Historische Singularität oder universale Bedeutung der gewaltfreien Politik Mohandas K. Gandhis?

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Dritte Folge 26

                      Frankfurter
                          Montags-
                              Vorlesungen

                            Politische Streitfragen
                      in zeitgeschichtlicher Perspektive

         Historische Singularität oder
 universale Bedeutung der gewaltfreien Politik
            Mohandas K. Gandhis?

                                       Egbert Jahn

                                      29. Januar 2018

Adresse des Autors:         Prof. em. Dr. Egbert Jahn
                            Goethe-Universität Frankfurt am Main
                            Fachbereich 03 Gesellschaftswissenschaften
                            Institut für Politikwissenschaft
                            Theodor W. Adorno-Platz 6
                            D-60323 Frankfurt
                            Tel.: +49-69-798 36653 (Sekretariat)
                            E-mail-Adresse: e.jahn@soz.uni-frankfurt.de
                            http://www.fb03.uni-frankfurt.de/46500384/ejahn

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2

Zusammenfassung

Gandhis in vieler Hinsicht erfolgreiches politisches Handeln und sein Denken haben bereits
zahlreiche Bürgerrechts- und nationale Unabhängigkeitsbewegungen weltweit inspiriert, vor
allem in liberal-demokratischen und in Staaten mit einer gewissen Rechtsstaatlichkeit. Ge-
waltfreie Politik basiert auf der Annahme, Gesetzestreue und Gerechtigkeitsvorstellungen im
Sinne der Menschenwürde und der essentiellen Gleichheit aller Menschen sowohl in einer
bislang passiven Gesellschaft und zum Teil auch bei den politischen Gegnern durch beharrli-
chen Einsatz gegen Unrecht und durch Leidensbereitschaft mobilisieren zu können, um eine
Humanisierung der sozialen Lebensverhältnisse und der politischen Ordnung zu bewirken.

Da das bestehende Recht und die Gerechtigkeitsvorstellungen in Zeit und Raum recht ver-
schieden sind, gibt es zahlreiche Elemente in Gandhis Denken und Handeln, die keine Bedeu-
tung für die gewaltfreie Politik in anderen Ländern und Zeiten haben, so etwa spezifisch hin-
duistische religiöse und gesellschaftliche Normen (z. B. Reinkarnationslehre, Anerkennung
der Hauptkasten, besonderer Schutz der Kuh, Sitten im kommunikativen Verhalten). Die
Grundgedanken des gewaltfreien Sozialverhaltens und der Politik Gandhis haben jedoch eine
universelle Bedeutung und werden sie vermutlich auch in Zukunft haben, vor allem in libera-
len Demokratien und in Diktaturen, die an Legitimität in den Augen wachsender Teile der
unter Unrecht leidenden Bevölkerung verlieren. Die Gefahren, die aus wachsender Gewaltes-
kalation und den mit Gewalt immer weniger zu übertrumpfenden Gewaltmittel vieler Staaten
entstehen, verweisen gesellschaftspolitische Bewegungen vermutlich immer mehr auf die
Suche nach gewaltfreien Strategien zur Überwindung unerträglich werdender, inhumaner Le-
bensverhältnisse. Für sie bleibt das Studium der Erfahrungen und Ideen Gandhis weiterhin
eine unverzichtbare Quelle von Anregungen für das eigene Handeln, das auf Selbstbestim-
mung und auch Selbstbeherrschung beruht.

Das Kernelement der Gandhischen Lebensweise ist das Bewußtsein der Verantwortung nicht
nur für das eigene Tun, sondern auch für das Unterlassen von Widerstand gegen Unrecht im
eigenen Umfeld, das je nach gesellschaftlicher Wirkungsmöglichkeit sehr unterschiedliche
Reichweite besitzt. Nichtzusammenarbeit ist das vorherrschende, legale Mittel im gewaltfrei-
en Handeln. Bürgerlicher Ungehorsam ist eine Eskalationsstufe gewaltfreier Politik, die der
äußerst sorgfältigen Vorbereitung und der Abwägung der damit verbundenen Risiken für das
Gemeinwesen bedarf. Er wird gegenüber nicht nur individuell, sondern in der Bevölkerung
weithin als Unrecht empfundenes Gesetz verübt, das zudem im Widerspruch zum mittlerweile
überall bestehenden Verfassungsgesetz und zu international anerkanntem Völkerrecht steht.

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3

1      Die weltweite Inspiration gewaltfreier politischer Bewegungen durch die geistigen
       Anregungen und die Erfolge Mohandas K. Gandhis

Im Juli vorigen Jahres befaßte sich eine Vorlesung anläßlich des siebzigjährigen Jahrestags
der Entstehung der Staaten Indien und Pakistan mit der Rolle Mohandas K. Gandhis in der
indischen Minderheitsbewegung in Südafrika vor dem Ersten Weltkrieg und in der indischen
nationalen Unabhängigkeitsbewegung.1 Die heutige Vorlesung befaßt sich anläßlich des sieb-
zigjährigen Todestages Gandhis mit seiner weltweiten Wirkung. Schon in den 1920er Jahren
inspirierten sein Denken und vor allem seine politischen Erfolge Bürgerrechts- und Friedens-
bewegungen in der ganzen Welt, so auch in Deutschland.2 Vor allem die afroamerikanische
Bürgerrechtsbewegung unter der Führung Martin Luther Kings (1929-1968) wurde ganz we-
sentlich durch das Vorbild der gewaltfreien Bewegung Gandhis angeregt.3 Strukturell hatte die
US-Bürgerrechtsbewegung als die Bewegung einer ethnisch-rassischen Minderheit mehr
Ähnlichkeit mit der indischen Bewegung in Südafrika gegen die ersten Ansätze der burisch-
englischen Apartheid-Politik von 1894-1914 als mit der Unabhängigkeitsbewegung in Indien.

Das Beispiel der indischen Minderheitsbewegung und des Indischen National-Kongresses
(INC) hatte auch großen Einfluß auf den African National-Kongreß (ANC) und den Südafri-
kanisch-Indischen Kongreß und ihre „Mißachtungskampagne gegen ungerechte Gesetze“ (de-
fiance campaign against unjust laws) unter der Führung Nelson Mandelas (1918-2013) in den
Jahren 1952 und 1953. Sie endeten mit der Verhaftung von 8.500 Aktivisten und Hochverrats-
prozessen gegen Mandela und andere. Mandela wurde kein prinzipieller Anhänger der gewalt-
freien Politik, sondern akzeptierte sie nur als Taktik und befürwortete zeitweise den gewalt-
samen Aufstand: „Ich betrachtete Gewaltlosigkeit nach dem Gandhischen Modell nicht als
unantastbares Prinzip, sondern als Taktik, die je nach Situation anzuwenden sei. Das Prinzip
war nicht so wichtig, daß man der Strategie selbst dann folgen sollte, wenn sie selbstzerstöre-
risch sein würde, wie Gandhi glaubte.“4

Auch weniger bekannte Aktionen wurden vom Beispiel Gandhis angeregt, so etwa Danilo
Dolci (1924-1997), der in Sizilien eine gewaltfreie Reformbewegung initiierte.5 Ibrahim Ru-
gova (1944-2006), der Vorsitzende der Demokratischen Liga Kosovos und dann der erste Prä-
sident des unabhängigen Kosovos von 2002-2006, wurde zwar als „Gandhi des Balkans“ ge-
priesen6, berief sich aber selbst in seiner gewaltlosen Politik und bei der Institutionalisierung
eines Schattenstaates mit zahlreichen funktionierenden Verwaltungs-, Bildungs- und Gesund-
heitseinrichtungen im Untergrund in den 1990er Jahren nicht auf Gandhi.7 Auch Dolci wurde
gern als „Gandhi Siziliens“ bezeichnet, so wie die Presse es offenbar liebt, immer wieder neue

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regionale „Gandhis“ zu identifizieren. Die Liste der von Gandhi angeregten Führungsfiguren
regionaler und nationaler gewaltfreier Bürgerrechts-, Reform- und Unabhängigkeitsbewegun-
gen auf der ganzen Welt ließe sich noch verlängern. Hier soll keine detaillierte Wirkungsge-
schichte des Denkens und Handelns Gandhis auf die gewaltfreie Politik in sehr vielen Län-
dern skizziert werden. Es geht hier vielmehr um eine Erörterung der grundsätzlichen Begrün-
dungen für eine gewaltfreie Politik, wie sie Gandhi zwar in vielen verstreuten Texten, meist
Zeitungsartikeln und Briefen dargelegt hat, aber auch der fundamentalen Einwände gegen
diese Politik. Schließlich sollen auch die möglichen zukünftigen Erfolgsaussichten in der gan-
zen Welt sowohl einer prinzipiell gewaltfreien Politik im Sinne Gandhis als auch einer ge-
waltlosen, pragmatisch-taktischen Politik eingeschätzt werden, die bereit ist, in spezifischen
Situationen zu einer begrenzten Gewaltpolitik überzugehen.

2      Gandhis Religions- und Politikverständnis und fundamentale Einwände gegen es

Aus den vielen in Zeitungsartikeln, Briefen und in den wenigen größeren Schriften verstreu-
ten Äußerungen Gandhis läßt sich durchaus ein systematisch reflektiertes, konsistentes, also
theoretisch fundiertes Religions- und Politikverständnis herausarbeiten, das auf von ihm ex-
plizit ausgewiesenen ethischen Normen beruht. Gandhi bezeichnet sich selbst als Hindu8 mit
der besonderen Orientierung des Glaubens an den Gott Vishnu. Er unterscheidet aber nicht
zwischen verschiedenen Göttern, sondern versteht die Gottesvorstellungen in allen Religionen
als Annäherung an die Erfassung des Göttlichen, das er auch als Wahrheit bezeichnet. Inso-
fern wurde es für ihn selbstverständlich, rituelle Gebete aus allen großen Religionen bei sei-
nen öffentlichen Gebetsveranstaltungen zu gebrauchen. Trotz seiner Verankerung in der hin-
duistischen Tradition hat Gandhi im Grunde ein panreligiöses, polyreligiöses Verständnis, das
aus sämtlichen heiligen Schriften zu lernen versuchte. Er begreift keine heilige Schrift als
exklusive Offenbarung Gottes, sondern als von Menschen verfaßte Schriften im Ringen um
das Göttliche. Gandhi hat Gott also offenbar nicht als männliche Person gedacht, sondern als
normatives Prinzip der Wahrheit, der Liebe, der Wertschätzung allen Lebens, nicht nur des
menschlichen. Für Gandhi können auch Atheisten in diesem Sinne religiös sein.

Wahrheit ist für Gandhi nicht etwas, was man besitzen kann, sondern man kann es lediglich
erstreben, aber nie erreichen. Ziel dieses Strebens ist die Gewaltfreiheit (non-violence)9 als
„ein Zustand der Vollkommenheit. Sie ist ein Ziel, zu dem sich die Menschheit naturgemäß,
wenn auch unbewußt, hinbewegt.“10 Der Mensch werde hierbei nicht göttlich, sondern viel-

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leicht erst dann wahrhaft Mensch, während er jetzt nur zum Teil Mensch, zum Teil Tier sei,
„weil wir dem Schlag mit dem Gegenschlag antworten und dazu den nötigen Zorn kochen
lassen. Wir geben vor, zu glauben, daß Wiedervergeltung das Gesetz unseres Daseins ist“.11 In
den heiligen Schriften könne man nicht finden, daß Wiedervergeltung vorgeschrieben, son-
dern nur, daß sie gestattet sei. Hingegen sei Selbstüberwindung das Gesetz unseres Daseins.
„Höchste Vollkommenheit ist nicht zu erreichen ohne höchste Selbstüberwindung. Leiden
wird also zum Wahrzeichen des menschlichen Geschlechts. Und immer weicht das Ziel vor
uns zurück. Je größer der Fortschritt, desto größer die Erkenntnis unseres Unwertes. Die Ge-
nugtuung liegt im Streben, nicht im Erreichen. Höchstes Streben ist höchster Sieg.“

Religion ist für Gandhi nicht nur eine Sache des Glaubens, des Erkennens und Denkens, son-
dern vor allem eine des Verhaltens, d. h. des Handelns und Unterlassens gegenüber anderen
Menschen und Lebewesen. Dadurch ist Religiosität für Gandhi selbstverständlich und not-
wendig sozial und auch politisch. „Jene, die behaupten, Religion habe nichts mit Politik zu
tun, wissen nicht, was Religion heißt.“12 Sie kann nicht bloß kontemplativ, die Welt betrach-
tend sein; sie äußert sich durch Tätigkeit in der Welt, durch eine lebensschützende, den Näch-
sten liebende Lebensweise; sie strebt Gerechtigkeit an, und zwar nicht nur für sich selbst,
sondern auch für das eigene Umfeld und den eigenen potentiellen Wirkungsbereich. Insofern
trägt der Mensch nicht nur Verantwortung für seine Taten, sondern auch für seine Unterlas-
sungen der Hilfe für ungerecht behandelte Menschen in seinem Umfeld. Deshalb ist für ihn
Religion unvermeidlich politisch. Maßstab für sein Handeln ist seine „innere Stimme“, wie er
es nennt, also sein Gewissen.13 Es sind nicht religiöse Gebote oder Verbote, die er aus irgend-
welchen heiligen Schriften entnommen und auf die er sich als höchste Autorität, etwa gegen-
über den weltlichen Gesetzgebern, beruft. Er erkennt nur die religiösen Gebote an, die ihm als
vernünftig erscheinen und die er als vernünftig begründen kann.14 Es ist somit kein grundsätz-
licher Unterschied zwischen Gandhis gesellschaftspolitischen Denken und jeglichem weltli-
chen, rationalen humanistischen Denken zu erkennen. Es ist nach gleichen Maßstäben zu ana-
lysieren und auf seine Praktikabilität in der Gesellschaft und Politik zu beurteilen.

Selbstverständlich weiß Gandhi, daß das Gewissen nicht jedem Mensch dasselbe sagt wie
ihm, obwohl er es vielfach auch mit Menschen zu tun hat, von denen er annimmt, daß sie et-
was tun, was sie selbst als unrecht ansehen. In letzteren möchte er durch seinen gewaltfreien
Widerstand und sein Leiden das Gewissen mobilisieren, um sie zu einer Verhaltensänderung
zu motivieren und zu drängen. Gleichzeitig bedeutet für ihn, bewußt auf sich genommenes
Leiden auch Selbstläuterung und Überprüfung seines eigenen Gewissens. Die Entscheidung

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derjenigen, deren Gewissen sie zu einem anderen Verhalten als dem seinigen motiviert, er-
kennt er durchaus an. Und als politisch denkender Jurist sieht er auch die Notwendigkeit, die
Anarchie der individuellen Gewissen durch ein allgemein verbindliches Recht und Gesetz zu
bändigen. Daraus folgt, daß er einerseits grundsätzlich das bestehende Gesetzesrecht und die
Rechtsordnung (auf die Hierarchie von Verfassungs- und einfachen Gesetzen geht er meist
nur indirekt ein) und die staatlichen Institutionen des Gesetzgebers, der Regierung und Ver-
waltung und der Rechtsprechung anerkennt und in scheinbarer Schizophrenie einerseits
grundsätzlichen Gesetzesgehorsam bekundet und verlangt, aber gleichzeitig in einer Aktion
des bürgerlichen Ungehorsams, die er öffentlich angekündigt hat, gezielt und kontrolliert ein-
zelne, von ihm für ungerecht gehaltene Gesetze bricht. Die Versöhnung des Widerspruchs
zwischen Gesetzesgehorsam und Gesetzesbruch ergibt sich daraus, daß Gandhi die für den
Gesetzesbruch gerichtlich festgelegten Strafen nicht nur hinnimmt, sondern sogar explizit
verlangt.15 Dies erfordert ein bewußt provoziertes, mental gründlich vorbereitetes aktives Lei-
den, das sich fundamental von einem passiv erduldeten Leiden unterscheidet, dem die meisten
Menschen unterliegen. Diese Leidensphilosophie unterscheidet das Gandhische Denken fun-
damental von allem herkömmlichen politischen Denken. Sie stößt offenbar die meisten politi-
schen Theoretiker vom Gandhischen Denken ab und setzt vielleicht religiöses Denken voraus.

Gandhi wußte selbstverständlich, daß es unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt, was
gerecht und ungerecht ist. Gewissen war für Gandhi nicht ein und für allemal feststehend,
sondern die intellektuelle Schlußfolgerung aus einer von ihm analysierten Situation, in der er
die Interessen aller Beteiligten gegeneinander abwog, und zwar durchaus nach einem kom-
munikativen Prozeß mit diesen Beteiligten, vor allem auch mit den Gegnern seiner Auffas-
sungen. Die innere Stimme seines Gewissens war also keine dogmatische, apriori und für alle
Zeiten feststehende, selbst ausgedachte oder aus heiligen Schriften gefolgerte Doktrin, son-
dern Resultante eines gesellschaftlichen Prozesses des Nachdenkens. Seine innere Stimme
konnte er demgemäß als Stimme aus dem Volk verstehen, wenn er die durch aktive Handlun-
gen untermauerte Zustimmung eines Teiles der Bevölkerung für seine Aktionen erlebte, wie
z. B. beim Salzmarsch 1930 oder beim Spinnen und Weben selbst hergestellter Kleidung.
Wiederholt mußte er aber erkennen, daß er die tatsächliche Reaktion von Teilen des Volkes
auf seine Aktion völlig verkannt hatte, woraufhin er diese abbrach und nicht länger in dogma-
tischer Kohlhaaserei fortsetzte. Dieses kommunikative Verständnis von Anerkennung der be-
stehenden Rechtsordnung und Gesetzesbruch ermöglichte es ihm immer wieder, auch Kom-
promisse mit Gegnern zu schließen, bei denen er eine ehrliche Überzeugung wahrgenommen

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hat. Es ermöglichte ihm auch, eigene Fehler einzugestehen. Dogmatisch war Gandhi nur in
Bezug auf sein eigenes gewaltfreies Verhalten. Er war sich durchaus bewußt, daß die meisten
seiner Anhänger nur aus Opportunitätserwägungen auf Gewalt verzichteten und konnte auch
akzeptieren, daß andere Gewalt anwandten, wenn sie meinten, nur gewaltsam Widerstand
gegen Ungerechtigkeit leisten zu können. Er hielt es stets für erforderlich, zwischen Gewalt
für eine gerechte Sache und Gewalt zur Durchsetzung von Ungerechtigkeit zu unterscheiden.
Gewalt war für ihn nicht gleich Gewalt, Krieg nicht gleich Krieg.16 So erklärte er unzweideu-
tig, daß Widerstand mit Gewalt gegen eine Ungerechtigkeit gegenüber der gewaltlosen Dul-
dung der Ungerechtigkeit aus Feigheit vorzuziehen sei.17 Und so meinte er, daß der bewaffne-
te Widerstand vieler Polen gegen die deutsche Eroberungspolitik „fast gewaltfrei“ sei.18

Das Hauptargument gegen eine prinzipiell gewaltfreie Politik gegenüber ungerechter oder gar
ungesetzlicher, verfassungswidriger, staatlicher oder privat-gesellschaftlicher Gewalt ist das
pragmatische Argument, daß sie meist erfolglos sei. Ein zweites häufiges Argument besagt,
daß gewaltfreies Verhalten gegenüber Menschen, die Gewalt anwenden, eine „unmenschli-
che“ Leidens- und im Extremfalle sogar Todesbereitschaft voraussetze, die die meisten Men-
schen nicht besitzen und die von ihnen auch gar nicht verlangt werden sollte. Es sei natürlich,
sich gewaltsam gegen ungerechte privat-gesellschaftliche und auch staatliche Gewalt zu weh-
ren, wenn andere friedliche, gesetzliche Mittel ausgeschöpft wurden.

Die nüchterne, sozial- und geschichtswissenschaftliche Frage lautet, unter welchen Bedingun-
gen haben politisch relevante Bevölkerungsgruppen die Kraft zum gewaltfreien Widerstand
gegen Gewalthaber und Gewaltanwender aufgebracht und manchmal sogar Erfolg damit ge-
habt, und unter welchen Bedingungen bricht gewaltfreier Widerstand zusammen und geht
dann vielleicht zu gewaltsamem Widerstand über oder entsteht von vorneherein überhaupt
nicht? Sind zudem nur religiöse und insbesondere Hindus zu gewaltfreiem Widerstand mit
großer Leidens- und mit Todesbereitschaft fähig, weil sie an ein Leben nach dem Tod oder gar
an eine Wiedergeburt in anderer Gestalt auf der Erde glauben? Eine weitergehende Frage lau-
tet: Was spricht dafür, daß in Zukunft gewaltfreier Widerstand gegen ungerechte Verhältnisse
eine immer größere Rolle in der Weltgesellschaft spielen könnte?

3      Gandhis starke Wirkung auf Bürgerrechts- und Friedensbewegungen und sein
       geringer Einfluß auf die internationale Politik

Eingangs wurden einige Führungspersönlichkeiten von Bürgerrechtsbewegungen meist west-

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licher Demokratien genannt, die von Gandhis historischem Beispiel, seinen Schriften und
seinem Handeln stark beeinflußt wurden. Aber viele Aktivisten in diesen Bewegungen und
auch in der internationalen Friedensbewegung fühlten sich von Gandhi inspiriert, obwohl die
meisten bestenfalls den Namen Gandhis kannten und sich auf andere Anregungen für ihr En-
gagement beriefen, z. B. direkt auf heilige Schriften und insbesondere auf die Bergpredigt im
Neuen Testament19 oder auf Henry David Thoreau (1817-1862).20

Gandhi hat auch indirekt starken Einfluß ausgeübt erstens über eine wie immer begrenzte Pu-
blizistik zur gewaltfreien Politik und zweitens über den eher marginalen Zweig der Friedens-
forschung, der sich zur Aufgabe gestellt hat, theoretische und konzeptionelle Schlußfolgerun-
gen aus dem Denken und Handeln Gandhis sowie aus anderen historischen Beispielen gewalt-
freier oder gewaltloser Politik zu entwickeln. In Deutschland gehören vor allem Theodor
Ebert21 (geb. 1937) und seine ehemaligen Mitarbeiter wie Gernot Jochheim (geb. 1942)22
hierzu, die sich um die Zeitschrift „Gewaltfreie Aktion“ (von 1969-2010) versammelten. In-
ternational politisch am einflußreichsten war und ist der Friedensforscher Gene Sharp (geb.
1928) aus den USA, der Handlungsanweisungen für die gewaltfreie Politik nicht nur aus den
Erfahrungen der gewaltfreien Bewegung Indiens sondern aus vielen anderen historischen Ge-
schehnissen erarbeitet hat23. Sharp hat nachweislich Einfluß auf die Bürgerrechtsbewegungen
in Serbien, Georgien, der Ukraine, Kirgistan, Myanmar und Ägypten24 gehabt.

Der Einfluß Gandhis auf nichtindische nationale Unabhängigkeitsbewegungen scheint ziem-
lich schwach gewesen zu sein, ist aber hier und da nachweisbar, etwa in Ghana (auf den jun-
gen Kwame Nkrumah 1909-1972)25 und anderen Ländern Afrikas26 oder in Georgien (zeit-
weise auf Swiad Gamsachurdia 1939-1993)27. Weitaus größer war und ist dieser Einfluß auf
Bürgerrechtsbewegungen, die persönliche und soziale Freiheiten, Menschenrechte, Rechts-
staatlichkeit und liberale Demokratie einklagen. Selbst unter nationalsozialistischer Herrschaft
in Deutschland gab es hier und da teilweise erfolgreichen gewaltfreien Widerstand, etwa ge-
gen die Deportation von jüdischen Ehepartnern von Nichtjuden in der Rosenstraße in Berlin.28
Es wurde auch versucht, gewaltfreien Widerstand gegen die Eroberungs- und Besatzungspoli-
tik anderer Staaten zu leisten, z. B. in Norwegen 1940-194529 und in der Tschechoslowakei
1968.30 Gandhi selbst hat sich sowohl mit der Frage eines möglichen gewaltfreien Wider-
stands der Juden gegen die nationalsozialistischen Gewaltherrschaft31 als auch mit der einer
gewaltfreien Verteidigung Indiens gegen Japan sowie Großbritanniens und Polens gegen das
Deutsche Reich befaßt, die keine Grenzverteidigung sein konnte und die Duldung der militä-
rischen Okkupation voraussetzte. Am Ende seines Lebens beschäftigte ihn auch die Frage,

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wie gegen einen Atomwaffeneinsatz gewaltfreier Widerstand geleistet werden könne.32

4      Strittige Grundannahmen des Politikverständnisses Gandhis

Gandhi hat nie behauptet, daß gewaltsamer Widerstand gegen ungerechtfertigte, unterjochen-
de Gewalt grundsätzlich illegitim sei. Er hat nur gesagt, daß er selbst keine Gewalt anwenden
wolle und auch wünsche, daß seine politischen Mitstreiter und überhaupt andere Menschen
den gewaltfreien Widerstand dem gewaltsamen vorziehen würden. Wie hat er dies begründet?
Und wie kann sozial- und politikwissenschaftlich erklärt werden, daß gewaltfreier Widerstand
manchmal erfolgreich ist und manchmal scheitert, sei es, daß er in gewaltsamen Widerstand
übergeht, sei, daß er gänzlich zusammenbricht und ein Gewaltregime über eine längere Zeit
jeglichen Ansatz von Widerstand zu unterdrücken vermag?

Gandhi hat nie Gewalt, physische und psychische Gewaltanwendung an sich kritisiert und sie
bekämpft. Was ihn zum sozialen und politischen Handeln motivierte, war stets die Erfahrung
von sozialer und später auch politischer Ungerechtigkeit, die ihn zum Protest und Widerstand
herausforderte, entweder zum individuellen oder zum gemeinsamen mit anderen Menschen,
in der Praxis fast immer mit Indern. Er hat sich nicht an Widerstandsaktionen oder an Solida-
ritätsaktionen für Unterdrückte in anderen Ländern33 beteiligt, aber auf die an ihn herangetra-
genen Fragen von Ausländern über möglichen Widerstand in prinzipiell allen Ländern der
Erde geäußert, so daß man von einer universell-humanen Herangehensweise an die Frage des
Widerstands gegen ungerechte Lebensverhältnisse sprechen kann.

Gewaltfreier Widerstand kann in zwei Grundformen geleistet werden, einer legalen, gesetzes-
konformen und einer illegalen, gesetzeswidrigen, die beide die Inkaufnahme unterschiedlicher
Nachteile erfordern.34 Non-Kooperation, d. h. Nichtzusammenarbeit, etwa die Aufgabe eines
Arbeitsplatzes im Staatsdienst oder in einem Unternehmen, das miserable Arbeitsbedingungen
bietet oder nicht akzeptierte Güter herstellt, verlangt unter Umständen eine drastische Ein-
schränkung der eigenen Lebensverhältnisse, der Boykott von bestimmten Waren hingegen
manchmal nur den Verzicht auf Annehmlichkeiten. Der Boykott von Wahlen hat in aller Regel
für die Individuen – außer für die potentiell gewählten Abgeordneten – keine unmittelbaren
Auswirkungen. Nichtzusammenarbeit kann aber gewaltsame Reaktionen derjenigen hervorru-
fen, die mit der Zusammenarbeit gerechnet haben. Dann erfordert Nichtzusammenarbeit zu-
nächst das Erdulden der Gewalttaten, ohne sie mit eigener Gewalttätigkeit zu beantworten,
auch wenn mit rechtlichen und politischen Mitteln gegen die Gewalttäter vorzugehen ist.

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Die am meisten umstrittene Form des gewaltfreien Widerstands ist der bürgerliche (zivile)
Ungehorsam,35 d. h. der bewußte und offen dem Gegner angekündigte Gesetzesbruch, und
zwar entweder eines Gesetzes, das für ungerecht gehalten wird, oder eines anderen Gesetzes,
das stellvertretend für ein als ungerecht erachtetes Gesetz gebrochen wird. Das Rowlatt-
Gesetz des Jahres 1919 in Indien war z. B. ein Notstandsgesetz, das man nicht mißachten
konnte, solange es nicht angewandt wurde und das übrigens in der Praxis nie angewandt wur-
de, gegen das Gandhi jedoch zum bürgerlichen Ungehorsam mobilisierte. Auch der systema-
tisch organisierte Bruch des Verbots, privat Salz im Meer zu gewinnen, im Zuge des berühm-
ten Salzmarschs ans Meer im Jahre 1930, war nicht dadurch motiviert, daß dieses Gesetz als
ungerecht empfunden wurde, sondern es wurde von Gandhi als Symbol der britischen Fremd-
herrschaft ausgewählt, als er eine Kampagne zur Erringung der Unabhängigkeit begann, für
die er elf konkrete Forderungen stellte, darunter auch die Veränderung oder Abschaffung von
bestimmten Gesetzen.36

Auf den Bruch von Gesetzen kann der Staat in viererlei Weise reagieren. Er kann ihn ignorie-
ren und damit versuchen, die Intention der Gesetzesbrecher zu unterlaufen, den Staat zu re-
pressiven Maßnahmen zu veranlassen. Er kann ferner Geldstrafen verhängen (was in Indien
nur selten geschah, weil viele Gesetzesbrecher sie auch gar nicht zahlen konnten; in Europa
ist dies eher die Regel), außerdem kann er Gerichtsverfahren anstrengen, die zu Haftstrafen
führen und schließlich kann er gar direkte, physische, verletzende oder gar tödliche Gewalt
anwenden. Die Akzeptanz der Geld- oder Haftstrafe und die Hinnahme der repressiven priva-
ten oder staatlichen Gewaltanwendung, ohne sie mit Gegengewalt, sondern nur mit juridi-
schen und politischen Mitteln zu beantworten, hat ihren tieferen Grund in der erwähnten
grundsätzlichen Akzeptanz der staatlichen Rechtsordnung und des Rechts der Staatsorgane,
Gesetzesbrüche zu ahnden. Insofern kann die Weigerung, grundsätzlich Steuern zu zahlen (im
Unterschied zur Ablehnung einer einzelnen Steuerart) nur das äußerste, in aller Regel zu ver-
meidende Mittel gewaltfreier Politik sein, da sie – systematisch und massenhaft angewandt -
die Existenz des Staates und damit der gesamten Rechtsordnung gefährden würde. Gandhi hat
dieses Mittel deshalb im Unterschied zu Thoreau37 nie propagiert. Der öffentlich angekündig-
te und gewaltfreie Gesetzesbruch soll den staatlichen Gesetzgeber drängen, das für ungerecht
gehaltene Gesetz abzuschaffen oder zu verändern. Die freiwillige Leidensbereitschaft will den
Trägern der Staatsgewalt die Ernsthaftigkeit des Verlangens nach einem gerechten Gesetz
deutlich machen, nachdem zuvor Petitionen und Protestkundgebungen (in autokratischen Sy-
stemen) oder die regulären, institutionellen Verfahren wie Klagen vor dem Verfassungsge-

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richt, Wahlen, Beteiligung an der Willensbildung in Parteien, Demonstrationen (in liberalen,
demokratischen Verfassungsstaaten) keinen Erfolg hatten. Gewaltfreier Widerstand und eine
auch in liberalen Demokratien erforderliche, begrenzte Leidensbereitschaft sind eine wichtige
Form der Dramatisierung notwendiger rechtspolitischer Konflikte, die über die eher geruhsa-
men Formen des parlamentarischen Parteienstreits und der Gerichtsverfahren hinausgeht.

In gewaltsamen Auseinandersetzungen und in Kriegen wird in der Regel weitaus mehr gelit-
ten als bei der gewaltsamen Niederschlagung von gewaltfreien Kampagnen. Dennoch sind die
meisten, vermutlich 95 Prozent oder mehr aller Menschen eher bereit, sich aktiv oder mora-
lisch unterstützend an Bürger- und Staatenkriegen zu beteiligen, wenn sie ihre vitalen Interes-
sen als verletzt ansehen, oder sich den Gewalthabern zu unterwerfen, als in solchen Fällen
gewaltfreien oder gewaltlosen Widerstand zu leisten. Es spricht sehr wenig dafür, daß sich
diese Einstellungen in wenigen Jahrzehnten ändern werden, wenn überhaupt. Wie ist die hö-
here Leidensbereitschaft in Kriegen als im gewaltfreien Widerstand zu erklären?

Zum einen wird die Bereitschaft zum Leiden, und zwar zu spezifischen Formen des Leidens
unterschiedlich begründet. Zwar werden in vielen Kriegen der Heldentod und die Bereit-
schaft, ihn auf sich zu nehmen glorifiziert (dulce et decorum est, pro patria mori oder für eine
andere gerechte Sache zu sterben), was in der gewaltfreien Denkweise nicht geschieht. Aber
das Leiden der schwer Verletzten, Vergewaltigten, in Gefängnissen und Gefangenlagern
Schmachtenden wird meist verschwiegen, obwohl in Kauf genommen. Es gilt zwar als „süß
und ehrenhaft“ für eine gerechte Sache zu sterben, aber nicht verprügelt und gefoltert zu wer-
den und monatelang schwer verletzt im Lazarett zu liegen. Im gewaltfreien Denken hingegen
wird das körperliche und psychische Leiden, das seltener bis zum Tod ertragen werden muß,
viel ausführlicher angesprochen und bejaht als Preis für den Widerstand gegen das Unrecht.
Bei Gandhi wird es zudem gelegentlich gar als ein Mittel zur Selbstläuterung verstanden.

Ein zweiter Unterschied scheint darin zu liegen, daß das eigene Leiden und gegebenenfalls
der eigene Tod erträglicher erscheinen, wenn man dem Feind möglichst ein größeres Leiden
zugefügt hat. Zum gewaltsamen und kriegerischen Heldentum gehört die Heldentat, das tapfe-
re Verletzen und Töten von Feinden, nicht nur das eigene tapfere Sterben. Das Ausüben von
gewaltsamer Macht erleichtert anscheinend das Erdulden eigener Ohnmacht. Auf eine solche
unmittelbare Kompensation eigener Ohnmacht muß der Satyagrahi, der gewaltfrei Widerste-
hende, verzichten. Dies erfordert eine erhebliche psychische Vorbereitung, Schulung und
Selbstdisziplinierung. Der gewaltfrei Widerstehende muß im äußersten Falle tapferer sein als
ein Krieger bzw. Soldat. Die Rechtfertigung für das eigene Leiden besteht für den gewaltfrei

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Widerstehenden darin, daß sein Widerstand eher länger- als kurzfristig zum Umdenken des
Gewalthabers, also in Demokratien des Inhabers der gesetzgebenden Gewalt, der Gerichte
oder der Regierung und Verwaltung beiträgt, um ein bestehendes Unrecht zu beseitigen.

So waren in der Geschichte der Arbeiterbewegung Hunderttausende Arbeiter bereit zu Millio-
nen von Personenhaftjahren, zur Erduldung von Tod, schweren Verletzungen und Demütigun-
gen bei gewaltlosen gesetzwidrigen Streiks, um eine wesentliche Verbesserung ihrer Arbeits-
und Lebensbedingungen und schließlich auch ein legales Streikrecht zu erkämpfen.

Ein dritter Unterschied ist vermutlich neben den erwähnten Vor- und Nachteilen des gewalt-
freien Widerstands entscheidend dafür, daß konsequenter gewaltfreier Widerstand, der zum
bürgerlichen Ungehorsam, also Gesetzesbruch und der Hinnahme der dafür vorgesehenen
Strafen oder auch der illegalen Gewaltanwendung der Gewalthaber führen kann, viel seltener
geleistet wird als gewaltsamer Widerstand und Kriegsdienst. Der Soldat geht in den Krieg und
in die Schlacht mit dem Bewußtsein des Risikos, nicht lebend oder unversehrt aus ihnen ins
friedliche Leben zurückzukehren, aber dennoch eine mehr oder weniger große Chance dazu
zu haben. In den meisten Kriegen überlebt die große Mehrheit der Soldaten. In manchen
Kampfsituationen tendiert die Überlebenschance für den einzelnen Soldaten allerdings gegen
Null. Der eigene Tod findet für den einzelnen wie für die Kampfgemeinschaft eine Rechtferti-
gung darin, daß er möglicherweise für ein besseres Leben der überlebenden Verwandten wie
der politischen Gemeinschaft (eines Landes, eines Volkes, einer sozialen Klasse, Religions-
gemeinschaft oder Partei etc.) beiträgt. Der gewaltsame Kampf und der Krieg haben nur auf-
grund ihres spielerischen Charakters einen Sinn, solange also Sieg oder Niederlage, Überle-
ben oder Tod ungewiß sind. Ist die Niederlage gewiß, so sind in aller Regel die Kapitulation
in der einzelnen Schlacht oder im ganzen Krieg und der Friedensschluß zu möglichst erträgli-
chen Bedingungen für den Kriegsverlierer geboten. Die Bereitschaft von Soldaten zu einem
Kriegseinsatz, der ihren sicheren Tod vorsieht (Kamikaze-Angriff), ist in allen Ländern und
Völkern eine äußerst seltene Ausnahme und bedarf einer sehr massiven Indoktrination, die
meist auch durch Alkohol und Drogen unterstützt werden muß. In den meisten Kampfsitua-
tionen hat der einzelne Soldat durch eigenes Geschick und Glück die Chance zu überleben.

Demgegenüber setzt sich der Satygrahi bewußt der legalen oder auch illegalen Gewalt des
politischen Gegners, sei es des Staates oder einer gewaltausübenden gesellschaftlichen Orga-
nisation oder Gruppe aus, der er im Prinzip nicht ausweichen und die er nicht durch eigene
Gewaltanwendung oder durch Flucht verhindern will. Insofern liefert er sich völlig dem Gut-
bzw. Schlechtdünken des Gegners aus und zeigt somit Elemente der doktrinären Selbstaufop-

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ferung, wie sie ein Soldat in der Regel nicht empfindet. Dieser individualpsychische Faktor,
der das eigene potentielle, aber ungewisse Leiden erträglicher erscheinen läßt, wenn dem
Gegner ebenfalls Leid zugefügt werden kann, könnte erklären, weshalb die meisten Menschen
eher bereit sind, den tatsächlichen oder vermeintlichen Verteidigungskrieg mit sehr vielen
Toten und Verletzten zu akzeptieren als den gewaltfreien Widerstand mit gesamtgesellschaft-
lich weitaus weniger Toten und Verletzten, der das eigene individuelle Leiden unausweichlich
macht und die Befriedigung versagt, dem Gegner ebenfalls Leiden aufgenötigt zu haben.

Allerdings versucht der gewaltfrei Widerstehende durch allerlei Maßnahmen wie frühzeitige
Ankündigung der Widerstandsaktion, Verhandlungen mit dem Gegner, Beeinflussung der öf-
fentlichen Meinung mittels der Medien und schließlich auch durch das öffentliche Leiden die
Gewalt des Gegners zu lindern oder ihn gar zur Verhaltensänderung zu bewegen und zu drän-
gen. Idealiter sieht dieser ein, daß er unrecht hat und ändert seine Maßnahmen oder das Ge-
setz. Realiter haben gewaltfreie Widerstandsaktionen auch dann Erfolg, wenn sie auf große
gesellschaftliche Billigung treffen und der Gewalthaber einsieht, daß für ihn die gewaltsame
Durchsetzung seiner Interessen und seiner Rechtsauffassung größere Kosten hervorruft als
sein Nachgeben in der Sache. Auch die Ungewißheit, ob die massive Unterdrückung des ge-
waltfreien Widerstandes unter Umständen gewaltsame Unruhen und einen gewaltsamen Auf-
stand hervorruft, kann zum Erfolg eines gewaltlosen Widerstands beitragen.

5      Die begrenzten, aber unausgeschöpften Handlungsräume gewaltfreier Politik
       in der Gegenwart und nahen Zukunft

Die Erfahrung seit dem Zweiten Weltkrieg und dem Tode Gandhis zeigt, daß gewaltlose Be-
wegungen eine immer größere Rolle sowohl bei dem Sturz von autokratischen Regimen als
auch bei der Veränderung demokratischer Gesellschaften spielen. So wurden autokratische
Regime durch überwiegend gewaltlose Massenbewegungen überwunden z. B. im Iran 1979,
auf den Philippinen 1986, wiederholt in Lateinamerika, im kommunistischen Europa 1989-
1993 und in einigen postkommunistischen Neoautokratien in den Jahrzehnten danach, an-
satzweise auch im arabischen Aufruhr nach dem Dezember 2010.38 Dies hat offenbar zweier-
lei Gründe. Zum einen können manche autokratische Regime zwar unter bestimmten Bedin-
gungen anfangs große gesellschaftliche Zustimmung gewinnen, verlieren diese aber über kurz
oder lang wegen ihrer Willkürhandlungen, die sogar die selbst erlassenen Gesetze verletzen,
und wegen ökonomischer Uneffektivität, Korruption und extremer sozialer Ungerechtigkeit.
Autokratische Regime sind offenbar weniger anpassungsfähig an sich verändernde gesell-

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schaftliche Einstellungen und sozioökonomische Herausforderungen als die meisten Demo-
kratien. Zum zweiten aber schrecken die historisch enorm gewachsenen Gewaltpotentiale der
Polizei und des Militärs in vielen Fällen von gewaltsamem Widerstand39 ab. Dennoch kann
nach wie vor eine massive und entschlossene Unterdrückung, vor allem von ethnonationalen
Gruppierungen und ihren gewaltlosen Protesten und Demonstrationen, immer wieder auch
dazu führen, daß gewaltlose Bewegungen durch Bewegungen abgelöst werden, die zum Bür-
gerkrieg bereit sind, so etwa in den letzten Jahrzehnten im Kosovo und in Syrien.

In einigen gewaltlosen Bewegungen haben gewaltfreie Aktivisten eine wichtige Vorreiterrolle
gespielt, obwohl die meisten ihrer Teilnehmer – wie seinerzeit an der indischen Unabhängig-
keitsbewegung – keine prinzipiellen Gegner jeglicher Gewaltanwendung sind. In aller Regel
sind sie Anhänger der bewaffneten Landesverteidigung gegen äußere Aggressoren und befür-
worten demgemäß die dazu erforderlich erscheinende militärische Vorbereitung, also die Un-
terhaltung von Streitkräften. Und unbestritten bleibt bei fast allen Menschen die prinzipielle
Akzeptanz einer Polizei, die Gewalt gegen Kriminelle im gesetzlichen Rahmen ausübt.40

Somit sind alle Versuche von einigen wenigen Friedensforschern in den 1970er Jahren nach
dem eindrucksvollen, einwöchigen gewaltlosen Widerstand in der Tschechoslowakei gegen
die Interventionstruppen des Warschauer Paktes im Jahre 1968, die Kampfmethoden des ge-
waltfreien Widerstands zur systematischen, staatlich organisierten Vorbereitung auf eine ge-
waltlose Landesverteidigung ohne Militär gegen äußere Aggressoren zu nutzen, völlig erfolg-
los geblieben41 und bleiben es vermutlich auch in Zukunft. Gleichwohl ist es denkbar, daß
auch in zukünftigen Fällen der Okkupation eines Landes durch einen militärisch weit überle-
genen Aggressor spontan gewaltloser Widerstand geleistet wird, der zwar kaum Aussicht auf
unmittelbaren Erfolg hat, aber längerfristig den Widerstandsgeist ermutigt und bei gewandel-
ten internationalen Konstellationen erfolgreich sein kann wie im Falle der inneren Erosion der
sowjetischen Besatzungsmoral in Osteuropa Ende der 1980er Jahre.

Auch bei der Weiterentwicklung der liberalen Demokratien hat gewaltfreier und gewaltloser
Widerstand eine wichtige Funktion für die Innovation des Rechts übernommen, die allein
durch die institutionalisierte Willensbildung in den Parlamenten und demokratischen Parteien
nicht hinreichend wahrgenommen wird. Gewaltfreier Widerstand mit eng begrenztem Geset-
zesbruch kann in liberalen Demokratien die Ernsthaftigkeit des zunächst von gesellschaftli-
chen Minderheiten artikulierten Willens zur Gesetzesänderung ausdrücken. Dieser muß sich
nicht auf übergesetzliche religiöse oder sonstige sittliche Moralgebote berufen; er kann sich
oftmals auf die zentralen Verfassungsgrundrechte beziehen. Eine Legalisierung des bürgerli-

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chen Ungehorsams kann es per definitionem in einer Rechtsordnung nicht geben. Aber eine
moralische Entdramatisierung der Gegensätze zwischen den herrschenden und den oppositio-
nellen, unter Umständen tatsächlich historisch innovativen, manchmal aber auch irreführen-
den Rechtsauffassungen ist in der politischen Kultur der liberaldemokratischen Verfassungs-
staaten durchaus möglich.42 So hat bürgerlicher Ungehorsam unübersehbar eine sehr große
Rolle bei der Erringung von wesentlichen Bürgerrechten der afroamerikanischen Bevölkerung
erlangt wie schon zuvor bei der Erlangung des Wahlrechts der Arbeiter und der Frauen und in
jüngerer Zeit im Kampf um die Gleichberechtigung der Homosexuellen und von Existenz-
rechten für Tiere und Pflanzen, die auszusterben drohen. Auch der Abschaffung der Todesstra-
fe ging in vielen Ländern eine gewaltfreie Bewegung voraus. Insgesamt ist ein historischer
Trend zur Zivilisierung des Konfliktverhaltens zumindest in den liberalen Demokratien zu
beobachten. In den letzten Jahrzehnten wurde die Ausstattung der Polizei mit Schußwaffen
mehr und mehr durch Knüppel und Wasserwerfer ergänzt, so daß staatliche Verdrängungsge-
walt die historisch ältere tödliche Polizei- und Militärgewalt in der Auseinandersetzung mit
gewaltlosen oder zumindest gewaltärmeren oppositionellen Bewegungen ablösen konnte.

Welche Schlußfolgerungen sind aus diesen Erörterungen für die zukünftige global-humane
Friedenspolitik zu ziehen? Eine eindimensionale, nur auf eine Dimension des Handelns – et-
wa gewaltfreie Aktion, diplomatisches Verhandeln, militärische Abschreckung – gerichtete
Friedenspolitik ist nicht erfolgversprechend. Die meisten Menschen werden weiterhin auf die
Bereitschaft zur militärischen Landesverteidigung, also ein gewisses Ausmaß der militäri-
schen Abschreckung setzen. Dies ist nur aussichtsreich, wenn sie in ein funktionierendes Sy-
stem der kollektiven Sicherheit der Vereinten Nationen eingebunden ist, in dem ein Angriff
gegen ein einzelnes Land mit der Androhung militärischer Gegenmaßnahmen des VN-
Sicherheitsrates und möglichst aller anderen Länder rechnen muß. Das schließt gleichzeitig
den Willen ein, im eigenen Land, vor allem in einer Großmacht und einem ständigen Mit-
gliedsstaat des VN-Sicherheitsrates, kein Streben nach einer militärischen Veränderung des
territorialen und politischen Status quo entstehen zu lassen und auch derartiges Streben in
anderen Ländern mit allen nichtmilitärischen Mitteln zu unterbinden. Friedenspolitisch ver-
antwortliches Regierungshandeln bleibt der Eckstein jeglicher Weltfriedenspolitik und kann
nicht durch oppositionelles Handeln von Friedensbewegungen ersetzt werden. Gewaltfreie
und gewaltlose Bewegungen haben deshalb die Aufgabe, die Mehrheit der Gesellschaft zu
motivieren, nur friedenspolitisch motivierte Parteien und Regierungen an die Macht zu brin-
gen und friedensgefährdende Parteien und Regierungen zunächst mit den im jeweiligen politi-

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schen System vorhandenen institutionellen Mitteln der Willensbildung und notfalls auch der
Nichtzusammenarbeit und des bürgerlichen Ungehorsam zu bekämpfen. Gewaltfreie Wider-
standskräfte sind also keine Alternative zu Armeen und Polizeiverbänden, wie lange Zeit von
vielen ihrer Aktivisten und Befürworter behauptet wurde, sondern eine wichtige, teils kom-
plementäre, teils antagonistische Ergänzung zu den traditionellen Instrumenten und Methoden
der Innen- und Außenpolitik.43 Es spricht demnach viel dafür, daß gewaltfreier bzw. gewaltlo-
ser Widerstand eine Alternative zum Bürgerkrieg ist, aber kaum zur Bereitschaft zum staatli-
chen Verteidigungskrieg.

6      Unvermeidliche Rückschläge gewaltfreier Politik

Es kann fest damit gerechnet werden, daß in Zukunft viele gewaltlose Bewegungen entstehen
werden, in denen die prinzipiell gewaltfreien Aktivisten eine wichtige, wenn auch selten eine
ausschlaggebende Rolle spielen werden. Solche Bewegungen werden vor allem beim Sturz
von autokratischen Regimen mit dem Ziel der Etablierung von Rechtsstaatlichkeit, persönli-
chen Freiheiten, liberalen und sozialen Bürger- und Menschenrechten, dem Abbau von kor-
rupten Strukturen und von demokratischen Institutionen und Verfahrensweisen eine immer
größere Rolle spielen. Seit einigen Jahren sind die Tendenzen zur weltweiten Liberalisierung
und Demokratisierung jedoch rückläufig. Es muß derzeit offen bleiben, in welchem Ausmaße
gewaltlose Bewegungen zu einer Umkehr der Entwicklung beitragen werden, die wesentlich
von einem Legitimationsverlust der autokratischen Regime in sozioökonomischen Krisen
abhängt. Nach Einschätzung des New Yorker Freedom Houses lebten von der Weltbevölke-
rung (7,4 Mrd.) im Jahre 2016 39 % der Menschen in freien Staaten, 25 % in teils freien und
36 % in unfreien Staaten. Von 195 Ländern wurden 2017 87 (gleich 45 %) als freie Staaten,
59 (gleich 30 %) als teils freie und 49 (gleich 25 %) als unfreie Staaten eingeordnet.44 Man
kann davon ausgehen, daß es nur wenigen Regimen der illegitimen, autokratischen oder impe-
rialen Herrschaft gelingen wird, sich über lange Zeit hinweg zu stabilisieren. Außerdem wird
die unvermeidliche Zunahme nur international zu regulierender Probleme wie Klimawandel,
Umweltzerstörung, Migration, Terrorismus in Zukunft global-humane Bewegungen hervorru-
fen, die Druck auf die Staaten ausüben werden, diese Probleme anzugehen.

Da die Bildung von neuen Nationalstaaten noch längst nicht abgeschlossen ist, obwohl die
meisten größeren Nationen inzwischen ihre eigene Staatlichkeit innerhalb von multinationalen
Bundesstaaten oder in Form von unabhängigen Nationalstaaten errungen haben,45 ist in Zu-

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kunft noch mit einigen gewaltlosen nationalen Autonomie- und Unabhängigkeitsbewegungen
gegen imperiale Fremdherrschaft zu rechnen, obwohl sie – wie auch in der bisherigen Ge-
schichte – anfällig dafür bleiben werden, zu gewaltsamen Strategien überzugehen, falls sie
massiv unterdrückt werden. Nur wenigen Nationen wird es in Zukunft vergönnt sein, wie die
norwegische, die slowakische und die montenegrinische aufgrund günstiger internationaler
Konstellationen ihren eigenen Staat ohne Blutvergießen errichten zu können.

Sowohl bei liberal-demokratischen, antiautokratischen als auch bei nationalen, antiimperialen
Bewegungen ist immer wieder damit zu rechnen, daß sie von einer anfänglichen gewaltlosen
Strategie zum Bürgerkrieg über kurz oder lang übergehen werden, wenn sie von den Macht-
habern mit rücksichtsloser Gewalt bekämpft werden. Im Kosovo dauerte nach der Auflösung
Jugoslawiens 1991 der Übergang mehrere Jahre, in Syrien nach dem Beginn gewaltloser Pro-
testkundgebungen im März 2011 nur wenige Monate.

Auch in liberal-demokratischen Staaten werden vermutlich vermehrt oppositionelle Bewe-
gungen entstehen, die nicht mit dem historisch erreichten Grad der Liberalisierung und De-
mokratisierung ihrer Gesellschaften zufrieden sind und sich nicht mit den vorhandenen insti-
tutionellen Verfahren der Politik- und Gesetzesänderung begnügen wollen. Sie werden in ei-
ner säkularisierten Welt sich vermutlich immer weniger auf religiöse Normen und immer
mehr auf verfassungs- und völkerrechtliche Grundsatznormen berufen, denen viele Entschei-
dungen der Regierungen, der großen Wirtschaftsunternehmen und bestehende Gesetze nicht
entsprechen oder gar widersprechen. Neben den verfassungsrechtlichen Formen des Protests,
der juridischen und politischen Einflußnahme und der demonstrativen Nichtzusammenarbeit
werden wohl mehr und mehr auch Aktionen des bürgerlichen Ungehorsams, also der politisch
maßvollen und kontrollierten Regelverletzungen und Gesetzesverstöße eine Rolle spielen, um
die Öffentlichkeit und die Parlamente und Regierungen auf die Dringlichkeit von bestimmten
Politikwechseln und Gesetzesänderungen hinzuweisen. Auch wenn bürgerlicher Ungehorsam
per definitionem nicht rechtlich zu institutionalisieren ist, so könnte er im Zuge einer weiteren
Liberalisierung und Demokratisierung vieler Länder als ein Bestandteil weithin gebilligter
Verfassungswirklichkeit angesehen und als ein wichtiges Instrument der ständigen, dynami-
schen Selbstkorrektur liberal-demokratischer Systeme beim Umgang mit neuen gesellschafts-
politischen Problemen anerkannt werden. Ein derartiger gesellschaftspolitischer und verfas-
sungsrechtlicher Fortschritt wird unvermeidlich immer mit gravierenden Rückschlägen rech-
nen müssen, bei denen versucht wird, den jeweiligen Status quo zu verrechtlichen oder gar
einen historisch bereits überwundenen zu restaurieren.

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1
  Jahn, Egbert 2017: Die fatale Verklärung des Politikers Mohandas K. Gandhi zum Heiligen. Seine Rolle in der
nationalen Unabhängigkeitsbewegung Indiens, in: Frankfurter Montagsvorlesungen vom 10. Juli,
http://www.fb03.uni-frankfurt.de/46500564/montagsvorlesung.
Erikson, Erik H. 1978: Gandhis Wahrheit. Über die Ursprünge der militanten Gewaltlosigkeit, Frankfurt: Suhr-
kamp [1969: Gandhi’s Truth, W. W. Norton]; Mühlmann, Wilhelm E. 1950: Mahatma Gandhi. Der Mann, sein
Werk und seine Wirkung. Eine Untersuchung zur Religionssoziologie und politischen Ethik, Tübingen: J.C.B.
Mohr; Gunturu, Vanamali 1999: Mahatma Gandhi. Leben und Werk, München: Diederichs; Blume, Michael
1987: Satygraha. Wahr und Gewaltfreiheit. Yoga und Widerstand bei Gandhi, Gladenbach: Hinder & Deelmann.
2
  Jahn, Beate 1993: Politik und Moral: Gandhis Herausforderung für die Weimarer Republik, Kassel: Weber,
Zucht und Co.
3
  King wurde als Student durch einen Vortrag bzw. eine Predigt über Indien und Gandhi fasziniert und begann,
sich intensiv mit seinem Wirken zu beschäftigen, King, Martin Luther 1968: Freiheit! Der Aufbruch der Neger
Nordamerikas, München: Heyne, S. 74, vgl. auch Oates, Stephen B. 1984: Martin Luther King. Kämpfer für
Gewaltlosigkeit. Biographie, Hamburg: Ernst Kabel, S. 50. Siehe auch Lewis, David L. 1970: King. A Critical
Biography, Baltimore: Penguin, S. 34. 1959 besuchte er Gandhis Wirkungsstätten in Indien. King selbst sagte:
“Durch diese Konzentration Gandhis auf Liebe und Gewaltlosigkeit entdeckte ich erst die Methode für soziale
Reformen, nach der ich suchte.“ [„It was in this Gandhian emphasis on love and nonviolence that I discovered
the method for social reform that I had been seeking.“], Carson, Clayborne 2000: The Autobiography of Martin
Luther King, Jr., London: Abacus, S. 24. Siehe auch Scott King, Coretta 1979: Mein Leben mit Martin Luther
King, Gütersloh: Mohn, S. 54.
4
  Mandela, Nelson 2002: Der lange Weg zur Freiheit. Autobiographie, Frankfurt a. M.: Fischer, S. 147, 160,
179-218. Ebenso in: Mandela, Nelson 2013: Long Walk to Freedom, London: Abacus, S. 147, 182. Den politi-
schen Kontext, in dem Mandelas Anschauungen sich änderten, thematisiert Limb, Peter 2008: Nelson Mandela.
A Biography, Westport CT/ London, 33-62, zum Verhältnis zu Gandhi, S. 50. Als ein Beispiel für die unkriti-
sche Glorifizierung Mandelas siehe auch Sharma, Gopal 2014: Nelson Mandela. The African Gandhi, Neu Del-
hi: Ruby Press, S.25, 138-142.
5
  Dolci, Danilo 1969: Die Zukunft gewinnen. Gewaltlosigkeit und Entwicklungsplanung, Bellnhausen: Hinder &
Deelmann.
6
  Birukoff, André 2006: Kosovo-Präsident Rugova. Der ‚Gandhi des Balkans’ ist tot, Spiegel-Online vom
http://www.spiegel.de/politik/ausland/kosovo-praesident-rugova-der-gandhi-des-balkans-ist-tot-a-396663.html.
7
  Offenbar war die pragmatische Überlegung, daß die Albaner in der Minderzahl gegenüber den Serben und vor
allem keine Waffen besaßen, entscheidend für Rugovas Politik, wie betont wird von Prorok, Christiane 2004:
Ibrahim Rugovas Leadership. Eine Analyse der Politik des kosovarischen Präsidenten, Frankfurt a.M.: Lang, S.
93-96. Nicht eingesehen werden konnte: Ahmeti, Zef 2017: Ibrahim Rugova. Ein Leben für Frieden und Freiheit
im Kosovo, Hamburg: Tradition.
8
  „Mit Religion meine ich nun nicht die der Hindu – die ich allerdings höher stelle als anderen Religionen –
sondern ich meine die, die über allen Hinduismus hinausgeht, die den Menschen bis in die Tiefen der Seele ver-
ändert, unlöslich mit der ewigen Wahrheit verknüpft und unablässig läutert. Religion ist das unverrückbare Et-
was im Menschen, das keine Anstrengungen zu groß findet, um zur vollen Entfaltung zu gelangen, und das die
Seele nicht ruhen läßt, bis sie sich selbst gefunden, ihren Schöpfer und die wahre innere Beziehung zwischen
ihm und sich selbst erkannt.“ In: Gandhi, Mahatma 1924: Weder Heiliger noch Politiker (12. Mai 1920), in: Jung
Indien. Aufsätze aus den Jahren 1919 bis 1922, Erlenbach-Zürich/ München/ Leipzig, S. 72 f.
9
  Unter den Befürwortern der Gewaltfreiheit oder Non-Violenz besteht weithin Übereinstimmung, daß der ver-
neinende Begriff unbefriedigend ist und auch kaum durch den Sanskrit-Neologismus Satyagraha ersetzt werden
kann. Martin Arnold bemüht sich, ihn durch Gütekraft zu ersetzen und nachzuweisen, daß er interkulturell oder
weltanschauungsübergreifend in unterschiedlichen religiösen und atheistischen Konzepten gemeinsam tragfähig
ist, siehe Arnold, Martin 2011: Gütekraft. Ein Wirkungsmodell aktiver Gewaltfreiheit nach Hildegard Goss-
Mayr, Mohandas K. Gandhi und Bart de Ligt, Baden-Baden, Nomos, S. 89-94, 36-39.
10
   Gandhi, Mahatma 1924: Non-Violenz (9. März 1920), in: Jung Indien (Anm. 8), S. 39.
11
   Dies und die folgenden Zitate ebenda, S. 39 f.
12
   Gandhi, M. K. 2011: Eine Autobiographie oder Die Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit, in:
ders., Ausgewählte Werke, Band 1, Göttingen: Wallstein, S. 544.
13
   „Der einzige Tyrann, den ich in dieser Welt anerkenne, ist die ‚leise innere Stimme’.“ In: Gandhi, Mahatma
1924: Der Ausschuß des allindischen Kongresses (2. März 1922), in: Jung Indien (Anm. 8):S. 433.
14
   „Denn ich glaube nicht, daß allein die Veden göttlich seien. Ich halte dafür, daß so gut wie die Veden auch die
Bibel, der Koran und die Zend Avesta göttlich inspiriert sind. Mein Glaube an die Hinduschriften verpflichtet
mich nicht, jedes Wort und jeden Vers als von Gott eingegeben anzusehen. … Ich lehne es ab, mich durch Inter-
pretationen – und wären sie noch so gelehrt – verpflichten zu lassen, sofern sie die Vernunft oder das moralische

© 2018 Egbert Jahn – Zitieren bitte nur unter Angabe der Quelle
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