Handicapforum - Behindertenforum
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2018 1 handicapforum Unsichtbar Big Brother Frau und Gesundheit Mitgliedorganisationen :: Schweizerische Vereinigung der Gelähmten ASPr-SVG – Orts- gruppe beider Basel :: Band-Werkstätten Basel :: Fragile Suisse – Basler Vereinigung für hirnverletzte Menschen :: Gehörlosen-Fürsorgeverein der Region Basel :: insieme Basel – für Menschen mit einer geistigen Behinderung :: insieme Baselland – für Menschen mit einer geistigen Behin- derung :: IVB – Behindertenselbsthilfe :: Behinderten-Sport Basel :: Procap Nordwestschweiz – für Menschen mit Handicap :: Schweizerischer Blindenbund – Regionalgruppe Nordwestschweiz :: Schweizerischer Blinden- und Sehbehindertenverband – Sektion Nordwestschweiz :: Schweizerische Multiple Sklerose Gesellschaft SMSG – Regionalgruppe beider Basel :: SGB-FSS Schweizerischer Gehörlosenbund :: Schwerhörigen-Verein Nordwestschweiz :: Stiftung Rheinleben :: Vereinigung Cerebral Basel :: Zentrum Selbsthilfe :: Asperger- Hilfe Nordwestschweiz :: Blind-Jogging
BO_Inserat_HF_sw_10:Inserat BBS.qxp 10.02.10 17:02 Seite 1 Basler Orthopädie w w w. re n e - r u e p p . c h Hörprobleme? Basler Orthopädie René Ruepp AG A u s t r a s s e 1 0 9 , 4 0 51 B a s e l Te l e f o n 0 6 1 2 0 5 7 7 7 7 Fax 061 205 77 78 info@rene-ruepp.ch Mit Verständigungstrainings verbessern Sie Ihre Hörfähigkeit und halten Ihr Gedächtnis fit. Falknerstrasse 33 | 4001 Basel Tel. 061 261 22 24 | Fax 061 262 13 90 info@svnws.ch | www.svnws.ch Perspektiven schaffen Wohn- und Arbeitsplätze im WBZ Haben Sie eine körperliche Behinderung und lassen sich nicht gerne hindern? Suchen Sie nach neuen Möglichkeiten, Ihr Leben zu gestalten? Brauchen Sie Unterstützung, schätzen aber trotzdem das selbstbestimmte Sein? Dann sind Sie bei uns richtig. Wir bieten Wohn- und Arbeitsplätze – interne und externe Wohnpflege mit Betreuung – Arbeits- und Beschäftigungsplätze – Wohntraining Haben wir Ihr Interesse geweckt? Dann kontaktieren Sie uns. Wir freuen uns auf Sie. Cornelia Truffer WOHN- UND BÜROZENTRUM Bereichsleiterin Services FÜR KÖRPERBEHINDERTE Gigercornelia.truffer@wbz.ch Aumattstrasse 70–72, Postfach, & Partner • Allschwil/Basel • 061 333 20 85 • info@gigerpart.ch • CH-4153 Reinach 1 t +41 61 755 71 07 t +41 61 755 77 77 www.wbz.ch DIE FÄHIGKEIT ZÄHLT, NICHT DIE BEHINDERUNG DIE FÄHIGKEIT ZÄHLT, DIE FÄHIGKEIT NICHT ZÄHLT, DIE NICHT DIEBEHINDERUNG BEHINDERUNG 2 handicapforum Nr. 1 | 2018
Inha ltsver zeich n is Edito rial THEMA @unsichtbar – die schwarzen Schatten lüften ihr Geheimnis 4 Lieblingssport: Spazierenliegen 5 Ich schiebe nichts auf 6–7 «Nobelpreis» für eine aussergewöhnlich Frau 8–9 Glosse 10 AKTUELL Liebe Leserin, Lieber Leser Viele Behinderungen sind unsichtbar. Das kann für Kundgebung «Gleichstellung für Menschen mit Behinderung: JETZT!»11 die Betroffenen von Vorteil sein, aber auch Schwie rigkeiten mit sich bringen. «Wann sage ich wem BEITRÄGE/HINWEISE was und wie – und meint das Gegenüber wo möglich, ich würde simulieren?» Eine Hirnverlet Nicht laufen können, zung oder CF, wie im vorliegenden Heft beschrie macht nicht automatisch unglücklich 12–13 ben, sieht man den Betroffenen nicht an – jeden Big Brother 14–15 falls nicht auf den ersten Blick. Es braucht gewisse Neue Rechtsprechung bei Informationen, damit ihre speziellen Bedürfnisse psychischen Erkrankungen 16 berücksichtigt werden können. Erstaunlicherweise Frau und Gesundheit 16–17 sind aber auch Menschen mit augenfälligen Behin JuGru – wo sich junge Menschen treffen, derungen meist unsichtbar. Jedenfalls für Stadt- die ein wenig anders sind 18 und Bauplaner, Arbeitgeber und Politiker, für die 40 Jahre Freizeitzentrum insieme Basel 19 Bildungs- und Kulturverantwortlichen oder die Ex Ferien und Bildung 20 MUBA 20.-29. April 2018 20 perten des Gesundheitswesens – eigentlich für die meisten Entscheidungsträger in allen gesellschaft M I T G L I E D O R G A N I S AT I O N E N lichen Bereichen. Nicht dass wir mehr Aufmerksam keit fordern für Menschen mit sichtbaren als für Procap: Rückblick Jubiläum / Rechtsecke 22 solche mit unsichtbaren Behinderungen, wir möch Procap: Anlässe / Veranstaltungen 23 ten schlicht und einfach, dass alle wahrgenommen IVB: Lotto im Sääli 24 werden. Dass keiner so tut, als würde Behinderung Frohes und farbiges Schaffen 25 nicht zum Leben gehören, als könnte es nicht je derzeit jeden und jede betreffen. Wir möchten, A D R E S S E N U N D K O N TA K T E dass dieses «Übersehen» und damit das Ausgren zen aufhört. Eine gute Gelegenheit sich unüber Wichtige Adressen ( BTD, Beratungsstellen etc. ) 26–27 sehbar zu machen bietet die Kundgebung vom 17. März auf dem Bundesplatz (siehe Seite 4). Bitte teilnehmen – bitte weitersagen! Irritationen in schwarz… eine geheimnisvolle Figur der Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre! Kampagne «unsichtbar» auf dem Theaterplatz Basel Barbara Imobersteg Bild: Pascal Feig handicapforum Nr. 1 | 2018 3
T h em a @unsichtbar – die schwarzen Schatten lüften ihr Geheimnis Wie Schattenrisse standen sie auf dem Theaterplatz. Schwarze Figuren zum Internationalen Tag der Men- schen mit Behinderungen. Wer sich näher wagte, fand einen Code, der die Figuren aus ihrem Schatten dasein hervortreten liess. bim. Menschen mit Behinderungen sind unsichtbar. Die schwarzen Schatten gehen auf Reisen Selbst wenn sie auffällig anders aussehen als erwartet, Am 3. Dezember 2017 zum Internationalen Tag der werden sie als gesellschaftliche Gruppe kaum wahrge- Menschen mit Behinderung ist in Basel die Kampa- nommen. Dabei lebt jede fünfte Person in der Schweiz gne «unsichtbar» gestartet worden. Elf schwarze, mit einer Behinderung. Nach der allgemein defizit lebengrosse Silhouetten aus Metall standen plötzlich orientierten Sichtweise wird Behinderung negativ be- vor dem Stadttheater und irritierten in ihrer stummen wertet – die Betroffenen versuchen daher verständ Anwesenheit. Wer sich näher wagte, fand auf jeder licherweise nicht aufzufallen und – wenn möglich - Figur einen QR-Code, der das Geheimnis zu lüften ver- ihre Behinderung nicht zu zeigen. Unsichtbar bleiben. mochte. Die Codes führten zur Website «unsichtbar» Ist eine Behinderung nicht offensichtlich, lässt man sie und zu den Menschen, die ihre Geschichte und Umrisse im Verborgenen, denn sobald sie wahrgenommen wird, für die Aktion zur Verfügung gestellt hatten. Elf Persön- kommen die Vorurteile. Ein vielseitiger Mensch mit vie- lichkeiten mit einer Behinderung kann man auf diese len Fähigkeiten wird sogleich auf seine Behinderung Weise kennenlernen. Sie stellen sich vor und erzählen, reduziert. Oder würden Sie Ihre unsichtbare Behinde- wie sie ihr Leben mit den verschiedenen Herausforde- rung bei einem Bewerbungsgespräch nennen? Würde rungen gestalten. Sie möchten Fragen aufwerfen und sich Offenheit und Ehrlichkeit auszahlen? Die meisten zum Nachdenken anregen. Sie möchten auch nicht Behinderungen sind tatsächlich unsichtbar, es wird mit einfach wieder verschwinden. Menschen mit Behin- über neunzig Prozent gerechnet. Gehörlosigkeit, psy- derungen sind ja eigentlich nicht nur am 3. Dezember chische Erkrankungen, Hirnverletzungen, chronische auf der Welt… Die elf Figuren werden auf Reisen gehen Erkrankungen… Alle kennen Beispiele und doch will und sich in mehreren Schweizer Städten auf öffentliche man sie nicht wirklich sehen. Plätze stellen und hoffentlich viele Bekanntschaften schliessen. Die Kampagne ist vom Verein «Impulse» ins Leben gerufen worden, weitere Informationen sind auch unter info@impulse.swiss erhältlich. Hier können die Figuren auch ausgeliehen werden. www.unsichtbar-schweiz.ch www.impulse.swiss Die meisten Behinderungen sind auf den ersten Blick unsichtbar… Bild: zVg 4 handicapforum Nr. 1 | 2018
Them a Lieblingssport: Spazierenliegen Unsichtbar, aber einschneidend: Hirnverletzungen verändern das Leben grundlegend, auch wenn man von aussen nichts sieht. Die Folgen einer Hirnverletzung sind für die Betroffenen sehr unterschiedlich. Traude musste beispielsweise lernen, sich diszipliniert auszuruhen. Mein Vorschlag für eine neue olympische Disziplin wäre: mit wenig Anstrengung verbunden sein kann. Logi- «spazieren liegen». Das ist mein Lieblingssport. Ich sches Denken als Hirnverletzte, ist das möglich? Ich nehme eine Decke mit, laufe zehn Minuten zu einem weiss für mich: Wenn man diese Spielchen ein paar schönen Platz, lege mich hin und schlafe eine Stunde. Jahre macht, werden sie banal. Sie helfen mir auch Hinlegen und Ausruhen sind zu wichtigen Begleitern bei einer weiteren Herausforderung: Erschöpfung und in meinem Leben geworden. Bevor alles anders wurde, Müdigkeit führen dazu, dass ich mich immer wieder stand ich voll im Leben. Voll im Berufsleben mit einem hinlege(n muss). Aber ich kann doch nicht immer nur 100%-Pensum trifft es wohl besser. liegen! Und nicht immer nur nichts tun! Mit den Spiel- chen komme ich seltener ins Grübeln und bin weniger oft verzweifelt darüber, dass ich so unglaublich viel Das gehört da nicht hin. Lebenszeit mit Hinlegen und Ausruhen verbringe. Als ich eines Tages beim Arzt auf dem MRI-Bild den Tumor erkannte und realisierte, dass der Kopf auf dem Bild mit diesem Tumor zu mir gehört, da wurde mir klar, Gelassenheit und Annehmen dass sich nun vieles ändern würde – für mich und für sind für mich spannende Themen. mein Umfeld. Wird das Gehirn durch Krankheit oder Von all den vielen Reizen und der Erschöpfung bin ich Unfall geschädigt, spricht man von Hirnverletzung. In selbst oft gereizt. Ich rege mich unglaublich schnell meinem Fall ist der Auslöser ein Hirntumor. Nach einem auf über - eigentlich alles. Mir fehlt die Geschmeidig- operativen Eingriff und vielen Wochen und Monaten keit und Kreativität, um auf Konflikte angemessen zu des Sich-Hinlegens und Ausruhens, der Rehabilitation reagieren. Dann laufe ich in so mancher Situation ins und Genesung kehrte ich irgendwann mit einem sehr offene Messer. Ich fände es spannend, für einen Tag viel kleineren Pensum in die Arbeitswelt zurück. Vielen der Dalai Lama zu sein. Wie fühlt es sich wohl an, wenn fällt es bis heute schwer zu verstehen, was ich eigent- man das andauernde Infragestellen der eigenen Person lich habe. Vor allem die unsichtbaren Einschränkun- und die hohen Leistungsansprüche nicht zur Religion gen behindern mich. Ich bin auf eine ganz andere Art erhoben hat – so wie auch ich es von früher kenne? leistungsfähig als früher, oft gereizt und quasi immer Wie lebt es sich, wenn Gelassenheit und Annehmen erschöpft und müde. Bei jeder und jedem Hirnverletz- religiöse Wegweiser durchs Leben sind? Das Atmen ten sind die Folgen anders. allein schon Leben bedeutet? Ich wünsche mir, dass das gängige Modell verabschie- Ich kann doch nicht immer nur liegen! det wird, bei dem der erwachsene Mensch Vollzeit ar- Einfache Computerspielchen auf dem Handy haben beitet und ansonsten so gut wie nichts anderes tut, bei wenig Reize, in Schwarz und Weiss, keine Musik, kein dem es auf dem Lebens- und Berufsweg weder Ein- Gespräch – das sind die reizreduzierten Augenblicke, brüche noch Störungen gibt. Der Blick sollte sich dafür die mich kurz erholen lassen von der reizüberfluteten öffnen, dass Krisen und Entwicklungsschritte im Leben Welt. Reizüberflutung ist eine meiner grössten Her- dazu gehören, genauso wie Familien- und Pflegearbeit. ausforderungen. Überall gibt es Geräusche und Lärm, Wie schön wäre es, wenn wir einander nicht nur fragen Gerüche und Gestank, Farben und grelles Licht, Hitze würden: Was machst Du? Sondern auch: Wie hast Du und Kälte, Geschwindigkeit und viele, viele Menschen diese Krise gemeistert? mit tausend verschiedenen Emotionen. Für mich ist es aber ganz wichtig, nicht zu vielen Reizen ausgesetzt Im Leben geht es auf und ab. Das sind nicht alles Ein- zu sein, damit die Reizverarbeitung überhaupt nach- schränkungen – das ist doch Realität. kommen kann. Mir helfen einfache Computer- oder Handyspielchen. Ich nenne das für mich «diszipliniert @unsichtbar: Traude, 53 Jahre ausruhen». Für viele Menschen sind Sudoku und No- nogramme anspruchsvoller Denksport und sie können www.denkwerk-hirnverletzung.ch es sich nicht vorstellen, dass das Spielen dieser Spiele handicapforum Nr. 1 | 2018 5
T h em a Ich schiebe nichts auf Ines Hüppi hat Cystische Fibrose. Die Krankheit sieht man ihr nicht an, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Sie prägt jedoch ihr Leben und ist von Geburt an ihre ständige Begleiterin - aber kein Grund, das Leben nicht zu geniessen. Ich habe es geschafft! Ich war sechs Wochen in Aust- aufenthalte – kurz: ein gesundheitliches Auf und Ab ralien und es war wunderbar. Eine solche Reise ist für mit vielen Schmerzen und zu wenig Sauerstoff in der mich alles andere als selbstverständlich. Viele junge Lunge. Aber deswegen deprimiert zu Hause sitzen ist Menschen fahren um die halbe Welt und denken sich nicht mein Ding. Das bringt mich ja auch nicht wei- vielleicht nicht viel dabei – mal da hin mal dorthin… ter, im Gegenteil, da geht es einem nur schlechter. Ich Für mich ist das etwas ganz Besonderes. Ich habe CF, bin eigentlich sehr aktiv, ich bin gern unterwegs und Cystische Fibrose. Ich habe lange gewartet, bis ich mir unter Leuten – so gut es halt geht mit meiner Krank- diesen Wunsch erfüllen konnte. Wie sehr man sich heit. Manchmal muss ich das eine oder andere Treffen dann freuen kann, wenn ein solcher Wunsch Wirk- kurzfristig absagen, weil es mir nicht gut geht und es lichkeit wird, dass können sich wohl nur Menschen gibt natürlich auch Leute, die dafür kein Verständnis vorstellen, die eine solche Krankheit haben – oder haben. Aber ich habe ja keine Alternative. Wenn ich etwas Ähnliches. Ich selber kenne ja nichts anderes, einen schlechten Tag habe, dann geht es mir wirk- als das Leben mit dieser Krankheit. CF ist ein Gende- lich schlecht und ich bin gezwungen, meine Pläne zu fekt. Ich kenne also nichts anderes als immer Medi- ändern. Ich kann solche Situationen akzeptieren, ich kamente einnehmen, täglich inhalieren, regelmässig habe gelernt, immer das Beste daraus zu machen. Das zur Therapie gehen, ständig Arzttermine, Krankenhaus- ist sozusagen meine Überlebensstrategie. Ich mache Wenn es gut geht, dann geniessen – aber richtig! Bild: zVg 6 handicapforum Nr. 1 | 2018
Them a es mir dann möglichst gemütlich, ich verwöhne mich Jeden Glücksmoment bewusst geniessen… so gut es geht, ich gönne mir etwas Besonderes, ich Was mich aber auch sehr beschäftigt hat in meiner konzentriere mich auf jede Kleinigkeit, die mir gut tut. Pubertät: dass Freundinnen, die wenig älter waren als ich, gestorben sind. Ich habe immer Kontakt gepflegt mit anderen Kindern und Jugendlichen mit CF. In den Ich bin zum Glück eine Kämpferin CF-Lagern, die von der Gesellschaft für Cystische Fibrose Am schlimmsten sind die Nierensteine. Bei meiner angeboten werden, habe ich viel gelernt im Austausch Mutation, respektive Ausprägung der Krankheit, bilden mit den andern Betroffenen. Wir CFler hatten dadurch sich häufig Nierensteine. Sie haben mir – im wahr auch eine spezielle Verbindung. Als ich sechzehn Jahre sten Sinne des Wortes – schon manchen Stein in den alt war, habe ich es dann zum ersten mal erlebt, dass Weg gelegt. Besonders meine Berufsausbildung war eine CF-Freundin gestorben ist. Das hat mich damals schwierig unter diesen Voraussetzungen. Die Möglich- sehr aufgewühlt: Muss ich nun auch schon mit 22 keiten einer Anpassung an die krankheitsbedingten Jahren sterben? Inzwischen bin ich 26 und ich habe Einschränkungen oder entsprechende Nachteilsaus- keine Angst mehr vor dem Sterben. Die Anzahl Jahre, gleiche, sind bei den Lehrbetrieben leider nicht so die jemand zu leben hat, sagen ja nichts aus über die vorhanden. Ich musste zweimal eine Lehre abbrechen. Lebensqualität und darüber, ob man sein Leben aus- Aber beim dritten Anlauf ist es mir gelungen und ich gelebt hat. Menschen, die – wie ich – wissen, dass sie bin stolz, meine KV-Lehre im Rang abgeschlossen zu vielleicht nicht alt werden, leben einfach bewusster. haben. Es ist wirklich schade, wenn Menschen wie ich, Sie geniessen das Leben und jeden Glücksmoment sehr mit guten intellektuellen Fähigkeiten, krankheitshalber bewusst – so lebensfroh wie sie eben sind. Ich genie- in einer geschützten Werkstätte landen, wo sie völlig sse es sehr. Und es braucht nicht so viel dazu. Ein guter unterfordert sind. Es sollte doch möglich sein, Lehr- Tag und ich bin schon sehr zufrieden, denn ich weiss, und Arbeitsstellen anzupassen. Ich bin zum Glück eine das ist nicht selbstverständlich, dass ich am Morgen Kämpferin, ich habe einfach nicht aufgegeben. Das ist aufstehe und fit bin. Damit kann ich nun mal nicht auch eines meiner Mottos: «nicht aufgeben!» rechnen. Kommt ein guter Tag: dann mache ich, was ich mir vorgenommen habe. Ich schiebe nichts auf. Das ist wohl ein grosser Unterschied: Gesunde Menschen Ein bisschen schwarzer Humor tut einfach gut sagen, wenn ich dann Zeit habe oder wenn ich dann Es gab auch andere Zeiten. Ich war nicht ununterbro- pensioniert bin, dann mache ich dies und das. Wir chen mein ganzes Leben lang tapfer und zuversichtlich. sagen: wenn es uns gut geht, dann machen wir... und Vor allem in der Pubertät hatte ich meine Krisen. Das sobald es so ist, setzen wir unsere Vorhaben auch um. ist natürlich ohnehin eine schwierige Zeit, ein grosser Zum Beispiel eine Reise nach Australien. Auch wenn die Veränderungsprozess. Auch bei mir gab es emotiona- Vorbereitungen aufwändig waren und ich lange warten le Achterbahnfahrten und die grosse Frage: Warum musste – ich bin gefahren. Und ich werde mein Leben ich? Ich habe damals sehr viele Gespräche geführt weiterhin geniessen – bis zum letzten Moment. mit meiner Mutter, die ja von Anfang an immer an meiner Seite war und jeden Arztbesuch und Kranken hausaufenthalt begleitet hat. Sie hat mir wohl auch Cystische Fibrose (CF) ist eine chronisch verlau- die optimistische Sicht auf mein Leben vermittelt und fende, fortschreitende Erkrankung, welche nicht den humorvollen Umgang. Das mag für die Gesunden geheilt, aber mit einer breiten Palette von Thera- merkwürdig klingen, aber wir haben zusammen auch piemöglichkeiten behandelt werden kann. CF ist sehr viel gelacht. Wie oft sassen wir in irgendwelchen oft auf den ersten Blick von aussen nicht sichtbar. Wartezimmern oder auf der Notfallstation und haben Durch die vorliegenden Symptome und den täg- Tränen gelacht. «Hurra eine neuer Nierenstein, meine lichen zeitintensiven Therapieaufwand bestimmt Sammlung wächst... bald eröffnen wir den exklusi- sie das Leben der Betroffenen trotzdem grund- ven Ultra-Bio-Steinladen» und so weiter. Ein bisschen legend. Mit einer konsequenten Therapie sowie schwarzer Humor tut einfach gut. Meine Mutter hatte einer spezialisierten medizinischen Betreuung dann auch Verständnis, dass ich im Jugendalter ab und können die Auswirkungen von CF behandelt zu über die Stränge geschlagen habe. Es musste einfach und die Lebensqualität verbessert werden. Dank sein. Natürlich habe ich danach gelitten und brauch- medizinischer Fortschritte hat sich die Lebens te Tage, um mich wieder zu erholen. Aber das habe erwartung drastisch verbessert. Ein Grossteil der ich dann hingenommen und mich trotzdem gefreut. CF-Betroffenen erreicht heute das Erwachsenen- Ich lasse mir meine Freude einfach nicht nehmen. Die alter und führt ein erfülltes Leben. Dabei spielt die Frage «warum ich», hat sich dann irgendwann nicht Förderung der Eigenverantwortung im täglichen mehr gestellt. Ich bin einfach ich – und andere sind Umgang mit CF eine zentrale Rolle. anders. Jeder Mensch kann sich fragen: «weshalb bin ich Ich». Da kann man ja endlos rätseln. www.cfch.ch handicapforum Nr. 1 | 2018 7
T h em a «Nobelpreis» für eine aussergewöhnlich Frau Yetnerbersh Nigussie ist Trägerin des «Alternativen Nobelpreises». Sie wurde für ihre «inspirierende Arbeit im Kampf für die Rechte und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und damit für eine Veränderung in unserer Gesellschaft» ausgezeichnet. bim. Eine Frau, 35 Jahre alt, Rechtsanwältin und in sowie das «Centre for the students with Disabilities» Äthiopien aufgewachsen – das ist sehr selten. Möglich (Zentrum für behinderte StudentInnen) begründet. gemacht hat es ihre Behinderung. Nicht dass Menschen Behinderte Frauen haben es doppelt schwer – nicht mit Behinderungen in ihrem Herkunftsland speziell nur in Äthiopien. «Das ist ein globales Thema», hält gefördert würden – im Gegenteil. Die Äthiopierin hat Yetnerbersh fest. Behinderte Frauen sind unsichtbar. eine besondere Geschichte und dazu viel Mut und Le- Weder in der Feminismus- noch in der Behinderten- benskraft. Im 2017 ist ihr der «Alternative Nobelpreis» bewegung tauchen sie als Führungsfiguren auf. Das (Right Livelihood Award) verliehen worden. Yetner- Komitee zur Un-Konvention über die Rechte von Men- bersh Nigussie ist im Alter von fünf Jahren erblindet. schen mit Behinderung hat achtzehn Mitglieder – eines In der ländlichen Gegend, wo sie damals lebte, wur- davon ist eine Frau... Weltweit gibt es laut dem «World den die Mädchen mit zehn oder elf Jahren verheiratet. Disability»-Bericht viel mehr Frauen mit Behinderun- Mit einer Behinderung kam dies aber nicht in Frage. gen als Männer, sie haben aber weit weniger Zugang Deshalb durfte das Kind zur Schule gehen – vorerst in zu den Unterstützungsangeboten. Schulbildung wäre eine «Blindenschule», denn behinderte Kinder waren besonders wichtig und nachhaltig; die Schule ist der in der öffentlichen Schule nicht zugelassen. Mit dem Ort, wo Vorurteile korrigiert werden können. «Meine sechsten Schuljahr hörte die Sonderschule aber auf Ausbildung war meine Befreiung – deswegen bin ich und Yetnerbersh kam in eine reguläre Klasse. 76 Kin- heute da, wo ich bin», sagt Yetnerbersh Nigussie. der – und keines wollte mit ihr spielen oder lernen oder auch nur den Tisch teilen. «Das hat mich eine Menge gelehrt», sagt die Äthioperin rückblickend. Mit Den Armutszyklus durchbrechen ihren Erfahrungen von Ausgrenzung hat ihr Weg als Für die Äthiopierin gehören die Themen Behinderung Behindertenaktivistin begonnen. und Entwicklung untrennbar zusammen. Entwick- lungsarbeit muss inklusiv sein. Yetnerbersh hat in ihrer Heimat das «Ethiopian Centre for Disability and Behinderte Frauen sind unsichtbar Development» (Äthiopisches Zentrum für Behinderung Yetnerbersh Nigussie hat später in Adis Abeba Jura stu- und Entwicklung) begründet – heute trägt sie diese diert, als eine der ersten blinden Frauen überhaupt. Denk- und Arbeitsweise in die ganze Welt, unter an- Blinde Studenten hatte man schon gesehen. Aber Stu- derem als Inklusions-Expertin der Organisation «Licht dentinnen? Das Frau-Sein wurde in der juristischen Fa- für die Welt». Die Ziele für Menschen mit Behinderung kultät noch mehr diskriminiert als das behindert-Sein. unterscheiden sich letztlich nicht von denen nicht-be- Yetnerbersh hat ihr Studium nicht nur erfolgreich ab- hinderter Menschen. Das übergreifende Ziel ist es doch, geschlossen, sondern zugleich auch die erste «Fema- niemanden zurückzulassen, ist die Preisträgerin über- le Student Association» (Studentinnen-Vereinigung) zeugt. Inklusion und eine gute Ausbildung zählt sie w w w . H E L B I N G - S H O P . C H der Onlineshop für Recht, Portofreie Lieferung bei bestellungen Steuern, über CHF 150.– Wirtschaft. HLV_Ins_webshop_180x61mm.indd 1 23.1.2008 9:36:46 Uhr 8 handicapforum Nr. 1 | 2018
Them a Preisträgerin Yetnerbersh Nigussie: Rechtsanwältin dank ihrer Behinderung Bild: zVg klar zu ihren Prioritäten: «Man sollte in zukünftige Ge- ren Unterstützungsangebote zugänglich zu machen. In nerationen investieren, indem man sie miteinander den ländlichen Gegenden ist die Versorgung allgemein spielen, lernen und aufwachsen lässt. Das würde den schlechter. Einen Teil ihres Preisgelds möchte Yetner- Armutszyklus durchbrechen. Wenn wir das machen, bersh deshalb in Stipendien für die Mädchen aus den können wir in Zukunft problemlos alle miteinander Dörfern investieren. «Aus mir wäre nichts geworden arbeiten und existieren.» ohne meine Ausbildung in einem integrierten Lernum- feld. Ich möchte also das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist, auch anderen ermöglichen.» «Das Beste, was mir passiert ist, auch anderen ermöglichen...» Quelle: www.bizeps.or.at/im-gespraech-mit- Der Aufgabenbereich «Behinderung und Entwicklung» yetnebersh-nigussie heisst in Äthiopien beispielsweise, dass man sich in www.licht-fuer-die-welt.at den Gemeinden engagiert. Anders als in Europa sind kaum spezialisierte und separative Angebote vorhan- den. Menschen mit Behinderungen leben in der Ge- meinde, werden aber nach wie vor oft im Haus «gehal- ten», versteckt und ausgegrenzt. Da Äthiopien mittler- Der «Right Livelihood Award», auch «Alternati- weile die UNO-Behindertenrechtskonvention ratifiziert ver Nobelpreis genannt, ist eine Auszeichnung hat, sind die gesetzlichen Voraussetzungen für eine «für die Gestaltung einer besseren Welt». Er gesellschaftliche Teilhabe gegeben. Nun geht es darum, wird seit 1980 jährlich von der Stiftung Right Menschen mit Behinderungen in den Gemeinden auf- Livelihood Award Foundation vergeben und zunehmen und zu integrieren, um diese Teilhabe auch durch Spenden finanziert. umzusetzen und damit den Betroffenen alle verfügba- handicapforum Nr. 1 | 2018 9
A ktu e l l Liebe Leserin, lieber Leser Wussten Sie, dass ich als Rollstuhlfahrer in mancherlei spiriert das Spardiktat bei den öffentlichen Ausgaben Hinsicht zu den privilegierteren Menschen mit Behin- Behörden und Gesetzgeber dazu, immer restriktiver derung gehöre? Zum Beispiel schaut mich niemand mit Behinderung und Invalidität (= verminderte Er- schräg an, wenn ich bekenne, dass ich eine IV-Rente werbsfähigkeit im juristischen Sinne) umzugehen, bis beziehe. Es läuft bei meinem Gegenüber kein Film ab hin zur Marginalisierung und Abschaffung gewisser im Sinne von: Warum hat der eine IV-Rente? Ist diese Behinderungsarten. auch berechtigt? Es wird nicht gewerweisst, ob ich nicht womöglich ein Rentendiebe sei, ein Schmarot- Anderseits verdanken wir den unseligen Umgang mit zer der übelsten Sorte, wie es sie laut rechtsbürger- gewissen Behinderungsarten – und damit mit den be- lichen Kreisen zuhauf gibt. Schliesslich hetzt man mir troffenen Menschen – einer Missbrauchsdebatte, die als Rollifahrer auch keinen Privatermittler auf den Hals. nun schon über zwanzig Jahren anhält und tiefe gesell- Glück gehabt! schaftliche Spuren hinterlassen hat. Die Debatte wurde von rechtsbürgerlichen Kreisen losgetreten und richtet Andere haben weniger Glück. Sie stehen unter Gene- sich wahlweise gegen jegliche Gesellschaftsgruppen, ralverdacht, weil man ihnen nicht gleich ansieht oder die Ansprüche auf staatliche Leistungen stellen. Lange an ihrem Verhalten erkennt, dass sie eine Behinderung Zeit waren es die Arbeitslosen, die unter Generalver- haben. Ihre Behinderung ist unsichtbar und deshalb in dacht standen, Faulpelze zu sein. Dann die Menschen, den Augen vieler nicht existent oder zumindest höchst welche Leistungen der Invalidenversicherung bean- zweifelhaft. Das beginnt bei Menschen mit Sehbehin- spruchen. Und könnte man die SeniorInnen des Miss- derung, steigert sich bei den Hörbehinderten und brauchs verdächtigen – etwa dass sie falsche Angaben kulminiert bei Menschen mit eine psychischen Be- zu ihrem Alter machen –, so würde man es bestimmt einträchtigung. Würde man eine Rangliste unter den auch tun ... Behinderungsarten erstellen, eine Reihenfolge ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz, so stünden resp. sässen Es ist dieses engherzige politische Klima, das dazu wir Rollifahrer zuoberst auf dem Podest, und zuunterst beiträgt, dass die Sichtbarkeit einer Behinderung we- stünden Menschen mit psychischer Beeinträchtigung. sentlich für ihre gesellschaftliche Akzeptanz geworden Pech gehabt! Denn ihnen sieht man die Behinderung ist. Wie wenn das ein sinnvolles Kriterium wäre! nicht an. Walter Beutler Auch Menschen mit chronischen Schmerzen müssen neben ihrer körperlichen Pein oft das gesellschaftli- che Misstrauen verdauen, sobald sich ihre Schmerzen P.S. nicht auf eine Ursache zurückführen lässt, die abbild- Es ist ja nun nicht so, dass es mich unablässig stört, bar ist, etwa auf einem Röntgenbild oder in einem als Rollstuhlfahrer zu den privilegierten Menschen anderen bildgebenden Verfahren. Wie einfach die mit Behinderung zu gehören. Zuweilen geniesse ich Gemüter doch gestrickt sind, offenbar bis «hinauf» in es sogar. Man gönnt sich ja sonst nichts ... Um ein Bei- die Verwaltung, die Politik und die Gesetzgebung! Was spiel zu nennen: Ich bin froh, dass ich nicht jedes Mal man nicht sieht, kann nicht sein. So einfach ist das. Ist von neuem für einen Rollstuhl kämpfen muss, der all- eine Behinderung nicht eindeutig auf somatische, also tagstauglich ist, auch wenn ein solcher Aktivrollstuhl im Körperlichen begründete Ursachen zurückzufüh- wesentlich teurer ist als ein Standardmodell, wie man ren, so wird sie von Seiten der Sozialversicherungen es oft in Altersheimen oder Spitälern sieht. Trotzdem – und der Gesellschaft – zunehmend in Frage gestellt. steigt mir die Schamesröte ins Gesicht, wenn ich Eine solche Haltung ist, gelinde gesagt, nicht auf dem mir vorstelle, dass mein Privileg als Rollstuhlfahrer neusten Stand der Erkenntnis. Sie ist, genau betrach- auf Kosten von anderen Menschen mit Behinderung tet, nicht einmal das Ergebnis einer Erkenntnissuche, gehen könnte. – Und ein Privileg geht immer auf Kos- sondern folgt einer politischen Agenda. Einerseits in- ten von anderen. 10 handicapforum Nr. 1 | 2018
Aktu e l l handicapforum Nr. 1 | 2018 11
Bei träge Nicht laufen können, macht nicht automatisch unglücklich Ein Plädoyer für eine vielfältige, inklusive Gesellschaft von Raul Krauthausen (leicht gekürzt) Eine Behinderung muss tatsächlich nicht zwingend Dies zu verändern liegt weder in den Möglichkeiten, Trauer und Verzweiflung auslösen. Oft sind es vielmehr noch in der Verantwortung des einzelnen behinderten die (gesellschaftlichen) Barrieren und insbesondere die Menschen, sondern ist eine Aufgabe, die gesamtgesell- Erfahrung ausgeschlossen zu werden, die Leid verursa- schaftlich angegangen und gelöst werden muss. Zum chen. Es gibt verschiedene Blickrichtungen. Nach wie Nutzen aller. Denn zum einen haben auch nicht-be- vor ist der medizinische Ansatz weit verbreitet: Er oder hinderte Menschen ein Anrecht darauf, mit behinder- sie hat ein Defizit und damit ein Problem, das sozu- ten Menschen zusammen zu leben. Und zum anderen sagen in ihm selber begründet ist. Er und sein fami- kann ja jeder nicht-behinderte Mensch schnell und liäres Umfeld haben es auch zu lösen. Dass durch die unerwartet eine Behinderung erwerben. Statistisch ge- Gesellschaft behindernde Faktoren geschaffen werden, sehen ist das sogar weitaus häufiger der Fall, als dass die die Behinderung erst zu einem Problem machen, eine Behinderung geheilt wird. wird nicht bedacht. Behinderung wird als ein Zustand angesehen, der behandelt und im Idealfall beseitigt werden kann. Wenn eine Beseitigung nicht möglich ist, Das Problem ist die fehlende Rampe dann wäre wenigstens eine Optimierung des behin- Es gibt aber auch das soziale Denkmodell, das die derten Menschen wünschenswert, um ihn möglichst Problematik nicht in der behinderten Person selber schnell wieder zu einem «funktionierenden» Mitglied sieht, sondern in gesellschaftlichen Bedingungen, der Gesellschaft zu machen und wieder in den Arbeits- die verbessert werden müssen. Ganz simpel zusam- markt einzugliedern. mengefasst: Während beim medizinischen Modell der Raúl Aguayo-Krauthausen, Behindertenaktivist und Gründer der «Sozialhelden» Bild: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de 12 handicapforum Nr. 1 | 2018
Beiträge Mensch und seine Behinderung das Problem ist, wenn und nicht-behinderte Gesellschaft zieht sich ein Spalt. er beispielsweise eine Veranstaltung nicht besuchen Menschen mit und ohne Behinderung wachsen von kann, weil der Zugang nur über eine Treppe möglich Anfang ihres Lebens an getrennt auf und besuchen ist – sieht das soziale Modell das Problem hier in der größtenteils unterschiedliche Bildungsinstitutionen. fehlenden Rampe, also der nicht barrierefreien Um- Dabei könnten wir die kindliche Unvoreingenommen- gebung, und wendet sich der Problemlösung zu. Das heit nutzen, um schon in jungen Jahren in Beziehung soziale Modell berücksichtigt eine große Anzahl an As- zueinander zu treten und uns zu einer Wir-Gesellschaft pekten, denn hier wird davon ausgegangen, dass die zu entwickeln – Behinderung lediglich als ein Prob- durch die Umwelt konstruierte Behinderung in allen lem der behindernden Umwelt verstehen lernen, das Lebensbereichen stattfindet. gemeinsam gelöst werden kann. Kinder mit und ohne Durch das im Jahre 2009 in Kraft getretene Überein- Behinderung sollten von Beginn an zusammen leben, kommen der Vereinten Nationen der Rechte von Men- lernen, spielen und Spaß haben – sie sollten gemein- schen mit Behinderungen (UN BRK) sollte die Sicht des sam aufwachsen dürfen. sozialen Modells von Behinderung in der Gesellschaft übernommen werden. Heute muss man leider sagen, dass nach wie vor die defizitorientierte Sicht auf Men- Vielfältig leben und denken schen mit Behinderung in Gesellschaft, Medizin und «Es ist normal, verschieden zu sein», singt der Rapper Politik dominiert. Graf Fidi. Auch wenn diese Aussage in den vergange- nen Jahren immer populärer geworden ist, spiegelt sie sich immer noch nicht ausreichend in unserem Gesell- Kaum Berührungspunkte schaftsleben wider. Es gibt Menschen mit Behinderung, Gesellschaftlich ist die Durchsetzung des sozialen Mo- die viel Energie darauf verwenden, sich den Normen der dells besonders aus einem Grund erschwert: Menschen nicht-behinderten Mehrheitsgesellschaft anzupassen. mit und ohne Behinderung haben im Alltag kaum Be- Eine Normalität, an der sich die Mehrheit der Gesell- rührungspunkte. Behinderte Menschen sind auf dem schaft orientiert, selbst wenn sie für einen behinderten ersten Arbeitsmarkt selten anzutreffen, die Inklusion Menschen aufgrund seiner Beeinträchtigung unerreich- in der Schule findet viel zu selten statt, so bleiben bar ist. Wenn wir barrierefrei und vielfältig leben und behinderte SchülerInnen an Förderschulen unter sich, denken würden – gäbe es dann noch eine Verwendung der Wohnungsmarkt ist kaum barrierefrei und Men- für den Stempel normal und nicht-normal? Ist es nicht schen mit Behinderung wohnen oft in Wohngruppen endlich an der Zeit, jeden Menschen in seiner Verschie- oder Heimen, die ihnen zwar Barrierefreiheit ermög- denheit wahrzunehmen und zu akzeptieren? lichen – aber kein Zusammenleben mit nicht-behin- derten Menschen. Der Lebensweg vieler Menschen mit Wir sollten aufhören, den Menschen der Gesellschaft Behinderung entwickelt sich häufig von einer Sonder- und selbst gestalteten Umwelt anzupassen. Stattdes- schule hin zur Werkstatt mit angeschlossener Wohn- sen sollten wir gemeinsam an einer Gesellschaft arbei- gruppe. Überschneidungen mit der nicht-behinderten ten, die Vielfalt und Inklusion ermöglicht, in der jeder Mehrheitsgesellschaft gibt es kaum. So sind nicht-be- Mensch sich in seiner Individualität verstanden und hinderte Menschen oft ahnungslos, Fragen wie «Wie aufgehoben fühlt, in der niemand um soziale Teilhabe lebt die Person?» oder «Wie gestaltet sie ihr Leben?» kämpfen muss. Und wir sollten unsere Umgebung so können nicht kommuniziert werden, Freundschaften gestalten, dass Barrierefreiheit zur Norm wird. in der Schule und am Arbeitsplatz zwischen behinder- ten und nicht-behinderten Menschen können meis- Raul Krauthausen tens erst gar nicht entstehen – durch die behinderte raul.de handicapforum Nr. 1 | 2018 13
Bei träge Big Brother Nein, nicht potenzielle Terroristen werden überwacht, sondern Personen, die Sozialversicherungen bezie- hen. Wie weit diese Massnahmen gehen sollen und dürfen, wird derzeit verhandelt. Über Jahre wurden bereits Überwachungen durchge- führt ohne Schutz der Privatsphäre und ohne eine ent- sprechende Rechtsbasis. Die Observierungen mussten nach dem Urteil des EGMR vorerst eingestellt werden und das Parlament machte sich schnellstmöglich hinter eine neue Gesetzesregelung, um die Praxis fortführen zu können. Zwanzig Anzeigen Dass Versicherungsbetrug vermieden und – wenn nötig – auch bekämpft werden soll, wird allgemein und auch von den Behindertenorganisationen befürwortet. Al- lerdings stellt sich stets die Frage der Verhältnismäs- sigkeit. Gemäss Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) wurden im Jahr 2016 insgesamt 270 Observati- onen angeordnet, wobei in 180 Fällen ein Missbrauch nachgewiesen werden konnte. «Missbrauch» ist in der Terminologie des BSV jedoch verwirrend, denn dazuge- zählt wird beispielsweise auch, wenn jemand aus Ver- sehen gegen die Meldepflicht verstösst. Wer sich schon einmal im Dschungel der Sozialversicherungen bewegt hat, kann sich vorstellen, wie schnell solches gesche- hen kann – erst recht wenn jemand von Krankheit, Unfall, Schmerzen usw. absorbiert ist oder die nicht ganz einfache Behördensprache schlecht beherrscht. Insgesamt kam es dann im 2016 zu zwanzig Strafan- zeigen – Anzeigen, nicht Urteile! Wieviele Personen am Ende tatsächlich wegen Betrug verurteilt wurden, ist Bild: Bruno Lindau nicht bekannt. bim. Das Gespenst der Scheininvaliden geht nach wie Was ist verhältnismässig? vor um und wird immer wieder von neuem beschwo- Wie weit die Observierungen gehen dürfen, wird nun ren. Wie kommt es, dass Menschen, die Leistungen aus ausgehandelt. Der Ständerat und auch die Sozial- und den Sozialversicherungen beziehen, hartnäckig des Gesundheitskommission des Nationalrats möchten Betrugs verdächtigt werden? Bestimmt nicht, weil sie die Persönlichkeitsrechte von Menschen mit Behin- mehrheitlich kriminell sind. Auch nicht weil sie Millio- derungen massiv einschränken und Privatdedektiven nen scheffeln. Dass sie sozusagen in globo vorverurteilt erlauben, Personen bei Missbrauchsverdacht in ihrem werden, hat vor allem mit politischer und entspre- privaten Raum zu überwachen. Auch die umstrittenen chender medialer Stimmungsmache zu tun. Konkret GPS-Tracker (Global Positioning System) sollen nach hat diese dazu geführt, dass die Schweizer Behörden wie vor eingesetzt werden. Diese Geräte ermöglichen ein Überwachungssystem eingeführt und praktiziert es, Personen überall zu orten. Immerhin sollen diese haben, als ob gefährliche Terrorzellen aufgespürt wer- Massnahmen künftig nur mit richterlicher Genehmi- den müssten. Und dies ohne ausreichende gesetzli- gung erfolgen. Die nationale Behinderten-Selbsthilfe, che Grundlagen. Der Europäische Menschenrechts- «Agile.ch», hat den Bundesrat ersucht, sich vertieft Gerichtshof (EGMR) hat die Schweiz deshalb im Jahr mit den verschiedenen Aspekten der Überwachung zu 2016 gerügt, respektive die Beschwerde einer obser- befassen und insbesondere folgende Themenbereiche vierten Person gutgeheissen. Sie war kein Einzelfall. zu überprüfen: 14 handicapforum Nr. 1 | 2018
Beiträge • Kompetenz zur Anordnung der Überwachung: zudem, dass Überwachungen auf allgemein zugängli- Wer ist unter Wahrung der verfassungsmässigen che Orte beschränkt werden und dass observierte Per- Rechte zu ihrer Anordnung legitimiert? Wer über- sonen über die Überwachung und allfällige Resulta- prüft, ob sie verhältnismässig ist? Was passiert mit te informiert werden müssen - und zwar bevor eine den zusammengetragenen Daten? darauf gestützte medizinische Begutachtung erfolgt. • Verhältnis StGB (Strafrecht) und ATSG Agile.ch warnt auch vor neuen Notlagen, wenn die (Sozialversicherungsrecht): Gesetzesvorschläge ohne Korrektur angenommen wür- Soll die Regelung des ATSG tatsächlich weiter gehen den. Sollten die Sozialversicherungen ihre Leistungen als das StGB? Oder anders ausgedrückt: Sollen Bezü- vorsorglich einstellen, dürfte dies nur erfolgen, wenn ger/Bezügerinnen von Sozialversicherungen tatsäch- konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass eine verdäch- lich weniger Verfahrensrechte haben als z.B. Mörder, tigte Person die Leistung unrechtmässig erwirkt hat. Diebe oder Angehörige von kriminellen Banden? Ein vager Verdacht dürfte keine derart einschneidende • Wie weit geht die Überwachungskompetenz von Massnahme auslösen. Wer Sozialversicherungen be- privaten Versicherern? zieht, hat nicht viel zum Leben und schon gar keine Reserven. Dass ausgerechnet sie nun unter dem Gene- ralverdacht stehen zu betrügen und sich unrechtmässig Der Generalverdacht zu bereichern ist ein Armutszeugnis für diejenigen, die Agile.ch stellt sich auf den Standpunkt, dass nur die- solche Gedanken verbreiten. Es ist zu hoffen, dass die jenigen missbräuchlich handeln, die vorsätzlich ihre Politik besonnen reagiert und die Forderungen der Be- Pflichten verletzen und sich auf diese Weise Leistungen hindertenorganisationen ernst nimmt. verschaffen. Eine versicherte Person sollte davon aus- gehen dürfen, dass sie eine Leistung zu Recht erhält, Weitere Informationen: wenn ihr diese von der Sozialversicherungen zuge- inclusion-handicap.ch sprochen wird. Die Behindertenorganisation verlangt agile.ch Bild: Bruno Lindau handicapforum Nr. 1 | 2018 15
Bei träge Neue Rechtsprechung bei psychischen Erkrankungen Ein allfälliger Rentenanspruch bei einer leichten bis mittelschweren Depression wird künftig anders ermit- telt als in der bisherigen Praxis. bim. Mit psychischen Erkrankungen tut sich die IV beson- lige Therapien und deren Wirkung, berufliche Eingliede- ders schwer. Selbst wenn keinerlei gesellschaftliche Vor- rungsbemühungen, mögliche Begleiterkrankungen, das urteile oder Ängste mitspielen, ist es sehr anspruchsvoll, soziale Umfeld und alle Einschränkungen im Alltag, die diese schwer fassbaren Leiden und Einschränkungen so zu geltend gemacht werden können. Wenn sich bei umfas- kategorisieren, dass sie versicherungstauglich werden. Da sender Betrachtung ein stimmiges Gesamtbild für eine die IV bekanntlich auch noch sparen muss, ist die Tendenz Einschränkung der Arbeitsfähigkeit in allen Lebensberei- klar. Rentenzusprüche bei leichten bis mittelschweren chen ergibt, sind die Voraussetzungen gegeben, um einen Depressionen wurden im Zuge der Sparmassnahmen bei Rentenanspruch zu prüfen. Die Beweislast liegt dabei den Sozialversicherungen drastisch reduziert, indem man nach wie vor bei der versicherten Person. Das Vorgehen den Betroffenen kategorisch nur dann eine IV-Rente ge- zur Klärung von IV-Renten-Ansprüchen soll künftig also währte, wenn ihr Leiden als «therapieresistent» qualifi- bei allen psychischen Leiden angewendet werden – auch ziert wurde. Diese Praxis musste revidiert werden. Ende bei leichten bis mittelschweren Depressionen. Eine fach- 2017 hat das Bundesgericht eine Kehrtwendung vollzo- gerecht gestellte medizinische Diagnose wird selbstver- gen: künftig wird die Rechtssprechung dem Vorgehen bei ständlich nach wie vor verlangt. Sie allein kann aber nicht somatoformen Schmerzstörungen angepasst. Dieses folgt mehr ausschlaggebend für die Einschätzung der Arbeits- einem so genannten strukturierten Beweisverfahren. Die- fähigkeit sein. Entscheidend ist vielmehr, wie sich die ses Verfahren stellt auf verschiedene Indikatoren ab, mit Erkrankung auswirkt. Das alleinige Kriterium der Thera- deren Hilfe ermittelt werden soll ob, beziehungsweise in pierbarkeit sei im Falle von psychischen Erkrankungen welchem Umfang, die versicherte Person arbeiten kann. weder sachlich geboten noch medizinisch abgestützt, wird Berücksichtigt werden die medizinischen Befunde, allfäl- im Bundesgerichtsurteil festgehalten. Frau und Gesundheit Menschen mit Behinderungen haben noch längst nicht überall Zugang zu den Gesundheitseinrichtungen. Frauen und Mädchen mit ihren spezifischen Bedürfnissen gehen besonders gern «vergessen». bim. Was bedeutet Gesundheit? Denkt man ein wenig heitsanliegen» –Ausgrenzung und Diskriminierung tra- darüber nach, so merkt man, dass diese Frage gar nicht gen jedenfalls nicht zur Gesundheit bei. so schnell beantwortet werden kann und je nach Zu- sammenhang ganz verschieden ausfällt. In jedem Zeit- alter, in jeder Kultur und auch in jeder gesellschaftli- Das bestmögliche Befinden chen Schicht wird Gesundheit unterschiedlich definiert Nichtbehinderte stellen sich vielleicht die Frage, ob und auch jeder einzelne Mensch erlebt und versteht sich Menschen mit Behinderungen überhaupt gesund Gesundheit wieder anders. Dass Gesundheit schlicht fühlen können, sie haben ja – zumindest nach dem die Abwesenheit von Krankheit bedeutet, greift jeden- bio-medizinischen Denkmodell – bestimmte Defizite. falls zu kurz. Die Weltgesundheitsorganisation WHO de- Aber wie auch immer die Voraussetzungen aussehen, finiert den Begriff folgendermassen: «Gesundheit ist es gibt immer ein bestmögliches Befinden, das indi- ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen viduell erlebt und als gesund wahrgenommen wird. und sozialen Wohlergehens…». Diese Definition greift Leider haben Menschen mit Behinderungen nach wie sehr weit – «vollständiges soziales Wohlergehen» liegt vor oft nur einen erschwerten oder noch gar keinen Zu- beispielsweise für viele Menschen in weiter Ferne und gang zu den Gesundheits-Einrichtungen. Insbesondere wäre doch ein wichtiger Faktor, um sich wirklich um- in den Bereichen Information, Bildung und Präventi- fassend gesund zu fühlen. So gesehen gibt es auch on werden Menschen mit Behinderungen noch wenig für Menschen mit Behinderungen noch viele «Gesund- miteinbezogen. 16 handicapforum Nr. 1 | 2018
Beiträge Das vorherrschende Schönheitsideal Die eigenen Vorstellungen und Wünsche «Avanti donne», die nationale Interessenvertretung für Frauen mit Behinderungen haben, je nach Voraus Frauen und Mädchen mit Behinderung legt den Fokus setzung, unterschiedliche Bedürfnisse hinsichtlich auf die Gesundheit von Frauen mit Behinderungen, medizinischer Untersuchungen und Behandlungen. respektive auf die Barrieren, die speziell den Frauen Oft müsste mehr Zeit eingeplant werden und manch- den Weg versperren. Die Frauenorganisation fordert, mal auch mehr Personal – Mitarbeitende, die so as- dass Frauen mit Behinderung, ebenso wie nichtbehin- sistieren, dass die Würde und das Wohlbefinden der derte junge Menschen eine barrierefreie grundlegende Patientinnen gewahrt bleiben. Weibliche Teenager Gesundheitsbildung erhalten. Dazu gehören Selbst mit Behinderung sollten überall Zugang zu den ersten sorge und Prävention (Bewegung, Ernährung, Umgang gynäkologischen Gesundheitsleistungen haben. Nach mit körperlichen und psychischen Belastungen usw.), wie vor werden gynäkologische Untersuchungen an eine altersgemässe und geschlechtersensible Sexual- FachärztInnen für bestimmte Behinderungen delegiert, aufklärung sowie Informationen über Patientenrech- statt dass die gynäkologischen Praxen barrierefrei ein- te und Unterstützungsangebote. Mädchen und junge gerichtet werden. Dem medizinischen Personal sollte Frauen mit Behinderung werden durch das vorherr- aber auch bewusst sein, dass Frauen mit Behinderung schende Schönheits- und Schlankheitsideal beson- nicht asexuell sind. Sie können wie andere Frauen un- ders unter Druck gesetzt. Das heisst, sie müssten in gewollt schwanger sein oder eine Geschlechtskrankheit ihrem Selbstbewusstsein erst recht bestärkt werden, haben. Und sie haben ihre eigenen Vorstellungen und damit sie sich in ihrem Körper wohlfühlen und ein Wünsche bezüglich Verhütung und Familienplanung, Verständnis dafür entwickeln, dass sie sexuelle Be- die es zu respektieren gilt. Frauen mit Behinderung ziehungen führen können wie andere auch. Über sich können aber nicht nur schwanger werden, sondern selber bestimmen lernen, sexuellen Missbrauch erken- auch Kinder bekommen und eine Familie haben. Dazu nen und sich erfolgreich dagegen wehren sind weitere sollten ihnen natürlich auch die spezifischen Angebote wichtige Themen für jungen Frauen. Präventions- und zur Verfügung stehen. Selbstverständlich ist dies (noch) Schutzangebote, zum Beispiel Frauenhäuser, müssten nicht. «Avanti donne» spricht von «Gleichstellung im selbstverständlich barrierefrei zugänglich sein. Damit Schneckentempo» und setzt sich entschieden für eine alle Beteiligten für diese Anliegen sensibilisiert werden schnellere Gangart ein. und ein Umdenken in Gang kommt, müssten deshalb bei allen Gesundheitsberufen die Erkenntnisse der Avantidonne.ch Gender Health-Forschung einfliessen. Frauen mit Behinderungen dürfen nicht übergangen werden! Bild: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de Im Bild: Schauspielerin Carina Kühne handicapforum Nr. 1 | 2018 17
Bei träge JuGru – wo sich junge Menschen treffen, die ein wenig anders sind Entspannung, Anregung und Vergnügen – auch mit künstlerischen Aktivitäten Bild: zVg Sie interessieren sich für Filme, für Musik, für Liebe Nachfrage wieder befriedigt werden kann. Die Ju- und Sexualität. Sie wollen gamen und chillen, sie wol- gendgruppe hilft mit, den Übergang vom Kind zum len etwas unternehmen und sie haben eine Meinung. Jugendlichen zu erleichtern. Sie ist ein verlässlicher Sie wünschen sich einen Beruf, sie verlieben sich, sie Ort ausserhalb der Familie, wo Erlebnisse, Freude und wollen später heiraten und Kinder kriegen, sie haben Kummer geteilt werden und Freundschaften entstehen Krach zu Hause und sie mögen Schokolade: Jugendliche können. Die Jugendlichen bestimmen über die Aktivi- mit einer leichten geistigen Beeinträchtigung sind in täten und Themen und übernehmen mehr und mehr erster Linie Jugendliche - und sie sind ein bisschen an- Verantwortung. Sie formulieren Wünsche, reden mit- ders. Einige Themen stellen für sie im Zusammenhang einander, tragen Konflikte aus, finden Lösungen und mit ihrer geistigen Behinderung oder Beeinträchtigung planen möglichst selbständig. Kreativ- künstlerische eine besondere Herausforderung dar. In der Jugend- Aktivitäten sind ein fester Bestandteil des Angebots. gruppe treffen sie auf andere, die in einer ähnlichen Dabei lernen sich die Jugendlichen besser kennen und Situation sind. Das Angebot ist geschaffen worden für entdecken Ressourcen. Für einige ist das Formulieren Jugendliche, die eher wenig betroffen sind von einer in der Alltagssprache eine ständige Herausforderung. Beeinträchtigung und sich deshalb Gruppen mit stärker Kreativ-künstlerische Ausdrucksformen sind leicht zu- Betroffenen nicht zugehörig fühlen, die aber merken, gängliche Alternativen, bieten Entspannung, Anregung dass sie anders sind als Jugendliche ohne Beeinträch- und vergnügliche Erlebnisse. Die sozialen Spielregeln, tigung. In der JuGru fühlen sie sich aufgehoben. Bald die in der Gruppe geübt werden, sind nützlich für die Zu- soll schon eine zweite Gruppe entstehen, damit die kunft, für den Weg in ein möglichst selbständiges Leben. Die Jugendgruppen sind offen für 4 bis 10 Jugend also CHF 30.- pro Treffen. Kosten für Kinobesuche liche mit einer leichten geistigen Beeinträchtigung und ähnliches kommen dazu und werden von den aus Basel oder Umgebung (1 Gruppe für 13-18jäh Teilnehmenden selber getragen. Das Angebot wird rige / 1 Gruppe für junge Erwachsene ab 18). Die vom Verein JuGru getragen, der sich aus Spenden professionelle Leitung garantiert, dass die Teilneh und Zuwendungen finanziert. menden mit ihren unterschiedlichen Stärken und Schwächen verstanden werden und dass ein kons Projekt- und Gruppenleitung, Anmeldung und truktiver Umgang in der Gruppe gepflegt wird. Sie Information: gibt auch kreativ-künstlerische Inputs. Je selbstän Annatina Strub diger die Jugendlichen werden, umso mehr wird die 061 423 15 33 / 076 423 38 05 Leitung zur Assistenz im Hintergrund. Für die Teil annatina.strub@bluewin.ch nehmenden kostet die Gruppe CHF 10.- pro Stunde, www.villablu.ch 18 handicapforum Nr. 1 | 2018
Beiträge 40 Jahre Freizeitzentrum insieme Basel «Wir machen Freizeit» - öffentliche Veranstaltungen besuchen, wandern, zusammen kochen und zusammen essen, basteln, musizieren, Filme schauen… All das und vielmehr bietet das Freizeitzentrum seit 40 Jahren für Menschen mit einer geistigen Behinderung in und um Basel an. Das Gefühl eine Art Familie zu sein… Vor dem Freizeitzentrum in Basel Bild: zVg Dieses Jahr feiern wir das 40-jährige Bestehen unse- werden. Bei einem Apéro werden unsere Gäste unter- res Freizeitzentrums (FZZ). Es ist ein Begegnungsort. halten und verpflegt. Auch übers Jahr hindurch wer- Ausgehend von den Ideen und Wünschen der FZZ-Be- den wir kleine Zeichen setzen: So wurde schon beim suchenden plant und realisiert das FZZ-Team das Pro- Januarprogramm ein Jubiläums-Aufkleber beigelegt. gramm. Dies beinhaltet kulturelle, gesellschaftliche, Weitere Jubiläumsartikel folgen, so zum Beispiel ein gestalterische, kulinarische, musische und sportliche Kugelschreiber, eine Tasse und Gummibärli. Zum Jubi- Aktivitäten. läum haben wir ein neues T-Shirt kreiert. Auf diesem Mit viel Pioniergeist und Mithilfe von Eltern Betroffener steht wieder unser bewährter Slogan «Wir machen startete das Freizeithaus im Jahr 1978 an der Schwarz- Freizeit». Dieses beliebte T-Shirt ist in schwarz, rot waldallee. Damals war es überhaupt nicht selbstver- und weiss bereits erhältlich. Diverse Grössen können ständlich, dass es für Menschen mit einer Behinderung im FZZ anprobiert werden. Für unsere treuen Helfe- Freizeitaktivitäten und Bildungsangebote gab. 20 Jahre rinnen und Helfer, welche seit Jahren das feste Team später stand ein grosser Umzug bevor, da wir nicht unterstützen, wird es im Sommer einen gemütlichen länger an der Schwarzwaldallee bleiben konnten. Die Helferanlass geben. Räumlichkeiten an der Landskronstrasse mussten je- In all diesen Jahren hat sich einiges verändert; die El- doch zuvor renoviert und umgestaltet werden, da diese tern zogen sich langsam zurück. Die Kinder von damals Lokalität bis anhin eine Metzgerei war. 1998 konn- sind erwachsen und selbständiger geworden. Inzwi- ten wir dann einziehen und unsere Programme in den schen gibt es sogar schon eine Seniorengruppe, bei neuen, farbigen und grosszügigeren Räumlichkeiten der es Teilnehmer dabei hat, welche bereits schon vor anbieten. Der Name wechselte von Freizeithaus zu vierzig Jahren ins Freizeithaus kamen. Mit den Themen Freizeitzentrum. Im oberen Stock des Gebäudes be- Integration und Inklusion hat sich auch das Program- findet sich das Büro, was viele Vorteile mit sich bringt. mangebot etwas verändert, und die Teilnehmenden Seit Beginn profitieren jährlich rund zweihundert Teil- können sich einbringen. Das Gefühl eine Art Familie nehmende von unseren abwechslungsreichen Frei- zu sein blieb jedoch über all die Jahre bestehen, und zeitangeboten. Dies soll gefeiert werden! Am Samstag, dieses Gefühl möchten wir auch in Zukunft pflegen. 27. Oktober wird in der Voltahalle bei einem grossen Urs Nichele öffentlichen Fest auf unser Jubiläum angestossen. Es wird diverse Darbietungen geben, wo auch ein Teil Mehr über uns zu erfahren ist auf: unserer Freizeitzentrum-Besucher miteinbezogen www.insieme-basel.ch handicapforum Nr. 1 | 2018 19
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