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                                                                                                                  Ausgabe 03/2019
Soziologie und Nachhaltigkeit -
Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

   Melanie Jaeger-Erben / Magdalena Meißner / Sabine Hielscher /
   Marco Vonnahme

   Herausforderung soziale Teilhabe
   Repair-Cafés als Orte inklusiver nachhaltiger Entwicklung?

   Zusammenfassung: In den vergangenen Jahren            Abstract: In the past few years, debates increasingly
   wird verstärkt das Potential von Repair- und          emerge that discuss the potential of repair and DIY
   Maker-Initiativen für eine inklusive nachhaltige      initiatives to contribute to inclusive and sustainable
   Entwicklung diskutiert. Sie sollen die individuelle   developments. It is argued that initiatives enable
   Verantwortungsübernahme        für    nachhaltigen    individuals to take responsibility for sustainable
   Konsum ermöglichen und als Praxis der Kollabo-        consumption. Moreover, they are said to promote
   ration und des bürgerlichen Self-Empowerments         citizen empowerment and collaborative practices
   den sozialen Wandel in Richtung Nachhaltigkeit        and therefore strengthening social transformations
   verstärken. Ob die hiermit verbundene Verantwor-      processes towards sustainability. Currently, there
   tungsaktivierung jedoch mit den entsprechenden        is little research that looks at whether the empow-
   Teilhabemöglichkeiten und einer Befähigung zu         erment of citizen through repair and DIY activities
   nachhaltigem Konsum durch Reparieren und Sel-         will be inclusive to all people and enable more sus-
   bermachen einhergeht und die erhofften Wirkungen      tainable consumption patterns. This paper develops
   erzielt werden können, ist bisher noch wenig          first ideas, questions and categories to observe the
   untersucht. Der vorliegende Beitrag entwickelt in     possibilities and constraints for inclusiveness in
   diesem Zusammenhang erste Ideen, Fragen und           repair cafés, enabling collaborative practise and
   Kategorien zur Beobachtung der Möglichkeiten und      creating seedbeds for social transformations. We
   Hindernisse für soziale Teilhabe an Repair-Cafés      draw on a social practice theory approach and
   und hierüber an sozialer Innovation und sozialem      normative (evaluation) perspectives for inclusive-
   Wandel. Dabei werden praxistheoeretische Ansätze      ness to empirically examine practices in repair cafés
   mit normativen Bewertungsperspektiven zu sozialer     through participant observations.
   Teilhabe und Interpretationen aus einer ersten em-
   pirischen Annäherung an den Gegenstandsbereich
   im Rahmen teilnehmender (Selbst-)Beobachtungen
   verbunden.
Autor*innen:

Prof. Dr. Melanie Jaeger-Erben leitet seit April 2019 das Fachgebiet „Transdisziplinäre
Nachhaltigkeitsforschung“ an der TU Berlin. Ihre Schwerpunkte umfassen sozialwissenschaftliche
Technikforschung, materielle Kultur, Konsum- und Innovationsforschung sowie nachhaltige Stad-
tentwicklung.

Magdalena Meißner, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum Technik und Gesell-
schaft (ZTG) an der TU Berlin und Dozentin an der Alice Salomon Hochschule für Soziale Arbeit. Ihre
Schwerpunkte in Forschung und Lehre umfassen nachhaltigen Konsum, Citizen Science und Social
Justice.

Dr. Sabine Hielscher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum Technik und Gesellschaft
(ZTG) an der TU Berlin und Research Fellow in der Science, Policy Research Unit (SPRU) an der
University of Sussex. Ihr Forschung befasst sich in erster Linie mit zivilgesellschaftlichen Gruppen
z.B. Energiegemeinschaften, Repair Cafés und Offene Werkstätten. Im Fokus steht die Bedeutung von
Objekten und Technologien im täglichen und politischen Leben.

Marco Vonnahme studiert Nachhaltigkeitswissenschaft an der Leuphana Universität Lüneburg
und hat in 2018 als studentischer Mitarbeiter am Zentrum Technik und Gesellschaft (ZTG) der TU
Berlin gearbeitet.

Soziologie und Nachhaltigkeit
Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

Ausgabe 3/2019, 5. Jahrgang
ISSN 2364-1282

                  Creative Commons-Lizenz

Herausgeber: Benjamin Görgen, Matthias Grundmann, Dieter Hoffmeister, Björn Wendt
Redaktion:    Niklas Haarbusch
Layout/ Satz: Frank Osterloh

Anschrift: WWU Münster, Institut für Soziologie
		         Scharnhorststraße 121, 48151 Münster
		         Telefon: (0251) 83-25303
		E-Mail: sun.redaktion@wwu.de
		Website: www.ifs.wwu.de/sun
Melanie Jaeger-Erben / Magdalena Meißner / Sabine Hielscher / Marco Vonnahme - Herausforderung soziale Teilhabe

              1. Nachhaltiger Konsum, soziale                            haltigen Konsums Ungleichheiten nicht sogar
                 Nachhaltigkeit und Teilhabe:                            vergrößert (Walker 2014). So gibt es allein bei der
                 Ein Spannungsverhältnis?                                reinen Kaufkraft und damit Marktmacht in der
                                                                         Gesellschaft deutliche Unterschiede (vgl. soeb,
SuN 03/2019

              Seit Beginn der Debatte um nachhaltige Ent-                2016, Deutsche Bundesbank 2016). Verschie-
              wicklung wird dem Thema Konsum und damit                   dene Studien verweisen zudem auf miteinander
              auch den Bürger-Konsument*innen eine ent-                  oftmals zusammenhängende Hindernisse in Hin-
              scheidende Rolle im gesellschaftlichen Wandel              blick auf Zeitverfügbarkeit, Bildung und Wissen,
              zugesprochen (WCED 1987). Bereits der                      infrastrukturelle und Zugangsbarrieren sowie die
              Brundtland-Bericht unterstreicht das Prinzip               generelle Bereitschaft zum Engagement (Buhl et
              der geteilten Verantwortung für nachhaltige Ent-           al. 2017, BMUB/UBA 2013, 2015, 2017; Reisch/
              wicklung und prägte den Begriff der nachhaltigen           Bietz 2014). Eine mehrheitlich positive Einstel-
              Lebensstile, der sich anschließend in der Nach-            lung gegenüber ökologisch nachhaltigem Konsum
              haltigkeitsdebatte durchgesetzt hat. Während der           trifft oftmals auf geringe Verwirklichungschancen
              Brundtland-Bericht diesen Begriff noch mit der             (Leßmann/Masson 2016).
              Forderung nach sozialer Gerechtigkeit verbindet,
                                                                         Zu dieser eher akteursfokussierten Kritik gesellen
              wird an der späteren Rezeption und Anwendung
                                                                         sich stärker systemkritische Perspektiven, die ge-
              des Lebensstilbegriffs kritisiert, dass er zu einer
                                                                         nerell in Frage stellen, dass nachhaltiger Konsum
              „politischen Beschwörungsformel“ (Lange 2005:
                                                                         in Industriegesellschaften überhaupt möglich
              15) avancierte, der vor allem eine „Re-Politisie-
                                                                         ist, wenn er mit der Beibehaltung gegenwärtiger
              rung“ von Lebensstilen und Lebensführungen
                                                                         Produktionspraxen und Wirtschafts- sowie
              (Hitzler 1994) und eine Individualisierung von
                                                                         Fortschrittslogiken verbunden ist. Die Mobili-
              Nachhaltigkeitsverantwortung (Barnett et al.
                                                                         sierung von Konsument*innen kann dabei auch
              2011) mit sich brachte. Eine Perspektive auf
                                                                         als Manöver beschrieben werden, das im Sinne
              nachhaltigen Konsum – d.h. eine sozial und öko-
                                                                         eines neoliberalen Paternalismus (Jones et al.
              logisch kurz- und langfristig verträgliche Nutzung
                                                                         2011) vom systemischen Transformationsbedarf
              von Ressourcen, Gütern und Dienstleistungen
                                                                         und der Rolle der Politik und Wirtschaft ablenken
              (WCED 1987) – als Teil eines Lebensstils betone
                                                                         soll (Shove 2010, Maniates 2002). Die einseitige
              zudem den demonstrativen bzw. Status-Konsum
                                                                         Förderung voraussetzungsreicher Praktiken nach-
              und suggeriert auch dort Entscheidungsfrei-
                                                                         haltigen Konsums und die Schaffung exklusiver
              heiten, wo strukturelle Settings und Routine das
                                                                         gesellschaftlicher Nachhaltigkeitsarenen können
              Handeln prägen (Gronow/Warde 2001). Nach-
                                                                         zudem soziale Ungleichheiten noch begünstigen
              haltiger Konsum wird dabei vor allem als eine
                                                                         oder gar in neuer Form entstehen lassen.
              Frage von Einstellungen, Werten und Entschei-
              dungen konstruiert (Walker 2014), statt zunächst           Während also der Brundtland-Bericht neben der
              nach den Grundlagen für soziale Teilhabe und               Thematisierung (nicht-)nachhaltiger Lebensstile
              Beteiligung am nachhaltigen Konsum zu fragen.              auch eine Demokratisierung der Debatte um ge-
              Dabei erscheint fraglich, inwiefern Wahlfreiheit           sellschaftlichen Wandel, den gleichen Zugang und
              und Gestaltungsmacht des Einzelnen im Sinne                die gerechte Verteilung von Ressourcen fordert
              einer „transformative capacity“ (Berger 1995) vo-          (WCED 1987) und damit wichtige Grundsteine
              rausgesetzt werden können bzw. wie gleich oder             für die nachfolgenden Definitionen sozialer Nach-
              ungleich Teilhabechancen in der Gesellschaft               haltigkeit legt, scheint die Debatte gerade diesen
              verteilt sind und ob die Individualisierung nach-          Aspekt oftmals auszublenden.

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Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

Verantwortungsaktivierung (bzw. Responsibilisie-                   gestellt und andere Aspekte, wie die den sozialen
rung), Handlungsmacht, Teilhabemöglichkeiten                       Praktiken tatsächlich inhärenten sozialen Bedeu-
und das Recht auf bzw. die Befähigung zu                           tungen sowie die Bedingungen und Hindernisse
nachhaltigem Konsum stehen daher in einem                          für die Teilhabe an diesen Aktivitäten außer Acht

                                                                                                                          SuN 03/2019
Spannungsverhältnis, das verstanden und bear-                      gelassen werden (Hielscher 2017, Jaeger-Erben et
beitet werden muss, wenn das Projekt „nachhaltige                  al. 2017).
Entwicklung“ nicht scheitern soll.
                                                                   Am Beispiel von Reparatur-Initiativen wollen
Dieses Problem hat zum Teil auch die Umwelt-                       wir im vorliegenden Beitrag diskutieren, wie die
und Nachhaltigkeitspolitik erkannt und sieht                       Potentiale und Herausforderungen für inklu-
insbesondere in sogenannten „sozialen Inno-                        siven nachhaltigen Konsum für Repair-Cafés als
vationen“ einen Weg, die soziale Teilhabe an                       einen spezifischen Typus sozialer Innovationen
nachhaltigem Konsum zu stärken (BMUB/                              reflektiert und analysiert werden können. Dabei
BMJV/BMEL 2016). Im zugehörigen Diskurs                            werden wir im Folgenden zunächst die erhofften
wird insbesondere das Potential von so ge-                         bzw. möglichen Potentiale darstellen, wie sie im
nannten Bottom-Up- und Graswurzel-Initiativen                      wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen
beschrieben, die anhand praktischer Probleme                       Diskurs formuliert werden sowie die wenigen
mit den verfügbaren Möglichkeiten entwickelt                       bisherigen Erkenntnisse zur Realisierung der
werden und lebensweltnahe Lösungen auch für                        Potentiale. Da die Forschung zu Reparatur-Ini-
Nachhaltigkeitsherausforderungen     darstellen                    tiativen aktuell zwar einen starken Aufschwung
(u.a. Rückert-John/Jaeger-Erben 2018, Seyfang/                     erlebt, aber noch in ihren Anfängen begriffen ist,
Smith 2007). Praktische Beispiele hierfür sind                     fehlt aus unserer Sicht eine konzeptionelle Basis
Bürgerenergiegenossenschaften,     solidarische                    zur Betrachtung ihrer sozialen Praxis sowie zur
Landwirtschaft, Urban-Gardening-Projekte sowie                     Bewertung der Teilhabe und Befähigungen, die
Teil- und Tauschgemeinschaften.                                    sie ermöglichen. Im Anschluss entwickeln wir
                                                                   zunächst Vorschläge für analytische Bewertungs-
Zu den vielversprechenden sozialen Innovationen
                                                                   kategorien, indem wir Repair-Cafés auf Basis
werden auch Repair-Cafés und offene Werk-
                                                                   praxistheoretischer Überlegungen als soziale
stätten1 gezählt, deren Anzahl in den vergangenen
                                                                   Settings einer potentiell nachhaltigeren Konsum-
Jahren stetig zu wachsen scheint. Ihnen wird das
                                                                   praxis rekonstruieren. Dabei unternehmen wir
Potential zugesprochen, mit ihren Aktivitäten
                                                                   einen empirischen Exkurs in Repair-Cafés und
gängige Praktiken des Designens, Produzierens
                                                                   präsentieren erste Ergebnisse aus teilnehmenden
und Konsumierens zu demokratisieren und in-
                                                                   Beobachtungen. Hieran anknüpfend und unter
novieren (Schor 2010). Diese Rhetorik hat einen
                                                                   Einbezug von Konzepten sozialer Gerechtigkeit
gewissen Hype um diese Aktivitäten gebracht
                                                                   entwickeln wir Bewertungskriterien für die Unter-
und birgt das Risiko, dass die erhofften und
                                                                   suchung der Inklusions- und Teilhabepotentiale
oftmals projizierten Wirkungen übertrieben dar-
                                                                   von Reparatur-Initiativen.

                                                                   Der Beitrag fokussiert somit insbesondere auf
1   Als Repair-Cafés werden Orte bezeichnet, in denen in re-
    gelmäßigen Abständen auf ehrenamtlicher Basis Alltags-         die Frage, wie die soziale Nachhaltigkeit von Re-
    gegenstände durch Menschen mit Reparatur-Kenntnissen,
                                                                   pair-Initiativen, das heißt die Ermöglichung von
    z.T. auch gemeinsam mit den Besucher*innen repariert
    werden. Offene Werkstätten ist ein Sammelbegriff für Orte,     Teilhabe an sozialen Praktiken der Aneignung von
    in denen Werkzeugen und Maschinen für die Herstellung          Kompetenzen und des „Self-Empowerment“ beob-
    von Gegenständen zur Verfügung stehen, gegen Spende
    oder auch zur Miete. Die Vielfalt reicht von Holzwerkstätten   achtet und untersucht werden kann. Repair-Cafés
    bis hin zu technisch hochgerüsteten Fablabs.

                                                                                                                    47
Melanie Jaeger-Erben / Magdalena Meißner / Sabine Hielscher / Marco Vonnahme - Herausforderung soziale Teilhabe

              werden dabei als soziale Settings gesehen, in              Gemeinschaften initiiert werden (Cipallo et al.
              denen Formen nachhaltigen Konsums praktiziert              2007) und die Beteiligten oftmals mit großem
              werden, wie der Erhalt von Gegenständen sowie              persönlichen Engagement explizit oder implizit
              die Weitergabe und Aneignung von Wissen zur                Alternativen zum nicht-nachhaltigen Konsum
SuN 03/2019

              Ressourcenschonung und zur Lebensdauer-                    entwickeln (Jaeger-Erben et al. 2015, Hielscher/
              verlängerung von Alltagsgegenständen. Soziale              Smith 2014). Die Stabilisierung der innovativen
              Nachhaltigkeit wird dabei zum einen individuell            Initiativen – und somit die Möglichkeit, über-
              über die Teilhabe an sowie die Befähigung zu               haupt langfristige Wirkungen entfalten zu
              nachhaltigem Konsum geschaffen, zum anderen                können – steht und fällt aber damit, ob sie sich
              aber auch generell durch die gesellschaftliche             strukturell stabilisieren können, beispielsweise
              Verbreitung struktureller Möglichkeiten einer              durch das Andocken an etablierten Strukturen
              nachhaltigen Konsumpraxis potentiell gefördert.            (Jaeger-Erben et al. 2017) und/ oder die Integra-
                                                                         tion der alternativen Praktiken in den Alltag und
                                                                         die Routinen einer ausreichenden Zahl von Pra-
              2. Repair Cafés als soziale                                xis-Träger*innen (Rückert-John/Jaeger-Erben
                 Innovation und ihre                                     2018).
                 Potentiale für soziale Teilhabe                         Eine entscheidende Frage ist daher, ob die als in-
                 an nachhaltigem Konsum                                  novativ bezeichneten Initiativen in der Lage sind,
                                                                         Teilhabemöglichkeiten zu schaffen und die Inter-
              Die als soziale Innovationen bezeichneten In-
                                                                         essierten zu befähigen, sich die nötigen Praktiken
              itiativen erregen insbesondere für das ihnen
                                                                         anzueignen und sie bei der Integration in den
              zugeschriebene Potential, gesellschaftliche Struk-
                                                                         Alltag zu unterstützen.
              turen zu verändern und eine sozial-ökologische
              Transformation zu befördern, große Aufmerk-                Die sogenannte Repair-Bewegung (Kannengießer
              samkeit (Hajer et al. 2015).                               2017, Kuni 2016, Grewe 2015, Rosner 2013)
                                                                         tritt in diesem Zusammenhang selbst mit einem
              Auch in der politischen Arena werden sie als
                                                                         großartigen Versprechen an: Die Verbreitung
              potentielle Lösung der Herausforderungen der
                                                                         einer „Reparatur-“ oder „DIY-Kultur“ soll nicht
              Moderne wie Klimawandel, soziale Ungleich-
                                                                         nur eine neue Wertschätzung von Ressourcen
              heit und Arbeitslosigkeit diskutiert (siehe bspw.
                                                                         und ihrer effizienten Nutzung, von Qualität und
              BMUB 2016). Gleichzeitig wird kritisiert, dass
                                                                         Langlebigkeit fördern (Chapman 2010; Pets-
              sich das politische Interesse vorwiegend auf das
                                                                         chow et al. 2014; Cooper 2010). Das Reparieren,
              bloße Aufskalieren solcher Initiativen bezieht, die
                                                                         Modulieren und Selbermachen wird auch als
              für politische Agenden instrumentalisiert werden
                                                                         emanzipatorische Praxis gesehen, die den Gewinn
              können (Smith/Stirling 2016).
                                                                         von Autonomie und Selbstwirksamkeit durch den
              Die akademische empirische Forschung beschäf-              Aufbau von Fähigkeiten in kollaborativen Set-
              tigt sich intensiv mit der Entstehung und den              tings fördert (Petschow et al. 2014, Kohtala 2015,
              Gelingensbedingungen für die Initiierung der als           Salvia et al. 2016, Walter-Herrmann/Büching
              innovativ bezeichneten Initiativen, kann bisher            2013). Repair-Cafés und offene Werkstätten
              aber noch keine umfassenden Antworten zu den               werden als Orte demokratischer Wissens- und
              potentiellen Wirkungen geben. Bestätigt werden             Güterproduktion (ebd.) und einer nachhaltigen
              kann, dass die Initiativen häufig im Rahmen von            Bürger*innen-Bildung (Charter/Keiller 2014,
              Graswurzelaktivitäten und innovativen lokalen              Anderson 2012) verstanden und es wird teil-

              48
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

weise auch gezielt versucht, sozial benachteiligte        Fab Labs und Makerspaces soziale Ungleichheiten
Milieus und Gruppen zu erreichen. Das Repa-               ab (Hielscher 2017). Zudem sind umfassendere
rieren und Selbermachen in öffentlichen Räumen            soziale oder Nachhaltigkeitsziele kein zwingender
wird als politisches Handeln für die kulturelle           Bestandteil von Makerspaces und Fab Labs (Nas-

                                                                                                                    SuN 03/2019
Transformation in Richtung Nachhaltigkeit                 cimento 2014). Dennoch finden in diesen Räumen
(Kannengießer 2017) und zivilgesellschaftliche            Aushandlungen statt, in denen das Spannungs-
Reformstrategie (Bertling/Leggewie 2016) ge-              verhältnis von Menschen und Objekten oder auch
deutet. Dabei sollen nicht nur neue Praktiken der         breiter von Technik und Gesellschaft sowie von
Kollaboration sowie des bürgerlichen Self-Empo-           Produktion und Konsum problematisiert wird
werment gefördert werden, sondern ebenso eine             und die Beteiligten ganz praktische, eigene Lö-
Form der Unabhängigkeit von der Industrie und             sungen entwickeln, mit denen sie ihre alternativen
eine Reduktion der unternehmerischen Macht                Vorstellungen materialisieren (Hielscher 2017).
(Maestri/Wakkary 2011, Kuni 2016, Dewbarry
                                                          Generell lässt sich konstatieren, dass sowohl
et al. 2016). Des Weiteren wird Reparatur als
                                                          für das Reparieren als auch das Selbermachen
Moment der Verantwortungsübernahme bzw.
                                                          eine Vielfalt von Publikationen zu den potenti-
der Bewusstwerdung der eigenen/geteilten Ver-
                                                          ellen Wirkungen (und Hoffnungen) einer relativ
antwortung beschrieben (Jackson 2014, Bertling/
                                                          überschaubaren Zahl an Veröffentlichungen zu
Leggewie 2016). Die Teilhabe und Befähigung ist
                                                          den tatsächlichen Wirkungen gegenüber steht.
damit für die Repair- und DIY-Initiativen nicht
                                                          Die Forschung zu Repair-Initiativen nimmt in
nur ein Mittel, um Reparieren und Selbermachen
                                                          den letzten Jahren zwar zu (z.B. Keiller/Charter
als alternative Praxis gesellschaftlich weiter zu
                                                          2016), konzentriert sich gegenwärtig vor allem auf
verbreiten. Soziale Teilhabe und Empowerment
                                                          die Frage der quantitativen Verbreitung (Anzahl
sind oftmals auch explizite Ziele.
                                                          von Initiativen, Anzahl von Gästen) sowie die
Ob diese Potentiale gehoben und die Versprechen           potentiellen ökologischen Auswirkungen (bspw.
eingelöst werden, lässt sich bisher nicht eindeutig       Vermeidung von Elektroschrott).
beantworten. Es kann davon ausgegangen werden,
                                                          Dabei fehlt nicht nur eine breite empirische
dass zum einen die lokale Praxis von Initiative
                                                          Forschung zu den Wirkungen, es bedarf auch
zu Initiative sehr heterogen ausfallen kann und
                                                          weiterer konzeptioneller Grundlagen für die
zum anderen große Unterschiede zwischen den
                                                          Wirkungsbeobachtung. Hier sehen wir das
Organisations- und Praxistypen bestehen. Ein
                                                          Potential praxistheoretischer Ansätze eine sys-
Repair-Café, das mit dem Fokus auf die Reparatur
                                                          tematische Grundlage für die Untersuchung und
von Fahrrädern von Nachbarschaftsinitiativen
                                                          Beschreibung der sozialen Praxis des Reparierens
organisiert und von einem stark fluktuierenden
                                                          und Selbermachens in spezifischen Settings zu
Kreis an Gästen besucht wird, lässt sich kaum mit
                                                          schaffen. Diese eher rekonstruktive Perspektive
einem technisch gut gerüsteten Makerspace mit
                                                          wollen wir im Folgenden mit einer normativen
festem Kund*innenstamm vergleichen.
                                                          Perspektive auf soziale Teilhabe an und Ermäch-
Die Forschung zu Makerspaces und Fab Labs                 tigung zum nachhaltigen Konsum als Aspekt
zeigt bereits, dass bezüglich Teilhabe und Befä-          sozialer Nachhaltigkeit verbinden. Im Rahmen
higung, aber auch im Hinblick auf die potentielle         eines empirischen Exkurses beschreiben wir aus-
Förderung von nachhaltiger Entwicklung in der             schnitthaft Repair-Cafés in ihrer sozio-materiellen
Gesellschaft durchaus einige Herausforderungen            Entfaltung aus der Perspektive eines Gastes und
zu finden sind. So bilden sich potentiell auch in         identifizieren einige entscheidende Bedingungen

                                                                                                              49
Melanie Jaeger-Erben / Magdalena Meißner / Sabine Hielscher / Marco Vonnahme - Herausforderung soziale Teilhabe

              und Momente für die Teilhabe am Reparieren                 geschriebene Gesetze“, wie soziale Übereinkünfte
              als potentiell nachhaltiger Konsumpraxis sowie             und generalisierte Erwartungen zum „richtigen“
              an der sozialen Innovation Repair-Café als po-             Verhalten und sozialen Rollen. Soziale Praktiken,
              tentieller Teil sozialen Wandels in Richtung               wie z.B. Kochen, Essen, Einkaufen sind somit
SuN 03/2019

              Nachhaltigkeit.                                            arrangierte Bündel aus doings und sayings, also
                                                                         körperlichen und sprachlichen Tätigkeiten (ebd.).
                                                                         Die sozialen Settings bündeln wiederum verschie-
              3. Rekonstruktion von Repair-                              dene Praktiken zu einem sinnhaften, sozialen Ort
                 Cafés als soziales Setting für                          wie dem Repair-Café. Sie geben den hier gekop-
                 nachhaltigen Konsum                                     pelten Praktiken einen gemeinsamen Meta-Text,
                                                                         werden gleichzeitig aber durch die sozialen Prak-
              Bevor eine normative Bewertungsperspektive                 tiken konstituiert. Die Handelnden selbst stehen
              auf Basis von Teilhabekonzepten eingenommen                bei einem praxistheoretischen Ansatz nicht im
              wird, ist zunächst eine detaillierte und systema-          Vordergrund, in einigen praxistheoretischen
              tische Rekonstruktion des Gegenstandsbereichs              Ansätzen wird gar betont, dass sie „vollständig
              notwendig. Da aus unserer Sicht ein Fokus auf die          von den sozial-kulturellen Praktiken abhängen“,
              Aneignung und Verkörperung von Kompetenzen                 (Reckwitz 2006: 40). Da uns im Folgenden vor
              sowie die materielle Praxis, d.h. der Umgang mit           allem die Ermöglichung der Aneignung sozialer
              den Dingen eine gute Grundlage für die Analyse             Praktiken und die Befähigung zur Teilhabe bzw.
              des „Enactement“ von Teilhabe legt, schlagen wir           Teilnahme an einem sozialen Setting des Repa-
              als konzeptionellen Rahmen der Rekonstruktion              rierens interessiert, beziehen wir uns auf Ansätze,
              eine Orientierung an Theorien sozialer Praktiken           die den Akteur und seine Agency stärker in den
              vor.                                                       Vordergrund stellen, wie die Arbeiten von Theo-
                                                                         dore Schatzki und Elizabeth Shove (vgl. auch
              Kennzeichnend für Theorien sozialer Praktiken
                                                                         Jonas 2009). Im Vordergrund steht damit die Si-
              ist der Fokus auf dem praktischen Vollzug/Tun
                                                                         tuativität der sozialen Praktiken und die „practical
              und seiner sozio-materiellen Einbettung. Soziale
                                                                         intellibility” (Schatzki 2002), also das praktische
              Praktiken sind routinierte Handlungsabläufe
                                                                         Verständnis, das den doings und sayings im Pra-
              oder -muster, die auf Basis praktischer Fähig-
                                                                         xisvollzug Sinn verleiht sowie die praktischen
              keiten und Know-Hows in bestimmten sozialen
                                                                         Fähigkeiten zum Vollzug. Die “Agency”, d.h. die
              Settings (wie z.B. Küche, Werkstatt, Labor) unter
                                                                         Handlungswirksamkeit der Akteure ist dabei
              Zuhilfenahme materieller Arrangements aus-
                                                                         nicht vollständig determiniert, sondern wird von
              geführt werden (Shove/Spurling 2013, Brand
                                                                         den “Praktik-Ordnung-Komplexen” (Jonas 2009:
              2012, siehe auch Abbildung 1). In diesen Settings
                                                                         18) nur präfiguriert.
              werden zudem symbolische Ordnungen wirksam,
              wie bspw. Bewertungen von bestimmten Ge-                   Aus dieser Perspektive lassen sich Repair-Cafés
              genständen als begehrenswert oder nicht mehr               als soziale Settings beschreiben, die über ein
              brauchbar. Ein viertes Element sind Regeln und             bestimmtes Set an Praktiken gebildet und zu-
              Prozeduren (Schatzki 2013), die in diesen Settings         sammengehalten werden. Die sozialen Praktiken
              gängig sind, dazu gehören zum einen offizielle             müssen daher mit einer gewissen Regelmäßigkeit
              oder explizite Regelungen, wie Gebrauchsanwei-             im Zusammenhang ausgeführt werden. Das heißt,
              sungen oder die Gewährleistungspflicht, aber               das „Rekrutieren von Praktiken-Trägern“ (Shove
              auch ökonomische Regeln zur Bewertung der                  et al. 2012) über Zeit und Raum hinweg ist essen-
              Wirtschaftlichkeit. Zum anderen gelten auch „un-

              50
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

                                                                                                                              SuN 03/2019
Abbildung 1: Zusammensetzung sozialer Praktiken (aus Brand 2014: 167, angepasst durch Autor*innen)

tiell für die (Re)Produktion der sozialen Praxis                         Herstellung von Identität und sozialer Ordnung
des gemeinschaftlichen Reparierens.                                      (vgl. Ostergard/Janzten 2000) verstanden sowie
                                                                         um die Situativität der Praxis und die im Rahmen
Damit stellen sich schon die ersten beiden Un-
                                                                         der Teilnahme erworbene Teilnehmerkompetenz
tersuchungsfragen für die Rekonstruktion des
                                                                         (vgl. Meyer 2015, Halkier 2006) verstehbar und
Gegenstandsbereichs: Welche Praktiken sind
                                                                         deutbar zu machen. Drei Personen haben hierbei
konstitutiv für das soziale Setting Repair-Café?
                                                                         10 unterschiedliche Repair-Cafés mit einem zu
Wie geht der Prozess der Rekrutierung in das
                                                                         reparierenden Gegenstand besucht und ihre
soziale Setting des Reparierens vonstatten? Wir
                                                                         Erlebnisse und Beobachtungen in detaillierten
wollen die Rekonstruktion empirisch unterlegen,
                                                                         Protokollen festgehalten. Der Fokus lag dabei auch
indem wir aus Feldtagebüchern zitieren, die wir
                                                                         auf der Selbst-Beobachtung, d.h. der Beobach-
im Rahmen teilnehmender (Selbst-)Beobach-
                                                                         tung der doings und sayings im sozialen Setting,
tungen in Repair-Cafés erstellt haben.
                                                                         der gemeinsamen Verkörperung praktischen
Der Zugang der teilnehmenden Beobachtung                                 (Nicht-)Wissens und der Teilhabe am Reparieren
wurde gewählt, um die Doings und Sayings                                 als sozialer Praxis. Die Protokolle wurden im
im sozialen Setting Repair-Café beobachtbar                              Anschluss sowohl von den Beobachter*innen
zu machen (Lüders 2001). Die soziale Praxis                              als auch Nicht-Teilnehmenden induktiv, d.h.
wurde damit über die Träger*innen der Praxis                             orientiert an der Forschungslogik der Grounded
im Prozess der Rekrutierung nachvollzogen.                               Theory (Strauß/Corbin 1990) interpretiert und
Feldforschung und teilnehmende Beobachtung                               offen kodiert. Die Erhebungen und Auswertungen
werden in der praxistheoretisch orientierten                             befinden sich noch im Prozess, d.h. die folgenden
Konsumforschung als adäquate Zugänge zur                                 Ausschnitte und Interpretation sind eine erste
Bedeutung von Konsumpraktiken als Mittel zur                             Annäherung an den Gegenstandsbereich, um

                                                                                                                        51
Melanie Jaeger-Erben / Magdalena Meißner / Sabine Hielscher / Marco Vonnahme - Herausforderung soziale Teilhabe

              konzeptionelle Ideen, Untersuchungsfragen und                        II. Ich bin um 18.45 in X angekommen. Der
              Kategorien für die weitere Untersuchung zu ent-                      große Raum hat leer und verlassen ausge-
              wickeln.                                                             sehen, da an den zwei Reparaturtischen nur
                                                                                   ein paar Personen gesessen haben. (Ich blieb
SuN 03/2019

              Im Folgenden soll also nachvollzogen werden,
                                                                                   erst mal eine Zeit lang unbemerkt.) An einem
              wie ein Repair-Café sich als soziales Setting
                                                                                   Tisch haben zwei Frauen gesessen, wo ein-
              einem neu in dieses Setting eintretendem Akteur
                                                                                   deutig war, dass eine davon die Besucherin
              präsentieren und wie sie in dieses Setting auf-
                                                                                   und die andere die Reparateurin ist, beide ca.
              genommen bzw. hieran beteiligt werden. Die
                                                                                   50 Jahre alt. Die Besucherin hatte einen Laptop
              Protokollausschnitte verbinden wir sukzessive
                                                                                   dabei und beide Frauen waren damit beschäf-
              mit Beobachtungskategorien und –fragen, die
                                                                                   tigt. Neben den Frauen standen drei Männer,
              wiederum in unser oben skizziertes theoretisches
                                                                                   ca. 50 Jahre bis über 60. Als ich reinkam
              Framing rückgebettet werden. Wir konzentrieren
                                                                                   standen die Männer neben dem Tisch, an dem
              uns dabei auf drei mehr oder weniger chronolo-
                                                                                   die Frauen gearbeitet haben, und haben sich
              gisch aufeinander folgende Phasen: 1) Ankunft
                                                                                   unterhalten bzw. das Geschehen an dem Tisch
              und Kontaktaufnahme, 2) Diagnose und 3) Repa-
                                                                                   kommentiert. Ein Mann Mitte 50 ging durch
              ratur.
                                                                                   den Raum, verschwand und kam wieder,
                                                                                   ohne an dem Geschehen beteiligt zu sein oder
                       Ankunft und Kontaktaufnahme
                                                                                   mit den anderen zu interagieren, er schien
                  I. Es sind ca. 10 Reparateure anwesend. Es                       aber alle anwesenden Reparateur*innen zu
                  ist sehr voll. In den Reparaturräumen sind                       kennen. (Beobachter*in 2, Ort 3)
                  überwiegend die Reparateure. Im Café-Raum
                                                                                Die Protokollausschnitte verdeutlichen, dass
                  sind bei meiner Ankunft ca. 20 Personen, die
                                                                                neben dem Reparieren eine Reihe anderer Prak-
                  Kaffee trinken und Kuchen essen, während
                                                                                tiken den sozialen Raum konstituieren, die zum
                  sie darauf warten, aufgerufen zu werden. Der
                                                                                Teil klaren Regeln folgen (Warten, Unterhalten
                  Altersdurchschnitt ist sehr hoch. Ich bin mit
                                                                                und Kaffee trinken, aufgerufen werden zum Re-
                  Abstand der Jüngste. 2 Reparateure in den
                                                                                parieren, etc., siehe Beobachtung I), zum Teil
                  30ern, zwei etwa Mitte 40. Der Rest eher 60
                                                                                aber für den Gast auch zunächst unverständlich
                  aufwärts. Ein Mann2 scheint auf Radios spezi-
                                                                                sein können (siehe Ende der Beobachtung II). Es
                  alisiert zu sein und schon 80 Jahre oder älter
                                                                                scheint also sowohl Prozeduren zu geben, durch
                  zu sein. Es gibt eine traditionelle Geschlechter-
                                                                                die sich der Gast einfach in das soziale Setting ein-
                  trennung zwischen Reparatur (Männer) und
                                                                                fügen kann (oder muss), als auch „Unschärfen“,
                  Café (Frauen). Die Koordination der Repara-
                                                                                die den Gast zunächst irritieren können, aber
                  turen macht W., ca. Mitte 60, im Hauptraum
                                                                                auch neue Selbstverortungen ermöglichen
                  der Scheune an einem der Tische. Auch die
                                                                                (i.S.v.: es muss nicht nur repariert werden). Des
                  Gäste sind überwiegend älter, tendenziell
                                                                                Weiteren werden unterschiedlich verteilte Trä-
                  50+, viele noch älter. […] Insgesamt sehe ich
                                                                                gerschaften der doings und sayings der sozialen
                  ca. 30 Gäste und ca. 15 Menschen, die repa-
                                                                                Praktiken beobachtet: Es gibt Reparateur*innen
                  rieren, Kaffee kochen/ Küche machen oder
                                                                                und Gäste, es gibt Verantwortliche für Empfang,
                  koordinieren. (Beobachter*in 1, Ort 1)
                                                                                Organisation und Café (wobei Repair-Cafés im
                                                                                Allgemeinen nicht zwingend auch den „Café-Teil“
              2    Hier ist darauf hinzuweisen, dass die Beobachter*innen die   praktizieren). Die Protokolle zeigen zudem, dass
                   Geschlechter der Beteiligten nicht erfragt, sondern nach
                   äußeren Merkmalen unterstellt haben.                         es deutliche Unterschiede bzgl. der Anzahl der

              52
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

Gäste und des Umfangs ihrer möglichen Betä-              Über den mitgebrachten Gegenstand wird zu-
tigungen geben kann. Auch ist der Umgang mit             nächst vor allem gesprochen und es treffen
neu ankommenden Gästen unterschiedlich: Im               gewissermaßen zwei Expert*innen aufeinander:
ersten Fall werden sie über feststehende Regeln          Der Gast als „Alltagsexperte“ für den speziellen

                                                                                                                   SuN 03/2019
und Prozeduren (Wartenummer, Aufruf, Repa-               Gegenstand, der ihn aus dem Nutzungskontext
ratur) in die Praxisgemeinschaft involviert, im          kennt und seine Fehlerhaftigkeit beobachtet
zweiten Fall sind diese Prozeduren weniger fest-         hat und der/die Reparateur*in als technische*n
gelegt und müssen für den Moment mehr oder               Expert*in für Gegenstände im Allgemeinen. In
weniger neu ausgehandelt werden. Hier kann               dieser Situation beginnt potentiell die gemein-
die Untersuchung gezielt nach der Anwesenheit            same Wissensproduktion, das heißt Alltags- und
von „Übersetzer*innen“ fragen, die neu Ankom-            Technikexpertise werden kombiniert, es werden
mende in die Praxisgemeinschaft einführen und            aber potentiell auch Kompetenzmarkierungen
ihnen die Regeln und Prozeduren übersetzen.              vorgenommen:
Beide Protokolle beobachten einen eher hohen
                                                            IV. Der Akku ist sehr schwach, aber nicht
Altersdurchschnitt und eine, v.a. im ersten Fall
                                                            grundsätzlich kaputt. M. klinkt sich ein und
deutliche Geschlechtertrennung. Beides wird in
                                                            fragt, was das Problem ist. Forsch fragt er:
Abschnitt 4 noch einmal thematisiert.
                                                            „Kennst Du google?“ Er zückt sein Smartphone
                                                            und sucht mir Angebote für Ersatzakkus raus.
                   Diagnose
                                                            Ich sage, dass ich auch schon darüber nach-
Wie werden die Gäste im weiteren Verlauf in die             gedachte hatte, mir den Akku aber zumindest
Praktiken involviert? Der Gast tritt zunächst in            einmal mit Fachkundigen anschauen möchte,
eine Austauschbeziehung mit den Helfer*innen                weil mich irritiert, dass der Akku gar nicht
und Reparateur*innen ein. Diese Beziehung wird              mehr geht, statt schwach zu werden. (Beob-
über Gegenstände hergestellt, es entsteht somit             achter*in 1, Ort 1)
eine Art „Dreiecksbeziehung“ Mensch-Objekt-
                                                            V. Nach einer Weile hat er mich dann gefragt,
Mensch.
                                                            was mit dem Hubschrauber nicht stimmt und
  III. Es gibt ungefähr fünf Tische, auf die dicke          ich habe die Geschichte mit dem Nicht-rich-
  Decken gelegt wurden (zum Schutz). Auf einem              tig-fliegen-wollen noch mal erzählt und auch,
  Tisch sind ein paar Plastikkisten mit Material            dass ich es schon mit dem älteren Reparateur
  und Werkzeug. Hier sitzt auch eine Frau mit               ausprobiert habe. Daraufhin hat er einfach
  ihrem Handmixer mit ‚ihrem‘ Reparateur.                   gesagt „Es liegt bestimmt nur daran, dass du
  Sie sind tief in ein Gespräch versunken. Am               eine Frau bist und nicht weißt, wie man einen
  nächsten Tisch stehen zwei Männer mit einem               Hubschrauber fliegt.“ (Beobachter*in 2, Ort 5)
  Haushaltsgerät… Sie versuchen abwechselnd
                                                         Für die Untersuchung der Möglichkeiten und
  es zu öffnen (im Grunde für die ganze Stunde,
                                                         Hindernisse der Integration und Teilhabe kann es
  in der ich da war). Es sieht nach keiner einfa-
                                                         also interessant sein zu betrachten, wie Gäste in
  chen Aufgabe aus. Wer nun der Besucher und
                                                         ihrer Alltagsexpertise und Erfahrungskompetenz
  wer der Reparateur ist, ist schwer zu sehen.
                                                         wertgeschätzt werden und inwieweit es zu einem
  Am Nachbarstisch steht ein Drucker/Scanner
                                                         Austausch zwischen Alltags- vs. technische Ex-
  vor zwei Männern. Sie probieren den Scanner
                                                         pertise kommt. Der Prozess erinnert durchaus an
  aus und suchen das Problem/den Fehler. Es
                                                         ein wissenschaftliches Vorgehen: Der Gegenstand
  wird viel diskutiert. (Beobachter*in 3, Ort 8)
                                                         muss analysiert und mögliche Fehlerquellen

                                                                                                             53
Melanie Jaeger-Erben / Magdalena Meißner / Sabine Hielscher / Marco Vonnahme - Herausforderung soziale Teilhabe

              müssen explorativ ermittelt werden, über den Aus-          auch für den Gast, dem der Gegenstand gehört.
              tausch von unterschiedlichen Expertisen (im Sinn           Die Austauschbeziehung im Repair-Café ist auch
              einer Perspektiventriangulation) und schließlich           eine Form von Fürsorge- oder Care-Arbeit: Man
              über die Untersuchung des Gegenstands selbst.              kümmert sich um die Gegenstände und darüber
SuN 03/2019

              Dabei ist die Beschaffenheit des Gegenstands von           vermittelt auch umeinander.
              großer Bedeutung:
                                                                         Ein zweiter entscheidender Moment folgt auf die
                 VI. Er hat sich [den ferngesteuerten Hub-               Diagnose des Fehlers:
                 schrauber] angeschaut und gesagt, dass er
                                                                            VIII. Der Besucher hat seine Tasche aufge-
                 keine Ahnung hat, was an ihm nicht stimmt
                                                                            macht und seinen Drucker gezeigt, dabei hat
                 und dass er sich auch nicht traut, ihn weiter zu
                                                                            er erzählt, was an dem Drucker kaputt ist und
                 fliegen, weil er Angst hat, dass er kaputtgeht,
                                                                            dass das Gerät schon mindestens 10 Jahre
                 geschweige ihn aufzumachen: „Die Dinger
                                                                            alt ist, er aber eigentlich keinen neuen kaufen
                 sind auch noch so teuer…“ (Beobachter*in 2,
                                                                            möchte, weil der nur für den Privatgebrauch
                 Ort 4)
                                                                            absolut ausreichend ist. Ohne sich das Gerät
              Wie der Ausschnitt zeigt, kann der Gegenstand                 anzuschauen hat der Reparateur dem Besu-
              „widerständig“ sein, zum Beispiel durch Miniatu-              cher erzählt, dass eine Reparatur keinen Sinn
              risierung, Geschlossenheit und Fragilität. Hier ist           machen würde, weil die Ersatzteile, die man
              ein erster entscheidender Moment dafür, ob eine               kaufen müsste, viel zu teuer wären und das
              Reparatur tatsächlich in Gang gesetzt wird und                Ganze sich weder finanziell noch aufwand-
              ob das Gelingen der Austauschbeziehung schon                  mäßig lohnen würde. Mit den Worten: „was
              gleich zu Beginn fraglich wird. Die Beschaffenheit            soll ich dir sagen, 10 Jahre ist sowieso gut für
              des Gegenstands (sein Design) kann somit ein                  sonnen Drucker, das Ganze lohnt sich halt
              Hindernis für die Reproduktion der Reparatur-                 nicht, du brauchst halt nen Neuen“ hat sich
              praxis und der Praxisgemeinschaft darstellen. Je              der Reparateur verabschiedet. Sichtbar ent-
              widerständiger der Gegenstand bzw. sein Zustand               täuscht ist der Besucher mit seinem Drucker
              beim Stellen der Diagnose ist, desto höher ist die            gegangen. (Beobachter*in 2, Ort 7)
              Gefahr, dass ein Reparaturversuch nicht unter-
              nommen wird:
                                                                         Wie der letzte Ausschnitt zeigt, spielt bei der Ent-
                 VII. Unter meinen Gegenständen gab es keine
                                                                         scheidung auch die erwartete Lebensdauer des
                 klassischen Reparaturen, die sich klar dia-
                                                                         Gegenstands eine Rolle und die Frage, wann ein
                 gnostizieren und behandeln lassen, sondern
                                                                         Gerät aufgrund seines Alters nicht mehr als loh-
                 nur „Nervkram“. Das beeinflusst die Erfah-
                                                                         nenswert für eine Reparatur angesehen werden.
                 rung. Wenn das Terrain unbekannt ist und
                                                                         Es werden also auch soziale Bedeutungen und
                 viel spekuliert werden muss, wird die Erfah-
                                                                         Wertungen verhandelt, wobei die Bewertung
                 rung schnell unbefriedigend und anstrengend
                                                                         der Reparateur*innen eine entscheidende Rolle
                 für beide Seiten. (Beobachter*in 1, Ort 1)
                                                                         spielt. Folgender Ausschnitt zeigt eine andere
              Gleichzeitig wird in dem zuvor zitierten Ausschnitt        Form der Entscheidung:
              sowohl Sorge (um den fragilen Gegenstand) wie
                                                                            IX. Nun kommt auch ein Reparateur zu mir.
              auch Sorgfalt (im Umgang mit der Fragilität)
                                                                            Er guckt sich das Radio an, das eine ausgelau-
              deutlich, der Reparateur spürt in diesem Moment
                                                                            fene Batterie hat. Das Radio möchte er nicht
              die Verantwortung für den Gegenstand, aber
                                                                            reparieren, das könnte ich selber machen mit

              54
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

   Essig- oder Zitronenwasser. Man müsste es              über den Gegenstand zwangsläufig näher, die
   nur gut reinigen. Die mitgebrachten Kopfhörer          Fürsorge für den Gegenstand wird zu einer ge-
   könnte man reparieren… es ist eine einfache            meinsamen Performance. Der Ausschnitt zeigt
   Reparatur. Man müsste nur die Kabel wieder             auch, dass das Mit-Tun des Gastes möglicherweise

                                                                                                                    SuN 03/2019
   anlöten… die Frage ist nur wie rum. Wir pro-           nicht immer technisch sinnvoll ist. Der Repara-
   bieren es einfach. (Beobachter*in 3, Ort 8)            teur hätte den Gegenstand alleine möglicherweise
                                                          schneller repariert, die Praxis des Reparierens
Der Ausschnitt gibt ein Beispiel dafür, dass eine
                                                          wäre in diesem Fall auch ohne Teilnahme des
Reparatur auch lohnenswert im Sinne von „inte-
                                                          Gastes umsetzbar gewesen. Dies nicht zu tun,
ressant genug“ für den Reparateur sein muss, um
                                                          schafft Möglichkeiten, sich praktisches Wissen
sie vor Ort auszuführen und die eigene Fürsorge
                                                          über das Mit-Tun anzueignen und sich hierüber
zu investieren. Der Gast wird hier auf seine eigen-
                                                          rekrutieren zu lassen. Dieser Raum wird durch
ständigen Möglichkeiten hingewiesen, was auch
                                                          den Reparateur geschaffen, er muss in gewisser
eine Form der Kompetenzförderung sein kann.
                                                          Hinsicht „loslassen“, das heißt die Rekrutierung
Um das Reparieren weiterzugeben und praktisch
                                                          eines anderen Akteurs ermöglichen, indem er sich
zu vollziehen, werden Orte außerhalb des Cafés
                                                          im Praxisvollzug als Körper zurücknimmt. Das
gewissermaßen zu Satelliten und weiteren und
                                                          Loslassen ist dem Setting des Repair-Cafés als
Erfahrungsräumen.
                                                          potentiellen Setting des Wandels geschuldet. Das
                                                          Reparieren ist auch hier zwar wieder die zentrale,
                   Reparatur
                                                          aber nicht die alles entscheidende Praktik, es geht
Ist die Reparatur in Gang gesetzt, wird das expe-         auch um Wissensvermittlung und Kompetenzer-
rimentelle Vorgehen fortgeführt. Die Diagnose ist         weiterung. Der praktische Sinnzusammenhang
hierbei wie eine Hypothese, die durch Auspro-             “etwas ist kaputt und wird repariert” wird überla-
bieren und Auswerten von Ergebnissen überprüft            gert von einem über das Setting hinausweisenden
wird. Das Reparieren lenkt die Austauschbezie-            Sinn “Reparaturkompetenz soll vermittelt
hung noch intensiver als zuvor auf eine körperliche       werden” überlagert. Der Gast kann aber auch jen-
Ebene, insbesondere, wenn gemeinsam repariert             seits eigenen Handanlegens mit-tun, indem er/
wird:                                                     sie Fehler und Funktionen erklärt bekommt:

   X. Er holt das neue Lötgerät, Pinzetten,                  XI. Der Reparateur fragt: ‚Was ist denn
   Lötradiergummi/spritze (zum Aufsaugen des                 kaputt?‘ Ich: ‚Er schaltet sich einfach nicht
   Elektroniklots). Wir müssen die alten Lote                mehr ab.‘ Ich versuche ihn zu öffnen. Es geht
   wegmachen. Ich halte die Kopfhörer und das                nicht. Reparateur: ‚Das ist normal. Er ist
   Lotradiergummi. Er hält den Lötkolben. Die                kalt geworden. Das Problem haben viele. Er
   Kopfhörer sind klein somit ist es eine ganz               ist einfach nicht ganz dicht, durch den Kalk.
   schöne Fummelarbeit. Ich wundere mich, ob                 Da lässt er sich nicht mehr schließen.‘ Nach
   es einfacher wäre, die Reparatur alleine zu               einiger Zeit kommt er wieder und erklärt mir:
   machen. Wir schaffen es aber… und die Kabel               ‚Guck mal. Hier geht der Wasserdampf durch.
   sind auch gleich richtig rum. Sie funktionieren           Dann ist da unten ein Metall, das sich erhitzt
   wieder. Ich bin froh und für ihn war es ein               und das den Schalter ausschaltet. Wenn der
   einfacher Job. (Beobachter*in 3, Ort 9)                   Wasserdampf somit ausweicht, dann erreicht
                                                             er das Metall nicht und der Wasserkocher
Bei der gemeinsamen „Fummelarbeit“ kommen
                                                             schaltet sich nicht ab. (Beobachter*in 3, Ort 9)
sich in dem Beispiel potentiell fremde Menschen

                                                                                                              55
Melanie Jaeger-Erben / Magdalena Meißner / Sabine Hielscher / Marco Vonnahme - Herausforderung soziale Teilhabe

                                                                         Genauso wenig, wie die Einladung zum Mit-Tun
                                                                         selbstverständlich ist, ist auch die Bereitschaft zur
              Dass Gäste zum Mit-Tun eingeladen oder aufge-
                                                                         Teilnahme auf Seiten der Gäste keine Selbstver-
              fordert werden, ist aber keine generelle Praxis,
                                                                         ständlichkeit:
SuN 03/2019

              wie folgender Ausschnitt zeigt:

                 XII Als er den passenden Schraubenzieher                   XIII. Der Gast (Frau) hat eigentlich an ihrem
                 gefunden hat, hat er von selbst angefangen                 Gerät nichts gemacht, es schien so, als ob sie
                 die Schrauben rauszuziehen… nach ein paar                  zur Unterhaltung der zwei Reparateure da
                 Sekunden meinte er dann, dass er noch was                  ist. Während die beiden Männer sich mit dem
                 seinen Kollegen fragen muss und ist in den Ne-             Radio beschäftigt haben, hat sie Witze und
                 benraum gegangen, wo der Koordinator mit                   Anekdoten erzählt. Weder wurde sie von den
                 einer Besucherin was repariert hat. […] Als                Reparateuren einbezogen oder informiert
                 er zurückkam, waren alle Schrauben bereits                 darüber, was da gerade bei der Reparatur
                 draußen bzw. wieder leicht reingeschraubt                  passiert, noch wirkte sie daran interessiert
                 und der Akku hing zwischen den zwei Plastik-               oder hat eine Frage dazu gestellt. (Beobach-
                 scheiben raus. (Beobachter*in 2, Ort 6)                    ter*in 2, Ort 5)

              Für die Untersuchung von Teilhabe am Repa-                    XIV. Währenddessen kommt ein zweiter
              rieren ist es daher auch interessant zu betrachten,           Reparateur (Matthias, ca. Mitte 40) mit
              wie sich Akteure im Café selbst positionieren.                einem Ehepaar (Mann und Frau, ca. 60) an
              Die beiden Reparateure aus den vorgenannten                   den Tisch und erklärt ihnen, wie er ihre Pen-
              Beispielen sind zwar beide Experten für das                   del-Wanduhr repariert hat. Scheinbar hat er
              Materielle, im ersten Fall scheint sich der Repa-             das im Zeitraum seit der letzten Veranstal-
              rateur aber – bewusst oder unbewusst – auch                   tung zuhause gemacht. Er erklärt auch noch,
              im Repair-Café als Setting sozialen Wandels zu                wie die Uhr einzustellen und zu pflegen sei.
              positionieren und damit auch von seiner Rolle                 (Beobachter*in 1, Ort 1)
              als Experte abzuweichen: Er lässt offensichtliche
                                                                         Durch die schrittweise Rekonstruktion des Re-
              Nicht-Experten mittun, die Praxis des Reparierens
                                                                         pair-Cafés als sozialem Setting haben wir nun
              wird mit dem Versuch der Know-How-Vermitt-
                                                                         zunächst einige Fragen und Kategorien entwi-
              lung verbunden. Da es beim Reparieren aber
                                                                         ckelt, die vor allem die Bedingungen für das
              oftmals um so genanntes „tacit knowledge“ geht,
                                                                         Involviert-Werden und Mit-Tun reflektieren.
              also implizites praktisches Wissen im physischen
                                                                         Damit sind Repair-Cafés in ihrer Individualität
              Umgang mit bzw. der Handhabung von Gegen-
                                                                         und Diversität noch längst nicht ausreichend be-
              ständen, müssen Reparateur*innen zunächst
                                                                         schrieben, aber es konnten einige Ansatzpunkte
              eine Form der Übersetzung in kommunizierbares
                                                                         für die folgenden Überlegungen zu den Möglich-
              Wissen finden. Diese Form der Übersetzungsar-
                                                                         keiten und Herausforderungen sozialer Teilhabe
              beit stellt eine zusätzliche Herausforderung für
                                                                         identifiziert werden.
              die Rolle von Repair-Cafés bei der Konsument*in-
              nen-Bildung dar.

              Im zweiten Beispiel ist der Reparateur vor
              allem mit seiner Rolle als technischer Experte
              identifiziert, der Vollzug der Reparatur steht im
              Vordergrund.

              56
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

4. Reparieren in Repair-Cafés aus                        als allgemeine Grundhaltung gegenüber bzw. Ver-
   der Perspektive sozialer Teilhabe                     ortung in der Welt (Bourdieu 1982, 1987). Diese
                                                         Verortungen sind implizit, d.h. sie werden nicht
Reparieren als „wiederentdeckte“ Konsumpraxis            bewusst vorgenommen, sondern über sprachliche

                                                                                                                   SuN 03/2019
im Rahmen von Reparatur-Initiativen wird in              und körperliche Ausdrucksformen sowohl vom
der Literatur auch als Moment der Verantwor-             Akteur selbst als auch von seinem Gegenüber.
tungsübernahme, als Praxis der Kollaboration             Die Selbst- und Fremdverortung schafft eine
und des bürgerlichen Self-Empowerment be-                Ausgangsposition und ermöglicht Orientierung
schrieben. Hier bestehen deutliche Ähnlichkeiten         und Spielraum für eigenes Handeln im sozialen
zu Definitionen sozialer Nachhaltigkeit, die auch        Raum. Sie setzt aber auch Grenzen. Diese Grenzen
dem von Opielka (2016) beschriebenen „weiten“            hängen eng mit den aktuellen und potentiellen
Verständnis sozialer Nachhaltigkeit entsprechen:         Ressourcen der beteiligten Akteure zusammen,
„Soziale Nachhaltigkeit wird hier als gesell-            oder wie Bourdieu (2005) es formuliert, von
schaftliches Projekt, als Transformationsprojekt         ihrem ökonomischen, kulturellen und sozialen
konzipiert.“ (Opielka 2016: 39) Ob diese Verspre-        Kapital. Nach Young (1980) sind die Grenzen oft
chen eingelöst werden, steht und fällt damit, ob         auch geschlechtsspezifisch, insbesondere wenn es
Teilhabe ermöglicht wird und dies kann – wie oben        um kulturell eher männliche bzw. weibliche Prak-
exemplarisch an einigen empirischen Beispielen           tiken geht.
gezeigt – eine sehr fragile Angelegenheit sein. Ab
                                                         Alle Beteiligten bringen somit ihre sozialisierten
dem Eintritt in ein Repair-Café (sicher aber auch
                                                         Erwartungen und damit zusammenhängenden
schon zuvor) finden sich viele Momente, in denen
                                                         verkörperten Praktiken auch in neue soziale
die Versprechen potentiell gebrochen werden
                                                         Räume mit. Wer als neuer Akteur das Setting
können und diese sind bisweilen von den anwe-
                                                         Repair-Café betritt, bringt zunächst den ganz
senden Menschen wenig beeinflussbar, wie bspw.
                                                         eigenen praktischen Sinn für sein Handeln mit.
die Widerständigkeit des Materiellen in Form von
                                                         Er nähert sich dem Setting zunächst „inkompe-
Geräten, die sich nicht öffnen lassen oder nicht
                                                         tent“ und bringt im Idealfall vor allem Neugierde,
diagnostizierbare Schäden haben. Doch nicht
                                                         d.h. eine Bereitschaft zur Aneignung der für das
nur hierin finden sich potentielle „Gefährder“
                                                         Setting relevanten Kompetenzen mit. Er ist in
der Teilhabe. Repair-Cafés sind zwar sozial in-
                                                         seiner Suche nach Hilfe und Unterstützung aber
novativ, indem sie neuartige Settings schaffen,
                                                         auch verletzlich, der Gang zum Repair-Café ist
in denen „alte“, aber etwas ins Abseits gerückte
                                                         gewissermaßen ein Eingeständnis der Inkom-
Kulturtechniken neu eingebettet und umgedeutet
                                                         petenz im Umgang mit dem Gegenstand. Vor
werden. Aber sie schaffen keine isolierten Inseln
                                                         diesem Hintergrund ist es fast erstaunlich, dass
und werden durch die Gesellschaft „da draußen“
                                                         die Literatur in den Repair-Initiativen vor allem
potentiell genauso überformt wie alle anderen
                                                         den Aufbruch und die zivilisatorische Reform
sozialen Settings. Einige der oben zitierten Be-
                                                         sieht, denn sie können Ungleichheiten potentiell
obachtungen weisen darauf hin, dass auch in
                                                         auch verstärken. Reparieren-können kann auch
Repair-Cafés beispielsweise traditionelle Ge-
                                                         als ein Privileg betrachtet werden, das durch Vor-
schlechterrollen und generalisierte Erwartungen
                                                         und Ausbildung, Zugang zu Informationen und
bzgl. der technischen Kompetenzen von Frauen
                                                         Wissen sowie so materiellen Ressourcen, wie Er-
reproduziert werden. Nach Bourdieu reproduziert
                                                         satzteilen und den Werkzeugen konstituiert wird
sich in der Aneignung und Performanz sozialer
                                                         (Houston et al. 2016; Rosner/Ames 2014).
Praktiken der sozialisierte Habitus einer Person

                                                                                                             57
Melanie Jaeger-Erben / Magdalena Meißner / Sabine Hielscher / Marco Vonnahme - Herausforderung soziale Teilhabe

              Ein Fokus auf sozialen Praktiken muss daher auch                         den oben beschriebenen Rekonstruktionen lässt
              berücksichtigen, wie unterschiedlich es verschie-                        sich auch der Gegenstand noch als „Interaktions-
              denen Träger*innen gelingt, die notwendigen                              partner“ hinzufügen und es lässt sich beobachten,
              Elemente (Materialien, Kompetenzen, prakti-                              wie Deutungs- und Gestaltungsmacht zunächst
SuN 03/2019

              schen Sinn) zu integrieren und Zugang zu den                             verhandelt wird. Gast und Reparateur bringen
              entsprechenden sozialen Settings zu erhalten, um                         ihr jeweiliges Expertenwissen mit in den Prozess,
              die Praktik auszuführen (Walker 2014). Wer dies                          beide können aber in ihrer „Machtausübung“ am
              schafft, kann sich gegebenenfalls einen Macht-                           Gegenstand verunsichert werden. Der Gegenstand
              vorteil sichern, denn „to engage in a practice is to                     selbst vermittelt also im Aushandlungsprozess,
              exercise a power“ (Barnes 2001: 28). Neben der                           wird aber auch selbst in gewisser Hinsicht wirk-
              Lesart von sozialer Nachhaltigkeit als Teilhabe                          mächtig.
              an einem gesellschaftlichen Projekt (s.o.) kommt
                                                                                       Die entscheidende Frage ist somit, wie es die
              hiermit auch ein enges Verständnis sozialer Nach-
                                                                                       Praxisgemeinschaft und vor allem die drei Interak-
              haltigkeit (Opielka 2016) zum Tragen, bei dem die
                                                                                       tionspartner der Reparatur praktisch „schaffen“,
              Umverteilung und der Machtausglich im Vorder-
                                                                                       routinierte, möglicherweise Teilhabe verhin-
              grund stehen.
                                                                                       dernde Selbstpositionierungen über bestimmte,
              Nach Watson (2016) eignet sich eine Rekonstruk-                          gewohnte doings und sayings aufzubrechen und
              tion sozialer Praktiken und der damit verbundenen                        die potentielle Reproduktion von Ungleichheiten
              interpersonellen Interaktionen (Sprache, Körper                          zu unterbrechen. Im empirischen Teil haben wir
              und Umgangsweisen), um Gestaltungsmacht und                              einige der entscheidenden Momente und Bedin-
              Möglichkeiten zur Ermächtigung prozedural und                            gungen beschrieben, die Teilhabe ermöglichen
              als Effekt von Performances zu betrachten. Aus                           oder verhindern können. Die folgende Tabelle

                 Beobachtungs-momente/ Phasen der              Beobachtungsschwerpunkte für die Re-          Beobachtungsschwerpunkt für die Bewer-
                      Reparatur im Repair-Café                        konstruktion der Praxis                          tung von Teilhabe
               Ankunft und Kontaktaufnahme                   Öffnung des Felder durch „Überset-             Transparenz der Regeln und Prozesse
                                                             zer*innen“,                                    Freiheitsgrade im Praxisvollzug vs. fehlende
                                                             Regeln und Prozesse,                           Orientierung durch „Unschärfen“ der sozi-
                                                             Kontaktaufnahmen zwischen Gast und             alen Praxis,
                                                             Reparateur*in („inkompetenten“ und             Klarheit der Zuordnung zu sozialen Rollen;
                                                             „kompetenten“ Akteuren)                        Differenzierungen bzw. Selbst-Positionie-
                                                                                                            rungen nach Alter, Geschlecht, Herkunft,
                                                                                                            sozio-ökonomischer Hintergrund etc.
                                                                                                            Voraussetzungen/ Hürden in Bezug auf
                                                                                                            Ressourcen bzw. verfügbares kulturelles,
                                                                                                            soziales und ökonomisches Kapital
               Diagnose                                      Initiation der Gestaltung der sozialen Aus-    Aufbrechen der Rollen Experte – Laie
                                                             tauschbeziehung Reparateur*in – Gast im        Aushandlung von Entscheidungs- und
                                                             Praxisvollzug                                  Gestaltungsmacht im Praxisvollzug
                                                             Austausch/ Vermittlung zwischen All-           Teilhabe an Entscheidungen für/ gegen
                                                             tagsexpertise und technischer Expertise        Reparatur
                                                             Beschaffenheit/ Widerständigkeit des
                                                             Materiellen
                                                             Praktischer Sinn und (Be)Wertungen des
                                                             Materiellen
                                                             Gemeinsame Wissensproduktion Alltags-/
                                                             Technikexpertise
               Reparatur                                     Verbindung von Praktiken des Repa-             „Loslassen“ von Kompetenz und Schaffung
                                                             rierens mit gemeinsamer Wissenspro-            von Lernräumen durch Rekrutierung der
                                                             duktion, Caring, praktischer Bildung/          „inkompetenten“ Laien
                                                             Know-How-Vermittlung und Übersetzung           Neu-Positionierung der Beteiligten als
                                                             von implizitem Wissen im Praxisvollzug         gemeinsam Wirkende jenseits sozialisierter
                                                             Aufforderung/ Einladung zum Mit-Tun            Positionierungen (z.B. genderspezifischer
                                                             Gemeinsame Performanz beim „Aufbre-            Rollen)
                                                             chen“ des Gegenstands

              Tabelle 1: Beobachtungsschwerpunkte für die Rekonstruktion von Repair-Cafés als Praxisgemeinschaft und zur Bewertung von Teilhabe

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