SUN - UNIVERSITÄT MÜNSTER
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SuN Ausgabe 03/2019 Soziologie und Nachhaltigkeit - Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung Melanie Jaeger-Erben / Magdalena Meißner / Sabine Hielscher / Marco Vonnahme Herausforderung soziale Teilhabe Repair-Cafés als Orte inklusiver nachhaltiger Entwicklung? Zusammenfassung: In den vergangenen Jahren Abstract: In the past few years, debates increasingly wird verstärkt das Potential von Repair- und emerge that discuss the potential of repair and DIY Maker-Initiativen für eine inklusive nachhaltige initiatives to contribute to inclusive and sustainable Entwicklung diskutiert. Sie sollen die individuelle developments. It is argued that initiatives enable Verantwortungsübernahme für nachhaltigen individuals to take responsibility for sustainable Konsum ermöglichen und als Praxis der Kollabo- consumption. Moreover, they are said to promote ration und des bürgerlichen Self-Empowerments citizen empowerment and collaborative practices den sozialen Wandel in Richtung Nachhaltigkeit and therefore strengthening social transformations verstärken. Ob die hiermit verbundene Verantwor- processes towards sustainability. Currently, there tungsaktivierung jedoch mit den entsprechenden is little research that looks at whether the empow- Teilhabemöglichkeiten und einer Befähigung zu erment of citizen through repair and DIY activities nachhaltigem Konsum durch Reparieren und Sel- will be inclusive to all people and enable more sus- bermachen einhergeht und die erhofften Wirkungen tainable consumption patterns. This paper develops erzielt werden können, ist bisher noch wenig first ideas, questions and categories to observe the untersucht. Der vorliegende Beitrag entwickelt in possibilities and constraints for inclusiveness in diesem Zusammenhang erste Ideen, Fragen und repair cafés, enabling collaborative practise and Kategorien zur Beobachtung der Möglichkeiten und creating seedbeds for social transformations. We Hindernisse für soziale Teilhabe an Repair-Cafés draw on a social practice theory approach and und hierüber an sozialer Innovation und sozialem normative (evaluation) perspectives for inclusive- Wandel. Dabei werden praxistheoeretische Ansätze ness to empirically examine practices in repair cafés mit normativen Bewertungsperspektiven zu sozialer through participant observations. Teilhabe und Interpretationen aus einer ersten em- pirischen Annäherung an den Gegenstandsbereich im Rahmen teilnehmender (Selbst-)Beobachtungen verbunden.
Autor*innen: Prof. Dr. Melanie Jaeger-Erben leitet seit April 2019 das Fachgebiet „Transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung“ an der TU Berlin. Ihre Schwerpunkte umfassen sozialwissenschaftliche Technikforschung, materielle Kultur, Konsum- und Innovationsforschung sowie nachhaltige Stad- tentwicklung. Magdalena Meißner, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum Technik und Gesell- schaft (ZTG) an der TU Berlin und Dozentin an der Alice Salomon Hochschule für Soziale Arbeit. Ihre Schwerpunkte in Forschung und Lehre umfassen nachhaltigen Konsum, Citizen Science und Social Justice. Dr. Sabine Hielscher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum Technik und Gesellschaft (ZTG) an der TU Berlin und Research Fellow in der Science, Policy Research Unit (SPRU) an der University of Sussex. Ihr Forschung befasst sich in erster Linie mit zivilgesellschaftlichen Gruppen z.B. Energiegemeinschaften, Repair Cafés und Offene Werkstätten. Im Fokus steht die Bedeutung von Objekten und Technologien im täglichen und politischen Leben. Marco Vonnahme studiert Nachhaltigkeitswissenschaft an der Leuphana Universität Lüneburg und hat in 2018 als studentischer Mitarbeiter am Zentrum Technik und Gesellschaft (ZTG) der TU Berlin gearbeitet. Soziologie und Nachhaltigkeit Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung Ausgabe 3/2019, 5. Jahrgang ISSN 2364-1282 Creative Commons-Lizenz Herausgeber: Benjamin Görgen, Matthias Grundmann, Dieter Hoffmeister, Björn Wendt Redaktion: Niklas Haarbusch Layout/ Satz: Frank Osterloh Anschrift: WWU Münster, Institut für Soziologie Scharnhorststraße 121, 48151 Münster Telefon: (0251) 83-25303 E-Mail: sun.redaktion@wwu.de Website: www.ifs.wwu.de/sun
Melanie Jaeger-Erben / Magdalena Meißner / Sabine Hielscher / Marco Vonnahme - Herausforderung soziale Teilhabe 1. Nachhaltiger Konsum, soziale haltigen Konsums Ungleichheiten nicht sogar Nachhaltigkeit und Teilhabe: vergrößert (Walker 2014). So gibt es allein bei der Ein Spannungsverhältnis? reinen Kaufkraft und damit Marktmacht in der Gesellschaft deutliche Unterschiede (vgl. soeb, SuN 03/2019 Seit Beginn der Debatte um nachhaltige Ent- 2016, Deutsche Bundesbank 2016). Verschie- wicklung wird dem Thema Konsum und damit dene Studien verweisen zudem auf miteinander auch den Bürger-Konsument*innen eine ent- oftmals zusammenhängende Hindernisse in Hin- scheidende Rolle im gesellschaftlichen Wandel blick auf Zeitverfügbarkeit, Bildung und Wissen, zugesprochen (WCED 1987). Bereits der infrastrukturelle und Zugangsbarrieren sowie die Brundtland-Bericht unterstreicht das Prinzip generelle Bereitschaft zum Engagement (Buhl et der geteilten Verantwortung für nachhaltige Ent- al. 2017, BMUB/UBA 2013, 2015, 2017; Reisch/ wicklung und prägte den Begriff der nachhaltigen Bietz 2014). Eine mehrheitlich positive Einstel- Lebensstile, der sich anschließend in der Nach- lung gegenüber ökologisch nachhaltigem Konsum haltigkeitsdebatte durchgesetzt hat. Während der trifft oftmals auf geringe Verwirklichungschancen Brundtland-Bericht diesen Begriff noch mit der (Leßmann/Masson 2016). Forderung nach sozialer Gerechtigkeit verbindet, Zu dieser eher akteursfokussierten Kritik gesellen wird an der späteren Rezeption und Anwendung sich stärker systemkritische Perspektiven, die ge- des Lebensstilbegriffs kritisiert, dass er zu einer nerell in Frage stellen, dass nachhaltiger Konsum „politischen Beschwörungsformel“ (Lange 2005: in Industriegesellschaften überhaupt möglich 15) avancierte, der vor allem eine „Re-Politisie- ist, wenn er mit der Beibehaltung gegenwärtiger rung“ von Lebensstilen und Lebensführungen Produktionspraxen und Wirtschafts- sowie (Hitzler 1994) und eine Individualisierung von Fortschrittslogiken verbunden ist. Die Mobili- Nachhaltigkeitsverantwortung (Barnett et al. sierung von Konsument*innen kann dabei auch 2011) mit sich brachte. Eine Perspektive auf als Manöver beschrieben werden, das im Sinne nachhaltigen Konsum – d.h. eine sozial und öko- eines neoliberalen Paternalismus (Jones et al. logisch kurz- und langfristig verträgliche Nutzung 2011) vom systemischen Transformationsbedarf von Ressourcen, Gütern und Dienstleistungen und der Rolle der Politik und Wirtschaft ablenken (WCED 1987) – als Teil eines Lebensstils betone soll (Shove 2010, Maniates 2002). Die einseitige zudem den demonstrativen bzw. Status-Konsum Förderung voraussetzungsreicher Praktiken nach- und suggeriert auch dort Entscheidungsfrei- haltigen Konsums und die Schaffung exklusiver heiten, wo strukturelle Settings und Routine das gesellschaftlicher Nachhaltigkeitsarenen können Handeln prägen (Gronow/Warde 2001). Nach- zudem soziale Ungleichheiten noch begünstigen haltiger Konsum wird dabei vor allem als eine oder gar in neuer Form entstehen lassen. Frage von Einstellungen, Werten und Entschei- dungen konstruiert (Walker 2014), statt zunächst Während also der Brundtland-Bericht neben der nach den Grundlagen für soziale Teilhabe und Thematisierung (nicht-)nachhaltiger Lebensstile Beteiligung am nachhaltigen Konsum zu fragen. auch eine Demokratisierung der Debatte um ge- Dabei erscheint fraglich, inwiefern Wahlfreiheit sellschaftlichen Wandel, den gleichen Zugang und und Gestaltungsmacht des Einzelnen im Sinne die gerechte Verteilung von Ressourcen fordert einer „transformative capacity“ (Berger 1995) vo- (WCED 1987) und damit wichtige Grundsteine rausgesetzt werden können bzw. wie gleich oder für die nachfolgenden Definitionen sozialer Nach- ungleich Teilhabechancen in der Gesellschaft haltigkeit legt, scheint die Debatte gerade diesen verteilt sind und ob die Individualisierung nach- Aspekt oftmals auszublenden. 46
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung Verantwortungsaktivierung (bzw. Responsibilisie- gestellt und andere Aspekte, wie die den sozialen rung), Handlungsmacht, Teilhabemöglichkeiten Praktiken tatsächlich inhärenten sozialen Bedeu- und das Recht auf bzw. die Befähigung zu tungen sowie die Bedingungen und Hindernisse nachhaltigem Konsum stehen daher in einem für die Teilhabe an diesen Aktivitäten außer Acht SuN 03/2019 Spannungsverhältnis, das verstanden und bear- gelassen werden (Hielscher 2017, Jaeger-Erben et beitet werden muss, wenn das Projekt „nachhaltige al. 2017). Entwicklung“ nicht scheitern soll. Am Beispiel von Reparatur-Initiativen wollen Dieses Problem hat zum Teil auch die Umwelt- wir im vorliegenden Beitrag diskutieren, wie die und Nachhaltigkeitspolitik erkannt und sieht Potentiale und Herausforderungen für inklu- insbesondere in sogenannten „sozialen Inno- siven nachhaltigen Konsum für Repair-Cafés als vationen“ einen Weg, die soziale Teilhabe an einen spezifischen Typus sozialer Innovationen nachhaltigem Konsum zu stärken (BMUB/ reflektiert und analysiert werden können. Dabei BMJV/BMEL 2016). Im zugehörigen Diskurs werden wir im Folgenden zunächst die erhofften wird insbesondere das Potential von so ge- bzw. möglichen Potentiale darstellen, wie sie im nannten Bottom-Up- und Graswurzel-Initiativen wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen beschrieben, die anhand praktischer Probleme Diskurs formuliert werden sowie die wenigen mit den verfügbaren Möglichkeiten entwickelt bisherigen Erkenntnisse zur Realisierung der werden und lebensweltnahe Lösungen auch für Potentiale. Da die Forschung zu Reparatur-Ini- Nachhaltigkeitsherausforderungen darstellen tiativen aktuell zwar einen starken Aufschwung (u.a. Rückert-John/Jaeger-Erben 2018, Seyfang/ erlebt, aber noch in ihren Anfängen begriffen ist, Smith 2007). Praktische Beispiele hierfür sind fehlt aus unserer Sicht eine konzeptionelle Basis Bürgerenergiegenossenschaften, solidarische zur Betrachtung ihrer sozialen Praxis sowie zur Landwirtschaft, Urban-Gardening-Projekte sowie Bewertung der Teilhabe und Befähigungen, die Teil- und Tauschgemeinschaften. sie ermöglichen. Im Anschluss entwickeln wir zunächst Vorschläge für analytische Bewertungs- Zu den vielversprechenden sozialen Innovationen kategorien, indem wir Repair-Cafés auf Basis werden auch Repair-Cafés und offene Werk- praxistheoretischer Überlegungen als soziale stätten1 gezählt, deren Anzahl in den vergangenen Settings einer potentiell nachhaltigeren Konsum- Jahren stetig zu wachsen scheint. Ihnen wird das praxis rekonstruieren. Dabei unternehmen wir Potential zugesprochen, mit ihren Aktivitäten einen empirischen Exkurs in Repair-Cafés und gängige Praktiken des Designens, Produzierens präsentieren erste Ergebnisse aus teilnehmenden und Konsumierens zu demokratisieren und in- Beobachtungen. Hieran anknüpfend und unter novieren (Schor 2010). Diese Rhetorik hat einen Einbezug von Konzepten sozialer Gerechtigkeit gewissen Hype um diese Aktivitäten gebracht entwickeln wir Bewertungskriterien für die Unter- und birgt das Risiko, dass die erhofften und suchung der Inklusions- und Teilhabepotentiale oftmals projizierten Wirkungen übertrieben dar- von Reparatur-Initiativen. Der Beitrag fokussiert somit insbesondere auf 1 Als Repair-Cafés werden Orte bezeichnet, in denen in re- gelmäßigen Abständen auf ehrenamtlicher Basis Alltags- die Frage, wie die soziale Nachhaltigkeit von Re- gegenstände durch Menschen mit Reparatur-Kenntnissen, pair-Initiativen, das heißt die Ermöglichung von z.T. auch gemeinsam mit den Besucher*innen repariert werden. Offene Werkstätten ist ein Sammelbegriff für Orte, Teilhabe an sozialen Praktiken der Aneignung von in denen Werkzeugen und Maschinen für die Herstellung Kompetenzen und des „Self-Empowerment“ beob- von Gegenständen zur Verfügung stehen, gegen Spende oder auch zur Miete. Die Vielfalt reicht von Holzwerkstätten achtet und untersucht werden kann. Repair-Cafés bis hin zu technisch hochgerüsteten Fablabs. 47
Melanie Jaeger-Erben / Magdalena Meißner / Sabine Hielscher / Marco Vonnahme - Herausforderung soziale Teilhabe werden dabei als soziale Settings gesehen, in Gemeinschaften initiiert werden (Cipallo et al. denen Formen nachhaltigen Konsums praktiziert 2007) und die Beteiligten oftmals mit großem werden, wie der Erhalt von Gegenständen sowie persönlichen Engagement explizit oder implizit die Weitergabe und Aneignung von Wissen zur Alternativen zum nicht-nachhaltigen Konsum SuN 03/2019 Ressourcenschonung und zur Lebensdauer- entwickeln (Jaeger-Erben et al. 2015, Hielscher/ verlängerung von Alltagsgegenständen. Soziale Smith 2014). Die Stabilisierung der innovativen Nachhaltigkeit wird dabei zum einen individuell Initiativen – und somit die Möglichkeit, über- über die Teilhabe an sowie die Befähigung zu haupt langfristige Wirkungen entfalten zu nachhaltigem Konsum geschaffen, zum anderen können – steht und fällt aber damit, ob sie sich aber auch generell durch die gesellschaftliche strukturell stabilisieren können, beispielsweise Verbreitung struktureller Möglichkeiten einer durch das Andocken an etablierten Strukturen nachhaltigen Konsumpraxis potentiell gefördert. (Jaeger-Erben et al. 2017) und/ oder die Integra- tion der alternativen Praktiken in den Alltag und die Routinen einer ausreichenden Zahl von Pra- 2. Repair Cafés als soziale xis-Träger*innen (Rückert-John/Jaeger-Erben Innovation und ihre 2018). Potentiale für soziale Teilhabe Eine entscheidende Frage ist daher, ob die als in- an nachhaltigem Konsum novativ bezeichneten Initiativen in der Lage sind, Teilhabemöglichkeiten zu schaffen und die Inter- Die als soziale Innovationen bezeichneten In- essierten zu befähigen, sich die nötigen Praktiken itiativen erregen insbesondere für das ihnen anzueignen und sie bei der Integration in den zugeschriebene Potential, gesellschaftliche Struk- Alltag zu unterstützen. turen zu verändern und eine sozial-ökologische Transformation zu befördern, große Aufmerk- Die sogenannte Repair-Bewegung (Kannengießer samkeit (Hajer et al. 2015). 2017, Kuni 2016, Grewe 2015, Rosner 2013) tritt in diesem Zusammenhang selbst mit einem Auch in der politischen Arena werden sie als großartigen Versprechen an: Die Verbreitung potentielle Lösung der Herausforderungen der einer „Reparatur-“ oder „DIY-Kultur“ soll nicht Moderne wie Klimawandel, soziale Ungleich- nur eine neue Wertschätzung von Ressourcen heit und Arbeitslosigkeit diskutiert (siehe bspw. und ihrer effizienten Nutzung, von Qualität und BMUB 2016). Gleichzeitig wird kritisiert, dass Langlebigkeit fördern (Chapman 2010; Pets- sich das politische Interesse vorwiegend auf das chow et al. 2014; Cooper 2010). Das Reparieren, bloße Aufskalieren solcher Initiativen bezieht, die Modulieren und Selbermachen wird auch als für politische Agenden instrumentalisiert werden emanzipatorische Praxis gesehen, die den Gewinn können (Smith/Stirling 2016). von Autonomie und Selbstwirksamkeit durch den Die akademische empirische Forschung beschäf- Aufbau von Fähigkeiten in kollaborativen Set- tigt sich intensiv mit der Entstehung und den tings fördert (Petschow et al. 2014, Kohtala 2015, Gelingensbedingungen für die Initiierung der als Salvia et al. 2016, Walter-Herrmann/Büching innovativ bezeichneten Initiativen, kann bisher 2013). Repair-Cafés und offene Werkstätten aber noch keine umfassenden Antworten zu den werden als Orte demokratischer Wissens- und potentiellen Wirkungen geben. Bestätigt werden Güterproduktion (ebd.) und einer nachhaltigen kann, dass die Initiativen häufig im Rahmen von Bürger*innen-Bildung (Charter/Keiller 2014, Graswurzelaktivitäten und innovativen lokalen Anderson 2012) verstanden und es wird teil- 48
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung weise auch gezielt versucht, sozial benachteiligte Fab Labs und Makerspaces soziale Ungleichheiten Milieus und Gruppen zu erreichen. Das Repa- ab (Hielscher 2017). Zudem sind umfassendere rieren und Selbermachen in öffentlichen Räumen soziale oder Nachhaltigkeitsziele kein zwingender wird als politisches Handeln für die kulturelle Bestandteil von Makerspaces und Fab Labs (Nas- SuN 03/2019 Transformation in Richtung Nachhaltigkeit cimento 2014). Dennoch finden in diesen Räumen (Kannengießer 2017) und zivilgesellschaftliche Aushandlungen statt, in denen das Spannungs- Reformstrategie (Bertling/Leggewie 2016) ge- verhältnis von Menschen und Objekten oder auch deutet. Dabei sollen nicht nur neue Praktiken der breiter von Technik und Gesellschaft sowie von Kollaboration sowie des bürgerlichen Self-Empo- Produktion und Konsum problematisiert wird werment gefördert werden, sondern ebenso eine und die Beteiligten ganz praktische, eigene Lö- Form der Unabhängigkeit von der Industrie und sungen entwickeln, mit denen sie ihre alternativen eine Reduktion der unternehmerischen Macht Vorstellungen materialisieren (Hielscher 2017). (Maestri/Wakkary 2011, Kuni 2016, Dewbarry Generell lässt sich konstatieren, dass sowohl et al. 2016). Des Weiteren wird Reparatur als für das Reparieren als auch das Selbermachen Moment der Verantwortungsübernahme bzw. eine Vielfalt von Publikationen zu den potenti- der Bewusstwerdung der eigenen/geteilten Ver- ellen Wirkungen (und Hoffnungen) einer relativ antwortung beschrieben (Jackson 2014, Bertling/ überschaubaren Zahl an Veröffentlichungen zu Leggewie 2016). Die Teilhabe und Befähigung ist den tatsächlichen Wirkungen gegenüber steht. damit für die Repair- und DIY-Initiativen nicht Die Forschung zu Repair-Initiativen nimmt in nur ein Mittel, um Reparieren und Selbermachen den letzten Jahren zwar zu (z.B. Keiller/Charter als alternative Praxis gesellschaftlich weiter zu 2016), konzentriert sich gegenwärtig vor allem auf verbreiten. Soziale Teilhabe und Empowerment die Frage der quantitativen Verbreitung (Anzahl sind oftmals auch explizite Ziele. von Initiativen, Anzahl von Gästen) sowie die Ob diese Potentiale gehoben und die Versprechen potentiellen ökologischen Auswirkungen (bspw. eingelöst werden, lässt sich bisher nicht eindeutig Vermeidung von Elektroschrott). beantworten. Es kann davon ausgegangen werden, Dabei fehlt nicht nur eine breite empirische dass zum einen die lokale Praxis von Initiative Forschung zu den Wirkungen, es bedarf auch zu Initiative sehr heterogen ausfallen kann und weiterer konzeptioneller Grundlagen für die zum anderen große Unterschiede zwischen den Wirkungsbeobachtung. Hier sehen wir das Organisations- und Praxistypen bestehen. Ein Potential praxistheoretischer Ansätze eine sys- Repair-Café, das mit dem Fokus auf die Reparatur tematische Grundlage für die Untersuchung und von Fahrrädern von Nachbarschaftsinitiativen Beschreibung der sozialen Praxis des Reparierens organisiert und von einem stark fluktuierenden und Selbermachens in spezifischen Settings zu Kreis an Gästen besucht wird, lässt sich kaum mit schaffen. Diese eher rekonstruktive Perspektive einem technisch gut gerüsteten Makerspace mit wollen wir im Folgenden mit einer normativen festem Kund*innenstamm vergleichen. Perspektive auf soziale Teilhabe an und Ermäch- Die Forschung zu Makerspaces und Fab Labs tigung zum nachhaltigen Konsum als Aspekt zeigt bereits, dass bezüglich Teilhabe und Befä- sozialer Nachhaltigkeit verbinden. Im Rahmen higung, aber auch im Hinblick auf die potentielle eines empirischen Exkurses beschreiben wir aus- Förderung von nachhaltiger Entwicklung in der schnitthaft Repair-Cafés in ihrer sozio-materiellen Gesellschaft durchaus einige Herausforderungen Entfaltung aus der Perspektive eines Gastes und zu finden sind. So bilden sich potentiell auch in identifizieren einige entscheidende Bedingungen 49
Melanie Jaeger-Erben / Magdalena Meißner / Sabine Hielscher / Marco Vonnahme - Herausforderung soziale Teilhabe und Momente für die Teilhabe am Reparieren geschriebene Gesetze“, wie soziale Übereinkünfte als potentiell nachhaltiger Konsumpraxis sowie und generalisierte Erwartungen zum „richtigen“ an der sozialen Innovation Repair-Café als po- Verhalten und sozialen Rollen. Soziale Praktiken, tentieller Teil sozialen Wandels in Richtung wie z.B. Kochen, Essen, Einkaufen sind somit SuN 03/2019 Nachhaltigkeit. arrangierte Bündel aus doings und sayings, also körperlichen und sprachlichen Tätigkeiten (ebd.). Die sozialen Settings bündeln wiederum verschie- 3. Rekonstruktion von Repair- dene Praktiken zu einem sinnhaften, sozialen Ort Cafés als soziales Setting für wie dem Repair-Café. Sie geben den hier gekop- nachhaltigen Konsum pelten Praktiken einen gemeinsamen Meta-Text, werden gleichzeitig aber durch die sozialen Prak- Bevor eine normative Bewertungsperspektive tiken konstituiert. Die Handelnden selbst stehen auf Basis von Teilhabekonzepten eingenommen bei einem praxistheoretischen Ansatz nicht im wird, ist zunächst eine detaillierte und systema- Vordergrund, in einigen praxistheoretischen tische Rekonstruktion des Gegenstandsbereichs Ansätzen wird gar betont, dass sie „vollständig notwendig. Da aus unserer Sicht ein Fokus auf die von den sozial-kulturellen Praktiken abhängen“, Aneignung und Verkörperung von Kompetenzen (Reckwitz 2006: 40). Da uns im Folgenden vor sowie die materielle Praxis, d.h. der Umgang mit allem die Ermöglichung der Aneignung sozialer den Dingen eine gute Grundlage für die Analyse Praktiken und die Befähigung zur Teilhabe bzw. des „Enactement“ von Teilhabe legt, schlagen wir Teilnahme an einem sozialen Setting des Repa- als konzeptionellen Rahmen der Rekonstruktion rierens interessiert, beziehen wir uns auf Ansätze, eine Orientierung an Theorien sozialer Praktiken die den Akteur und seine Agency stärker in den vor. Vordergrund stellen, wie die Arbeiten von Theo- dore Schatzki und Elizabeth Shove (vgl. auch Kennzeichnend für Theorien sozialer Praktiken Jonas 2009). Im Vordergrund steht damit die Si- ist der Fokus auf dem praktischen Vollzug/Tun tuativität der sozialen Praktiken und die „practical und seiner sozio-materiellen Einbettung. Soziale intellibility” (Schatzki 2002), also das praktische Praktiken sind routinierte Handlungsabläufe Verständnis, das den doings und sayings im Pra- oder -muster, die auf Basis praktischer Fähig- xisvollzug Sinn verleiht sowie die praktischen keiten und Know-Hows in bestimmten sozialen Fähigkeiten zum Vollzug. Die “Agency”, d.h. die Settings (wie z.B. Küche, Werkstatt, Labor) unter Handlungswirksamkeit der Akteure ist dabei Zuhilfenahme materieller Arrangements aus- nicht vollständig determiniert, sondern wird von geführt werden (Shove/Spurling 2013, Brand den “Praktik-Ordnung-Komplexen” (Jonas 2009: 2012, siehe auch Abbildung 1). In diesen Settings 18) nur präfiguriert. werden zudem symbolische Ordnungen wirksam, wie bspw. Bewertungen von bestimmten Ge- Aus dieser Perspektive lassen sich Repair-Cafés genständen als begehrenswert oder nicht mehr als soziale Settings beschreiben, die über ein brauchbar. Ein viertes Element sind Regeln und bestimmtes Set an Praktiken gebildet und zu- Prozeduren (Schatzki 2013), die in diesen Settings sammengehalten werden. Die sozialen Praktiken gängig sind, dazu gehören zum einen offizielle müssen daher mit einer gewissen Regelmäßigkeit oder explizite Regelungen, wie Gebrauchsanwei- im Zusammenhang ausgeführt werden. Das heißt, sungen oder die Gewährleistungspflicht, aber das „Rekrutieren von Praktiken-Trägern“ (Shove auch ökonomische Regeln zur Bewertung der et al. 2012) über Zeit und Raum hinweg ist essen- Wirtschaftlichkeit. Zum anderen gelten auch „un- 50
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung SuN 03/2019 Abbildung 1: Zusammensetzung sozialer Praktiken (aus Brand 2014: 167, angepasst durch Autor*innen) tiell für die (Re)Produktion der sozialen Praxis Herstellung von Identität und sozialer Ordnung des gemeinschaftlichen Reparierens. (vgl. Ostergard/Janzten 2000) verstanden sowie um die Situativität der Praxis und die im Rahmen Damit stellen sich schon die ersten beiden Un- der Teilnahme erworbene Teilnehmerkompetenz tersuchungsfragen für die Rekonstruktion des (vgl. Meyer 2015, Halkier 2006) verstehbar und Gegenstandsbereichs: Welche Praktiken sind deutbar zu machen. Drei Personen haben hierbei konstitutiv für das soziale Setting Repair-Café? 10 unterschiedliche Repair-Cafés mit einem zu Wie geht der Prozess der Rekrutierung in das reparierenden Gegenstand besucht und ihre soziale Setting des Reparierens vonstatten? Wir Erlebnisse und Beobachtungen in detaillierten wollen die Rekonstruktion empirisch unterlegen, Protokollen festgehalten. Der Fokus lag dabei auch indem wir aus Feldtagebüchern zitieren, die wir auf der Selbst-Beobachtung, d.h. der Beobach- im Rahmen teilnehmender (Selbst-)Beobach- tung der doings und sayings im sozialen Setting, tungen in Repair-Cafés erstellt haben. der gemeinsamen Verkörperung praktischen Der Zugang der teilnehmenden Beobachtung (Nicht-)Wissens und der Teilhabe am Reparieren wurde gewählt, um die Doings und Sayings als sozialer Praxis. Die Protokolle wurden im im sozialen Setting Repair-Café beobachtbar Anschluss sowohl von den Beobachter*innen zu machen (Lüders 2001). Die soziale Praxis als auch Nicht-Teilnehmenden induktiv, d.h. wurde damit über die Träger*innen der Praxis orientiert an der Forschungslogik der Grounded im Prozess der Rekrutierung nachvollzogen. Theory (Strauß/Corbin 1990) interpretiert und Feldforschung und teilnehmende Beobachtung offen kodiert. Die Erhebungen und Auswertungen werden in der praxistheoretisch orientierten befinden sich noch im Prozess, d.h. die folgenden Konsumforschung als adäquate Zugänge zur Ausschnitte und Interpretation sind eine erste Bedeutung von Konsumpraktiken als Mittel zur Annäherung an den Gegenstandsbereich, um 51
Melanie Jaeger-Erben / Magdalena Meißner / Sabine Hielscher / Marco Vonnahme - Herausforderung soziale Teilhabe konzeptionelle Ideen, Untersuchungsfragen und II. Ich bin um 18.45 in X angekommen. Der Kategorien für die weitere Untersuchung zu ent- große Raum hat leer und verlassen ausge- wickeln. sehen, da an den zwei Reparaturtischen nur ein paar Personen gesessen haben. (Ich blieb SuN 03/2019 Im Folgenden soll also nachvollzogen werden, erst mal eine Zeit lang unbemerkt.) An einem wie ein Repair-Café sich als soziales Setting Tisch haben zwei Frauen gesessen, wo ein- einem neu in dieses Setting eintretendem Akteur deutig war, dass eine davon die Besucherin präsentieren und wie sie in dieses Setting auf- und die andere die Reparateurin ist, beide ca. genommen bzw. hieran beteiligt werden. Die 50 Jahre alt. Die Besucherin hatte einen Laptop Protokollausschnitte verbinden wir sukzessive dabei und beide Frauen waren damit beschäf- mit Beobachtungskategorien und –fragen, die tigt. Neben den Frauen standen drei Männer, wiederum in unser oben skizziertes theoretisches ca. 50 Jahre bis über 60. Als ich reinkam Framing rückgebettet werden. Wir konzentrieren standen die Männer neben dem Tisch, an dem uns dabei auf drei mehr oder weniger chronolo- die Frauen gearbeitet haben, und haben sich gisch aufeinander folgende Phasen: 1) Ankunft unterhalten bzw. das Geschehen an dem Tisch und Kontaktaufnahme, 2) Diagnose und 3) Repa- kommentiert. Ein Mann Mitte 50 ging durch ratur. den Raum, verschwand und kam wieder, ohne an dem Geschehen beteiligt zu sein oder Ankunft und Kontaktaufnahme mit den anderen zu interagieren, er schien I. Es sind ca. 10 Reparateure anwesend. Es aber alle anwesenden Reparateur*innen zu ist sehr voll. In den Reparaturräumen sind kennen. (Beobachter*in 2, Ort 3) überwiegend die Reparateure. Im Café-Raum Die Protokollausschnitte verdeutlichen, dass sind bei meiner Ankunft ca. 20 Personen, die neben dem Reparieren eine Reihe anderer Prak- Kaffee trinken und Kuchen essen, während tiken den sozialen Raum konstituieren, die zum sie darauf warten, aufgerufen zu werden. Der Teil klaren Regeln folgen (Warten, Unterhalten Altersdurchschnitt ist sehr hoch. Ich bin mit und Kaffee trinken, aufgerufen werden zum Re- Abstand der Jüngste. 2 Reparateure in den parieren, etc., siehe Beobachtung I), zum Teil 30ern, zwei etwa Mitte 40. Der Rest eher 60 aber für den Gast auch zunächst unverständlich aufwärts. Ein Mann2 scheint auf Radios spezi- sein können (siehe Ende der Beobachtung II). Es alisiert zu sein und schon 80 Jahre oder älter scheint also sowohl Prozeduren zu geben, durch zu sein. Es gibt eine traditionelle Geschlechter- die sich der Gast einfach in das soziale Setting ein- trennung zwischen Reparatur (Männer) und fügen kann (oder muss), als auch „Unschärfen“, Café (Frauen). Die Koordination der Repara- die den Gast zunächst irritieren können, aber turen macht W., ca. Mitte 60, im Hauptraum auch neue Selbstverortungen ermöglichen der Scheune an einem der Tische. Auch die (i.S.v.: es muss nicht nur repariert werden). Des Gäste sind überwiegend älter, tendenziell Weiteren werden unterschiedlich verteilte Trä- 50+, viele noch älter. […] Insgesamt sehe ich gerschaften der doings und sayings der sozialen ca. 30 Gäste und ca. 15 Menschen, die repa- Praktiken beobachtet: Es gibt Reparateur*innen rieren, Kaffee kochen/ Küche machen oder und Gäste, es gibt Verantwortliche für Empfang, koordinieren. (Beobachter*in 1, Ort 1) Organisation und Café (wobei Repair-Cafés im Allgemeinen nicht zwingend auch den „Café-Teil“ 2 Hier ist darauf hinzuweisen, dass die Beobachter*innen die praktizieren). Die Protokolle zeigen zudem, dass Geschlechter der Beteiligten nicht erfragt, sondern nach äußeren Merkmalen unterstellt haben. es deutliche Unterschiede bzgl. der Anzahl der 52
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung Gäste und des Umfangs ihrer möglichen Betä- Über den mitgebrachten Gegenstand wird zu- tigungen geben kann. Auch ist der Umgang mit nächst vor allem gesprochen und es treffen neu ankommenden Gästen unterschiedlich: Im gewissermaßen zwei Expert*innen aufeinander: ersten Fall werden sie über feststehende Regeln Der Gast als „Alltagsexperte“ für den speziellen SuN 03/2019 und Prozeduren (Wartenummer, Aufruf, Repa- Gegenstand, der ihn aus dem Nutzungskontext ratur) in die Praxisgemeinschaft involviert, im kennt und seine Fehlerhaftigkeit beobachtet zweiten Fall sind diese Prozeduren weniger fest- hat und der/die Reparateur*in als technische*n gelegt und müssen für den Moment mehr oder Expert*in für Gegenstände im Allgemeinen. In weniger neu ausgehandelt werden. Hier kann dieser Situation beginnt potentiell die gemein- die Untersuchung gezielt nach der Anwesenheit same Wissensproduktion, das heißt Alltags- und von „Übersetzer*innen“ fragen, die neu Ankom- Technikexpertise werden kombiniert, es werden mende in die Praxisgemeinschaft einführen und aber potentiell auch Kompetenzmarkierungen ihnen die Regeln und Prozeduren übersetzen. vorgenommen: Beide Protokolle beobachten einen eher hohen IV. Der Akku ist sehr schwach, aber nicht Altersdurchschnitt und eine, v.a. im ersten Fall grundsätzlich kaputt. M. klinkt sich ein und deutliche Geschlechtertrennung. Beides wird in fragt, was das Problem ist. Forsch fragt er: Abschnitt 4 noch einmal thematisiert. „Kennst Du google?“ Er zückt sein Smartphone und sucht mir Angebote für Ersatzakkus raus. Diagnose Ich sage, dass ich auch schon darüber nach- Wie werden die Gäste im weiteren Verlauf in die gedachte hatte, mir den Akku aber zumindest Praktiken involviert? Der Gast tritt zunächst in einmal mit Fachkundigen anschauen möchte, eine Austauschbeziehung mit den Helfer*innen weil mich irritiert, dass der Akku gar nicht und Reparateur*innen ein. Diese Beziehung wird mehr geht, statt schwach zu werden. (Beob- über Gegenstände hergestellt, es entsteht somit achter*in 1, Ort 1) eine Art „Dreiecksbeziehung“ Mensch-Objekt- V. Nach einer Weile hat er mich dann gefragt, Mensch. was mit dem Hubschrauber nicht stimmt und III. Es gibt ungefähr fünf Tische, auf die dicke ich habe die Geschichte mit dem Nicht-rich- Decken gelegt wurden (zum Schutz). Auf einem tig-fliegen-wollen noch mal erzählt und auch, Tisch sind ein paar Plastikkisten mit Material dass ich es schon mit dem älteren Reparateur und Werkzeug. Hier sitzt auch eine Frau mit ausprobiert habe. Daraufhin hat er einfach ihrem Handmixer mit ‚ihrem‘ Reparateur. gesagt „Es liegt bestimmt nur daran, dass du Sie sind tief in ein Gespräch versunken. Am eine Frau bist und nicht weißt, wie man einen nächsten Tisch stehen zwei Männer mit einem Hubschrauber fliegt.“ (Beobachter*in 2, Ort 5) Haushaltsgerät… Sie versuchen abwechselnd Für die Untersuchung der Möglichkeiten und es zu öffnen (im Grunde für die ganze Stunde, Hindernisse der Integration und Teilhabe kann es in der ich da war). Es sieht nach keiner einfa- also interessant sein zu betrachten, wie Gäste in chen Aufgabe aus. Wer nun der Besucher und ihrer Alltagsexpertise und Erfahrungskompetenz wer der Reparateur ist, ist schwer zu sehen. wertgeschätzt werden und inwieweit es zu einem Am Nachbarstisch steht ein Drucker/Scanner Austausch zwischen Alltags- vs. technische Ex- vor zwei Männern. Sie probieren den Scanner pertise kommt. Der Prozess erinnert durchaus an aus und suchen das Problem/den Fehler. Es ein wissenschaftliches Vorgehen: Der Gegenstand wird viel diskutiert. (Beobachter*in 3, Ort 8) muss analysiert und mögliche Fehlerquellen 53
Melanie Jaeger-Erben / Magdalena Meißner / Sabine Hielscher / Marco Vonnahme - Herausforderung soziale Teilhabe müssen explorativ ermittelt werden, über den Aus- auch für den Gast, dem der Gegenstand gehört. tausch von unterschiedlichen Expertisen (im Sinn Die Austauschbeziehung im Repair-Café ist auch einer Perspektiventriangulation) und schließlich eine Form von Fürsorge- oder Care-Arbeit: Man über die Untersuchung des Gegenstands selbst. kümmert sich um die Gegenstände und darüber SuN 03/2019 Dabei ist die Beschaffenheit des Gegenstands von vermittelt auch umeinander. großer Bedeutung: Ein zweiter entscheidender Moment folgt auf die VI. Er hat sich [den ferngesteuerten Hub- Diagnose des Fehlers: schrauber] angeschaut und gesagt, dass er VIII. Der Besucher hat seine Tasche aufge- keine Ahnung hat, was an ihm nicht stimmt macht und seinen Drucker gezeigt, dabei hat und dass er sich auch nicht traut, ihn weiter zu er erzählt, was an dem Drucker kaputt ist und fliegen, weil er Angst hat, dass er kaputtgeht, dass das Gerät schon mindestens 10 Jahre geschweige ihn aufzumachen: „Die Dinger alt ist, er aber eigentlich keinen neuen kaufen sind auch noch so teuer…“ (Beobachter*in 2, möchte, weil der nur für den Privatgebrauch Ort 4) absolut ausreichend ist. Ohne sich das Gerät Wie der Ausschnitt zeigt, kann der Gegenstand anzuschauen hat der Reparateur dem Besu- „widerständig“ sein, zum Beispiel durch Miniatu- cher erzählt, dass eine Reparatur keinen Sinn risierung, Geschlossenheit und Fragilität. Hier ist machen würde, weil die Ersatzteile, die man ein erster entscheidender Moment dafür, ob eine kaufen müsste, viel zu teuer wären und das Reparatur tatsächlich in Gang gesetzt wird und Ganze sich weder finanziell noch aufwand- ob das Gelingen der Austauschbeziehung schon mäßig lohnen würde. Mit den Worten: „was gleich zu Beginn fraglich wird. Die Beschaffenheit soll ich dir sagen, 10 Jahre ist sowieso gut für des Gegenstands (sein Design) kann somit ein sonnen Drucker, das Ganze lohnt sich halt Hindernis für die Reproduktion der Reparatur- nicht, du brauchst halt nen Neuen“ hat sich praxis und der Praxisgemeinschaft darstellen. Je der Reparateur verabschiedet. Sichtbar ent- widerständiger der Gegenstand bzw. sein Zustand täuscht ist der Besucher mit seinem Drucker beim Stellen der Diagnose ist, desto höher ist die gegangen. (Beobachter*in 2, Ort 7) Gefahr, dass ein Reparaturversuch nicht unter- nommen wird: Wie der letzte Ausschnitt zeigt, spielt bei der Ent- VII. Unter meinen Gegenständen gab es keine scheidung auch die erwartete Lebensdauer des klassischen Reparaturen, die sich klar dia- Gegenstands eine Rolle und die Frage, wann ein gnostizieren und behandeln lassen, sondern Gerät aufgrund seines Alters nicht mehr als loh- nur „Nervkram“. Das beeinflusst die Erfah- nenswert für eine Reparatur angesehen werden. rung. Wenn das Terrain unbekannt ist und Es werden also auch soziale Bedeutungen und viel spekuliert werden muss, wird die Erfah- Wertungen verhandelt, wobei die Bewertung rung schnell unbefriedigend und anstrengend der Reparateur*innen eine entscheidende Rolle für beide Seiten. (Beobachter*in 1, Ort 1) spielt. Folgender Ausschnitt zeigt eine andere Gleichzeitig wird in dem zuvor zitierten Ausschnitt Form der Entscheidung: sowohl Sorge (um den fragilen Gegenstand) wie IX. Nun kommt auch ein Reparateur zu mir. auch Sorgfalt (im Umgang mit der Fragilität) Er guckt sich das Radio an, das eine ausgelau- deutlich, der Reparateur spürt in diesem Moment fene Batterie hat. Das Radio möchte er nicht die Verantwortung für den Gegenstand, aber reparieren, das könnte ich selber machen mit 54
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung Essig- oder Zitronenwasser. Man müsste es über den Gegenstand zwangsläufig näher, die nur gut reinigen. Die mitgebrachten Kopfhörer Fürsorge für den Gegenstand wird zu einer ge- könnte man reparieren… es ist eine einfache meinsamen Performance. Der Ausschnitt zeigt Reparatur. Man müsste nur die Kabel wieder auch, dass das Mit-Tun des Gastes möglicherweise SuN 03/2019 anlöten… die Frage ist nur wie rum. Wir pro- nicht immer technisch sinnvoll ist. Der Repara- bieren es einfach. (Beobachter*in 3, Ort 8) teur hätte den Gegenstand alleine möglicherweise schneller repariert, die Praxis des Reparierens Der Ausschnitt gibt ein Beispiel dafür, dass eine wäre in diesem Fall auch ohne Teilnahme des Reparatur auch lohnenswert im Sinne von „inte- Gastes umsetzbar gewesen. Dies nicht zu tun, ressant genug“ für den Reparateur sein muss, um schafft Möglichkeiten, sich praktisches Wissen sie vor Ort auszuführen und die eigene Fürsorge über das Mit-Tun anzueignen und sich hierüber zu investieren. Der Gast wird hier auf seine eigen- rekrutieren zu lassen. Dieser Raum wird durch ständigen Möglichkeiten hingewiesen, was auch den Reparateur geschaffen, er muss in gewisser eine Form der Kompetenzförderung sein kann. Hinsicht „loslassen“, das heißt die Rekrutierung Um das Reparieren weiterzugeben und praktisch eines anderen Akteurs ermöglichen, indem er sich zu vollziehen, werden Orte außerhalb des Cafés im Praxisvollzug als Körper zurücknimmt. Das gewissermaßen zu Satelliten und weiteren und Loslassen ist dem Setting des Repair-Cafés als Erfahrungsräumen. potentiellen Setting des Wandels geschuldet. Das Reparieren ist auch hier zwar wieder die zentrale, Reparatur aber nicht die alles entscheidende Praktik, es geht Ist die Reparatur in Gang gesetzt, wird das expe- auch um Wissensvermittlung und Kompetenzer- rimentelle Vorgehen fortgeführt. Die Diagnose ist weiterung. Der praktische Sinnzusammenhang hierbei wie eine Hypothese, die durch Auspro- “etwas ist kaputt und wird repariert” wird überla- bieren und Auswerten von Ergebnissen überprüft gert von einem über das Setting hinausweisenden wird. Das Reparieren lenkt die Austauschbezie- Sinn “Reparaturkompetenz soll vermittelt hung noch intensiver als zuvor auf eine körperliche werden” überlagert. Der Gast kann aber auch jen- Ebene, insbesondere, wenn gemeinsam repariert seits eigenen Handanlegens mit-tun, indem er/ wird: sie Fehler und Funktionen erklärt bekommt: X. Er holt das neue Lötgerät, Pinzetten, XI. Der Reparateur fragt: ‚Was ist denn Lötradiergummi/spritze (zum Aufsaugen des kaputt?‘ Ich: ‚Er schaltet sich einfach nicht Elektroniklots). Wir müssen die alten Lote mehr ab.‘ Ich versuche ihn zu öffnen. Es geht wegmachen. Ich halte die Kopfhörer und das nicht. Reparateur: ‚Das ist normal. Er ist Lotradiergummi. Er hält den Lötkolben. Die kalt geworden. Das Problem haben viele. Er Kopfhörer sind klein somit ist es eine ganz ist einfach nicht ganz dicht, durch den Kalk. schöne Fummelarbeit. Ich wundere mich, ob Da lässt er sich nicht mehr schließen.‘ Nach es einfacher wäre, die Reparatur alleine zu einiger Zeit kommt er wieder und erklärt mir: machen. Wir schaffen es aber… und die Kabel ‚Guck mal. Hier geht der Wasserdampf durch. sind auch gleich richtig rum. Sie funktionieren Dann ist da unten ein Metall, das sich erhitzt wieder. Ich bin froh und für ihn war es ein und das den Schalter ausschaltet. Wenn der einfacher Job. (Beobachter*in 3, Ort 9) Wasserdampf somit ausweicht, dann erreicht er das Metall nicht und der Wasserkocher Bei der gemeinsamen „Fummelarbeit“ kommen schaltet sich nicht ab. (Beobachter*in 3, Ort 9) sich in dem Beispiel potentiell fremde Menschen 55
Melanie Jaeger-Erben / Magdalena Meißner / Sabine Hielscher / Marco Vonnahme - Herausforderung soziale Teilhabe Genauso wenig, wie die Einladung zum Mit-Tun selbstverständlich ist, ist auch die Bereitschaft zur Dass Gäste zum Mit-Tun eingeladen oder aufge- Teilnahme auf Seiten der Gäste keine Selbstver- fordert werden, ist aber keine generelle Praxis, ständlichkeit: SuN 03/2019 wie folgender Ausschnitt zeigt: XII Als er den passenden Schraubenzieher XIII. Der Gast (Frau) hat eigentlich an ihrem gefunden hat, hat er von selbst angefangen Gerät nichts gemacht, es schien so, als ob sie die Schrauben rauszuziehen… nach ein paar zur Unterhaltung der zwei Reparateure da Sekunden meinte er dann, dass er noch was ist. Während die beiden Männer sich mit dem seinen Kollegen fragen muss und ist in den Ne- Radio beschäftigt haben, hat sie Witze und benraum gegangen, wo der Koordinator mit Anekdoten erzählt. Weder wurde sie von den einer Besucherin was repariert hat. […] Als Reparateuren einbezogen oder informiert er zurückkam, waren alle Schrauben bereits darüber, was da gerade bei der Reparatur draußen bzw. wieder leicht reingeschraubt passiert, noch wirkte sie daran interessiert und der Akku hing zwischen den zwei Plastik- oder hat eine Frage dazu gestellt. (Beobach- scheiben raus. (Beobachter*in 2, Ort 6) ter*in 2, Ort 5) Für die Untersuchung von Teilhabe am Repa- XIV. Währenddessen kommt ein zweiter rieren ist es daher auch interessant zu betrachten, Reparateur (Matthias, ca. Mitte 40) mit wie sich Akteure im Café selbst positionieren. einem Ehepaar (Mann und Frau, ca. 60) an Die beiden Reparateure aus den vorgenannten den Tisch und erklärt ihnen, wie er ihre Pen- Beispielen sind zwar beide Experten für das del-Wanduhr repariert hat. Scheinbar hat er Materielle, im ersten Fall scheint sich der Repa- das im Zeitraum seit der letzten Veranstal- rateur aber – bewusst oder unbewusst – auch tung zuhause gemacht. Er erklärt auch noch, im Repair-Café als Setting sozialen Wandels zu wie die Uhr einzustellen und zu pflegen sei. positionieren und damit auch von seiner Rolle (Beobachter*in 1, Ort 1) als Experte abzuweichen: Er lässt offensichtliche Durch die schrittweise Rekonstruktion des Re- Nicht-Experten mittun, die Praxis des Reparierens pair-Cafés als sozialem Setting haben wir nun wird mit dem Versuch der Know-How-Vermitt- zunächst einige Fragen und Kategorien entwi- lung verbunden. Da es beim Reparieren aber ckelt, die vor allem die Bedingungen für das oftmals um so genanntes „tacit knowledge“ geht, Involviert-Werden und Mit-Tun reflektieren. also implizites praktisches Wissen im physischen Damit sind Repair-Cafés in ihrer Individualität Umgang mit bzw. der Handhabung von Gegen- und Diversität noch längst nicht ausreichend be- ständen, müssen Reparateur*innen zunächst schrieben, aber es konnten einige Ansatzpunkte eine Form der Übersetzung in kommunizierbares für die folgenden Überlegungen zu den Möglich- Wissen finden. Diese Form der Übersetzungsar- keiten und Herausforderungen sozialer Teilhabe beit stellt eine zusätzliche Herausforderung für identifiziert werden. die Rolle von Repair-Cafés bei der Konsument*in- nen-Bildung dar. Im zweiten Beispiel ist der Reparateur vor allem mit seiner Rolle als technischer Experte identifiziert, der Vollzug der Reparatur steht im Vordergrund. 56
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung 4. Reparieren in Repair-Cafés aus als allgemeine Grundhaltung gegenüber bzw. Ver- der Perspektive sozialer Teilhabe ortung in der Welt (Bourdieu 1982, 1987). Diese Verortungen sind implizit, d.h. sie werden nicht Reparieren als „wiederentdeckte“ Konsumpraxis bewusst vorgenommen, sondern über sprachliche SuN 03/2019 im Rahmen von Reparatur-Initiativen wird in und körperliche Ausdrucksformen sowohl vom der Literatur auch als Moment der Verantwor- Akteur selbst als auch von seinem Gegenüber. tungsübernahme, als Praxis der Kollaboration Die Selbst- und Fremdverortung schafft eine und des bürgerlichen Self-Empowerment be- Ausgangsposition und ermöglicht Orientierung schrieben. Hier bestehen deutliche Ähnlichkeiten und Spielraum für eigenes Handeln im sozialen zu Definitionen sozialer Nachhaltigkeit, die auch Raum. Sie setzt aber auch Grenzen. Diese Grenzen dem von Opielka (2016) beschriebenen „weiten“ hängen eng mit den aktuellen und potentiellen Verständnis sozialer Nachhaltigkeit entsprechen: Ressourcen der beteiligten Akteure zusammen, „Soziale Nachhaltigkeit wird hier als gesell- oder wie Bourdieu (2005) es formuliert, von schaftliches Projekt, als Transformationsprojekt ihrem ökonomischen, kulturellen und sozialen konzipiert.“ (Opielka 2016: 39) Ob diese Verspre- Kapital. Nach Young (1980) sind die Grenzen oft chen eingelöst werden, steht und fällt damit, ob auch geschlechtsspezifisch, insbesondere wenn es Teilhabe ermöglicht wird und dies kann – wie oben um kulturell eher männliche bzw. weibliche Prak- exemplarisch an einigen empirischen Beispielen tiken geht. gezeigt – eine sehr fragile Angelegenheit sein. Ab Alle Beteiligten bringen somit ihre sozialisierten dem Eintritt in ein Repair-Café (sicher aber auch Erwartungen und damit zusammenhängenden schon zuvor) finden sich viele Momente, in denen verkörperten Praktiken auch in neue soziale die Versprechen potentiell gebrochen werden Räume mit. Wer als neuer Akteur das Setting können und diese sind bisweilen von den anwe- Repair-Café betritt, bringt zunächst den ganz senden Menschen wenig beeinflussbar, wie bspw. eigenen praktischen Sinn für sein Handeln mit. die Widerständigkeit des Materiellen in Form von Er nähert sich dem Setting zunächst „inkompe- Geräten, die sich nicht öffnen lassen oder nicht tent“ und bringt im Idealfall vor allem Neugierde, diagnostizierbare Schäden haben. Doch nicht d.h. eine Bereitschaft zur Aneignung der für das nur hierin finden sich potentielle „Gefährder“ Setting relevanten Kompetenzen mit. Er ist in der Teilhabe. Repair-Cafés sind zwar sozial in- seiner Suche nach Hilfe und Unterstützung aber novativ, indem sie neuartige Settings schaffen, auch verletzlich, der Gang zum Repair-Café ist in denen „alte“, aber etwas ins Abseits gerückte gewissermaßen ein Eingeständnis der Inkom- Kulturtechniken neu eingebettet und umgedeutet petenz im Umgang mit dem Gegenstand. Vor werden. Aber sie schaffen keine isolierten Inseln diesem Hintergrund ist es fast erstaunlich, dass und werden durch die Gesellschaft „da draußen“ die Literatur in den Repair-Initiativen vor allem potentiell genauso überformt wie alle anderen den Aufbruch und die zivilisatorische Reform sozialen Settings. Einige der oben zitierten Be- sieht, denn sie können Ungleichheiten potentiell obachtungen weisen darauf hin, dass auch in auch verstärken. Reparieren-können kann auch Repair-Cafés beispielsweise traditionelle Ge- als ein Privileg betrachtet werden, das durch Vor- schlechterrollen und generalisierte Erwartungen und Ausbildung, Zugang zu Informationen und bzgl. der technischen Kompetenzen von Frauen Wissen sowie so materiellen Ressourcen, wie Er- reproduziert werden. Nach Bourdieu reproduziert satzteilen und den Werkzeugen konstituiert wird sich in der Aneignung und Performanz sozialer (Houston et al. 2016; Rosner/Ames 2014). Praktiken der sozialisierte Habitus einer Person 57
Melanie Jaeger-Erben / Magdalena Meißner / Sabine Hielscher / Marco Vonnahme - Herausforderung soziale Teilhabe Ein Fokus auf sozialen Praktiken muss daher auch den oben beschriebenen Rekonstruktionen lässt berücksichtigen, wie unterschiedlich es verschie- sich auch der Gegenstand noch als „Interaktions- denen Träger*innen gelingt, die notwendigen partner“ hinzufügen und es lässt sich beobachten, Elemente (Materialien, Kompetenzen, prakti- wie Deutungs- und Gestaltungsmacht zunächst SuN 03/2019 schen Sinn) zu integrieren und Zugang zu den verhandelt wird. Gast und Reparateur bringen entsprechenden sozialen Settings zu erhalten, um ihr jeweiliges Expertenwissen mit in den Prozess, die Praktik auszuführen (Walker 2014). Wer dies beide können aber in ihrer „Machtausübung“ am schafft, kann sich gegebenenfalls einen Macht- Gegenstand verunsichert werden. Der Gegenstand vorteil sichern, denn „to engage in a practice is to selbst vermittelt also im Aushandlungsprozess, exercise a power“ (Barnes 2001: 28). Neben der wird aber auch selbst in gewisser Hinsicht wirk- Lesart von sozialer Nachhaltigkeit als Teilhabe mächtig. an einem gesellschaftlichen Projekt (s.o.) kommt Die entscheidende Frage ist somit, wie es die hiermit auch ein enges Verständnis sozialer Nach- Praxisgemeinschaft und vor allem die drei Interak- haltigkeit (Opielka 2016) zum Tragen, bei dem die tionspartner der Reparatur praktisch „schaffen“, Umverteilung und der Machtausglich im Vorder- routinierte, möglicherweise Teilhabe verhin- grund stehen. dernde Selbstpositionierungen über bestimmte, Nach Watson (2016) eignet sich eine Rekonstruk- gewohnte doings und sayings aufzubrechen und tion sozialer Praktiken und der damit verbundenen die potentielle Reproduktion von Ungleichheiten interpersonellen Interaktionen (Sprache, Körper zu unterbrechen. Im empirischen Teil haben wir und Umgangsweisen), um Gestaltungsmacht und einige der entscheidenden Momente und Bedin- Möglichkeiten zur Ermächtigung prozedural und gungen beschrieben, die Teilhabe ermöglichen als Effekt von Performances zu betrachten. Aus oder verhindern können. Die folgende Tabelle Beobachtungs-momente/ Phasen der Beobachtungsschwerpunkte für die Re- Beobachtungsschwerpunkt für die Bewer- Reparatur im Repair-Café konstruktion der Praxis tung von Teilhabe Ankunft und Kontaktaufnahme Öffnung des Felder durch „Überset- Transparenz der Regeln und Prozesse zer*innen“, Freiheitsgrade im Praxisvollzug vs. fehlende Regeln und Prozesse, Orientierung durch „Unschärfen“ der sozi- Kontaktaufnahmen zwischen Gast und alen Praxis, Reparateur*in („inkompetenten“ und Klarheit der Zuordnung zu sozialen Rollen; „kompetenten“ Akteuren) Differenzierungen bzw. Selbst-Positionie- rungen nach Alter, Geschlecht, Herkunft, sozio-ökonomischer Hintergrund etc. Voraussetzungen/ Hürden in Bezug auf Ressourcen bzw. verfügbares kulturelles, soziales und ökonomisches Kapital Diagnose Initiation der Gestaltung der sozialen Aus- Aufbrechen der Rollen Experte – Laie tauschbeziehung Reparateur*in – Gast im Aushandlung von Entscheidungs- und Praxisvollzug Gestaltungsmacht im Praxisvollzug Austausch/ Vermittlung zwischen All- Teilhabe an Entscheidungen für/ gegen tagsexpertise und technischer Expertise Reparatur Beschaffenheit/ Widerständigkeit des Materiellen Praktischer Sinn und (Be)Wertungen des Materiellen Gemeinsame Wissensproduktion Alltags-/ Technikexpertise Reparatur Verbindung von Praktiken des Repa- „Loslassen“ von Kompetenz und Schaffung rierens mit gemeinsamer Wissenspro- von Lernräumen durch Rekrutierung der duktion, Caring, praktischer Bildung/ „inkompetenten“ Laien Know-How-Vermittlung und Übersetzung Neu-Positionierung der Beteiligten als von implizitem Wissen im Praxisvollzug gemeinsam Wirkende jenseits sozialisierter Aufforderung/ Einladung zum Mit-Tun Positionierungen (z.B. genderspezifischer Gemeinsame Performanz beim „Aufbre- Rollen) chen“ des Gegenstands Tabelle 1: Beobachtungsschwerpunkte für die Rekonstruktion von Repair-Cafés als Praxisgemeinschaft und zur Bewertung von Teilhabe 58
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