HLS Cloud Conference 2017 - Virtual Reality - Abtauchen war nie einfacher 24. August 2017 in Frankfurt/Main - Hessische Landesstelle für
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HESSISCHE LANDESSTELLE FÜR SUCHTFRAGEN e.V. Kooperationspartner: HLS Cloud Conference 2017 Virtual Reality – Abtauchen war nie einfacher 24. August 2017 in Frankfurt/Main
Herausgeberin Hessische Landesstelle für Suchtfragen e.V. (HLS) Zimmerweg 10 60325 Frankfurt Tel.: 069 7137 6777 Fax: 069 7137 6778 E-Mail: hls@hls-online.org Internet: www.hls-online.org Frankfurt / Main Redaktion: Wolfgang Schmidt-Rosengarten, HLS Text: Marlene Broeckers Layout: Hans Schlappa Illustrationen: Sabine Kranz, Stefan Müller, Thinkpen GbR, Frankfurt Fotos: Marlene Broeckers, Rolf Kozonek (HLS), fotolia.com Die Durchführung der Fachkonferenz und die Erstellung der Dokumentation wurden gefördert durch die Techniker Krankenkasse, Landesvertretung Hessen, die seit 2013 auch das bundesweit einmalige Selbsthilfeprojekt webC@RE der HLS unterstützt. 2
I N H A LT S V E R Z E I C H N I S Virtualität und Realität verschmelzen 4 Wolfgang Schmidt-Rosengarten Chancen und Gefahren in den Blick nehmen 6 Dr. Barbara Voß Ganz einfach: Brille auf und weg? 7 Staatssekretär Dr. Wolfgang Dippel Digitalisierung birgt Chancen und Risiken 9 Sara Lisa Vogl Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt 10 Robert Niebsch Warum VR? – Weil das Leben nicht so toll ist… 12 Dr. Matthias Warkus Wenig Konsens über Realität 13 Prof. Dr. Frank Steinicke Die Faszination der Präsenz 14 VR-Erfahrungen in der Mittagspause 16 Florian Schmeing Ganz reale kleine Fluchten 16 Benjamin Wockenfuß VR kann mehr als nur Unterhaltung 17 Christian Groß Medienabhängigkeit muss als Krankheit anerkannt werden 18 Beate Kremser Gleiche Bedürfnisse, veränderte Möglichkeiten 20 Christian Schaack Politik, Gesellschaft und Entwickler tragen Verantwortung 22 Podiumsdiskussion Die Professionen sollen zusammen denken 24 Live-Zeichner/-in mit denkendem Stift 25 Haus am Dom – ein wirklich realer und guter Ort zum Tagen 26 Verzeichnis der Referent/-innen 27 3
EINSTIEG Virtualität und Realität verschmelzen Parallel zur Kölner Gamescom, der weltweit zweifellos zu den wichtigsten unserer Zeit gehört größten Messe für digitale Spielekultur, fand und bereits Eltern von Kleinkindern betrifft. am 24. August 2017 die dritte digitale Fachkon- ferenz der Hessischen Landesstelle für Sucht- VR-Brillen sind längt im Elektromarkt angekom- fragen e.V. (HLS) statt. Nicht nur die Gamescom men. Einstweilen noch ein Nischenprodukt, knackte in diesem Jahr ihren bisherigen Besu- könnten die Brillen schon in zehn Jahren ebenso cherrekord – auch die HLS Cloud-Conference selbstverständlich genutzt werden wie heute das zum Thema „Virtual Reality – Abtauchen war Smartphone, so die Prognose eines der Referen- nie einfacher“ fand mit nahezu 130 Teilneh- ten. Das Interesse an der Fachtagung zeigt, dass menden großes Interesse. die Fachleute in Prävention und Suchberatung die Fragen ernst nehmen: Wie wird VR unsere Abtauchen war freilich bei der Frankfurter Ta- Wahrnehmung und unsere Beziehungen verän- gung nur für kurze Zeit angesagt, als die Teilneh- dern? Welche seelischen und sozialen Langzeit- mer/-innen mit VR-Brille unter professioneller folgen sind bei exzessiver Nutzung der VR-Tech- Begleitung das Leben auf dem Eisernen Steg nologie zu erwarten? oder einen Ausschnitt aus einem Football-Spiel in der Frankfurter Commerzbank-Arena miterle- Tendenziell überwog bei den Vortragenden die ben konnten. Ansonsten galt es an diesem Tag, positive Einschätzung von VR, die natürlich nicht viel Wissen einzusammeln, das Wissenschaftler/ nur Gefahren birgt, sondern vielversprechende -innen und Fachleute aus der Praxis in Vorträgen Anwendungen in Wissenschaft, Bildung, Wirt- und Workshops präsentierten. schaft und Unterhaltung in Aussicht stellt. Bei vielen Teilnehmenden war berufsbedingte Skep- Mit Unterstützung der Techniker Krankenkasse sis zu spüren, vor allem aber die Einsicht, dass (TK) in Hessen gestaltet die HLS, in der nahezu es unausweichlich ist, sich dem Phänomen der alle hessischen Einrichtungen der Suchtpräven- VR zu stellen. Denn Virtualität und Realität sind tion und Suchthilfe organisiert sind, seit vielen keine Gegensätze mehr, sondern verschmelzen Jahren den Diskurs zum Medienkonsum mit, der zunehmend miteinander. 4
Ein ziemlich neues Thema für viele: Virtuelle Realität wird auch Suchtberater/-innen in Zukunft beschäfti- gen. Ein guter Grund sich auf der HLS-Konferenz zu informieren. Durch das Programm führten die Mode- ratoren Sascha Foerster und Johannes Mirus (Foto Mitte), am Empfang (Foto unten) stand das HLS-Team Den Veranstaltern ist es gelungen, die schwer- Ein besonderes Extra: Die Illustratorin Sabine wiegende Thematik so zu präsentieren, dass Kranz und der Kommunikations-Designer Stefan niemand „erschlagen“ wurde. Die Moderatoren Müller von Thinkpen, Frankfurt, dokumentierten Sascha Foerster und Johannes Mirus führten die Vorträge und Workshops visuell und mach- durch das Programm. Zwei Vorträge und drei ten damit komplexe Zusammenhänge überaus Science-Slams nahmen den Vormittag ein, vier anschaulich. parallele Workshops und eine abschließende Podiumsdiskussion füllten den Nachmittag. 5
EINSTIEG Wolfgang Schmidt-Rosengarten Chancen und Gefahren in den Blick nehmen Zu einem möglichen Suchtpotenzial von VR liegen noch keine Daten vor, wie er betonte: „Al- lerdings üben die illusorischen Stimuli, die von VR-Anwendungen ausgehen und dazu führen, dass die virtuelle Umgebung als real empfunden wird, eine so große Faszination aus, dass es nahe- liegend ist, dass entsprechende VR-Anwendun- gen zur Realitätsflucht verleiten können.“ Es sei davon auszugehen, so Schmidt-Rosen- garten weiter, dass das Abhängigkeitspotenzial von VR-Spielen mindestens auf dem Niveau von herkömmlichen Computer(rollen)spielen liegen Wolfgang Schmidt-Rosengarten werde, aufgrund der beschriebenen Immersion jedoch um den Faktor x erhöht werden müsse: „Die Vorstellung, dass wir Realität objektiv „Wer Spaß hat, in andere Identitäten zu schlüpfen wahrnehmen können, ist eine Illusion“, stellte oder ganze Charaktere zu kreieren, wie das schon Wolfgang Schmidt-Rosengarten, Geschäftsfüh- unzählige Menschen in World of Warcraft gemacht rer der HLS, in seinem Grußwort zur Cloud-Con- haben, der wird bei VR-Anwendungen viel Diszip- ference fest, und veranschaulichte diese Er- lin benötigen, um sich den Weg aus der virtuellen kenntnis mit dem Gleichnis über eine Gruppe Welt wieder in die Realität zurückzubahnen.“ von Gelehrten, die in völliger Dunkelheit einen Elefanten untersuchen und dann entscheiden Mehrere Realitäten sollen, wie das Tier aussieht. Doch die Missbrauchsproblematik und ihre Fol- gen seien nur ein Aspekt der Konferenz. Um sich Mit diesem Gleichnis machte Schmidt-Rosengar- ein umfassendes Bild der neuen Möglichkeiten ten deutlich, dass es der HLS nicht darum geht, durch VR-Anwendungen zu machen, solle auch eine richtige und gute Realität zu definieren und gezeigt werden, welche Chancen diese Technik vor einer schlechten, der virtuellen Realität zu eröffnet. Zusätzlich werde die Veranstaltung warnen. Deshalb habe man zur Cloud-Conference auch dazu anregen, sich damit auseinanderzu- 2017 Fachleute aus unterschiedlichen Diszipli- setzen, was Realität ist, wer diese definiert und nen eingeladen, ihre Realitäten und Sichtweisen wie wir damit umgehen, dass es mehrere Realitä- zur Thematik VR zu schildern. Die Nutzung der ten gibt. VR-Technologie umfasse mit ihren Chancen und Gefahren ein großes Spannungsfeld. Wie fließend die Grenzen zwischen Realität und Fiktion sein können, hat bereits der Film „Die Tru- „Aufgrund ihres Arbeitsauftrages beschäftigt sich man Show“ von Peter Weir im Jahr 1988 gezeigt, die HLS mit Fragen rund um das Thema Sucht auf den Schmidt-Rosengarten verwies: Der Ange- und Suchtprävention“, so Schmidt-Rosengarten. stellte Truman Burband lebt in einer idyllischen „Deshalb betrachten wir das Thema VR erst ein- Welt ohne Konflikte und Gefahren, bis er merkt, mal durch die ‚Sucht‘-Brille.“ dass er ohne sein Wissen seit seiner Geburt in einer gigantischen Fernsehkulisse lebt und dass Die HLS habe bereits Erfahrungen mit suchtähn- sein Leben in einer täglichen Seifenoper von Mil- lichen Auswirkungen eines exzessiven Medien- lionen von Zuschauer/-innen verfolgt wird. Aus konsums. Diese könnten auf mögliche Entwick- der Sicht der Betrachter/-innen wird Truman von lungen im Bereich VR übertragen werden. „Die allen Menschen, mit denen er zusammenlebt, Hochrechnung führt zu einer Besorgnis unserer- getäuscht, denn sie spielen ihm nur ihre Rollen seits, was das Missbrauchspotenzial dieser Tech- vor, ohne ihn in ihr Wissen einzuweihen. nologie angeht“, sagte Schmidt-Rosengarten. 6
Dr. Barbara Voß Ganz einfach: Brille auf und weg? Medien weiterentwickelt und damit unseren Lebensalltag veränderten: „Apps und digitale Angebote zur Hilfe und Orientierung in vielen Le- benslagen, Chats und Foren zum Austausch mit Gleichgesinnten, Beratungsangebote auf Platt- formen, Informationssuche im Internet jederzeit und von überall, Start-ups, die sich gründen und ganz neue Ideen entwickeln, alles das ist inzwi- schen für uns Normalität geworden. Auch wir als TK nutzen die Möglichkeiten und Chancen dieser technischen Innovationen, um unseren Kunden ein noch breiteres und moderneres Versorgungs- angebot zu bieten.“ Online-Sprechstunde Dr. Barbara Voß ist Leiterin der TK–Landesvertre- Das Spektrum, so Voß, reiche von niedrigschwel- tung Hessen ligen digitalen Coaching-Angeboten z. B. zur Unterstützung einer gesunden Ernährung oder Die Medienstudie 2017 des Bundesgesund- zur Stressbewältigung und Burnout-Prophylaxe heitsministeriums nennt besorgniserregende bis hin zu hochkomplexen telemedizinischen Zahlen: 2,5 Millionen Internetnutzer und Therapien. Die Online-Videosprechstunde mache -nutzerinnen in Deutschland weisen ein prob- es möglich, dass Arzt und Patient nicht zwingend lematisches Konsumverhalten im Internet aus, am selben Ort sein müssten. Und mit der tech- 600 000 Menschen haben eine Internet-Abhän- nischen Entwicklung hätten sich auch die Wege gigkeit entwickelt. Die Techniker Krankenkasse verändert, über die unsere Versicherten mit der (TK) engagiert sich als Partnerin der HLS seit TK in Kontakt treten. Der unkomplizierte Zugang über zehn Jahren in Sachen Medienkompetenz über eine individualisierte TK-App werde zuneh- und setzt sich insbesondere für präventive mend favorisiert. „Aber“, so Voß, „mit allen diesen Angebote ein. Dr. Barbara Voß, Leiterin der fortschrittlichen Anwendungen bleiben wir mit TK-Landesvertretung Hessen, machte in ihrem unserem Handeln stets noch in der realen Welt.“ Grußwort deutlich, warum es wichtig ist, sich vorausschauend mit den Schattenseiten der Einen bedeutsamen Schritt weiter führe das digitalen Innovation zu beschäftigen. Thema der Fachkonferenz 2017 über virtuelle Realität. „Die technischen Innovationen helfen Mit Rückblick auf die HLS Cloud-Conference nicht nur unser Leben in der realen Welt zu 2015 sagte Voß: „Als die HLS vor zwei Jahren die erleichtern“, sagte Dr. Barbara Voß, „sie eröffnen Besucher ausdrücklich um die Nutzung ihrer uns erstmals mittels der Virtual-Reality-Technolo- Smartphones während der Veranstaltung bat, gie die Möglichkeit, in neue, künstlich gestaltete waren wir als Unterstützer durchaus beeindruckt Welten einzutauchen und sich als Teil davon – über die – damals – sehr moderne Art der Ver- mit allen Sinnen wie in der realen Welt zu erle- anstaltungskonzeption. Bestätigte sie doch die ben.“ Offenheit der HLS gegenüber den neuen Medi- en und die Bereitschaft, die Themen ‚Exzessiver Die Virtuelle Realität, die aus dem Spielebereich Medienkonsum‘ und ‚Internetsucht‘ modern und schon so weit ausstrahlt, dass sogar Frau Bun- unverkrampft anzugehen.“ deskanzlerin Merkel die Gamescom besucht, hält gleichzeitig auf anderen Gebieten zuneh- Heute, so Voß, seien solche interaktiven Veran- mend Einzug in unseren Alltag, wie Voß deutlich staltungsformen bereits etabliert – und dies machte: „Das gilt auch für das Gesundheitswesen zeige, wie schnell sich die Welt der modernen 7
EINSTIEG Es gibt kaum noch Barrieren, die den Nutzer dar- an hindern, in eine andere Welt einzutreten und dort zu bleiben. Einfach nur: Die Brille auf – und weg.“ Die Techniker Krankenkasse stehe von ihrer Tradition her für den technischen Fortschritt und begrüße es, wenn die vielfältigen digitalen In- novationen bewusst eingesetzt würden, so Voß: „Damit dies gelingt, engagieren wir uns seit über zehn Jahren dafür, dass Menschen Medienkom- petenz aufbauen, um digitale Medien souverän und den eigenen Bedürfnissen entsprechend zu nutzen, anstatt von ihnen beherrscht zu werden.“ Gemeinsam mit der HLS hat die TK im Projekt „Netz mit Web-Fehlern“ dafür Aufbauarbeit geleistet. Mit webC@RE wurde eine erste An- laufstelle im Internet geschaffen, die Menschen unterstützt, die unter exzessivem Medienkonsum leiden. Und seit diesem Jahr fördert die TK das Präventionsangebot für die jüngste Altersgrup- pe: „DigiKids“ – Medienkompetenzerziehung für Kinder ab vier Jahren. Ein Projekt, das sich außer- dem an Eltern und Erzieher/-innen richtet. Schattenseiten nicht ausblenden Der kompetente Umgang mit technischen Inno- und in der Medizin. In der ärztlichen Ausbildung vationen verlange es, so Voß, sich vorausschau- beispielsweise können junge Ärzte Operationen end mit den möglichen Schattenseiten neuer zunächst virtuell erproben, bevor sie am Patien- Technologien zu befassen und ihnen bewusst ten erfolgen. Dadurch können Ausbildungsinhal- zu begegnen. Der sachkundige, selbstbestimm- te effektiver transportiert und Maßnahmen zur te Umgang des Nutzers zur Wahrnehmung der Qualitätssicherung zielgerichteter durchgeführt Chancen, die in einer Innovation liegen, solle werden. Virtuelle Realität lässt sich auch im Be- stets das Ziel sein. Um dies zu erreichen, müsse reich der psychischen Erkrankungen einsetzen, es einen offenen Diskurs darüber geben, wie beispielsweise um Menschen, die unter Phobien unsere Gesellschaft mit dem Phänomen und leiden, langsam und individuell abgestimmt an den möglichen Effekten des Erlebens virtueller für sie beängstigende Situationen heranzufüh- Realitäten umgehen will. Die Frage sei auch, ob ren.“ Regeln und Gesetze für die Bewegung im virtuel- len Raum notwendig seien. Warum die TK als Krankenkasse eine Veran- staltung zum Thema Virtuelle Realität und ihre Dr. Barbara Voß brachte abschließend ihre Risiken unterstützt, liegt für die Leiterin der Freude über das große Interesse an der Tagung hessischen Landesvertretung auf der Hand: „Das zum Ausdruck: „Dies zeigt, wie stark die neuen Eintauchen in eine virtuelle Welt, die anders, wo- Entwicklungen uns beschäftigen und wie viele möglich besser und erstrebenswerter empfun- offene Fragen Verantwortliche zu diesem Thema den wird als das reale Leben, kann für manchen haben.“ Nutzer auch zum Problem werden. Mit der virtu- ellen Realität erreichen wir eine neue Dimension, die die Menschen noch leichter eintauchen lässt. 8
Staatssekretär Dr. Wolfgang Dippel Digitalisierung birgt Chancen und Risiken Patientinnen und Patienten und in Hinblick auf die stetig steigenden Gesundheitsausgaben. Digitale Begleitversorgung „Vielleicht kann die Begleitversorgung von im- mer mehr älteren Patient/-innen auch digital un- terstützt werden“, sagte Staatssekretär Dr. Dippel, merkte jedoch zugleich an, dass dadurch auch Arbeitsplätze in Gefahr seien. Es könne auch nicht darum gehen, dass digitale Anwendungen den persönlichen Kontakt zwischen Beratern/-in- nen, Ärzte/-innen und Patienten/-innen ersetz- ten, denn häufig sei doch für einen nachhaltigen Gesundheitserfolg die persönliche Begegnung Staatssekretär Dr. Wolfgang Dippel notwendig. Die Digitalisierung habe Vor- und Nachteile, Die HLS Cloud-Conference in Kooperation mit denen konstruktiv begegnet werden müsse, der TK sei daher eine bedeutende Plattform, das betonte Herr Dr. Wolfgang Dippel, Staats- um den Austausch von Expert/-innen aus un- sekretär im Hessischen Ministerium für Soziales terschiedlichen Arbeitsbereichen zu Chancen und Integration (HMSI), in seinem Grußwort zur und Risiken der Digitalisierung zu fördern. Das Cloud-Conference. Hessische Ministerium für Soziales und Integra- tion habe daher auch großes Interesse an den Die Digitalisierung schreite in allen Bereichen des Ergebnissen der Tagung. gesellschaftlichen Lebens unaufhaltsam voran und mache auch vor dem Gesundheitswesen, der Suchtprävention und Suchthilfe keinen Halt, betonte Staatssekretär Dr. Dippel während seiner Rede. Dabei sei es wichtig, die Vorteile der Digi- talisierung bestmöglich zu nutzen und negati- ven Konsequenzen vorzubeugen. Er spüre, dass durch die Digitalisierung ein starker Druck aufge- baut worden sei, dem manche nicht standhalten. Hier sei Prävention außerordentlich wichtig. „E-Health-Initiative“ gestartet Im August dieses Jahres hat die Hessische Lan- desregierung die „E-Health-Initiative“ gestartet Hat immer noch ziemlich viel Gewicht: Ein aktuelles und damit auf die voranschreitende Digitalisie- Modell der VR-Brille. rung reagiert. Ziel sei es, die Versorgung der Be- völkerung mit hochwertigen (digitalen) Gesund- heitsleistungen zu garantieren – und das auch im ländlichen Raum, wo der demografische Wan- del mit Auswirkungen auf Patient/-innen und Ärzteschaft besonders sichtbar sei. Auch der mit der Digitalisierung verknüpfte medizinisch-tech- nische Fortschritt sei von großem Nutzen für 9
VORTRAG Sara Lisa Vogl Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt ted Display bekannte „Sword of Damocles“: Ein Apparat, der so schwer war, dass er an der Decke befestigt werden musste, damit der Träger von dem Gewicht schlicht nicht erschlagen wird. Zeitgenössischer Nachfolger des Suther- land’schen „Damokles-Schwertes“ ist das Oculus Rift, das für Endkunden 2016 auf den Markt kam und inzwischen für Preise ab 300 € zu haben ist. „Heiß eingeschlagen“ In ihrem Vortrag wies Vogl darauf hin, dass das Spiel Pokémon Go 2016 „heiß eingeschlagen“ sei. VR-Entwicklerin der ersten Stunde und begeisterte Das Spiel wird im Empfangsbereich des GPS-Si- Nutzerin: Sara Lisa Vogl gnals, also in der Regel im Freien, gespielt und nutzt Sehenswürdigkeiten, Wahrzeichen und auf- fällige Objekte der materiellen Welt zur Gestal- Seit Sara Lisa Vogl vor einigen Jahren das erste tung einer virtuellen Spielwelt. Mit Smartphones Mal die VR-Brille „Oculus Rift“ aufsetzte, ist VR oder Tablets können die Spieler/-innen virtuelle ihre größte Leidenschaft. Mit Hamburger Nerds Phantasiewesen (Pokémon) fangen, trainieren, hat sie einige VR-Spiele entwickelt, darunter entwickeln und in virtuelle Kämpfe mit anderen das Spiel „Lucid Trips“. Vogl, die sich auch als Pokémon schicken. VR-Schamanin bezeichnet, hat in Berlin die „VR-Base“ gegründet, deren Ziel es ist, Nut- Auch Snapchat-Brillen, mit denen man kurze zer/-innen, Designer/-innen und Sponsoren zu Videos aus dem eigenen Blickwinkel herstellen vernetzen. kann, kamen 2017 in Deutschland auf den Markt. Das Pokémon-Spiel und die Snapchat-Brille Die eigene Welt erschaffen gehören zum Bereich der „Erweiterten Realität“ „Ich habe eine große Faszination für VR“, sagte (Augmented Reality), indem sie digitale Objekte Vogl, „denn diese bietet viel Potenzial, um in an- in der realen Welt platzieren und umgekehrt. dere Rollen zu schlüpfen, ganz nach dem Ansatz von Pippi Langstrumpf ‚Ich mach mir die Welt, „Was machen wir mit dieser tollen Technik?“ Mit wie sie mir gefällt‘.“ dieser Frage kam Vogl auf Anwendungsgebiete zu sprechen, in denen VR nach ihrer Meinung VR sei zwar bereits in aller Munde, technisch aber sehr sinnvoll sei, zum Beispiel in Architektur, noch im Stadium der ersten Smartphones. Virtual Tourismus, Bildung, Sport, Medizin, Journalismus, Reality, wie wir sie heute kennen, ist viel älter, als Marketing, Forschung und Arbeit. In ihrer Präsen- man denkt. Bereits Mitte des vergangenen Jahr- tation zeigte Vogl Bilder und kurze Filme darüber, hunderts experimentierten die ersten Pioniere wie man mittels VR Kindern ihre Krankheit erklärt mit technischen Apparaten, die einfache virtuelle und alten Menschen ein scheinbar reales, schö- Erlebnisse erzeugten. Ivan Edward Sutherland, nes Naturerlebnis vermittelt. VR könne auch sehr geboren 1938, ist ein Pionier der Computergrafik. gut in der Behandlung von Phobien eingesetzt Sein Programm Sketchpad, das er im Rahmen werden. „Es wird viel geforscht“, so Vogl, „Mit VR seiner Doktorarbeit 1963 entwickelte, gilt als kann ein Therapeut das Programm passend zur eine der ersten interaktiven Grafikanwendungen. Situation des Patienten verändern. Bei Phobien Er entwickelte zudem das erste Virtual-Reality- kann die Annäherung an die Angst erzeugende System und den Algorithmus von Cohen-Suther- Situation am geschützten Ort erfolgen. Auch land und erhielt 1988 den Turing Award für seine der Einsatz von VR bei posttraumatischen Be- Leistungen in der Computergrafik. 1968 präsen- lastungsstörungen – zum Beispiel bei Soldaten tierte er das heute als erstes echtes Head Moun- nach Kriegseinsätzen – ist sinnvoll. Mit VR kann 10
man natürlich auch Soldaten auf Einsätze vorbe- pen und dann dorthin reisen können“, sagte Vogl, reiten.“ die unter der Überschrift „VR Human“ auch Werke von Digital-Künstlern zeigte. Unter der Überschrift „Social VR“ berichtete Vogl, dass es schon viele Stätten gäbe, in denen man „Die momentane Situation ist gekennzeich- sich in VR begegnen könne. Seit April sei die ers- net durch einen riesigen Hype um VR“, so Vogl, te „Social-VR-App“ auf dem Markt: „Zunächst er- „nicht ohne Grund wird zurzeit viel Geld in diese stellt man einen Avatar, der einem selbst gleicht, Technik investiert, allein im Jahr 2016 so viel wie sodass andere VR-Nutzer einen in der Virtual in den Jahren 2012 bis 2015 zusammen.“ Für die Reality wiedererkennen. Die zweite grundle- nahe Zukunft prognostizierte Vogl: „Schon 2020 gende Funktion der App ist die Möglichkeit, sich wird der Umsatz via Software den von Hardware mit Freunden zu treffen, um Tätigkeiten nachzu- übersteigen.“ gehen, die in der Realität nicht möglich wären. Die dritte Funktion umfasst die Gestaltung des eigenen, virtuellen Raums, indem man 3D-Ob- jekte importiert. In den eigenen Raum kann man anschließend Freunde einladen.“ Kultur vermitteln Dass VR auch geeignet ist für die Vermittlung von Kulturgut, demonstrierte Vogl am Beispiel des Kölner Doms: Studierende und Dozent/-innen Referentin der Hochschule Fresenius haben 2015 zusam- Sara Lisa Vogl men mit der Dombauhütte und der Heriot-Watt Kommunikationsdesignerin, VR-Entwicklerin University Edinburgh das Kölner Wahrzeichen Tel: (+49) 151-19 49 74 21 mit Laserscannern millimetergenau vermessen Mail: sara@vrbase.co und dreidimensional erfasst. „Man wird in Zu- Web: www.saralisavogl.com kunft auf der digitalen Weltkugel ein Ziel antip- Nutzungsbeispiel für VR bei Menschen mit Demenz: Eine alte Frau sieht via VR eine Meereslandschaft und reagiert sehr lebhaft und fröhlich darauf. Quelle: Tribemix Virtual Reality for Dementia Care: http://www.youtube.com/watch?v=N3ywcoqR4Co" www.youtube.com/watch?- v=N3ywcoqR4Co 11
VORTRAG Robert Niebsch Warum VR? – Weil das Leben nicht so toll ist… Bewegung ist wichtig Das Sehen als primäre Sinnesfunktion werde durch die VR-Technologie perfekt ermöglicht, so Niebsch. Das Hören werde durch binaurales Erlebnis über Kopfhörer so vermittelt, als stünde man im offenen Raum. „Wichtig ist, dass man sich während des VR-Erlebnisses bewegen kann und dass die möglichen Bewegungen zum Spiel pas- sen, weil sonst Übelkeit droht“, erklärte Niebsch. Ein Anwendungsbeispiel jenseits von Unter- haltung zeigte Niebsch mit dem sogenannten Exo-Skelett, das von Wissenschaftlern der TU Elektrotechniker, Computer-Spieler und VR-Experte: Berlin in Zusammenarbeit mit koreanischen For- Robert Niebsch schern entwickelt wurde. Das Exo-Skelett ist eine äußere Stützstruktur für den Körper, die mittels Robert Niebsch stammt aus Brandenburg und EEG die Gehirnaktivität des Nutzers interpretiert hatte schon als Kind den Wunsch, in ferne Ga- und dessen gedankliche Befehle ausführt, also laxien zu reisen. Er hat es aber, wie er in einem zum Beispiel hilft, Lasten zu tragen. Auch für Science-Slam im Jahr 2015 mitteilte, „nur bis körperlich weniger belastende Aktivitäten kann nach Dresden geschafft“, wo er Elektrotechnik die VR-Technologie genutzt werden: Das Oculus studierte. Der Diplom-Ingenieur, Computerspie- Porn ermöglicht die Erfahrung eines simulierten ler und VR-Experte zeigte in Frankfurt den Weg Geschlechtsverkehrs, wie Niebsch mit einem in die virtuelle Realität, der ihn als Forscher Kurzvideo aus Japan zeigte. beschäftigt. Wie er deutlich machte, liegt nur ein kleiner Matrix oder Holodeck – das war die rhetorisch Schritt dazwischen, sich einen Chip ins Gehirn gestellte Eingangsfrage von Robert Niebsch, implantieren zu las- die er eindeutig beantwortete. Als versklavte sen (Matrix) oder die Menschen mit Steckerbuchse am Hinterkopf Hirnströme von der von künstlicher Intelligenz gesteuert zu werden, Kopfhaut aus mittels wie es im Film „Matrix“ von 1999 gezeigt wird, ist Elektroenzephalogra- nicht die anzustrebende Zukunft. Dann doch lie- fie aufzuzeichnen und ber mittels Holodeck in der Virtualität unterwegs Aktivitäten per Gedan- sein! Ein Holodeck kann als Summe der Hardware kenkraft auszuführen verstanden werden, die geeignet ist, mit VR-Bril- (Holodeck). Wie die Ent- len authentischere Erfahrungen zu machen, als wicklung in Zukunft ver- dies bei ruhigem Stehen oder Sitzen möglich ist. läuft, das – so Niebschs optimistischer Appell an Zunächst beatwortete Niebsch die Frage „Warum die Zuhörenden – „ent- will man überhaupt in die VR?“ mit ganz alltägli- scheiden Sie mit.“ chen Feststellungen: „Weil das Leben nicht so toll ist. Weil die Beziehung schlecht läuft. Weil Unord- nung in der Küche herrscht.“ Realität definierte Niebsch als „das, was wir an Sinneseindrücken aufnehmen und wie wir es interpretieren“. Referent Robert Niebsch Diplom-Ingenieur Elektrotechnik Mail: robertniebsch@gmx.de 12
Dr. Matthias Warkus Wenig Konsens über Realität „Die Realität da draußen ist vielleicht genauso virtuell wie die VR“, stellte er fest, indem er noch die Frage draufsetzte: „Was ist ein Finanzamt? Das Gebäude? Die Institution?“ Am Reden über das Internet verdeutlicht sich für Warkus, dass die Realität sich in den letzten Jah- ren verändert hat: „Die Rede vom Internet als Ort hat aufgehört, weil jetzt jeder immer im Internet ist.“ Warkus weiter: „Wenn wir über Realität reden, dann reden wir von wenig Konsens über das, was es gibt oder woraus es besteht.“ Der freischaffende Philosoph Dr. Matthias Warkus Können neue Begrifflichkeiten helfen? Vielleicht die Unterscheidung zwischen Realität und Wirk- lichkeit? Da wir zum Beispiel mit Medieninhalten „Realität hat unscharfe Kanten, Virtualität hat immer stärker so umgehen, als seien sie wirklich, hohen Wirklichkeitsgrad. Und ein Zuviel an möchte Warkus dem Technik-Philosophen Prof. wirklicher Virtualität kann gefährlich sein.“ Zu Dr. Christoph Hubig von der TU Darmstadt fol- dieser Quintessenz führte der Science-Slam von gen, der zwischen virtueller Realität und virtuel- Dr. Matthias Warkus aus Jena zum Thema „Rea- ler Wirklichkeit unterscheidet. lität – nicht wirklich“. Der freischaffende Philo- soph plädierte für die Unterscheidung zwischen „Wenn sich zwei Personen über Messenger strei- Realität und Wirklichkeit, virtueller Realität und ten, ist dies ein realer Streit“, sagte Warkus. „Auch virtueller Wirklichkeit. ein Streit im virtuellen Medium ist ein realer Streit. Wenn jemand mit VR-Brille ein virtuelles „Es gibt Dinge, die gibt es nicht. Zum Beispiel Auto repariert, dann ist nachher kein wirkliches Einhörner. Es gibt Wörter, die gibt es nicht. Zum Auto repariert. Aber es ist viel passiert.“ Ob es Beispiel ‚optimalst‘ oder ‚Stromspannung‘ .“ Mit hilft, das was passiert ist, real oder wirklich zu einfachen Begriffen aus der Alltagssprache nennen – diese Frage blieb den Zuhörenden machte Warkus deutlich, dass wir ständig über erhalten. Dinge sprechen, die es eigentlich nicht gibt, die aber trotzdem real sind – ebenso wie literarische Figuren wie Harry Potter oder Sherlock Holmes. Ob es da überhaupt sinnvoll sei, zu fragen, was es wirklich gibt? Wann ist ein Stein ein Stein? „Wo können wir uns ganz sicher sein, dass es etwas wirklich gibt?“, fragte Warkus. Berge oder Steine zum Beispiel? Ganz sicher, oder? Mit der Frage, wie viele Steine einen Haufen bilden – sind drei Steine schon ein Haufen oder müssen es mindestens fünf sein? – führte Warkus die Zuhö- Referent rer/-innen zu der heiklen Frage, wann überhaupt Dr. Matthias Warkus von einem Stein gesprochen werden könne, der Freischaffender Philosoph ja schließlich aus lauter Atomen bestehe. Wie Camburger Straße 22, 07743 Jena viele Atome muss ein Stein haben, damit er noch Tel: (+49) 3641 295 40 77 ein Stein ist? Wie viele Atome muss Gold haben, Mail: info@matthias-warkus.de damit wir sagen: Das ist Gold? 13
VORTRAG Prof. Dr. Frank Steinicke Die Faszination der Präsenz Universität Washington hat nachgewiesen, dass bei Patienten, die mit der VR-Brille in das Spiel „Snow World“ eintauchten, das Schmerzemp- finden messbar nachließ. In einem Kinderkran- kenhaus in Michigan durften 2016 krebskranke Kinder mittels VR-Brillen der Realität der Klini- kumgebung entfliehen – und waren begeistert. VR könne, zum Beispiel durch einen Klassenaus- flug auf den Meeresgrund, Emotionen und Wis- sen zugleich vermitteln. Für Steinicke steht fest: „VR ist kein Medium, sondern ich bin als Nutzer Teil der Erfahrung.“ Auch aus seiner 24-stündigen VR-Erfahrung, die er 2013 machte, weiß Steinicke, dass die Körper- Fasziniert von VR: Dr. Frank Steinicke ist Professor an bewegung während eines Experiments wichtig der Universität Hamburg ist. „Cyber Sickness kann auftreten, wenn die Sin- ne im Konflikt sind, zum Beispiel wenn man sich Mit den „Risiken und Nebenwirkungen der mit VR-Brille auf eine virtuelle Achterbahnfahrt virtuellen Realität“ befasste sich Dr. Frank begibt, aber dabei auf dem Stuhl sitzt“, erklärte Steinicke in seinem Vortrag. Er ist Professor für Steinicke. Wichtig sei, dass Versuchspersonen Mensch-Computer-Interaktion am Fachbereich wirklich laufen könnten. Die Lösung sei das 'redi- Informatik der Universität Hamburg und erwar- rected walking': „Man kann Menschen innerhalb tet mit Spannung die zukünftige Entwicklung eines Radius von 20 Metern so führen, dass sie und Akzeptanz der VR-Technologie. „Sie wird nicht merken, wenn sie im Kreis gehen.“ sich nur dann durchsetzen, wenn eine Mehrheit davon profitiert“, meint Steinicke – und ist sich sicher, dass dies der Fall sein wird. Seitdem er als Jugendlicher zum ersten Mal ein Computerspiel spielte – und fünf Mark für fünf Minuten Spielspaß zahlte –, ist Steinicke faszi- niert von der virtuellen Welt. Die guten Seiten der VR Zu den guten Seiten der VR rechnet er vor allem die Faszination der Immersion, die den techno- Die VR-Brille der Zukunft wird nicht größer sein als logischen Grad des Eintauchens in die Virtualität eine Kontaktlinse. bezeichnet. Die perfekte Immer- sion, genannt Präsenz, setzt Es ist noch keiner hängen geblieben sich, so Steinicke, zusam- „Die ganz schlimmen Dinge“, die aus der Ver- men aus der Illusion des knüpfung von Mensch und Technologie resul- Ortes, des Hörens und tieren könnten und zum Beispiel in den Filmen Sehens, der Plausibilität „Welt am Draht“ (Rainer Werner Faßbinder, 1973) und des Sozialen. Er und „Matrix“ (Wachowski Brothers, 1999) aufge- zeigte Beispiele aus der zeigt wurden, stellen für Steinicke keine Bedro- Anwendung von VR in hung dar: „Ich glaube nicht, dass wir irgendwann Kliniken: Der Psychologe nicht mehr wissen, was Realität ist.“ Er verwies Hunter Hoffman von der darauf, dass sich zehntausende Menschen seit 60 14
VR in der Phobie-Therapie – ein Foto aus der Präsentation von Dr. Frank Steinicke. Quelle: C.Botella et al.: In Vivo versus AR Exposure, 2016 Jahren mit VR-Technologie beschäftigen, „und es sei die Angst einhergegangen, dass durch das gab noch keinen Bericht darüber, dass einer in Telefonieren der echte soziale Kontakt aufhöre. VR hängen geblieben ist“. Er hält VR sogar für die Die Entwicklung der nächsten Jahre wird, so Stei- Suchtprävention geeignet: „Mit dieser Techno- nicke, vor allem davon bestimmt sein, dass die logie kann man das Erleben eines armen Fixers Geräte immer besser und immer kleiner werden: sehr gut nachempfinden.“ „Es dauert 18 Monate, bis ein Gerät doppelt so gut ist wie das, was ich jetzt nutze“, sagte er. „Das Exponentielles Wachstum Wachstum ist exponentiell, die Entwicklung geht Dass vor allem ältere Zeitgenossen mehr die Ge- immer schneller. In 15 Jahren ist unsere Techno- fahren neuer Entwicklungen sehen, während Jün- logie 1000 Mal besser als heute.“ Das bedeutet: In gere sie unbesorgter nutzten, liegt für Steinicke sieben bis acht Jahren werden Computergrafiken in der Natur des Menschen begründet. Sokrates vollkommen real aussehen und um 2030 wird die habe bei der Einführung der Schrift gewarnt, dass heutige VR-Brille nicht mehr größer sein als eine dadurch die Kommunikation unter den Menschen Kontaktlinse. zerstört werde, und mit der Erfindung des Telefons Abschließend betonte Steinicke: „Das Ziel der VR ist nicht, die reale Welt abzubilden, sondern neue und andere Welten zu erleben, virtuell in eine andere Identität zu schlüpfen und empfinden zu können, was es heißt, eine andere Hautfarbe zu haben, ein Flüchtling zu sein oder ein anderes Geschlecht zu haben.“ Sein Fazit: „Risiken und Gefahren sind da, aber sie müssen sinnvoll disku- tiert werden.“ Referent Prof. Dr. Frank Steinicke Professor für Mensch-Computer-Interaktion am FB Informatik der Universität Hamburg Bald werden Grafiken von gefilmten realen Ob- Vogt-Kölln-Straße 30, 22527 Hamburg jekten nicht mehr zu unterscheiden sein: Lara Tel: (+49) 40 428 83 24 39 Croft-Grafiken von 1996 und 2013. Quelle: https://imgur.com/gallery/354XL Mail: frank.steinicke@uni-hamburg.de 15
SCIENCE-SLAM VR-Erfahrungen in der Mittagspause „Die Tagung ist für Tatsache, dass man bei einem Football-Spiel mich wie ein Blick in mitten drin ist und auf dem Spielfeld sein kann die Zukunft. Und ich – anstatt draußen auf der Zuschauertribüne, ist merke heute: Sie hat ungewöhnlich, und es stellen angesichts des schon angefangen.“ stark bewegten Geschehens sich leichte Schwin- So äußerte sich eine delgefühle ein. Teilnehmerin zur Cloud-Conference Die beiden Szenen, in die man eintauchen 2017. Ob sie auch konnte, waren real gefilmte Situationen. In vir- die Gelegenheit genutzt hat, in der Mittagspau- tuellen Spielen ist die Situation, in die man sich se eine VR-Brille aufzusetzen und sich mitten begibt, komplett grafisch konstruiert. Eine solche auf dem Eisernen Steg in Frankfurt oder in der Erfahrung ist wieder ganz anders, wie Sara Lisa Commerzbank-Arena beim Football-Spiel wie- Vogl in ihrem Vortrag berichtete. Sie sei in VR derzufinden? Sich mit der Brille im Haus am Dom schon mehrmals getötet worden: „Einmal stand umzudrehen und plötzlich einen großen Spieler ich irrtümlich auf einem Panzer, der bombardiert auf sich zu rennen zu sehen – das war schon ein wurde. Ich war komplett schockiert. Eine solche besonderes Erlebnis, das manche nur wenige Erfahrung sollte man nicht ohne therapeutische Augenblicke ertrugen. Es ist für Anfänger/-innen Begleitung machen.“ auf jeden Fall gewöhnungsbedürftig. Allein die Florian Schmeing dabei durch Orte mit seltsamen Namen wie Klo- schwitz kam, fand er bemerkenswert. Natürlich Ganz reale kleine blieb er auch mit seinem Motorrad einmal liegen: Fluchten Eine gute Gelegenheit, um Menschen kennenzu- lernen. Im nächsten Ort, den er zu Fuß erreichte, Wer mit dem Zug zur fand er Hilfe und neue Freunde. Cloud-Conference anreiste, konnte Florian Den Zuhörenden empfahl er, Wochenendausflü- Schmeing schon auf ge nach diesem Muster zu unternehmen: Nicht einem großen Plakat festlegen, wohin man will, und irgendwo zu im Frankfurter Haupt- landen. Oder nachts einmal baden zu gehen. Oder bahnhof sehen, wo er draußen zu schlafen. Unter der Überschrift „Kein als „Querdenker“ für richtiger Plan“ könne man auch Kneipen- oder die Technische Univer- Kulturtouren unternehmen. Nach dem Motto „Kein Der Student Florian sität Clausthal wirbt. richtiges Ziel“ lohne es sich, die Komfortzone der Schmeing wirbt für Dort studiert er Chemie bekannten Wege zu verlassen und einmal genau Ausflüge ohne Plan in und ist als Assistent am andersherum durch einen Ort zu gehen als sonst. die Wirklichkeit Forschungszentrum für Rohstoffsicherung und „Der Sinn von Microadventures ist, dass man Ressourceneffizienz tätig. In seinem Slam warb nicht schon vorher weiß, was man tun wird, son- Schmeing für „Microadventures“, also für kleine dern bereit ist, einfach mal was Verrücktes zu ma- Fluchten aus dem Alltag, die schnell organisiert chen – und zwar in der Realität“, sagte Schmeing. sind und wenig Geld kosten. Florian Schmeing hat selbst eine solche Erfah- rung gemacht, die ihn bewogen hat, andere für Referent solch kleine Fluchten zu begeistern: Er hat per Florian Schmeing Motorrad eine Tour durch Deutschland gemacht, Chemie-Student TU Clausthal ohne dabei Autobahnen zu befahren und ohne Mail: florian.schmeing@tu-clausthal.de ein Handy oder ein Navi zu benutzen. Dass er 16
WORKSHOP Benjamin Wockenfuß VR kann mehr als nur Unterhaltung der realen Welt. Zum Nutzen von VR in der Schule präsentierte Benjamin Wockenfuß das Ergebnis eines europaweiten Pilotprojekts, das das Lernverhalten von Schüler/-innen unter Bezugnahme auf 3-D-Inhalte untersuchte. Die Studie mit Schüler/-innen zwischen zehn und 13 Jahren aus sieben Ländern kam zu dem Ergebnis, dass Konzentration und Mitarbeit sich deutlich steigerten, wenn 3-D-Inhalte genutzt Der Social-Media-Manager und Suchttherapeut wurden. Die Lehrer/-innen teilten mit, dass das Benjamin Wockenfuß von der HLS leitet das Projekt Verständnis der Lerninhalte in den 3-D-Gruppen „Digikids“ tiefer ausgeprägt war. Das Fazit: Mit 3-D-Inhalten können Themen tiefgreifender und schneller Um „VR im Bildungskontext“ ging es in dem von vermittelt werden als mit herkömmlichen Lehr- Benjamin Wockenfuß vorbereiteten Workshop. methoden. Abstrakte Themen werden besser Wockenfuß initiierte für die HLS das Projekt nachvollziehbar und erlebbar. webC@RE und hat derzeit im Fachgebiet „Kin- der in der digitalen Welt“ einen Lehrauftrag an Schulen ungenügend ausgestattet der Frankfurter University of Applied Sciences Wockenfuß präsentierte Ergebnisse einer Befra- inne. Im Workshop stellte er das Projekt „Di- gung von Lehrer/-innen der Sekundarstufe zur giKids“ vor, das er in der HLS leitet, und fragte IT-Infrastruktur: Über 60 Prozent sehen Vorteile nach dem Nutzen von VR im Unterricht. im Einsatz von digitalen Medien im Unterricht, doch etwa die Hälfte von ihnen bewertet die „Digikids“, von HLS und TK in diesem Sommer der Ausstattung als mittelmäßig. Außerdem wurde Öffentlichkeit vorgestellt, ist in der Pilotregion deutlich, dass die technische Ausstattung in den Hessen im Rahmen eines Modellvorhabens an verschiedenen Schulformen sehr unterschiedlich den Start gegangen. Ziel ist es, Kinder zu befähi- ist: Grundschulen seien nach Realschulen und gen, sich in digitalen Lebensräumen souverän zu Gymnasien am schlechtesten ausgestattet. bewegen, anstatt von ihnen beherrscht zu wer- den. Gleichzeitig beabsichtigt „DigiKids“, die Ver- Tatsächlich hinkt Deutschland im Vergleich zu bindung der Kinder zur analogen Welt zu erhalten, anderen Ländern hinterher, was die digitale Aus- zu stärken und weiterzuentwickeln sowie Eltern stattung sowie die Kompetenz von Schüler/ und Pädagogen in diesen Prozess einzubinden. -innen und Lehrer/-innen betrifft. Erst 2016 hat die Konferenz der Kultusminister eine Strategie Digitale und analoge Welt verknüpfen zur „Bildung in der digitalen Welt“ verabschiedet. Neben der Fortbildung von Eltern bietet „Di- Fachleute befürchten jedoch, dass die Umset- giKids“ eine Werkstatt für Kinder ab vier Jahren zung in den Schulen lange dauern wird. an, in der Apps auf Smartphone und/oder Tablet ausprobiert werden, mit denen zugleich die reale Welt erlebbar werden kann. Beispiel: Mit Referent der App spielen die Kinder, wie sie Tiere auf dem Benjamin Wockenfuß Bauernhof versorgen. Direkt anschließend gehen Hessische Landesstelle für Suchtfragen e.V. sie mit ihrer Gruppe zum echten Bauernhof und Projektleiter DigiKids, Suchttherapeut erleben in der analogen Welt, was sie gerade am Zimmerweg 10, 60 325 Frankfurt/ Main Bildschirm gespielt haben.Wockenfuß machte Tel: (+49) 157 33 59 12 34 die Ziele von „DigiKids“ deutlich: Digitale Medien Mail: hi@digikids.online sind kein Ersatz für Beziehungen, kein Ersatz von Web: www.digikids.online Verantwortung und kein Ersatz für das Lernen in 17
WORKSHOP Christian Groß Medienabhängigkkeit muss als Krankheit anerkannt werden Die „Next-Generation-VR“ zeichne sich dadurch aus, dass die 360-Grad-An- sicht eine stärkere emotionale Erlebbarkeit erzeuge: „Virtual Reality kommt der Realität mittlerweile sehr nahe.“ Durch diese starke Realitäts- nähe werden ein totales Abtauchen und ein völliges Ausblenden der realen Zeit und des realen Raumes be- günstigt. Die Möglichkeit der virtuellen Bedürfnisbefriedigung bis hin zu virtuel- ler Sexualität werde in den nächsten Jahren ebenfalls stark zunehmen so Groß. Er muss die Spiele kennen, die seine Patienten faszi- nieren: Suchttherapeut Christian Groß. Auf der Station von Christian Groß landen bislang vor allem Menschen mit einer Compu- Gut die Hälfte der Teilnehmenden entschied terspielabhängigkeit. Auffällig sei beispielswei- sich nach der Mittagspause unter den vier mög- se das hohe Bildungsniveau der Betroffenen, lichen Workshops für das Angebot von Christi- bedingt durch die nötigen Englischkenntnisse an Groß „Behandlungsansätze für Menschen – als Voraussetzung für das Spielen auf interna- mit exzessiven Medienkonsum“. Christian Groß tionalen Servern. „Hier sehen wir auf der Ebene ist Mitarbeiter der Bernhard-Salzmann-Klinik des Bildungsniveaus einen klaren Unterschied zu in Gütersloh und arbeitet als Suchttherapeut anderen Suchtformen. Gut Englisch sprechen zu auf der Station für glücksspiel- und medienab- können ist ein wesentlicher Bestandteil für den hängige Patienten. Außerdem gehört er zum Erfolg eines Gamers.“ Die Suchtstrukturen, auf Vorstand des Fachverbandes Medienabhängig- die die Games antworten, bestehen vor allem keit e.V.. Die wichtigste Voraussetzung für die Behandlung von Computerspielsucht (aktuell der häufigste Fall von Medienabhängigkeit) ist für Christian Groß, sich mit dem Habitus des jeweiligen Gamers auszukennen. Sich auszukennen, bedeutet auch, die angesag- ten Spiele zu kennen, wie Groß deutlich machte. Dies sei besonders auf der Beziehungsebene zum jeweiligen Patienten von Bedeutung. „Oft hilft mir das IN-Game-Wissen schnell eine Bezie- hung zum Patienten herzustellen.“ Immer mehr junge Patienten Das Suchtpotenzial digitaler Spiele steht für Groß außer Frage; besonders anfällig für diese seien junge Menschen und vorwiegend junge Männer. Daher sei es nicht verwunderlich, dass die Zahl der Betroffenen in diesem Bereich in den letzten Jahren stark angestiegen sei. 18
Die Befürchtung des Suchttherapeu- ten: VR könnte das Ausblenden der Realität noch stärker begünstigen, als Computerspiele dies tun. aus virtueller Bedürfnisbefriedigung im Sinne Der Fachverband Medienabhängigkeit vertritt von Anerkennung, Wertschätzung und sozialer die Ansicht, dass die Aufnahme von Computer- Bindung so Groß. „E-Sport ist ein stark wachsen- spielsucht in den ICD-11, das wichtigste, weltweit der, sehr lukrativer Wirtschaftszweig, der mit anerkannte Klassifikationssystem für medizini- großen Aufstiegsmöglichkeiten für junge Gamer sche Diagnosen, dringend geboten sei, um das wirbt. Das Maß an Training das investiert werden Versorgungssystem weiter auszubauen und muss ist jedoch so zeitintensiv, dass reale Le- Patienten mit diesem Störungsbild die benötigte bensbereiche vernachlässigt werden.“ Häufig ist Hilfe zukommen lassen zu können. Die aktuelle, dies laut Groß der Beginn einer sich manifestie- international gültige Ausgabe – Herausgeberin renden Suchtdynamik. ist die Weltgesundheitsorganisation – ist der ICD- 10. Seit 2007 wird an einer Neufassung gearbei- Bewusst eingebaute Suchtmechanismen tet. Der ICD-11 soll im Mai 2018 verabschiedet Die ständige virtuelle Herausforderung, und das werden. Streben danach, „der Beste“ zu sein, spreche auf ein „männliches Bedürfnis nach Anerkennung“ an. Die Entwickler, so Groß, forcieren dabei derartige Spielmechanismen. Die Industrie sei stets versucht, „the most addictive game“ zu entwickeln. „Wir müssen uns klar machen, dass es im Interesse dieser Unternehmen ist, den Spie- ler möglichst lange an das Spiel zu binden und möglichst viel für das Spiel zu investieren, auch monetär.“ Besonders anfällig für derartige Spielsysteme seien laut Groß Personen, die es in der Realität nicht geschafft hätten, ihre zentralen Bedürfnisse nach Anerkennung oder Bindung zu befriedigen. „Diese Personen sind in der Realität häufig an Referent ihren eigenen oder den Erwartungen anderer Christian Groß gescheitert und finden nun in der virtuellen Welt Diplom-Sozialarbeiter eine Community, in der sie anerkannt werden M.Sc. Klinische Psychologie und erfolgreich sind.“ In der Folge würden die Bernhard-Salzmann-Klinik Personen zunehmend mehr Zeit in der virtuellen LWL-Rehabilitationszentrum Ostwestfalen Welt verbringen und somit ihr „reales Ich“ ver- Buxelstraße 59, 33334 Gütersloh nachlässigen. Sein Kompliment an die TK: „Diese Tel: (+49) 5241 502 25 63 Krankenkasse hat früh erkannt, dass Computer- Mail: christian.gross@lwl.org spielsucht einer dringenden Behandlung bedarf.“ 19
WORKSHOP Beate Kremser Gleiche Bedürfnisse, veränderte Möglichkeiten Beate Kremser stellte den Teilnehmenden die Arbeitsweise der Neu-Isenburger Jugendeinrich- tung vor. Voraussetzung für die Arbeit dort ist die Anerkennung der Tatsache, dass die analoge und die virtuelle Welt längst keine zwei getrennten Bereiche darstellen, sondern einander über- schneiden: „Jugendliche sind immer online. Das Internet ist Teil ihrer Wirklichkeit“, so Kremser. Jugendliche haben weniger Zeit Die Zeiten haben sich geändert, seit das Infoca- fe vor 15 Jahren eröffnet wurde: Jugendliche Analoge und digitale Welt gehören für Jugendli- haben weniger Zeit, stellte Kremser fest. Sie sind che zusammen, weiß die Sozialpädagogin Beate weniger motiviert für Projekte, Engagement und Kremser Selbstverwaltung. Die Trennung von „online“ und „offline“ ist aufgehoben, es gilt: sowohl als auch! Sehr konkrete Erfahrungen aus der medienpäd- „Nicht die Bedürfnisse der Jugendlichen haben agogischen Praxis bekamen die Teilnehmer/ sich geändert, sondern ihre Möglichkeiten“, be- -innen im Workshop „VR in der offenen Jugend- tonte Kremser. arbeit“ mit, der von Beate Kremser angeboten wurde. Die Sozialpädagogin ist seit 2003 im Bedeutsam sei der Unterschied zwischen erwei- Infocafe Neu-Isenburg tätig, einem städtisch terter Realität (AR) und der virtuellen Realität finanzierten Treff mit medienpädagogischen (VR). Letztere ermöglicht ein komplettes Eintau- Freizeit- und Bildungsangeboten für Kinder chen in eine dreidimensionale, computergene- und Jugendliche zwischen 9 und 21 Jahren. Ein rierte Datenwelt, verbunden mit der Isolation pädagogisches Projekt zu VR gibt es im Infocafe von der realen Welt; AR hingegen integriert bislang nicht. Allerdings ist dort eine VR-Brille vorhanden, die mit Spiel und Spaß ausprobiert werden kann. 20
Wächst der Mensch mit seinen Möglichkeiten? Die preisgekrönte Karikatur von Klaus Stuttmann, die Beate Kremser in ihrem Workshop zeigte, deutet eher nicht darauf hin. virtuelle Informationen in die reale Umgebung, Desinfektion von Gesicht und Brille wie zum Beispiel bei dem Spiel Pokémon Go. Keine Spieleinheit länger als 30 Minuten Für die Altersgruppe der 9- bis 12-Jährigen macht das Infocafe andere Angebote als für die Jüngere Kinder dürfen die Brille einmal nutzen, 12- bis 21-Jährigen und richtet sich dabei nach bei Älteren gibt es keine Einschränkung den Vorschriften des Jugendschutzes. Früher war alles besser? Auf diese rhetorische Im Zusammenhang mit VR-Technologie sei es Frage antwortete Beate Kremser mit der Karika- wichtig zu wissen, dass sich Kinder unter 13 Jah- tur des Hanns-Guck-in-die-Luft von damals und ren in einer kritischen Phase der Entwicklung des heute, für die der Berliner Zeichner Klaus Stutt- Sehens befinden, so Kremser. Wichtig sei auch mann den deutschen Karikaturenpreis 2016 er- die Hygiene, um die Übertragung von Bindehau- halten hat: Der Träumer aus dem „Struwwelpeter“ tentzündung durch die Brille zu vermeiden. Ob von 1845 war damals „in Gedanken“ und richtete die Technik das Sehvermögen langfristig beein- seinen Blick auf dem Schulweg gen Himmel, um trächtigt, sei noch nicht genügend erforscht, schließlich ins Wasser zu fallen. Der moderne ebenso wenig die Auswirkungen auf die Gesund- Hans guckt zwar nicht in die Luft, aber er erleidet heit insgesamt. mit Blick auf sein Smartphone dasselbe Schicksal. Als beste Praxis im Umgang mit der VR-Brille haben sich im Infocafe daher folgende Regeln Referentin bewährt: Beate Kremser Ausreichend Raum und Betreuungspersonal Diplom-Sozialpädagogin Infocafe Neu-Isenburg Individuelle Aufklärung durch Mitarbeitende Pfarrgasse 29, 63 263 Neu-Isenburg Tel: (+49) 6102 20 99 29 Keine VR-Brille bei Außentemperaturen über Mail: beate.kremser@stadt-neu-isenburg.de 25 Grad 21
WORKSHOP Christian Schaack Politik, Gesellschaft und Entwickler tragen Verantwortung Worin könnten zukünftige Herausforderungen in der Beratung und Behandlung von Menschen liegen, die VR-Medien nutzen? Unter dieser Fragestellung diskutierte die Gruppe die mögli- che und kritisch zu bewertende Verschmelzung zwischen eigener Person und dem Avatar, also der Inkorporation der eigenen Person in der virtuellen Welt. Bereits heute könne bei patho- logisch Nutzenden eine starke Bindung an den eigenen Avatar beobachtet werden. Die Gruppe teilte die Bedenken, dass durch die verstärkte Immersion und das höhere Präsenzerleben in VR Der Diplom-Sozialpädagoge Christian Schaack dieser Faktor ebenfalls verstärkt wird. Die aktuellen Methoden von Beratung und Der Zugang zu Menschen, die VR problematisch Prävention im Zusammenhang mit Spielsucht oder pathologisch nutzen, könnte noch schwie- sind auch im Hinblick auf VR gültig. Die An- riger werden, als dies bei internetsüchtigen gebote müssen jedoch ausgebaut und weiter- Personen der Fall ist. Betroffene VR-Nutzer/-innen entwickelt werden. Politik, Gesellschaft und dürften sich noch weniger aus ihrer „Sucht-Zo- Entwickler/-innen müssen dafür Verantwor- ne“ herausbewegen und somit noch schwerer tung übernehmen. Zu diesem Ergebnis kamen mit Angeboten erreicht werden können, so die die Teilnehmer/-innen in dem von Christian Erwartung der Workshop-Teilnehmenden. Einig Schaack geleiteten Workshop zu „Total Immer- war sich die Gruppe, dass reine Onlinebeziehun- sion – Herausforderungen um VR in Beratung gen nicht von gleichem Wert sind wie real ge- und Behandlung“. Der Diplom-Sozialpädagoge knüpfte Beziehungen, da letztere mehr Rückhalt Christian Schaack ist als Referent für Suchtprä- böten. vention bei der rheinland-pfälzischen Landes- zentrale für Gesundheitsförderung (LzG) in Kompetenz von Eltern stärken Mainz tätig. Sind die aktuellen präventiven und therapeu- tischen Methoden unter den zuvor genannten Punkten noch ausreichend oder müssen wir neu den- ken? Als ein zentraler Punkt der Diskussion wurde hier die Unterstützung von Eltern genannt, deren Kompeten- zen zu stärken seien. Hier gebe es großen Nachbess- serungsbedarf, denn Aufklä- rung und Prävention setzten derzeit viel zu spät ein. VR-Nutzung in der Kinderkli- nik: Ein kleiner Patient kann durch die von einem Arzt gesteuerte VR-Brille besondere Sehenswürdigkeiten in aller Welt sehen. Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=MK8__PKOjdE 22
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