Herbst 2018 - Jesuitenmission

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Herbst 2018
Herbst 2018 - Jesuitenmission
Editorial

      Liebe Leserinnen und Leser!
      Nein. Den Bund der Ehe sind wir nicht eingegangen. Weder wir beide auf dem Foto noch
      die zwei Jesuitenmissionen in Österreich und Deutschland. Aber wir haben einen weiteren
      Schritt zur engeren Zusammenarbeit getan: Sie halten die erste Ausgabe unseres gemein-
      samen Magazins in der Hand.

      Mit dem gemeinsamen Heft erweitern wir den Horizont unserer Projekte und Partner,
      von denen wir Ihnen berichten können. Die österreichische Jesuitenmission ist traditionell
      sehr stark in China engagiert. Die Jesuitenmission in Nürnberg hat enge Verbindungen zu
      Simbabwe, Indien, Indonesien und Japan, wo immer noch einige deutsche Jesuitenmissi-
      onare tätig sind. Aktuell erzählt Pater Johannes Siebner, Provinzial der Deutschen Provinz
      der Jesuiten, von seinem Besuch in Tokio und Hiroshima, in Jakarta und Yogyakarta. Und
      natürlich berichten wir weiter von Projekten, die wir schon lange gemeinsam fördern.
      Dazu zählt das Loyola-Gymnasium im Kosovo, über das Pater Bernhard Bürgler, Provinzi-
      al der Österreichischen Provinz der Jesuiten, in dieser Ausgabe schreibt.

      Voller Dankbarkeit verabschieden wir Pater Hans Tschiggerl, der elf Jahre die Jesuitenmis-
      sion in Wien geleitet hat. Sein Artikel über das kenianische Flüchtlingslager Kakuma zeigt
      deutlich, wieviel Herz und Seele er in diese Arbeit gesteckt hat. Für den Flüchtlingsdienst
      der Jesuiten in Ostafrika möchten wir Sie auch im Namen von Pater Tschiggerl um Un-
      terstützung bitten. Sein Aufbruch zu neuen Aufgaben im Orden hat den Ball ins Rollen
      gebracht für eine länderübergreifende Umstrukturierung: Es gibt jetzt einen Missionspro-
      kurator für Deutschland und Österreich, dem in Wien eine Geschäftsführerin zur Seite
      steht. Einzeln genommen sind wir vielen längst bekannt, als neues Leitungs-Duo freuen
      wir uns auf die gemeinsame Arbeit.

      Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre und danken Ihnen für Ihre Treue!

      Ihre

      Klaus Väthröder SJ		                Mag. Katrin Morales
      Missionsprokurator		                Geschäftsführerin in Wien

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Hilfe für Ostafrika
                                                                                           Inhalt

                           04		 Leben in der Wüste
                           			Hans Tschiggerl SJ war im Flüchtlingslager Kakuma

                           11 Unsere Spendenbitte für Ostafrika
                           		    Unterstützen Sie den Flüchtlingsdienst der Jesuiten

                           12		 „Diese Arbeit ist mein Lebensding“
                           		    Ein Abschiedsinterview mit Hans Tschiggerl SJ

                           14		 „Welcome to Syria!“
                           		    Eindrücke aus dem Land von Judith Behnen

                           18		 Zum Gedenken
Titel Kenia:               		    Eine Meditation von Joe Übelmesser SJ
Eine Turkana-Tänzerin
in Kakuma                  20 Leuchtturm in Prizren
                           		    Ein Bericht aus dem Kosovo von Bernhard Bürgler SJ
Rücktitel Syrien:
Ein Junge im JRS-Projekt   23		 Zwei Länder und viele Eindrücke
in Aleppo
                           		    Johannes Siebner SJ hat Japan und Indonesien besucht

                           26		 Ein Jahr in Vettavalam
                           		    Sebastian Riedel war als Jesuit Volunteer in Südindien

                           28		 Migrationsströme und Geldflüsse
                           		    Jörg Alt SJ über ein Projekt mit afrikanischen Partnern

                           32		 Konzerte für die Kinder von Cali
                           		    Eine Spendenaktion vom Concertbüro Franken

                           34		 weltweit notiert
                           		    Nachruf, Nachrichten, Impressum

                                                                              jesuitenweltweit 3
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JRS Ostafrika

     Leben in der Wüste
     68,5 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Allein 10 Millionen
     von ihnen stammen aus den drei Ländern Südsudan, Somalia und DR Kon-
     go. Sie suchen vor allem in Nachbarländern wie Uganda, Äthiopien, Tansania
     und Kenia Schutz vor Bürgerkrieg, Gewalt, Vertreibung und Nahrungsmangel.
     Pater Hans Tschiggerl hat das Flüchtlingslager Kakuma besucht.

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JRS Ostafrika

M
            ichael und Francis holen mich     lung. Aber meist geht es über Stock und
            in Lodwa ab, der Provinzhaupt-    Stein über die alte gebrochene Straße, die
            stadt des kenianischen Turkana-   ins Nachbarland Südsudan führt. Termi-
Landes. Beide arbeiten für den Flüchtlings-   tensäulen, dürres Gebüsch, teilweise auch
dienst der Jesuiten (JRS) in Kakuma, einem    etwas Grün, Menschen mit Brennholz auf
der größten Lager der Welt. „Eigentlich       den Fahrrädern. Hin und wieder ein Dorf.
vermeiden wir es, nach Lodwa zu fahren“,      Dann am Straßenrand Säcke mit Holzkohle
erfahre ich auf dem Weg zum Auto. Auf der     zum Verkauf. Die Fahrt ist abenteuerlich,
160 Kilometer langen Strecke nach Kaku-       interessant, staubig, durch trockenes Wüs-
ma verstehe ich sofort warum. Die Chine-      tenland, das – man kann es kaum fassen –
sen bauen an einer neuen Straße, aber noch    tatsächlich von Menschen bewohnt wird.
kann man aus dem rumpelnden Auto nur          Eine einzige Wasserstelle habe ich auf der
sehnsüchtig auf den mageren Fortschritt       langen Strecke gesehen. Uns begegnen viele
der Bauarbeiten blicken. Manchmal ist die     Frauen und Kinder, die zu Fuß mit Wasser-
Trasse schon befahrbar – eine echte Erho-     kanistern unterwegs sind.

                                                                           jesuitenweltweit 5
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Hilfe für Ostafrika

      Das Flüchtlingslager Kakuma ist über Jahrzehnte in mehreren Etappen gewachsen. Hier die Siedlung Kalobeyei.

      Zehn Kilometer Flüchtlingslager                            die älteste Siedlung. Davor liegen Fußball-
      Nach mehr als drei Stunden Fahrt erreichen                 plätze im Staub. Das Lager selbst ist wieder
      wir Kakuma. Mein erster Eindruck: Ein                      wie ein großes Dorf. Die Menschen können
      riesiges Dorf mit Markt und vielen Men-                    sich drinnen und auch hinaus frei bewegen,
      schen auf den Beinen. Teilweise gibt es auch               allerdings nicht zu weit weg und nur mit
      gemauerte Häuser und Schulgebäude mit                      Erlaubnis. Am Abend um 18 Uhr müssen
      großen Vorhöfen. Und mitten durch dieses                   alle Hilfsorganisationen (NGOs) das Lager
      Riesendorf geht die Landepiste. Ja, Kakuma                 verlassen haben und die Bewohner zu Hau-
      hat einen Flughafen. Per Luftbrücke organi-                se sein. Direkt neben dem ältesten Teil des
      sieren das Flüchtlingshilfswerk (UNHCR)                    Lagers gibt es eine neue Siedlung. Die 5.
      und das Welternährungsprogramm (WFP)                       Etappe: Kenia will hier neu ankommende
      der Vereinten Nationen die Versorgung im                   Flüchtlinge ansässig machen. An die 30.000
      Lager. Bereits im Jahr 1992, also vor über                 Lokale und Zugezogene wohnen in einem
      25 Jahren, ist es neben dem Dorf entstan-                  sorgfältig aufgebauten Dorf zusammen.
      den. Aus Südsudan, Äthiopien, Somalia,                     Auch hier ist der JRS tätig. Ein interessan-
      Kongo und Burundi sind im Laufe ver-                       tes Projekt, um den Neustart mit Einheimi-
      schiedener Kriege und Krisen Flüchtlinge                   schen und Zugezogenen zu fördern.
      gekommen. In den letzten Monaten ist der
      Zustrom aus dem Südsudan wieder rapide                     Basiskorb und Handygeld
      gestiegen. Aktuell leben 186.000 Flüchtlin-                Michael Onyango, der JRS-Programmdi-
      ge im Lager, mehr als die Hälfte von ihnen                 rektor, erzählt: „Wir sind 25 JRS-Mitar-
      ist unter 18 Jahre alt. Das Flüchtlingslager               beiter hier. Zwölf sind im NGO-Lager vor
      erstreckt sich mittlerweile über zehn Kilo-                dem Camp untergekommen, das etwa 250
      meter und ist in vier Etappen gewachsen.                   NGO-Mitarbeitern Platz bietet. Die an-
      Etappe 1 liegt ganz nah am Dorf und ist                    deren leben bei ihren Familien in Kakuma

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oder sie haben ein Zimmer im Dorf gemie-       Bunter Schilder-Wald
tet. Im Camp selber haben wir unter den        Ein bunter NGO Schilder-Wald ziert die
Flüchtlingen 300 Freiwillige, die in den       Straßen: Schulen, Hilfseinrichtungen und
verschiedenen JRS-Programmen mitarbei-         Förderzentren werden von verschiedenen
ten.“ Einmal im Monat gibt es Essensver-       Hilfsorganisationen betrieben und geför-
sorgung: Grundnahrungsmittel werden an         dert. Der UNHCR wacht mit strengem
die Familien im Flüchtlingslager ausgege-      Auge über ihre Tätigkeiten. „Es gibt wö-
ben sowie ein zusätzlicher Geldbetrag, der     chentliche Berichte und monatliche Tref-
von der Anzahl der Familienmitglieder ab-      fen“, sagt Michael. „Wer nicht performed,
hängig ist. Für eine fünfköpfige Familie be-   wird rausgeworfen.“ Die Arbeit der Jesuiten
läuft sich die Summe auf 1.000 kenianische     ist harmonisch mit dem Lager mitgewach-
Schilling, was umgerechnet rund acht Euro      sen. Es gibt genau fünf JRS-Zentren, in de-
entspricht. Das Geld wird als Einkaufswert     nen vor allem die Flüchtlinge in Kakuma
auf die Mobiltelefone geladen und kann in      Hilfe und Unterstützung finden, die beson-
ausgewählten Geschäften genutzt werden.        deren Schutz brauchen. Entweder, weil sie
                                               eine Behinderung haben, an einer mentalen
Himmlisches Essen beim Äthiopier               Krankheit leiden oder von sexueller Gewalt
Mit Michael fahre ich ins Lager. Die           bedroht sind.
Hauptstraße ist eine Geschäftsstraße wie in
vielen Orten Kenias, nur sind die Geschäfte
eben von Flüchtlingen geführt. Hier sind
die Leute auch noch relativ durchmischt –
später dann beginnt die Zuordnung: „Hier
das Viertel der Somalier, da sind die Äthio-
pier und dort die Burundier.“ Fotoaufnah-
men auf den Wegen und Plätzen sind nicht
gerne gesehen. Das Leben feiert wilde Ur-
stände. Die Hütten sind eng aneinanderge-
schmiegt, teilweise umzäunt mit Wellblech
oder Gebüsch, um Schatten im Innenhof
zu spenden. Die Gassen werden eng, so-
bald man die Hauptstraßen verlässt und
man findet In-Treffpunkte wie die Bar eines
äthiopischen Flüchtlings. Man ist fast an      Auch auf die Arbeit und Zentren des Flüchtlingsdienstes
eine Jazz-Bar im Ausgehviertel der Haupt-      der Jesuiten (JRS) weisen Schilder hin.
stadt Nairobi erinnert. Die Bedienung ist
cool, Räucherwerk lässt auch geruchlich        Blind in der Schule
die Welt draußen vergessen. Und das Essen,     Rhoda, die mit ihrer Familie aus dem Südsu-
das serviert wird, ist himmlisch. Einzig und   dan geflohen ist, kann zum Beispiel nicht
allein die Gäste erinnern daran, dass man      sehen. Trotzdem hat sie die Grundschule
im Flüchtlingslager ist: NGO-Mitarbeiter       im Flüchtlingslager geschafft und geht jetzt
aus Europa, Amerika und Asien, die sich in     auf eine Sekundarschule. „Auch wenn ich
diesem angenehmen Umfeld zu Arbeitssit-        blind bin, weiß ich trotzdem mehr als vie-
zungen zusammenhocken.                         le von euch, die sehen können, und das ist

                                                                                         jesuitenweltweit 7
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     Im Safe Haven finden Frauen und ihre Kinder (oben) einen sicheren Ort. Fotos rechts: Einzelförderung eines behinderten
     Mädchens. Turkana-Tänze und die Jahrgangsbeste Grace Muvunyi bei der Diplomfeier.

     mir wichtig“, sagt sie. Dieses Selbstvertrau-               des JRS-Einsatzes in Kakuma. Safe Haven,
     en hat sie erst lernen müssen. Insgesamt                    sicherer Hafen, heißt das Schutzzentrum im
     sind es über 260 Kinder, Jugendliche und                    ersten Bezirk des Flüchtlingslagers. 62 Frau-
     auch Erwachsene, die mit ihren besonderen                   en und Kinder leben hier. Chantal hat vier
     Bedürfnissen Bildung und Förderung er-                      Mädchen und einen Buben. Ihr Mann hat
     fahren. Ziel ist, die Kinder, so weit es geht,              sie geschlagen, Dinge verlangt, die sie nicht
     in den normalen Unterricht einzugliedern.                   wollte, die Abtreibung eines Jungen gewollt.
     Für die Eltern gibt es Hilfestellungen für                  Sie hat ihn verlassen und hier einen sicheren
     den Umgang mit ihren Kindern. Michael                       Ort gefunden. Adol stammt aus Südsudan.
     erklärt den Ansatz des Projekts: „Indem wir                 Ihr Mann ist gestorben, sein Bruder hat sie
     Flüchtlingen mit Behinderungen helfen, ihr                  geerbt. Der wollte gleich ihre Kinder ver-
     individuelles Potenzial zu entwickeln, sen-                 heiraten, um Geld zu machen. Eine weitere
     sibilisieren wir ihre Umgebung gleichzeitig                 Südsudanesin sollte zwangsverheiratet wer-
     dafür, dass sie Fähigkeiten haben und die-                  den - ihre Mutter unterstützt sie und warnt
     selben Rechte wie alle anderen.“                            sie, ja nicht zurückzukehren. Eine dritte
                                                                 Südsudanesin wurde von ihren Verwand-
     Ein sicherer Hafen                                          ten verstoßen, weil sie ein Kind erwartete.
     Die Begleitung von Frauen und Kindern,                      Eine 18-jährige Äthiopierin wurde von ih-
     die auf der Flucht oder im Lager Gewalt                     rer Tante als Haushaltshilfe ausgenutzt und
     an Körper und Seele erlebt haben, gehört                    geschlagen. Hier kann sie zur Schule gehen
     sicher zu den herausforderndsten Bereichen                  - sie möchte Ärztin werden. Im Dritten Be-

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zirk besuchen wir einen Safe Haven für Bu-
ben. Die meisten der über zwanzig Kinder
und Jugendlichen waren vorher auf sich al-
lein gestellt ohne schützenden Familienhalt.
Sie alle haben Gewalt und Bedrohung oder
Verletzung ihrer Integrität erlebt. Hier kön-
nen sie leben. Zur Schule gehen sie gleich
gegenüber. Im Hof haben sie einen kleinen
Taubenstall eingerichtet - da gibt´s dann
immer wieder mal einen Braten.

Luxus für ein Flüchtlingslager?
Ein durchgängiger Schwerpunkt der JRS-
Arbeit ist die psychosoziale Begleitung. Ins-
gesamt gibt es über 250 Animatoren, die im
ganzen Lager Familien besuchen, Bewusst-
seinsarbeit in den Gemeinschaften machen.
Es geht immer auch um Trauma-Arbeit und
die Bewältigung von Gewalterfahrungen. Es
wird einzeln und in Gruppen beraten. Insge-
samt gibt es mehr als 10.000 Menschen im
Jahr, die vom JRS in diesem Bereich betreut
werden. Michael bedauert, dass durch gestri-
chene Fördergelder die zusätzlichen Maß-
nahmen in der therapeutischen Begleitung
wie etwa Massagen nicht mehr möglich sind:
„Die unterstützende Agentur hat gemeint,
das sei fast wie ein Luxus für ein Flücht-
lingslager.“ Dabei ist gerade für Menschen,
die alles hinter sich gelassen haben, fliehen
mussten, und manchmal auf der Flucht auch
nochmals missbraucht oder andere trauma-
tische Erfahrungen gemacht haben – gerade
für sie ist die Berührung, die liebevolle kör-
perliche, spürbare Nähe wichtig.

Ausbildung im Lerncampus
Weiter geht es zum Lerncampus, den der
JRS betreibt. Schon bei der Einfahrt in den
Hof fallen mir die Solarzellen auf. Tatsäch-
lich wird die Stromversorgung mit Solar-
energie bewerkstelligt. Es gibt verschiede-
ne Lern- und Ausbildungskurse, die ganz
konkret auf die Arbeit im Camp ausgerichtet

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     sind. Zum Beispiel psychosoziales Manage-         ten Aufgaben in Kakuma. Nach aktuellen
     ment: In einer fünfmonatigen Einheit wer-         Zahlen des UNHCR sind 80.840 Kinder
     den Flüchtlinge zu Begleitern ausgebildet.        und Jugendliche im Flüchtlingslager zwi-
     Wir sind bei einem Treffen dabei. Thema:          schen fünf und 17 Jahren alt. Es gibt 21
     Die fünf häufigsten Fehler, die man beim Be-      Schulen, die einzelnen Klassen können bis
     gleitungsgespräch machen kann. Der Lehrer         zu 200 Kinder umfassen. Es gibt zu wenig
     ist beeindruckend lebendig im Vortrag, be-        Lehrer. In sechsmonatigen Kursen vermit-
     zieht die Teilnehmer intensiv mit ein, lädt sie   telt der JRS pädagogisches Grundlagenwis-
     zum Mitarbeiten und Mitreden ein. Ein pä-         sen und praktische Unterrichtsmethoden.
     dagogisches Genie. Ich staune nicht schlecht,     Alle Absolventen bekommen einen Job in
     als ich höre, dass er selbst ein Flüchtling aus   einer Schule. Sie werden während ihrer
     dem Südsudan ist. Viele geflüchtete Men-          Unterrichtstätigkeit weiter begleitet und
     schen kommen mit Know-How und Fä-                 kontinuierlich fortgebildet: „Fast alle unse-
     higkeiten, die sie einbringen möchten. Im         re Studenten unterrichten jetzt schon – sie
     Klassenzimmer sitzen geschätzte 80 Kurs-          holen eine bessere Ausbildung nach. Lehrer
     teilnehmer. „Wenn du hier in Kakuma im            sind hier einfach sehr gefragt.“
     Flüchtlingslager lebst, dann brauchst du
     Hoffnung. Und die wollen wir stärken und          Beeindruckende Diplomfeier
     wecken.“ So beschreibt einer von ihnen sei-       Beeindruckt gehen wir weiter zum Juwel
     ne Motivation für die Ausbildung zum psy-         des JRS-Engagements hier in Kakuma,
     chosozialen Begleiter. Eine Lehrerin ergänzt:     durchgeführt von der neuen Jesuiteniniti-
     „Wir begleiten, damit die Menschen hier           ative JWL – Jesuit Worldwide Learning.
     selbständiger werden und negative Gedan-          Über Internet haben mehr als 100 Stu-
     ken in positive verwandeln können.“               dentinnen und Studenten die Chance, auf
                                                       Universitätsniveau zu studieren und ein
     Ideen für Jungunternehmer                         Zeugnis von der amerikanischen Jesuiten-
     Gemeinschafts- und Wirtschaftsentwicklung         universität Regis zu erhalten. Universitäts-
     ist der zweite Kurs. Er ist auf 17 Wochen an-     präsident Pater John P. Fitgibbons ist zur
     gelegt. JRS-Mitarbeiter Melvin fasst in Wor-      Abschlussfeier des dreijährigen Studiums
     te, was wir auf den Straßen vor den Hütten        ins Flüchtlingslager gekommen. „Ihr habt
     sehen: „So viele Menschen verlieren hier ihre     etwas Wunderbares erreicht“, lobt er die 33
     Motivation und Kreativität. Was können sie        erfolgreichen Absolventen. „Ihr könnt die
     tun? Es gibt wenige Jobs und kaum Möglich-        Welt zum Besseren ändern und die Welt
     keiten, für sich selber zu sorgen.“ Der Kurs      braucht euch dringend.“ Grace Muvunyi ist
     zielt darauf ab, Jungunternehmer mit Ideen        Jahrgangsbeste und stolz auf sich und ihre
     zu animieren, sie zu unterstützen und zu so-      Kommilitonen. Sie wollte schon immer als
     genannten „Agents of Change“ auszubilden.         Sozialarbeiterin anderen Menschen helfen
     Im Flüchtlingslager lassen sich Verkaufsläden     und hält jetzt ihr Universitätszeugnis in
     öffnen, es wird mit Kleidern gehandelt, es        den Händen. Die Freude ist riesengroß und
     gibt Bars und Kaffeehäuser.                       die Feier lässt vergessen, dass wir in einem
                                                       Flüchtlingslager sind. Leben in der Wüste.
     Ohne Lehrer keine Schulen                         Trotz allem blüht das Leben auch hier.
     Die Aus- und Fortbildung von Lehrern
     und Lehrerinnen gehört zu den dringends-                                    Hans Tschiggerl SJ

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                                                                            Hilfe für Ostafrika

Unsere Spendenbitte für Ostafrika
Kenia, Südsudan, Äthiopien, Uganda – in diesen vier ostafrikanischen Ländern ist der
Flüchtlingsdienst der Jesuiten (JRS) aktiv. „17 Jahre verbringt ein Flüchtling hier durch-
schnittlich in einem Lager“, sagt Endashaw Debrework.

Der äthiopische Jesuit leitet den JRS Ostafrika: „Viele der jungen Leute sind in den La-
gern aufgewachsen. Meistens dürfen sie außerhalb der Camps nicht arbeiten und sich
auch nicht frei bewegen. Viele verzweifeln daran. Ein junger Mann sagte mir neulich:
Pater, es ist besser, auf dem Weg nach Europa zu ertrinken als hier im Camp zu verrotten.“
Wie im kenianischen Kakuma hilft der JRS in vielen ostafrikanischen Flüchtlingslagern
mit psychosozialer Begleitung und mit Bildung. Der Lerneifer der südsudanesischen Kin-
der auf dem Foto ist mit Händen zu greifen. Noch ist ihr Vertrauen in die Zukunft nicht
gebrochen. Helfen wir gemeinsam, dass es so bleibt.

Ganz herzlichen Dank für Ihre Spende!

Klaus Väthröder SJ                                               Spendenkonto Österreich
Missionsprokurator                                               IBAN: AT94 2011 1822 5344 0000
                                                                 Spendenkonto Deutschland
                                                                 IBAN: DE61 7509 0300 0005 1155 82
PS: 50 Euro pro Kind und Monat kosten Schulbildung,
Hefte, Kleidung und Essen im Flüchtlingslager.                   Stichwort: X31183 JRS Ostafrika

                                                                           jesuitenweltweit 11
Interview

     „Diese Arbeit ist mein Lebensding“
     Elf Jahre ist Pater Hans Tschiggerl Missionsprokurator in Österreich gewesen.
     Jetzt hat er das Amt an seinen Mitbruder Klaus Väthröder übergeben, der nun
     beide Jesuitenmissionen in Nürnberg und Wien leitet. Zur Geschäftsführerin
     in Österreich wurde Katrin Morales ernannt.

                                                      Hans, wie war dein Einstieg vor elf Jahren?
                                                      Ich war damals schon seit längerer Zeit in
                                                      Vorbereitung auf diesen Dienst in der Je-
                                                      suitenmission gewesen. Ich hatte ein Auf-
                                                      baustudium auf den Philippinen gemacht
                                                      und war dann zehn Jahre im Canisianum
                                                      in Innsbruck in der Priesterausbildung für
                                                      Seminaristen aus Afrika, Lateinamerika,
                                                      Ostasien tätig. Trotzdem war es für mich
                                                      Neuland. Ein Schwerpunkt der Jesuiten-
                                                      mission in Österreich ist ja China. Mein
                                                      Vorgänger Pater Robert Miribung hat in
                                                      den 1980er Jahren, als China sich geöffnet
                                                      hat, sehr viel Pionierarbeit geleistet. Ich
                                                      war dann mit ihm das erste Mal in China
     Katrin, wie bist du bei den Jesuiten gelandet?   und verbrachte einige Wochen bei chine-
     Nach dem BWL-Studium in Wien wollte              sischen Schwestern auf einer Leprastation.
     ich etwas Soziales machen und bin zufäl-         Das war wirklich eine neue Welt für mich
     lig auf den Freiwilligendienst der Jesuiten      und sehr animierend für die Arbeit in der
     gestoßen. Ich habe dann ein JEV-Jahr in          Jesuitenmission.
     Leipzig gemacht und war danach vier Jah-
     re in Venezuela. Dort habe ich mit den Je-       Das Hinausgehen in die Welt fasziniert dich?
     suiten gemeinsam in einem Jugendprojekt          Ja, ich glaube, die Sehnsucht, an die Gren-
     gearbeitet. Aus dieser Zeit kenne ich auch       zen hinaus zu gehen, steckt in mir drin.
     Klaus. Mitte 2007 bin ich an die Jesuiten-       Aber im Grunde bin ich ein schüchterner
     mission in Österreich gekommen.                  Mensch, ein braver Junge vom Land, aus
                                                      der Südsteiermark. Der sich schon auch
     Wofür warst du bisher verantwortlich?            überwinden muss und anderen Kulturen
     Wir sind in Wien ja ein kleines Büro. Ich        eher staunend begegnet. Ein missionieren-
     habe anfangs noch Pater Miribung als             der Impetus fehlt mir dabei, also in dem
     Missionsprokurator erlebt, war später eine       Sinn, dass ich weiß, wie es richtig geht.
     Zeitlang für unsere Freiwilligen, die Jesuit
     Volunteers, zuständig, habe dann die Pro-        Und du bist trotzdem Jesuit geworden?
     jektarbeit übernommen und viel im Bereich        Ich war ja erst im Priesterseminar und am
     Finanzen organisiert.                            Ende des Studiums schien mir, dass die

12 jesuitenweltweit
Interview

Pfarrarbeit doch sehr liturgisch, sakramen-      Klaus, du bist jetzt von Nürnberg aus auch für
tal und priesterlich ist. Ich wollte erst noch   die Jesuitenmission in Wien verantwortlich.
stärker menschlich oder humanitär da sein,       Wie geht das?
Christentum mit Nächstenliebe verbinden.         Nun, es gibt eine sehr gute ICE-Verbindung
Ich habe dann, ähnlich wie Katrin, ein JEV-      nach Wien. Bereits in den letzten Jahren ist
Jahr gemacht, bei den Jesuiten in Kolumbi-       die Zusammenarbeit der deutschsprachi-
en. Das war sicher eine meiner lebensent-        gen Jesuitenmissionen in vielen Bereichen
scheidenden Erfahrungen und hat mir den          sehr eng und intensiv gewesen – sei es in
Mut gegeben zu sagen: Ich werde Priester.        der Projektförderung, der Öffentlichkeitsar-
Befreiungstheologie war damals meine Sa-         beit, dem Freiwilligenprogramm oder auch
che. Der Orden hat mich vor allem durch          durch gemeinsame Projektreisen. Außer-
die Spiritualität und die Exerzitien gelockt.    dem habe ich vollstes Vertrauen zu Katrin,
                                                 mit der ich schon in Venezuela sehr gut zu-
Du warst jetzt elf Jahre Missionsprokurator.     sammengearbeitet habe. Als Geschäftsfüh-
Wie verstehst du Mission?                        rerin in Wien ist sie das Gesicht vor Ort. Ich
Ich denke, die Glaubensperspektive gehört        finde es gut, dass engagierte Laien, Frauen
für uns wesentlich zur Sozialarbeit. Das         und Männer, Führungsrollen in jesuitischen
Christentum ist für mich das Fahrwasser. Ich     Institutionen übernehmen. Und ich denke,
bin überzeugt, dass Gott mich liebt, dass er     dass unsere Spender und Freunde diesen
die Menschen liebt, dass er diese Welt ge-       Weg mitgehen und einer Geschäftsführerin
schaffen hat. Und das gibt meinen Umgang         dasselbe Vertrauen entgegenbringen wie ei-
mit der Welt eine Richtung. Es geht darum,       nem Missionsprokurator.
wie ich das Leben, das ich für mich entdeckt
habe, anderen nicht wegnehme. Vielleicht         Hans, mit was für einem Gefühl verlässt du
muss man Mission wirklich zuerst einmal          die Jesuitenmission?
negativ beschreiben: Eben nicht so zu tun,       Mit Dankbarkeit. Diese Arbeit bedeutet mir
als ob alles nur mir gehört. Dass es mir als     sehr viel und ist irgendwo mein Lebensding.
Österreicher gut geht, ich genug habe und        Ich bin zwar nicht direkt in China oder im
der Rest mir wurscht ist. Ich möchte so le-      Flüchtlingslager Kakuma. Aber ich spüre,
ben, dass andere auch gut leben können. Das      dass ich eine Brücke bauen kann. Beim Be-
gute Leben, das Leben in Fülle, hat nicht nur    such in Kakuma habe ich die Freude und die
einen religiösen, sondern immer auch einen       Tränen der Frauen im Safe Haven erlebt. Die
humanitären, sozialen und kulturellen Hori-      Tränen kommen dann auch bei einem selber,
zont. Es geht um gegenseitiges Lernen, Aus-      wenn sie von ihrem Leid erzählen. Dankbar
tauschen und Wahrnehmen auf ein gemein-          bin ich allen, die unsere Projekte unterstüt-
sames Ziel hin. Nämlich, dass für die ganze      zen. Ich bin mir sicher, dass es für die Jesui-
Welt ein gutes Leben möglich ist.                tenmission sehr gut weitergehen wird.

                                                                     Interview: Judith Behnen

                                                                                jesuitenweltweit 13
Hilfe für Ostafrika

      „Welcome to Syria!“
      Der Flüchtlingsdienst der Jesuiten leistet seit 2012 in Damaskus, Homs, Kafroun
      und Aleppo Nothilfe. Judith Behnen war im Juni vor Ort.

      D
                 ie grauen Plastikplanen mit dem     schen Krieg und Alltag, Tod und Leben,
                 blauen Logo sind in der Altstadt    Verzweiflung und Normalität sind fließend
                 von Damaskus überall zu sehen.      in Syrien.
      Zwei Hände, die ein schützendes Dach bil-
      den, verbunden mit dem Schriftzug UN-          Gehen, bleiben, zurückkommen?
      HCR. Die Abkürzung steht für United            Im engen Gassengewirr der Altstadt biegen
      Nations High Commissioner for Refugees,        wir um die Ecke und stehen vor einem
      dem offiziellen Namen des Flüchtlingshilfs-    schmalen Haus im christlichen Viertel Bab
      werks der Vereinten Nationen. Sorgfältig       Tuma. Die Ordensschwestern, die hier ein-
      umgeschneidert und mit einem Gummizug          mal lebten, haben es dem Flüchtlingsdienst
      versehen, ist eine Plane zur perfekt passen-   der Jesuiten (JRS) zur Nutzung überlassen.
      den Autoabdeckung geworden. Eine andere        Es ist ein typischer Altbau, eng und verwin-
      ist als Sonnenschutz auf einem Balkon in-      kelt, Holzstufen führen vom ersten Stock auf
      stalliert. Mit einer dritten werden abends     die Dachterrasse, im Innenhof steht ein
      die auf der Straße präsentierten Waren eines   schattenspendender Orangenbaum. Ein
      kleinen Ladens zugedeckt. Planen, die aus-     Rückzugsort für das JRS-Team mit Bespre-
      gebombten Flüchtlingen einen Basisschutz       chungsräumen, Küche, Computerarbeits-
      vor Wind und Wetter bieten sollen, lassen      plätzen, Büros. Caroline ist seit der Anfangs-
      sich vielfältig einsetzen. Die Grenzen zwi-    phase dabei, als der JRS 2008 in Damaskus

14 jesuitenweltweit
Syrien

und Aleppo Projekte für irakische Flüchtlin-       gewachsen. Jaramana war traditionell ein
ge gestartet hat. An einen Gewaltausbruch in       Drusen-Viertel. Jetzt ist es sehr gemischt:
Syrien hatte damals noch niemand gedacht.          Drusen, Christen, Muslime. Von Anfang
„Als der Krieg hier am schlimmsten war, sind       an sind viele Familien, die innerhalb Syri-
wir nach Italien geflohen“, erzählt sie. „Wir      ens vor dem Krieg geflohen sind, hierher-
waren zwei Jahre dort, von 2014 bis 2016.          gezogen. Es ist eine Gegend mit viel Not.
Ein Onkel von uns lebte schon in Italien.          Deshalb haben wir uns entschieden, hier
Aber es war sehr hart, auch der ganze Prozess      einen Schwerpunkt unserer Arbeit zu set-
mit den Behörden. Wir haben uns dann ent-          zen.“ Der 37-jährige Jesuit, der in Yabroud
schieden, zurück nach Damaskus zu gehen.“          nahe Damaskus aufgewachsen ist, leitet den
So ganz sicher, ob das die richtige Wahl war,      JRS in Syrien. Im JRS-Zentrum in Jarama-
ist sich Caroline noch nicht. Sally, die beim      na sitzen Mädchen und Jungen im Alter
JRS für die Evaluierung der Projekte zustän-       von acht bis 14 Jahren in kleinen Gruppen
dig ist, fügt hinzu: „Aus meinem Uni-Jahr-         an den im Raum und im Garten verteilten
gang sind alle weg. Alle haben das Land ver-       Tischen. Lesen, Schreiben, Rechnen, Geo-
lassen.“ Georges, der in Aleppo für den JRS        graphie – auf spielerische Weise werden
arbeitet, hat ein Jahr in Freiburg studiert: „Es   Basiskenntnisse vermittelt. „Die meisten
hat mir sehr gut gefallen und ich wäre gerne       unserer Kinder arbeiten, um etwas zum
in Deutschland geblieben. Aber mein 80-jäh-        Familienunterhalt beizutragen“, sagt Pater
riger Vater ist krank und meine Mutter             Fouad. „Wir verurteilen das nicht, son-
braucht meine Hilfe. Meine drei älteren            dern versuchen, ihnen das beizubringen,
Schwestern leben in Jordanien, Dubai und           was ihnen hilft. Sie arbeiten in Fabriken,
der Türkei. Also bin ich zurückgekommen,           Restaurants, Cafés, Bäckereien, Geschäften
denn für meine Eltern ein Visum zu bekom-          oder auf der Straße, oft bis spätabends oder
men, ist nahezu unmöglich.“ Die innere Zer-        auch nachts. Sie kommen morgens nach
rissenheit der jungen, gut ausgebildeten syri-     der Arbeit zu uns ins Zentrum, um etwas
schen JRS-Mitarbeiter ist deutlich zu spüren.      zu essen, zwei Stunden zu lernen und dann
„Gehen oder bleiben oder zurückkommen?             zu spielen. Wir sind keine Schule mit Fron-
Das ist für uns alle die große Frage“, bestätigt   talunterricht und Leistungsansprüchen.
Claude, die Schwester von Caroline. „Vor           Wir wollen die Kinder so begleiten, dass
ein paar Monaten hatten wir als JRS-Team           sie später einmal gute Erinnerungen haben.
ein Besinnungswochenende mit den Jesui-            Denn eine Kindheit haben sie nicht mehr.“
ten. Es ging genau um dieses Thema: nicht          Nachmittags gibt es Kurse für Kinder,
zu wissen, was wir tun sollen, hin und her         die zwar zur Schule gehen, aber aufgrund
gerissen zu sein, ohnmächtig zwischen allen        heillos überfüllter Klassen, fehlender Leh-
Stühlen zu sitzen. Wie entscheiden wir? Und        rer und versäumter Jahre dem Unterricht
was entscheiden wir? Es war so hilfreich, of-      nicht folgen können und große Wissens-
fen darüber sprechen zu können.“                   lücken haben. „Auch schon vor dem Krieg
                                                   war das staatliche Schulsystem für Kinder
Nächtliche Kinderarbeit                            aus armen Familien sehr schlecht“, sagt
Wir fahren nach Jaramana, einem Vorort             Pater Fouad. „Aber jetzt ist alles noch viel
von Damaskus. „Früher war es hier sehr             schlimmer geworden.“ Sieben Jahre Krieg
ländlich“, erzählt Pater Fouad Nakhla.             haben bisher nicht nur 400.000 Todesop-
„Aber dann ist die Stadt bis hierhinaus            fer gefordert und die Hälfte der syrischen

                                                                                jesuitenweltweit 15
Lerngruppe im JRS-Zentrum. JRS-Länderdirektor P. Fouad Nakhla SJ. Zwei Kinder auf der Straße in Aleppo. Einkaufsviertel
     in Damaskus. Familienbesuch in Al-Sakhour. Madonnenbild in Homs. Foto rechts: Aleppo mit Zitadelle im Abendlicht.

16 jesuitenweltweit
Syrien

Bevölkerung entwurzelt, sondern auch eine      hier und da junges Grün. Auf der Wüsten-
verlorene Generation produziert. Eine JRS-     Route nach Aleppo passieren wir verlassene
Mitarbeiterin, selbst erst Mitte zwanzig,      Dörfer und militärische Stützpunkte, die
fasst es so in Worte: „Anders als wir ken-     noch einzelne IS-Stellungen nahe der ira-
nen die Kinder keinen Frieden. Sie sind im     kischen Grenze bekämpfen. Al-Sakhour ist
Krieg aufgewachsen. Für sie ist das normal.    ein Viertel in Ost-Aleppo. Drei Jahre war es
Mein Traum ist, dass sie diese Zeit irgend-    in der Hand der islamistischen Al-Nusra-
wann vergessen können.“                        Front, bevor es nach schweren Kämpfen
                                               von den Regierungstruppen zurückerobert
Bedruckte Betonstopper                         wurde. Ähnlich wie Jaramana ist Al-Sak-
Die Schnellstraße von Damaskus nach            hour ein sozialer Brennpunkt mit viel Leid,
Homs ist erst seit einigen Wochen wieder       Armut und Zerstörung. Im JRS-Zentrum
vollständig geöffnet. Überall sind Plakate     gibt es eine Essensausgabe, eine Klinik,
mit dem Präsidenten oder seinem Vater zu       Alphabetisierungskurse für Frauen, Lern-
sehen. Selbst auf den Betonstoppern an den     und Spielgruppen für Kinder. Über Fa-
vielen Checkpoints prangt das Profil von       milienbesuche werden Kontakte geknüpft
Baschar al-Assad. Junge Soldaten stehen        und Nachbarschaftshilfen organisiert. Die
in der sengenden Hitze und kontrollieren       Wunden sind tief und der Aufbau wird
jedes Fahrzeug. Für unbegrenzte Zeit darf      lange dauern. In der Altstadt von Aleppo
das syrische Militär Männer bis 42 Jahre       liegen historische Straßenzüge unwieder-
zum Wehrdienst einziehen. Wen der Ein-         bringlich in Schutt und Asche. Aber die
berufungsbefehl erreicht, hat keine Chance     Hoffnung der Menschen lebt. „Welcome
auf Entkommen. Angst vor jahrelangem           to Syria!“, wird uns aus einem vorbeifah-
Militärdienst für ein brutales Regime ist      rendem Auto zugerufen. Die Freude, end-
für viele junge Syrer ein weiterer Grund zur   lich wieder Touristen zu sehen, kommt aus
Flucht. Kurz hinter Homs geht es durch         tiefstem Herzen.
ausgebombte, menschenleere Geistervier-
tel. Aus den grauen Häusergerippen wächst                                    Judith Behnen

                                                                            jesuitenweltweit 17
Zum Gedenken
an die Verstummten,

an die für immer Verstummten,

die es nicht geschafft haben

bis zum rettenden Ufer,

obwohl das Meer so blau

und voller Hoffnung schien.

Und er malt.

Er malt immer weiter

und er malt wie einer,

der sich die Bilder

von Grauen und Flucht

von der eigenen Seele malen muss.

Joe Übelmesser SJ

Das Bild stammt aus dem Projekt „Artists in Motion“, das
der Flüchtlingsdienst der Jesuiten (JRS) im äthiopischen La-
ger Mai Ani initiiert hat. Flüchtlinge aus Eritrea verarbeiten
auf künstlerische Weise ihre Erfahrungen. Mebrahtu (45) ist
Kunstlehrer und schreibt über sein Bild: „Der Totenkopf steht
für die wackeligen Boote, in denen Flüchtlinge versuchen,
sichere Gebiete zu erreichen. Um loszufahren, musst du die
Augen schließen. Anders kannst du dich selbst nicht über-
zeugen. Der Junge sieht die Insel, aber die See ist zu stark. Er
hat keine Kontrolle. Er ist hilflos ausgeliefert und hängt zwi-
schen einem Ort der Gefahr und einem Ort der Sicherheit.“
Leuchtturm in Prizren
     Pater Bernhard Bürgler, Provinzial der Jesuiten in Österreich, ist Vorsitzender des
     Trägervereins der Jesuitenschule in Prizren. Er war kürzlich im Kosovo und berich-
     tet von den Entwicklungen im Projekt.

     D
                as Leben im Kosovo ist nicht         Jesuiten in Prizren seit fast fünfzehn Jahren
                leicht. Nach wie vor. Und manche     ein Leuchtturmprojekt. Nach dem Krieg –
                sagen, es wird immer schwieriger.    mehr als die Hälfte aller Schulen im Land
     Im Hinblick auf politische, ökonomische         waren zerstört – suchte eine Gruppe von
     und soziale Aspekte bewerten viele die aktu-    Eltern Unterstützung beim Aufbau eines
     elle Situation negativ. Kosovo gehört trotz,    christlichen Gymnasiums.
     ja vielleicht zu einem Teil auch gerade we-
     gen jahrelanger internationaler Verwaltung      Länderübergreifendes Engagement
     und immenser finanzieller Unterstützung         Unter dem Namen Asociation „Loyola-
     zu den ärmsten Ländern Europas. Es gibt         Gymnasium“ (ALG) wurde im Dezem-
     immense Entwicklungsaufgaben, die in            ber 2003 ein Trägerverein gegründet, dem
     den nächsten Jahren zu bewältigen sind. Sie     neben anderen Organisationen die drei
     betreffen Bereiche wie Demokratisierung,        Jesuitenprovinzen Kroatien, Deutschland
     Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und         und Österreich angehören. Mit finanzieller
     Minderheitenschutz, ökonomische Entwick-        Unterstützung des deutschen Hilfswerkes
     lung, Ökologie, Bildung, Sozialpolitik sowie    Renovabis konnte Gründungsdirektor Pa-
     Sicherheit. Inmitten dieser alles anderen als   ter Walter Happel bereits 2005 Schule und
     leichten Situation ist die Bildungsarbeit der   Internat eröffnen. 2015 übernahm Pater

20 jesuitenweltweit
Kosovo

Axel Bödefeld, ein promovierter Pädagoge       es doch weit weg. Unbekannt, übersehen,
und vormaliger Leiter des Internats in St.     isoliert. Eine ganz andere Welt. Es ist be-
Blasien/Deuschland, die Schule. Er setzt die   rührend und beeindruckend, wenn jeden
Aufbau- und Ausbauarbeit konsequent, mit       Morgen Freiwillige und Jugendliche von
großer Fachkenntnis und großem Engage-         Haus zu Haus gehen, die Kinder abholen
ment, fort.                                    und mit ihnen ins Zentrum gehen. Dort
                                               gibt es einen Kindergarten, wird bei den
Gymnasium und Grundschule                      Hausaufgaben geholfen und Musikunter-
Das Gymnasium, ein mehrstöckiger Ge-           richt erteilt. Schülerinnen und Schüler des
bäudekomplex, zwischen Stadtzentrum            Loyola-Gymnasiums helfen fleißig mit. So
und Autobahn gelegen, hat inzwischen
mehr als 700 Schülerinnen und Schüler,
an die 100 Mädchen und Burschen leben
im Internat. Es zählt zu den renommiertes-
ten und erfolgreichsten Schulen im Land.
Zu den jüngsten Aufnahmeprüfungen für
die sechsten und die zehnten Klassen sind
mehr als 250 Kandidaten aus ganz Kosovo
und auch aus Albanien gekommen. „Vor-
angegangen waren Vorbereitungskurse in
den Fächern der Prüfungen: Mathematik,
Albanisch und Englisch“, schreibt Pater
Bödefeld. „Erstmals waren auch unsere ei-
genen Grundschüler zur Aufnahmeprüfung
für die sechste Klasse angetreten. Die Er-     Pater Bürgler besucht mit seinem Mitbruder Moritz Kuhl-
gebnisse zeigen: Wir werden erstmals vier      mann die Baustelle des neuen Zentrums für Loyola Tranzit.
sechste Klassen einrichten. Das ist sehr er-   Foto links: ABC-Fest in der Grundschule.
freulich!“ Fast 400 Kinder besuchen die Lo-
yola-Grundschule. Sie liegt in der Altstadt    kommen die beiden Welten miteinander in
von Prizren in zwei umfassend renovierten      Kontakt, so werden Vorurteile abgebaut, so
Schulhäusern aus dem Jahr 1929 im Hof          entstehen Freundschaften. Und alle lernen
der Kathedrale.                                voneinander. Das von Moritz Kuhlmann
                                               SJ initiierte Projekt wächst und kann schon
Loyola Tranzit                                 bald in neue Räume umziehen: Am 29. Ap-
Bildung ist der Ansatzpunkt, um Gesell-        ril wurde der Grundstein für das Zentrum
schaft zu verändern. Aber nicht nur der        „Quendra edukative Loyola Tranzit“ gelegt,
Kopf soll gebildet werden, auch das Herz       am 12. Juli Richtfest gefeiert und am 19.
und die Hände. Von Seiten der Schule           September wird es eingeweiht.
gab es einen starken Wunsch nach einer
Möglichkeit für ein sinnvolles soziales En-    Berufsausbildung
gagement der Schülerinnen und Schüler.         Schon länger gibt es Pläne für den Aufbau
Das Ashkali-Viertel bot sich an. Nur ei-       einer dualen Berufsausbildung. In den letz-
nige Minuten vom Gelände des Gymna-            ten Jahren hat sich im Kosovo in den Berei-
siums entfernt, räumlich also nahe, war        chen Wirtschaftsentwicklung einiges getan.

                                                                                      jesuitenweltweit 21
Kosovo

     Da will sich das ALG einklinken. Bis zum                    Projekt auf einem Teil des Areals des freiwer-
     Herbst 2019 soll ein betriebsübergreifendes                 denden KFOR-Feldlagers in Prizren. Dieses
     Ausbildungszentrum und eine berufsbilden-                   Gelände liegt äußerst günstig, zwischen den
     de Hochschule – Shkolla e lartë profesionale                anderen Standorten des ALG. Es ist bestens
     – eröffnet werden. Mit ihr soll, in Kooperati-              erschlossen und bietet mit Maschinenhallen,
     on mit Unternehmen, eine dreijährige duale                  Unterrichtsräumen und Unterkünften opti-
     Berufsausbildung zum Mechatroniker ange-                    male Voraussetzungen.
     boten werden. Warum Mechatroniker? In
     diesem Berufszweig kommen viele moder-                      Wo die Not am größten ist
     ne Fertigkeiten und Kenntnisse zusammen.                    Drei Jesuiten aus Deutschland und Öster-
     Durch die erworbenen Kompetenzen in Me-                     reich leben in Prizren. Benannt haben sie
     chanik, Elektronik und Informationstech-                    ihre kleine Kommunität auf dem Gelände
     nik sind Mechatroniker vielseitig einsetz-                  des Gymnasiums und des Internats nach ei-
                                                                 nem einheimischen Jesuiten: Vëlla Gjon Pan-
                                                                 talia. Geboren 1887 in Prizren trat er 1906
                                                                 in den Jesuitenorden ein. Er war Lehrer am
                                                                 Kolleg in Shkodra, Direktor des Verlagshau-
                                                                 ses „Zoja e Papërlyeme“, Redakteur dreier
                                                                 Zeitschriften. Wie viele andere Jesuiten war
                                                                 er ein glühender Anhänger des Widerstands
                                                                 gegen den albanischen Faschismus italieni-
                                                                 schen Ursprungs. Er wurde 1946 verhaftet,
                                                                 am 31. Oktober 1947 starb er. Er wurde aus
                                                                 dem Fenster des Verhörraumes geworfen.
                                                                 Am 5.11.2016 wurde er, gemeinsam mit 37
                                                                 anderen Märtyrern des albanischen Kommu-
                                                                 nismus, seliggesprochen. Dorthin gehen, wo
     Ashkali-Kinder im Tranzit-Viertel. Loyola Tranzit schlägt   die Not am größten ist – das sollen Jesuiten
     eine Brücke zu den sozial ausgegrenzten Familien.           nach dem Wunsch ihres Gründers Ignatius
                                                                 von Loyola. Im Kosovo, in Prizren, sind sie
     bar, insbesondere in allen automatisierten                  am richtigen Platz. Mithelfen, der jungen
     Fertigungsabläufen. Eine Stärkung des pro-                  Generation in dem von Kriegserinnerungen
     duzierenden Gewerbes ist in Kosovo unver-                   geprägten Land eine unabhängige Bildung
     zichtbar, um Arbeitsplätze und Wirtschafts-                 zu ermöglichen, die Kritikfähigkeit, Selb-
     wachstum zu schaffen. Die Ausbildung                        ständigkeit und Demokratie lehrt, das ist
     richtet sich an Abiturientinnen und Abitu-                  das Ziel. Dafür setzen sich die Mitbrüder
     rienten, sie umfasst deutsch- und englisch-                 und mit ihnen viele motivierte Mitarbeite-
     sprachige Anteile und enthält mit Fächern                   rinnen und Mitarbeiter sowie Freiwillige mit
     wie Wirtschaft und Marketing starke Impul-                  hoher Kompetenz und großem Engagement
     se für eine spätere eigene Existenzgründung.                ein. Und mit ihnen auch viele Frauen und
     Sie soll jungen Menschen eine Perspektive                   Männer außerhalb des Kosovo, die das Pro-
     im Heimatland eröffnen und mittelfristig                    jekt finanziell unterstützen. Ihnen allen von
     Impulse für den Aufbau eines Mittelstan-                    Herzen Dank!
     des geben. Realisiert wird das ambitionierte                                          Bernhard Bürgler SJ

22 jesuitenweltweit
Zwei Länder und
viele Eindrücke

16 deutsche Jesuitenmissionare leben in Japan und Indonesien – jeder ist mittler-
weile über 70. Bei seiner Projektreise hat Pater Johannes Siebner, Provinzial aus
Deutschland, sie alle getroffen und verschiedene jesuitische Einrichtungen besucht.

D
            ie Tage in Japan waren wunder-      weniger Kinder: Im vergangenen Jahr ist die
            schön und die Begegnungen mit       Zahl der Neugeborenen erstmals unter die
            den Mitbrüdern in Tokio und Hi-     Marke von einer Million Babys gefallen. Das
roshima inspirierend. Aber ich muss auch zu-    liegt unter anderem an dem Trend junger Ja-
geben, dass mich die Woche ein wenig ratlos     panerinnen und Japaner, immer später zu hei-
und traurig gestimmt hat. Die Situation der     raten und auch die Geburt des ersten Kindes
japanischen Gesellschaft und darin auch der     hinauszuschieben. In den nächsten 35 Jahren
Kirche hat für den Außenstehenden etwas         wird Japan um 25 bis 30 Millionen Einwoh-
Bedrückendes. Vielleicht täusche ich mich,      ner schrumpfen. Eine Öffnung zu offensiver
vielleicht sind meine Gesprächspartner nicht    und einladender Einwanderungspolitik ist
hinreichend repräsentativ gewesen, aber ich     aber kaum wahrnehmbar. Das legt sich wie
habe doch eine gewisse Isoliertheit „am Rande   Mehltau über das Land, so meine Wahrneh-
Asiens“ wahrgenommen. Die anderen „chop-        mung. In vielen Gesprächen kommt die Rede
stick-nations“ der Region Ostasiens und Süd-    darauf; alle sehen es, aber ich spüre wenig Kre-
ostasiens prosperieren, agieren selbstbewusst   ativität oder gar Aufbruchsstimmung.
auf der Weltbühne und werden wahrgenom-
men. Japans Bevölkerung aber geht rapide        Wachstum ist untersagt
zurück und altert so rasant wie in keinem       Wir stehen auf der Dachterrasse des neues-
anderen Industrieland. Die Lebenserwar-         ten Hochhauses der 1913 gegründeten So-
tung bei den Männern steigt von 80,8 Jahren     phia-Universität der Jesuiten in Tokio. Pater
(2015) bis zum Jahr 2065 auf 84,95 Jahre und    Toshiaki Koso, der ehemalige Rektor, zeigt
bei Frauen von 87 auf 91,35 Jahre. Zugleich     uns von oben den weitläufigen Campus und
gibt es in dem fernöstlichen Inselstaat immer   das Stadtpanorama bis hin zum Palast des

                                                                                jesuitenweltweit 23
Japan – Indonesien

                                                               mit welcher Freude er uns das Kolumbarium
                                                               im Untergeschoss von St. Ignatius gezeigt
                                                               hat. Die ganze Fläche der Unterkirche ist
                                                               praktisch der Friedhof der Gemeinde. Mit
                                                               Augenzwinkern zeigte er uns den Bereich für
                                                               die verstorbenen Jesuiten: „In diesen Teil der
                                                               Kommunität komme ich auch einmal“, sagte
                                                               er. Dass es dann so schnell ging, kam überra-
                                                               schend und ist sehr traurig.

                                                               Klima- und Kulturwechsel
                                                               Gut acht Stunden dauert der Flug von Tokio
                                                               nach Jakarta, wo der zweite Teil der Reise be-
     Pater Siebner mit Pater Kerkmann und Pater Koso auf der   ginnt. Pater Franz Magnis-Suseno holt uns
     Dachterrasse des neuesten Hochhauses der Sophia-Uni-      mit zwei Scholastikern vom Flughafen ab.
     versität in Tokio.                                        Es ist kurz nach Mitternacht und so fällt der
                                                               klimatische Schock einigermaßen gemildert
     Kaisers. „Die Sophia-Universität hat nach                 aus. Aber es ist nicht nur klimatisch ein an-
     wie vor einen hervorragenden Ruf“, erzählt                deres Land, das wir da besuchen – Indonesi-
     er. „Das ist natürlich erfreulich. Aber sie darf          en brummt, so scheint es. Wir verbringen die
     nicht wachsen. Gerne hätten wir eine medi-                ganze Woche auf Java, der fruchtbaren und
     zinische Fakultät. Aber der Staat untersagt               am dichtesten besiedelten Hauptinsel Indo-
     den Universitäten mit Blick auf die zurück-               nesiens, insofern ist es nur ein Ausschnitt
     gehenden Zahlen der jungen Erwachsenen                    dieses riesigen Landes. Wir besuchen unse-
     jedwede Erweiterung, da man damit ja an-                  re Fakultäten in Jakarta (Philosophie) und
     deren Universitäten schaden könnte.“ Orga-                in Yogjakarta (Theologie); als „Schulmann“
     nisierter Stillstand? Kann das funktionieren?             freue ich mich über die Besichtigungen ver-
                                                               schiedener Schulen. Und auch der eher tou-
     Kolumbarium in St. Ignatius                               ristische Teil u.a. am Borobudur-Tempel ist
     Die St. Ignatius-Kirche liegt im Zentrum To-              sehr beeindruckend. Pater „Teddy“ Kieser ist
     kios. Viele Katholiken nehmen weite Wege                  ein wunderbarer Organisator und Reisefüh-
     auf sich, um bei den Jesuiten den Gottes-                 rer durch Zentral-Java.
     dienst zu feiern, vielerlei Kurse zu belegen
     und verschiedene Netzwerke zu pflegen. In                 Solidarität nach Schwertattacke
     der englischsprachigen Sonntagsmesse erle-                Statt aber aufzuzählen, was ich sehen und
     ben wir eine multikulturelle Kirche. Das Ex-              erleben durfte, möchte ich eine besonders
     erzitienhaus in Hiroshima, das wir besuchen,              nachdrückliche Begegnung schildern, die
     ist ein lebendiger Ort der Begegnung der klei-            mich über den Tag hinaus beeindruckt.
     nen Kirche im Südwesten Japans. Besonders                 Wir treffen Pater Karl-Edmund Prier im
     gern erinnere ich die Begegnungen mit Pater               Musikzentrum in Yogjakarta; Pater Prier
     Günther Kerkmann, der uns viele Einsichten                wurde Mitte Februar während eines Gottes-
     in die Gesellschaft Jesu Japans vermittelte.              dienstes von einem wohl verwirrten jungen
     Er ist inzwischen verstorben und ich denke                Mann mit einem Schwert angegriffen und
     in den letzten Wochen immer wieder daran,                 schwer verletzt. In einer Zeit, in der In-

24 jesuitenweltweit
Japan – Indonesien

Der Borobudur-Tempel stammt aus dem 10. Jahrhundert. Pater Prier mit Notenblatt im Musikzentrum Puskat.

donesien immer wieder von islamistischen                  menden Spannung. Aber es überwiegt das
Terroranschlägen heimgesucht wird, ist ein                Vertrauen, genährt aus einer über Jahrzehnte
solcher Anschlag geeignet, noch mehr Ag-                  gewachsenen Demokratie und vor allem aus
gression und noch mehr Spaltung zu brin-                  einem lebendigen interreligiösen Dialog, aus
gen. Aber etwas anders passiert: Die vor al-              einem lebendigen lebensbejahenden Glau-
lem muslimische Nachbarschaft des Dorfes                  ben, aus dem Gebet.
Bedog kommt in die Kirche, zeigt Solida-
rität, hilft tatkräftig bei der Versorgung der            Dankbarkeit und Respekt
Verletzten und organisiert die notwendigen                Japan und Indonesien: zwei sehr unter-
Reparaturen und das Reinigen der Kirche.                  schiedliche Länder mit je eigenen Aufga-
Am Sonntag danach ist die Kirche mit 1.400                ben und Herausforderungen für die Jesu-
Menschen völlig überfüllt – der Sonntagsgot-              iten, die dort leben. Ich bin dankbar für
tesdienst wird zu einem großen Fest für das               die wunderbare Gastfreundschaft, die ich
ganze Dorf. „Ich habe keine Angst“, sagt Pa-              erfahren durfte. Als relativ neuer Provinzial
ter Prier in unserem Gespräch. Er trägt noch              aus der alten Heimat war ich den meisten
immer eine Mütze über dem nachwachsen-                    Mitbrüdern deutscher Herkunft ja unbe-
den Haar, um die frische Narbe am Kopf zu                 kannt – der Gast, der da an die Tür klopf-
verdecken. Keine Angst und kein Zorn. Und                 te (Offb 3,20), war quasi ein Fremder. Ich
das erlebe ich in all den vielen Gesprächen               habe jedoch so viel Vertrauen, Herzlichkeit
mit Mitbrüdern, mit den Mitarbeiterinnen                  und Großzügigkeit erfahren, dass es mich
und Mitarbeitern in vielen verschiedenen                  fast beschämte. Mit einigen Monaten Ab-
Bildungseinrichtungen, auch in den Gesprä-                stand zu meiner Reise gehen die vielen Er-
chen mit den Bischöfen von Jakarta und in                 innerungen, Bilder, Gespräche und Begeg-
Semarang: Sorge, ja. Da ist die Sorge, dass               nungen ein wenig durcheinander, aber was
sich die muslimische, demokratische Mehr-                 bleibt, ist das starke Gefühl der Dankbar-
heitsgesellschaft doch zu sehr mitreißen lässt            keit und des großen Respekts.
von der Welle des islamistischen Populismus.
Da ist keineswegs Naivität ob der zuneh-                                                 Johannes Siebner SJ

                                                                                               jesuitenweltweit 25
Jesuit Volunteers

             weltbegeistert

6067894_JV-Postkarte.indd 2
                                                            Ein Jahr in Vettavalam
                                                                        14.12.15 13:19

                              Sebastian Riedel (32) bereitet sich als Seminarist der Erzdiözese Salzburg darauf
                              vor, Priester zu werden. Sein Weg führte ihn für ein Jahr als Jesuit Volunteer
                              nach Südindien.

                              E
                                      in Jahr anders leben und sich dabei für            nicht immer ganz einfach sind, kann sich
                                      Gerechtigkeit einsetzen – diese beiden             wohl jeder vorstellen. Es war für mich her-
                                      Säulen des Freiwilligenprogramms                   ausfordernd, die Disziplin in den bis zu 70
                              Jesuit Volunteers waren für mich die wesent-               Studierende umfassenden Klassen zu wah-
                              liche Motivation, mich für einen Einsatz zu                ren, geschweige denn die Studierenden zum
                              bewerben. Mittlerweile bin ich wieder in mei-              aktiven Mittun zu animieren. Nicht nur ein-
                              ner Heimat Salzburg und blicke mit großer                  mal nagten Selbstzweifel an mir und manch-
                              Dankbarkeit, aber auch ein wenig Sehnsucht                 mal war ich am Ende des Tages einfach nur
                              zurück auf meine Zeit am Loyola College                    frustriert. Dennoch merkte ich, dass ich all-
                              Vettavalam. Diese im Jahr 2009 von den Je-                 mählich ihr Vertrauen zu gewinnen schien.
                              suiten aus der Taufe gehobene Bildungsein-                 Besonders Sprach-Lernspiele, in denen ich
                              richtung liegt etwa 150 Kilometer südlich von              meist Mädchen gegen Burschen gegeneinan-
                              Chennai, der Hauptstadt des südindischen                   der antreten ließ, waren sehr beliebt. In einer
                              Bundesstaates Tamil Nadu. Das College will                 Gesellschaft, in der Mädchen und Burschen
                              die Bildung Ausgegrenzter und Marginalisier-               in der Mensa räumlich getrennt speisen,
                              ter forcieren, mehr als drei Viertel der 1.200             im Klassenraum getrennt sitzen – die einen
                              Studierenden sind Dalits, die so genannten                 links, die anderen rechts – und von den El-
                              Unberührbaren, und Angehörige der unteren                  tern arrangierte Ehen im ländlichen Raum
                              Kasten. Es gibt Studiengänge in Betriebswirt-              eher die Regel denn Ausnahme sind, schien
                              schaftslehre, Informatik, Mathematik und                   das spielerische „Duell der Geschlechter“
                              Englischer Literatur.                                      eine attraktive Art des Lernens zu sein. Der
                                                                                         Umgang der Geschlechter miteinander, die
                              Licht und Schatten                                         Rolle der Frau in der indischen Gesellschaft,
                              18 Stunden pro Woche unterrichtete ich Eng-                das Verständnis von Sexualität: all diese As-
                              lisch und grundlegende EDV-Kenntnisse.                     pekte waren in Indien fremd und neu für
                              Dass Studierende im Alter von 17-20 Jahren                 mich, überall zeigten sich sowohl Licht- als

             26 jesuitenweltweit
Jesuit Volunteers

Fotoeindrücke aus dem Freiwilligenjahr von
Sebastian. Für einen Einsatz 2019/20 können
Sie sich bis zum 15.10.2018 bewerben. Infos
und Unterlagen unter: jesuit-volunteers.org

auch Schattenseiten. Besonders beeindruckt      se auf die Frage, ob für mich die Lebens-
haben mich indische Gastfreundschaft,           form eines Welt- oder Ordenspriesters am
Hilfsbereitschaft und die omnipräsente und      fruchtbarsten sein könnte.
spürbare Spiritualität der Menschen. Auf
einer Busfahrt staunte ich, als der Fahrer      Eintauchen in die Weltkirche
kurz nach der Abfahrt stoppte, damit sein       Gemeinschaft unter Priestern erlebte ich
Ticketkontrolleur an einem Hindu-Schrein        in Indien sehr intensiv. Ich konnte Projek-
ein Öllämpchen entzünden, Räucherstäb-          te und Kommunitäten des Jesuitenordens,
chen schwingen und die zahlreichen Götter       aber auch diözesane Einrichtungen besu-
um sicheres Geleit bitten konnte.               chen und habe stets „offene Türen“ und
                                                Gleichgesinnte angetroffen. Kirche in Indi-
Persönlicher Glaubensweg                        en ist wie das Land selbst: bunt, plural, auch
Wieso mir gerade die Spiritualität in Indien    etwas kitschig, laut und lebendig. Für mich
so imponierte, hat wohl mit meinem per-         als angehenden Priester war es besonders
sönlichen Werdegang zu tun. Nach einem          schön und bereichernd „die eine katholi-
Bachelorstudium der Öko-Energietechnik          sche, apostolische Kirche“ auch mal anders
und anschließender Tätigkeit in einem In-       zu erleben! Dies gilt auch für den Jesuiten-
genieurbüro für Windenergie bin ich mit         orden selbst. Er agiert weltweit, ist global
26 Jahren ins Priesterseminar Salzburg          präsent, und dennoch sind seine Mitglieder
eingetreten. Meine Berufung aus einem           stark von der jeweiligen Umgebung und
säkularen und „religiös unmusikalischen“        Kultur beeinflusst. Während meines Jahres
(Habermas) Umfeld heraus in die Nach-           in Indien gab es eine Reihe von Heraus-
folge Jesu Christi ist für mich selbst nach     forderungen, aber das Positive überwiegt
wie vor etwas rätselhaft. Mit dem Einstieg      bei Weitem. Regelmäßig erreichen mich
ins Studium der Katholischen Theologie          Nachrichten von meinen Studenten und
bin ich den Jesuiten begegnet und habe die      Studentinnen, die sich erkundigen, wie es
ignatianische Spiritualität schätzen gelernt.   mir geht. Einen schöneren Beweis für den
So war mein Freiwilligeneinsatz auch ein        Erfolg meines Einsatzes könnte ich mir
Schritt zum näheren Kennenlernen des Je-        nicht wünschen.
suitenordens und ich erhoffte mir Hinwei-                                     Sebastian Riedel

                                                                              jesuitenweltweit 27
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