm-Erfolge jenseits des Auf Anregung Fritz Lüschens begann man im Zen- Atlantiks wurde den Vertretern der deutschen Ton- trallaboratorium und der 1926 gegründeten Elektro- filmverfahren bewußt, "der amerikanischen Interes- akustischen Abteilung des Wernerwerks für Fern- sengruppe nur durch Zusammenfassung aller Kräfte meldetechnik in Berlin-Siemensstadt unter der Lei- wirksam" entgegentreten zu können (Bächlin 60). tung von Erwin Gerlach und Dr. F. Fischer ein Ver- Außerdem sollte etwaigen Streitigkeiten der deut- fahren zu entwickeln. Die Apparatur arbeitete nach schen Patenthalter untereinander Einhalt geboten dem Amplitudenverfahren mit einem Spiegelgalva- werden. nometer als Aufzeichnungsorgan, das auf eine Erfin- dung Arthur Korns aus dem Jahre 1903 zurückging. Am 18. Juli 1928 rief Generalkonsul Heinrich Unabhängig von Ruhmer hatte auch er eine Methode Brückmann, Hauptaktionär der Deutschen Tonfilm gefunden, Schallwellen kraft eines Oszillographen AG, im Berliner Hotel "Kaiserhof" zur Gründung ei- photographisch auf Film aufzuzeichnen. Ergebnis nes Tonbild-Syndikates auf. Der Einladung Folge war eine Zackenschrift, bei der "die Schwärzungs- geleistet hatten Vertreter aller bekannten deutschen dichte konstant" blieb, aber " entsprechend der Tonfilmverfahren, der Film- sowie der Elektroindus- Schallamplitude in der Breite" wechselte (Jossé trie. Dennoch gelang es Brückmann nicht, alle Betei- 137). ligten von seinem Konzept zu überzeugen, so daß am 30. August schließlich nur das Triergon-Verfah- ren, das Petersen-Poulsen-Verfahren, das Küchen- 12. AEG-Verfahren meister-Verfahren und ein neues Synchronisierungs- verfahren von Oskar Messter in die Tonbildsyndikat Auch die AEG begann 1927, sich mit dem Tonfilm AG, kurz Tobis, eingebracht werden konnten. zu befassen. Ausgangspunkt bildeten die Arbeiten des Leipziger Professors August Karolus über die Die Ufa, Siemens & Halske und AEG hatten sich Kerrzelle. Karolus, der im Oktober 1924 "regelrecht nicht an der Gründung beteiligt, in erster Linie weil von Telefunken eingekauft" worden war (Zielinski die letztgenannten nicht willens waren, ihren Patent- 135), benutzte die Kerrzelle zunächst in den Ver- besitz der neuen Gruppe zu überlassen. Die beiden wendungszusammenhängen Fernsehen und Bildtele- Elektrokonzerne hatten schließlich eigene Tonfilm- graphie, schlug dieses Strom-Licht-Wandlungsorgan verfahren entwickelt und waren überzeugt, von den dann aber auch für den Tonfilm vor. anderen Systemen "technisch völlig unabhängig zu sein" (Siemens 1951, 110). Insbesondere die Sie- Karolus bestimmte seinen langjährigen Mitarbeiter mens-Verstärkerpatente gewährleisteten eine überaus Hans Christoph Wohlrab mit einer Dissertation über starke Position gegenüber den anderen Verfahren. "Ein Verfahren zur photographischen Aufzeichnung elektrischer und akustischer Vorgänge" mittels der Kerrzelle. Parallel dazu begannen im Forschungsla-
14. Gründung der Klangfilm GmbH Damit war über Nacht ein gesamteuropäisches Ton- filmkartell entstanden, denn die ausländische Film- Was Brückmann eigentlich hatte vermeiden wollen: produktion und -organisation wurde einem Firmen- AEG und Siemens & Halske entschlossen sich zur konsortium übertragen, das aus N.V. Küchenmeisters gemeinsamen Gründung eines Konkurrenzunterneh- Int. Mij. voor Sprekende Films sowie der Heinrich J. mens, um die Tonfilminteressen der beiden Konzer- Küchenmeister Kommanditgesellschaft bestand und ne zu vertreten. Die Klangfilm GmbH wurde am 8. das die Auslandsrechte für das Tobis-Verfahren be- Oktober 1928 ins Handelsregister eingetragen. Die saß. Im Verlauf der nächsten Monate wurden die in- beiden Elektroriesen waren daran zu je 45% betei- ternationalen Verflechtungen weiter ausgebaut, so ligt, 10% des Gesellschaftskapitals über 3 Millionen daß nur ein Jahr später ein ganzes Netz von Firmen Reichsmark wurde von der Schallplattenfirma Poly- in verschiedenen Ländern Europas die Rechte der phonwerke AG eingebracht. Bei der Wahl des Sys- Tobis-Klangfilm-Gruppe wahrnahm, darunter Ligno- tems entschied man sich für das Kerrzellen-Verfah- se Hörfilm, British Phototone, French Phototone, ren der AEG. Die von Siemens & Halske entwickel- Klangfilm Ltd. (Great Britain), British Talking Pic- te Anordnung wurde erst 1935 wieder aufgegriffen, tures, Asfi, S.A. Films Sonori in Rom, die Compa- als Klangfilm die Eurocord-Apparatur auf den Markt gnie Française Tobis und die Société des Films So- brachte und mit dem sogenannten Lichthahn "an alte nores Tobis in Paris-Âpinay. Die Verbindungen Traditionen anknüpt[e]" (Hatschek). Noch Anfang reichten über den englischen Schlesinger-Konzern der siebziger Jahre befand sich Eurocord im Ver- bis hin zu General Talking Pictures in den USA (vgl. triebsprogramm der Siemens AG. Irby 745f; Beijerinck 90ff). Darüber hinaus hatte das zwischen AEG und General Electric im Jahre 1922 geschlossene Abkommen, das den beiderseitigen Pa- 15. Tobis-Klangfilm-Vertrag tentaustausch zum Inhalt hatte, beim Abschluß des Tobis-Klangfilm-Vertrags ein "sehr wesentliches in- Es sollte nicht lange dauern, bis die beiden deut- direktes Aktivum fuer die Tobis-Gruppe" dargestellt schen Tonfilmblöcke aneinandergerieten. Am 8. Fe- (BAA R 109 I/ 996). Diese Bindung wurde weiter bruar 1929 kam es zur ersten Üffentlichen Auffüh- vertieft, als General Electric 1929 25% des AEG- rung eines Tonfilm-Programms der Klangfilm Aktienkapitals übernahm (vgl. Gomery 1980, 86; GmbH, die von Tobis mit einer einstweiligen Verfü- Hautsch 34; Kallmann 45). gung vereitelt wurde. (Klangfilm wäre letztendlich wahrscheinlich gezwungen gewesen, ihr gesamtes Verfahren auf die getrennte Wiedergabe von Ton und 16. Ufa-Klangfilm-Vertrag Bild umzustellen. Andererseits wäre es für die Tobis schwierig geworden, die Verstärkerpatente Klang- Die Ufa hatte bis zum Frühjahr 1929 ihre abwarten- films auf Dauer zu umgehen). Die beiden Firmen er- de und beobachtende Stellung beibehalten. Bereits kannten, daß es effektiver war, eine Einigung herbei- vor Abschluß des Tobis-Klangfilm-Vertrages hatte zuführen, was schließlich am 13. März mit der Un- sie zwar Klangfilm-Aufnahmeapparaturen käuflich terzeichnung des Tobis-Klangfilm-Interessenge- erworben. Dennoch bestand die Gefahr, den größten meinschafts-Vertrags geschah. In den Vereinbarun- deutschen Filmkonzern an amerikanische Interessen- gen wurden in erster Linie die künftigen Betäti- gruppen zu verlieren. Da die Zeit drängte, wurden gungsbereiche abgegrenzt: Klangfilm war von nun die Verhandlungen ohne Hinzuziehung der Tobis- an für die Herstellung der Aufnahme- und Wiederga- Entscheidungsträger geführt. Ludwig Klitzsch be- beapparaturen sowie den Vertrieb der Wiedergabeap- fand sich in der günstigen Lage, "das Vorgehen der paraturen zuständig, während Tobis die Filmproduk- Warner-Gruppe und das drohende Eindringen der tion, das Lizenzgeschäft und der Vertrieb der Auf- Amerikaner" zum Vorteil der Ufa auszubauen, u.a. nahmeapparaturen zufiel. Aufgrund einer Ausnah- konnte er den Verzicht auf Lizenzen für die Vorfüh- meregelung war der Tobis allerdings die Verwen- rung ausländischer Filme in Ufa-Theatern durchset- dung von eigenen Triergon-Aufnahmeapparaturen zen und sich auch sonst "überall Meistbegünstigung" gestattet. Trotz eines zwischen den beiden Firmen sichern. Der Vertrag vom 8. April 1929 rief bei der 1935 abgeschlossenen Verschrottungsabkommens Tobis Empörung hervor. Die Klangfilm-Delegierten, wurden diese bis 1945 in den Studios der Tobis be- Lüschen und Birnholz, rechtfertigten die besonderen nutzt (vgl. BAA RH 23.01/ 7030; Webers 609). Zugeständnisse an die Ufa als "Kriegskosten", die
man eben nicht habe vermeiden können. Tobis-Vor- es Tobis-Klangfilm am 22. Juli endlich gelang, vor standsmitglied Auerbach bezeichnete den Vertrag als dem Berliner Kammergericht ein Aufführungsverbot "Dolchstoß des Herrn Klitzsch", die Ufa als "halba- für Vitaphone-Filme auf Western-Apparaturen zu er- merikanische Firma" habe "die deutsche Filmindus- zwingen. Western Electric mußte sich geschlagen trie ruiniert", eine im Eifer des Gefechts sicherlich geben und verlegte daraufhin ihre deutsche Vertre- etwas kurzsichtige Betrachtungsweise. Sicherlich tung ins Ausland (vgl. v. Lölhöffel 512). Die ameri- war der Vertrag eine Verletzung des Tobis-Klang- kanische Gruppe reagierte mit der Boykottierung des film-Abkommens und warf erste Schatten auf die deutschen Marktes, indem sie den Verleih amerika- Geschäftsbeziehungen zwischen beiden Firmen. nischer Filme unterband. Doch Klangfilm hatte es immerhin geschafft, das "Rückgrat" der deutschen Filmindustrie für den eu- Fortgesetzt wurde der Patentkrieg außerhalb ropäischen Tonfilmblock zu gewinnen. Klitzschs Deutschlands. Besonders in England, wo die "Be- Entscheidung für Klangfilm lag nicht ausschließlich reitwilligkeit zur Ausrüstung der Kinos mit Tonfilm- "im Interesse der deutschen Industrie" (Kreimeier apparaturen am weitesten vorgerückt" war, "bot sich 214), wurde nicht nur aus "nationalen Gründen" ge- eine gute Gelegenheit, die Konkurrenzfähigkeit der troffen, wie bisher in der Filmgeschichtsschreibung deutschen Tonfilmapparate-Industrie auf dem Welt- wiederholt behauptet wurde. Die Ufa hatte es viel- markte zu zeigen" (Beijerinck 91f). Im "Filmkurier" mehr verstanden, die beiden konkurrierenden Inter- deutete Klangfilm-Mitarbeiter Robert Schultz vage essengruppen gegeneinander auszuspielen, als drin- die Praktiken an, die die Amerikaner anwendeten, gender Handlungsbedarf bestand. (BAA R 109 I/ um ihre Kontrahenten zu behindern: 249) "Selbstverständlich fanden die Klangfilm-Ingenieure Unverzüglich begann Klangfilm damit, alle 99 Ufa- überall, wo sie erschienen, starke Widerstände vor, Kinos in 41 Städten, meist Erstaufführungstheater, d.h. die bereits anwesenden Vertreter der [...] Wes- mit Wiedergabeapparaturen auszustatten. Daneben tern versuchten alles mögliche, um die Klangfilmar- begann die Ufa auf ihrem Babelsberger Filmgelände beit zu erschweren. Daß sie sich als zuerst am Platze mit dem Bau eines modernen Tonfilmstudios, das in Erschienenen die besten Bauplätze und die am bes- seiner architektonischen Form vÜllig neuartig war ten geeignetesten Ateliers heraussuchten, wie z.B. und als "Tonkreuz" in die Filmgeschichte einging. bei Pathé, ist zu erklären, aber man spricht in den Die gesamte elektrische Ausstattung sowie die In- nahestehenden Kreisen doch noch von ganz anderen stallation der Aufnahmeapparaturen erfolgte durch Mitteln, die deutsche Konkurrenz auszuschalten." Siemens & Halske und Klangfilm. Im restlichen Europa hingegen konnte die Tobis- Klangfilm-Gruppe Erfolge auf breiter Basis verbu- 17. Auseinandersetzungen mit Western Electric chen. Sie gewann von Western Electric angestrengte Patentverletzungsklagen in der Tschechoslowakei, Die USA waren an Europa als Absatzmarkt bren- Holland, Ungarn, Schweiz und Österreich (vgl. Go- nend interessiert, um die hohen Amortisierungskos- mery 1976, 56; Mühl-Benninghaus 347). ten für ihre Tonfilmproduktionen einspielen zu kön- nen. Im Frühjahr 1929 begannen Western Electric und Warner Brothers sich den zeitlichen Vorteil zu- 18. Paris Agreement nutze zu machen, den sie in der Apparate- und Film- produktion aufgrund der weit vorgelagerten Tonfilm- Seit Juni 1929 versuchten Vertreter beider Patentblö- entwicklung in den USA besaßen. So begannen die cke, sich auf dem Verhandlungswege näherzukom- Warners im Mai 1929 eine Vitaphone-Wiedergabe- men. In erster Linie wollte man die Aufteilung des apparatur im von der Ufa gemieteten Berliner Glo- Weltmarktes in Patentzonen und die ‚interchangeabi- ria-Palast einzubauen. Für die deutsche Urauffüh- lity‘ durchsetzen. Dieser Begriff faßte die internatio- rung des Al Jolson-Films "The Singing Fool" war nalen Bemühungen zusammen, Filmformate und der 31. Mai vorgesehen. Trotz einer einstweiligen Apparaturen so zu vereinheitlichen, daß weltweit die Verfügung durch Siemens & Halske und Telefunken Vorführung aller Tonfilme auf allen Wiedergabege- fand die Premiere am 3. Juni statt. Über sieben Wo- räten möglich ist. Doch die Gespräche führten zu- chen konnte der Film ungestört gezeigt werden, bis nächst zu keinen nennbaren Ergebnissen. ERPI-Chef
Ottersons Forderung des Alleinrechts über alle eng- Doch generell gesehen war das Agreement ein Kom- lischsprachigen Länder war für Tobis-Klangfilm un- promiß. Denn die USA hatten "sich Sowjetrußland akzeptabel, und die Klangfilm-Quotenregelung, ein als einen besonders ausbaufähigen Markt gesichert Lizenzschema zur Abrechnung der auf Klangfilm- [...], während in den elektrotechnischen Interessen- Gerät gespielten US-Filme, stieß wiederum bei Ot- gemeinschaften der Vorkriegszeit Rußland immer terson auf Ablehnung (vgl. Jossé 274). das ausschließliche Geschäftsgebiet der deutschen Vertragspartner gewesen war!" (BAA 61 Re 1). Au- Aufgrund des New License Agreements hatten die ßerdem zeigte sich (dem "Vorwärts" zufolge) die Warner Brothers "little incentive to cooperate with "Überlegenheit des amerikanischen Partners" da- Western Electric" (Gomery 1980, 86). Im September durch, daß es den US-Gruppen gelungen war, sich 1929 führten sie erste Verhandlungen mit Tobis- ein großes einheitliches Sprachgebiet (USA, Kana- Klangfilm. Im April 1930 erwarben die Warners da, Indien, Australien) zu sichern (Vorwärts Nr. 341 einen 20-prozentigen Anteil an N.V. Küchenmeisters vom 24.7.1930). Int. Mij. voor Sprekende Films. Aufgrund dieser Verträge konnten sie nun wieder damit beginnen, Wie bereits angedeutet, hatte man aber nur einen amerikanische Filme an europäische Kinos zu ver- "Vorvertrag" unterzeichnet (vgl. Mühl-Benninghaus leihen (vgl. Mühl-Benninghaus 348; Gomery 1980, 349, Beijerinck 131f; Irby 747). "The Hollywood 85f; Jossé 275f). Der Boykott war durchbrochen. monopolists never formally ratified the ‚Paris Agree- ment‘" (Gomery 1980, 86), in erster Linie, weil kur- Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Haltung der füh- ze Zeit später von deutscher Seite aus eine straffere renden US-Filmkonzerne Western Electric gegen- Quotenregelung eingeführt wurde. In einem Brief über entscheidend geändert. Rückläufige Exportzah- der Tobis an RCA vom 31.12.1931 hieß es: "Abrech- len, die sich durch den Fortfall des europäischen nungen erfolgen nur unvollkommen, zum Teil gar Marktes langsam bemerkbar machten, bewirkte un- nicht, mit dem Hinweis darauf, dass die endgültige ter ihnen eine allmählich sich abzeichnende Opposi- Formulierung der Verträge noch nicht vorliegt" tionshaltung gegen Otterson. Denn durch den Boy- (BAA R 109 I/990). Im Februar 1932 wurde in Paris kott verloren sie "die letzte Chance, die sie noch hat- wieder eine Konferenz einberufen, ohne Erfolg. Der ten: das Tonfilmgeschäft mit ihren fremdsprachigen Vorstandsvorsitzende der Klangfilm, Emil Mayer, Filmen auszunutzen, ehe die deutsche Produktion schrieb am 2. Januar 1933: "Ich bin mir nicht dar- den Markt voll befriedigen" konnte (v. Lölhöffel über klar, welches Ziel die Amerikaner verfolgen, in- 512). dem sie zum x-ten Mal eine europäische Konferenz vorschlagen. Die Erfahrung lehrt, daß man dabei Unter dem Druck der amerikanischen Filmindustrie nicht weiter kommt" (BAA R 109 I/980). Erst nach sah sich Otterson gezwungen zu agieren. Am 19. sechs Jahren gelang es den Parteien, zu einer zufrie- Juni 1930 begannen in Paris die Verhandlungen, an denstellenden Einigung zu gelangen. Das endgültige denen neben Otterson und Lüschen u.a. C.J. Ross Paris Agreement wurde am 18. März 1936 unter- von RCA Photophone Inc., J.C. Graham von der Pa- zeichnet (vgl. Gomery 1980, 87f; BAA R 109 I/996). ramount, Emil Mayer von AEG, Tobis-Aufsichts- ratsmitglied Milton Diamond, Küchenmeister und Klangfilm-Direktor Kirn teilnahmen. Erst nach ei- 19. Ästhetische Aspekte nem Monat konnte eine Einigung herbeigeführt wer- den. Am 22. Juli wurde das (vorläufige) Paris Agree- Für die Entwicklung der ästhetischen Ausdrucksmit- ment unterzeichnet. Im wesentlichen hatte man die tel des Films bedeutete der Tonfilm einen sehr ‚interchangeability,‘ den gegenseitigen Patentaus- grundlegenden Einschnitt (Carroll, Prümm). Aus- tausch sowie die Aufteilung des Weltmarktes in drei gangs der 20er Jahre war die Montage zu jenem Patentzonen vereinbart. Schlüsselkonzept geworden, das in Filmtheorie und -praxis zentrale Stellung innehatte und auf die ande- In der Filmgeschichtsschreibung wurde das Paris ren Künste einwirkte. Mit dem Tonfilm drohten die Agreement wiederholt als großer Sieg des europäi- Erfindungen der Montagekunst, die Dynamisierung schen Tonfilmblocks gefeiert. Zweifellos hatte To- von Raum und Kamera usw. wieder verloren zu ge- bis-Klangfilm ein Hauptziel erreicht, die Sicherung hen - weil die ersten all-talkies aus den USA eine des europäischen Festlandes als Exclusivgebiet. Rückentwicklung zu den statischen Formen des
"canned theatre" der Frühzeit andeuteten, die auf ei- Gomery, Douglas (1976): Tri-Ergon, Tobis-Klangfilm and ner theaterhaften kinematographischen Illusion be- the Coming of Sound. In: Cinema Journal 16,1/ 1976, S. 51-61. ruhte, nicht aber auf den Bild- und Gedankenbewe- gungen der Montage (Hartmann 200). Das Tonfilm- Gomery, Douglas (1980): Economic Struggle and Holly- Manifest von Eisenstein, Pudowkin und Alexandrow wood Imperialism: Europe Converts to Sound. In: Yale (1928) postulierte schon sehr früh eine Verwendung French Studies 60, 1980, S. 80-93. des Tons im Rahmen der Montage, eine radikale Ab- Gomery, Douglas (1985): The Coming of Sound: Techno- setzung von der puren Tonwiedergabe hin zu einer logical Change in the American Film Industry. In: Weis/ künstlerischen Inszenierung des Tons. Filme wie Pu- Belton a.a.O. S. 5-24. dowkins "Desertir" (1933), aber auch Langs "M" oder die Tonfilme von Pabst zeigten dann, daß der Gottscho: Großindustrie und Patentschutz. In: Kinotech- Tonfilm ein eigenes künstlerisches Ausdrucksregis- nik v. 5.6.1927, S. 298. ter erforderte und sich keinesfalls in naturalistischer Hartmann, Britta: Pudowkins "Desertir" als Beispiel für Tonwiedergabe erschöpfte, sondern sich vielmehr an das Konzept der Asynchronität von Bild und Ton im frü- Montagekonzeptionen anlehnte oder einen besonde- hen sowjetischen Tonfilm. In: 3. Film- und Fernsehwis- ren Ton-Realismus ausentwickelte (vgl. Hartmann, senschaftliches Kolloquium / Marburg 1990. Münster Carroll). 1991, S. 200-205. Hatschek, Paul: "Lichthahn" der neue deutsche Zacken- schreiber. In: Filmkurier v. 2.3.1935. Anmerkung Hautsch, Gert: Das Imperium AEG-Telefunken. Frankfurt [1] Das Meßtersche Biophon, das 1903 im Rahmen eines a.M. 1979. Variete-Programms vorgeführt wurde, spielte auf die Handlung abgestimmte Schallplatten. Vor allem Opern- Irby, Franklin S.: International Relations in the Sound Pic- und Operettenaufnahmen wurden eigens im Biophon-Ver- ture Field. In: Journal of the Society of Motion Picture fahren eingespielt. Engineers, Vol. XV, Number 6 (December 1930), S. 739-748. Literatur Jossé, Harald: Die Entstehung des Tonfilms. Beitrag zu einer faktenorientierten Mediengeschichtsschreibung. Bächlin, Peter: Der Film als Ware. Inaugural-Dissertation. Freiburg/ München 1984. Basel 1945. Kallmann, Alfred: Die Konzernierung in der Filmindus- Beijerinck, Frits Hendrik: Die Entwicklung der Tonfilm- trie, erläutert an den Filmindustrien Deutschlands und industrie. Ein Beitrag zur Weltelektrovertrustung. Inaugu- Amerikas. Inaugural-Dissertation. Würzburg 1932. ral-Dissertation. Bern 1933. Kammerer, Ernst: 35 Jahre Elektroakustik im Tonfilm. In: Bratke: Wir beherrschen den Schall. 10 Jahre Ela-Tech- Frequenz Bd. 15, Oktober 1961. nik. In: Telefunken-Kamerad, Heft 1/ 1937, S. 2-7. Kreimeier, Klaus: Die Ufa-Story. Geschichte eines Film- Cameron, Evan William (Ed.): Sound and the Cinema. konzerns. München/ Wien 1992. The Coming of Sound to American Film. New York 1980. Lichte, Hugo und Albert Narath: Physik und Technik des Carroll, Noel: Lang, Pabst, and Sound. In: Cine-Tracts 2. Tonfilms. Leipzig 1941. Jg., H.1, 1978, S. 15-23. Lölhöffel, Erich von: Die Front im Tonfilmkampf. In: Dibbets, Karel: Sprekende films. De komst van de ge- Filmtechnik v. 21.12.1929, S. 512f. luidsfilm in Nederland 1928-1933. Amsterdam 1993. Mühl-Benninghaus, Wolfgang: Die Einführung des Ton- Erbring, Lutz (Hg.): Kommunikationsraum Europa. Kon- films in Deutschland. Zur technischen und ökonomischen stanz 1995. Umwälzung der Filmindustrie am Ende der 20er und zu Beginn der 30er Jahre unter besonderer Berücksichtigung Fielding, Raymond: The Technological Antecedents of the der internationalen Verflechtungen. In: Kommunikations- Coming of Sound: An Introduction. In: Cameron: a.a.O. raum Europa a.a.O. S. 344-354. S. 3-23. Narath, Albert: 70 Jahre Deutsche Filmtechnik. In: Kino- Fischer, F. und Hugo Lichte: Tonfilmaufnahme und -wie- technik 5/ 1965, S. 106ff.und 6/ 1965, S. 136 ff. dergabe nach dem Klangfilm-Verfahren. Leipzig 1931.
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