FRIEDRICHS WILHELM - U.S.A - ASTA-BONN
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- kritisches überparteiliches Campusmagazin - No. 69 Friedrichs des 19.01.21 Wilhelm Zeitschrift für alle Fakultäten Medizinskepsis U.S.A. Melbbad Ja schon, ABER ... Der Schaden an der Demokratie Zum Glück gerettet?
� EDITORIAL � FW 69 Seite 2 Liebe Leser:innen und Leser, wir starten mit einer Ausgabe voller Kommentare möchte ich im Nahmen unserer ganzen Redaktion ins Jahr 2021. Das Titelbild unserer ersten FW des zusätzlich ein großes Danke an dich, liebe:r neuen Jahres spiegelt ganz gut viele Haltungen Leser:in, aussprechen. Dank des zweiten Shut- wider, die wir bei dem Erstellen unserer Artikel downs kann auch unsere Zeitung nicht mehr in eingenommen haben. Es geht um Helenes Hal- dem Ausmaß gelesen werden, wie es normaler- tung zu dem Stellenwert Studierender während weise der Fall ist. Dass du dir gerade unsere einer Pandemie, Milan und Tom waren beide Zeilen trotzdem zu Gemüte führst, bedeutet mir erschüttert von den Ereignissen des 06.01.2021, und uns sehr viel. Auf dass bald wieder ein bis- als das US-amerikanische Kapitol gestürmt schen mehr Normalität in all unseren Leben ein- wurde und ich habe die Corona-Warn-App unter kehrt! die Lupe genommen. Außerdem hat sich Cle- mens den Ausgang des Bürgerentscheids Ende Viel Spaß beim Lesen und bleibt gesund! letzten Jahres über den umstrittenen Wohnungs- bau am Bonner Melbbad zum Thema gemacht und Sam hat sich ein wenig mit der Wissenschaft und dem Medizinschwurbel befasst. Eine umfang- reiche Mischung an Themen also. An dieser Stelle Melina Duncklenberg � IN DIESER AUSGABE Stadt Gesellschaft/Studium Gesellschaft 3 6 8 Melbbad – Eine vergessene Medizin War es in Gefahr? Generation – ein etwas & Skepsis wehleidiger Kommentar & Schwurbel Politik Politik Gesellschaft 11 13 16 Meinungsfreiheit – USA – das Ende Corona-App – ein Kampfbegriff der der Demokratie? Was steckt dahinter? radikalen Rechten? � IMPRESSUM Redaktion: V.i.S.d.P.: Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzungen von Jan Bachmann Sander Hartkamp Artikeln und Leserbriefen vor. Ronny Bittner Vorsitz | AStA der Universität Bonn Namentlich gekennzeichnete Melina Duncklenberg Artikel geben nicht unbedingt Helene Fuchshuber Kontakt: fw@asta.uni-bonn.de die Meinung der Redaktion Samuel F. Johanns wieder. Milan Nellen www.asta-bonn.de Julia Pelger Die nächste Ausgabe facebook.com/AStA.UniBonn Tom Schmidtgen erscheint Clemens Uhing im Sommersemester �
Kommentar FW 69 Seite 3 � � Das Melbbad ist gerettet Ein Kommentar zum letzten Bonner Bürgerentscheid von Clemens Uhing nde des vergangenen Jahres fand in Bonn erneut bad in seiner jetzigen Form ohne eine Wohnbebauung E ein Bürgerentscheid im Zusammenhang mit einem Schwimmbad statt. Nach den vielen Debat- ten um Kurfürsten-, Viktoria- und Frankenbad, stand erhalten bleiben?“. Das Ergebnis war erstaunlich ein- deutig: 38,92 Prozent der Abstimmungsberechtigten nahmen ihr Recht war. Davon sprachen sich 77,18 Pro- diesmal das Melbbad im Mittelpunkt. Das betagte Frei- zent gegen die Pläne der Stadt aus, nur 22,82 Prozent bad ist an der Poppeldorfer Trierer Straße, malerisch im stimmten mit „Nein“ und damit indirekt für die Bebau- Melbtal gelegen. ungspläne. Interessant ist, dass sich die Ergebnisse im Ausgangspunkt der Debatte waren Bestrebungen von Vergleich der verschiedenen Stadtbezirke nicht in Seiten der Stadt, die maroden Sanitäranlagen und bemerkenswertem Maße unterscheiden. Die Spanne Betriebsräume des Bades zu sanieren. Dies wurde vom liegt zwischen 71,75 (Beuel) und 79,56 Prozent (Hardt- Stadtrat gleichzeitig als Chance gesehen, kostengünsti- berg). Nach dem Bürgerentscheid ist klar: Wohnungen gen Wohnraum zu schaffen. Bald kam das kommunale wird es am Melbbad nicht geben. Ob es sich zeitnah Wohnungsbauunternehmen VEBOWAG (Vereinigte neuer Badeinfrastruktur erfreuen kann, bleibt trotzdem Bonner Wohnungsbau AG) mit entsprechenden Plänen bis auf weiteres unklar. auf die Stadt zu. Diese sahen vor, einen riegelförmigen Wohnkomplex an die Stelle der bestehenden Bebauung War das Melbbad in Gefahr? (und darüber hinaus) zu errichten, der zuletzt mit sieben Ebenen geplant wurde. Darin enthalten sein soll- Für ihr Anliegen argumentiert hat die Initiative „Rettet ten nicht nur neue Sanitäranlagen und Betriebsräume das Melbbad“ einerseits mit Argumenten allgemeiner für das Schwimmbad, sondern auch 85 preisgünstige stadtpolitischer Bedeutung. Beispielweise kritisiert sie, Wohnungen mit Grundflächen von 25 bis 77 qm. Mit dass die Bebauung die Kaltluftströme durch das Melbtal dem Universitätsklinikum Bonn (UKB) war abgespro- stören könnte oder mögliche Kostensteigerungen chen, diese vor allem an UKB-Mitarbeiter*innen mit Löcher in die Stadtkasse reißen könnten. Andererseits niedrigem Einkommen zu vermieten. So sollte eine bemühte sie ein Narrativ, nach dem das Melbbad durch Win-Win-Situation geschaffen werden: Angemessene das Wohngebäude in seinem Bestand gefährdet gewe- Badeinfrastruktur und mehr Wohnraum. sen sei. Dieses soll im Folgenden anhand von drei der Als Reaktion auf diese Pläne gründete sich die Initia- von der Initiative vorgetragenen Argumenten analysiert tive „Rettet das Melbbad“, die eifrig gegen die Pläne der werden. Stadt und der VEBOWAG Wind machte. Das Ziel: Die Wohnbebauung am Melbbad verhindern. Nachdem im Zuerst nennt die Initiative das „Schließungsrisiko vergangenen Jahr einige Versuche gemacht wurden, Lärmklagen“, worauf im Wesentlichen die Annahme den Bedenken der Initiative entgegenzukommen, diese aufzubauen scheint, das Melbbad sei durch das Bauvor- in der Augen derselben aber scheiterten, zeigte die Initi- haben in seiner Existenz bedroht. Es könne nicht ausge- ative der Stadt am 29.06.2020 ein Bürgerbegehren an. schlossen werden, dass Bewohner*innen des neuen Weil der Stadtrat diesem nicht folgte, aber genug Bürge- Wohnkomplexes sich vom schwimmbadtypischen Lärm r*innen das Anliegen unterstützten, kam es zu einem gestört fühlen würden. Die Initiative hält ernsthafte Bürgerentscheid, der am 28. November ausgezählt Einschränkungen des Badebetriebs oder gar die Schlie- wurde. Die Abstimmungsfrage lautete: „Soll das Melb- ßung des Bades für möglich. Wirft man allerdings einen
� FW 69 Seite 4 Kommentar » Nach dem Bürgerentscheid ist klar: wird es am Melbbad geben. Ob es sich zeitnah neuer Badeinfrastruktur erfreuen kann, bleibt « trotzdem bis auf weiteres . Blick auf bereits gefällte Urteile in vergleichbaren Fällen, auch minderjährige Personen und Frauen unbemerkt scheint beides unwahrscheinlich. Nach der Sportanla- ablichten möchten“. Selbstverständlich spricht die Initi- genlärmschutzverordnung darf die Immission von ative hier einen wichtigen Punkt an: Missbräuchlicher Sportanlagen – ein Freibad, welches auch „spaßeshal- Voyeurismus und sexuelle Belästigung passieren in und ber“ genutzt wird zählt auch dazu – 55 dB ausmachen, an Freibädern und müssen bekämpft werden. Wie die d.h. es dürfen bis zu 55 dB in der Wohnung der Nachba- Bürger*inneninitiative darauf hinweist, suggeriert sie r*innen ankommen. Von Gerichten wurde in der Ver- gleichzeitig, das Melbbad sei sonst eine heile Welt (des gangenheit aber bereits betont, dass bei der Bemessung Respekts) und die erwähnten Gefahren hätten erst mit angemessener Lärmgrenzwerte eine Rolle spielt, ob das dem angedachten Wohnkomplex ins Spiel kommen Bad schon vor der Wohnbebauung bestand (vgl. Urteil können. Insbesondere mit Blick auf die Vorstellung des des Verwaltungsgerichts Stuttgart Az.: 13 K 3067/13 vom von oben filmenden Mieters ist das aber unglaubwürdig, 19.09.2014) und ob besondere Lärmschutzmaßnahmen leben wir doch in einem Land, in dem ein großer Teil der hinsichtlich der Häufigkeit der Überschreitung von Menschen mit Elektrokleingeräten ausgestattet ist, die Lärmgrenzwerten verhältnismäßig sind (vgl. Urteil des unauffällig mit vielfachem optischen Zoom Fotos anfer- Bayerischen Verwaltungsgerichthofs 22 B 05.2870 vom tigen können und in modernen Zeiten zum gewöhnli- 24.08.2007). Ein Freibad ist schließlich nicht das ganze chen Bild eines Schwimmbads gehören. Jahr geöffnet und nicht rund um die Uhr besonders laut. Doch die Bürger*inneninitiative fürchtete noch In beiden oben zitierten Urteilen wurde zugunsten der einen weiteren Schatten: Den Sonnenschatten, der im Freibäder entschieden. Übrigens ist auch das Friesdor- Falle des Baus in Zukunft über das Melbbad hätte fallen fer Freibad nur durch eine schmale Straße von der können. Nach einem von der VEBOWAG in Auftrag nächstgelegenen 3-stöckigen Wohnbebauung entfernt. gegebenen Gutachten wären die Schwimmbecken des Klagen hat es wohl noch keine gegeben. Bades zum Beispiel am 21. Juli ab 19 Uhr voll verschattet. Nicht nur mögliche Klagewütigkeit der jetzt verhin- Was in der Mittagshitze vielleicht noch angenehm küh- derten neuen Nachbarschaft wurde befürchtet. Auch vor lend daher kommt und gegen Sonnenbrand schützt, einer Beobachtung „anonym aus Fenstern“ hatte die stört natürlich beim feierabendlichen Rückenkraulen Bürger*inneninitiative „Rettet das Melbbad“ Sorge. das Wohlbefinden. Tagsüber und bis zum späten Nach- Eine solche sei schließlich etwas anderes als „sich in mittag – den Hauptnutzungszeiten eines Freibades - Badekleidung gegenseitig respektvoll“ wahrzunehmen. wäre aber trotzdem genug Sonne für alle da. Davon aus- Noch etwas düsterer wird die Vorstellung durch die gehend zu schreiben, dass „[n]iemand […] gerne ein ebenfalls auf der Website der Initiative aufgeworfene Freibad besuchen“ möchte, „dessen Becken von einem Frage, ob „ein Wohnkomplex direkt an der Beckenlage riesigen Wohnkomplex verschattet“ werde, ist dem nicht die ideale Bühne für jene“ sei, „die missbräuchlich Sachverhalt also nicht angemessen.
Kommentar FW 69 Seite 5 � Eine Frage der Interessensgewichtung eine Gefährdung des Bades abzuleiten aber übertrieben. Der Behauptung das Melbbad sei in seiner Qualität Die drei diskutierten Argumentationen der Melbbad- ernstlich gefährdet gewesen fehlt die sachliche Grund- Retter*innen weisen einige Gemeinsamkeiten auf. So lage. Zumindest sind die möglichen Gefahren schwer- tragen sie alle einen wahren Kern in sich. Ja, theoretisch lich zureichende Argumente, um sozialen Wohnungs- hätten Lärmschutzbeschwerden dem Freibad Schwie- bau zurückzuweisen, vor allem wenn er zu Gunsten rigkeiten bereiten können. Ja, Wohnungen mit Blick auf derer gehen soll, die vor Wochen noch beklatscht die Badegäste bieten ein zusätzliches Potential für unge- wurden. Vielmehr scheint die Haltung dazu kompro- wollte Beobachtungen und Aufnahmen. Und ja, das Bad misslos: Schatten am Abend soll ein Argument gegen 85 hätte durch den Wohnkomplex mehr Schattenstunden moderne Sozialwohnungen sein. Das eigene Partikular- abbekommen als bisher. Gleichzeitig haben diese drei interesse scheint unverhältnismäßig überhöht, wäh- Punkte aber auch die Gemeinsamkeiten, dass sie mögli- rend über das Interesse der Anderen zu wenig nachge- che Probleme übertreiben und „ihrem“ idealisierten dacht wird. Das zeigt sich besonders gut an einem der Freibad übermäßige Bedeutung beimessen. Das Entste- Vorschläge der Initiative für die Lösung der Wohnungs- hen eines ernsthaften Lärmstreits ist unwahrscheinlich problematik. Sie schlägt „aufgeständerte Bauten über und würde vor Gericht mit guten Chancen für das Melb- den Parkplatzflächen großer Supermärkte“ vor. Nicht bad entschieden. Aus der theoretischen Möglichkeit des bedacht: Die zusätzliche Hitzeerhaltung in der Stadt Gegenteils wird eine konkrete Bedrohung gemacht. Die durch Hochbau, die möglichen Lärmkonflikte wegen Beobachtungsproblematik beginnt mit der Unterstel- des Supermarktbetriebs und des Lieferungsverkehrs lung, die 85 möglichen Mietparteien könnten Menschen und die nicht besonders erstrebenswerte Wohnlage mit bösen Absichten enthalten, während von den zehn- über einem Parkplatz. Doch das scheint als zumutbar zu tausenden jährlichen Gästen des Melbbades per se ein gelten, geht es den Einen doch „nur“ um angenehmes respektvolles Miteinander behauptet wird. Die Verschat- und bezahlbares Wohnen, während die Anderen das tung ist zwar zu Randzeiten unangenehmen, daraus Recht auf unverbauten Badespaß verteidigen. � Poppelsdorf Mitte » Schatten am Abend soll ein Argument gegen 85 moderne Sozialwohnungen sein. Das eigene Partikularinteresse scheint unver hältnis Venusberg mäßig Lageplan des Melbbads Quelle: OpenStreetMap überhöht. «
� FW 69 Seite 6 Kommentar � Keiner spricht uns an! ...was ich mir mal von der Seele schreiben musste von Helene Fuchshuber er Podcast Jung und Naiv fragte in einer Art Jah- das tangiert mich nur bedingt. Ich muss (und darf) nicht D resrückblicksfolge, der zweiten Ausgabe von Der entscheidende Punkt, „Was haben wir wirklich gebraucht?“ Er macht aufmerksam auf Generationen nach Neuseeland, auch wenn es dort gerade ziemlich entspannt sein sollte, und eine neue Hose brauche ich auch nicht. Und nicht nur ich komme sicherlich zu dem und soziale Spaltung, diskutiert, wie es wem warum mit Schluss, dass wir das, diese Form von Luxus und ver- Corona geht, welche Einschränkungen wer erlebt. Er schiedenste Konsummöglichkeiten, nicht wirklich spricht auch junge Menschen an, Schüler:innen und gebraucht haben. Es war good to have, aber nicht not- Menschen Anfang 30. Ich muss gestehen, ich habe nicht wendig. den ganzen Podcast gehört, vier Stunden waren mir deutlich zu lang. Aber während dort in der ersten halben Was ich wirklich brauchte, war mein Weg in die Uni, um Stunde Schüler:innen der Oberstufe und Berufseinstei- wenigstens einmal am Tag an der frischen Luft zu sein. ger:innen immerhin Erwähnung finden, fühle ich mich Ich brauchte meine Kommiliton:innen, auch wenn mir überhaupt nicht repräsentiert. Weder bei Jung und die besonders schlauen regelmäßig auf den Kranz Naiv, noch in anderen Medien. Ich habe das Gefühl, ich gegangen sind. Ich brauchte sie, um mich selbst zu for- wurde einfach vergessen. Und nicht nur ich, generell dern und auch (immerhin manchmal) das Gefühl zu Menschen wie ich: Wir sind zwischen 18 und MitteEnde- haben, Fortschritte zu machen. Ich brauchte sie, um in Zwanzig. Wir wohnen in kleinen Wohnungen mit ande- der Pause einen Kaffee am Café-Roller zu trinken und ren Leuten unseren Alters. Wir studieren. Und wenn endlich in Bonn anzukommen. Ich brauchte sie, um jemand über uns spricht, dann nur, weil wir als Sünden- über unser Studium zu reden und mich daran zu erin- böcke herhalten müssen: Wir sind jung und naiv und nern, warum ich studiere. Was ich wirklich brauchte, verantwortungslos und dumm. Wir wälzen Luxuspro- war das in-der-Uni-Sein, damit ich mich auf das wieder- bleme, wollen was trinken gehen, in großen Gruppen nach-Hause-Kommen freuen konnte. Was ich brauchte, auf engem Raum Körperflüssigkeiten austauschen, die waren Wochentage, an denen ich Uni machte, um am Nacht zum Tag machen. Wir wollen uns selbst finden, Wochenende frei zu haben. Ich brauchte Dozierende, die unsere Freund:innen und Familien in anderen Städten in 3D immerhin die Chance hatten, mich abzuholen und besuchen. Wir wollen zur Uni gehen und Mannschafts- meine Aufmerksamkeit zu halten. Ich brauchte Bücher, sport betreiben und in Bibliotheken lernen und unsere die ich in den Händen halten konnte, damit ein Klick Jobs behalten. Wie können wir es wagen. Derlei Forde- zum Öffnen eines neuen Tabs nicht reicht. Ich brauchte rungen zu stellen. außerdem die Möglichkeit, ganz abzuschalten. Ich brauchte es, nach Köln zu fahren, um tanzen zu gehen. Was haben wir wirklich gebraucht? Stundenlang im gleichen Café Löcher in die Luft zu star- ren und mich mit mehreren Menschen zu treffen, ohne Ja, wir konnten im Oktober nicht in den Urlaub fliegen, ein schlechtes Gewissen zu haben. Ich brauchte die welch Kummer. Auch traurig, dass der Einzelhandel Leichtigkeit und manchmal Unvernunft, das katerige immer mal wieder schließt. Oh Graus, unser Konsum Dahinvegetieren in einer Vorlesung nach einer durch- wird eingeschränkt (online-shopping mal ausgenom- tanzten Nacht. Ich brauchte die spontanen Verbindun- men). Viel doofer ist doch, dass Cafés und Restaurants gen zwischen (fremden) Menschen, die spontanen zu haben und Kellner:innen ihre Jobs verlieren. Dass Umarmungen mit meinen Freund:innen. Museen leer sind und Theater schweigen. Natürlich Stattdessen sitze ich stummgeschaltet und ohne Video mache ich mir auch Gedanken um die Menschen, die vor Zoom in meinem WG-Zimmer. ihre Jobs als Verkäufer:innen verloren haben oder am Mein Leben ist auf Pause. anderen Ende der Welt auf Tourist:innen warten. Aber
Kommentar FW 69 Seite 7 � Die Generation der Vergessenen machen, der aber nicht nur mich betrifft: Wir sind eine vergessene Generation, denn keiner spricht über uns. Ich weiß, das Leben von allen Menschen hat sich verän- dert, egal welchen Alters. Vielleicht das von der ein oder Und wir sind eine verratene Generation, denn das jetzt, dem anderen mehr oder weniger. Garantiert bei vielen gerade, Studium, sollte die schönste Zeit unseres Lebens noch drastischer als bei mir. Trotzdem habe ich das werden. Wurde mir jedenfalls immer prophezeit. Diese Gefühl, dass sich gerade das Leben der Jungen von Zeit sollte unbeschwert und fröhlich sein. Nicht komplett Grund auf geändert hat. Und über unsere Probleme ohne Verpflichtungen, aber doch selbstbestimmt. Es damit spricht kaum jemand. Es sei denn, wir bereiten sollte die Zeit sein, in der wir LEBEN, in der wir uns die Probleme. selbst und unseren Platz in der Welt finden. Wir werden Studierende haben selten Eigentumswohnungen mit gerade um diese Zeit betrogen. drei Bädern, selten getrennte Wohn-, Schlaf- und Gut, die Altersspanne, die ich geöffnet habe, ist sehr Arbeitszimmer. Wir haben WG-Zimmer. Wir haben weit. Ich nehme an, dass die 28jährige Architektur-Mas- kaum Orte, an denen wir ungestört arbeiten oder lernen terstudentin weiter mit der Selbstfindung ist als der können. Fast das ganze Leben spielt sich am gleichen Erstsemester-Zahnmedizinstudent, der eigentlich dieses Schreibtisch ab und im besten Fall ist die Internet-Ver- Jahr in Australien Kiwis pflücken wollte. Aber irgendwie bindung dabei dezent instabil. sitzen wir doch alle in unseren WG-Zimmern fest. Ich frage mich, wie wir so einen produktiven und erfüllenden Alltag haben sollen. Was wir wirklich brauchen Woher der Ausgleich kommen soll, den wir alle so dringend brauchen. Und ich frage mich, wie ich mich in » Ich versuche Nachdem ich jetzt zwei Seiten lang gejammert habe, zum Schluss noch meinen eigenen vier Wänden selbst nur einen Punkt, ein paar halbfertige Lösungsvor- finden soll, wenn ich doch dabei bin, meinen Punkt, schläge. Denn, was ich wirklich brau- die Wände hochzugehen, weil sie che sind keine Unmöglichkeiten. näherkommen? Wie soll ich ankom- klar zu machen, der Diese Dinge sind in meinen men, mich verlieben, Freund:innen aber nicht nur mich Augen nicht zu viel verlangt und nicht finden, wenn ich niemanden treffen betrifft: unlösbar. Gut, es ist illusorisch, die darf? Wie soll ich, wie sollen wir, sofortige Öffnung aller Universitä- leben? Ein Großteil studentischer Wir sind eine ten, Hochschulen, Bibliotheken etc. Jobs ist nicht systemrelevant. Ein vergessene zu fordern. Oder das bedingungslose Großteil unserer Interessen ist es Generation, denn Öffnen aller Bars, Museen, Opern- anscheinend nicht. häuser und Cafés. Ich verlange in Ich weiß, wir haben mehrheitlich keiner spricht über erster Linie Aufmerksamkeit. Und im keine Kinder, die wir bespaßen müssen. Wir sind durchschnittlich uns . » zweiten Schritt ein gemeinsames Erarbeiten konstruktiver Lösungen. seltener Teil der Risikogruppen und Im Sommer haben verschiedenste das Problem der sozialen Ungleichheit, das sich durch Kultureinrichtungen und die Gastronomie gezeigt, dass alle Generationen zieht, lasse ich hier kurzerhand außen Corona-konformes Feiern, Essen, Trinken und Kinobe- vor. suche möglich sind. Ich weiß, im Sommer war es Beziehungsweise kann ich aus meiner privilegierten wärmer (wer hätte das gedacht), nichtsdestotrotz funk- Situation einfach nicht für Student:innen mit Kindern tionieren Lüftungssysteme auch im Winter und das sprechen. Nicht für die mit großen finanziellen Sorgen Abstandhalten in Museen läuft sowieso meist wie von aufgrund von Jobverlusten. Nicht für die, denen der selbst. Ich hoffe außerdem auf mehr Unterstützung für Zugang zu technischen Hilfsmitteln und damit der Studierende von Seiten der Universitäten. Mir scheinen Zugang zur Lehre fehlt. Nicht für die, bei denen die nämlich fehlende Lernräume, für die man Zeitslots Ungewissheit oder der Stillstand sich in psychischen buchen könnte, aufgrund der leeren Universitäten nicht Krankheiten Bahnen bricht oder für die, die zur Corona- an Platzmangel, sondern lediglich an Unwillen zu schei- Risikogruppe gehören. Ich sitze in meinem WG-Zim- tern. Und schlussendlich: die schwarze Null ist eh passé, mer und jammere trotzdem, obwohl ich doch weiß, dass warum nicht neben Wirtschaftsförderungen in großem es Studierende ohne geklärte Wohnsituation gibt. Stil in Bildung investieren? Digitale Lehre ist kein Neo- logismus, die Umsetzung zeugt aber weitgehend von Pardon. großer Überforderung. Daran muss nicht nur jetzt und als Übergangslösung gearbeitet werden, wir brauchen Ich versuche nur einen Punkt, meinen Punkt, klar zu langfristig Veränderungen des Bildungssystems. �
� FW 69 Seite 8 Kommentar � Wie noch vertrauen und was eigentlich, wenn doch? Von Verstrahltheiten und der Qual des Ungewissen von Samuel f. Johanns ielleicht kennen auch Sie es, das gelegentliche Horror dieser Geschichten entwächst der Horror von V Gefühl der Unsicherheit, das in den Alltag herein- bricht. Vielleicht ausgelöst von einem alarmisti- schen kleinen Artikel, nebenbei aus dem Augenwinkel heute. Der quälende Gedanke: „Was wenn?“. Was wenn das WLAN von heute unser Thorotrast ist. Für nichtioni- sierende Strahlung gibt es keinen Beleg einer schädli- überflogen, irgendwo beim Clickbait im Netz. Die Töd- chen Wirkung auf den menschlichen Körper heißt es. lichkeit des vertrauten Küchengerätes. Die teflonbe- Der Satz beruhigt den Laien oder die Laiin nicht, schichtete Bratpfanne, eine offenbar sichere Krebs- schließt er doch offenkundig erstmal nichts aus. todesfalle. Der WLAN-Router im Schlafzimmer, Und was ist eigentlich mit diesem neuen Impfstoff? vielleicht doch zu nah am Kopfende des Bettes, Hirntu- Schon ertappt man sich bei der Stimme im Kopf: „Da mor incoming? Die einen neigen sicher eher zum kata- wird doch etwas mit ganz schneller Nadel gestickt, strophalisieren als die anderen. Aber was eigentlich beziehungsweise verabreicht. Weil denen die Wirtschaft wenn? sicher wichtiger ist als unser Leben. Ich bin ja kein:e Ein Blick in die Geschichte muss nicht zwingend Impfgegner:in, aber…“ beruhigen. Recherche ist oft nicht unbedingt der beste Wer sind eigentlich die? Die das planen, die das Weg, seine Sorgen durch rationale Einordnung zu elimi- machen, die da was entscheiden. nieren. “Meist wurde das Kontrastmittel in Mengen von ca. Kritisches Bewusstsein von dem reaktionären 25 ml unverdünnt intravenös oder intraarteriell injiziert. Schwurbel unterscheiden Die dabei in den Körper gebrachte Menge Thorium betrug ca. 5 Gramm.”, liest es sich im Wikipedia des In Großbritannien haben Besorgte 5G-Masten ver- lange verbotenen Stoffes Thorotrast. Die Nebenwirkung brannt. Mit den Radikalen möchte man sich in aller einer Behandlung des Röntgenkontrastmittel auf Basis Unsicherheit zumeist wohl auch nicht gemein machen. eines Alphastrahlers war der Tod. Der aus der Geschichte heraus durchaus begründeten Beim Verfahren der Lobotomie trennte der behan- rationalen Technologiekritik steht die blanke Panik und delnde Psychiater mit einem Eispickel den präfrontalen irrationale Welt der Verschwörungsmythen gegenüber. Kortex vom Resthirn der Patient:innen ab. Der damit auf Die entscheidende Frage aber: was sind die Anhalts- seine primitive erste Natur beschränkte Körper erschien punkte mit der wir das eine vom anderen differenzie- den Medizinern ihrer Zeit aus ihrem vulgären Behavio- ren? Hier hilft ein Blick auf die politischen Motive, die rismus heraus als angebracht. Radioaktivität galt in der sich in Bewegungen wie den “Querdenkern” erkennen Zeit von Thorotrast durchaus als unbedenklich. Voller lassen. Es sind eben nicht nur besorgte Menschen, es Verwunderung sah man die Patient:innen dahinsiechen. handelt sich um reaktionäres Gedankengut, vor dessen Die Entdeckerin der Radioaktivität Marie Curie fiel Reproduktion man sich scheuen sollte. Einige der ihren Proben zum Opfer, die sie sich bedenkenlos in die wilden Denkverrenkungen der Schwurbelfraktionen Hosentasche nah dem Unterleib gesteckt hatte. Dem dürften recht offensichtlich sein und für Außenstehende
Kommentar FW 69 Seite 9 � eher Anlass zum Spott bieten. Bill Gates plant die Imp- fung mit Mikrochips. Das Innere der Erde (gegebenen- falls auch flach) wird von uralten, vermutlich reptiloiden Lebewesen bevölkert (muss man wissen). Hier dürfte am besten eher der psychiatrische Notdienst verständigt werden (wenn nötig mit Polizeischutz). Das unterschwellige Motiv eines vermuteten über- mächtigen Feindes ist aber auch bei den etwas seriöser daherkommenden Verschwörungsmythen, die zuerst einmal wie berechtigte Skepsis wirken mögen, ein guter Anhaltspunkt, dass Ressentiments und politische Motive, seien sie denn nun vollends bewusst oder nicht, der eigentliche Treiber einer Haltung sind. Wie es Anetta Kahane zuletzt in einer Pressekonferenz treffend dargelegt hat, haben alle Verschwörungsmythen einen zumindest strukturell antisemitischen Kern. Schnell zeigt sich die scheinbar unschuldige Sorge um „die eige- nen armen Kinder”, ein Narrativ dem eigentlich immer das besagte strukturell antisemitische Betriebssystem zugrunde liegt, denkt man nur einmal an die Biografie jeder politischen Sorge um das Wohl der Kinder, die irgendwie von übermächtigen Mächten bedroht werden und für etwas geopfert werden sollen. Ein weiterer Anhaltspunkt liefert uns die Wissenschaftstheorie. Sie fragt, ist ein Urteil überhaupt fair. Kann ein Vorbehalt überhaupt entkräftet werden oder ist er nur ein leeres Argument, weil es aus seiner Struktur heraus gar nicht ausgeräumt werden kann. Quasi jeder Verschwörungs- mythos hat diese Form sich vollständig zu immunisie- ren. Wer eine prinzipiell übermächtige böse Macht annimmt, welche im Hintergrund die Strippen zieht, stellt keine Fragen und ist auch nicht Teil des wissen- schaftlich kritischen Prozesses, sondern präsentiert lediglich ein genuin geschlossenes Weltbild. Das Mittel gegen Verschwörungsmythen ist Bildung Wie aber umgehen mit den tatsächlichen Sorgen, der Verunsicherung von uns Laien und Laiinnen angesichts der überfordernd komplizierten medizinischen Fach- welt. Hier kann nur guter, an Transparenz orientierter, Wissenschaftsjournalismus Abhilfe schaffen. Situati- onsbezogen muss der Umfang dessen, was man das Wissen eines sog. gebildeten Laien für ein spezifisches Thema nennt schnell und didaktisch effektiv erweiter- bar sein. Dann wird eine Verständnisbrücke gebildet, eine geteilte symbolische Welt, die dem Verschwörungs- glauben den Nährboden entzieht, weil sie einen Raum des behaglichen Miteinanders statt eines “Wir-gegen- die-da-oben-Gefühls” erschafft. Die Leistung von Wis- senschaftsjournalist:innen und charismatischen Virolo- g:innen mit Preisen zu honorieren, ist in diesem Kontext absolut angemessen. Sie leisten mit ihrer Arbeit einen Beitrag zum Frieden in der Gesellschaft. Dass dieser Journalismus auch Dissens und Debatte der Wissen- schaften spiegelt, sollte uns nicht beunruhigen. Es zeigt
� FW 69 Seite 10 Kommentar » Nicht im letztgültigen Beweis, sondern darin, ob einer These widerlegt zu werden schreitet jede empirische Wissenschaft » voran. durchaus, dass sie funktionieren. Beunruhigender wäre innewohnt. Wir können keine absolute Sicherheit und es in Politik und Forschung, wenn es plötzlich absolute den Ausschluss jeder Gefahr von der Naturwissenschaft Einigkeit gäbe. In Krisen wünscht sich jede:r klare Fahr- verlangen. In die Naturwissenschaft vertrauen, bedeutet pläne, jedoch müssen wir uns klar machen, wie eben aber mit dem vollen Bewusstsein ihrer Limitationen ihr schon angeschnitten, dass wissenschaftlicher Fort- zuletzt zumindest eine Chance geben. Die Naturwissen- schritt nicht in Gleichschaltung besteht, sondern in Ver- schaft ist und bleibt die symbolische Form, die Antwor- such und Irrtum und nicht im letztgültigen Beweis, son- ten und Lösungen auf Fragen in der empirischen Welt dern darin, ob einer These widerlegt zu werden schreitet geben kann. Sie hat sich bezüglich kosmologischer jede empirische Wissenschaft voran. Denken wir kurz Fragen und Prognosen von Erscheinungen in der Natur zurück: – Für nichtionisierende Strahlung gibt es keinen gegenüber Religion und Magie als fundamental überle- Beleg einer schädlichen Wirkung auf den menschlichen gen erwiesen. Wer wissen möchte wie das Wetter wird, Körper, heißt es. Der Satz beruhigt die Lai:in nicht, fragt besser den oder die Meteorolog:in und deutet die schließt er doch offenkundig erstmal nichts aus. – Wer Antwort nicht aus den Eingeweiden eines geopferten hier eine Schwäche der Wissenschaft erkennen will, ver- Tieres. Ist die Wissenschaft bei alledem frei von Fehlern kennt die tiefe Tatsache, dass Naturwissenschaft nicht oder ideologischer Befangenheit? Nein und sie wird es funktioniert, indem sie etwas absolut ausschließt. Sie wohl auch nie sein. Sie ist und war kontaminiert von und nähert sich der Wahrheit lediglich durch (begründet) durch die Diskurse ihrer Zeit. Sie ist voller Irrungen, vor weniger falsche Annahmen laufend an. Ein Szenario denen wir aus der Retrospektive oft nur mit Entsetzen wird zunehmend als unwahrscheinlicher eingestuft. Das und Fassungslosigkeit stehen können. Das Ende der ist was ein Testverfahren von Medikamenten und eine Geschichte, wie oft es auch beschrieben wurde, ist dabei Sicherheitsprüfung vor einer Zulassung eben leistet und auch nicht erreicht. Die Fehler der Vergangenheit tut. werden nicht die letzten gewesen sein. Aber das ist der Auch hier hilft eine allgemeine journalistische und Grund, warum wir als Kultur in der Medizin und Natur- pressearbeiterische Aufklärung über die Funktionsweise wissenschaft Techniken entwickelt haben, die versuchen von naturwissenschaftlichem Arbeiten weiter. Fehler zu minimieren und auch dem Bereich der Ethik den Raum in der Umsetzung von Medizin und Technik Die bleibende Ungewissheit des einräumen, den sie braucht. Man muss der Medizin aber sich Irren können ertragen lernen zuletzt ihre Chance im Kampf gegen das Virus geben, sie ist was wir haben. Eine Perfekte gibt es nicht, eine Bes- Was zuletzt aber bleibt, ist der letzte Rest an Unsicher- sere ist unsere bleibende Aufgabe. � heit, die jedem Schritt ins Ungewisse ganz natürlich
Kommentar FW 69 Seite 11 � � Die radikale Rechte und die Meinungsfreiheit Wie Rechte sich zu Aposteln der Meinungsfreiheit aufschwingen, aber eigentlich etwas ganz anderes im Sinn haben. von Milan Nellen er sich momentan mit der aktuellen Nachrich- nung rassistischer Straßennamen, durch Berichterstat- W tenlage beschäftigt, kommt vermutlich aus dem Augenreiben kaum noch heraus. Wie konnte es dazu kommen, dass ein rechter Mob, aufgefordert von tung über den Klimawandel oder auch durch den Kampf gegen die Corona-Krise. Ein Standpunkt, der durch den geradezu sprichwörtlich gewordenen Satz „Man wird ja Donald Trump, mit einem Typen im Rinderkostüm an wohl noch sagen dürfen...“ zusammengefasst wird. Auch der Spitze ohne größeren Widerstand das US-Kapitol beinhaltet eine solche Haltung meist den Glauben an stürmt? Oder, anders gefragt, wie konnte es dazu eine vermeintlich überzogene political correctness, die kommen, dass sich derart viele Menschen an etwas oftmals zusammen mit einem DDR-Vergleich geäußert beteiligen, das sich letztlich nur als Putschversuch wird. Ein prominentes Beispiel für das Arbeiten mit dem beschreiben lässt? Diese Frage ist nicht nur für die Men- Vorwurf, die eigene Meinungsfreiheit werde beschnit- schen in den USA ausgesprochen relevant, sondern auch ten, ist die AfD-Politikerin Alice Weidel, die wiederholt für die in anderen Staaten, in der die politische Ausein- Interviews aufgrund dieses Vorwurfs abgebrochen hat. andersetzung eine derartige Politisierung erreicht hat Auffallend ist jedoch die Interpretation dessen, was oder in absehbarer Zeit erreichen könnte. Auch in der unter der Meinungsfreiheit verstanden wird, die der BRD ist mit der AfD, Pegida, der Querdenken-Sekte und ganzen Sichtweise zugrunde liegt. Dem Ideal nach anderen rechten Strömungen eine solche Tendenz bedeutet Meinungsfreiheit, dass niemand daran gehin- erkennbar. dert werden darf, die eigene Meinung zur Diskussion zu Die Argumentation der radikalen Rechten ist dabei stellen und nicht mehr. Es bedeutet nicht, dass diese immer ähnlich: Man sieht eine vermeintlich linkslastige Meinung nicht kritisiert, widerlegt oder auch ignoriert intellektuelle Elite am Werk, die angeblich die Politik, werden kann. Es enthebt einen vor allem aber nicht der die Medien und die Kultur im Sinne einer geplanten Verantwortung, die eigene Meinung zu begründen und Agenda beeinflusst und die jeweiligen nationalen Werte sie mit Argumenten zu stützen. Es ist durchaus mit der zugunsten eines als bedrohlich verstandenen Internati- Meinungsfreiheit zu vereinbaren, wenn eine Meinung onalismus aushöhlt und abschaffen will. In den USA ist nach eingehender Debatte und entsprechenden demo- in den Augen der Rechten die demokratische Partei die kratischen Prozessen von einer bloßen Meinung zur Inkarnation dieser linken Eliten, in der BRD sind es die politischen Wirklichkeit wird. So würde der hypotheti- 68er, die als Projektionsfläche herhalten müssen und sche Fall, dass Wohnungen zugunsten der Mieter:innen angeblich bis heute eine linke Hegemonie ausüben. Das verstaatlicht werden, die Meinungsfreiheit hypotheti- seit Jahren die konservative CDU Deutschland regiert scher Immobilienspekulant:innen in keinster Weise und die extrem konservative Bildzeitung nach wie vor gefährden, solange ihnen nicht das Recht genommen mit weitem Abstand die auflagenstärkste Tageszeitung würde, öffentlich ihr Missfallen mitzuteilen. des Landes ist, beeindruckt die Inhaber:innen dieses Radikale Rechte hingegen sehen ihre Meinungsfrei- Standpunktes überhaupt nicht. Die Gegner:innen dieser heit oft schon dann in der Gefahr, wenn ihre Meinungs- „linken“ Hegemonie aus Seehofer, Merkel und der Bild- äußerungen kritisiert oder hinterfragt werden. Vor zeitung sehen sich selbst als nichts geringeres als das allem sprechen sie aber auch nicht nur dann von Mei- letzte Bollwerk der Meinungsfreiheit. Die Meinungsfrei- nungsfreiheit, wenn es um eigentliche Meinungen geht, hit nämlich sei bedroht durch gendergerechtes Sprechen sondern vielfach auch dann, wenn es um konkrete politi- und Schreiben, durch den Wunsch nach der Umbenen- sche Maßnahmen geht. Wenn die Querdenken-Bewe-
� FW 69 Seite 12 Kommentar Die Demokratie nicht auf die Hörner nehmen lassen. Montage: Samuel F. Johanns (Bildquellen Pexels) gung zum Beispiel die Maskenpflicht als eine Einschrän- formulieren. Gefordert wird nicht das Recht auf die kung ihrer Meinungsfreiheit kritisiert, dann spricht sie eigene Meinung, sondern das Recht darauf, Kritik an der gar nicht im eigentlichen Sinne über Meinungsfreiheit. eigenen Meinung zu unterdrücken. In diesem Sinne Tatsächlich fordert sie damit nicht das Recht, ihre Mei- bedeutet Meinungsfreiheit im Sprachgebrauch der radi- nung zu äußern, etwa das Maskenpflicht nicht nützlich kalen Rechten nicht mehr und nicht weniger als ihr sei, sondern sie fordert damit schlicht die Durchsetzung Gegenteil. ihrer Forderung, die Maskenpflicht aufzuheben, wobei Um zur Ausgangsfrage, wie es zu diesem massiven schon die Tatsache, dass sie das öffentlich tun können, ja Auftreten der radikalen Rechten und generell zu dieser ein Nachweis der Meinungsfreiheit ist. Radikalisierung nach rechts kommen konnte, zurückzu- Ein ähnliches Muster findet sich beispielsweise auch kehren: Wenn es zu einem politischen Standpunkt bei Donald Trump und dem Vorgehen gegen seine Kriti- gehört, Meinungsfreiheit als die politische Durchset- ker:innen, wobei Trump denjenigen Medien, die seine zung der eigenen Position zu verstehen, dann sind Men- „alternativen Fakten“ kritisiert haben, Zensur vorgewor- schen mit einem solchen Standpunkt von vornherein fen und sie als „Feinde des Volkes“ beschimpft hat. Mei- strukturell unfähig zu jedem Kompromiss. Was bedeu- nungsfreiheit im Sprachgebrauch der radikalen Rechten tet, dass der Sturm auf das Kapitol von Trumps Anhän- bedeutet somit nicht nur die Forderung nach dem Recht, gern nahezu vorprogrammiert gewesen ist... � Meinungen frei zu äußern unabhängig von ihrem Wahr- heitsgehalt. Es geht stattdessen vielmehr um die Forde- rung, die eigenen Ansichten zur gesellschaftlich gültigen Meinung zu machen und ihre politische Umsetzung zu fordern. Der Begriff der Meinungsfreiheit fungiert als Chiffre, um einen politischen Herrschaftsanspruch zu Hinweis: Zu besagtem Sturm auf das Kapitol sei euch zum Abschluss noch der folgende Kommentar „Dem Trumpismus die rote Karte zeigen“ von Tom Schmidtgen empfohlen.
Kommentar FW 69 Seite 13 � � Dem Trumpismus die rote Karte zeigen Die Erstürmung des Kapitols sollte den Republikanern eine Lehre sein. von Tom Schmidtgen as die Welt am 6. Januar auf den Sendern anse- Wir in Deutschland brauchen uns jetzt nicht erhaben W hen musste, ist eine große Schande für die ame- rikanische Demokratie. Ein Präsident, der seine Abwahl nicht anerkennt und seine wild geworde- fühlen. Solche Bilder wie in Washington hätten wir im August vergangenen Jahres auch fast in Berlin gesehen, als selbsternannte Querdenker:innen versuchten, das nen Anhänger dazu anstachelt, auf das Kapitol zuzulau- Reichstagsgebäude zu stürmen. Wäre ihnen das gelun- fen. Dazu eine völlig überforderte Capitol Police, die es gen, hätte die Welt auf uns gezeigt. Einigen mutigen nicht schafft (oder wie manche Bilder auch nahelegen: Polizist:innen ist es zu verdanken, dass es nicht so kam. dabei hilft), dass die Trumpisten das Parlament und Doch der Vergleich zeigt: Demokratien sind per se zer- damit das Herz der Demokratie stürmen. Nur mit Glück brechliche Systeme, bei denen es nicht viel braucht, um haben sie ihr Ziel nicht erreicht, Abgeordnete zu bedro- sie massiv zu (zer)stören. Die Spielregeln der Demokra- hen, die Zertifizierung der Wahl Bidens zu verhindern tie zu akzeptieren, auch wenn sie nirgendwo schriftlich und womöglich auch zu lynchen. Auf Videos sind niedergeschrieben sind, ist das Mindestmaß an Verant- Sprechchöre zu hören, die die Köpfe führender Politiker wortung. Dazu gehört es, als Wahlverlierer seine Nieder- fordern lage einzuräumen. Dazu gehört es, Parlamente arbeiten zu lassen und Abgeordnete ihrer Arbeit nachgehen zu Die amerikanische Demokratie, die sich seit jeher als lassen. Den Boden des Spielfelds haben in Deutschland Vorreiter und Vordenker der westlichen Welt sieht, ist (zumindest zeitweise) die AfD und in den USA (zumin- nachhaltig geschädigt. Trump hat es in gerade einmal dest größtenteils) die Republikaner verlassen. Sie vier Jahren geschafft, alle Schwächen der Verfassung müssen sich entscheiden: Zurück oder immer weiter und des Systems auszunutzen. Zwei Wochen vor seinem Richtung Autokratie und Zerstörung. Doch dann muss Auszug aus dem Weißen Haus gipfelt seine Idiotie in der Rechtsstaat mit Sanktionen antworten und zum einem versuchten Staatsstreich. Während seine Fans Schluss – wenn nichts mehr hilft – mit Verboten und schon durch das Kapitol ziehen, verhindert Trump, dass Strafen. die National Guards zum Einsatz kommen – nur sein kurz vor Ende zu Bewusstsein gekommener Vize Mike Die Erstürmung des Kapitols sollte den Republikanern Pence und Sprecherin Nancy Pelosi erzwingen deren ein letzter Warnschuss sein: Mit diesem Präsidenten Einsatz. Zwar gelang es den Einsatzkräften nach ein können sie nur verlieren. Mit dem Trumpismus gehen paar Stunden, die Kontrolle des Parlaments zurückzuer- sie unter. Deswegen ist es wichtig, dass ein Impeache- obern, doch der Schaden, den Trumps Verhalten ange- ment kommt, damit Trump nie wieder ein öffentliches richtet hat, ist enorm. Wenn Macht zu Gewalt führt, Amt begleiten darf. Die Republikaner müssen sich von wird die Demokratie ohnmächtig. ihrem Präsidenten verabschieden – wenige Tage vor dem Ende seiner Amtszeit sollte das auch nicht allzu
� FW 69 Seite 14 Kommentar Wenn Macht zu Gewalt führt, wird die Demokratie ohnmächtig. schwerfallen. Sonst wird der Trumpismus zurückkom- men. Wenn Etablierte ihm jetzt die rote Karte zeigen, schwächt das die politische Einflussnahme für die kom- menden Jahre. Der 6. Januar hat gezeigt, dass Trump immer noch viele Anhänger hat, die seiner Verschwö- rung verfallen sind. Ein bisschen Hoffnung gibt es: Einige, wenige Republikaner:innen stellen sich offen gegen den Präsidenten. Zu nennen ist der Wahlleiter aus Geor- gia, der Trumps Wunsch nach Wahlbetrug in dem Bundesstaat abschlägt. Und eine gute Nachricht ging in der schwärzesten Nacht der USA seit Jahr- zehnten unter: Georgia stellt erstmals zwei demo- kratische Senatoren, dar- unter der erste Schwarze. Die Bevölkerung lässt sich nicht vom Palaver und dem staatsschädi- genden Verhalten des Präsidenten abhalten. Sie wählte Trump erst ab, und beschafft seinem Nachfol- ger Joe Biden eine Mehrheit in beiden Häusern. Möge Biden weise mit seiner Macht umgehen und dazu beitragen, dass die polarisierten USA in vier Jahren eine bessere Gesellschaft sind und solche Bilder wie am 6. Januar sich nie wieder wiederholen. �
FW 69 Seite 15 � Briefwahl zum XLIII. Studierendenparlament bis 21. Januar 2021 Was wird gewählt? What are we electing? Zu wählen sind die 43 Mitglieder des Bonner We are electing the 43 members of the Studierendenparlaments. Gewählt wird nach student parliament of the university of Bonn. personalisiertem Verhältniswahlrecht. Die The election is based on a voting system of Verteilung der auf die kandidierenden Listen "personalised" proportional representation. entfallenen Sitze erfolgt nach dem Sainte- The seats are assigned according to the Laguë/Schepers-Verfahren. Webster/Sainte-Laguë method. Wann findet die Wahl statt? When does the election take place? Die Wahl findet bis zum 21. Januar 2021 statt. The election takes until the 21st of January 2021. Wie kann ich prüfen, ob ich How can I check whether I am wahlberechtigt bin? eligible to vote? Die Einsichtnahme in das Wählerinnenver- You can check the list of eligible voters at the zeichnis ist zu den Öffnungszeiten des Wahl- election office during the opening hours of büros im Wahlbüro möglich. Bitte beachtet the election office. Please also consider the die zugehörigen Hinweise. additional information provided online at wahlen.uni-bonn.de. Wo kann abgestimmt werden? Where can I vote? Die Wahl findet als reine Briefwahl statt. The election is entirely conducted by mail-in Alle Wahlberechtigten bekommen Anfang voting. Everybody who is eligible to vote Januar ihre Briefwahlunterlagen an die in receives their voting material by mail to the BASIS hinterlegte Adresse zugesandt. address that is registered in BASIS. Die besten Informationen findet ihr You will find the very best information in the in der Wahlzeitung, die im Dezember election magazine, which will be published veröffentlicht wird. in December. r h t meh Nic l Zeit! vie h o t muc t! N e lef tim Zeichnung: Jan Bachmann Alle weiteren Informationen: | More information: wahlen.uni-bonn.de
� FW 69 Seite 16 Kommentar � Eine App aus den Augen einer Unwissenden Sind die Zweifel an der Corona-Warn-App berechtigt? von Melina Duncklenberg ine redaktionsinterne Diskussion weckte kürzlich Nun kommen drei Fälle in Frage, die eintreten können: E in mir den Ehrgeiz, die Corona-App zu verstehen. Manchmal hat man diese Einfälle und ignoriert hierbei fehlende Programmier-Fähigkeiten, IT-Kennt- 1. Man bleibt gesund und kommt mit keiner Person in Kontakt, die das Risiko einer Corona-Ansteckung dar- stellt, 2. man kommt mit einer Person in Kontakt, die nisse und Zeit für die Aneignung derselben. „Man“ bin in dieses Risiko darstellt und 3. man erhält selbst ein posi- diesem Fall ich. Eine Stunde Recherche mit einer wach- tives Testergebnis. Für den ersten und zweiten Fall senden Liste an Dingen, die ich noch zu lernen habe, gleicht die CWA in regelmäßigen Abständen die lokalen, lehrte mich Demut und den Beschluss, diese Artikelidee persönlichen Kontakt-IDs mit den IDs aller positiv trotzdem nicht zu verwerfen. Im Folgenden werdet ihr getesteten Personen auf einem zentralen Server ab. Sie eine Ansammlung an Informationen finden, die man als schaut also permanent, ob eine der Kontakt-IDs zu einer technisch nicht unbegabte, aber absolut nicht in diesem Person gehört, die an Corona erkrankt ist. Ergibt sich Bereich ausgebildete Person im Internet zu der Corona- dabei eine Übereinstimmung, warnt die App ihre:n Nut- Warn-App (CWA) finden kann. zer:in und zeigt ein erhöhtes Risiko an. Im dritten Fall ist die oder der Nutzer:in positiv auf Corona getestet Worum es geht worden. Hier dient die App auf der einen Seite als Ver- mittlerin zwischen Gesundheitsamt und Individuum Das Ziel der App ist folgendes: Infektionsketten zu und auf der anderen Seite als Vorsichtsmaßnahme für unterbrechen, indem positiv getestete Personen so alle Kontaktpersonen der oder des Betroffenen. Über schnell wie möglich informiert werden und aus eigener einen QR-Code oder eine TAN wird so schnell wie mög- Entscheidung heraus alle Personen ebenfalls informie- lich über das Testergebnis informiert und im Anschluss ren können, mit denen sie in den letzten 14 Tagen in die Möglichkeit geboten, die persönlichen IDs der letz- Kontakt gekommen sind. Doch wie kann die App die ten Tage mit dem Zentralserver zu teilen, der sie dann Risikobegegnungen nachverfolgen? Das Prinzip: Jedem allen Apps zur Verfügung stellt. Dasselbe Prinzip wie Smartphone wird täglich ein neuer, kryptographisch beim zweiten Fall erfolgt und alle Übereinstimmungen ermittelter Geräteschlüssel zugeteilt. Aufbauend auf erhalten eine Benachrichtigung über ein erhöhtes diesem Schlüssel generiert die App alle 15 Minuten eine Risiko. Durch die zufällige Erstellung der ständig wech- ebenfalls zufällige Bluetooth-ID. Befinden sich nun zwei selnden IDs können keine personenbezogenen Daten Smartphones mit der CWA eine gewisse Zeit weniger als nachvollzogen werden; es entsteht eine reine, systemati- zwei Meter voneinander entfernt, tauschen diese sche Zuordnung von Zahlenfolgen. Smartphones ihre aktuellen, zufälligen Bluetooth-IDs aus und speichern diese ab. Jede App legt also im Laufe In Auftrag gegeben wurde die CWA von der Bundesre- der Zeit eine Liste mit allen IDs an, die in ihre Reich- gierung und entwickelt in einer Kooperation zwischen weite kommen, während die CWA aktiv ist. Diese Liste der deutschen Telekom und SAP, einem sehr erfolgrei- wird alle 14 Tage getilgt. chen Software-Konzern aus Baden-Württemberg. Das Interface der App (Version 1.10.1) ist schlicht und besteht
Kommentar FW 64 69 Seite 17 � Bild: iXimus (Pexels) im Wesentlichen nur aus vier Kacheln: der aktuellen bereits eine Lösung für das erste Problem und auch am Risikoangabe mit den Risiko-Begegnungen, der Bestäti- zweiten wird gearbeitet. gung der dauerhaft aktiven Risiko-Ermittlung und der Die größte Besorgnis scheint sich jedoch um den Daten- letzten Aktualisierung, dann dem Guide für das Abrufen schutz zu drehen. Dieser wird auf jeden Fall oft als erste eines Testergebnis, dem Kontakt-Tagebuch, welches Begründung genannt, die App nicht installiert zu haben. man für sich persönlich ohne Weitergabe an Informati- Es wird von Bewegungsprofilen gesprochen, von Daten- onen führen kann und schließlich einem Link zu den am klau und Wirtschaftsspionage. Was die Datensicherheit häufigsten gestellten Fragen. Für das Kontakttagebuch angeht, gelange ich persönlich an die Grenzen meiner bleibt die Möglichkeit, dem Gesundheitsamt seine Kon- Recherchemöglichkeiten. Um wirklich beurteilen zu takte mit dem zu übertragen. Überall werden Erklärun- können, was es mit Datenintegrität, Teilnehmerauthen- gen bereitgestellt und alles lässt sich intuitiv bedienen. tifizierung und Verkehrs- wie Inhaltsdaten der App auf Es können auch Risikobegegnungen angezeigt werden, sich hat, fehlt mir vermutlich ein IT-Studium. (Falls du, ohne dass die Anzeige rot wird und von einem erhöhten liebe:r Leser:in, dich gerade angesprochen fühlst, biete Risiko die Rede ist. Dabei handelt es sich dann um Kon- ich dir hiermit sehr gerne eine Kooperation an. Wir takt mit positiv getesteten IDs, welche entweder zu kurz freuen uns über jeden Gastbeitrag!) Der Quelltext der oder zu weit weg waren, um ein erhöhtes Risiko bestäti- App ist frei zugänglich auf github.com (https://github gen zu können. .com/). Jede:m und jeder ist es darüber möglich, den Quelltext der CWA einzusehen, zu kommentieren oder Viele Zweifel, viel Misstrauen zu bearbeiten. Deswegen wird immer von einer Open- Source-Software gesprochen, wenn es um die CWA Bei 83,1 Millionen Menschen in Deutschland (Quelle 1) geht. Für mich spricht die Transparenz der Entwick- haben 24,9 Millionen Menschen die Corona-Warn-App ler:innen sowie das schlüssige, anonyme System der installiert (Stand: 08.01.2020; Quelle 2) Das ist zwar dezentralen Datenspeicherung in Kombination mit den schon eine große Zahl, lässt aber immer noch Raum für strengen Datenschutzlinien Deutschlands für eine viele Menschen ohne die App. Dafür gibt es verschiedene sichere Datenverwaltung. Außerdem ist in meinen Beweggründe. Erstmal ist die App nicht für alle Smart- Augen der Beweggrund vieler Menschen in meinem phones verfügbar. Seit dem Handelsstreit zwischen den Umfeld verwunderlich, die ihre Daten durch diese USA und China bieten neue Huawei-Modelle, wie das Warn-App in Gefahr sehen, während sie durch die neu- Mate 30 Pro, keinen Google Playstore mehr an, worüber esten Beiträge auf Instagram scrollen und ihrer Mutter die CWA bei Android-Smartphones normalerweise her- auf Facebook gratulieren. Vergleicht man die Berechti- untergeladen wird. Dazu kommen natürlich auch wei- gungen solcher Apps mit denen der CWA, kann man tere Android-Anwendende, die ihre Endgeräte gerne eine ganz andere Debatte über Datenschutz losstoßen. unabhängig vom Google-Konzern benutzen würden. Android-Nutzer:innen wundern sich womöglich zusätz- Auch iPhone-Nutzer:innen haben Probleme, die App lich über die Notwendigkeit des GPS-Signals der App. herunterzuladen, sobald ihr Handy mit iOS 12.5 oder Dieses ist nur notwendig, um das Bluetooth-Signal älteren Versionen läuft. Dies ist z.B. der Fall für iPhone 5 nutzen zu können und die App hat normalerweise keine und 6. Mit dem alternativen App-Store F-Droid gibt es Berechtigung zur Standort-Abfrage.
� FW 69 Seite 18 Kommentar Ein weiterer technischer Grund scheint die Sorge um leicht ein bisschen mehr Ruhe für die sowieso schon den sowieso schon oft labilen Akku-Stand unserer unausgeglichene Psyche erhofft. Ich möchte nicht gegen Handys zu sein. Damit permanent Begegnungen regis- diese Begründung argumentieren. Für mich persönlich triert werden können, muss selbstverständlich auch per- ermöglicht die Klarheit, die Gewissheit mehr Ruhe als manent ein Bluetooth-Signal vom Smartphone ausge- die Ungewissheit, aber das muss nicht für jede:n so hen. Auch dafür fand sich eine Lösung: Anstelle der gelten. herkömmlichen Bluetooth-Technologie wird Bluetooth Low Energy (BLE) verwendet. Hierbei tritt zwar ein ver- Das Herunterladen reicht nicht ringerter Senderadius auf, doch im Vergleich zu dem normalen Bluetooth werden mit BLE nur ein Hunderts- Welche Erkenntnis während meiner Recherche aller- tel bis die Hälfte der normalen Wattzahl verbraucht. dings für keine Ausgeglichenheit gesorgt hat, ist folgen- (Quelle 3) Allerdings bietet die Verfügbarkeit des BLE- de: 42% der potenziell teilbaren Testergebnisse, das Signals ein weiteres Ausschlusskriterium für die Kom- heißt der positiven Testergebnisse, wurden nicht geteilt patibilität älterer Modelle. (Stand: 08.01.2021, Quelle 4). Die App stellt ihren Benut- zer:innen frei, ein erhaltenes positives Testergebnis mit Die Emotionalität hinter den Download-Zahlen dem Zentralserver zu teilen, über den alle IDs abgerufen werden können. Das heißt: 42% der Corona-Erkrankten Technische Gegenargumente können also oberflächlich mit CWA haben sich aktiv dagegen entschieden, ihre gesehen sehr schnell entkräftigt werden. Als vermutlich Mitmenschen vor einer etwaigen Infektion zu warnen. größter Grund für die aktive Zurückhaltung der Hälfte Ziehen wir davon den Prozentsatz an verklickten Absa- unserer Bevölkerung bleibt die Emotionalität dahinter. gen und Technik-Neulingen ab, die mit der Beantwor- Corona ist seit einem Jahr nicht mehr aus unseren Leben tung der Frage überfordert waren, bleibt ein wirklich wegzudenken. Es beschäftigt ununterbrochen die großer Teil an Menschen, deren Beweggründe mir auch Medien, unsere Köpfe und Zukunftsgedanken. Sich jetzt nach langem Kopfzerbrechen nicht klar werden. Selbst eine App holen, die uns noch zusätzlich an die Pandemie wenn die Sorge vor Rückverfolgung und Verantwor- um uns herum erinnert? Die es einem womöglich nicht tungsfragen trotz Anonymität hinter der Entscheidung mehr erlaubt, einfach zu ignorieren, dass der Spazier- steht, einer Infektionskette ihren Lauf zu lassen, spie- gang letztens keine Gefahr dargestellt hat, da man keine gelt diese Statistik einen Egoismus wieder, der in Symptome zeigt. Die Ungewissheit ist sicherlich für meinen Augen nicht zu verantworten ist. Und so bringt einige angenehmer, als die sofortige Erkenntnis, sobald die App auch nur bedingt ihren Nutzen. Solange Tech- man auch nur einem geringen Risiko ausgesetzt war. nik von Menschen nicht genutzt wird, um besonders in Und wenn es dann soweit ist, kann die App einem nicht der Lage, in der wir uns momentan befinden, wenigs- sagen, wie mit den Erkrankten im nahen Umfeld umzu- tens in der kleinsten Dimension etwas positives zu gehen ist oder wie man 14 Tage alleine in einem sowieso bewirken, kann die Corona-Warn-App noch so viel ver- schon sehr einsamen Alltag durchhalten soll. Sie bleibt bessert, erklärt und beworben werden, ohne dass man im Endeffekt nur eine direkte Überbringerin einer even- Fortschritt erwarten kann. � tuell schlechten Nachricht. Ohne die App wird sich viel- Quellen: Quelle 1 Quelle 2 Quelle 3 Quelle 4
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