Herbst 2018 - Jesuitenmission
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Editorial Liebe Leserinnen und Leser! Nein. Den Bund der Ehe sind wir nicht eingegangen. Weder wir beide auf dem Foto noch die zwei Jesuitenmissionen in Österreich und Deutschland. Aber wir haben einen weiteren Schritt zur engeren Zusammenarbeit getan: Sie halten die erste Ausgabe unseres gemein- samen Magazins in der Hand. Mit dem gemeinsamen Heft erweitern wir den Horizont unserer Projekte und Partner, von denen wir Ihnen berichten können. Die österreichische Jesuitenmission ist traditionell sehr stark in China engagiert. Die Jesuitenmission in Nürnberg hat enge Verbindungen zu Simbabwe, Indien, Indonesien und Japan, wo immer noch einige deutsche Jesuitenmissi- onare tätig sind. Aktuell erzählt Pater Johannes Siebner, Provinzial der Deutschen Provinz der Jesuiten, von seinem Besuch in Tokio und Hiroshima, in Jakarta und Yogyakarta. Und natürlich berichten wir weiter von Projekten, die wir schon lange gemeinsam fördern. Dazu zählt das Loyola-Gymnasium im Kosovo, über das Pater Bernhard Bürgler, Provinzi- al der Österreichischen Provinz der Jesuiten, in dieser Ausgabe schreibt. Voller Dankbarkeit verabschieden wir Pater Hans Tschiggerl, der elf Jahre die Jesuitenmis- sion in Wien geleitet hat. Sein Artikel über das kenianische Flüchtlingslager Kakuma zeigt deutlich, wieviel Herz und Seele er in diese Arbeit gesteckt hat. Für den Flüchtlingsdienst der Jesuiten in Ostafrika möchten wir Sie auch im Namen von Pater Tschiggerl um Un- terstützung bitten. Sein Aufbruch zu neuen Aufgaben im Orden hat den Ball ins Rollen gebracht für eine länderübergreifende Umstrukturierung: Es gibt jetzt einen Missionspro- kurator für Deutschland und Österreich, dem in Wien eine Geschäftsführerin zur Seite steht. Einzeln genommen sind wir vielen längst bekannt, als neues Leitungs-Duo freuen wir uns auf die gemeinsame Arbeit. Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre und danken Ihnen für Ihre Treue! Ihre Klaus Väthröder SJ Mag. Katrin Morales Missionsprokurator Geschäftsführerin in Wien 2 jesuitenweltweit
Hilfe für Ostafrika Inhalt 04 Leben in der Wüste Hans Tschiggerl SJ war im Flüchtlingslager Kakuma 11 Unsere Spendenbitte für Ostafrika Unterstützen Sie den Flüchtlingsdienst der Jesuiten 12 „Diese Arbeit ist mein Lebensding“ Ein Abschiedsinterview mit Hans Tschiggerl SJ 14 „Welcome to Syria!“ Eindrücke aus dem Land von Judith Behnen 18 Zum Gedenken Titel Kenia: Eine Meditation von Joe Übelmesser SJ Eine Turkana-Tänzerin in Kakuma 20 Leuchtturm in Prizren Ein Bericht aus dem Kosovo von Bernhard Bürgler SJ Rücktitel Syrien: Ein Junge im JRS-Projekt 23 Zwei Länder und viele Eindrücke in Aleppo Johannes Siebner SJ hat Japan und Indonesien besucht 26 Ein Jahr in Vettavalam Sebastian Riedel war als Jesuit Volunteer in Südindien 28 Migrationsströme und Geldflüsse Jörg Alt SJ über ein Projekt mit afrikanischen Partnern 32 Konzerte für die Kinder von Cali Eine Spendenaktion vom Concertbüro Franken 34 weltweit notiert Nachruf, Nachrichten, Impressum jesuitenweltweit 3
JRS Ostafrika Leben in der Wüste 68,5 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Allein 10 Millionen von ihnen stammen aus den drei Ländern Südsudan, Somalia und DR Kon- go. Sie suchen vor allem in Nachbarländern wie Uganda, Äthiopien, Tansania und Kenia Schutz vor Bürgerkrieg, Gewalt, Vertreibung und Nahrungsmangel. Pater Hans Tschiggerl hat das Flüchtlingslager Kakuma besucht. 4 jesuitenweltweit
JRS Ostafrika M ichael und Francis holen mich lung. Aber meist geht es über Stock und in Lodwa ab, der Provinzhaupt- Stein über die alte gebrochene Straße, die stadt des kenianischen Turkana- ins Nachbarland Südsudan führt. Termi- Landes. Beide arbeiten für den Flüchtlings- tensäulen, dürres Gebüsch, teilweise auch dienst der Jesuiten (JRS) in Kakuma, einem etwas Grün, Menschen mit Brennholz auf der größten Lager der Welt. „Eigentlich den Fahrrädern. Hin und wieder ein Dorf. vermeiden wir es, nach Lodwa zu fahren“, Dann am Straßenrand Säcke mit Holzkohle erfahre ich auf dem Weg zum Auto. Auf der zum Verkauf. Die Fahrt ist abenteuerlich, 160 Kilometer langen Strecke nach Kaku- interessant, staubig, durch trockenes Wüs- ma verstehe ich sofort warum. Die Chine- tenland, das – man kann es kaum fassen – sen bauen an einer neuen Straße, aber noch tatsächlich von Menschen bewohnt wird. kann man aus dem rumpelnden Auto nur Eine einzige Wasserstelle habe ich auf der sehnsüchtig auf den mageren Fortschritt langen Strecke gesehen. Uns begegnen viele der Bauarbeiten blicken. Manchmal ist die Frauen und Kinder, die zu Fuß mit Wasser- Trasse schon befahrbar – eine echte Erho- kanistern unterwegs sind. jesuitenweltweit 5
Hilfe für Ostafrika Das Flüchtlingslager Kakuma ist über Jahrzehnte in mehreren Etappen gewachsen. Hier die Siedlung Kalobeyei. Zehn Kilometer Flüchtlingslager die älteste Siedlung. Davor liegen Fußball- Nach mehr als drei Stunden Fahrt erreichen plätze im Staub. Das Lager selbst ist wieder wir Kakuma. Mein erster Eindruck: Ein wie ein großes Dorf. Die Menschen können riesiges Dorf mit Markt und vielen Men- sich drinnen und auch hinaus frei bewegen, schen auf den Beinen. Teilweise gibt es auch allerdings nicht zu weit weg und nur mit gemauerte Häuser und Schulgebäude mit Erlaubnis. Am Abend um 18 Uhr müssen großen Vorhöfen. Und mitten durch dieses alle Hilfsorganisationen (NGOs) das Lager Riesendorf geht die Landepiste. Ja, Kakuma verlassen haben und die Bewohner zu Hau- hat einen Flughafen. Per Luftbrücke organi- se sein. Direkt neben dem ältesten Teil des sieren das Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) Lagers gibt es eine neue Siedlung. Die 5. und das Welternährungsprogramm (WFP) Etappe: Kenia will hier neu ankommende der Vereinten Nationen die Versorgung im Flüchtlinge ansässig machen. An die 30.000 Lager. Bereits im Jahr 1992, also vor über Lokale und Zugezogene wohnen in einem 25 Jahren, ist es neben dem Dorf entstan- sorgfältig aufgebauten Dorf zusammen. den. Aus Südsudan, Äthiopien, Somalia, Auch hier ist der JRS tätig. Ein interessan- Kongo und Burundi sind im Laufe ver- tes Projekt, um den Neustart mit Einheimi- schiedener Kriege und Krisen Flüchtlinge schen und Zugezogenen zu fördern. gekommen. In den letzten Monaten ist der Zustrom aus dem Südsudan wieder rapide Basiskorb und Handygeld gestiegen. Aktuell leben 186.000 Flüchtlin- Michael Onyango, der JRS-Programmdi- ge im Lager, mehr als die Hälfte von ihnen rektor, erzählt: „Wir sind 25 JRS-Mitar- ist unter 18 Jahre alt. Das Flüchtlingslager beiter hier. Zwölf sind im NGO-Lager vor erstreckt sich mittlerweile über zehn Kilo- dem Camp untergekommen, das etwa 250 meter und ist in vier Etappen gewachsen. NGO-Mitarbeitern Platz bietet. Die an- Etappe 1 liegt ganz nah am Dorf und ist deren leben bei ihren Familien in Kakuma 6 jesuitenweltweit
JRS Ostafrika oder sie haben ein Zimmer im Dorf gemie- Bunter Schilder-Wald tet. Im Camp selber haben wir unter den Ein bunter NGO Schilder-Wald ziert die Flüchtlingen 300 Freiwillige, die in den Straßen: Schulen, Hilfseinrichtungen und verschiedenen JRS-Programmen mitarbei- Förderzentren werden von verschiedenen ten.“ Einmal im Monat gibt es Essensver- Hilfsorganisationen betrieben und geför- sorgung: Grundnahrungsmittel werden an dert. Der UNHCR wacht mit strengem die Familien im Flüchtlingslager ausgege- Auge über ihre Tätigkeiten. „Es gibt wö- ben sowie ein zusätzlicher Geldbetrag, der chentliche Berichte und monatliche Tref- von der Anzahl der Familienmitglieder ab- fen“, sagt Michael. „Wer nicht performed, hängig ist. Für eine fünfköpfige Familie be- wird rausgeworfen.“ Die Arbeit der Jesuiten läuft sich die Summe auf 1.000 kenianische ist harmonisch mit dem Lager mitgewach- Schilling, was umgerechnet rund acht Euro sen. Es gibt genau fünf JRS-Zentren, in de- entspricht. Das Geld wird als Einkaufswert nen vor allem die Flüchtlinge in Kakuma auf die Mobiltelefone geladen und kann in Hilfe und Unterstützung finden, die beson- ausgewählten Geschäften genutzt werden. deren Schutz brauchen. Entweder, weil sie eine Behinderung haben, an einer mentalen Himmlisches Essen beim Äthiopier Krankheit leiden oder von sexueller Gewalt Mit Michael fahre ich ins Lager. Die bedroht sind. Hauptstraße ist eine Geschäftsstraße wie in vielen Orten Kenias, nur sind die Geschäfte eben von Flüchtlingen geführt. Hier sind die Leute auch noch relativ durchmischt – später dann beginnt die Zuordnung: „Hier das Viertel der Somalier, da sind die Äthio- pier und dort die Burundier.“ Fotoaufnah- men auf den Wegen und Plätzen sind nicht gerne gesehen. Das Leben feiert wilde Ur- stände. Die Hütten sind eng aneinanderge- schmiegt, teilweise umzäunt mit Wellblech oder Gebüsch, um Schatten im Innenhof zu spenden. Die Gassen werden eng, so- bald man die Hauptstraßen verlässt und man findet In-Treffpunkte wie die Bar eines äthiopischen Flüchtlings. Man ist fast an Auch auf die Arbeit und Zentren des Flüchtlingsdienstes eine Jazz-Bar im Ausgehviertel der Haupt- der Jesuiten (JRS) weisen Schilder hin. stadt Nairobi erinnert. Die Bedienung ist cool, Räucherwerk lässt auch geruchlich Blind in der Schule die Welt draußen vergessen. Und das Essen, Rhoda, die mit ihrer Familie aus dem Südsu- das serviert wird, ist himmlisch. Einzig und dan geflohen ist, kann zum Beispiel nicht allein die Gäste erinnern daran, dass man sehen. Trotzdem hat sie die Grundschule im Flüchtlingslager ist: NGO-Mitarbeiter im Flüchtlingslager geschafft und geht jetzt aus Europa, Amerika und Asien, die sich in auf eine Sekundarschule. „Auch wenn ich diesem angenehmen Umfeld zu Arbeitssit- blind bin, weiß ich trotzdem mehr als vie- zungen zusammenhocken. le von euch, die sehen können, und das ist jesuitenweltweit 7
JRS Ostafrika Im Safe Haven finden Frauen und ihre Kinder (oben) einen sicheren Ort. Fotos rechts: Einzelförderung eines behinderten Mädchens. Turkana-Tänze und die Jahrgangsbeste Grace Muvunyi bei der Diplomfeier. mir wichtig“, sagt sie. Dieses Selbstvertrau- des JRS-Einsatzes in Kakuma. Safe Haven, en hat sie erst lernen müssen. Insgesamt sicherer Hafen, heißt das Schutzzentrum im sind es über 260 Kinder, Jugendliche und ersten Bezirk des Flüchtlingslagers. 62 Frau- auch Erwachsene, die mit ihren besonderen en und Kinder leben hier. Chantal hat vier Bedürfnissen Bildung und Förderung er- Mädchen und einen Buben. Ihr Mann hat fahren. Ziel ist, die Kinder, so weit es geht, sie geschlagen, Dinge verlangt, die sie nicht in den normalen Unterricht einzugliedern. wollte, die Abtreibung eines Jungen gewollt. Für die Eltern gibt es Hilfestellungen für Sie hat ihn verlassen und hier einen sicheren den Umgang mit ihren Kindern. Michael Ort gefunden. Adol stammt aus Südsudan. erklärt den Ansatz des Projekts: „Indem wir Ihr Mann ist gestorben, sein Bruder hat sie Flüchtlingen mit Behinderungen helfen, ihr geerbt. Der wollte gleich ihre Kinder ver- individuelles Potenzial zu entwickeln, sen- heiraten, um Geld zu machen. Eine weitere sibilisieren wir ihre Umgebung gleichzeitig Südsudanesin sollte zwangsverheiratet wer- dafür, dass sie Fähigkeiten haben und die- den - ihre Mutter unterstützt sie und warnt selben Rechte wie alle anderen.“ sie, ja nicht zurückzukehren. Eine dritte Südsudanesin wurde von ihren Verwand- Ein sicherer Hafen ten verstoßen, weil sie ein Kind erwartete. Die Begleitung von Frauen und Kindern, Eine 18-jährige Äthiopierin wurde von ih- die auf der Flucht oder im Lager Gewalt rer Tante als Haushaltshilfe ausgenutzt und an Körper und Seele erlebt haben, gehört geschlagen. Hier kann sie zur Schule gehen sicher zu den herausforderndsten Bereichen - sie möchte Ärztin werden. Im Dritten Be- 8 jesuitenweltweit
JRS Ostafrika zirk besuchen wir einen Safe Haven für Bu- ben. Die meisten der über zwanzig Kinder und Jugendlichen waren vorher auf sich al- lein gestellt ohne schützenden Familienhalt. Sie alle haben Gewalt und Bedrohung oder Verletzung ihrer Integrität erlebt. Hier kön- nen sie leben. Zur Schule gehen sie gleich gegenüber. Im Hof haben sie einen kleinen Taubenstall eingerichtet - da gibt´s dann immer wieder mal einen Braten. Luxus für ein Flüchtlingslager? Ein durchgängiger Schwerpunkt der JRS- Arbeit ist die psychosoziale Begleitung. Ins- gesamt gibt es über 250 Animatoren, die im ganzen Lager Familien besuchen, Bewusst- seinsarbeit in den Gemeinschaften machen. Es geht immer auch um Trauma-Arbeit und die Bewältigung von Gewalterfahrungen. Es wird einzeln und in Gruppen beraten. Insge- samt gibt es mehr als 10.000 Menschen im Jahr, die vom JRS in diesem Bereich betreut werden. Michael bedauert, dass durch gestri- chene Fördergelder die zusätzlichen Maß- nahmen in der therapeutischen Begleitung wie etwa Massagen nicht mehr möglich sind: „Die unterstützende Agentur hat gemeint, das sei fast wie ein Luxus für ein Flücht- lingslager.“ Dabei ist gerade für Menschen, die alles hinter sich gelassen haben, fliehen mussten, und manchmal auf der Flucht auch nochmals missbraucht oder andere trauma- tische Erfahrungen gemacht haben – gerade für sie ist die Berührung, die liebevolle kör- perliche, spürbare Nähe wichtig. Ausbildung im Lerncampus Weiter geht es zum Lerncampus, den der JRS betreibt. Schon bei der Einfahrt in den Hof fallen mir die Solarzellen auf. Tatsäch- lich wird die Stromversorgung mit Solar- energie bewerkstelligt. Es gibt verschiede- ne Lern- und Ausbildungskurse, die ganz konkret auf die Arbeit im Camp ausgerichtet jesuitenweltweit 9
JRS Ostafrika sind. Zum Beispiel psychosoziales Manage- ten Aufgaben in Kakuma. Nach aktuellen ment: In einer fünfmonatigen Einheit wer- Zahlen des UNHCR sind 80.840 Kinder den Flüchtlinge zu Begleitern ausgebildet. und Jugendliche im Flüchtlingslager zwi- Wir sind bei einem Treffen dabei. Thema: schen fünf und 17 Jahren alt. Es gibt 21 Die fünf häufigsten Fehler, die man beim Be- Schulen, die einzelnen Klassen können bis gleitungsgespräch machen kann. Der Lehrer zu 200 Kinder umfassen. Es gibt zu wenig ist beeindruckend lebendig im Vortrag, be- Lehrer. In sechsmonatigen Kursen vermit- zieht die Teilnehmer intensiv mit ein, lädt sie telt der JRS pädagogisches Grundlagenwis- zum Mitarbeiten und Mitreden ein. Ein pä- sen und praktische Unterrichtsmethoden. dagogisches Genie. Ich staune nicht schlecht, Alle Absolventen bekommen einen Job in als ich höre, dass er selbst ein Flüchtling aus einer Schule. Sie werden während ihrer dem Südsudan ist. Viele geflüchtete Men- Unterrichtstätigkeit weiter begleitet und schen kommen mit Know-How und Fä- kontinuierlich fortgebildet: „Fast alle unse- higkeiten, die sie einbringen möchten. Im re Studenten unterrichten jetzt schon – sie Klassenzimmer sitzen geschätzte 80 Kurs- holen eine bessere Ausbildung nach. Lehrer teilnehmer. „Wenn du hier in Kakuma im sind hier einfach sehr gefragt.“ Flüchtlingslager lebst, dann brauchst du Hoffnung. Und die wollen wir stärken und Beeindruckende Diplomfeier wecken.“ So beschreibt einer von ihnen sei- Beeindruckt gehen wir weiter zum Juwel ne Motivation für die Ausbildung zum psy- des JRS-Engagements hier in Kakuma, chosozialen Begleiter. Eine Lehrerin ergänzt: durchgeführt von der neuen Jesuiteniniti- „Wir begleiten, damit die Menschen hier ative JWL – Jesuit Worldwide Learning. selbständiger werden und negative Gedan- Über Internet haben mehr als 100 Stu- ken in positive verwandeln können.“ dentinnen und Studenten die Chance, auf Universitätsniveau zu studieren und ein Ideen für Jungunternehmer Zeugnis von der amerikanischen Jesuiten- Gemeinschafts- und Wirtschaftsentwicklung universität Regis zu erhalten. Universitäts- ist der zweite Kurs. Er ist auf 17 Wochen an- präsident Pater John P. Fitgibbons ist zur gelegt. JRS-Mitarbeiter Melvin fasst in Wor- Abschlussfeier des dreijährigen Studiums te, was wir auf den Straßen vor den Hütten ins Flüchtlingslager gekommen. „Ihr habt sehen: „So viele Menschen verlieren hier ihre etwas Wunderbares erreicht“, lobt er die 33 Motivation und Kreativität. Was können sie erfolgreichen Absolventen. „Ihr könnt die tun? Es gibt wenige Jobs und kaum Möglich- Welt zum Besseren ändern und die Welt keiten, für sich selber zu sorgen.“ Der Kurs braucht euch dringend.“ Grace Muvunyi ist zielt darauf ab, Jungunternehmer mit Ideen Jahrgangsbeste und stolz auf sich und ihre zu animieren, sie zu unterstützen und zu so- Kommilitonen. Sie wollte schon immer als genannten „Agents of Change“ auszubilden. Sozialarbeiterin anderen Menschen helfen Im Flüchtlingslager lassen sich Verkaufsläden und hält jetzt ihr Universitätszeugnis in öffnen, es wird mit Kleidern gehandelt, es den Händen. Die Freude ist riesengroß und gibt Bars und Kaffeehäuser. die Feier lässt vergessen, dass wir in einem Flüchtlingslager sind. Leben in der Wüste. Ohne Lehrer keine Schulen Trotz allem blüht das Leben auch hier. Die Aus- und Fortbildung von Lehrern und Lehrerinnen gehört zu den dringends- Hans Tschiggerl SJ 10 jesuitenweltweit
jesuitenweltweit Hilfe für Ostafrika Unsere Spendenbitte für Ostafrika Kenia, Südsudan, Äthiopien, Uganda – in diesen vier ostafrikanischen Ländern ist der Flüchtlingsdienst der Jesuiten (JRS) aktiv. „17 Jahre verbringt ein Flüchtling hier durch- schnittlich in einem Lager“, sagt Endashaw Debrework. Der äthiopische Jesuit leitet den JRS Ostafrika: „Viele der jungen Leute sind in den La- gern aufgewachsen. Meistens dürfen sie außerhalb der Camps nicht arbeiten und sich auch nicht frei bewegen. Viele verzweifeln daran. Ein junger Mann sagte mir neulich: Pater, es ist besser, auf dem Weg nach Europa zu ertrinken als hier im Camp zu verrotten.“ Wie im kenianischen Kakuma hilft der JRS in vielen ostafrikanischen Flüchtlingslagern mit psychosozialer Begleitung und mit Bildung. Der Lerneifer der südsudanesischen Kin- der auf dem Foto ist mit Händen zu greifen. Noch ist ihr Vertrauen in die Zukunft nicht gebrochen. Helfen wir gemeinsam, dass es so bleibt. Ganz herzlichen Dank für Ihre Spende! Klaus Väthröder SJ Spendenkonto Österreich Missionsprokurator IBAN: AT94 2011 1822 5344 0000 Spendenkonto Deutschland IBAN: DE61 7509 0300 0005 1155 82 PS: 50 Euro pro Kind und Monat kosten Schulbildung, Hefte, Kleidung und Essen im Flüchtlingslager. Stichwort: X31183 JRS Ostafrika jesuitenweltweit 11
Interview „Diese Arbeit ist mein Lebensding“ Elf Jahre ist Pater Hans Tschiggerl Missionsprokurator in Österreich gewesen. Jetzt hat er das Amt an seinen Mitbruder Klaus Väthröder übergeben, der nun beide Jesuitenmissionen in Nürnberg und Wien leitet. Zur Geschäftsführerin in Österreich wurde Katrin Morales ernannt. Hans, wie war dein Einstieg vor elf Jahren? Ich war damals schon seit längerer Zeit in Vorbereitung auf diesen Dienst in der Je- suitenmission gewesen. Ich hatte ein Auf- baustudium auf den Philippinen gemacht und war dann zehn Jahre im Canisianum in Innsbruck in der Priesterausbildung für Seminaristen aus Afrika, Lateinamerika, Ostasien tätig. Trotzdem war es für mich Neuland. Ein Schwerpunkt der Jesuiten- mission in Österreich ist ja China. Mein Vorgänger Pater Robert Miribung hat in den 1980er Jahren, als China sich geöffnet hat, sehr viel Pionierarbeit geleistet. Ich war dann mit ihm das erste Mal in China Katrin, wie bist du bei den Jesuiten gelandet? und verbrachte einige Wochen bei chine- Nach dem BWL-Studium in Wien wollte sischen Schwestern auf einer Leprastation. ich etwas Soziales machen und bin zufäl- Das war wirklich eine neue Welt für mich lig auf den Freiwilligendienst der Jesuiten und sehr animierend für die Arbeit in der gestoßen. Ich habe dann ein JEV-Jahr in Jesuitenmission. Leipzig gemacht und war danach vier Jah- re in Venezuela. Dort habe ich mit den Je- Das Hinausgehen in die Welt fasziniert dich? suiten gemeinsam in einem Jugendprojekt Ja, ich glaube, die Sehnsucht, an die Gren- gearbeitet. Aus dieser Zeit kenne ich auch zen hinaus zu gehen, steckt in mir drin. Klaus. Mitte 2007 bin ich an die Jesuiten- Aber im Grunde bin ich ein schüchterner mission in Österreich gekommen. Mensch, ein braver Junge vom Land, aus der Südsteiermark. Der sich schon auch Wofür warst du bisher verantwortlich? überwinden muss und anderen Kulturen Wir sind in Wien ja ein kleines Büro. Ich eher staunend begegnet. Ein missionieren- habe anfangs noch Pater Miribung als der Impetus fehlt mir dabei, also in dem Missionsprokurator erlebt, war später eine Sinn, dass ich weiß, wie es richtig geht. Zeitlang für unsere Freiwilligen, die Jesuit Volunteers, zuständig, habe dann die Pro- Und du bist trotzdem Jesuit geworden? jektarbeit übernommen und viel im Bereich Ich war ja erst im Priesterseminar und am Finanzen organisiert. Ende des Studiums schien mir, dass die 12 jesuitenweltweit
Interview Pfarrarbeit doch sehr liturgisch, sakramen- Klaus, du bist jetzt von Nürnberg aus auch für tal und priesterlich ist. Ich wollte erst noch die Jesuitenmission in Wien verantwortlich. stärker menschlich oder humanitär da sein, Wie geht das? Christentum mit Nächstenliebe verbinden. Nun, es gibt eine sehr gute ICE-Verbindung Ich habe dann, ähnlich wie Katrin, ein JEV- nach Wien. Bereits in den letzten Jahren ist Jahr gemacht, bei den Jesuiten in Kolumbi- die Zusammenarbeit der deutschsprachi- en. Das war sicher eine meiner lebensent- gen Jesuitenmissionen in vielen Bereichen scheidenden Erfahrungen und hat mir den sehr eng und intensiv gewesen – sei es in Mut gegeben zu sagen: Ich werde Priester. der Projektförderung, der Öffentlichkeitsar- Befreiungstheologie war damals meine Sa- beit, dem Freiwilligenprogramm oder auch che. Der Orden hat mich vor allem durch durch gemeinsame Projektreisen. Außer- die Spiritualität und die Exerzitien gelockt. dem habe ich vollstes Vertrauen zu Katrin, mit der ich schon in Venezuela sehr gut zu- Du warst jetzt elf Jahre Missionsprokurator. sammengearbeitet habe. Als Geschäftsfüh- Wie verstehst du Mission? rerin in Wien ist sie das Gesicht vor Ort. Ich Ich denke, die Glaubensperspektive gehört finde es gut, dass engagierte Laien, Frauen für uns wesentlich zur Sozialarbeit. Das und Männer, Führungsrollen in jesuitischen Christentum ist für mich das Fahrwasser. Ich Institutionen übernehmen. Und ich denke, bin überzeugt, dass Gott mich liebt, dass er dass unsere Spender und Freunde diesen die Menschen liebt, dass er diese Welt ge- Weg mitgehen und einer Geschäftsführerin schaffen hat. Und das gibt meinen Umgang dasselbe Vertrauen entgegenbringen wie ei- mit der Welt eine Richtung. Es geht darum, nem Missionsprokurator. wie ich das Leben, das ich für mich entdeckt habe, anderen nicht wegnehme. Vielleicht Hans, mit was für einem Gefühl verlässt du muss man Mission wirklich zuerst einmal die Jesuitenmission? negativ beschreiben: Eben nicht so zu tun, Mit Dankbarkeit. Diese Arbeit bedeutet mir als ob alles nur mir gehört. Dass es mir als sehr viel und ist irgendwo mein Lebensding. Österreicher gut geht, ich genug habe und Ich bin zwar nicht direkt in China oder im der Rest mir wurscht ist. Ich möchte so le- Flüchtlingslager Kakuma. Aber ich spüre, ben, dass andere auch gut leben können. Das dass ich eine Brücke bauen kann. Beim Be- gute Leben, das Leben in Fülle, hat nicht nur such in Kakuma habe ich die Freude und die einen religiösen, sondern immer auch einen Tränen der Frauen im Safe Haven erlebt. Die humanitären, sozialen und kulturellen Hori- Tränen kommen dann auch bei einem selber, zont. Es geht um gegenseitiges Lernen, Aus- wenn sie von ihrem Leid erzählen. Dankbar tauschen und Wahrnehmen auf ein gemein- bin ich allen, die unsere Projekte unterstüt- sames Ziel hin. Nämlich, dass für die ganze zen. Ich bin mir sicher, dass es für die Jesui- Welt ein gutes Leben möglich ist. tenmission sehr gut weitergehen wird. Interview: Judith Behnen jesuitenweltweit 13
Hilfe für Ostafrika „Welcome to Syria!“ Der Flüchtlingsdienst der Jesuiten leistet seit 2012 in Damaskus, Homs, Kafroun und Aleppo Nothilfe. Judith Behnen war im Juni vor Ort. D ie grauen Plastikplanen mit dem schen Krieg und Alltag, Tod und Leben, blauen Logo sind in der Altstadt Verzweiflung und Normalität sind fließend von Damaskus überall zu sehen. in Syrien. Zwei Hände, die ein schützendes Dach bil- den, verbunden mit dem Schriftzug UN- Gehen, bleiben, zurückkommen? HCR. Die Abkürzung steht für United Im engen Gassengewirr der Altstadt biegen Nations High Commissioner for Refugees, wir um die Ecke und stehen vor einem dem offiziellen Namen des Flüchtlingshilfs- schmalen Haus im christlichen Viertel Bab werks der Vereinten Nationen. Sorgfältig Tuma. Die Ordensschwestern, die hier ein- umgeschneidert und mit einem Gummizug mal lebten, haben es dem Flüchtlingsdienst versehen, ist eine Plane zur perfekt passen- der Jesuiten (JRS) zur Nutzung überlassen. den Autoabdeckung geworden. Eine andere Es ist ein typischer Altbau, eng und verwin- ist als Sonnenschutz auf einem Balkon in- kelt, Holzstufen führen vom ersten Stock auf stalliert. Mit einer dritten werden abends die Dachterrasse, im Innenhof steht ein die auf der Straße präsentierten Waren eines schattenspendender Orangenbaum. Ein kleinen Ladens zugedeckt. Planen, die aus- Rückzugsort für das JRS-Team mit Bespre- gebombten Flüchtlingen einen Basisschutz chungsräumen, Küche, Computerarbeits- vor Wind und Wetter bieten sollen, lassen plätzen, Büros. Caroline ist seit der Anfangs- sich vielfältig einsetzen. Die Grenzen zwi- phase dabei, als der JRS 2008 in Damaskus 14 jesuitenweltweit
Syrien und Aleppo Projekte für irakische Flüchtlin- gewachsen. Jaramana war traditionell ein ge gestartet hat. An einen Gewaltausbruch in Drusen-Viertel. Jetzt ist es sehr gemischt: Syrien hatte damals noch niemand gedacht. Drusen, Christen, Muslime. Von Anfang „Als der Krieg hier am schlimmsten war, sind an sind viele Familien, die innerhalb Syri- wir nach Italien geflohen“, erzählt sie. „Wir ens vor dem Krieg geflohen sind, hierher- waren zwei Jahre dort, von 2014 bis 2016. gezogen. Es ist eine Gegend mit viel Not. Ein Onkel von uns lebte schon in Italien. Deshalb haben wir uns entschieden, hier Aber es war sehr hart, auch der ganze Prozess einen Schwerpunkt unserer Arbeit zu set- mit den Behörden. Wir haben uns dann ent- zen.“ Der 37-jährige Jesuit, der in Yabroud schieden, zurück nach Damaskus zu gehen.“ nahe Damaskus aufgewachsen ist, leitet den So ganz sicher, ob das die richtige Wahl war, JRS in Syrien. Im JRS-Zentrum in Jarama- ist sich Caroline noch nicht. Sally, die beim na sitzen Mädchen und Jungen im Alter JRS für die Evaluierung der Projekte zustän- von acht bis 14 Jahren in kleinen Gruppen dig ist, fügt hinzu: „Aus meinem Uni-Jahr- an den im Raum und im Garten verteilten gang sind alle weg. Alle haben das Land ver- Tischen. Lesen, Schreiben, Rechnen, Geo- lassen.“ Georges, der in Aleppo für den JRS graphie – auf spielerische Weise werden arbeitet, hat ein Jahr in Freiburg studiert: „Es Basiskenntnisse vermittelt. „Die meisten hat mir sehr gut gefallen und ich wäre gerne unserer Kinder arbeiten, um etwas zum in Deutschland geblieben. Aber mein 80-jäh- Familienunterhalt beizutragen“, sagt Pater riger Vater ist krank und meine Mutter Fouad. „Wir verurteilen das nicht, son- braucht meine Hilfe. Meine drei älteren dern versuchen, ihnen das beizubringen, Schwestern leben in Jordanien, Dubai und was ihnen hilft. Sie arbeiten in Fabriken, der Türkei. Also bin ich zurückgekommen, Restaurants, Cafés, Bäckereien, Geschäften denn für meine Eltern ein Visum zu bekom- oder auf der Straße, oft bis spätabends oder men, ist nahezu unmöglich.“ Die innere Zer- auch nachts. Sie kommen morgens nach rissenheit der jungen, gut ausgebildeten syri- der Arbeit zu uns ins Zentrum, um etwas schen JRS-Mitarbeiter ist deutlich zu spüren. zu essen, zwei Stunden zu lernen und dann „Gehen oder bleiben oder zurückkommen? zu spielen. Wir sind keine Schule mit Fron- Das ist für uns alle die große Frage“, bestätigt talunterricht und Leistungsansprüchen. Claude, die Schwester von Caroline. „Vor Wir wollen die Kinder so begleiten, dass ein paar Monaten hatten wir als JRS-Team sie später einmal gute Erinnerungen haben. ein Besinnungswochenende mit den Jesui- Denn eine Kindheit haben sie nicht mehr.“ ten. Es ging genau um dieses Thema: nicht Nachmittags gibt es Kurse für Kinder, zu wissen, was wir tun sollen, hin und her die zwar zur Schule gehen, aber aufgrund gerissen zu sein, ohnmächtig zwischen allen heillos überfüllter Klassen, fehlender Leh- Stühlen zu sitzen. Wie entscheiden wir? Und rer und versäumter Jahre dem Unterricht was entscheiden wir? Es war so hilfreich, of- nicht folgen können und große Wissens- fen darüber sprechen zu können.“ lücken haben. „Auch schon vor dem Krieg war das staatliche Schulsystem für Kinder Nächtliche Kinderarbeit aus armen Familien sehr schlecht“, sagt Wir fahren nach Jaramana, einem Vorort Pater Fouad. „Aber jetzt ist alles noch viel von Damaskus. „Früher war es hier sehr schlimmer geworden.“ Sieben Jahre Krieg ländlich“, erzählt Pater Fouad Nakhla. haben bisher nicht nur 400.000 Todesop- „Aber dann ist die Stadt bis hierhinaus fer gefordert und die Hälfte der syrischen jesuitenweltweit 15
Lerngruppe im JRS-Zentrum. JRS-Länderdirektor P. Fouad Nakhla SJ. Zwei Kinder auf der Straße in Aleppo. Einkaufsviertel in Damaskus. Familienbesuch in Al-Sakhour. Madonnenbild in Homs. Foto rechts: Aleppo mit Zitadelle im Abendlicht. 16 jesuitenweltweit
Syrien Bevölkerung entwurzelt, sondern auch eine hier und da junges Grün. Auf der Wüsten- verlorene Generation produziert. Eine JRS- Route nach Aleppo passieren wir verlassene Mitarbeiterin, selbst erst Mitte zwanzig, Dörfer und militärische Stützpunkte, die fasst es so in Worte: „Anders als wir ken- noch einzelne IS-Stellungen nahe der ira- nen die Kinder keinen Frieden. Sie sind im kischen Grenze bekämpfen. Al-Sakhour ist Krieg aufgewachsen. Für sie ist das normal. ein Viertel in Ost-Aleppo. Drei Jahre war es Mein Traum ist, dass sie diese Zeit irgend- in der Hand der islamistischen Al-Nusra- wann vergessen können.“ Front, bevor es nach schweren Kämpfen von den Regierungstruppen zurückerobert Bedruckte Betonstopper wurde. Ähnlich wie Jaramana ist Al-Sak- Die Schnellstraße von Damaskus nach hour ein sozialer Brennpunkt mit viel Leid, Homs ist erst seit einigen Wochen wieder Armut und Zerstörung. Im JRS-Zentrum vollständig geöffnet. Überall sind Plakate gibt es eine Essensausgabe, eine Klinik, mit dem Präsidenten oder seinem Vater zu Alphabetisierungskurse für Frauen, Lern- sehen. Selbst auf den Betonstoppern an den und Spielgruppen für Kinder. Über Fa- vielen Checkpoints prangt das Profil von milienbesuche werden Kontakte geknüpft Baschar al-Assad. Junge Soldaten stehen und Nachbarschaftshilfen organisiert. Die in der sengenden Hitze und kontrollieren Wunden sind tief und der Aufbau wird jedes Fahrzeug. Für unbegrenzte Zeit darf lange dauern. In der Altstadt von Aleppo das syrische Militär Männer bis 42 Jahre liegen historische Straßenzüge unwieder- zum Wehrdienst einziehen. Wen der Ein- bringlich in Schutt und Asche. Aber die berufungsbefehl erreicht, hat keine Chance Hoffnung der Menschen lebt. „Welcome auf Entkommen. Angst vor jahrelangem to Syria!“, wird uns aus einem vorbeifah- Militärdienst für ein brutales Regime ist rendem Auto zugerufen. Die Freude, end- für viele junge Syrer ein weiterer Grund zur lich wieder Touristen zu sehen, kommt aus Flucht. Kurz hinter Homs geht es durch tiefstem Herzen. ausgebombte, menschenleere Geistervier- tel. Aus den grauen Häusergerippen wächst Judith Behnen jesuitenweltweit 17
Zum Gedenken an die Verstummten, an die für immer Verstummten, die es nicht geschafft haben bis zum rettenden Ufer, obwohl das Meer so blau und voller Hoffnung schien. Und er malt. Er malt immer weiter und er malt wie einer, der sich die Bilder von Grauen und Flucht von der eigenen Seele malen muss. Joe Übelmesser SJ Das Bild stammt aus dem Projekt „Artists in Motion“, das der Flüchtlingsdienst der Jesuiten (JRS) im äthiopischen La- ger Mai Ani initiiert hat. Flüchtlinge aus Eritrea verarbeiten auf künstlerische Weise ihre Erfahrungen. Mebrahtu (45) ist Kunstlehrer und schreibt über sein Bild: „Der Totenkopf steht für die wackeligen Boote, in denen Flüchtlinge versuchen, sichere Gebiete zu erreichen. Um loszufahren, musst du die Augen schließen. Anders kannst du dich selbst nicht über- zeugen. Der Junge sieht die Insel, aber die See ist zu stark. Er hat keine Kontrolle. Er ist hilflos ausgeliefert und hängt zwi- schen einem Ort der Gefahr und einem Ort der Sicherheit.“
Leuchtturm in Prizren Pater Bernhard Bürgler, Provinzial der Jesuiten in Österreich, ist Vorsitzender des Trägervereins der Jesuitenschule in Prizren. Er war kürzlich im Kosovo und berich- tet von den Entwicklungen im Projekt. D as Leben im Kosovo ist nicht Jesuiten in Prizren seit fast fünfzehn Jahren leicht. Nach wie vor. Und manche ein Leuchtturmprojekt. Nach dem Krieg – sagen, es wird immer schwieriger. mehr als die Hälfte aller Schulen im Land Im Hinblick auf politische, ökonomische waren zerstört – suchte eine Gruppe von und soziale Aspekte bewerten viele die aktu- Eltern Unterstützung beim Aufbau eines elle Situation negativ. Kosovo gehört trotz, christlichen Gymnasiums. ja vielleicht zu einem Teil auch gerade we- gen jahrelanger internationaler Verwaltung Länderübergreifendes Engagement und immenser finanzieller Unterstützung Unter dem Namen Asociation „Loyola- zu den ärmsten Ländern Europas. Es gibt Gymnasium“ (ALG) wurde im Dezem- immense Entwicklungsaufgaben, die in ber 2003 ein Trägerverein gegründet, dem den nächsten Jahren zu bewältigen sind. Sie neben anderen Organisationen die drei betreffen Bereiche wie Demokratisierung, Jesuitenprovinzen Kroatien, Deutschland Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und und Österreich angehören. Mit finanzieller Minderheitenschutz, ökonomische Entwick- Unterstützung des deutschen Hilfswerkes lung, Ökologie, Bildung, Sozialpolitik sowie Renovabis konnte Gründungsdirektor Pa- Sicherheit. Inmitten dieser alles anderen als ter Walter Happel bereits 2005 Schule und leichten Situation ist die Bildungsarbeit der Internat eröffnen. 2015 übernahm Pater 20 jesuitenweltweit
Kosovo Axel Bödefeld, ein promovierter Pädagoge es doch weit weg. Unbekannt, übersehen, und vormaliger Leiter des Internats in St. isoliert. Eine ganz andere Welt. Es ist be- Blasien/Deuschland, die Schule. Er setzt die rührend und beeindruckend, wenn jeden Aufbau- und Ausbauarbeit konsequent, mit Morgen Freiwillige und Jugendliche von großer Fachkenntnis und großem Engage- Haus zu Haus gehen, die Kinder abholen ment, fort. und mit ihnen ins Zentrum gehen. Dort gibt es einen Kindergarten, wird bei den Gymnasium und Grundschule Hausaufgaben geholfen und Musikunter- Das Gymnasium, ein mehrstöckiger Ge- richt erteilt. Schülerinnen und Schüler des bäudekomplex, zwischen Stadtzentrum Loyola-Gymnasiums helfen fleißig mit. So und Autobahn gelegen, hat inzwischen mehr als 700 Schülerinnen und Schüler, an die 100 Mädchen und Burschen leben im Internat. Es zählt zu den renommiertes- ten und erfolgreichsten Schulen im Land. Zu den jüngsten Aufnahmeprüfungen für die sechsten und die zehnten Klassen sind mehr als 250 Kandidaten aus ganz Kosovo und auch aus Albanien gekommen. „Vor- angegangen waren Vorbereitungskurse in den Fächern der Prüfungen: Mathematik, Albanisch und Englisch“, schreibt Pater Bödefeld. „Erstmals waren auch unsere ei- genen Grundschüler zur Aufnahmeprüfung für die sechste Klasse angetreten. Die Er- Pater Bürgler besucht mit seinem Mitbruder Moritz Kuhl- gebnisse zeigen: Wir werden erstmals vier mann die Baustelle des neuen Zentrums für Loyola Tranzit. sechste Klassen einrichten. Das ist sehr er- Foto links: ABC-Fest in der Grundschule. freulich!“ Fast 400 Kinder besuchen die Lo- yola-Grundschule. Sie liegt in der Altstadt kommen die beiden Welten miteinander in von Prizren in zwei umfassend renovierten Kontakt, so werden Vorurteile abgebaut, so Schulhäusern aus dem Jahr 1929 im Hof entstehen Freundschaften. Und alle lernen der Kathedrale. voneinander. Das von Moritz Kuhlmann SJ initiierte Projekt wächst und kann schon Loyola Tranzit bald in neue Räume umziehen: Am 29. Ap- Bildung ist der Ansatzpunkt, um Gesell- ril wurde der Grundstein für das Zentrum schaft zu verändern. Aber nicht nur der „Quendra edukative Loyola Tranzit“ gelegt, Kopf soll gebildet werden, auch das Herz am 12. Juli Richtfest gefeiert und am 19. und die Hände. Von Seiten der Schule September wird es eingeweiht. gab es einen starken Wunsch nach einer Möglichkeit für ein sinnvolles soziales En- Berufsausbildung gagement der Schülerinnen und Schüler. Schon länger gibt es Pläne für den Aufbau Das Ashkali-Viertel bot sich an. Nur ei- einer dualen Berufsausbildung. In den letz- nige Minuten vom Gelände des Gymna- ten Jahren hat sich im Kosovo in den Berei- siums entfernt, räumlich also nahe, war chen Wirtschaftsentwicklung einiges getan. jesuitenweltweit 21
Kosovo Da will sich das ALG einklinken. Bis zum Projekt auf einem Teil des Areals des freiwer- Herbst 2019 soll ein betriebsübergreifendes denden KFOR-Feldlagers in Prizren. Dieses Ausbildungszentrum und eine berufsbilden- Gelände liegt äußerst günstig, zwischen den de Hochschule – Shkolla e lartë profesionale anderen Standorten des ALG. Es ist bestens – eröffnet werden. Mit ihr soll, in Kooperati- erschlossen und bietet mit Maschinenhallen, on mit Unternehmen, eine dreijährige duale Unterrichtsräumen und Unterkünften opti- Berufsausbildung zum Mechatroniker ange- male Voraussetzungen. boten werden. Warum Mechatroniker? In diesem Berufszweig kommen viele moder- Wo die Not am größten ist ne Fertigkeiten und Kenntnisse zusammen. Drei Jesuiten aus Deutschland und Öster- Durch die erworbenen Kompetenzen in Me- reich leben in Prizren. Benannt haben sie chanik, Elektronik und Informationstech- ihre kleine Kommunität auf dem Gelände nik sind Mechatroniker vielseitig einsetz- des Gymnasiums und des Internats nach ei- nem einheimischen Jesuiten: Vëlla Gjon Pan- talia. Geboren 1887 in Prizren trat er 1906 in den Jesuitenorden ein. Er war Lehrer am Kolleg in Shkodra, Direktor des Verlagshau- ses „Zoja e Papërlyeme“, Redakteur dreier Zeitschriften. Wie viele andere Jesuiten war er ein glühender Anhänger des Widerstands gegen den albanischen Faschismus italieni- schen Ursprungs. Er wurde 1946 verhaftet, am 31. Oktober 1947 starb er. Er wurde aus dem Fenster des Verhörraumes geworfen. Am 5.11.2016 wurde er, gemeinsam mit 37 anderen Märtyrern des albanischen Kommu- nismus, seliggesprochen. Dorthin gehen, wo Ashkali-Kinder im Tranzit-Viertel. Loyola Tranzit schlägt die Not am größten ist – das sollen Jesuiten eine Brücke zu den sozial ausgegrenzten Familien. nach dem Wunsch ihres Gründers Ignatius von Loyola. Im Kosovo, in Prizren, sind sie bar, insbesondere in allen automatisierten am richtigen Platz. Mithelfen, der jungen Fertigungsabläufen. Eine Stärkung des pro- Generation in dem von Kriegserinnerungen duzierenden Gewerbes ist in Kosovo unver- geprägten Land eine unabhängige Bildung zichtbar, um Arbeitsplätze und Wirtschafts- zu ermöglichen, die Kritikfähigkeit, Selb- wachstum zu schaffen. Die Ausbildung ständigkeit und Demokratie lehrt, das ist richtet sich an Abiturientinnen und Abitu- das Ziel. Dafür setzen sich die Mitbrüder rienten, sie umfasst deutsch- und englisch- und mit ihnen viele motivierte Mitarbeite- sprachige Anteile und enthält mit Fächern rinnen und Mitarbeiter sowie Freiwillige mit wie Wirtschaft und Marketing starke Impul- hoher Kompetenz und großem Engagement se für eine spätere eigene Existenzgründung. ein. Und mit ihnen auch viele Frauen und Sie soll jungen Menschen eine Perspektive Männer außerhalb des Kosovo, die das Pro- im Heimatland eröffnen und mittelfristig jekt finanziell unterstützen. Ihnen allen von Impulse für den Aufbau eines Mittelstan- Herzen Dank! des geben. Realisiert wird das ambitionierte Bernhard Bürgler SJ 22 jesuitenweltweit
Zwei Länder und viele Eindrücke 16 deutsche Jesuitenmissionare leben in Japan und Indonesien – jeder ist mittler- weile über 70. Bei seiner Projektreise hat Pater Johannes Siebner, Provinzial aus Deutschland, sie alle getroffen und verschiedene jesuitische Einrichtungen besucht. D ie Tage in Japan waren wunder- weniger Kinder: Im vergangenen Jahr ist die schön und die Begegnungen mit Zahl der Neugeborenen erstmals unter die den Mitbrüdern in Tokio und Hi- Marke von einer Million Babys gefallen. Das roshima inspirierend. Aber ich muss auch zu- liegt unter anderem an dem Trend junger Ja- geben, dass mich die Woche ein wenig ratlos panerinnen und Japaner, immer später zu hei- und traurig gestimmt hat. Die Situation der raten und auch die Geburt des ersten Kindes japanischen Gesellschaft und darin auch der hinauszuschieben. In den nächsten 35 Jahren Kirche hat für den Außenstehenden etwas wird Japan um 25 bis 30 Millionen Einwoh- Bedrückendes. Vielleicht täusche ich mich, ner schrumpfen. Eine Öffnung zu offensiver vielleicht sind meine Gesprächspartner nicht und einladender Einwanderungspolitik ist hinreichend repräsentativ gewesen, aber ich aber kaum wahrnehmbar. Das legt sich wie habe doch eine gewisse Isoliertheit „am Rande Mehltau über das Land, so meine Wahrneh- Asiens“ wahrgenommen. Die anderen „chop- mung. In vielen Gesprächen kommt die Rede stick-nations“ der Region Ostasiens und Süd- darauf; alle sehen es, aber ich spüre wenig Kre- ostasiens prosperieren, agieren selbstbewusst ativität oder gar Aufbruchsstimmung. auf der Weltbühne und werden wahrgenom- men. Japans Bevölkerung aber geht rapide Wachstum ist untersagt zurück und altert so rasant wie in keinem Wir stehen auf der Dachterrasse des neues- anderen Industrieland. Die Lebenserwar- ten Hochhauses der 1913 gegründeten So- tung bei den Männern steigt von 80,8 Jahren phia-Universität der Jesuiten in Tokio. Pater (2015) bis zum Jahr 2065 auf 84,95 Jahre und Toshiaki Koso, der ehemalige Rektor, zeigt bei Frauen von 87 auf 91,35 Jahre. Zugleich uns von oben den weitläufigen Campus und gibt es in dem fernöstlichen Inselstaat immer das Stadtpanorama bis hin zum Palast des jesuitenweltweit 23
Japan – Indonesien mit welcher Freude er uns das Kolumbarium im Untergeschoss von St. Ignatius gezeigt hat. Die ganze Fläche der Unterkirche ist praktisch der Friedhof der Gemeinde. Mit Augenzwinkern zeigte er uns den Bereich für die verstorbenen Jesuiten: „In diesen Teil der Kommunität komme ich auch einmal“, sagte er. Dass es dann so schnell ging, kam überra- schend und ist sehr traurig. Klima- und Kulturwechsel Gut acht Stunden dauert der Flug von Tokio nach Jakarta, wo der zweite Teil der Reise be- Pater Siebner mit Pater Kerkmann und Pater Koso auf der ginnt. Pater Franz Magnis-Suseno holt uns Dachterrasse des neuesten Hochhauses der Sophia-Uni- mit zwei Scholastikern vom Flughafen ab. versität in Tokio. Es ist kurz nach Mitternacht und so fällt der klimatische Schock einigermaßen gemildert Kaisers. „Die Sophia-Universität hat nach aus. Aber es ist nicht nur klimatisch ein an- wie vor einen hervorragenden Ruf“, erzählt deres Land, das wir da besuchen – Indonesi- er. „Das ist natürlich erfreulich. Aber sie darf en brummt, so scheint es. Wir verbringen die nicht wachsen. Gerne hätten wir eine medi- ganze Woche auf Java, der fruchtbaren und zinische Fakultät. Aber der Staat untersagt am dichtesten besiedelten Hauptinsel Indo- den Universitäten mit Blick auf die zurück- nesiens, insofern ist es nur ein Ausschnitt gehenden Zahlen der jungen Erwachsenen dieses riesigen Landes. Wir besuchen unse- jedwede Erweiterung, da man damit ja an- re Fakultäten in Jakarta (Philosophie) und deren Universitäten schaden könnte.“ Orga- in Yogjakarta (Theologie); als „Schulmann“ nisierter Stillstand? Kann das funktionieren? freue ich mich über die Besichtigungen ver- schiedener Schulen. Und auch der eher tou- Kolumbarium in St. Ignatius ristische Teil u.a. am Borobudur-Tempel ist Die St. Ignatius-Kirche liegt im Zentrum To- sehr beeindruckend. Pater „Teddy“ Kieser ist kios. Viele Katholiken nehmen weite Wege ein wunderbarer Organisator und Reisefüh- auf sich, um bei den Jesuiten den Gottes- rer durch Zentral-Java. dienst zu feiern, vielerlei Kurse zu belegen und verschiedene Netzwerke zu pflegen. In Solidarität nach Schwertattacke der englischsprachigen Sonntagsmesse erle- Statt aber aufzuzählen, was ich sehen und ben wir eine multikulturelle Kirche. Das Ex- erleben durfte, möchte ich eine besonders erzitienhaus in Hiroshima, das wir besuchen, nachdrückliche Begegnung schildern, die ist ein lebendiger Ort der Begegnung der klei- mich über den Tag hinaus beeindruckt. nen Kirche im Südwesten Japans. Besonders Wir treffen Pater Karl-Edmund Prier im gern erinnere ich die Begegnungen mit Pater Musikzentrum in Yogjakarta; Pater Prier Günther Kerkmann, der uns viele Einsichten wurde Mitte Februar während eines Gottes- in die Gesellschaft Jesu Japans vermittelte. dienstes von einem wohl verwirrten jungen Er ist inzwischen verstorben und ich denke Mann mit einem Schwert angegriffen und in den letzten Wochen immer wieder daran, schwer verletzt. In einer Zeit, in der In- 24 jesuitenweltweit
Japan – Indonesien Der Borobudur-Tempel stammt aus dem 10. Jahrhundert. Pater Prier mit Notenblatt im Musikzentrum Puskat. donesien immer wieder von islamistischen menden Spannung. Aber es überwiegt das Terroranschlägen heimgesucht wird, ist ein Vertrauen, genährt aus einer über Jahrzehnte solcher Anschlag geeignet, noch mehr Ag- gewachsenen Demokratie und vor allem aus gression und noch mehr Spaltung zu brin- einem lebendigen interreligiösen Dialog, aus gen. Aber etwas anders passiert: Die vor al- einem lebendigen lebensbejahenden Glau- lem muslimische Nachbarschaft des Dorfes ben, aus dem Gebet. Bedog kommt in die Kirche, zeigt Solida- rität, hilft tatkräftig bei der Versorgung der Dankbarkeit und Respekt Verletzten und organisiert die notwendigen Japan und Indonesien: zwei sehr unter- Reparaturen und das Reinigen der Kirche. schiedliche Länder mit je eigenen Aufga- Am Sonntag danach ist die Kirche mit 1.400 ben und Herausforderungen für die Jesu- Menschen völlig überfüllt – der Sonntagsgot- iten, die dort leben. Ich bin dankbar für tesdienst wird zu einem großen Fest für das die wunderbare Gastfreundschaft, die ich ganze Dorf. „Ich habe keine Angst“, sagt Pa- erfahren durfte. Als relativ neuer Provinzial ter Prier in unserem Gespräch. Er trägt noch aus der alten Heimat war ich den meisten immer eine Mütze über dem nachwachsen- Mitbrüdern deutscher Herkunft ja unbe- den Haar, um die frische Narbe am Kopf zu kannt – der Gast, der da an die Tür klopf- verdecken. Keine Angst und kein Zorn. Und te (Offb 3,20), war quasi ein Fremder. Ich das erlebe ich in all den vielen Gesprächen habe jedoch so viel Vertrauen, Herzlichkeit mit Mitbrüdern, mit den Mitarbeiterinnen und Großzügigkeit erfahren, dass es mich und Mitarbeitern in vielen verschiedenen fast beschämte. Mit einigen Monaten Ab- Bildungseinrichtungen, auch in den Gesprä- stand zu meiner Reise gehen die vielen Er- chen mit den Bischöfen von Jakarta und in innerungen, Bilder, Gespräche und Begeg- Semarang: Sorge, ja. Da ist die Sorge, dass nungen ein wenig durcheinander, aber was sich die muslimische, demokratische Mehr- bleibt, ist das starke Gefühl der Dankbar- heitsgesellschaft doch zu sehr mitreißen lässt keit und des großen Respekts. von der Welle des islamistischen Populismus. Da ist keineswegs Naivität ob der zuneh- Johannes Siebner SJ jesuitenweltweit 25
Jesuit Volunteers weltbegeistert 6067894_JV-Postkarte.indd 2 Ein Jahr in Vettavalam 14.12.15 13:19 Sebastian Riedel (32) bereitet sich als Seminarist der Erzdiözese Salzburg darauf vor, Priester zu werden. Sein Weg führte ihn für ein Jahr als Jesuit Volunteer nach Südindien. E in Jahr anders leben und sich dabei für nicht immer ganz einfach sind, kann sich Gerechtigkeit einsetzen – diese beiden wohl jeder vorstellen. Es war für mich her- Säulen des Freiwilligenprogramms ausfordernd, die Disziplin in den bis zu 70 Jesuit Volunteers waren für mich die wesent- Studierende umfassenden Klassen zu wah- liche Motivation, mich für einen Einsatz zu ren, geschweige denn die Studierenden zum bewerben. Mittlerweile bin ich wieder in mei- aktiven Mittun zu animieren. Nicht nur ein- ner Heimat Salzburg und blicke mit großer mal nagten Selbstzweifel an mir und manch- Dankbarkeit, aber auch ein wenig Sehnsucht mal war ich am Ende des Tages einfach nur zurück auf meine Zeit am Loyola College frustriert. Dennoch merkte ich, dass ich all- Vettavalam. Diese im Jahr 2009 von den Je- mählich ihr Vertrauen zu gewinnen schien. suiten aus der Taufe gehobene Bildungsein- Besonders Sprach-Lernspiele, in denen ich richtung liegt etwa 150 Kilometer südlich von meist Mädchen gegen Burschen gegeneinan- Chennai, der Hauptstadt des südindischen der antreten ließ, waren sehr beliebt. In einer Bundesstaates Tamil Nadu. Das College will Gesellschaft, in der Mädchen und Burschen die Bildung Ausgegrenzter und Marginalisier- in der Mensa räumlich getrennt speisen, ter forcieren, mehr als drei Viertel der 1.200 im Klassenraum getrennt sitzen – die einen Studierenden sind Dalits, die so genannten links, die anderen rechts – und von den El- Unberührbaren, und Angehörige der unteren tern arrangierte Ehen im ländlichen Raum Kasten. Es gibt Studiengänge in Betriebswirt- eher die Regel denn Ausnahme sind, schien schaftslehre, Informatik, Mathematik und das spielerische „Duell der Geschlechter“ Englischer Literatur. eine attraktive Art des Lernens zu sein. Der Umgang der Geschlechter miteinander, die Licht und Schatten Rolle der Frau in der indischen Gesellschaft, 18 Stunden pro Woche unterrichtete ich Eng- das Verständnis von Sexualität: all diese As- lisch und grundlegende EDV-Kenntnisse. pekte waren in Indien fremd und neu für Dass Studierende im Alter von 17-20 Jahren mich, überall zeigten sich sowohl Licht- als 26 jesuitenweltweit
Jesuit Volunteers Fotoeindrücke aus dem Freiwilligenjahr von Sebastian. Für einen Einsatz 2019/20 können Sie sich bis zum 15.10.2018 bewerben. Infos und Unterlagen unter: jesuit-volunteers.org auch Schattenseiten. Besonders beeindruckt se auf die Frage, ob für mich die Lebens- haben mich indische Gastfreundschaft, form eines Welt- oder Ordenspriesters am Hilfsbereitschaft und die omnipräsente und fruchtbarsten sein könnte. spürbare Spiritualität der Menschen. Auf einer Busfahrt staunte ich, als der Fahrer Eintauchen in die Weltkirche kurz nach der Abfahrt stoppte, damit sein Gemeinschaft unter Priestern erlebte ich Ticketkontrolleur an einem Hindu-Schrein in Indien sehr intensiv. Ich konnte Projek- ein Öllämpchen entzünden, Räucherstäb- te und Kommunitäten des Jesuitenordens, chen schwingen und die zahlreichen Götter aber auch diözesane Einrichtungen besu- um sicheres Geleit bitten konnte. chen und habe stets „offene Türen“ und Gleichgesinnte angetroffen. Kirche in Indi- Persönlicher Glaubensweg en ist wie das Land selbst: bunt, plural, auch Wieso mir gerade die Spiritualität in Indien etwas kitschig, laut und lebendig. Für mich so imponierte, hat wohl mit meinem per- als angehenden Priester war es besonders sönlichen Werdegang zu tun. Nach einem schön und bereichernd „die eine katholi- Bachelorstudium der Öko-Energietechnik sche, apostolische Kirche“ auch mal anders und anschließender Tätigkeit in einem In- zu erleben! Dies gilt auch für den Jesuiten- genieurbüro für Windenergie bin ich mit orden selbst. Er agiert weltweit, ist global 26 Jahren ins Priesterseminar Salzburg präsent, und dennoch sind seine Mitglieder eingetreten. Meine Berufung aus einem stark von der jeweiligen Umgebung und säkularen und „religiös unmusikalischen“ Kultur beeinflusst. Während meines Jahres (Habermas) Umfeld heraus in die Nach- in Indien gab es eine Reihe von Heraus- folge Jesu Christi ist für mich selbst nach forderungen, aber das Positive überwiegt wie vor etwas rätselhaft. Mit dem Einstieg bei Weitem. Regelmäßig erreichen mich ins Studium der Katholischen Theologie Nachrichten von meinen Studenten und bin ich den Jesuiten begegnet und habe die Studentinnen, die sich erkundigen, wie es ignatianische Spiritualität schätzen gelernt. mir geht. Einen schöneren Beweis für den So war mein Freiwilligeneinsatz auch ein Erfolg meines Einsatzes könnte ich mir Schritt zum näheren Kennenlernen des Je- nicht wünschen. suitenordens und ich erhoffte mir Hinwei- Sebastian Riedel jesuitenweltweit 27
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